Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2005) (104)

ZENSUR IM GEBIET DES HEUTIGEN FÜRSTENTUMS LIECHTENSTEIN / WILFRIED MARXER platz zu passen. Ob es sich hierbei definitorisch um Zensur handelt, kann offen bleiben. Zensur liegt aber spätestens dann vor, wenn eine Zensurbehör- de in fertige Filme eingreift, Hauptangriffspunkte sind dabei in der Gegenwart Gewaltverherrlichung, menschenverachtende Ideologien, pornografische Motive - in der Vergangenheit aber auch der gängi- gen Moralauffassung widersprechende oder poli- tisch unerwünschte Szenen und Filme. Das Publikum in Liechtenstein sieht daher nicht selten Filme in zensierter Form, ohne dass die Zen- sur direkt in Liechtenstein erfolgt. Unter den vielen zensierten Filmen war beispielsweise in der deut- schen Fassung auch der vermeintlich harmlose Film «Casablanca», welcher 1944 mit drei Oscars prämiert worden war. In der deutschen Fassung wurde aus dem Anti-Nazi-Film eine flache Agen- tengeschichte. Der tschechoslowakische Wider- standskämpfer Victor Läszlo mutierte zu einem norwegischen Atomphysiker, 21 Minuten des Films wurden herausgeschnitten, darunter alle Szenen mit dem deutschstämmigen Hollywood-Star Con- rad Veidt als faschistischer Major Strasser, Erst 1975 wurde von der ARD eine authentische deut- sche Fassung des Filmes produziert.184 Falls der Film also vor 1975 in Liechtenstein in der deut- schen Version aufgeführt wurde, handelte es sich um eine veränderte Fassung. Ein weiterer Aspekt der Zensurmassnahmen beim Film ist die Regelung von Aufführungen. In Deutschland wurde nach einer kurzen zensurfreien Zeit nach dem Ersten Weltkrieg 1921 eine Film- prüfstelle eingerichtet, die Filme verbieten konnte. Dieses Recht stand den Landeszentralbehörden zu- sätzlich zu. Auch in Österreich waren Zensur- behörden tätig. Nach der ersten öffentlichen Film- vorführung in Liechtenstein 1908 dauerte es zehn Jahre, bis im Rössle in Schaan ein Kino konzessio- niert und eingerichtet wurde. Der Betrieb erfolgte von Anfang an unter den Argusaugen der katholi- schen Kirche, die Angst vor Sittenverfall und Ge- nusssucht hatte.185 Gleichzeitig mit der Konzessio- nierung wurde die Zensur durch die Regierung ein- geführt. 
Diese Vorbehalte fanden auch Eingang in die Verfassung von 1921, indem die Meinungsfreiheit nach Art. 40 der Verfassung dahingehend einge- schränkt wurde, dass «eine Zensur ... öffentlichen Aufführungen und Schaustellungen gegenüber statt- finden (darf)». Da die Filme aber bereits in Öster- reich zensiert worden waren, schlief die Zensur in Liechtenstein um 1922 wieder ein. Nach einer In- tervention von Prinz Alois im April 1928 gegen die Filme (Panzerkreuzer Potemkim und <Sacco und Vanzetti> wurde die Zensur wieder aktiviert, indem die Zensurblätter jeweils spätestens zwei Tage vor der Aufführung der Regierung vorgelegt werden mussten.186 Ein tatsächlicher Zensureingriff ist je- doch nicht bekannt. In Deutschland wurde nach 1945 die Zensur- behörde aufgehoben. Die Kontrolle der Alliierten 173) Plachta 1994, S. 164 ff. 174) Ebenda. S. 174 f. 175) Ebenda, S. 175 f. 176) Vgl. Goldstoin 1989. S. 113-154. 177) Goldstein 1989. S. 114-117. 178) Das Theater am Kirchplatz hatte sich unter der Leitung von Alois Büchel aus dem seit 1964 tätigen Kabarett Kaktus entwickelt. 179) Vogt 1990, S. 196. 180) Vgl. etwa Goldstoin 1989. S. 155-174 über Opernzensur im 19. Jahrhundert. 181) Zur Musikzensur insbesondere im 20. Jahrhundort vgl. Pieper 2001; Seim 1997; Cloonan 1996; Eiscl 1990; sowie Jones 2001. S. 1653-1669. Zur Radiozensur auch Jones 2001, S. 2010-2014. 182) Zur Fernschzensur vgl. Jones 2001. S. 2393-2399. Zur Zensur in der Fotografie vgl. Jones 2001. S. 1853-1865. 183) Habel 2003, S. 11; Jones 2001, S. 797-825. 184) Habel 2003, S. 24 f. 185) Ausführlich bei Lingg 2004. 186) Lingg 2004. S. 161 f. <Panzerkreuzer Potemkin> von Sergej Ei- senstein war einer jener Filme, der bis zur Unkenntlichkeit verstüm- melt und geschnitten wurde. 1905 entstanden, fand er erst 1926 den Weg in die Kinos im deutschsprachigen Raum. Zwischentitel wurden verändert. Szenen herausgeschnitten, die Montage verändert usw. Beispielsweise durften im geschnittenen Film keine Offiziere von den Matrosen über Bord geworfen werden, die Szenen auf der Odessaer Treppe wurden ebenso geschnitten wie die berühmte Szenenkom- plex mit dem Kinderwagen oder Aufnahmen von loten und Sterben- den. Habel. S. 74 ff. 163
	        

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