Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2004) (103)

schlägt die Tragödie jüdischer Männer und jüdi- scher Frauen, denen als Opfer nationalistischer Ver- hetzung teils ihr Leben und teils ihr Lebenswerk zerstört wurde. Dieser Prozess ist aber nicht der Prozess des Nationalsozialismus, dermis als solcher hier nichts angeht und nicht berührt. Wir lehnen es daher ab, wie dies vielleicht missverständlicherwei- se von der einen oder andern Seite erwartet wird, Ihnen, meine Herren, so etwas wie eine «Abrech- nung mit dem Nationalsozialismus» oder ähnlich Abwegiges vorzutragen. Wir halten es für unsere Pflicht, über Politik im Allgemeinen und über Natio- nalsozialismus im Speziellen nur insoweit zu spre- chen, als es sich um Auswirkungen handelt, von de- nen indirekt unsere Klienten betroffen wurden, um Auswirkungen, die für die benachbarten Länder, insbesondere für das kleine Land Liechtenstein und für die Schweiz Gefahren in sich schliessen. Gestatten Sie mir, meine Herren, noch eine kurze persönliche Vorbemerkung. Die Mandate, welche mein verehrter Kollege Dr. Marxer und ich über- nommen haben, sind nicht gewöhnliche Anwalts- mandate. Sie sind ein/*' Mehreres und Anderes. Wir stehen nicht als blosse Parteivertreter vor Ihren Schranken. Es ist uns noch eine weitere Aufgabe zu- teil. Mein Kollege Dr. Marxer steht vor Ihnen nicht nur als Anwalt, sondern als verantwortungsbewuss- ter Bürger Ihres Landes, der weiss, dass die Angrif- fe der Angeklagten - bekanntlich aber fälschlich soll ja der Angriff die beste Verteidigung sein - nicht nur dem toten Ehepaar Rotter und dem überlebenden Bruder gelten werden, sondern auch dem Lande, dessen Bürger er ist. Er weiss daher, dass ihm auch die Aufgabe und die Verantwortung zufällt, nicht nur für seinen Klienten, sondern auch für sein Va- terland einzustehen. Meine Stellung, meine Herren, ist eine vielleicht noch schwierigere und verantwor- tungsvollere. Ich stehe vor Ihnen als Bürger der Ihrem Lande befreundeten ebenfalls kleinen Schweiz, als Demokrat. Ich weiss, dass ich die Pflicht habe, durch meine Stellungnahme und durch die Art und Weise meines Vortrages darauf zu ach- ten, nicht nur meinen Klienten, sondern auch Ihnen zu dienen und meinem Lande nicht zu schaden. Ich stehe aber vor Ihnen nicht nur als Demokrat. Ich 
stehe vor Ihnen als Jude, als Mitglied also derjeni- gen Menschengemeinschaft, deren schweres Schick- sal gerade heute wiederum die Völker und die Gemüter bewegt. Und dieser meiner Gemeinschaft, der auch meine unglücklichen Klienten angehören, zu dienen, betrachte ich heute als meine erste und vornehmste 
Pflicht. I9 II. Herr Präsident, meine Herren Richter! Liechtenstein, ein kleines Land, eine glückliche Insel in dem stürmischen Ozean des Weltgesche- hens, sonst abseits der Probleme und Kämpfe dieser Zeit, steht heute für einige Stunden im Mittelpunkte des Interesses von Millionen von Menschen in aller Herren Länder. Dies ist keine Behauptung, keine Übertreibung, sondern eine Tatsache, deren Rich- tigkeit Sie nicht nur aus den bisher veröffentlichten Flinweisen auf diesen Prozess in den grossen Kul- turstaaten ersehen können, sondern mehr noch be- stätigt finden werden aus dem Widerhall, den Gang und Ergebnis dieser Verhandlung allenthalben zei- tigen. Wie erklärt sich diese eigentümliche Tatsache? Angeklagte und Privatbeteiligte, Verfolger und Ver- folgte, die Täter, die Toten und die Verletzten sind zwar als Persönlichkeiten wie als Vertreter gewisser sozialer und kultureller Schichten der Anteilnahme weiter Kreise wert, doch das ausserordentliche Mass, in dem diese Anteilnahme hieher gerichtet ist, beruht nicht auf den Aktiv- und Passivbeteiligten der strafbaren Handlung und dieses Verfahrens. Die Erklärung liegt darin, dass sich in dem Sachverhalt wie in den Menschen, mit denen wir es hier zu tun haben, die Probleme und Kämpfe dieser Zeit und nahezu aller Kulturstaaten -alte und neue Staats- grundsätze, Wirtschafts-, /^'Rassen- und Glaubens- fragen, Gesichtspunkte von Ethik und Macht, Liebe und Hass, von Vorurteilen und Wahrheit, wie im Brennpunkt einer Linse spiegeln. Die Erklärung liegt weiter darin, dass der Sachverhalt von den Tä- tern unbewusst, wie durch Fügung einer höheren Macht - um der Welt die Probleme eindrucksvoll vor 74
	        

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