DAS BILD DES FÜRSTEN SASCHA BUCHBINDER / MATTHIAS WEISHAUPT DER FÜRST, DIE GESCHICHTE UND DIE LIECHTENSTEINER IDENTITÄT Im Jahr 2001 hat Peter Geiger in einem Artikel das Problem erörtert, in wie weit Begriffe wie <Volk>, <Na- tion> oder <nationale Identität) für Liechtenstein ihre Berechtigung haben und was die Liechtensteinerin- nen und Liechtensteiner von der Bevölkerung der be- nachbarten Regionen unterscheidet.16 Zusammen- fassend hält er fest: «Die Liechtensteiner haben eine eigene Identität entwickelt. Sie beruht auf der Klein- heit und Überblickbarkeit ihres Landes, auf der Ge- schichte, auf der Staatsform, auf Erfahrungen der Selbstbehauptung, auf Abgrenzung sowie auf dem Gefühl, einen ständig gefährdeten Sonderfall darzu- stellen, ein schutzwürdiges kleinstaatliches Bio- top.»17 Interessant für uns - Schweizer Historiker, die von aussen einen Blick aufs Fürstentum werfen und nach dem <Bild des Fürsten) fragen - ist erstens die Fest- stellung, dass diese Charakteristika - abgesehen von <Geschichte> und <Staatsform) - ebenso gut für eine Beschreibung der Schweizer Identitätskonstruktion dienen könnten und damit nicht so spezifisch <liech- tensteinisch) sind, wie es auf den ersten Blick schei- nen mag. Zweitens ist auffallend, dass der Fürst nir- gends genannt wird. Die Kleinmonarchie, das Für- stentum, das Fürstenhaus, der Name Liechtenstein sind zwar «in drei Jahrhunderten geschichtlich ge- wordene, das Besondere des kleinen <Ländchens> und seines <Völkleins> mit ausmachende, Identität stiftende Elemente»,18 doch sind diese Elemente of- fenbar so selbstverständlich, dass sich eine Erwäh- nung in der Zusammenfassung erübrigt. Zugleich ist das Verhältnis von Fürst und Volk und die Bedeutung des Fürsten für die Liechtensteiner Identität längst nicht so eindeutig, wie man glauben möchte. So weist Peter Geiger daraufhin, dass «die Landesherren, seit 300 Jahren aus dem Fürstenge- schlecht Liechtenstein,... über und teilweise ausser- halb der liechtensteinischen Volksidentität» stan-den.
19 Erst seit dem 20. Jahrhundert sind die Mitglie- der des Fürstenhauses auch liechtensteinische Staats- bürger. Schliesslich muss ergänzend festgehalten werden, dass zwar Bedeutungen und Funktionen des Fürstenbildes bei Fragen nach der Identität der Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner eigen- tümlich blass bleiben, dass demgegenüber jedoch der Geschichte als identitätsstiftendem Element breit Platz eingeräumt wird. Die Bedeutung der <Ge- schichte> als zentrale Metapher der Identitätsbil- dung muss folglich näher untersucht werden - analy- siert im Bewusstsein, dass diese Geschichte regel- recht mit Wissen um die bestimmende Rolle des un- genannten Fürsten imprägniert scheint. 11) «Ich autorisiere diesen Menschen oder diese Versammlung von Menschen und übertrage ihnen mein Recht, mich zu regieren, unter der Voraussetzung, dass du ihnen ebenso dein Rocht überträgst und alle ihre Handlungen autorisierst.» Hobbes, Leviathan, S. 134. 12) Hobbes, Leviathan, S. 66. 13) Wohl als erster radikal zu Ende Gedacht hat diesen Gedanken 1548 Estienne de la Boetie in seiner Schrift über die Tyrannei: La Boetie, Etienne de: De la servitude volontaire ou contr'un. In: Textes Litteraires Francais. Hrsg. Malcom Smith. Genf, 1987. 14) «Das unwesentliche Bewusstsein ist hierin für den Herrn der Gegenstand, welcher die Wahrheit der Gewissheit seiner selbst ausmacht. Aber es erhellt, dass dieser Gegenstand seinem Begriffe nicht entspricht, sondern dass darin, worin der Herr sich vollbracht hat, ihm vielmehr ganz etwas anderes geworden als ein selbständi- ges Bewusstsein. Nicht ein solches ist für ihn, sondern vielmehr ein unselbständiges.» Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Phänomenologie des Geistes. Werke 3. Red. Eva Moldenauer und Karl Markus Michel. Frankfurt a. M., 1986, S. 152. 15) Zitiert nach Kaufvertrag der Herrschaft Schellenberg 1699. Hrsg. Liechtenstein-Institut. Bearb. Claudius Gurt. Vaduz, 1999, S. 15. 16) Geiger, Peter: Liechtenstein: «... ein Völklein vorstellen». In: Nation und Nationalismus in Europa. Kulturelle Konstruktion von Identitäten. Festschrift für Urs Altermatt. Hrsg. Catherine Bosshart- Pfluger, Joseph Jung und Franziska Metzger. Frauenfeld, 2002, S. 225-250. 17) Ebenda, S. 249. 18) Ebenda. S. 248. 19) Ebenda, S. 248. 197