Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2003) (102)

Deutschtums.308 Abschliessend meinte Muther, man habe «... das Ende der deutschen Biedermeier- kunst, trotz aller sympathischen Werke, die sie her- vorbrachte, nicht zu bedauern. Sie ist nicht getötet worden, sondern sie mußte sterben».309 Im Gegensatz zu Muther hatte Bruno Grimschitz einen weit weniger objektiven Zugang zum «Öster- reichischen Problem».310 Unter der Prämisse, dass der österreichische Barock die Vollendung von Österreichs künstlerischer Kraft bedeute, betrach- tete er den zweiten Höhepunkt österreichischer Kunst und nannte die Altwiener Malerei «bürgerli- chen Barock». Mit dieser Stilbezeichnung wollte Grimschitz ausdrücken, dass sich die Sinnlichkeit österreichischer Welterfassung in der Intensität der Gestaltung und der farbigen Improvisationskraft noch einmal äussere, so wie sie dies bereits in der barocken Dekoration getan habe. Das Bürgerliche aber manifestiere sich in der Wirklichkeitsfreude und der realistischen Problemlösung des 19. Jahr- hunderts.311 Die Bezeichnung «Barock» steht für jene Kunst, die im absolutistischen Zeitalter des 17. und 18. Jahrhunderts den Herrschafts-- und Machtan- spruch von Aristokratie und Kirche verkörperte. Im Wien des 19. Jahrhunderts war die Trennung von Adel und Bürgertum von beiden Seiten weitgehend als selbstverständlich und unantastbar akzeptiert. Erst nach der Märzrevolution - als die Bürger ver- sucht haben, diese Grenzen niederzureissen - grenzte sich der Adel mit grosser Bestimmtheit vom Bürgertum ab. Unter diesen Voraussetzungen drückt das Begriffspaar «bürgerlicher Barock» für die Kunst der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur die Ambivalenz der künstlerischen, son- dern auch der politischen Situation aus. Es wurde bereits erläutert, dass fürstliche Auf- traggeber wie Alois II. eine durchaus aristokrati- sche Lebenshaltung pflegten. Diese Geldgeber be- einflussten die Stilentwicklung unbestreitbar ihrem Geschmack und ihrer Gesinnung entsprechend.312 Als Beispiel dazu sei noch einmal das biedermeier- liche Herrscherbildnis «Fürst Johannes II. von Liech- tenstein als Kind auf einem Schimmelpony» ange- führt (Abb. 8). 
Des Weiteren äusserte sich Grimschitz aber: «Die Altwiener Malerei ist vollkommenster Aus- druck der Epoche. Sie ist die Schöpfung einer Zeit, die bürgerliche Begrenzung nie verlässt. Eigentli- cher: die in dem Bürgerlichen ein absolutes Aus- maß entdeckt und erarbeitet. Die Altwiener Malerei ist in lebendigster Ursprünglichkeit dem Sichtba- ren - das ist: dem Weltbild des neuen bürgerlichen Individuums - zugewendet».313 Wie dargelegt wurde, ist diese Ansicht Grim- schitz' für Wien nur eingeschränkt zutreffend. Auch wenn die künstlerische Leistung der Wie- ner Biedermeiermalerei um 1900 wieder gewür- digt wurde, so blieb doch bis nach dem Tode Jo- hanns II. der Geschmack sentimentalen Heimwehs nach Alt-Wien an ihr haften. Hans Tietze war 1931 der Ansicht, dass diese Malerei mit dem Sittenbild als Hauptgattung im- merhin den damaligen Geist der Stadt treffend be- schreiben konnte. Allerdings würden die Themen des alltäglichen Lebens, die Anliegen der typischen Vertreter der bürgerlichen Schicht, die Ansicht der Natur, verklärt. Das Gemütliche und das Gefällige würde überbetont, um eine leicht zugängliche Idea- lität zu schaffen. Trotz der qualitätvollen Werke der Hauptmeister dürfe nicht übersehen werden, dass sich diese Malerei an der Grenze der Trivialität be- wege. Waldmüllers Grösse, seine Rolle als «Prophe- ta in Patria», sei die Ausnahme, welche die Regel bestätige. Die wirkliche Leistung der Wiener Bie- dermeiermalerei sah Tietze darin, dass sie den Zeitgeist Alt-Wiens festgehalten habe.314 70
	        

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