Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2001) (100)

tensteiner Volk, Träger des Staatswillens: Urteile selbst! - Des Volkes Wille ist sein Schicksal!» Im Jahr 1926 wurde diese Aussage gemacht! Erstaun- lich und für mich ab und zu fast ein bisschen trau- rig ist es, wenn ich sehe, wie anno 1926 das Volk und seine Vertreter selbstbewusst aufgetreten sind. Wenn ich es mit der heutigen Zeit vergleiche, dann würde ich sagen, zumindest sind wir nicht weiter gekommen. Es sind mehr Ängste vorhanden. Aus meiner Perspektive hängt das mit dem Wohlstand zusammen, den man nicht mehr aufs Spiel setzen will. Ich befürchte, viele denken, dass es uns ja materiell gut geht, also will man nicht zu sehr an diesem Zustand rütteln. Da früher weniger Wohlstand gegeben war, hatten die Leute auch mehr Hoffnung auf eine positive materielle Verän- derung. Heute kann sich kaum mehr eine materiel- le Verbesserung einstellen. Veronika Marxer: Ich habe das Bedürfnis, noch ein drittes Blatt dazu zu legen, denn ein Teil des Volkes fehlt. Wer ist dieser Bürger, wer ist dieses Volk? Die Frauen haben in Liechtenstein erst 1984 das Stimm- und Wahlrecht erlangt. Wenn man von ih- rer Geschichte ausgeht, wurde erst 1984 das Volk zum «Träger des Staatswillens». Vorher handelte es sich ausschliesslich um den männlichen Teil der Bevölkerung und dieser Teil definierte und defi- niert bis heute auch den «Staatswillen». Müsste man also nicht noch eine dritte Aussage dazu le- gen, die den Schritt der Frauen von der politischen Bevormundung zur gleichberechtigten Teilnahme am öffentlichen Geschehen dokumentiert? Rupert Quaderer: In der erwähnten Zeit war der Begriff sicher so gemeint, wie er da steht, männlich ausgerichtet. Von der Bürgerin war 1848 nicht die Rede, und auch 1926 war dieses Denken noch nicht gegeben. Aber von heute aus kann ich sagen, dass für mich im Begriff «Volk» alle Menschen ent- halten sind. Ich meine schon, dass wir in Sachen Gleichstellung der Geschlechter noch einiges aufzu- arbeiten haben; dies kommt etwa zum Ausdruck, 
wenn wir die aktuellen Ergebnisse der Landtags- wahlen 2001 anschauen: von den 25 Parlaments- mitgliedern sind lediglich drei Frauen. Jene, welche die Macht haben, geben die Macht von sich aus nicht her. Das würde ich als Leitsatz einmal so sagen. Die Machtlosen mussten den Mächtigen entgegentreten, auch wenn diese den Beinamen «der Gute» (Fürst Johannes IL, 1858 bis 1929) hatten. Das Volk musste in der Vergangen- heit für die Erweiterung seiner Rechte kämpfen, und das wird weiterhin der Fall sein. Ich gehe nicht von der Hoffnung aus, dass die Mächtigen freiwillig etwas von ihrer Macht abgeben. Die Männer haben ihre Privilegien auch nicht von sich aus abgegeben. Veronika Marxer: Das ist für mich der Faden, der durchgeht: die Frage nach der Herrschaft, nach der Macht. Das drückt sich in der Verfassung aus, wo es um die Rechte der Bürgerinnen und Bürger geht. Und es drückt sich auch im Verhältnis der Ge- schlechter aus. Auch dort geht es um Macht. Dass dieses Verhältnis noch lange nicht ausgeglichen ist, zeigen tatsächlich die jüngsten Landtagswahlen. ... UND HAT DANN AUCH EIN GANZ ANDERES GESCHICHTSBILD ZUR FOLGE Rupert Quaderer: Was kann die Wirkung des Histo- rischen Vereins sein in Bezug auf die Darstellung der Rolle der Frauen in der Geschichte? Dass die Frauen in der Geschichtsschreibung eine geringe Beachtung gefunden haben, ist Ausdruck der männlich dominierten politischen Geschichts- schreibung, wie sie bis vor wenigen Jahren - viel- leicht Jahrzehnten - betrieben wurde. Die politi- sche Geschichte wird von Männern dominiert und darum finden die Frauen darin kaum Beachtung. Sie haben politisch keine Rolle gespielt; sie waren politisch unbedeutend in der Vergangenheit. Veronika Marxer: Die Frage ist einfach, wieso? Rupert Quaderer: Das ist ein Faktum. 284
	        

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