Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2001) (100)

«MUT HABEN, ANREGEN, DISKUSSIONEN ANFANGEN, DAS SIND SCHON AUFGABEN DES HISTORISCHEN VEREINS» Veronika Marxer: Die Frauen haben sich nicht frei- willig hinter dem Herd verkrochen. Sie sind aus der Öffentlichkeit verdrängt worden. Es handelt sich hierbei um einen komplizierten Prozess, der mit der Etablierung des Bürgertums im 19. Jahrhun- dert zusammenhängt. Die Ideologie des Bürger- tums schrieb den Frauen den Innenbereich zu. Sie standen für das «Private», das heisst für Familie, Haushalt und Atmosphäre. Der Mann war für den Aussenbereich zuständig und damit auch für all das, was mit «Öffentlichkeit» zu tun hatte. Die Frau galt als Ergänzung des Mannes, oder genauer als dessen Zudienerin. Sie wurde nicht als eigenstän- diges Subjekt betrachtet. Diese Ideologie steckt heute noch in vielen Köpfen. Das schlechte Resultat der Frauen bei den letzten Landtagswahlen hat mit diesen Vorstellungen zu tun. Man darf sich nicht einfach mit dem Hinweis auf die fehlende Tradition begnügen. Man muss schon genauer hinschauen. In welchem Interesse wurden die Frauen aus der Öffentlichkeit verdrängt? Wer war beteiligt? Wel- che Umstände haben diesen Prozess ermöglicht? Die Geschichtswissenschaft kann da durchaus Ant- worten geben. Besonders die Geschlechterge- schichte hat da schon einiges geleistet. Es ist hier in Liechtenstein einfach die Frage, wieweit die Er- gebnisse von der Forschung auch rezipiert werden. Wichtig scheint mir auch, dass man sich als For- scherin oder Vermittlerin von Geschichte bewusst ist, dass man von der eigenen Person nicht abstra- hieren kann. Die Herkunft, das Alter, das Ge- schlecht, all dies prägt den Blick auf ein bestimm- tes Thema. Dies gilt natürlich auch, wenn die for- schende Person ein Mann ist. Die sogenannte allge- meine Geschichte, die bis vor wenigen Jahrzehnten ausschliesslich von Männern geschrieben wurde, kann unter diesen Voraussetzungen gar keine all- gemeine Geschichte sein. Sie ist eine Geschichte, die das Selbstverständnis des Mannes ausdrückt und die Sicht des Mannes auf die Welt. Das scheint mir, ist so. Rupert Quaderer: Man könnte sich bemühen, eine Verbesserung oder Veränderung in dem Sinne her- beizuführen, dass man ein Problembewusstsein zu 
schaffen versucht. Man sollte sich der Problematik mindestens bewusst sein oder stärker bewusst werden, wenn man als Mann an die Behandlung ei- ner historischen Frage herangeht. Man sollte sich klar darüber sein, dass man seine Person ein- bringt. Im Grunde genommen müsste weder eine Männergeschichte noch eine Frauengeschichte re- sultieren, sondern eine Menschengeschichte, die alle Bedingungen umfasst, unter denen wir leben. Das wäre dann auch sozialgeschichtlich wichtig. Es ist ja nicht nur so, dass die Frauen nicht vorkom- men, es kommen ja auch gewisse Schichten nicht oder nur am Rande vor, zum Beispiel soziale Unter- schichten. Die früheren Geschichtsdarstellungen sind vielfach Herrschergeschichte oder Kriegsge- schichte. Veronika Marxer: Man darf eines nicht vergessen: In der Geschichtsschreibung stand lange Zeit die politische Geschichte im Vordergrund und dies nicht nur in Liechtenstein. In den 1960er und 1970er Jahren kam dann die Sozial- und Wirt- schaftsgeschichte dazu und erstmals wurde auch von Frauengeschichte gesprochen. Aus dieser ent- wickelte sich in den 1980er Jahren die Geschlech- tergeschichte. Die Geschlechtergeschichte fordert, dass man das Geschlecht als analytische Kategorie in jeder historischen Untersuchung mitberücksich- tigt. Wenn du also von Volk redest, musst du das mitdenken: wer ist denn dieses Volk? Dieser Ansatz verändert die Sicht nochmals radikal und hat dann auch ein ganz anderes Geschichtsbild zur Folge. Rupert Quaderer: Als ich meine Arbeit über die liechtensteinische Militärgeschichte schrieb - das tönt ja eigentlich grausam: Militärgeschichte! - als ich die Quellen aufarbeitete, bin ich auf so viele so- ziale Informationen gestossen.1 Und zwar, weil Leute aus dem Volk zur Sprache kommen, die in 1) Rupert Quaderer-Vogt: «... wird das Contingent als das Unglück des Landes angesehen...» Liechtensteinische Militärgeschichte 1814-1849. In: JBL 90 (1991). S. 1-281. 285
	        

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