Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2004) (103)

DAS KINO IM WIRTSHAUS «RÖSSLE» IN SCHAAN ANNETTE LINGG und zu welcher Zeit Vorführungen stattfanden und musste gar nicht wissen, welcher Film denn genau gezeigt wurde. Möglicherweise war aus Kostengrün- den nicht für jeden Film eine Anzeige möglich. Die Anzeigen berichten über die gezeigten Filme, über die Genres, nennen Schauspielerinnen, Schau- spieler und Regisseure, geben Hinweise auf Preise, auf Kinositten, auf die Kinobetreiberund auf den Dis- kurs übers Kino. Gleichzeitig liefern sie aber auch weit mehr als nur diese blossen Informationen zu den Aufführungen. Das Durchblättern mehrerer Jahr- gänge des «Liechtensteiner Volksblatts» vermittelt neben Informationen über andere Freizeitvergnü- gungen wie Tanz und Theater auch eine atmosphäri- sche Annäherung an den Ort und die Zeit. Die Zei- tungen entpuppen sich als eine wahre Schatzkiste voller Entdeckungen, ein Fundus der kollektiven Er- innerung, der den Geist der Zeit atmet, wenn etwa Karl Kaufmann nicht nur für sein Kino wirbt, sondern am 2. Juli 1921 auch für «Prima Thurgauer Most und Saft, glanzhell, zu billigen Preisen»; oder wenn ein Geflügelhof in Grabs «Ful-O-Pep, Amerikanisches Trockenfutter, das beste Hühnerfutter der Welt» ver- kauft, der Gasthof «Kulm» im Triesenberg zum «Tanz bei flotter Streichmusik» einlädt und die Nerven- Heilanstalt «Friedheim» im Thurgau Hilfe für Ner- ven- und Gemütskranke verspricht. AKTEN DES LIECHTENSTEINISCHEN LANDESARCHIVS Im Liechtensteinischen Landesarchiv in Vaduz fin- den sich Akten zum Kino «Rössle» für den Zeitraum von 1918 bis 1932. Es handelt sich hierbei haupt- sächlich um Briefwechsel zwischen den Kinobetrei- bern und der Regierung. Dokumentiert sind Gesuche um Kinovorführungen und die Bewilligungsverfah- ren, zudem für einige Jahre die Titel der zur Auf- führunggelangenden Filme. Weiters finden sich Zen- surbestimmungen und Beschwerden über das Kino von dritter Seite. Vieles wurde zu besagter Zeit allerdings mündlich geregelt, wodurch allfällige Lücken im Quellenbe- stand zu erklären sind.5 
Über die reinen Informationen hinaus vermitteln die Briefe mit dem altväterlichen, ans 19. Jahrhun- dert gemahnenden Kanzleideutsch eine Ahnung von den herrschenden hierarchischen Strukturen und vom Umgangston im Schriftverkehr. INTERVIEWS Mit vier Personen wurden Interviews geführt. Es handelt sich dabei zum einen um drei Männer, die zu dieser Zeit in Schaan lebten: Adelbert Konrad (Jahr- gang 1915) machte als Jugendlicher Botengänge für das Kino und assistierte dem Operateur. Meinrad Lingg (Jahrgang 1913) und Rudolf Lingg (Jahrgang 1914) waren sporadische Kinogänger. Zum anderen führte ich ein Interview mit Herta Frick. Sie ist die Enkelin des Wirte-Ehepaars und Jahrgang 1939, hat somit das Kino nicht selber mit- erlebt. Allerdings weiss sie von Erzählungen ihrer Mutter (Rosa Hilti-Kaufmann, 1914-1994) einiges über das Kino. Den Grossvater Karl Kaufmann hat sie nicht mehr gekannt. Zur Grossmutter Judith Kauf- mann hatte sie indes ein enges Verhältnis, doch über das Kino hatte ihr diese nie etwas erzählt. Über die Nutzbarmachung von «Oral History» er- hoffte ich mir zwei Allen von Informationen: zum ei- nen faktische Information; Fragen beispielsweise nach den Zuschauern (Anzahl, Geschlecht, Alter), dem Eintrittspreis, der Aufführungspraxis. Die an- dere Art von Information ist eine subjektivere; es wurde nach Kinoerlebnissen gefragt, nach persönli- chen Eindrücken im Zusammenhang mit dem Kino- besuch. Beiderlei Informationen haben mit Erinne- rungen zu tun. Erinnerung als Quellenmaterial ist sehr wertvoll, wenn wenig geschriebene Quellen vor- liegen oder wenn die subjektive, persönliche Seite ei- nes Erlebnisses festgehalten werden möchte. Sie kann schriftliche Quellen ergänzen und niemals 4) Das «Rössle» liegt sehr zentral mitten im Dorf, und die meisten Schaaner kamen wohl des öfteren daran vorbei. 5) Diesen Hinweis verdanke ich Paul Vogt, dem Leiter des Liechten- steinischen Landesarchivs. Vaduz. 143
	        

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