Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2001) (100)

richts und galt als «vir prudens», als kluger Mann mit solider Bildung und wachem Interesse - und schrieb eine Chronik. Es ist eigentlich schon etwas Ausserordentliches für unsere Situation hier im Lande, dass ein einfacher Landwirt in jener Zeit plötzlich etwas der Nachwelt schriftlich erhalten will, letztlich ein Dokument für seine persönliche Identität, aber auch für die Identität unseres Lan- des. Während 35 Jahren - von 1778 bis 1813 - schrieb Helbert alljährlich Aufzeichnungen nieder, die letzten davon kurz vor seinem Tod. Diese letz- ten Notizen betrafen die neue Feuerlöschordnung, die jedem Haus einen Löschkübel vorschrieb, über Schulordnung und Schulfonds, in den künftig jede Hochzeit zwei Gulden einzahlen sollte. Seinen eige- nen Aufzeichnungen stellte er einen Auszug aus Jo- hann Georg Pruggers «Feldkircher Chronik» aus dem Jahr 1685 voran. Helbert sieht seine Aufzeichnungen immer auch im regionalen Raum und interessiert sich für Ereig- nisse, die relativ weit weg passiert sind, die Fran- zösische Revolution 1789, und dann ganz zentral die Franzosenkriege, wodurch seine Heimatge- meinde Eschen direkt betroffen war. Dann interes- sieren ihn natürlich Aufzeichnungen über das Wet- ter, es gab Katastrophen, Brände, Hochwasser usw. Es ist ein Dokument, das für mich einen sehr ho- hen Stellenwert hat, wenn wir über den Begriff «Identität» reden. Alfred Goop: Ich könnte mir vorstellen, dass er im Rahmen der liechtensteinischen Geschichte einer der ersten war, der als einfacher Bauer eine liech- tensteinische Identität entwickelt hat. Er ist sich dessen bewusst geworden, dass man in einem ei- genen Staat lebt, und hat aus diesem Prozess her- aus dieses Werk dann auch geschrieben. Darin ist er natürlich ein Vorläufer von Peter Kaiser, der das ganz bewusst wahrgenommen hat. ES WAR UND IST ALLES STETIG IM FLUSS Norbert W. Hasler: «Identität» ist für mich ein phi- losophischer Begriff. Was heisst «Identität» eigent-lich? 
Ist es ein Seins-Begriff? Das «Dasein» alleine ist noch keine Identität. Vielleicht als Beispiel: da drüben wird gebaut, da kommt eine Palette mit Ziegel. Ein Ziegel ist wie der andere. Jeder hat sein «Dasein», aber von «Identität» ist da nicht viel, von einem Ziegel zum anderen. Das «So-Sein» ist, was «Identität» schafft. Durch seine Chronik10 schafft Helbert etwas Aussergewöhnliches im positiven Sinne, da ist eine Absicht dahinter. Natürlich ist das sehr subjektiv, aber das tut dem Ganzen keinen Abbruch. Er ist nicht einer, der nach objektiven Kriterien versucht, seine Zeitgeschichte aufzuzei- gen. Aber das zeigt genau eben auch seine Hand- schrift, seine Denkweise, seine Einmaligkeit, sein «So-Sein». Durch diese Chronik hat er sich - be- wusst oder unbewusst - eine «Identität» geschaf- fen. Alfred Goop: Ich habe mich auch gefragt, was der Begriff «Identität» meint? Es geht sicher darum, wie der heutige Liechtensteiner sich definiert und innerlich zu diesem Staat steht. Identität ist in ers- ter Linie ein philosophischer und psychologischer Begriff. Er kann bedeuten, dass eine Person sich mit ihrer Umwelt und mit sich eins fühlt und aus dem heraus agieren kann in der Welt. Inwiefern leistet Geschichte hier auch einen Beitrag? Wenn heute ein Liechtensteiner, ein jüngerer oder ein äl- terer, darüber nachdenkt, was bin ich und wo stehe ich, dann wird die Geschichte wohl auch hinein- spielen. Er empfindet sich als Liechtensteiner in diesem Kleinstaat in Europa, der historisch so ge- wachsen ist. Das Historische ist in der Substanz vorhanden, aber Identität ist darüber hinaus natür- lich auch mit aktuelleren Fragen behaftet. Manch- mal versuchen die Gesellschaft oder der Staat, Ge- schichte als identitätsstiftendes Medium zu nutzen. Ich denke zum Beispiel zurück an die 300-Jahr-Fei- erlichkeiten im Unterland. Dort ist für mich zu in- tensiv nach Identität gesucht worden. Ich hatte oft das Gefühl, da herrscht ein national-lokaler Über- schwang, der mir etwas zuviel wurde. Aber es war sicher ein Versuch, eine Identität zu stiften. Mir war der Aufwand zu gross und der Versuch zu be- grenzt auf das Unterland und seine Geschichte seit 304
	        

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