Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2003) (102)

Wienerwaldes dargestellt habe, wodurch sie «Fleisch von unserem Fleische, Blut von unserem Blute» geworden seien.249 Zwar räumte er ein: «Wort und Begriff: Wienerischer Patriotismus, ha- ben heutzutage keinen beliebten Odeur! Es riecht so nach Backhendlzeit, es muthet so enge, so be- schränkt, so spiessbürgerlich an».250 Doch setzte Ilgs Engagement sich zum Ziel, der lokalen Kunst- richtung der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts neue Anerkennung zu verschaffen. Ilgs Kritik galt in erster Linie den Künstlern statt dem Publikum, dem er im Allgemeinen die Unter- scheidung von herrschender und schon vergange- ner Stilrichtung nicht immer zutraute, da es indiffe- rent reagiere. Das Publikum sähe sich «die neue- sten Verherrlichungen des Entsetzens und Greu- els» jener «crassen realistischen Richtung» der Malerei, die zur Zeit herrsche, gerne an, daneben aber auch ein Stilleben mit Austern oder den Kirchweih tanz.251 Was die Künstler aber leisteten, seien nur die Konsequenzen des Verfalls des gesell- schaftlichen Lebens, die sich in ihrer Kunst äusser- ten.252 Damit spielte Ilg wohl auch auf die oft als de- kadent empfundene neobarocke Malerei des Plans Makart (1840-1884) an, dessen Kunst in Wien be- sonders gefeiert wurde. Trotz seiner Anklage der zeitgenössischen Kunst und deren Publikum war Ilg weit davon entfernt, die Biedermeiermalerei kritiklos zu verherrlichen, im Gegenteil, humoristisch-sentimentale Genrema- lerei mit Titeln wie «Grossvaters Morgenpfeifchen» war ihm ein Greuel: «Diese Kost wird unserem Publikum heute noch so unverfroren vorgesetzt, als schrieben wir 1828 ... Die Genremalerei der falschen Sentimentalität, der süsslichen Rührseligkeit und der philiströsen Ge- müthlichkeit ist der wuchernde Wandschimmel, welcher in dem seit dem XVIII. Jahrhundert ver- ödeten Kunsttempel in der geistig faulen Zeit des Vormärzes gedieh».253 Insbesondere bezog sich Ilg hier auf die seiner Mei- nung nach «faden, geistlosen Heucheleien der Ro- mantik».254 Maler wie Danhauser, Waldmüller, Gau-ermann, 
Fendi, Ritter, Treml, Pettenkofen, Ranftl und Raffalt verehrte er hingegen über alles.255 Ilg konnte seine Vorstellung von der Kunst die- ser Epoche noch nicht genau eingrenzen. Einer- seits zählte er August von Pettenkofen (1822-1889) ohne Einschränkung zu den besten Künstlern, ob- wohl nur sein Frühwerk stilistisch dem Wiener Bie- dermeier zugeordnet werden kann, nicht aber die Hauptwerke, andererseits stellte er nicht klar, was die genannten Maler mit ihren oft stark moralisie- renden Genrebildern von jenen der «falschen Sen- timentalität» und «süsslichen Rührseligkeit» unter- scheide. Ilg ging es dabei nicht um eine kunsthisto- risch richtige Einordnung, sondern lediglich um Beispiele künstlerischer Grössen Österreichs. Das Biedermeier wurde also - und hier äussert sich die gleiche Auffassung wie in dem zu Anfang dieses Kapitels zitierten Artikel des Wiener Tag- blatts - besonders als unverfälschtes Zeugnis öster- reichischer und Wiener Kunst derart hoch einge- schätzt. In Ilgs Ausführungen machen sich ein neu ent- flammter Patriotismus und Nationalstolz bemerk- bar, wie sie sich am Anfang des 19. Jahrhunderts schon einmal entwickeln konnten. Erneut wurde nach einer Identifikation mit der Geschichte ge- sucht - diesmal aber nicht, um neu formierten Staaten ein Volk zu geben, wie es nach dem Wiener Kongress 1814/15 der Fall gewesen war.256 Ilg ver- suchte mit seinen Schriften auf lokaler Ebene ein neues, bürgerliches Selbstbewusstsein herzustel- len, wie es durch die Wertschätzung der eigenen, in naher Vergangenheit gelegenen Geschichte mög- lich wurde. Die Bürger identifizierten sich mit der Zeit des Vormärz und insbesondere mit ihren da- mals herrschenden bürgerlichen Idealen. Somit verstand jeder, was Albert Ilg in seiner Schrift von 1890 «Der historische Sinn» meinte: «Der historische Sinn, diese festeste Grundlage des Patriotismus und des stolzen Selbstbewusstseins des Bürgers ,..».257 Damit ist nicht eine Rückwen- dung gemeint, vielmehr soll durch das Erkennen der eigenen Vergangenheit der richtige Weg in die Zukunft gewiesen werden: 62
	        

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