Stofflichkeit und die sinnlich motivierte Farbigkeit nur im Wiener Biedermeier geboren sein kön- nen.199 Die Vorstellung, angesichts der Natur in träume- rische Nachdenklichkeit zu versinken, zeigt, dass der Künstler sich den noch immer anhaltenden ro- mantischen Strömungen nicht entziehen konnte. Auch Johann Matthias Ranftl malte einfigurige Genrebilder dieser Art. Doch sind sie, zumindest die der Galerie Liechtenstein, eher als Studien oder als Bestandteile eines Motivrepertoires zu verste- hen, wodurch ihre Bedeutungstiefe ungleich einge- schränkter ist. Das «Mittagsmahl»2™ (Abb. 35) zeigt ein Bauern- mädchen, wie es auf einer Bank sitzt, sich mit der einen Fland aufstützt und mit der anderen einen Löffel zum Mund führt. Die Figur ist nicht vollstän- dig ausgeführt; ihre Schuhe sind nur mit Bleistift vorgezeichnet, aber nicht koloriert. Offensichtlich stellte der Studiencharakter die Ausstellungswür- digkeit dieses Bildes für den Fürsten nicht in Frage. Verschiedene Bildnisse oder einfigurige Genrebil- der, die Johann IL ausstellte, blieben unvollendet oder hatten skizzenhaften Charakter. Ganz im Sin- ne der alten Meister mass Johann II. der Idee einer Darstellung mehr Bedeutung zu als schliesslich der Ausführung. Den «Bauern mit Tabakspfeife»201 (Abb. 36) mal- te Friedrich Gauermann wohl für sein Motivreper- toire sicherlich direkt nach der Natur. Ein älterer Bauer, in Seitenansicht wiedergegeben, sitzt auf ei- nem Stein in der Sonne. Die Hände hat er ent- spannt in den Schoss gelegt und raucht sein wohl- verdientes Pfeifchen. Ein grosser, breitkrempiger Hut verschattet seine Augen, sein Blick richtet sich zum Betrachter. Bemerkenswert ist der grosse Kropf, der von einem Halstuch zusammengehalten und nur leicht verdeckt wird. Gauermann stellte diesen Bauern ohne jegliche Idealisierung dar. Der städtische Betrachter aber mochte in diesem Bildnis dennoch eine Idylle se- hen. Einerseits verschweigt die erholsame Arbeits- pause am Feierabend die Anstrengungen der Land- arbeit, andererseits kann die wirklichkeitsnahe
Darstellung des Bauern für einen Städter als ge- wollt genrehaft verstanden werden. Diese Darstellungen zeigen den Menschen oft nicht mehr als Individuum, sondern in einer idea- len oder erzählerischen Figurenauffassung. Die Gattungsmischung des Biedermeier von Porträt und Genre konfrontiert den Betrachter nicht mehr allgemein mit dem Dargestellten, sondern teilt ihm ein Aspekt seines Lebens mit.202 50