Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2006) (105)

LIECHTENSTEIN IM VERBANDE DES HEILIGEN RÖMISCHEN REICHES / BERND MARQUARDT fassung des Imperiums nicht nur auf kaiserlicher Hegemonie basierte, wie sie in den grossen Kaiser- gestalten Maximilian I. und Karl V. sowie im mar- kanten Ausbau der kaiserlichen Hausmacht zwi- schen 1477 und 1526 durchaus angelegt war, son- dern auch auf der Einsicht der Fürsten und Grafen, dass ihr hergebrachtes Eigenkriegsrecht zu einem Sicherheitsdilemma führe und gesamthaft destruk- tiv sei. Das «Verfassungssystems des Ewigen Land- friedens» basierte auf zehn interdependenten Grund- säulen: 1. Die erste Säule ist 
im Gewaltmonopol der zen- tralen Herrschaftsebene im Sinne eines exklusiven Definitionsmonopols legaler Gewaltanwendung zu sehen. Zur «Handhabung Friedens und Rechtens» wurde die Zentralebene im Sinne eines institutio- nalisierten Bipolarismus11, bestehend aus dem Kai- ser und der Ständeversammlung des Reichstages, reorganisiert. 2. Die zweite Säule lag in der 
umfassenden Frie- denspflicht. Statuiert wurde 1495 ein absolutes Verbot der eigenmächtigen Kriegführung aller in das Reich eingeordneten Mächte. Anders als im Mainzer Reichslandfrieden von 1235 gab es kein subsidiäres Fehderecht mehr. Die Fürsten, Grafen und Herren, darunter Vaduz-Schellenberg, durften ihre bewaffneten Kräfte nur noch zur Notwehr, Not- hilfe und Strafverfolgung einsetzen. Mit der Beschränkung des reichsinternen Feh- derechts ging einher, dass das im Mittelalter relativ frei gewesene Bündnisrecht der in das Imperium eingeordneten Regional- und Lokalmächte zwar nicht aufgehoben, aber doch im Sinne eines strik- ten und sanktionsbewehrten Freundlichkeitsgebots gegenüber der Zentralebene einhegt wurde, wie es der Westfälische Friede von 1648 explizit betonte.12 Etwa wurde 1705 das Land des Kurfürsten Max Emanuel von Bayern angesichts der reichsverfas- sungswidrigen Zusammenarbeit mit dem aller- christlichsten König Frankreichs für mehr als ein Jahrzehnt unter kaiserliche Administration ge- stellt. 3. Die Kehrseite war die 
strikte Kriminalisierung des Friedensbruchs. Die Fehdeführung galt nicht mehr als ehrenvoller ritterlicher Kampf zur Fin-dung 
der richtigen unter konkurrierenden Rechts- auffassungen, sondern wurde zur Schwerstkrimi- nalität umgewertet. Landfriedensbruch und Reichs- rebellion wurden mit härtesten Strafandrohungen bewehrt. 4. Zur gewaltfreien Lösung von Konflikten war der Aufbau 
einer mehrstufigen Gerichtsverfassung über den Herrschaften und Städten 
mit obersten Reichsgerichten an der Spitze erforderlich. Über je- dem regierenden Herrn, sei er landsässig oder reichsunmittelbar, wie auch über jeder Stadt stand seither ein handlungsfähiger höherer Richter, der auch die Herrschaftspraxis auf Missbräuche hin untersuchen konnte.13 Vaduz-Schellenberg unter- stand seither unmittelbar den beiden parallel zu- ständigen obersten Reichsgerichten, dem Reichs- hofrat an der Kaiserresidenz in Wien bzw. Prag so- wie dem Reichshofrat in Speyer bzw. Wetzlar. 5. Der Justizstaat, der über jeden eingeordneten Fürsten einen höheren Richter stellte, war nur so gut, als seine Urteile auch exekutierbar waren. Im Rahmen 
der Reichsexekutionsordnung wurden zehn grossregionale Reichskreise eingerichtet, die teils kaiserlich hegemoniert (Österreich und Bur- gund), meist aber genossenschaftlich-reichsstän- disch zusammengesetzt waren. Um Missbrauchs- gefahren zu bannen, fungierte als Exekutor über- wiegend nicht der Kaiser, sondern die jeweilige re- gionale Gemeinschaft der Reichsstände. Vaduz- Schellenberg wurde in den Schwäbischen Reichs- kreis einbezogen. Zwischen 1504 und 1793 lassen sich insgesamt 51 Reichsexekutionen, z.T. verbun- den mit dem kaiserlichen Ausnahmezustandsin- 9) So z.B.: Fels, Jacob: Erster Beytrag zu der deutschen Reichstags- Geschichte, Lindau 1 767, Vorrede § 1 f. 10) Abgedruckt bei: Buschmann, Arno: Kaiser und Reich, 1, Band, 2. Auflage. Baden-Baden 1994. S. 158 ff. 11) «Institutionalisierter Dualismus» bei: Moraw, Peter: Deutschland, Spätmittelalter. In: Lexikon des Mittelalters. Band 3, Sp. 835-862, 860, 862. 12) Pütter (1799), Band 2, S. 83 f. 13) Pütter (1799). Band 2, S. 168 und S. 183. Ebenso Band 3. S. 234 ff. 13
	        

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