könnte auch die Erklärung für die einmalige Aus- stellung einer solchen Urkunde sein; dass es sich dabei um die erste Verleihung der Blutgerichtsbar- keit handelt, ist nicht glaubwürdig, weil seit der Er- mächtigung der Freiherren von Brandis inzwi- schen über 80 Jahre vergangen waren. Zur Erinne- rung: Diese Ermächtigung hatte den Freiherren von Brandis das Recht gegeben, als Landesherren den Blutbann an die Landammänner weiter zu ver- leihen. Der Landammann wird als Vorsitzender der Ge- richtsverhandlung in den Quellen durchgehend als «Richter» bezeichnet. Auch die Bezeichnung «Stab- halter» kommt in einem Landsbrauch vor.200 Sie nimmt darauf Bezug, dass der Richter den Richter- stab als Hoheitszeichen bei der Eröffnung des Ge- richtstages in die Hand nahm. Die Beisitzer Neben dem Landammann als Richter nahmen an der Gerichtsversammlung auch noch Beisitzer teil, die die Funktion von Geschworenen hatten.201 Zu- meist ist von zwölf Beisitzern die Rede, beim Male- fizgericht wurde diese Zahl jedoch verdoppelt. Der Hinweis darauf findet sich in einem Lands- brauch,202 während sonst nirgends die Anzahl der Beisitzer bei der Gerichtsverhandlung erwähnt wird. Die Besetzung des Blutgerichts (Malefizge- richts) mit 24 Beisitzern war auch in anderen Län- dern üblich. Der Zeitpunkt, zu dem diese Zahl in Vaduz und Schellenberg festgelegt wurde, ist nicht genau zu ermitteln. Kaiser bezeichnet die Beisitzer durchgehend als «Richter», die Bezeichnung der Beisitzer ist in den Quellen jedoch ganz uneinheitlich. Im Text wird auch noch die Bezeichnung «urtelsprecher» ver- wendet, was sehr logisch erscheint, weil sie gleich- zeitig auf die Funktion der Beisitzer hinweist, näm- lich das Urteil zu fällen.203 Karl Siegfried Bader un- terscheidet diese Form der Gerichtsverfassung von der Schöffenverfassung: «Weit mannigfaltiger, aber zugleich auch un- durchsichtiger und diffuser sieht die Organisation
der Dorfgerichte dort aus, wo, wie im deutschen Südwesten und Südosten, die Schöffenverfassung durch ein System von Richtern und Urteilen ersetzt worden ist. Die fränkischen scabini konnten sich hier trotz aufoktroyierter Grafschafts- und Cente- narverfassung nicht halten; das Vorbild für die dörfliche Gerichtsbesetzung bildete offenbar das grundherrliche Meiergericht und das ihm nachge- bildete Vogtgericht. Schon die Bezeichnung der am Gericht Mitwirkenden ist ganz uneinheitlich; vor allem wird trotz Scheidung der Funktionen zwi- schen Gerichtsvorsitzenden und Urteilssprecher nicht nur der das Gericht leitende Ammann, Schultheiss oder Vogt sondern auch der Urteiler <Richter> genannt. Mitunter finden sich Ersatzbe- zeichnungen wie <Geschworene>, <Gerichtsmänner> usw., wobei durchaus nicht gesagt ist, dass deren Funktionen sich auf die Urteilsfindung beschrän- ken»204 Die Beisitzer wurden, im Gegensatz zum Landam- mann, von der Herrschaft gewählt.205 Ihre Amtszeit war nicht beschränkt. Erst beim Tod oder beim Zurücktreten eines Beisitzers wurde ein neuer ge- wählt, was sehr ungewöhnlich ist. Die Gerichtspro- tokolle vom Maien- und Herbstzeitgericht von Rofenberg weisen tatsächlich darauf hin, dass die Beisitzer auf Lebenszeit gewählt wurden.206 Die Wahl auf Lebenszeit hatte natürlich einen entschei- denden Vorteil: die Beisitzer gewannen immer mehr Erfahrung und konnten ihre Urteile leichter nach dem Vorbild eines bereits vorausgegangenen Gerichtsurteils fällen. Sowohl der Landammann als auch die Beisitzer hatten nach ihrer Wahl einen Eid zu leisten: «Nachdem Ihr Ammann mit mehrer Hand zu ei- nem Ammann gemacht und Ihr andern zu Beisit- zern und Urteilssprechern gewählt seid, so werdet Ihr einen Eid. zu Gott und den Heiligen schwören, unserem gnädigen Herrn und den vorgesetzten Oberbeamten an seiner Statt untertänig und gehor- sam zu sein, mit allen gebührlichen Mitteln Ihro Gnaden, der Landschaften und der armen Leuten Nutz und Frommen fördern und Schaden und Nachteil wenden. Wo Ihr von Übeltätern erfahrt, 48