EINGANGSNOTE Rosenbaums im «Rotter-Prozess» unterdrücktes Plädoyer erscheint hier als Erstveröffentlichung, weil es als erschütterndes zeitgeschichtliches Doku- ment und als in jeder Hinsicht unerhörte Rede ge- gen den Antisemitismus aller Zeiten für Liechten- stein von eminenter Bedeutung ist. Der Text des Plä- doyers, der unserem Druck zugrundeliegt, umfasst 65 maschinenschriftliche Seiten, hergestellt ver- mutlich von Rosenbaums Sekretärin nach dessen Diktat. Dieses Typoskript lag uns in zwei identi- schen Exemplaren vor: 1. aus dem Nachlass von Robert Jakob Humm 50.3, «Rosenbaumiana» in der Zentralbibliothek, Zürich, und 2. aus dem Nachlass Fritz Heberlein, Dossier 50.20 im Archiv für Zeitge- schichte, Zürich, wobei der handschriftliche Ver- merk Wladimir Rosenbaums auf dem zweiten Ex- emplar (siehe Abb. auf S. 71) als gewiss annehmen lässt, dass es sich bei dem Typoskript um den end- gültigen schriftlichen Entwurf für das Plädoyer han- delt, das Rosenbaum als Vertreter der Privatkläger Fritz Schaie (Rotter) und Lucie Schaie im Prozess vom 7. und 8. Juni 1933 in Vaduz halten wollte. Ro- senbaum pflegte in freier Rede zu plädieren (siehe Peter Kamber: Geschichte zweier Leben, Zürich: Limmat Verlag 2002, S. 90 et passim) und hätte, wenn er zu dem Plädoyer gekommen wäre, wohl nur bei längeren Zitaten aus Büchern und Briefen sowie aus anderen schwer memorierbaren Doku- menten auf das Typoskript zurückgegriffen. Allerdings enthält der Entwurf nicht nur die ge- samten Materialien, die Rosenbaum zu verwenden beabsichtigte, sondern auch sämtliche Elemente seiner Klagestrategie. Rosenbaum hatte sich gründ- lich auf seine Rede vorbereitet. Verschiedene Doku- mente waren ihm wohl von den Überlebenden der Familie Schaie zur Verfügung gestellt worden; mög- licherweise half ihm mit Informationen auch Dr. Ludwig Marxer, den er in der Vorbereitungszeit mehrmals besuchte sowie brieflich und telefonisch kontaktierte. Ganz offenkundig sollte dem Plädoyer, das, wie man lesen wird, auch als literarisches Do- kument von Wert ist, weit über den Gerichtssaal hinaus Resonanz verschafft werden. Rosenbaums
handschriftlicher Vermerk an den Journalisten Fritz Heberlein stellt klar, dass das Plädoyer im Anschluss an den Prozess, das heisst, nachdem er es gehalten hatte, zur publizistischen Verwendung vorgesehen war. Das Typoskript ist gewissenhaft geschrieben und gut lesbar. Um die Rede möglichst in ihrer ur- sprünglichen Gestalt zu lassen, haben wir Eingriffe kommentierender Art, d. h. die Belastung durch Fussnoten unterlassen. Lediglich die Originalpagi- nierung wird mittels Schrägstrich und hochgestell- ter Ziffer kursiv eingefügt. Auf die Verbesserung or- thographischer und grammatischer Fehler haben wir verzichtet; nur offensichtliche Tippfehler wur- den korrigiert. Was siebzig Jahre ungehört geblie- ben, bis es endlich auf einer Veranstaltung der Ver- eine Literaturhaus und Schichtwechsel im Frühjahr 2003 zum erstenmal gelesen wurde, sollte, wenn es nun zum erstenmal im Druck erscheint, möglichst in der Gestalt erscheinen, in der es als Klage für die Überlebenden des Pogroms seine Wirkung hätte tun können. Warum Rosenbaum so und nicht anders plädie- ren wollte, wird in künftigen Untersuchungen zu klären sein. Zu erläutern ist vielleicht nur, dass es in jüdischen Familien durchaus Brauch sein kann, auch die Schwägerin mit «Schwester» anzuspre- chen (siehe S. 77 et passim), und dass vielleicht nur eine Stelle des Plädoyers schwer verständlich ist, an der Rosenbaum über Ostjuden spricht (siehe S. 82 et passim). Zum dort angesprochenen relativen Schutz der Juden aus östlichen Ländern und der anfängli- chen Zurückhaltung der Nazipolitik aus diplomati- schen Rücksichten, was sich dann schnell genug än- dern sollte, siehe: Yfaat Weiss: Deutsche und polni- sche Juden vor dem Holocaust. München: R. Olden- bourg Verlag 2000, S. 21 ff. Hansjörg Quaderer, Norbert Haas 70