ZUR ERSTVERÖFFENTLICHUNG DES ROSENBAUM- PLÄDOYERS / NORBERT HAAS / HANSJÖRG QUADERER was wissen wir von den opfern? durch wen wissen wir es? wie wird die katastrophe erfahrbar? wie funktioniert der bewusstwerdungsprozess? was be- deutet die geschichte für die gemeinschaft, die den Staat liechtenstein (bis auf weiteres) ausmacht? konkreter: wie lebten die schwer traumatisiert überlebenden j. wolff und fritz schaie-rotter weiter? warum wissen wir bislang nicht einmal ihre todes- daten? was ist geschehen, dass wir 70 jähre danach über die täter vieles, über die opfer so wenig wis- sen? wie kommt es, dass rosenbaums obstruiertes plädoyer immer noch beinah die einzige Informati- onsquelle über die personen und das wirken der jü- dischen theaterdirektoren fritz und alfred schaie- rotter darstellt? bewirkt die erstveröffentlichung des rosenbaum-plädoyers, dass sich ein theaterhi- storiker finden lässt, um die geschichte der rotter- schen bühnen akribisch vom anfang bis zum ende zu schreiben? die katastrophe der familie schaie-rotter verlangt über die fachhistorische bearbeitung hinaus die be- antwortung von detailfragen, das mikrohistorische feld der mentalitätsforschung, des soziologischen und politischen aufs genaueste abtastend: der impe- tus des eingedenkens muss in der tiefenschärfe von innerem berührtsein liegen, das in den geschichts- büchern zu unrecht als «rotter-affaire» abgetane verbrechen tangiert im 20. jahrhundert eine der neuralgischen stellen Liechtensteins, wo bis heute die flieh-, zug- & Schubkräfte liechtensteins zucken und schmerzen, das diffamieren & die hetze gegen dissidente setzt sich schliesslich fort bis in die ge- genwart. die geschichte der opfer dieses liechtensteinischen pogroms ist noch zu schreiben, ist ein traktandum, das in die gegenwart drängt; stellt in seiner dimensi- on den unauflöslichen rest dar, die gesellschaftsin- terne liechtensteinische dunkle materie, welche sich fortlaufend in einem Verdrängungsmechanismus in die gegenwart schiebt und schreibt. ein stoff, der, verstrickt & verhängt in seil- und Sippschaften, weiterhin sein unwesen treibt.
aggregatzustände werden kenntlich, Übergänge sicht- bar; kollisionen & kalamitäten werden unvermeid- lich sein: es bleibt wenig anderes, als sich im zer- brochenen spiegel dieser untat zu erkennen, im hin- blick auf das menschenlernbare. lassen sich die schleichenden mechanismen des an- tisemitismus in liechtenstein entschärfen? was ist die gefähr von Verwissenschaftlichung? was die ge- fahr der heimatgeschichte? was besagt die rede vom «rottertobel»? vermögen wir das rosenbaum plä- doyer zu lesen als ein permanentes memorandum gegen den antisemitismus, heute? * das requiem wurde am 5. april 2002 von Hieronymus schädler ge- spielt: die improvisation hat der musiker auskomponiert & im jähr da- rauf im rahmen der gedenkveranstaltung «jener furchtbare 5. april» zur Uraufführung gebracht, eine aufnähme auf cd des ganzen kon- zerts, ergänzt um den live-mitschnitt der improvisation von 2002 und einer kleinen dokumentation. ist beim komponisten Hieronymus schädler, triesenberg/zürich, zu bestellen. 5