Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2002) (101)

klare Absage erteilt und darauf hingewiesen, dass als «Industriearbeiter» nur Grenzgängerinnen be- willigt werden. Die Grenzgängerbeschäftigung wurde damit zu einem zentralen Bestandteil der Arbeitsmarktpolitik, was sich auch auf die Zuwan- derung auswirkte. Dank der Ausweichmöglichkeit auf Grenzgängerinnen konnte sie auf relativ niedri- gem Niveau gehalten werden. Die Grenzgängerbeschäftigung erlaubte die Ab- schöpfung von Arbeitskraft ohne gesellschaftliche Folgekosten, da die Grenzgängerinnen die Infra- struktur (Wohnungsmarkt) nicht belasteten und im damaligen Verständnis auch nicht «überfrem- dungswirksam» waren. Entsprechend der Situati- on auf dem liechtensteinischen Arbeitsmarkt konn- ten Grenzgängerinnen zudem zugelassen oder durch Verweigerung der Arbeitsbewilligung aus dem Arbeitsprozess entfernt werden, ohne dass so- ziale Kosten entstanden wären. Sie erfüllten damit die Funktion eines «Konjunkturpuffers» auf ideale Weise. Des weiteren orientierte sich die Grenzgänger- politik an Grundsätzen, die für die einheimischen Arbeitskräfte faktisch einer Arbeitsplatzgarantie gleichkamen: Grenzgängerinnen wurden nur zuge- lassen, wenn keine einheimischen Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Ferner durfte ein Betrieb keine Liechtensteinerinnen entlassen, solange er Grenzgängerinnen beschäftigte. Aufgrund dieser Zu- geständnisse wurde die liechtensteinische Grenz- gängerpolitik auch vom einheimischen Arbeitneh- merverband weitgehend mitgetragen. Trotz der liberalen Grenzgängerpolitik und dem freien Zugriff auf den schweizerischen Arbeits- markt konnte die Nachfrage nach Arbeitskräften nicht gedeckt werden. In den 1950er Jahren nahm deshalb die Zuwanderung besonders aus Deutsch- land, Österreich und Italien zu. Im Unterschied zur Schweiz, die unter ähnlichen arbeitsmarktlichen Voraussetzungen eine liberale Einwanderungspoli- tik betrieb, hielt Liechtenstein jedoch nach wie vor an einer restriktiven Zulassung von Aufenthalterin- nen fest. 
ZULASSUNG VON DRITTAUSLÄNDER/INNEN AUF DER GRUNDLAGE DES ROTATIONS- PRINZIPS Die Zuwanderung der Drittausländerinnen erfolgte in Liechtenstein wie in der Schweiz auf der Basis des sogenannten Rotationsmodells. Dieses strebte eine möglichst grosse Rotation der ausländischen Arbeitskräfte an, um einen vorübergehenden und flexiblen Charakter des Arbeitskräftezuzuges zu ge- währleisten. Mittels zeitlich begrenzter Aufent- haltsbewilligungen, hoher Wartefristen für die Nie- derlassung und der Verweigerung des Familien- nachzugs sollten längerfristige Aufenthalte oder gar die dauerhafte Niederlassung von Ausländerin- nen verhindert werden. Den wirtschaftstheoreti- schen Hintergrund für das Rotationsmodell bildete die Annahme eines zyklischen Konjunkturverlaufs, in dem Aufschwung und Krise einander in regel- mässigen Abständen folgen. Ausländischen Ar- beitskräften wurde in diesem Zusammenhang die Funktion eines «Konjunkturpuffers» zugeordnet. In Phasen des konjunkturellen Aufschwungs sollten sie zur Behebung von Produktionsengpässen einge- setzt werden, in Zeiten eines Konjunktur- und Be- schäftigungsrückgangs wieder abgebaut werden. Hinter dem Rotationsmodell stand ferner die Vor- stellung, dass die ausländischen Arbeitskräfte ihren Aufenthalt auch selber als vorübergehend de- finierten, die Option der Rückkehr also fester Be- standteil ihres Arbeitsaufenthaltes im Ausland war. LIECHTENSTEINISCHE SPEZIFIKA Die Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte auf der Basis des Rotationsprinzips ist für die schwei- zerische wie die liechtensteinische Zulassungspoli- tik bis in die 1960er Jahre charakteristisch. Liech- tensteinisches Spezifikum ist einzig die besonders rigide Umsetzung des Prinzips. Um eine Zementie- rung der Überschichtung zu verhindern, wurde den ausländischen Arbeitskräften vor allem in der Industrie nur eine Platzhalterfunktion zugestan- den. Sie waren solange willkommen, als sich keine 162
	        

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