REZENSIONEN / KATZENGOLD, ZWEI AUFSÄTZE ZUM WANDEL IM FÜRSTENTUM LIECHTENSTEIN gleichsweise jüngsten Datums. Dennoch, und dies ist einer der Erkenntniseffekte der Geld-Fluss-Ana- logie des ersten Buchteils, vollziehen sich Um- wandlung und Gestaltänderung der liechtensteini- schen Lebenslandschaft in den durch das PGR be- gleiteten Jahrzehnten in einer Gewalt und Nach- haltigkeit, die an überpersönlich-unverfügbare Naturkräfte gemahnen. Mit Bauzonenausschei- dung, Bodenpreisanstieg und Zersiedelung rückt dieser «Wandel» den Liechtensteinerinnen in den Kernzonen der Kapitalverwaltung - zwischen Va- duz und Triesen - drastisch auf den kleinräumigen Leib. Dennoch, so Sprengers Diagnose, wird die Ent- wicklung selber nicht konfrontiert, im Regelfall er- lebt und erduldet, durch Geld in ihren Folgen ge- dämpft und in Freizeitfluchten und ausgedehnten Privatsphären kompensiert. Die Politik tut ihr übri- ges zur Beruhigung und verspricht den Wandel je- weils als Zukunft, in welche das «Bewährte» als an- dauernde, geschichtslose Vergangenheit gerettet werden sollte. Was denn das Bewährte sei, darüber wird gemeinhin und en detail geschwiegen, weil dies Abschiede vom nicht Bewährten, Trennschär- fe und Traditionsbrüche, sprich ein reflektiertes Vergangenheitsverhältnis, erforderte. Dafür aber wird jener «Wohlstand» hervorgezaubert, der in ei- ner unhinterfragten Assoziationskette «Wohlstand- Fürstenhaus-Dankbarkeit» (S. 111) weniger selbst- gemacht als eben einer schicksalshaften Verbin- dung verdankt erscheint. Auch der Fürst ist in die- ser Perspektive weniger Macher, als vielmehr Schutzherr eines historischen Sonderfalls. Dass Liechtensteins Wohlstand im wesentlichen nicht selbsterzeugt und -verantwortet ist, sondern eine glückliche Fügung unter fürstlicher Hand, ist ein Märchen, dass immerhin den Ausgang einer Volks- abstimmung über die fürstlichen Verfassungsände- rungen entschieden hat: zugunsten des Fürsten - nicht der Verfassung. Nicht nur eine unter Verlustängsten («Wegzug des Fürstenhauses») und Drohungen («Kapitalab- wanderung») erpresste Verfassungsreform ist teuer erkauft, auch das Lebensglück im Talraum hat sei- nen Preis: Sprenger kehrt Mandevilles Rede von
«private vices - public benefits» für Liechtenstein um, indem er festhält: «das, was gemeinschaftlich schadet, bietet ebenso die private Kur» (S. 119). Die den kreativen und politischen Spielraum der Gesellschaft einschränkenden «Nebenwirkungen» des Finanzplatzes werden ihrerseits durch den Vorteil privater Konsumerweiterung abgetauscht. Fatalerweise wird aber ein solcher Tausch durch dieselben Gelder ermöglicht, deren Agenten (Ban- ken, Treuhänder) buchstäblich und sukzessive den öffentlichen Raum besetzen («Verblockung»), die Lebenskarrieren veröden lassen («biographische Monokultur») und der persönlichen Identifikation mit Orten und ihrer Geschichte den Boden abgra- ben. Um hier ein bewusstes Verhältnis zum Gesche- henen einzurichten und Handlungsfähigkeit zu er- langen, wären die Akteure und Kosten dieses Wan- dels zu bezeichnen, müsste die kleinbäuerliche Öf- fentlichkeitsscheu abgestreift und gefragt werden, was das PGR mit uns und was wir mit dem PGR ge- macht haben. Wohlgemerkt: Auch für Sprenger sind das Schweigen und die Befangenheiten in der Debatte um Sinn und Zweck von Steuerprivilegien, Bankgeheimnis und Standortvorteile keine Ma- chenschaften einer manipulativen Finanzmafia. Liechtensteins Gemeinwesen ist hier vielmehr als politisches Kollektiv zur Verantwortung und Selbst- aufklärung gerufen. Das Vermeinen, dass Liechten- stein hautsächlich oder gar exklusiv von den Vor- teilen und Segnungen des Finanzplatzes, lebe, ist Teil einer gesamtgesellschaftlich betriebenen Fik- tionalisierung durchaus analysefähiger Bereiche. Solche Analyse geschieht, dank ausländischen Regulierungsdrucks, erst seit jüngster Zeit. Bereits die erste volkswirtschaftliche Gesamtrechnung des Landes (für das Jahr 1998) lässt aber begründet vermuten, dass Liechtenstein allen Grund zu einer datengestützt informierten Entzauberung des Fi- nanzplatzmythos hätte. Sprengers «Katzengold» ist ein wichtiger Beitrag dazu, eben diesen Mythen ge- genzusteuern und über das Wirken und die Wir- kungen der Finanzdienstleistung einen materialrei- chen, illusionslosen Diskurs einzuleiten. 237