Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2004) (103)

stimmende Anerkennung durch das Volk vorweg. Zweitens ist bei den vertrauten Aspekten die Unterle- gung des Fürstenbildes mit idyllischen Naturschilde- rungen zu erwähnen, womit die historische Entwick- lung negiert wird.136 Das Fürstenbild erfährt in die- sem Kontext eine Überhöhung zur «Profanreligi- on»137, entsprechend der typischen Funktionsweise von Elementen nationaler Historiographien, deren Aufgabe darin besteht, einer laizistischen Gesell- schaft bei ihrem Streben nach Sakralem dienlich zu sein und eine mystische Erzählungen in profaner Form anzubieten.138 Sodann erweist sich drittens das solcherart vermittelte Bild als kaum hinterfrag- bar. Für die das Kollektiv erträumenden Individuen verfügt das imaginäre Fürstenbild über keine be- schreibbare Aussenseite, weil sie Teil jenes spezifi- schen Paradigmas der Moderne ist, welches das Sub- jekt präformiert, jener Ordnung, die «uns zum gros- sen Teil entgeht»,139 weil wir selbst in ihr gefangen sind. Zugleich bildet das Fürstenbild als zentrales Abbild des wohlgeordneten Staatskörpers den Kri- stallisationspunkt der imaginären Liechtensteini- schen Identität, der weder verhandelbar, noch de- mokratisch diskutierbar ist, weil er ein Identitätsan- gebot darstellt und als solches lediglich angenom- men oder verworfen werden kann. Verstärkt wird dieser Charakter der Unhinterfrag- barkeit durch jene Elemente, welche die liechtenstei- nische Geschichte im Besonderen auszeichnen. Die erste solche Eigentümlichkeit ist die Parallelisierung des protoreligiösen, nationalhistorischen Diskurses mit dem demonstrativen Katholizismus des Fürsten- hauses, was zur Folge hat, dass ein nüchternes Er- kennen und Benennen der Funktionsweise des Für- stenbildes sich verschiedentlich als ausgesprochen schwieriges Unterfangen erwiesen hat: Innerhalb dieser Struktur erhält jeder Versuch kritischen Er- kennens schnell blasphemische Züge. Die zweite festgestellte Eigentümlichkeit der Liech- tensteiner Geschichte betrifft den Zeitverlauf. Wäh- rend die bürgerliche Nationalgeschichte eine ferne 
Gründerzeit kennt, in welcher der Staat als Nucleus angelegt ist und von der aus sich die bürgerliche Staatswerdung als kontinuierliches Wachstum ge- staltet, verzichtet die Geschichte Liechtensteins auf den «Tigersprung ins Vergangene»;140 ihre zeitliche Struktur ist weder sprunghaft noch teleologisch-line- ar, sondern zyklisch. Indem die Geschichte einerseits das Herrscherhaus als Garanten der Stabilität hallu- ziniert und sich zugleich an der Abfolge der Fürsten orientiert, kommt es zu einer Doppelung des fürstli- chen Körpers: Ein unsterblicher Fürstenkörper be- tritt die politische Bühne, der in seiner politischen Person alle früheren wie künftigen Fürsten vereint. Das Interregnum wird negiert - und wenn die Erbfol- ge auch biologisch unvermeidbar bleibt, so bietet sie in diesem Kontext doch zugleich die Chance, dass das scheinbar unveränderliche System Anpassungen an ein gewandeltes Umfeld erfahren kann, ohne dass diese als Neuerungen empfunden werden müssten. Noch in der Fürstenhuldigung verneint die Monar- chie feierlich, dass sich das Fürstenhaus mit dem neuen Fürsten neu erfinden müsste. Als drittes Charakteristikum des fürstlichen Bil- des konnte seine Kongruenz zu den Erfordernissen der Bio-Macht festgestellt werden. In der Figur des Landesvaters, der für seine Landeskinder sorgt, scheint ein Dispositiv auf, das über die Förderung der Wohlfahrt und die Hege der Individuen die Basis für eine Gestaltung des Lebens legt, mittels derer das Volk als eigentlicher wertschöpfender Reichtum des Landes vermehrt werden soll. Was in Schulbüchern als liebevolle Fürsorge gepriesen wird, erscheint in diesem Licht als ökonomisch-politisch sinnvolle Strategie zur Wahrung der Ordnung und Maximie- rung des Bruttosozialprodukts. Die politische Gretchenfrage: «Sag, wie hast du's mit der Demokratie?», lässt sich im Fall des Fürsten- tums Liechtenstein nicht in einem Zug beantworten. Denn zunächst müssen wir uns vor Augen halten, welches Regentenbild der Fürst zu verkörpern ver- mag und uns zugleich vergegenwärtigen, mit wel- 220
	        

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