Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2006) (105)

30. Juli 1938 erteilte die tschechoslowakische Re- gierung ihre Zustimmung.17 Das weitere Schicksal der Tschechoslowakei erklärt, warum dieser Schritt nicht mehr vollzogen wurde: Am 29. September 1938 kam es zum «Münchener Abkommen», am 1. Oktober 1938 erfolgte der deutsche Truppenein- marsch in die sudetendeutschen Gebiete. Am 5. Ok- tober 1938 trat Präsident Benes zurück, und am 16. März 1939 unterzeichnete Adolf Hitler den «Er- lass über das Protektorat Böhmen und Mähren», was das Ende des bisherigen tschechoslowaki- schen Staatswesens bedeutete. Liechtenstein hatte sich während mehr als fünf Jahren intensiv darum bemüht, in Prag entweder eine eigene Aussenstelle zu errichten oder wenig- stens - wie in anderen Staaten - durch die Schweiz dort vertreten zu werden. Diese Bemühungen wa- ren gemeinsam vom LIaus Liechtenstein und vom Staat Liechtenstein getragen worden. Haus und Staat hatten ihre gleichgerichteten Interessen in der Wahrung des Grundbesitzes des Hauses Liech- tenstein in der Tschechoslowakei. Das Haus strebte diese Besitzstandswahrung als Grundlage seines Vermögens an. Der souveräne Staat war dabei die Plattform, von welcher aus der tschechoslowaki- sche Angriff auf das Hausvermögen abgewehrt werden sollte. Für den Staat Liechtenstein war die Sicherung der wirtschaftlichen Grundlage des Fürst- lichen Hauses von grosser Bedeutung, weil er gera- de in den Jahren des Umbruchs nach dem Ersten Weltkrieg auf dessen materielle Unterstützung an- gewiesen war. Das Scheitern dieser Bemühungen macht aller- dings auch offenbar, dass der Kleinstaat Liechten- stein trotz guter Beziehungen einzelner Exponen- ten, vor allem des Fürstenhauses, sich kaum gegen die Interessen grösserer Staaten durchsetzen konn- te. Die Anliegen Liechtensteins waren für andere Staaten eher bedeutungslos, so dass sich diese des- wegen nicht auf diplomatisches Glatteis begeben wollten. Das Fürstentum Liechtenstein bekam bei dieser Gelegenheit wieder die Nachteile des macht- losen und einflussarmen Kleinstaates zu spüren, der auf die tatkräftige Unterstützung starker Part- ner angewiesen war. 
DIE BODENREFORM IN DER TSCHECHOSLO- WAKEI UND DIE SOUVERÄNITÄTSFRAGE Am 14. Oktober 1918 konstituierte sich in Paris die Tschechoslowakische Provisorische Regierung. Mit Thomas Masaryk und Eduard Benes standen an der Spitze des Staates zwei Persönlichkeiten, die international grosses Ansehen genossen. Am 14. November 1918 erklärte der tschechoslowakische Ministerpräsident Karel Kramaf in der ersten Sit- zung der Nationalversammlung das Haus Habs- burg für abgesetzt und proklamierte den tsche- choslowakischen Staat als Republik.18 Am 18. April 1920 fanden die ersten Parlamentswahlen statt. Aus ihnen gingen die Sozialdemokraten mit 74 Mandaten als stärkste Partei hervor. Das Aussen- ministerium war von 1918 bis 1935 in den Händen von Benes. Er war «frankophil aus Überzeugung», integrierte die Tschechoslowakei in das französi- sche Paktsystem und sicherte sein Land zusätzlich durch politische Bündnisse und Wirtschaftsverträ- ge mit den Balkanstaaten ab.19 Durch sein Wirken im Völkerbund verhalf Benes der Tschechoslowa- kei «zu einem ihre tatsächlichen politischen, mili- tärischen und wirtschaftlichen Kräfte weit überfor- dernden Platz im europäischen Mächtekonzert».20 Für Liechtenstein war die starke internationale Vernetzung der Tschechoslowakei von Nachteil. Dies zeigte sich vor allem in seinen Bemühungen um die Anerkennung der Souveränität. Liechtenstein ge- riet in den Interessenkonflikt zwischen dem ausge- dehnten Grundbesitz des Hauses Liechtenstein in der Tschechoslowakei und der diesen Grundbesitz bedrohenden Bodenreform. Diese Bodenreform hatte eine historische und eine sozialpolitische Kom- ponente. Vom historisch rechtfertigenden Stand- punkt aus sollte das «Unrecht von 1620», nämlich die Überführung eines Teiles des Grossgrundbesit- zes nach der «Schlacht am Weissen Berg» in deut- sche Hände, wieder rückgängig gemacht werden.21 Die sozialpolitische Komponente zeigte sich in der Umsetzung der Bodenreform, die zu heftigen Strei- tereien zwischen den Sozialisten und den Agra- riern führte.22 Die Agrarier wollten das gekaufte und konfiszierte Land direkt in das Eigentum der 114
	        

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