FÜRST JOHANN IL UND SEINE SAMMLUNG DER WIENER BIEDERMEIERMALEREI / ROSWITHA FEGER Die Rezeption der Wiener Biedermeiermalerei um 1900 im Umfeld Johanns II. von Liechtenstein Eine der zentralen Fragen im Zusammenhang ei- ner sammlungsgeschichtlichen Untersuchung stellt sich zum Verhältnis zwischen Sammler und Samm- lung. Äussert er sich darüber nicht selbst, so kann die Sammlung an sich Auskunft über das Verständ- nis des Sammlers seiner Kunstwerke geben. Diese Quelle wurde bereits ausführlich ausgeschöpft. Darüber hinaus kann das Verhältnis des Sammlers zur gesammelten Kunstrichtung auch über seine Handlungen, zum Beispiel über seine Funktion als Mäzen, erschlossen werden. In jedem Fall muss beachtet werden, dass der Sammler in bestimmte Zeitumstände eingebunden ist, die beim Sammeln und beim Umgang mit der Sammlung, beziehungsweise mit der gesammelten Kunstrichtung, eine übergeordnete Rolle spielen und starken Einfluss nehmen. Das Verhältnis des Sammlers zur Kunst muss also gleichzeitig im Ver- hältnis zu den Zeitumständen gesehen werden. Fürst Johann II. äusserte sich nie schriftlich zur Sammlung der Fürsten von Liechtenstein, auch nicht zur Sammlung der Wiener Biedermeiermale- rei. Allerdings tat er sich als bedeutender Mäzen vor allem des Historischen Museums der Stadt Wien und der Akademie der bildenden Künste her- vor.
DIE SCHENKUNG AN DAS HISTORISCHE MUSEUM DER STADT WIEN IM VERGLEICH ZUR WIENER BIEDERMEIERMALEREI IN DER GALERIE LIECHTENSTEIN Dem Historischen Museum der Stadt Wien schenk- te Johann II. im Jahr 1894 rund 30 Gemälde der Wiener Biedermeiermalerei.212 Davon stammte nur eine Landschaft von Waldmüller aus dem ur- sprünglichen Besitz des Fürsten;213 alle anderen Werke wurden vermutlich für diese Schenkung ge- kauft oder sie stammten aus dem privaten Famili- enbesitz. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Historische Museum noch keine Gemäldesammlung besessen. Die wenigen vorhandenen Bilder waren rein aus dem Aspekt der Dokumentation der Stadtgeschich- te gesammelt worden, wobei die künstlerische Qualität nicht von Bedeutung gewesen war.214 Das LIistorische Museum war 1887 mit der Idee der «Vereinigung aller für die Geschichte und das Cul- turleben Wiens werthvollen Denkmale»215 gegrün- det worden. In diese Sammlung auch künstlerische «Denkmale» mit einzubeziehen, war offensichtlich nicht vorgesehen gewesen. 210) 1827; Öl auf Leinwand, 100 x 116 cm. 211) Baumstark 1983. S. 22. 212) Höss. S. 106. Höss zählt 35 Gemälde, die im Historischen Museum ausgestellt waren (Ebd.). Heute können allerdings nur noch 31 Gemälde mit Sicherheit der Schenkung von 1894 zugewiesen werden (vgl. Anhang, S. 78 f.). 213) Ferdinand Georg Waldmüller: «Die Alpenhütte auf dem Hoi- sernrad bei Ischl». 1834, HM Inv. Nr. 10130. Im Inventar von 1910 als «Der Dachstein» als Posten Nr. 444 aufgelistet (HALV). Die Beschreibung sowie die Datierung und die Masse stimmen mit dem Waldmüllerbild des Historischen Museums der Stadt Wien überein. 214) Bisanz. Hans: Ferdinand Georg Waldmüller - Blick auf eine Sammlung. In: Ferdinand Georg Waldmüller zum 200. Geburtstag. Kat. Ausst. Wien, 1993. - Im Folgenden zitiert als: Bisanz 1993. 215) Zitiert nach: Deutschmann, Wilhelm: Ein Überblick zur Ge- schichte des Historischen Museums der Stadt Wien. In: Hundert Jahre Historisches Museum der Stadt Wien. Kat. Ausst. Wien. 1987, S. 15 - (im Folgenden zitiert als: Deutschmann). Aus: Handbuch der Kunstpflege in Österreich. Wien. 1893. S. 124. 55