Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2004) (103)

gleich zum Restgebiet noch am relativ sichersten fühlen konnte. Sowohl die Atmosphäre der Stadt wie auch die Einstellmig der Mehrheit Hessen gemäss Köhler bis 1933 kaum ein Gefühl direkter Bedrohung aufkommen.64 FAZIT Die Situation der Juden in Deutschland zur Zeit der Weimarer Republik war von zwei sich widerspre- chenden Entwicklungen geprägt: Einerseits erhiel- ten die jüdischen Deutschen 1918 mit Gründung der Republik die gesetzliche Gleichstellung zuge- standen, andererseits nahm während der Weima- rer Republik jene Bewegung ihren Anfang, die zur systematischen Vertreibung der europäischen Ju- den führen und ab 1941 in die «Endlösung», die Ermordung von sechs Millionen Menschen, mün- den sollte. Die Lage der Jüdinnen und Juden in Berlin wäh- rend (der Endphase) der Weimarer Republik war von zusätzlichen Ambivalenzen gekennzeichnet. Ei- nerseits waren etliche gut in die Berliner Gesell- schaft integriert, Mischehen nahmen zu, viele Ju- den waren erfolgreiche Künstler und Unternehmer. Ferner stand die Berliner Stimmbevölkerung der NSDAP im Reichsvergleich kritischer gegenüber und zudem bot die Anonymität der Berliner Gross- stadt zumindest teilweise Schutz. Andererseits herrschte unter den aus dem Osten eingewanderten Juden grosse Armut. Sie waren einem besonderen Antisemitismus ausgesetzt - von Integration konnte keine Rede sein. Auch war Berlin zu Beginn der 1930er Jahre eine von grossen wirtschaftlichen und politischen Krisen gebeutelte Stadt, die ferner von bürgerkriegsähnlichen Zuständen geprägt wurde und wo antijüdische Tätlichkeiten einen beängsti- genden Umfang annahmen. Ausserdem herrschte unter den jüdischen Arbeitnehmern eine besonders hohe Arbeitslosigkeit. Der Anstieg des Antisemitis- mus führte zudem auch zu einer neuerlichen gesell- schaftlichen Segregation, jüdische Schulkinder be- suchten beispielsweise wieder vermehrt jüdische Schulen. 
Die sich deutlich steigernde Nervosität und zu- nehmende Aktivität des in Berlin domizilierten Cen- traivereins zeigt, dass er zu Beginn der 1930er Jahre die Entwicklung mit grosser Sorge beobach- tete. Diese Sorge dürfte auch bei einer Vielzahl sei- ner Mitglieder bestanden haben. Wenn auch 1933 die gesamte spätere Entwicklung noch nicht in ih- rer letzten Konsequenz absehbar war, wurden die Zeichen der Zeit zumindest von zahlreichen deut- schen Juden registriert. 64) Köhler, Berlin, 1987. S. 885. 14
	        

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