Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2005) (104)

Wählerschaft identifiziert wird, wodurch die ge- samte journalistische Berichterstattung beeinflusst werden kann.206 Ein augenscheinliches Beispiel für die Selbstzen- sur der Medien zeigte sich im Sommer 2002. Es ging dabei um einen neuen Vorschlag in der Aus- einandersetzung über die Abänderung der Verfas- sung. Fürst und Landtagskommission hatten stren- ge Vertraulichkeit beschlossen. Eine öffentliche De- batte war nicht erwünscht. Der Chefredaktor des Liechtensteiner Vaterlandes schrieb darauf: «Aus der Sicht der inländischen Medien ist der Deal un- befriedigend. Aufgrund des Nahverhältnisses zu den Parteien würde man als Quelle der Information gleich ein bestimmtes Lager verdächtigen. Deshalb wird sich jedes inländische Medium davor hüten, den neuesten Verfassungsdeal platzen zu lassen. Der lachende Dritte wird voraussichtlich wieder wie letztes Jahr ein ausländisches Medium sein.»207 Der Chefredaktor des Liechtensteiner Volksblattes doppelte wenige Tage später nach: «Die Einschät- zung, dass die inländischen Medien die Vereinba- rung nicht platzen lassen werden, kann von unse- rer Seite vollauf unterstrichen werden.»208 Obwohl das Thema von höchstem öffentlichem Interesse war, verschlossen sich die Medien geschlossen ei- ner öffentlichen Information und Debatte. Ein bemerkenswerter Fall in der Nähe zur Zen- sur war die Strafanzeige der liechtensteinischen Staatsanwaltschaft im Jahr 1992 gegen den dama- ligen Chefredaktor des Alternativblattes «Löwen- zahn», Michael Heinzel, wegen seiner Kritik am Fi- nanzplatz Liechtenstein. Die Klage auf Verunglimp- fung des Staates wurde jedoch vom Staatsgerichts- hof mit der Begründung abgewiesen, dass eine Be- strafung des Journalisten «keine für die Aufrech- terhaltung der demokratischen Ordnung des Fürs- tentums Liechtenstein notwendige Massnahme (dar- stelle)».209 
LESERBRIEFE In Liechtenstein hat sich im Verlauf der Zeit eine sehr aktive Leserbriefkultur entwickelt, die in der öffentlichen Meinungsbildung einen hohen Stellen- wert hat.210 Leserbriefschreiber monieren daher gelegentlich, dass Leserbriefe «zensiert» werden. Nachdem die beiden Landeszeitungen auch Partei- zeitungen sind, haben solche Vorwürfe in der Regel einen direkten Bezug zur Politik.2" Seit den 1970er Jahren wurde beispielsweise gelegentlich Kritik daran geübt, dass die Zeitungsredaktionen Leser- briefe kommentieren, Leserbrieffehden mit der Be- merkung beenden, zu einer bestimmten Frage kei- ne weiteren Leserbriefe mehr zu veröffentlichen, indem einzelne Leserbriefe nicht abgedruckt wer- den oder indem Vorgaben bezüglich der maxima- len Länge von Leserbriefen gemacht werden. Selbst wenn im Volksmund dabei gerne der Be- griff Zensur verwendet wird, stimmt es doch nicht mit der entsprechenden Definition überein. Die Zeitungen weisen private Trägerschaften auf und sind rechtlich nicht verpflichtet, Zusendungen zu veröffentlichen. Da die Zeitungen die presserechtli- che Verantwortung tragen, können sie fallweise so- gar verpflichtet sein, Zusendungen nicht abzudru- cken, etwa wenn ein Leserbrief persönlichkeitsver- letzenden, staatsgefährdenden, rassistischen, men- schenverachtenden oder gewaltverherrlichenden Inhalt hat. Wird ein eingesandter Leserbrief nicht abge- druckt, kommt dies aus der Sicht des Leserbrief- schreibers vielleicht faktisch einer Zensur gleich. Es ist ihm aber nicht verboten, seine Meinung in ei- ner anderen Zeitung zu veröffentlichen, selbst eine Zeitung herauszugeben oder seine Meinung mit an- deren Mitteln kundzutun. Trotzdem wirft es ein schlechtes Licht auf Zeitungen, wenn sie aus offen- sichtlich parteipolitischen Gründen einzelne Leser- briefe bevorzugend, andere ablehnend behandeln. 168
	        

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