Volltext: Beiträge zum liechtensteinischen Selbstverständnis

Zuflucht verschaffen, denen es in ihrer Heimat sonst schlimm er­ gangen wäre. Gegen Ende des Krieges mußte ich dann selbst — es war im Februar 1945 — aus Deutschland fliehen, fand als Emi­ grant im Lande Liechtenstein Aufnahme und lebte bei meiner Mutter. Daß ich damals Liechtenstein für einige Zeit nicht verlassen durfte, fiel mir bei meinem reisefreudigen Temperament schwer. Aber so wanderte ich viel durch die Weinberge, durch die Wälder der Berg­ hänge und lernte das mir bisher fremd gebliebene Land und die lie­ benswürdigen und warmherzigen Liechtensteiner Menschen kennen und schätzen, ein Menschenschlag, der dem Vorarlberger ähnlicher ist als dem oft recht verschlossenen Schweizer auf der anderen Rhein­ seite. Natürlich wollte ich nach dem Kriege wieder zu meinem Verlag nach Hamburg zurückkehren. Aber viele Gespräche mit Liechtensteinern, deren offenes freies Wesen mir immer mehr gefiel und die sich ver­ stärkende Krankheit meiner Mutter, sowie Verpflichtungen hier in Vaduz überzeugten mich, meinen Wohnsitz endgültig hier zu neh­ men und den Verlag in Deutschland neben häufigen Besuchen von Vaduz aus fernzuleiten. Meine Frau, die ebenfalls aus Norddeutsch­ land stammte und anfangs hier oft das Gefühl hatte, die «Drei Schwestern» würden auf unser Haus herunterfallen, hat sich schnel­ ler in Vaduz eingelebt als ich, obgleich sie ebenfalls immer in Groß­ städten gelebt hatte, dort Pressezeichnerin war und anfangs von hier noch ihrem Beruf nachging. Inzwischen ist mit den Jahren aus dem Agrarstaat Liechtenstein, vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, ein hochentwickelter Industrie­ staat geworden, der heute im Vergleich zu seiner Einwohnerzahl der am meisten exportierende Staat Europas wurde. Und diese Wand­ lung vollzog sich ohne soziale Spannungen, auch dank der Initiative von vorwiegend unternehmungsfreudigen Liechtensteinern. Jeden Morgen kommen heute aus dem benachbarten Österreich wie aus der Schweiz die Arbeiter in Wagen und Omnibussen angefahren. Ich habe erlebt, wie aus den ausgeruhten Schichten der Bauern und kleinen Handwerker eine aufgeschlossene, lernfreudige und sympa­ thische Jugend heranwuchs, und kaum einem stieg der wachsende Reichtum des Landes sowie seine gehobene soziale Stellung zu Kopfe. Der Bub zum Beispiel, der jeden Morgen vor der Schule die Brötchen im Villenviertel, das inzwischen um unser Haus entstanden war, aus­ trug, studierte später Germanistik, war wissenschaftlicher Hilfs­ arbeiter an einer Westschweizer Universität, wurde Lehrer am hiesi­ gen Gymnasium, dem Marianum, und ist heute der Schulkommissär des Landes. 33
	        

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