Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2005) (104)

ZENSUR IM GEBIET DES HEUTIGEN FÜRSTENTUMS LIECHTENSTEIN / WILFRIED MARXER den. Eine Massnahme, die sich über die gesamte Kriegsdauer hinweg zog, war die Zensurierung des Postverkehrs unter der Kontrolle des Kriegsüber- wachungsamtes, welchem der liechtensteinisch- ausländische Postverkehr aufgrund des Postvertra- ges von 1911 ebenfalls unterworfen war.150 Im Liechtensteiner Volksblatt vom 24. Oktober 1914 stand die Meldung: «Briefe nach dem Auslan- de dürfen nur offen aufgegeben werden. Geldbrie- fe, Wertbriefe und Wertschachteln nach dem Aus- lande dürfen ebenfalls nur offen aufgegeben wer- den und keine schriftlichen Mitteilungen enthalten. Packetsendungen nach dem Auslande dürfen keine schriftlichen Mitteilungen enthalten. Auf den Ab- schnitten der Postbegleitadressen und der sonsti- gen Begleitdokumente, sowie auf den Abschnitten der Postanweisungen, dürfen keine schriftlichen Mitteilungen angebracht sein. Sämtliche nach dem Auslande gehenden Postsendungen unterliegen der militärischen Überprüfung.»1"'1 Der Postverkehr Liechtensteins mit dem Aus- land wurde also über Österreich abgewickelt. In Vorarlberg zeigte nach Binder die allgemeine Post- und Zeitungszensur zur Verhütung von Spionage und gegen die Verbreitung von zersetzenden Ge- danken die spürbarste Kriegsauswirkung.152 An- fangs liefen sämtliche Postsendungen ins Ausland über Innsbruck. Ah Juni 1915 wurde je eine Zen- surstelle in Bregenz und Feldkirch eingerichtet. Die Inlandbriefzensur sowie die Feldpost der Tiroler Südfront lief über Bregenz, die Auslandpost über Feldkirch, welches als Zensurzentrum immer be- deutender wurde. Die Zensurstelle war zunächst im Landesgerichtsgebäude, später zusätzlich im <St. Josephsheim> auf dem Ardetzenberg einquar- tiert und beschäftigte etwa 50 Offiziere und 500 weitere Zensoren.153 Ein Brief von Liechtenstein ins Ausland durchlief die Zensurstelle in Österreich, sodass ein Brief in eine Schweizer Rheintalgemein- de, sofern er überhaupt die Zensur passierte, rund zehn bis zwölf Tage benötigte.154 Im Sommer 1915 wurde wegen der Integration des liechtensteini- schen Auslandpostverkehrs in das österreichische Zensurwesen die Neutralität Liechtensteins in Zwei- fel gezogen. Von Seiten der Entente-Staaten drohte 
daher die unmittelbare Gefahr von Handelsrestrik- tionen, insbesondere aber auch ein Ende der Nah- rungsmittelversorgung aus der Schweiz. Ohne Mehl- und Getreidelieferungen aus der Schweiz wäre die Versorgung der Bevölkerung wie auch des Viehbe- standes akut gefährdet gewesen. Aus dem kriegs- führenden Österreich war kaum mehr mit einer Versorgung zu rechnen.155 Mit der neuen liechtensteinischen Verfassung von 1921 wurde schliesslich die Meinungsfreiheit innerhalb der Schranken des Gesetzes weitgehend garantiert und liess Zensur nur bei öffentlichen Aufführungen und Schaustellungen zu.156 Die in- nenpolitische Zerreissprobe zur Zeit der national- 139) Gesamter Absatz: Hobelt 2000. S. 226 I'. 140) Zu den Ereignissen des Jahres 1848 in Liechtenstein vgl. insb. verschiedene Beiträge bei Brunhart 2000. 141) Zur Mediengeschicht ausführlich bei Marxer 2004. S. 21-89. 142) Vgl. Brunhart 1989. Bd. 1, S. XXL: Geiger 1970, S. 47 f. 143) Zit. nach Geiger 1970. S. 48. 144) Abdruck aller Verfassungstexte des 19. Jahrhunderts in: Liech- tenstein Politische Schriften Bd. 8, Hrsg. Liechtensteinische Akade- mische Gesellschaft. Vaduz, 1981. 145) Vogt 1990, S. 186; Marxer 2004. S. 107 ff. 146) Vgl. Vogt 1990. S. 183 ff. 147) Ebenda. S. 186. 148) Ebenda, sowie Rheinberger 1992, S. 200 ff. 149) Rauchensteiner 1994. S. 109. 150) Mittermair 1999. S. 50. 151) Liechtensteiner Volksblatt Nr. 43 vom 24. Oktober 1914. S. 1. Hinweis Rupert Quaderer. 152) Binder 1959. S. 154. 153) Ebenda, S. 154 f. Täglich wurden etwa 200 Wertbriefe. 2500 Einschreibsendungen und viele Tausend andere Sendungen zensu- riert. Hinzu kamen Rakete, insbesondere Lebensmittelpakete aus der Schweiz. Die Zahl stieg von durchschnittlich 600 Paketen im Jahr 1916 auf rund 9000 Pakete im Jahr 1917. Vgl. Binder 1959. S. 155. 154) Binder 1959, S. 156. Diese Praxis wurde in einem Artikel «Aus Liechtenstein» in der Zeitung «Ostschweiz» Nr. 103 vom 3. Mai 1917 heftig kritisiert. Hinweis Rupert Quadercr. 155) Mittermair 1999, S. 49-58: Beattio 2004. S. 40-43. 156) Vgl. zum Weg zur neuen Verfassung mit den Schlossabmachun- gen verschiedene Beiträge - insbesondere von Quadercr - in: Vater- ländische Union 1996. 159
	        

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