Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2001) (100)

«MUT HABEN, ANREGEN, DISKUSSIONEN ANFANGEN, DAS SIND SCHON AUFGABEN DES HISTORISCHEN VEREINS» nicht weiter. Man vergisst dabei - und dies ist Teil unserer Geschichte, dass es nicht immer so war, dass Liechtenstein bis nach dem Zweiten Weltkrieg als «Armenhaus Europas» galt. Diese Offenheit muss da sein, gerade als Respekt vor der eigenen Geschichte, vor dem eigenen Land. Hierzu ist das «Biedermann-Haus» in Schellenberg ein interes- santes Phänomen, geradezu ein Symbol. Die An- fänge dieses Hauses reichen bis ins 16. Jahrhun- dert zurück. Noch bis in die frühen 1960er-Jahre diente es als Wohnhaus. Gerade am Beispiel dieses Hauses lässt sich der gewaltige Wandel unserer Ge- sellschaft, der sich innerhalb einer Generation ab- gespielt hat, ablesen und sichtbar machen. Armut und Not herrschten an allen Enden. Noch der über- wiegende Anteil unserer Grosselterngeneration musste schlicht ums Überleben kämpfen, man musste die Familie durchbringen. Dies war die zentrale Aufgabe. Es gibt nichts Dümmeres, als von den goldenen alten Zeiten zu reden. Verglichen mit den heutigen Verhältnissen war das Biedermann- Haus eine ärmliche, wenn auch gängige Behau- sung in Liechtenstein, nie aber eine Idylle. Doch auch heute gibt es, bei allem Wohlstand noch im- mer «Armut» in unserem Lande, auch das sollte man nicht vergessen, wohl weniger materielle, viel- leicht aber mehr geistige Armut. Alfred Goop: Die Kinder, nur schon die nächste Ge- neration, nehmen das Biedermann-Haus ganz an- ders wahr, weil sie diese Welt nicht mehr selber er- lebt haben. Da komme ich auf mein Bild der Obe- ren Burgruine in Schellenberg zurück, wo ein ro- mantisches Element dazu kommt. Die Leute identifizieren sich gerne mit dem Biedermann- Flaus, weil es Heimeligkeit vermittelt, das Gefühl von Heimat und Zuhause, also eine viel engere und überschaubarere Welt, die wir verloren haben. Norbert W. Hasler: Genau darin liegt eine gewisse Gefahr. Das Objekt verliert den eigentlichen histori- schen Stellenwert, es wird degradiert zur romanti- schen Idylle, zum Folklore-Artikel. Es ist für mich immer etwas fragwürdig, wenn ich plötzlich eine alte Waschmaschine oder ein hölzernes Wagenrad 
mit Geranien geschmückt in einem Garten stehen sehe. Es ist die Verfremdung eines Objektes, das eine ganz andere Aussage und Geschichte hat, zweckentfremdet zum reinen Dekorationsgegen- stand degradiert. Dasselbe treffen wir im gesell- schaftlichen Leben, zum Beispiel im Umgang mit weltlichem und religiösem Brauchtum an. Flier bin ich der Überzeugung, dass es besser und vor allem ehrlicher ist, damit aufzuhören, wenn es nur noch gemacht wird, weil das einmal so war und weil es vielleicht schön war. Das hat dann nur noch reinen Folklore-Charakter oder ist vielleicht noch wirt- schaftlich lukrativ - man denke nur an Weihnach- ten. Der Sinngehalt geht nach und nach verloren - der Unsinn greift um sich. 307
	        

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