Volltext: Beiträge zum liechtensteinischen Selbstverständnis

liehe Ordnung weichen. Der Bauer wurde befreit von den vielen feudalen Lasten und herausgelöst aus der Fülle von genossenschaftli­ chen Verpflichtungen. Die Gemeinheiten in der Talebene wurden ins Privateigentum der Bürger aufgeteilt. Gleichzeitig fielen eine Reihe von alten Monopolen, die Gewerbe und Handel eingeschränkt hatten, dahin. Bauernbefreiung, Handels- und Gewerbefreiheit waren die Parolen dieser Zeit. Das Individuum wurde von unzähligen Bindun­ gen an die Gemeinschaft oder an die Landesherrschaft befreit. In ihm wurden ungeahnte Kräfte frei. Der private Eigennutz wurde wichtigste wirtschaftliche Triebfeder. Ein allgemeiner wirtschaft­ licher Aufschwung war die Folge. Insofern war der Bruch mit der alten Ordnung mehr als berechtigt. Allerdings mußte schon zu Ende des letzten Jahrhunderts die Freiheit des Individuums wieder ein­ geschränkt werden. Die ungebändigte Freiheit des einen war zur un­ erträglichen Bedrückung des anderen geworden. Es stellte sich die Forderung nach sozialem Ausgleich. In diesem Spannungsfeld zwi­ schen persönlichem Freiheitsraum und den Interessen der Gemein­ schaft erfolgen auch heute die politischen Entscheidungen. Fragen wir nach unseren heutigen Bindungen zur staatlichen Gemein­ schaft Liechtenstein, so müssen wir feststellen, daß diese längst nicht mehr so eng und direkt sind, wie diejenigen unserer Vorfahren. Ich möchte nun mit der geschichtlichen Rückschau und der eben ge­ machten Feststellung nicht etwa der Vergangenheit nachtrauern oder gar die unmögliche Forderung nach Wiederherstellung alter Struk­ turen erheben. Der Vergleich mit vergangenen Zuständen soll ledig­ lich dazu beitragen, Probleme von heute nicht losgelöst von der Ver­ gangenheit zu bewältigen suchen. Untertanenverband und Genossengemeinde sind vergangen. Der heutige Staat ist fast zum Feind des einzelnen, zumindest zu einem unangenehmen Zeitgenossen und Gegenüber geworden. Der Privat­ mann kann sich nur schwer mit ihm identifizieren. Darf man erwar­ ten, daß sich angesichts der verschiedenen Probleme und Gefahren, die sich unserem Lande von innen und außen stellen, eine neue Art von «Gemeinheiten» bilden, ein neuer «Genossenschaftsverband» entstehen wird? Die Gefahr der zentralistischen Einheitsidee und Uniformität, des Aufgehens ohne Eigenständigkeit in einem großen Ganzen, die Knappheit unseres Lebensraumes und die daraus er­ wachsende Forderung nach sparsamem und geplantem Umgehen mit dem Eigenen, nach gerechter Verteilung der Lasten und der materiel­ len und geistigen Mittel und viele andere Zeitfragen müßten uns eigentlich herausfordern. All dies wäre Anlaß dazu, unsere Bezie­ hungen zur staatlichen Gemeinschaft neu zu überdenken und zu ge­ 86
	        

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