Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2004) (103)

ZUR ERSTVERÖFFENTLICHUNG DES ROSENBAUM- PLÄDOYERS / KLAUS BIEDERMANN raen Schreiben, als Flugblatt verbreitet, wurde Stim- mung gemacht gegen den Landtagskandidaten Dr. Otto Schaedler. «Einige von der Volkspartei» wehrten sich in diesem Pamphlet gegen die Kandidatur von Otto Schaedler für die «Vaterländische Union» (VU), der Nachfolgeorganisation der 1936 aufgelösten «Volkspartei».28 Otto Schaedler, notabene damals Parteipräsident der VU, wurde nicht nur konfrontiert mit seiner früheren Mitwirkung in der «Volksdeut- schen Bewegung», sondern - und hier kommen wir zum Überfall auf die Rotter - es wurde ihm unter- stellt, dass er «bei der seinerzeiten Rotter-Ent- führung Lieferant der Betäubungsmittel war»,29 mit denen der Widerstand der Entführten gebrochen werden sollte. Der Vorstand der VU wies die Vorwür- fe öffentlich zurück: «Aus der Lügenschublade unse- rer Gegner ist... gegen Fürstl. Sanitätsrat Dr. Schaed- ler brieflich übelster Dreck ausgestreut worden».30 Währenddem der Vorwurf der früheren Identifikati- on Schaedlers mit nationalsozialistischem Gedan- kengut nicht entkräftet werden kann, ist die An- schuldigung an Otto Schaedler in Bezug auf Lieferung von Betäubungsmitteln haltlos: Die nach Gaflei ge- brachten Morphiumphiolen hatte Rudolf Schädler von seinem Arzt und Onkel Otto Schaedler als Medi- kamentfür den persönlichen Gebrauch erhalten, um sie bei Nierenkolikschmerzen einzusetzen.31 Otto Schaedler konnte indes nicht voraussehen, dass die Medikamente von seinem Neffen auch zweckent- fremdet eingesetzt werden sollten. Dieses Beispiel widerspricht der These, dass von einer kollektiven liechtensteinischen Verdrängung der tragischen Ereignisse des 5. April 1933 gespro- chen werden kann. Es fand einerseits sehr wohl Ver- drängung statt - allerdings eher selektiv innerhalb von Gruppen und Familien mit verwandtschaftlicher und sozialer Nähe zu den Tätern. Andererseits wur- de die Erinnerung an das Verbrechen in bestimmten Kreisen durchaus wach gehalten und politisch in- strumentalisiert, wenn sich dazu eine Möglichkeit er- bot. Die Kandidatur von Otto Schaedler für den Land- tag im Jahr 1962 war eine solche Möglichkeit.32 
WIDERSPRÜCHLICHES ZUM TATHERGANG UND MILDE FÜR DIE ROTTER-ENTFÜHRER Die bereits dargestellte unterschiedliche Berichter- stattung der Ereignisse in den Liechtensteiner Zei- tungen vom 8. April 1933 bot bereits Stoff für wider- sprüchliche Versionen der Geschichte. Währenddem gemäss «Volksblatt» Alfred Rotter und die beiden Frauen «nach einem verzweifelten Kampf, gegen das Erble über Ober-Matona», also talwärts flohen, be- richteten die «Liechtensteiner Nachrichten», dass diese drei Personen zwar zuerst in den Wald geflüch- tet waren, dann aber «auf ihrer Flucht offenbar in die sehr steilen Felspartien bei Gaflei» gerieten und dort abstürzten. Rainer Nägele schreibt in einem 1996 pu- 20) Goop, Adulf Peter: Liechtenstein gestern und heute. Vaduz. 1973. 21) Ebenda. S. 287 und 295 f. 22) Allgäuer, Robert (Red.): Rudolf Schädler. Musik und Baumgebil- de. Vaduz, 1989. 23) Büchel, Franz.: Liechtensteiner Zeittafel. 200 vor Christus bis 1988. 0. J. [1993], o. 0., S. 101-103. 24) Ospelt, Mathias (Red.): Vaduzer Familienbuch. Die alteingesesse- nen Bürgerfamilien von Vaduz. Hrsg. Gemeinde Vaduz. Vaduz. 2002. Band IV, S. 251. 25) Büchel. Paul; Spalt, Josef (Red.): Stammtafeln der Bürgerfamilien von Ruggell. Hrsg. Gemeinde Ruggell. Ruggell. 1990, S. 71. 26) Geiger, Krisenzeit. Band 1. S. 558. Anm. 230. 27) Vaduzer Familienbuch (wie Anm. 24). Band IV, S. 169. 28) Die VU entstand anfangs 1936 als Resultat der Fusion zwischen der christlich-sozialen «Volkspartei» und dem autoritären, stände- staatlich orientierten «Liechtensteiner Heimatdienst». - Vgl. dazu: Geiger, Krisenzeit, Band 1, S. 365-413. 29) Liechtensteinisches Landesarchiv Vaduz (LLA), Flugblätter- sammlung unter: LLA SgZg 1962 1: «... Wohlbcwusst hat sich Dr. Schaedler seit 1945 nicht mehr portieren lassen, nun glaubt er. alles ist vergessen ...». 30) «Liechtensteiner Vaterland». 24. März 1962. 31) Vgl. Geiger, Krisenzeit, Bd. 1, S. 558, Anmerkung 237. - Geiger stützt sich auf Archivquellen: LLA S 66/43. 32) Die Kampagne gegen Dr. Schaedler blieb indes erfolglos: Otto Schaedler erzielte auf der Liste der Vaterländischen Union im Wahl- kreis Oberland mit 1067 Stimmen das zweitbeste Resultat und wur- de somit komfortabel in den Landtag gewählt. Vgl.: Vogt, Paul: 125 Jahre Landtag. Vaduz, 1987, S. 218. 23
	        

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