Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2004) (103)

EIN FRÜHMITTELALTERLICHES FRAUENGRAB AM «RUNDA BÜCHEL» IN BALZERS / MARIANNE LÖRCHER DIE BESTATTUNG Grabstätten sind Orte des Gedenkens. Abhängig von den Vorstellungen einer Gesellschaft und vom Glau- ben der Angehörigen können unterschiedlichste Grabanlagen entstehen. Es kann davon ausgegan- gen werden, dass Menschen, die ihre Verstorbenen in Körpergräbern beigesetzt haben, an ein Weiter- leben im Jenseits glaubten, dem eine körperhafte Existenz erhalten bleiben sollte. Grab 1 war mit flachen Steinen gegen die Umge- bung abgegrenzt (Abb. 1). Die Grabsohle war nur wenig in das Gelände eingetieft. Über zwei Drittel der Bestattung waren mit grossen, relativ flachen Steinplatten bedeckt. Holzspuren, die auf einen Sarg oder ein Totenbrett hinweisen würden, wur- den nicht beobachtet. Im Grab lagen in gestreckter Rückenlage die Ge- beine eines Individuums, den Kopf im Nord-Osten und die Füsse im Süd-Westen. Beide Arme waren seitlich des Körpers gestreckt. Die linke Hand be- fand sich in Pronationsstellung mit der Handfläche zum Boden gerichtet. Der rechte Unterarm war ge- stört. Der relativ grosse Abstand zwischen den Knien lässt darauf schliessen, dass die Bestattung ohne Leichentuch erfolgte. INVENTAR UND ERHALTUNG Das Skelett ist gut erhalten. Lediglich die Enden der Extremitäten und die Wachstumszonen sämtlicher Knochen sind durch die Bodenlagerung stärker ab- gebaut als die kompakteren Knochenbereiche. Schädel und Unterkiefer sind vollständig und gut er- halten. Die Knochensubstanz am Hinterhaupt und entlang der linken Seite der Schädelbasis ist ent- sprechend der Lage im Grab deutlich durch die Bo- denerosion angewittert. Die Perforation am linken Scheitelbein, seitlich der Scheitellinie, ist bei der Bergung der Knochen passiert. Schulterblätter und Rippen sind teilweise fragmentiert. Die Bruchstücke sind in ihrer Struktur kompakt. Während die Arm- und Beinknochen ganz erhalten sind, fehlen die Hand- und Fussknochen grösstenteils. Zwei Brust-wirbel 
fehlen. Die Wirbelkörper sind teilweise stark zersetzt. Die Halswirbelsäule ist bis auf ein Frag- ment des zweiten Halswirbels (Dreher) nicht erhal- ten. Dies könnte mit einer Grabstörung zusammen- hängen, die nach dem Zerfall der Knochen aus dem Sehnenverband erfolgt sein muss. Obwohl auf bei- den Seiten des Beckens der Schambeinast fehlt, kann die Alters- und Geschlechtsbestimmung vor- genommen werden. GESCHLECHTSBESTIMMUNG Am besten eignet sich das Becken für die Bestim- mung des Geschlechts. Neben der biomechanischen Funktion im Zusammenhang mit der zweibeinig aufrechten Gangart des Menschen dient es bei der Frau zusätzlich als Geburtskanal. Viele weibliche Merkmale am Becken stehen damit im Zusammen- hang: Kreuz-, Darm-, Scham- und Sitzbein sind in ihrer Struktur dem Geschlecht angepasst. Der Beckenraum ist zylinderähnlich, die Darmbeine sind nach aussen geneigt, der Schambeinwinkel ist grösser als 80 bis 90 Grad. Abb. 2: Langknochen-Ge- lenke mit deutlich sichtba- ren Wachstumsfugen. Die Oberarmknochen haben im Bereich der Ellbogen- gelenke eine natürliche Durchlochung. 247
	        

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