Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2001) (100)

Der Historische Verein kann sich also einer breiten Unterstützung erfreuen. Die im Jahrbuch jeweils veröffentlichten Jahresberichte geben ausführlich Auskunft über verschiedene öffentliche und private Spenden. Diese materielle Hilfe ist gleichzeitig auch ideeller Beistand. Sie ist Ausdruck der Wertschät- zung der Arbeit des Historischen Vereins. Die erwähnte Förderung ist vor allem auch des- halb wertvoll, weil die Ergebnisse der unterstütz- ten Projekte manchmal lange auf sich warten las- sen. Der Historische Verein betreibt eben keine Event-Kultur. Mit uns zusammenzuarbeiten braucht Geduld. Wir streben nicht nach Resultaten für den Augenblick, wir lösen keine eruptiven Kurzzeit- knalleffekte aus. Der Historische Verein geht viel- leicht manchmal seltsam anmutenden Fragen nach, zum Beispiel der Frage nach der «Nützlich- keit des scheinbar Unnützen» (Zitat nach Gerard Batliner). Er nimmt sich die Freiheit der Müsse, den Fragen gründlich nachzugehen und nicht ba- nausisch nach schnellen Ergebnissen zu schielen. Geschichtsforschung - vor allem die Grundlagen- forschung - ist eine auf Langzeitwirkung ausge- richtete Tätigkeit. Wir machen keinen Spektakel und bieten kein Spektakel; weder Lärm noch Schauspiel sind unsere Sache. Die Projekte des Hi- storischen Vereins schaffen Grundlagen, sie bieten Fundamente an für die weitere Forschung. Man könnte überspitzt formulieren: Unsere Stärke ist die lange Weile, im Sinne des Sprichwortes: Gut Ding will Weile haben. Dieses Streben ist verbun- den mit dem Bemühen um Gründlichkeit, Wahrhaf- tigkeit, Wissenschaftlichkeit. Die Bedeutung der Geschichtswissenschaft ist in letzter Zeit ausserhalb und innerhalb Liechten- steins im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Geschichte des Zweiten Weltkrieges wieder offen- bar geworden. Das ist aus der Sicht der Geschichts- forschung erfreulich. Es ist jedoch notwendig, da- rauf hinzuweisen, dass die Erforschung der Ge- schichte nicht nur auf einen zeitlich eng limitierten Abschnitt begrenzt werden darf. Dieses auf eine Auswahl hin orientierte, eklektische Geschichtsver- ständnis setzt sich der Gefahr des Utilitarismus aus und birgt das Risiko des Verdrängens in sich, dass 
man nämlich diejenigen Bereiche bearbeitet oder bearbeiten lässt, die keine unangenehmen Er- kenntnisse erwarten lassen. Das Wort «Geschich- te» ist ja doppeldeutig. Einmal steckt in ihm der Be- griff «Geschehen», im Sinne von «Geschehnis, Be- gebenheit, Ereignis», es sind die «res gestae». Ge- schichte ist also das, was geschehen ist. In zweiter Bedeutung verwenden wir seit dem 15. Jahrhun- dert das Wort im Sinne von Erforschung des Ge- schehenen, also die «historia rerum gestarum». Daraus kann zweierlei abgeleitet werden: 1. Es ist für das Erfassen der Vergangenheit wichtig, das Geschehene in Zusammenhängen zu betrachten. Geschichte ist nicht teilbar, weder re- gional noch zeitlich. Das heisst, wir müssen die Kontinuität der Geschichte berücksichtigen und zu- sätzlich auch über die heutigen Landesgrenzen hinausschauen. Von dieser Warte aus betrachtet, ist es eben wichtig, Grundlagen zu schaffen, welche die Erforschung ermöglichen (Urkundenbuch, Na- menbuch, HLFL, Archäologie). Ohne Aufarbeitung der Quellengrundlage (im weiteren Sinne verstan- den, dazu gehört auch zum Beispiel die Namenfor- schung) gibt es keine Geschichtsforschung und kei- ne Darstellung ihrer Ergebnisse. 2. Wir müssen uns der Geschichte, dem Gesche- henen, stellen. Die Geschichte holt uns ein, ob mit unserem oder ohne unser Zutun. Die Geschichte kann weder vom Individuum noch von der Gesell- schaft auf die Dauer vernachlässigt und noch weni- ger verdrängt werden. Geschehenes hört nicht auf zu existieren, wenn man es absichtlich übersieht. Es ist besser, sich der Geschichte zu stellen, als von ihr zur Rede gestellt zu werden. Wir müssen darauf achten, nicht nur Teilbereiche unserer Geschichte aufzuarbeiten. Die gesamte Geschichte eines Vol- kes und eines Staates ist für seine Gegenwart, für das Setzen von Beziehungspunkten und das Schaf- fen von Vernetzungen von Bedeutung. Darum gehören zu unserer Geschichte sowohl die Er- kenntnisse aus der archäologischen Forschung als auch diejenigen aus dem Mittelalter und aus der Neuzeit und ebenso die der Gegenwartsgeschichte. Ich komme zurück auf die anfänglich erwähnte Selbstbesinnung und Selbstbestimmung und damit 6
	        

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