Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2001) (100)

«MUT HABEN, ANREGEN, DISKUSSIONEN ANFANGEN, DAS SIND SCHON AUFGABEN DES HISTORISCHEN VEREINS» gelegten Spinnereibetrieb. Rechts davon, in der Mitte des Bildes, sieht man die St. Josefskapelle, die etwas später erbaut wurde. Seit drei Jahren wohne ich ganz in der Nähe, im Prinzip in diesem Quartier. Ich denke, es ist eigentlich immer noch ein schönes Quartier, aber ich habe Angst, dass es analog zu demjenigen im Möliholz stark gefährdet ist. Längerfristig sowieso. Ich bin zwar im Bartlegrosch, unterhalb der Landstrasse aufgewachsen, aber mit diesem Quar- tier oberhalb der Landstrasse fühle ich mich eben- falls verbunden, weil ich hier jahrelang in der St. Josefskapelle ministriert habe. Auch die Primar- schule, die ich besucht habe, ist ganz in der Nähe. Es ist doch ein bisschen mein Daheim. In den älteren Häusern vis-ä-vis der St. Josefska- pelle wohnen praktisch nur Ausländerinnen und Ausländer. Ich meine, es ist auf eine Art noch span- nend, aber im Prinzip gibt es keinen Dialog. Das ist schade. Auch ist es so, dass sich die Leute zum Teil gar nicht grüssen. Ich wohne selbst in einem älteren Haus, welches 1926 erbaut wurde. Es ist eine sehr günstige 
3'/2- Zimmer-Wohnung. Ich bin überzeugt, viele Liech- tensteiner würden nicht mehr in so einem Haus wohnen wollen. Das ist mir zwar nicht ganz ver- ständlich, aber so ist es. Man soll das damalige Leben nicht romantisie- ren. Das war sicher auch sehr hart. Aber ich den- ke, dass die Liechtensteiner vielleicht deswegen nicht mehr in solchen Häusern leben wollen, weil sie nicht unbedingt oder nur ungern an die eigene Armut oder die früheren armen Verhältnisse erin- nert werden wollen. Ich glaube, das ist auch ein Zeichen von Unsicherheit, das sie damit zeigen. Sie können nicht mehr dazu stehen, dass es früher an- ders war. Im Prinzip hat das Land den schnellen Reichtum, der spätestens in den letzten 30 bis 40 Jahren eingesetzt hat, noch nicht verkraftet. Weder mental noch psychisch. Ich will jetzt nicht pessimi- stisch sein, aber manchmal erscheint mir die Tat- sache, dass wir das alles nicht richtig verarbeitet haben und wir nicht damit umgehen können, als Gefahr für die Zukunft. Dann nämlich, wenn es vielleicht wieder einmal «abwärts» gehen sollte. 
In der St. Josefskapelle ist jeden Sonntag Got- tesdienst, den ich oftmals besuche. Ich treffe im Gottesdienst aber nur wenige Leute aus den Nach- barhäusern, die zu Fuss in die Kirche kommen. Aber dafür hat es umso mehr Leute, die mit dem Auto hierher zum Gottesdienst fahren, weil dort, wo sie wohnen, vielleicht ein anderer Pfarrer mit einer anderen theologischen Ausrichtung tätig ist. Die kirchliche Gemeinschaft am Ort oder im Quar- tier ist also weitgehend nur noch eine fiktive. Von da her habe ich auch das Gefühl, dass diese zum Teil älteren Häuser im Quartier ebenfalls ein biss- chen Kulisse sind, die als Fassade von einer ver- gangenen Zeit künden. Aber das Leben hat sich verändert, um das wertfrei zu formulieren. Man kann nicht alles so erhalten wie es vor 500 oder 200 Jahren war. Was mir aber Angst macht, ist die Rasanz der Veränderung bei uns. Dass im Prinzip fast nichts mehr geblieben ist. Mir hat in diesem Zusammenhang auch der Leserbrief des liechtensteinischen Autors Stefan Sprenger sehr gut gefallen. Da nimmt er auch auf dieses Problem Bezug und sagt, dass es sich hier um eine Auslö- schung von Kulturlandschaft handelt.3 Helmut Konrad: Diese Entwicklung bedaure ich auch. Neben den einzelnen Objekten gilt meine Sorge noch mehr der raumplanerischen Entwick- lung, wie sie am Beispiel Schaan-Vaduz-Triesen zu sehen ist. Abgesehen von der Situation in den ein- zelnen Dörfern sind diese drei Dörfer beinahe schon zu einem einheitlichen Siedlungsgebiet zu- sammengewachsen, was für mich das Schreckge- spenst eines entstehenden Stadtstaates aufkom- men lässt. Der Charakter des Landes kann nicht mehr bewahrt werden, wenn es so weitergeht. Diese Entwicklung ganz allgemein und vor al- lem die Rasanz dieser Entwicklung machen mich mehr betroffen als das Verschwinden einzelner Ob- jekte. Wobei schon klar ist, dass das Eine das An- dere letztlich bedingt, dass bei beidem dieselbe Denkweise dahinter steckt. Ich ertappe mich im- 3) LVolksblatt, LVaterland. 18. Januar 2001. 291
	        

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