Die beschmierte Synagoge am Cottbuser Ufer in Ber- lin, 1930 eine verbale und tätliche antijüdische Gewalt von neuem Ausmass. Die jüdische Bevölkerung der Hauptstadt war besonderes Angriffsziel der Natio- nalsozialisten, weil sie dort im Vergleich zum übri- gen Deutschland im öffentlichen Leben besonders präsent waren.47 Monika Richarz gelangt deshalb zum Schluss, dass die Juden am Ende der Weimarer Republik in Deutschland nirgends offener als in der Hauptstadt angegriffen wurden.48 So war beispiels- weise der Sieg der Nationalsozialisten an den Reichstagswahlen vom September 1930 in Berlin Anlass zu antijüdischer Gewalt: Am Tag der Reichs- tagseröffnung vom 13. Oktober 1930 demonstrierte die NSDAP gegen das preussische Umformverbot. Nach der Kundgebung vor dem Reichstag mar- schierten einige Demonstranten in die Innenstadt und schmissen Fensterscheiben vor allem von jüdi- schen Geschäften ein.49 Ferner wurden in der Hauptstadt Aufrufe zu einem Boykott jüdischer Ge- schäfte und jüdischer Ärzte sowie Rechtsanwälte, von denen in den Zwanzigerjahren 48 Prozent jüdi- scher Konfession waren, wieder lauter.50 Dazu ka- men Schändungen von jüdischen Friedhöfen und Synagogen.51 Einer der ersten Fälle, der im Zeichen des nationalsozialistischen Aufstiegs stand, war eine Hakenkreuzschmiererei an der orthodoxen Berliner Synagoge Cottbuser Ufer in der Nacht vom 16. Februar 1930.52 Seit 1930 wurde ferner insbe- sondere die Berliner Universität mehrmals Schau- platz von antisemitischen Kundgebungen.53 Die ge- walttätigste Kundgebung ereignete sich am 22. Ja- nuar 1932: Nationalsozialistische Studenten griffen Mitglieder einer jüdischen Studentenvereinigung u.a. mit Peitschen und Lederriemen an. Antisemi- tisch motivierte Überfälle wiederholten sich - trotz
Zusicherungen des Preussischen Kultusministeri- ums und der Berliner Polizei, dass sie alles daran setzen würden, solche Ausschreitungen zu verhin- dern.54 Die grösste und gewalttätigste antijüdische De- monstration seit Aufstieg der NSDAP fand in der Reichshauptstadt am 12. September 1931 anläss- lich des jüdischen Neujahrsfests statt. Etwa 500 Angehörige der SA griffen auf dem Kurfürsten- damm «jüdisch aussehende» Passanten an, darun- ter auch viele Nichtjuden.55 Die einschreitende Poli- zei konnte nicht verhindern, dass zahlreiche Perso- nen verletzt wurden.56 Weitere Ausschreitungen folgten, weshalb der Hauptvorstand des Centraiver- eins in Berlin im Januar 1932 den folgenden Aufruf veröffentlichte: «Das Mass der Beschimpfungen, dem die deutschen Juden gegenwärtig ausgesetzt sind, überschreitet das selbst in den politisch erreg- ten Zeiten erlaubte Mass.»57 Der C.V. schätzte die Gefährdung also als bedeu- tend ein. Er hatte ferner bereits 1929 in Berlin ein separat organisiertes und von ihm räumlich ge- trenntes «Büro Wilhelmstrasse» eingerichtet, das zum Ziel hatte, die nationalsozialistische Propagan- da zu bekämpfen.58 Wegen der zunehmenden anti- jüdischen Gewalt in Berlin anfangs der 1930er Jah- re beantragte zudem
die Zionistische Vereinigung für Deutschland, die ihren Hauptsitz in Berlin hatte, im Juli 1932 bei der zionistischen Exekutive in Lon- don, ihre Gebäude in Berlin durch eine englische Versicherungsgesellschaft gegen «Schaden durch Po- grome» zu versichern.59 Die im ganzen Reich über- handnehmenden Gewaltakte veranlassten schliess- lich den C.V. 1932, ein «Weissbuch», eine aus zwei- hundert Bogen bestehende Materialmappe, über 12