ZENSUR IM GEBIET DES HEUTIGEN FÜRSTENTUMS LIECHTENSTEIN / WILFRIED MARXER 1786 trotz gegenteiliger Empfehlung der Zensur- kommission aufgehoben. Österreich erlebte nun eine staats-aufklärerische Epoche, deren wesentlichen Aspekte etwa die Auf- hebung der Leibeigenschaft, die Religionsfreiheit, die Verringerung des päpstlichen Einflusses, das Verbot von abergläubischen Bräuchen in der Kir- che, aber auch Reformschritte im Bildungs- und Gesundheitswesen waren. Zunächst im Bewusst- sein, die öffentliche Meinung auf der eigenen Seite zu haben, dienten manche Lockerungen im Zen- surwesen auch der Eindämmung der Macht der ka- tholischen Kirche. Joseph führte jedoch auch kurz vor seinem Tod eine hohe Steuer für Zeitungen ein, die manche in den Ruin trieb.'" Demgegenüber galt etwa das rund 10 000 Einwoh- ner zählende Zürich im 18. Jahrhundert als offener Ort mit einem regen Geistesleben.92 Dies verhinder- te jedoch nicht, dass auch dort Zensur herrschte.93 Bis 1798 war die von Zwingli eingeführte Zensur- behörde aktiv und verfolgte den Auftrag, Sicherheit und Wohlstand in der Republik zu schützen. Dies richtete sich gegen alles, was den Dogmen von Kir- che und Staat widersprach. Die Situation war in al- len eidgenössischen Orten ähnlich. Bis zum 17. Jahrhundert wurde insbesondere das Schrifttum der jeweils anderen Glaubensrichtung - katholisch oder reformiert - bekämpft und der Zensur unter- stellt. Ab dem 17. Jahrhundert galt auf beiden Sei- ten verstärkt der gemeinsame Kampf gegen religiö- se Schmähschriften. Im 18. Jahrhundert herrschte eine mehr oder weniger strenge staatliche Pressezensur. Die 1780 gegründete <Züricher Zeitung) (später: <Neue Zür- cher Zeitung)) war denn auch in der innenpoliti- schen Berichterstattung sehr zurückhaltend.94 Die 79) Plachta 1994, S. 33. SO) Ebenda. S. 34. 81) Nach Meinung des Wiener Erzbisehofs Johann Joseph von Traut- son ging es bei der Zensur nicht um die fachliche Beurteilung, «son- dern ob nicht selbiger handle wider die katholische Glaubenslehre, oder wider die guten Sitten, von welchen zu judizieren nur dcnenjc- nigen zustehet, die in denen theologischen Wissenschaften vollkom-men
gegründet, sonderlich zu dieser Zeit, da von denen Ketzern un- zählbare Mengen deren pcstilonzischen Büchern unter dem Titel Po- litica. I-Iistorica. Romancen etc. an Tag gelegt werden ...» (nach Plach- ta 1994. S. 39). 82) Plachta, S. 41. In einer Auflistung des aufklärerischen Zensors Gerhard van Swieten aus dem Jahr 1771 ist erwähnt, dass die Zen- surkommission 3120 Werke geprüft und 595 dieser Werke verboten hatte (ebenda. S. 44). Van Swieten war wichtige Bezugspcrson Maria Theresias und als Mediziner Fachzuständiger für die Zensur natur- wissenschaftlicher Bücher. 83) Ebenda. S. 51. 84) Friedrich II., auch Friedrich der Grosse genannt. König von Preussen 1 740-1 786. 85) Wilke 1978. S. 64. Zum Zeitschriftenjournalismus im 17 /1S. Jahrhundert insgesamt bei Wilke 1978. 86) Nach Wilke 1978. S. 75 stieg der Anteil deutschsprachiger Titel in der Zeil von I 700 bis 1740 von 62 auf 96 Prozent an; die Titel- produktion stieg von 775 Neuerscheinungen im Jahr 1 740 auf rund 5000 im Jahr 1 780; der Anteil theologischer Werke sank in dieser Zeit von rund 50 Prozent auf zehn Prozent. Im gleichen Zuge wur- den seit der zweiten Hälfte dos IS. Jahrhunderts Loscgesellschaftcn gegründet. Sie verbreiteten sich vom Bürgertum der Städte Nord- und Mitteldeutschlands allmählich nach Süden (Wilke 1978, S. 103). In Liechtenstein wurde der erste Leseverein 1861 in Vaduz gegrün- det (Vogt 1990. S. 195 und 201). 87) Rudolf Schoncia 1970 nach Wilke 1978. S. 102. Die Bevölkerung Liechtensteins betrug damals rund 5000 Einwohner. Aufgrund der ländlichen Verhältnisse und dos rückständigen Bildungssystoms dürfte die lesolähige Bevölkerung deutlich unter 1000 betragen haben. 88) Er taucht in einer Übersetzung von Laurence Sternes «Tristram Shandis Leben und Meynungen» durch Johann Joachim Christoph Bode auf (nach Plachta 1994, S. 137, Anm. I). Zur Pressezensur vgl. Jones 2001. S. 1932-1939. Die Pressefreiheit wurde erstmals in Schweden im Jahr 1766 gewährt (Jones 2001, S. 1932). Vgl. auch Beiträge über Karikatur bei Jones 2001. S. 421-423. 89) Auswertung von Oskar Sashegyi 1958 mit Hilfe einer im Budape- ster Staatsarchiv enthaltenen Abschrift (nach Plachta I994. S. 67). 90) Plachta 1994, S. 67. 91) Vgl. Hobelt 2000, S. 21 5 ff. In diese Zeit fällt das Wiener Wirken Mozarts, welcher 1784 im Zeichen der Zeit in eine Wiener Freimau- rerloge eintrat und kurz nach der Uraufführung der Zauberflöte, die Anspielungen zum Freimatirertum enthielt. 1791 starb. Als freischaf- fender Komponist übernahm er auch Auftragsarbeiten für Joseph IL. war aber auch der Zensur bzw. der Freigabe seiner Werke unterstellt, welche etwa im Falle des systemkritischen Figaro I 786 nicht selbst- verständlich war. Kaiser Joseph IL mussto das Werk persönlich frei- geben. Auch die Zauberflöte erregte Anstoss. Die Aufführung wurde 1795 in Österreich verboten: vgl. Goldstein 1989. S. 157 f. 92) Vgl. Bollinger 1995a; 1995b. 93) Zur Zensur in der Schweiz seit Beginn des 16. Jahrhunderts und Zürich als Buchzentrum vgl. Jones 2001, S. 2357-2361. 94) Ribi 2005. 151