Volltext: Beiträge zum liechtensteinischen Selbstverständnis

den Bezug der AHV. Das Recht wird in der Demokratie vom Volk bestimmt. Besitzt das Volk jene «Gerechtigkeit», jene Einsicht in das, was recht ist, nicht, so wird es eben das rechte Recht nicht fin­ den. Woher aber erlangt der Bürger den Sinn für Gerechtigkeit? Von Wort und Tat der Mutter, des Vaters, des Lehrers, der Gestalten aus Geschichten, Geschichte und Gegenwart, aus Bibel, Zeitungen, Büchern, andern Medien, aus dem Verhalten der bestehenden Ge­ sellschaft, aus eigenem Denken vielleicht. Alle tragen sie Verantwor­ tung, daß der Rechtssinn nicht im bloßen, so trügerischen «Rechts­ gefühl» stecken bleibt. Da Einsicht in das, was rechtens ist, heute aber auch mehr und mehr an Sachwissen geknüpft ist und da endlich in der modernen plura­ listischen Gesellschaft das, was recht sei, verschieden bestimmt wer­ den kann, so wird da, wo dem Volk Sachwissen fehlt, wo ihm Denk­ vermögen und Kritikfähigkeit abgehen, auch dem demokratischen Staat bald das Rechte mangeln. Auch Rousseau sieht für das richtige Funktionieren der voll ausge­ bauten Demokratie, wie er sie in seinem oft mißverstandenen «Con- trat social» vorzeichnet, als eine Bedingung vor, daß das Volk «in­ formiert» sei,4 weil sonst die von ihm beschlossenen Gesetze nicht Ausdruck des Allgemeinwillens sind, also nicht das allgemeine Wohl anstreben können. «Informiert» ist hier im weitesten Sinne gemeint. Konkret auf Liechtenstein angewandt — und allerdings in jeder Demokratie als Notwendigkeit erkannt — heißt das: Jeder Liechten­ steiner muß soviel Kenntnis in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik gewinnen, daß er «mitreden», echt mitentscheiden und so sein politi­ sches Interesse bewahren kann und daß er selbst dann, wenn es ihm einmal nicht mehr so gut gehen sollte, der Sachlage mit kühlem Ver­ stand, eben sach-gerecht, und nicht mit Geschrei und anklagendem Finger begegnet. Jene Kenntnisse dürfen freilich nicht auf liechten­ steinische Verhältnisse beschränkt bleiben, denn die marktwirtschaft­ lich orientierte liechtensteinische Wirtschaft, das bürgerliche Gesell­ schaftssystem und die christlichsoziale, traditionsbestimmte Politik Liechtensteins beschlagen nur einen geringen Ausschnitt aus der Bandbreite der vielgestaltigen heutigen Welt und ihrer Probleme. Hier treffen sich Innen- und Außenpolitik in ihrer Forderung nach breitester Bildung, «Allgemein-Bildung» im doppelten Sinne. Sie ist Voraussetzung für das Bestehen der Demokratie im Innern und Er­ haltung des Kleinstaates nach außen. 4) Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat social, ou principes du droit politique, Flammarion, Paris o. J., livre II, chap. II. 28
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.