Nachfahren hundertsiebenundneunzig Jahre spä- ter gelingt, den halbmodernen Dualismus in Liech- tenstein zu einem viertelmodernen zurückzu- schrauben. Wer da nicht ins Rutschen kommt... DIE SOUVERÄNITÄT Im «Lexikon der Politik» wird Souveränität wie folgt definiert: Sie ist «der den modernen Staat nach innen und aussen konstituierende Herr- schaftsanspruch».5 Es wird ausgeführt, dass der Begriff in internationalen Beziehungen «als ord- nungs- und realpolitisch überholt»6 gelte, weil In- ternationalisierung und gegenseitige Abhängigkei- ten die Souveränität der Nationalstaaten obsolet ge- macht hätten. Allerdings bleibe Souveränität nach aussen ein Begriff, der - unabhängig von den realen Machtverhältnissen - die Gleichheit aller Staaten postuliere und so de facto im internationalen Sys- tem ein Minderheitenschutz für kleinere Staaten sei. Man höre hier also zweierlei: Wir feiern zum ei- nen mit 200 Jahren Souveränität nicht nur einen überholten, sondern auch ideellen, vielleicht auch fiktiven Begriff, der mehr eine Behauptung oder Forderung eines Kleinstaates als sein historisch ge- sicherter und tatsächlicher Besitz ist. Zum anderen zelebrieren wir einen Begriff, der heute - wie die <souverainete> von 1806 - hauptsächlich einen In- nenbezug hat. Als Belege seien ein aussen- und ein innenpoliti- sches Geschehen aus der jüngsten liechtensteini- schen Politik angeführt. EU- und EWR-Länder begegnen mit Groll dem anlässlich der EU-Erweiterung 2003 von Liechten- stein ins Feld geführten Argument, die vor 1991 von der Tschechoslowakei nicht anerkannte liech- tensteinische Souveränität müsse Tschechien für eine Mitgliedschaft in der EU im Wege stehen. Auf den halluzinogenen und nach innen gerichte- ten Charakter des liechtensteinischen Souveräni- tätsbegriffs verweist Erzbischof Wolfgang vor der Abstimmung über die Verfassungsinitiative <Für das Lebern im Dezember 2005, indem er die liech-tensteinische
Souveränität als Möglichkeit erkennt, zusammen mit dem Fürstenhaus die Grundlagen für einen christlichen Gottesstaat zu legen. Wo aber ist diese Souveränität in Liechtenstein selbst zu finden? Offenbar sind es Gestein, Hang- wälder und Schwemmland des Gebietes zwischen Ellhorn, Bangser Riet, Sareiser Joch und den Wuhr- steinen am rechten Rheinufer, die zur <souverai- nete> befähigen. Allerdings ist es nicht Napoleon, der diesen Boden damit anreichert; der Boden ist bereits vor ihm mit einer Kostbarkeit durchmischt, die einen früheren Fürsten von Liechtenstein tief in die Prunkbörse hat greifen lassen, um in ihren Be- sitz zu kommen: Johann Adam I. kaufte die Graf- schaft Schellenberg und die Herrschaft Vaduz der im späten vierzehnten Jahrhundert vom deutschen Kaiser verliehenen Reichsunmittelbarkeit wegen. Der 157 Quadratkilometer grosse Rest war dem Fürsten Rüfegeröll und Ofenrauch. Napoleon, der mit dem Rheinbund bewusst das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zu Fall bringen will und das auch erreicht, verwandelt diesen bereits vorge- fundenen und für sehr ferne Zwecke benötigten Glimmer zur <souverainete> weiter, und zwar ge- biets- und nicht personenbezogen. <Souverainete> als Folgeprodukt der Reichsunmittelbarkeit be- kommt zuallererst das Fürstentum. Es sind also Rheinwacken und Streurieter dann die Botenstoffe, die die <souverainete> weiterreichen, nicht an den Besitzer dieser Gebiete, die Dorfgenossenschaften oder Bauern, sondern an den Besitzer der Herr- schaftsrechte über dieses Gebiet. Der Fürst wird nur zum Träger der Souverä- nität, er ist nicht ihr Grund. Deshalb bleibt er - will er denn die Souveränität haben - an eben diesen Grund gebunden. In der liechtensteinischen Verfas- sungssprache ist das als «Verankerung» der Sou- veränität im Fürsten (und im Volk) benannt. Das scheint mir das eigentliche Abhängigkeitsverhält- nis zumindest des Fürsten verkehrt abzubilden: Er ist an die Souveränität der 160 Quadratkilometer liechtensteinischen Staates gekettet. Springt diese Kette, verliert nicht Liechtenstein, sondern der Fürst die Souveränität. 192