DIE EUROPÄISCHE INTEGRATION NIKOLAUS VON LIECHTENSTEIN Am Ministertreffen der EFTA-Räte in Genf vom 5. und 6. November 1984 nahmen als Vertreter Liechtensteins Regierungs- chef-Stellvertreter Hilmar Ospelt (Zweiter v. r.) und Benno Beck, der Leiter des Amts für Volkswirtschaft (r.), teil. Weg in seinen Aussenbeziehungen. Bei der Ent- scheidung über den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) stellte sich somit weniger die Frage, ob eine Integrationslösung für Liechten- stein das richtige sei, sondern welche es wäre: Sollte die Integration in den schweizerischen Wirtschafts- raum weiterhin die Aussenbeziehungen überwie- gend bestimmen, oder sollte daneben die Assoziati- on mit der EU neue, zusätzliche Wege der interna- tionalen Zusammenarbeit eröffnen? Wie kam es aber zu dieser Alternative in Rich- tung EU? Liechtenstein hatte in einem Zollvertrag mit der Schweiz die Kompetenz abgetreten, das Land in Handels- und ähnlichen Verträgen mit Dritt- staaten einzubeziehen. So wurden im Verlauf der Jahre verschiedene Abkommen der Schweiz mit der EU ebenso für Liechtenstein anwendbar. Solange dies klassische Handelsverträge im Bereich des in- ternationalen Warenverkehrs waren, stellte dies keine Probleme aus dem Selbstverständnis des Zoll- vertrages und liechtensteinischer Souveränitätspo- litik. Je mehr aber Verträge auch andere Wirt- schaftsfragen regelten, wie zum Beispiel Wettbe- werbsfragen, Investitionsschutz, öffentliches Auf-tragswesen,
bedurfte es der stillschweigenden oder ausdrücklichen Zustimmung Liechtensteins zum Einbezug. Als die Schweiz 1972 mit der EU ein Frei- handelsabkommen abschloss, das unter anderem auch eine Evolutivklausel vorsah, schlug Liechten- stein vor, nicht einfach das Abkommen über den Zollvertrag zu übernehmen, sondern dieses Abkom- men über einen dreiseitigen Vertrag mit der EU und der Schweiz anwendbar zu erklären.9 Auch wenn damit in der Substanz der über die Schweiz auf Liechtenstein anwendbaren Vertragsbestimmun- gen sich nichts änderte, hatte man doch ein Weg ge- funden, der formal die nicht an die Schweiz abgetre- tenen souveränen Kompetenzen berücksichtigte. Damit hatte Liechtenstein auch das erste, wenn auch dreiseitige, Abkommen mit der EU abge- 8) Hartley, Trevor C: The Foundations of European Community Law. Clarendon Law Series, 1988, S. 181 ff. 9) Zusatzabkommen vom 22. Juli 1972 über die Geltung des Abkom- mens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 22. Juli 1972 für das Fürs- tentum Liechtenstein (Landesgesetzblatt LGBL 1973, 10/1). 157