Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2006) (105)

DIE EUROPÄISCHE INTEGRATION NIKOLAUS VON LIECHTENSTEIN zerischen Wirtschaftsraum hat Liechtenstein Ab- satzchancen in die ganze umgebende Grossregion. Ebenso ist der in Liechtenstein geltende Schweizer Franken für seine Finanzdienstleitungen von Vor- teil. Nur wenn die Schweiz gleichzeitig EU- Mitglied würde, fielen die Vorteile, zwei Wirtschafträumen anzugehören, weg. Aber selbst im Falle einer EU-Mitgliedschaft der Schweiz gäbe es gewichtige Argumente gegen eine solche Liechtensteins. Zu nennen sind etwa die für ein so kleines Land sehr hohen Verwaltungskosten einer Mitgliedschaft.20 Ein Mitentscheidungsrecht Liechtensteins bei Rechtsakten des Binnenmarktes ist aus folgender Überlegung nur von relativem Interesse: Liechten- stein kann auf Änderungen in der EU-Gesetzgebung in der Regel rasch reagieren und Anpassungen der eigenen Gesetzgebung sind relativ kostengünstig. Abgesehen von einigen politisch und wirtschaftlich sensiblen Rechtsakten (Finanzdienstleitungsbereich, Personenverkehr) ist es somit für Liechtenstein billi- ger, die eigene Gesetzeslage den Binnenmarktregeln anzupassen als mit hohem Aufwand die Mitent- scheidungsmöglichkeiten voll zu nutzen, zumal ja die Beeinflussungsmöglichkeiten aufgrund der oben erwähnten Stimmgewichtungen und der Machtver- hältnisse ohnehin gering sind. Diese Überlegung wird noch einsichtiger, wenn man bedenkt, dass es ganze Sektoren der Binnenmarktgesetzgebung gibt, die auf Liechtenstein ohnehin nicht anwendbar sind. Sicherlich, es werden Stimmrechte immer wieder für Tauschgeschäfte verwendet, was die vor- herige Argumentation mindert. Doch kann eine glaubwürdige, langfristig angelegte Aussenpolitik solche Stimmabsprachen, ohne Berücksichtigung der dem Wahlgeschäft zu Grunde liegenden Interes- sen, nicht zur Maxime erheben. Eine souveränitätspolitische Beurteilung des EWR- Abkommens für Liechtenstein wird auch einen Ver- gleich zum anderen grossen Integrationsvertrag Liechtensteins, dem bilateralen Zollvertrag mit der Schweiz, anstellen müssen. In beiden Verträgen kommt Liechtenstein kein Mitentscheidungsrecht bei zu übernehmenden Rechtsakten zu. Beim EWR- Abkommen bestehen aber recht weit ausgebaute 
Konsultationsrechte, inklusive der wichtigen Mög- lichkeit, an der Erarbeitung von Gesetzesvorschlä- gen durch die Europäische Kommission beratend teilzunehmen. Auch aus diesem, zugegebenermas- sen formalen Vergleich der beiden Integrationsver- träge Liechtensteins, wird man keine Souveränitäts- minderung durch das EWR-Abkommen ableiten können. Das EWR-Abkommen kann somit als souverä- nitätspolitisch für Liechtenstein gelungener Kom- promiss angesehen werden. Einerseits erhöht es seine Wirtschaftskraft und seinen aussenpolitischen Wirkungsbereich, diversifiziert seine Abhängigkei- ten und anderseits behält es die für einen Kleinstaat notwendigen Spielräume, inklusive Veto- und Kün- digungsrecht. AUSBLICK Souveränitätspolitisch wird Liechtenstein die eu- ropäische Integration nicht isoliert von seinem rest- lichen Beziehungsgeflecht betrachten dürfen. Es geht darum, eine wohl ausgeglichene Gesamtaus- senpolitik zu haben, von den globalen Einbindun- gen, wie der UNO und der WTO bis zur Nachbar- schaftspolitik. Der Europapolitik Liechtensteins kommt aber in mehrfacher Hinsicht eine besondere Bedeutung zu: Erstens sind unsere beiden Nach- barn stark auf diese ausgerichtet. Selbst die Schweiz, welche 1992 den EWR abgelehnt hatte, hat ihre fak- tische Integration in die EU über bilaterale Verträge in den letzten Jahren vorangetrieben. Diese integra- tionspolitische Ausrichtung unserer Nachbarn drängt uns gerade dazu, die direkte Beziehung mit Brüssel 18) Die 1995 von der EFTA zur EU übergetretenen Mitgliedstaatcn waren: Finnland, Österreich, Schweden. 19) Malta, als kleinstes Mitgliedsland hat drei Stimmrechte, Staaten von der Grössenordnung Norwegens, wie zum Beispiel Finnland, ha- ben sieben Stimmrechte. 20) Auch die kleinsten EU-Mitgliedsstaaten unterhalten ständige Vertretungen in Brüssel von wenigstens 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern um zumindest einen Teil der zirka 3000 Komitees und Arbeitsgruppen, die den Mitgliedsländern offen stehen, zu verfolgen. 163
	        

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