«MUT HABEN, ANREGEN, DISKUSSIONEN ANFANGEN, DAS SIND SCHON AUFGABEN DES HISTORISCHEN VEREINS» 1699. Besteht bei unserer Kleinheit nicht sogar die Gefahr, dass wir Teile unserer Identität aus der Ab- grenzung von unseren nächsten Nachbarn aufbau- en? Eine liechtensteinische Identität sollte sich ge- rade auch aufgrund der Kleinheit, die wir haben, breiter abstützen. Man müsste sich auch regional identifizieren, man müsste sich auch europäisch zu identifizieren versuchen. Ich meine mit regionaler Identität, man sollte sich auch bewusst sein, was im Vorarlberg und drüben im Rheintal läuft und im weiteren Umfeld. Ich habe oft die Befürchtung, dass das in Liechtenstein zu wenig beachtet wird, wirklich eine zu lokale Identität entwickelt wird und man dann vor lauter Liechtenstein den Rest der Welt nicht mehr sieht. Norbert W. Hasler: Das ist genau das, was Helbert schon gemacht hat. Er sieht eben nicht nur seinen Ort, wo er lebt. Er geht darüber hinaus, ohne dass er dann gross über Grenzen redet. Er berichtet aus dem vorarlbergischen Gebiet, von dortigen Ereig- nissen, ohne dass er ein neues Kapitel beginnt. Er bringt Regionalität in einem Guss. Wenn man über Identität redet, betrifft dies das einzelne Individuum ebenso wie die Gesellschaft, das ganze Land. Es ist immer eine Biographie, ein geschichtlicher Werdegang. Dieser könnte so oder so verlaufen. Wenn man unser Land und seine Ge- schichte betrachtet: 1342 die Teilung der Werden- bergischen Güter, es entsteht die Grafschaft Vaduz. Auf Grund verwandtschaftlicher Beziehungen zu den Grafen von Werdenberg-Sargans zu Vaduz ma- chen 1416 die Freiherren von Brandis Erban- sprüche geltend und erwerben Vaduz, den südli- chen Teil von Schellenberg und Blumenegg. In den Jahren 1430/37 erwerben sie den nördlichen Teil der Herrschaft Schellenberg. Da ist eigentlich der territoriale Umfang unseres Landes schon beisam- men. 1437 kam zu diesem Besitz noch die Herr- schaft Maienfeld, leider nur bis 1510, dann wurde diese an die Drei Bünde verkauft. Es wäre schön, wenn sie noch dabei wäre. Dem ist nicht so. Auch die Herrschaft Blumenegg nahm eine andere Ge- schichte. Es macht jedoch keinen Sinn, Geschichts- betrachtung zu betreiben unter der Frage, was
wäre wenn. Es ist so gelaufen. Dies zeigt aber deut- lich, wie der geschichtliche Verlauf ausschlagge- bend ist für die Identität eines Landes, vor allem auch für unser Land. Werdenberg, Blumenegg, Maienfeld, all diese Herrschaften sind im Laufe der Zeit in grösseren Territorien, Staatsgebilden aufge- gangen. Vaduz und Schellenberg aber haben 1719 als Reichsfürstentum Liechtenstein in einem eige- nen und seit 1806 souveränen Kleinstaat zusam- mengefunden und seitdem ihre eigene Identität be- halten. Ohne eigentliche und eigenständige Res- sourcen hat es die Zeiten überdauert, meist von an- dern Gebieten, in der Regel von den Nachbarn, auch profitiert, vor allem aber ist es immer stark von diesen beeinflusst gewesen. Heute ist mehr denn je von Globalisierung die Rede. Dabei eine ge- wisse Eigenständigkeit zu bewahren, ist eine zen- trale Aufgabe, eine Herausforderung auch, seine eigene Identität zu behalten innerhalb dieser aktu- ellen Prozesse der Globalisierung und Integration. Dies scheint mir wichtig, vor allem auch in kultu- reller Hinsicht. Alfred Goop: Um eine persönliche Identität zu fin- den, aber auch eine liechtensteinische Identität, kann es hilfreich sein, sich mit Geschichte ausein- andersetzen. Je intensiver man das tut und je tiefer man eindringt in die lokale und die regionale Ge- schichte, aber auch in die allgemeine Geschichte, um so eher ist man in der Lage, sein Land richtig zu sehen und zu beurteilen. Insofern ist Geschichte ein identitätsstiftendes Medium. Das muss aber im täglichen Leben umgesetzt werden. Man muss ver- suchen, ein möglichst objektives Bild zu finden. Norbert W. Hasler: Die Geschichte ist ja etwas, das wächst. Liechtenstein ist nicht aus der Retorte ent- standen. Es war und ist alles stetig im Fluss. Aber das Gewachsene hat einen sehr hohen Stellenwert. Das ist letztlich Geschichte. Mit dem Begriff «Nati- on» kann ich nicht allzu viel anfangen. Es ist auch ein Begriff, der belastet ist. Ich könnte mir vorstel- 10) Die «Helbert-Chronik»; vgl. die Ausführungen weiter oben. 305