Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2005) (104)

ZENSUR IM GEBIET DES HEUTIGEN FÜRSTENTUMS LIECHTENSTEIN / WILFRIED MARXER PRESSE UND SELBSTZENSUR Zu den am schwierigsten zu erforschenden Aspek- ten der Zensur gehört die Selbstzensur, die einge- bettet in ein institutionalisiertes Zensursystem oder als Schere im Kopf von Autoren, insbesondere auch von Journalisten, wirken kann, indem sie sich beispielsweise an den Massstäben von Herausge- bern und Verlegern, eines sozialen Umfeldes, des Publikums oder der Werbekundschaft orientieren. Selbstzensur wirkte bereits mit der Einführung der Buchdruckkunst, indem sich immer wieder Auto- ren und Verleger gezwungen sahen, Texte so abzu- fassen, dass sie nicht der kirchlichen oder staatli- chen Zensur anheim fielen. Christoph Martin Wieland - neben Gotthold Ephraim Lessing der bedeutendste deutsche Schrift- steller der Aufklärung - formulierte etwa eine Art Codex des schriftstellerischen Schaffens, indem er das Verbot von Schriften rechtfertigte, die Perso- nen direkt beleidigten, zu Aufruhr und Empörung gegen die gesetzliche Ordnung aufriefen, die Grundverfassung des Staates in Frage stellten oder auf den Umsturz aller Religion, Sittlichkeit und bür- gerlichen Ordnung hinwirkten.203 Im Grund han- delt es sich dabei um Richtlinien, die im modernen Rechtsstaat unter den Begriffen des Persönlich- keitsschutzes und des Staatsschutzes nach wie vor weitgehend anerkannt sind. Die liechtensteinische Mediengeschichte vollzog sich seit ihren Anfängen und bis in die Gegenwart meist in einem engen Korsett der Selbstzensur. Eine Aussage von Friedrich Wilhelm II. aufgrei- fend, bekannte der Herausgeber des Liechtenstei- ner Volksblattes in der ersten Ausgabe von 1878 freimütig: «Wenn unser Blatt auch der gepriesenen Pressefreiheit sich zu bedienen das Recht in An- spruch nimmt, so soll und darf - wenigstens hier - die Pressefreiheit niemals in eine leichtfertige Pres- sefrechheit ausarten und eine Quelle der Zwie- tracht werden.»204 Mit den ersten Parteigründungen im Jahr 1918 entwickelte sich eine enge Bindung zwischen den Medien und den Parteien, die bis in die Gegenwart anhält. Das Liechtensteiner Volksblatt dient der 
Fortschrittlichen Bürgerpartei als Parteiorgan, das Liechtensteiner Vaterland ist die Parteizeitung der Vaterländischen Union. Auch die meisten anderen Zeitungen in der liechtensteinischen Medienge- schichte haben einen politischen LIintergrund.205 Die Medienschaffenden folgen also nicht aus- schliesslich einer publizistischen Logik sowie ent- sprechenden Richtlinien und Standards, sondern sehen sich massgeblich gezwungen, die Interessen der jeweiligen Partei zu berücksichtigen. Dabei geht es keineswegs nur um die Proklamation jeweiliger Parteienstandpunkte - besonders augenfällig in Wahlkampfzeiten -, sondern auch um Rücksicht- nahmen auf das Lesepublikum, das gleichzeitig als 195) Malin 1953, S. 78 f. 196) Marlin erwähnt als «Höhepunkt dos Lesebuchwesens» das 695- scilige Lesebuch für die Oberstufe aus dem Jahr 1938. 197) Mündliche Mitteilung von Oberlehrer Alfons Kranz an Graham Martin; vgl. Martin 1966, S. 228. 198) Ebenda. S. 237. 199) Schulamt dos Fürstentum Liechtenstein (Hrsg.): Fürst und Volk. Line liechtensteinische Staatskunde (Redaktion: Edmund Banzer, Georg Burgmeier. Norbert Bürzle. Luzius Malin). Vaduz. 1993. Aus- kunft von Mitgliedern der Redaktion. Da das Schulamt bzw. die Re- gierung Auftraggeber für das Lehrmittel war, ist der Begriff «Zen- sur» nicht direkt angebracht. Das Beispiel zeigt aber doch den Ver- such einer Meinungssteuerung. 20Ü) Schmidt. Heinz; Volk. Gerhard: ABC der deutschen Rechtschrei- bung und Zeichensetzung. 4. Aufl. Leipzig, 1979. Auskunft eines ehemaligen Deutschlehrers am Liechtensteinischen Gymnasium. Das Buch enthielt Sätze wie «Viele kriminelle Handlungen in den impe- rialistischen Ländern entspringen (Milieu) (bedingten) Einflüssen» (S. 146) oder «Der Partei danke ich alles Gute und Schöne in mei- nem Leben» (S. 201). In der Festschrift zum sechzigsten Geburtstag des Rektors dos Liechtensteinischen Gymnasiums. Josef Biedermann, ist ein ironisches Gedicht aus dessen Feder zu diesem Thema abge- druckt; vgl. Liechtensteinisches Gymnasium 2004, S. 65-67. 201) Zu Wissenschaft und Zensur vgl. Jones 2001, S. 2161-2164. 202) Ausführlicher bei Marxer 2004. S. 114 f. mit weiteren Verwei- sen. 203) Nach Plachta 1994, S. 153. 204) Johannes Franz Fetz im Liechtensteiner Volksblatt. 1. Jg. Nr. 1 vom 16. August 1878. 205) Ausführlich zum Verhältnis von Medien und Politik bei Marxer 2004. 167
	        

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