Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2004) (103)

ZUR ERSTVERÖFFENTLICHUNG DES ROSENBAUM- PLÄDOYERS / WLADIMIR ROSENBAUM und Gesandte, führende Persönlichkeiten des öf- fentlichen, wirtschaftlichen und künstlerischen Le- bens. Aus solchem Verkehr den Rotters einen Vor- wurf zu machen ist 
grotesk! I44 Der unanständigste Vorwurf aber ist die durch nichts belegte Behauptung, dass die Rotters unter Hinterlassung 
von AVi Millionen Mark ungedeckter Schulden mit einem grossen Vermögen nach Liech- tenstein geflüchtet seien. Das ist unwahr. Die Rot- ters sind nicht geflüchtet! Alfred war seit langer Zeit krank - ich lege Ihnen ein ärztliches Attest vor: «Herr Alfred Schaie, genannt Rotter, steht seit mehreren Jahren in meiner Behandlung wegen ei- nes chronischen Magen- und Darmleidens auf ner- vöser Grundlage, das sich in häufig plötzlich auftre- tenden kolikartigen Krampfanfällen äussert, die derartig heftig werden, dass sie nur durch Morphium- einspritzungen gelindert werden können. Da sich die Anfälle in letzter Zeit wieder gehäuft haben, habe ich absolute Ruhe und einen längeren Erho- lungsaufenthalt zunächst in der Schweiz und dann im Süden verordnet. gez. Dr. Jungmann». Er war überarbeitet und fuhr mit seiner Frau, nach- dem er die grossen Weihnachts- und Neujahrspre- mieren herausgebracht hatte, nach Lugano, um auszuspannen. Dort wurden neue Aufführungen vorbereitet; u. a. sollte der «Opernball» neu bearbei- tet werden. In dieser Zeit, während sie nichtsah- nend in Lugano waren, wurde das Treiben gegen sie insceniert, zugleich mit der verstärkten Judenhetze in Berlin. Eingeschüchtert durch die Hetze und zahl- reiche Morddrohungen, die ihnen in immer steigen- der Zahl zugingen, kehrten sie nicht zurück, son- dern gingen nach Liechtenstein, wohin ihnen Fritz Rotter Ende Januar folgte. Nun stieg die Wut der Verfolger, die den Juden selbst zum Holzstoss schleppen und verbrennen wollten, zur Siedehitze. Es regnete weitere 
An-145schuldigungen: sie hätten die Gagen überhaupt nicht gezahlt - dabei sind sie an ihren Bühnen bis zum 15. Januar 1933, also so- lange die Rotters verantwortlich waren, auf den Tag pünktlich entrichtet worden - im Gegensatz zu fast allen anderen Bühnen Berlins. Der bekannte Schau-spieler 
Paul Morgan schreibt mir nach dem Zusam- menbruch am 18. Mai 1933: «Es erscheint mir ausgeschlossen, dass von der Direktion Rotter engagierte Schauspieler monate- lang keine Gage erhalten hätten. Eine solche Tatsa- che hätte sich sehr schnell bei den Berliner Schau- spielern herumgesprochen». Die Rotters sollen über M. 100 000.- Tantiemen schuldig geblieben sein. - Man beruft sich u. a. auf den Operettenkomponisten Kaiman. Hören wir, was dieser mir nach dem Zusammenbruch am 17. Mai 1933 schreibt: «Die Direktion Rotter hat meine Stücke in ihren Provinzbühnen und auch in Berlin aufgeführt: sie haben die Tantiemen der Provinzbühnen bezahlt, lediglich die Tantiemen meiner Operette <Das Veil- chen von Montmartre> sind unbeglichen geblieben infolge einer missverständlichen Abrechnung mit dem Verlag.» Und in demselben Brief sagt dieser nach der an dem Kesseltreiben beteiligten Presse angeblich schwer betrogene Künstler: «Ich beklage das Schicksal des Ehepaares Rotter tief. Ich bin der Meinung, dass sowohl Alfred Rotter wie seine Gemahlin als auch Herr Direktor Fritz Rotter in ihren Theaterunternehmungen von den besten und ehrlichsten Absichten geleitet waren und ihnen jede betrügerische und unehrliche Ab- sicht ferne gestanden ist. Die ganze Familie Rotter war von Liebe zu Theater und Kunst beseelt. Ich bin überzeugt, dass ihnen jede unschöne Absicht fern gelegen ist». Das ist nur einer der zahlreichen Briefe dieser Art, die ich Ihnen vortragen 
könnte. I4b Herr Präsident, meine Herren Richter! Verändert dies alles nicht für sie umstürzend das Bild der drei Rotters? Und den Angeklagten möchte ich zurufen: Sehen Sie jetzt nicht ein, dass Ihre Verfolgung der drei Rot- ters - ganz davon abgesehen, dass es Ihnen nicht zustand, zu richten - in jeder Beziehung verwerf- lich, vor allem aber ungerecht und durch keinerlei nationalistische Erwägungen zu entschuldigen war? Ob Ihr Mittäter Grötz, immer noch glaubt, er 87
	        

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