Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2005) (104)

gen der Meinung des Landvogtes, (allerdings er- heblich) erschienen.»195 Im 20. Jahrhundert füllten sich die liechtenstei- nischen Lehrmittel zunehmend mit Texten aus Liechtenstein, während früher grosse Teile aus an- deren Büchern übernommen worden waren. Neben den religiösen Motiven setzten sich auch immer mehr staatsbürgerlich-patriotische Ziele durch. Dies war verknüpft mit einer Verschiebung der Au- torenschaft von kirchlichen auf weltliche Kreise, darunter befanden sich auch Persönlichkeiten der Politik.196 Die übliche Methode bei der Herstellung eines liechtensteinischen Lesebuches bestand darin, liech- tensteinische Texte und Texte von Lehrbüchern aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz zusam- men zu stellen. Beim Lesebuch von 1938 waren al- lerdings Texte aus zeitgenössischen deutschen Le- sebüchern wegen der nationalsozialistischen Pro- paganda ungeeignet. Aber auch die innerschweize- rischen Texte wurden als ungeeignet angesehen, da sie «zu auffallend religiös» waren.197 Es ist offenbar, dass die Zuständigen den Lehr- büchern eine erzieherische Wirkung attestierten - egal ob in religiöser oder staatspolitischer Hinsicht. Daher wird in der Auswahl von Lehrbüchern und der Auswahl von Texten bei der Herstellung eige- ner Lehrbücher grosse Bedeutung beigemessen. Ein illustratives Beispiel stellt dabei der vergebliche Versuch zur Ausarbeitung einer liechtensteini- schen Staatsbürgerkunde für den Schulgebrauch dar. In den 1930er und 1940er Jahren wurden nicht weniger als vier Entwürfe ausgearbeitet, die aber allesamt nicht verwirklicht wurden. Erst 1965 erschien dann die erste liechtensteinische Staats- kunde.198 Das neuere Staatskundelehrmittel (Fürst und Volk) von 1993 konnte ebenfalls nicht ohne po- litische Komplikation herausgegeben werden. Kri- tische Fragen zu den verfassungsmässigen Kompe- tenzen des Landesfürsten mussten auf Intervention der Behörden gestrichen werden. Schliesslich wur- de der freigewordene Platz mit einer Karikatur auf- gefüllt. Damit wurde verhindert, dass der Eingriff sichtbar wurde, gleichzeitig konnte am ursprüngli- chen Seitenumbruch festgehalten werden.199 
1982 wurde auf Anordnung der Regierung ein Lehrmittel für den Deutschunterricht von der Liste der Lehrmittel am Liechtensteinischen Gymnasium gestrichen. Die Massnahme erfolgte nach einer In- tervention der Elternvereinigung, die reklamierte, dass das Lehrmittel aus der Deutschen Demokrati- schen Republik stamme und entsprechende Propa- ganda enthalte. Die Angelegenheit löste auch Akti- vitäten in den Leserbriefspalten der Zeitungen und eine Anfrage im Landtag aus. Das Lehrmittel war vorher mehrere Jahre in Gebrauch gewesen.2110 WISSENSCHAFT Mit der Meinungsfreiheit ist speziell auch die Frei- heit der wissenschaftlichen Forschung und Lehre verknüpft.201 Obrigkeitliche Eingriffe in die Wissen- schaftsfreiheit können als Zensur aufgefasst wer- den. Diesbezüglich hat in den 1990er Jahren ein Fall in Liechtenstein Schlagzeilen gemacht. Es ging um eine wissenschaftliche begründete und im Feb- ruar 1995 öffentlich vorgetragene Äusserung von Herbert Wille zur verfassungsrechtlichen Zustän- digkeit des Staatsgerichtshofes. Dieser Sachverhalt bewegte Landesfürst Hans-Adam II. zu einer schrift- lichen Mitteilung an den Forscher und damaligen Vorsitzenden der Verwaltungs-Beschwerde-Instanz, ihn wegen dieser Verfassungsinterpretation künftig nicht mehr in ein öffentliches Amt zu ernennen. Der Fall wurde mangels innerstaatlichen Instan- zenwegs dem Europäischen Gerichtshof für Men- schenrechte vorgetragen, welcher im Oktober 1999 unter anderem einen Verstoss gegen die Freiheit der Meinungsäusserung feststellte. Wille wurde 1997 tatsächlich vom Landesfürsten nicht in das Amt des Vorsitzenden der Verwaltungs-Beschwer- de-Instanz ernannt, obwohl der Landtag einen ent- sprechenden Beschluss gefasst hatte.202 166
	        

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