Gutachten
über den
ZolllmschW Liechtensteins
an die Schweiz
Dem
Landtag -es Fürstentums Liechtenstein
erstattet von
Dr. Iakob Lorenz, Privatdozent
an der Lidgen. Techn. Hochschule
C7^^^C>
Sehr geehrter Herr Lanütagspräsiüent !
Sehr geehrte Herren Abgeordnete!
Die Aufgabe des vorliegenden Gutachtens ist
eine doppelte. Es ist zu prüfen:
1. Ob ein Anschluß des Fürstentums Liechten-
stein an das schweizerische Zollgebiet den In-
teressen der liechtensteinischen Volks- und
Staatswirtfchast diene;
2. Ob der unter gegenseitigem Ratifikationsvor-
behalt zwischen Sr. Durchlaucht dem regie-
renden Fürsten von Liechtenstein und dem
Schweizerischen Bundesrat am 29. März 1923
abgeschlossene Staatsoertrag den volkswirt-
schaftlichen und fiskalischen Interessen des
Fürstentums Liechtenstein gebührend Rech-
nung trage.
Der erste Teil des Gutachtens handelt somit
von der Zollvereinigung Liechtensteins mit der
Schweiz im allgemeinen, während der zweite
Teil sich mit dem erwähnten Staatsvertrage be-
schäftigt. Alles unter Ausschluß politischer und
juristischer (auch der staatsrechtlichen) Erwä-
gungen.
I.
.V. Es kann als Axiom betrachtet werden, daß
es das an sich Wünschenswerteste ist, daß ein
souveräner Staat auch seine Zollverhältnisse
autonom ordnet. Bei der Prüfung der vorlie-
genden Frage wird daher in erster Linie zu
untersuchen sein, ob das Fürstentum
Liechtenstein in der Lage wäre, un-
ter Berücksichtigung seiner volks-
wirtschaftlichen und fiskalischen
Bedürfnisse dauernd selbständi-
ges Zollgebiet zu bleiben.
Zur Abklärung dieser Frage sollen vorerst
die volkswirtschaftlichen und fis-
kalischen Bedürfnisse Liechtensteins in
großen Umrissen festgehalten werden. Daran
wird sich eine kurze Darlegung der bis-
herigen Stellung Liechtensteins in
Bezug auf die Zollfrage schließen,
worauf diese D o r f r a g e auf Grund der heuti-
gen Verhältnisse abzuklären ist.
1. Die volkswirtschaftlichen Bedürfnisse des
Landes Liechtenstein ergeben sich aus seiner wirt-
schaftlichen Struktur (a), die fiskalischen aus der
Lage seiner Finanzen (d).
a) Die wirtschaftliche Struktur des
Fürstentums kann mangels einer eingehenden
Landesstatistik nur in ihren groben Umrissen be-
schrieben werden.
Rach den Ergebnissen der letzten summari-
schen Volkszählung vom 31. Dezember
1922 hatte Liechtenstein eine Bevölkerung von
11,868 Personen. Hiervon waren 3831 Einhei-
mische als „abwesend" gemeldet. Man zählte
1619 Familienvorstände. Die Zahl der Grund-
besitzer wurde mit 1300 angegeben. Als Ge-
werbsleute wurden 1877 aufgeführt. Die Bo-
de n f l ä ch e von 187 km* verteilt sich schät-
zungsweise folgendermaßen:
Ackerland (1918) 400 da
Wiesland *) (1916) 4600 da
Wald (1918) 2700 da
Streuland 1800 da
Alpen 2700 da
Unproduktiv 3800 da
Die Bevölkerungszahl und besonders die
hohe Ziffer der Bodenbesitzer zeigen bei geringer
Ausdehnung der landwirtschaftlich nutzbaren
Fläche deutlich auf eine starke Zersplitterung des
Grundbesitzes hin. Schon lange ist die Aufnahme
des natürlichen Bevölkerungszuwachses, die in
Liechtenstein sehr stark ist, durch die Landwirt-
schaft an der Grenze angelangt. Daher hat denn
auch Liechtenstein eine starke Auswanderung.
Die Industrie ist — als innere Aufnahmequelle
des Bevölkerungsüberfchusies — wenig entwik-
kelt. Zur Zeit sind etwa 600 Personen in drei
Textilfabriken (Spinnereien und Webereien) be-
schäftigt. Die Kapazität der drei Etablissemente
mit zirka 800 Webstühlen und 28,000 Windeln
ist gegenwärtig nicht voll ausgenützt. So weit
die männliche erwerbstätige Bevölkerung nicht in
der Landwirtschaft beschäftigt ist, gehört sie zu
einem sehr großen Teil dem sog. „schweren"
Handwerk, dem Baugewerbe an. Für liechten-
steinische Verhältnisse ist in hohem Maße die
*) geschätzt am Biehstand.
4
starke Verbindung zwischen Landwirtschaft und
Gewerbe typisch, welche im Oberlande ausgespro-
chener ist, als im Unterland, das einen rein
landwirtschaftlichen Charakter hat. Von den ein-
heimischen Familien sind wenige, die nicht ihr
Stück Ackerland oder Wiesland haben. In der
Gemeinde Vaduz wurde diese Bindung an das
Land während des Krieges durch umfangreiche
Rodungen und Verteilung des urbarisierten
Landes unter die Einwohner gefördert.
Die liechtensteinische Volkswirtschaft verzeich-
net überschüssige Produktion in Vieh.
Wein und Holz. Im Jahre 1921 gelangten 1769
Stück V i e h zur Ausfuhr. Bis zum Jahre 1918
nahmen Oesterreich und Deutschland weitaus den
größten Teil auf. Die Weinausfuhr war
ebenfalls beträchtlich. Ueber diese und die Holz-
ausfuhr sind wir zahlenmäßig nicht unter-
richtet. Die Milchausfuhr und der Kar-
toffelexport hat im Unterland lokale
Bedeutung, ebenso etwas Streue ausfuhr.
Als weiteres Aktivum in der liechtensteinischen
Wirtschastsbilanz muß der bisher noch wenig
entwickelte Fremdenverkehr gebucht wer-
den. Ebenso ist die Auswanderung, we-
nigstens die temporäre, die früher eine
sehr große Bedeutung hatte und die heute wieder
im Zunehmen begriffen ist, als Aktivum einzu-
stellen. Die im Lande vorhandenen Wasser-
kräfte sind erst lokal und zu einem kleinen
Teil ausgenützt. Einen bedeutenden Aktivposten
stellt der Verdienst aus den Fabriken dar,
welcher heute infolge des Wegfalles früher zum
Teil verwendeter ausländischer Arbeitskräfte in
höherem Maße als ehedem Liechtenstein zufällt.
Auf der P a s s i v s e i t e der liechtensteini-
schen Wirtschastsbilanz steht im Wesentlichen nur
die Einfuhr an vorwiegend pflanzlichen Nah-
rungsmitteln und von Bedarfsgegenständen. Die
Verschuldung an das Ausland ist gering.
Fasten wir auf Grund dieser Darlegungen
die Bedürfnisse der liechtensteinischen Volkswirt-
schaft zusammen, so muß folgendes gesagt wer-
den: Liechtenstein muß versuchen, die S e l b st -
Versorgung an pflanzlichen Nahrungsmit-
teln zu heben. Durch planmäßige Güter-
zufammenlegung u. durch großangelegte
Melioration überschüssigen Streuelandes
können die Erträge des Landes an solchen ge-
hoben werden. Dies ist aber eine l a n g f r i -
st i g e und kapitalerheischende Auf-
gabe, für welche die Mittel infolge der
Kapitalarmut des Landes erst erarbeitet
werden müssen. Daher muß darauf Bedacht
genommen werden, die Ueberfchüsse der
Ausfuhrzu erhöhen. Vieh-, Wein- und
Holzexport sind zu fördern. Besonders wichtig
ist aber die Unterbringung des liech-
tensteinischen Bevölkerungsüber-
schusses. Soll dieser dem Lande etwas
abtragen, so müssen die In du str i e n vermehrt
werden oder aber es ist danach zu trachten, die
Saisonauswanderung liechtensteinischer
Arbeitskräfte zu heben oder für liechtensteinische
Arbeitskräfte in ausländischen benachbarten
Fabriken Arbeit zu finden unter Beibehaltung
des Wohnsitzes in Liechtenstein. Endlich ist ein
großes Gewicht auf die F ö r d e r u n g des
Fremdenverkehrs zu legen.
Gewiß kommen für die liechtensteinische
Volkswirtschaft noch andere kapitalbildende Fak-
toren in Betracht. Allein wir beschränkten uns
auf jene Punkte, die in einem besonders engen
Zusammenhange mit der Zollfrage stehen.
d) Wie steht es nun mit den fiskalischen
Bedürfnissen? Die Staatsrechnung für
1922 ergab einen Ausgabenüberschuß von
Fr. 196,573.28. Die einzelnen Posten der Rech-
nung waren die folgenden:
Einnahmen 1922 Fr-
Pachtgefälle 13,602.90
Mietzinsen 2,822. —
Steuern 44,779.14
Zölle 160,241. 46
Post und Telegraph 71.334.55
Taxen und Stempel 47,322.35
Rückerfatz und Sparkassa 9,000.—
Amortisation Lawena-Werk 8,000.—
Div. Einnahmen 7,553. 38
Durchlaufende Verrechnung ■ 8,063.54
372,719. 32
Ausgaben 1922: Fr.
Landtag 19,213.19
Administration und Gericht 132,440.62
Schulwesen 108,458. 01
Grenzwache 42,920.05
Post und Telegraph 84,752.11
Verkehrswesen 1,778.26
Sanität 548.30
Landeskultur 71,351. 38
Schuldentilgung 20,000. —
Zinsendienst 40,623.50
Elektrizitätswerk .
Diversa 32,092.86
Durchlaufende Verrechnung 15,114.19
569,292.60
In der Staatsrechnung figurieren die Zoll-
einnahmen mit Summa Fr. 160,241.46. Die
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Ausgaben haben für die oben skizzierten volks-
wirtschaftlichen Bedürfnisse, denen zum Teil ohne
staatliche Beihülfe nicht Rechnung getragen wer-
den kann, höchst bescheidene Beträge aufzuweisen
(f. die Posten Landeskultur, Elektrizitätswerk!).
Die Erträgnisse der neuen Steuern können vor-
sichtig mit höchstens Fr. 160,000.— eingeschätzt
werden, so daß ohne die gewiß dringliche inten-
sive Förderung der liechtensteinischen Volkswirt-
schaft durch den Staat auch im Jahre 1923 das
Gleichgewicht der Einnahmen und Ausgaben
kaum erreicht wird. Es ergibt sich daher die für
uns sehr wichtige Tatsache, daß das Land
nicht nur in Bezug auf seine Zoll-
politik durch staatliche Notwendig-
keiten nach Maßgabe der bisheri-
gen Zollerträge gebunden ist, son-
dern daß es darauf halten muß,
diese Einnahmen zu erhöhen. Nach
der erst erfolgten Einführung eines neuen
Steuergesetzes ist an eine weitere Belastung der
Bevölkerung aus anderem Wege nicht zu denken.
So zeigt sich denn auch für Liechtenstein die heute
allgemein verbreitete Konstellation, daß die
Zollpolitik des Landes nicht aus-
schließlich auf die wirtschaftlichen
Bedürfnisse abstellen kann, son-
dern auch auf die Staatsfinanzen
Rückfichtzu nehmen hat. Ein unbefrie-
digender Zustand da, wo die volkswirtschaftlichen
Bedürfnisse die Aufhebung der Zollschranken er-
heischen, ein befriedigender dagegen, wo die Zoll-
auflagen nicht nur die Landeskasfe speisen, son-
dern auch der Volkswirtschaft förderlich sind.
2. Nachdem wir die volks- und staatswirt-
schastlichen Bedürfnisse des Landes kurz skizziert
haben, gehen wir zur Schilderung der bishe-
rigen Entwicklung der zollpoliti-
schen Verhältnisse über. Wir unterschei-
den zwei Perioden: Die Zollunion mit Oester-
reich (a) und die Entwicklung seit der Auflösung
des Zollvertages mit der zerfallenen Monar-
chie (d).
n) Liechtenstein konnte in der Vergangenheit,
wie alle kleinen Staaten in ähnlicher Lage (Mo-
naco. Andorra, San Marino) seine zollpolitische
Selbständigkeit nicht wahren. Der Umstand,
daß Liechtenstein dem deutschen Zollverein nicht
angeschlossen war, führte in den 40er Jahren zu
einer Bittschrift an den Fürsten (vom 24. März
1848), worin Klage über den langjährigen kom-
merziellen Ausschluß von Deutschland geführt
wurde. Im Jahre 1852 kam der erste Zoll-
vertrag mit Oesterreich zustande, der am 23.
Dezember 1863 durch einen wesentlich günsti-
geren abgelöst wurde. Die Vertragsdauer war
auf 12 Jahre vorgesehen.
Das Abkommen von 1876, das nach ziemlich
mühevollen Verhandlungen zustande kam,
dauerte bis im Jahre 1919 fort und war für
Liechtenstein günstig. Es sah, wie übrigens
schon seine beiden Vorgänger, für Liechtenstein
und Oesterreich die Gemeinsamkeit der Zölle und
Verzehrungssteuern vor. Daß Liechtenstein dabei
gut fuhr, geht aus folgenden Zahlen hervor, die
einer verdienstvollen Publikation im „Liechten-
steiner Dolksblatt" (IV—V 21. Mai 1919) ent-
nommen sind. Im Durchschnitt der Jahre
1908/17 p. a.
bezog Oesterreich gab Oesterreich
von Liechtenstein an Liechtenstein
Kr. Kr.
Zöllen 19,822.10 161,813. 94
Berzehrungs-
steuern 9,576. 78 55,251.67
hievon:
Branntwein-
abgabe 2,909. 24 2,784.35
Wein- und
Moststeuer 3,026. 67 5,815.57
Biersteuer 3,740. 47 36,108.80
Fleischsteuer 1,021.93 2,638.72
Schon bisher bildeten die Zölle das
Rückgrat der liechtensteinischen
Staatswirtschaft. Die Zolleinnahmen
deckten von den Staatsausgaben:
im Zahre % im Zahre % im Zahre °/«
1905 54 1910 80 1915 58
1906 72 1911 74 1916 30
1907 88 1912 68 1917 18
1908 65 1913 85
1909 60 1914 73
Im Durchschnitt der Normaljahre 1905 bis
1914 erreichten die Zolleinnahmen 72 Prozent
der Staatsausgaben und 67 Prozent der
Staatseinnahmen. Die vollständige Zerrüttung
der Kronenwährung und der Zusammenbruch
Oesterreichs führten bekanntlich zur Adoption
der Frankenwährung in Liechtenstein, zur Auf-
lösung des Zollanschlußvertrages und damit
zum heutigen Zustand.
b) Der Ablösung vom österreichischen Zoll-
gebiet folgte, nach einem kurzen Interregnum
ungeregelter Verhältnisse, die Konstituierung
Liechtensteins als selbstständiges Zollgebiet.
Instrument hiezu ist das Gesetz vom 1. Dezem-
ber 1921 betreffend die Neuregelung der Ein-,
Aus- und Durchfuhr von Waren. -Dieses Gesetz
stellt einen autonomen Zolltarif dar und ist
seiner ganzen Anlage nach offensichtlich mehr
den Bedürfnissen des drängenden Moments
6
angepaßt als ein Ergebnis durchdachter, plan-
mäßiger Arbeit. Reoisionsbestrebungen waren
denn auch bereits eingeleitet. — Der Text des
Tarifs ist sehr summarisch. In 88 Positionen
erschöpft sich die Veranlagung. 24 beziehen sich
mis Lebensmittel, 11 auf Genußmittel, 4 auf
Tiere, 3 aus Kleidungsstücke, die übrigen be-
treffen vorwiegend Baustoffe und Einrichtungs-
gegenstände. Die Zollansätze sind sehr roh an-
gelegt, speziell für Fabrikate. Statistische Ge-
bühren werden nicht erhoben.
Die Regierung kann die Ansätze des Tarifs
bis auf 50 Prozent ermäßigen oder erhöhen, je
nach dem Fall den Zoll auch ganz nachlassen.
Gegenüber ausländischen Maßnahmen, die liech-
tensteinische Handelsintetressen schädigen, kann
die Regierung Abwehrmaßnahmen ergreifen
und zu diesem Zwecke Positionen erhöhen oder
neue Zölle einführen.
Der Tarif ist weniger aus den Schutz wirt-
schaftlicher Interessen abgestimmt, als vielmehr
als Fiskalinstrument gedacht.
Die Ernährungsschwierigkeiten, in welche
Oesterreich und damit auch Liechtenstein wäh-
rend des Krieges in immer steigendem Maße
vevwickelt wurde, führten zu engeren wirischast-
lichen Beziehungen zwischen der Schweiz und
Liechtenstein, sodaß die Verproviantierung der
liechtensteinischen Bevölkerung zum weitaus
größten Teile durch die Schweiz vor sich ging.
Diese Verbindungen entwickelten sich nach dem
Kriege organisch weiter, sodaß die Schweiz der
erste Lieferant Liechtensteins ist. Gerade diese
Tatsache macht den heutigen Zustand auf die
Dauer unhaltbar. Die Schweiz bezieht die
Grundstoffe der Waren, oder sogar die Waren
selbst, welche Liechtenstein ihm abkaust, aus dem
Auslande. Es entsteht somit für Liechtenstein
hinsichtlich der Einfuhren aus der Schweiz eine
doppelte Belastung. Liechten st ein trägt
den schweizerischen und den liech-
tensteinischen Zoll, ohne irgend-
wie am Erträgnis des liechten st ei-
ner Konsums für die schweizerische
Zollregie beteiligt zusein, aber
auch ohne daß die l rechten st einische
Einfuhr in die Schw eizeineErleich-
terung erfahren würde.
Der heutige Zustand ist somit für die liech-
tensteinische Volkswirtschaft ein auf die Dauer
schädlicher. Die scheinbar autonome Zollpolitik,
die Liechtenstein betreibt, läuft letzten Endes
auf die Erhebung von Fiskalabgaben hinaus
und trägt den wirtschaftlichen Bedürfnissen des
Landes doch nicht Rechnung.
Aber auch vom fiskalischen Gesichts-
punkte aus ist der heutige Zustand auf die
Dauer unhaltbar. Die Zollerträge erreichen nur
rund 28 Prozent der Staatsausgaben und 43
Prozent der Staatseinnahmen. Es muß auf
eine Erhöhung der Zolleinnahmen gedrungen
werden.
Aus volkswirtschaftlichen wie
staatsfinanziellenErwägungenist
d aher der heutige Z usta nd,de r nur
als Provisorium seine Berechti-
gung hat, so rasch wie möglich zu
ändern.
3. Bei der Erkenntnis angelangt, daß eine
Aenderung der Verhältnisse dringlich ist, erhebt
sich nun sogleich die Vorfrage, ob Liech-
ten st ein nicht als selbständiges
Zollgebiet den Bedürfnissen sei-
ner Volks- und Staatswirtschaft
genügen könnte.
Wir haben oben (2 a) festgestellt, daß tn
Vorkriegszeiten sich Liechtenstein als selbständi-
ges Zollgebiet nicht hallen konnte, sondern an
ein größeres Wirtschaftsgebiet Anschluß suchen
mußte. Liegen die Dinge heute für di« zoll-
politische Selbständigkeit günstiger? Die Ad-
option der Frankenwährung hat Liechtenstein
automatisch von seinem früheren Wirtschasts-
körper abgebunden! Trotz einer unleugbaren
Annäherung der Preise in Oesterreich an das
Weümarktniveau bestehen doch so große Diffe-
renzen in den Preisverhältnissen gerade jener
Waren, die als Exportprodukte für Liechtenstein
in Frage kommen, daß eine deutliche Abtren-
nung Liechtensteins nach dieser Richtung hin
lange Zeit bestehen wird. Auch die Auswande-
rung nach dem alten Wirtschaftsgebiete Oester-
reich-Ungarn hat für die liechtensteinische Be-
völkerung ihren Anreiz verloren. Denn die
Barlöhne in Oesterreich, in Realwerte umgerech-
net, stehen auf einer viel niedrigeren Stufe als
in Liechtenstein oder gar etwa als in der
Schweiz. Zudem ist auch die Lage des Arbeits-
marktes in Oesterreich für die Beschäftigung
Fremder ungünstig. Nach Osten hin ist also
an Stelle einer Wirtschaftsgemeinschaft eine
starke wirtschaftliche Isolierung eingetreten, was
Export und Auswanderung anbelangt. Nach
der schweizerischen Seite hin ist das Land durch
den Zollkordon am Rheine von jenem Wirt-
schaftskörper getrennt, mit welchem es durch
Währungs- und Verkehrseinheit (Post und Tele-
graph) und während des Krieges intensiver
gestaltete Handelsbeziehungen enger verknüpft
ist. Export stößt auf der Schweizerseite an rela-
7
tiv hohe landwirtschaftliche Schutzzölle, die vom
liechtensteinischen Exporteur getragen werden
müssen, da er auf vie Ausfuhr angewiesen ist.
So ist denn Liechtenstein Heidseitig isoliert
und in der Entfaltung seiner «wirtschaftlichen
Kräfte und 'damit in seiner Erstarkung in ho-
hem Grade gehemmt. Kann es diese Hem-
mungen unter Beibehaltung feiner zollpoliti-
schen Selbständigkeit beseitigen? Welche Wege
stehen Liechtenstein offen, wenn es zollpolitisch
selbständig bleiben will? Theoretisch denkbar
ist die Proklamation Liechtensteins als Frei-
handelsgebiet. Das Land läßt alle Wa-
ren ohne Grenzzölle über seine Marken. Es
versucht sich von den bisherigen schweizerischen
Bezugsquellen zu emanzipieren, um keinen
Schweizerzoll zu bezahlen und kauft direkt bei
den billigsten Bezugsquellen ein. Diese Lösung
der Frage widerspricht sowohl den volks-
wirtschaftlichen wie staatswirtschaftlichen
Bedürfnissen Liechtensteins. Zunächst den
volkswirtschaftlichen. Die Zollpolitik
eines Landes muß dessen wirtschaftliche Kräfte
entwickeln. Der Frechandel würde in Liechten-
stein diese Kräfte eher zurückbinden. Das Ge-
werbe würde eine vermehrte Konkurrenz frem-
der Gebrauchsartikel erhalten. Dàrch würde
der Verdienst gedrückt. Gewiß würden auf der
andern Seite manche Nahrungsmittel billiger
ins Land kommen. Die Kosten der Lebens-
haltung würden sich etwas senken können. Al-
lein das ist nicht das Maßgebende. Viel wichti-
ger ist, daß die liechtensteinischen Exportwaren
zu besseren Preisen als bisher verkauft werden
können. Es würde aber auch nicht ein einziges
Land dem als Konsumenten so wenig in Be-
tracht fallenden Wirtschaftsgebiete Liechtenstein
deswegen Konzessionen in der Erleichterung der
Einfuhr von Weh, Wein, Holz usw. gewähren,
weil Liechtenstein keinerlei Zölle auf Einfuhr-
artikel des betreffenden Staates erhebt. Eine
Exportförderung erwüchse einem freihändleri-
schen Liechtenstein nicht. Gerade aus diesen:
Grund« würde der Freihandel Liechtenstein
nicht das Aufblühen neuer Fabriken vermitteln
können. Die Schwierigkeiten des Fremdenver-
kehrs liegen nicht in den liechtensteini-
schen Zollmaßnahmen, sondern in jenen der
umgebenden Staaten, die wegen des liechten-
steinischen Freihandels feine Aenderung erfah-
ren würden. — Neben den volkswirtschaftlichen
Interessen sprechen gegen den Freihandel auch
die Finanzbedürsnisse des Staates.
Liechtenstein ist auf die Zollerträgnisse angewie-
sen. Es bedarf zur Sanierung seiner Finanzen,
zur Erhöhung des Kredites und zur Förderung
volkswirtschaftlicher Interessen einer Kontinui-
tät seiner Einnahmen. Fließen diese nicht aus
Zöllen, so -müssen sie auf anderem Wege, dem
der Erhöhung der Steuern und Ab-
gabe.», beschafft werden. Im gegenwärtigen
Zeitpunkte ist aber daran nicht zu denken. —
Aus den gleichen Gründen, wie die Prokla-
mation Liechtensteins als Freihandelsgebiet,
wird die Idee von Liechtenstein als „freie
Zone" hinfällig. Als Anschlußgebiet käme nur
die Schweiz in Frage. Die Uebelstände bei
der Einfuhr von Schweizerwaren, die wir oben
erwähnten, bleiben bestehen, selbst für den Fall,
daß die Schweiz Liechtenstein als freie Zone
wollte. Letzteres ist aber höchst fraglich. Denn
die Interessen für Liechtenstein als freie Zone
liegen doch vorwiegend bei Liechtenstein. Man
würde vergebens nach Gründen suchen, welche
die Schweiz bewegen könnten, nach der Seite
Liechtensteins hin neues Hinterland zu suchen.
So bleibt denn schließlich noch die Frage
offen, ob Liechtenstein auf dem bereits beschritte-
nen Wege weiter gehen, d. h. einen eigenen
Zolltarif beibehalten und ausbauen und als
selbständiges Zollgebiet neben an-
dere treten könnte. In erster Linie müßte als-
dann der -gegenwärtige Zolltarif revidiert wer-
den. Es ist von volkswirtschaftlichen Gesichts-
punkten aus wenig durchdacht und vom fis-
kalischen Standpunkte aus betrachtet zu wenig
ergiebig. Es wäre die Frage zu prüfen, ob
eventuell einfach der schweizerische Gebrauchs-
traf adoptiert werden könnte. Ohne Zweifel
wäre er für das Land weit ergiebiger. Allein
es müßte auch an eine weit gründlichere Zoll-
behandlung und Zollbewachung gedacht wer-
den, was eine wesentliche Vermehrung der Zoll-
regiekosten mit sich bringen würde. Was wäre
aber mit der Konstituierung bezw. Schaffung
Liechtensteins als selbständiges Zollgebiet ge-
wonnen? Ostenbar bliebe der heute so störende
Zustand, daß das Land nach allen Richtungen
hin auf Zollgrenzen stößt, nach wie vor be-
stehen. Der Export würde so wenig gefördert
werden können, wie benachbartes Gebiet der
Arbeitsgelegenheit erschlossen würde. Für die
Entwicklung der Industrie und des Verkehrs
wäre der Zustand noch hinderlicher, als er heute
bei etwas laxerer Zollbehamdlung und Grenz-
bewachung ist. Es ist auch daran zu erinnern,
daß die Kosten der Zvllregie und der ständigen
Ueberwachung und Behandlung der ganzen
Handelspolitik unverhältnismäßig groß werden
müßten. Außerdem würden, obschon die Inte-
8
ressen die liechtensteinischen Bevölkerung ziem-
lich homogene sind — bei den kleinen Verhält-
nissen des Landes — durch die -Behandlung der
Zollfragen leicht die Reibungsflächen im poli-
tischen Leben vermehrt werden. Was dem
Lande nottut, ist ein möglichst direkter
Kontakt mit einem größeren Wirtschaftsge-
biete, um der überschüssigen Produktion Absatz
und den angesichts der Berdienstquellen im
Lande überschüssigen Arbeitskräften Arbeitsge-
legenheit zu verschaffen.
So wünschenswert es also an sich
wäre, daß Liechten st ein mit seiner
politischen Autonomie auch die
wirtschaftliche verbinden könnte,
so sprechen volkswirtschaftliche,
aber auch fiskalische Gründe gegen
die handelspolitische Selbständig-
keit des Landes und der wirtschaft-
liche Anschluß an ein benachbartes
Gebiet erscheint als das Gegebene.
B- Wir kommen nun zur entscheidenden
Frage, nach welcher Seite hin der
Anschluß zu suchen ist. Diese Frag« ist
um so wichtiger, als man sich darüber klar sein
muß, daß ein zollpolitischer Anschluß nicht eine
in sich abgeschlossene Aktion ist, sondern daß er
nicht mehr und nicht weniger bedeutet, als eine
enge wirtschaftliche Bereinigung
mit dem Anschlußlande.
In dieser Beziehung sind nun die Verhällnisse
Liechtensteins stark präjudiziert. Mit
Recht bemerkt Professor Landmann in sei-
nem Gutachten über die Frage der Einführung
der Frankenwährung in Liechtenstein vom 22.
August 1919 u. a., daß der Uebergang Liechten-
steins von den österreichischen Kronen- zur
schweizerischen Frankenwährung in seinen Kon-
sequenzen damals bestehende, enge wirtschaftliche
Beziehungen lockern und eine neue Orientierung
dieser Beziehungen anbahnen würde. Der Zoll-
anschluß an die Schweiz ist ohne weiteres in
einem gewissen Sinne die logische Weitersührung
der seit der Loslösung von Oesterreich durch die
Adoption der Frankenwährung inaugurierten
neuen liechtensteinischen Wirtschaftspolitik.
Es darf aus den verschiedensten Gründen als
feststehend betrachtet werden, daß Oe st er-
reich als Anschlußland nicht mehr
in Frage kommen kann. Das Wirt-
schaftsgebiet dieses Landes ist durch den Frie-
densvertrag in hohem Maße beschnitten worden.
Das Absatzgebiet liechtensteinischer Produkte und
das Aufnahmegebiet liechtensteinischer Arbeits-
kräfte bot zu Zeiten der alten Donaumonarchie
ganz andere Möglichkeiten, als ein Anschluß
heute gewähren würde. Früher Kern einer
mächtigen Wirtschaftseinheit, die 40 Millionen
Menschen umfaßte, muß jetzt -Deutschösterreich
sein wirtschaftliches Leben in bescheidenen Gren-
zen für 6 Millionen erst aufbauen. Wie bald
ihm dies soweit gelungen sein wird, daß man
von einer Konsolidierung der Derhältnisse, ge-
schweige denn von einem Auffchwung sprechen
kann, ist nicht abzusehen. Die Errichtung einer
Donaukonföderation, an welche Liechtenstein An-
schluß suchen könnte, gehört einstweilen in das
Reich der politischen Phantasie. Bei alledem ist
es fraglich, ob Oesterreich überhaupt ein In-
teresse daran hätte, das Fürstentum wieder in
seinen Wirtschaftsverband aufzunehmen. Dieses
ist durch die Annahme der Frankenwährung für
Oesterreich zum Fremdkörper geworden. Man
vergegenwärtige sich weiter, daß Zolleinheit auch
Einheit der Verbrauchssteuern bedeutet. Inwie-
fern diese in Oesterreich noch ausgebaut werden
müssen, entzieht sich der Voraussicht. Mit einem
Wort: das heutige Oesterreich fällt für Liech-
tenstein als Anfchlußgebiet außer Betracht.
Was nun di« S ch w e i z anbetrifft, so wollen
wir unsere Untersuchung in der Weise gliedern,
daß wir untersuchen, ob eine Uebereinstim-
mung der wirtschaftlichen Interes-
sen, welche Grundvoraussetzung für einen
natürlichen zollpolitischen Zusammenschluß sein
muß, zwischen Liechten st ein und der
Schweiz besteht (1),
prüfen, ob die schweizerische Außenhandels-
politik den liechtensteinischen Interessen dienen
könne (2).
1. Wir haben oben (A 1) festgestellt, daß für
die liechtensteinische Volkswirtschaft drei Haupt-
gesichtspunkte in Frage kommen: die Förderung
des Exportes, die Beschaffung von Arbeitsge-
legenheit und die Förderung der Fremdenindu-
strie. Besteht unter dem Gesichtswinkel dieser
drei Grundfragen eine Gemeinsamkeit der In-
teressen zwischen Liechtenstein und der Schweiz?
Bevor wir auf diese Punkte eingehen, ist es am
Platze, die allgemeine Situation der
Schweiz in wirtschaftlicher Beziehung zu schil-
dern.
a) Die Schweiz hat sich, so wenig als irgend
ein anderer Staat unseres Kontinentes, den Ein-
wirkungen des Krieges entziehen können. Als
neutraler Pufferstaat hat sie während des Krie-
ges nach Ueberwindung der ersten Schwierig-
keiten, welche die Umstellung von der Friedens-
wirtschaft zur Kriegswirtschaft brachte, einige
Jahre eine beispiellose Hochkonjunktur
9
erlebt. Der geradezu krankhaft gesteigerten An-
spannung aller wirtschaftlichen Kräfte folgte im
Zusammenhang mit dem Einsetzen des inter-
nationalen Preisabbaues, der zunehmenden Va-
lutenverwirrung und der unabgeklärten inter-
nationalen Lage eine Erschlaffung des
wirtschaftlichen Betriebes, wie man sie ihresglei-
chen noch nicht gesehen hat.
So gut wie Liechtenstein ist die Schweiz auf
den Export angewiesen. Im Gegensatz zum Für-
stentum ist dieser Export aber ein vorwiegend
industrieller, wenn auch das Wohl und Wehe der
schweizerischen Landwirtschaft ebenfalls in hohem
Maße, direkt und indirekt, von den Exportmög-
lichkeiten des Landes abhängig ist. Gemessen
an ihren natürlichen Produktionskrästen litt
die Schweiz seit langem an einer Uebervölke-
rung, welcher man nur durch die Beschaffung
von industrieller Arbeitsgelegenheit ausweichen
konnte. Diese letztere ist im Laufe der letzten
Jahrzehnte in so hohem Maße gewachsen, daß
sogar Zehntausende von Arbeitskräften aus dem
Auslande bezogen werden mußten, um den Ar-
beitsmarkt ausreichend zu speisen. Den Höhe-
punkt der industriellen Produktivität erreichte
die Schweiz in den Jahren 1912/13 wenn man
von den durch den Krieg geschaffenen besonderen
Verhältnissen absieht. Trotz des großen schwei-
zerischen Exportes zeigte die Handelsbilanz der
Schweiz regelmäßig bedeutende Passivüberschüsse.
In der Zahlungsbilanz der Schweiz wurden
diese ausgeglichen durch die Revenuen aus dem
schweizerischen Kapitalexport und aus den Er-
trägnissen der Fremdenindustrie. Im Verlaufe
des Krieges und der Nachkriegskrise erlitt nun
die schweizerische Zahlungsbilanz schwere Ein-
bußen durch das Stocken der Fremdenindustrie,
den Rückfluß und namentlich durch den Verlust
schweizerischer, im Auslande angelegter Kapi-
talien und endlich und vor allem durch die Zu-
rückbildung des schweizerischen Exportes. Da der
schweizerische Export zu einem sehr großen Teile
auf der Ausfuhr von Luxusprodukten beruht, ist
infolge der Verarmung der Welt die Schweiz
besonders hart getroffen. Außerdem zeigt der
amerikanische Kontinent starke schutzzöllnerische
Tendenzen, die übrigens heute im allgemeinen
im Zusammenhang mit der Abwehr der Luxus-
einfuhr und der Misere der Staatsfinanzen als
internationale Richtung angesprochen werden
müssen. So hat denn auch die Schweiz unter
den Kriegs- und Nachkriegsverhältnissen sehr
stark gelitten. In einem Punkte unterscheidet
sich jedoch die Situation der Schweiz von der
größten Zahl aller Länder: das Geld- und Kre-
ditwesen ist absolut intakt geblieben. Immerhin
sind die Folgen der Krise ernst genug. Im
Höhepunkt der Krise waren mehr als 20 Prozent
der Arbeiterschaft, im Durchschnitt in einzelnen
Industrien bis zu 60 Prozent derselben, ohne
Beschäftigung. Nur eine innerlich gesunde
Volkswirtschaft konnte eine solche Belastungs-
probe aushalten. Heute sind bereits wieder deut-
liche Anzeichen einer Erholung da. Sie hat
zwar noch nicht alle Industrien erfaßt. Ein Teil
der Textilindustrie, zumal jener des ostschweize-
rischen Wirtschastskreises, leidet noch immer
unter der Krise und es ist anzunehmen, daß ge-
wisse Industriezweige mit einer dauernden
Stagnation werden rechnen müssen. Dagegen
haben andere Industrien und manche Gewerbe
einen Aufschwung genommen, der sogar die Vor-
kriegszeiten übertrifft: wieder andere sind auf
dem Wege einer langsamen, aber immerhin
wahrnehmbaren Befferung. Was die Landwirt-
schaft anbelangt, so steht sie — die während des
Krieges unter Aufwendung aller Kräfte Vorbild-
liches leistete und auch beste Zeiten hatte —
gefestigter da als je.
Wir glaubten auf die durch Krieg und Krise
geschaffene Situation eingehen zu müssen, da
aus deren Schilderung gleichzeitig auch die all-
gemeine wirtschaftliche Struktur der Schweiz in
großen Zügen ersichtlich ist.
d) Wir kommen nun auf den sehr wichtigen
Punkt zu sprechen, ob eine Gemeinsamkeit der
Interessen für den liechtensteinischen Export
bei einem Anschluß an die Schweiz als Voraus-
setzung dauernder Wirtschaftsverbindung festzu-
stellen ist. Im Vordergrund des Interesses steht
vor allem dieAusfuhrdesliechtenstei-
nischen Zucht- und Schlachtviehs.
Die Schweiz hat einen Exportüberschuß an
Zuchtvieh und ein Manko an Fleischproduktion
zu verzeichnen. Gemessen an vorkriegszeitlichem
Verbrauch dürste der Fehlbetrag der schweizeri-
schen Produktion etwa 14 des Konsums aus-
machen. Es liegt also, was die Möglichkeit des
Absatzes an Schlachtvieh anbelangt, ein gewisses
Interesse der Schweiz am Zollanschluß mit Liech-
tenstein vor, wenn auch die Quote, welche das
Fürstentum an Schlachtvieh zu liefern imstande
ist, nur eine ganz geringe ist. Die beiden In-
teressen fallen also in diesem Punkte zusammen.
Was den Zuchtviehexport anbelangt, so kann die
hohe Qualität des liechtensteinischen Viehs als
eine durchaus glückliche Ergänzung der schwei-
zerischen Zuchtviehrassen betrachtet werden. Ir-
10
gend welche Bedenken gegen die Erweiterung
des schweizerischen Zuchtvieh - Exportgebietes
durch Liechtenstein sind nicht denkbar.
Hinsichtlich der Interessen Liechtensteins am
Export von Zucht- und Schlachtvieh nach der
Schweiz ist folgendes zu sagen-: Es darf daran
erinnert werden, daß bis zum Beginn der 90er
Jahre weit über die Hälfte der Diehausfuhr nach
der Schweiz ging. Die erstbekannten Zahlen
gehen auf das Jahr 1888 zurück. Damals wur-
den ausgeführt:
Zahl Stück Vieh Hievon nach der
total Schweiz
1888 704 486
1889 913 465
1890 887 495
1891 621 251
Der Zollschutz der Schweiz wurde von Zoll-
periode zu Zollperiode stärker und damit die
Abtrennung Liechtensteins von der Schweiz aus-
gesprochener. Es wurden an Zoll bezahlt:
Für 1885 1889 1892 1907 1921
Zuchtstiere Kühe, Rinder 5.— 15.— 25.— 50.— 60.—
geschaufelt 5.— 12.— 18.— 30.— 60/80,—
Jungvieh 2,— 5 — 12.— 20.— 20/30,—
Kälber 1,— 3.— 5.— 10.— 20.—
Mastkälher 2,— 5.— 10.— 12,— 25.—
Schweine 2,— 8 — 5.— 10 — 40.—
Unter dem Einfluß dieser Verhältnisse und
der oft rigorosen Handhabung der Seuchenpoli-
zeigesetzgebung ging der liechtensteinische Dieh-
export nach der Schweiz rapid zurück, um schon
einige Jahre vor dem Kriege ganz aufzuhören.
Der Zollanschluß wird nicht nur die Fesseln
der Zoll-, sondern auch der Seuchen- und Le-
bensmittelpolizeigesetzgebung sprengen. Die
schweizerischen Märkte werden den liechtensteini-
schen Exporteuren offenstehen. Die Frachtspesen
nach bisherigen Exportgebieten (Italien, Tsche-
choslovakei usw.), die mindestens zum Teil in
Form von Preisdifferenzen aus der liechten-
steinischen Landwirtschaft hängen blieben, kom-
men in Wegfall. Zu den Preisvorteilen wer-
den sich eine ganze Reihe von Perkehrsvorteilen
für den Viehexport gesellen. Es wird für diesen
ein direktes Hinterland geschaffen. Biehliefe-
rungsverträge mit fremden Staaten, wie sie schon
vorgeschlagen wurden, werden nicht notwendig
sein. Der Diehexport wird sich auf dem Wege
des steten, offenen Marktes ohne die Schwie-
rigkeiten verschiedener Währungen usw. regeln.
Bei Differenzen hat man mit einer nach allen
Richtungen geregelten Rechtssprechung des Ab-
nehmerstaates zu rechnen, dessen Gesetzgebung —
was den Viehhandel anbetrifft — die landwirt-
schaftlichen Interessen in weitgehendem Maße
berücksichtigt. Die Zwischengewinne des Han-
dels, die sich beim Fernverkehr nicht vermeiden
lassen, werden wenigstens teilweise den Vieh-
züchtern zugute kommen.
Die Organisation des schweizerischen Vieh-
handels wird der liechtensteinischen Exportware
die gleichen Wege öffnen, die dem schweizerischen
Züchter offenstehen. Durch den Anschluß an die
bäuerlichen Organisationen der Schweiz, die
glänzend ausgebaut sind, werden sich mannig-
faltige Anregungen für den Züchter ergeben, de-
ren er bisher mangelte. Mit einem Wort: Es
ist vorauszusehen, daß der Zollanschluß direkt
und indirekt dem liechtensteinischen Diehexport
einen neuen und bleibenden Impuls verleihen
wird.
Der Weinexport ging schon bisher in
bedeutendem Umfange nach der Schweiz. Ueber
feine tatsächliche Ausdehnung fehlen positive An-
gaben. Indessen ist der „Vaduzer" ein gesuchter
Tropfen, der in der Schweiz sehr hoch geschätzt
wird. Das Interesse der schweizerischen Konsu-
menten ist in weitgehendem Maße vorhanden.
Der schweizerische Produzent wird irgend eine
fühlbare Konkurrenz durch den liechtensteinischen
Weinexport nicht erfahren. Tatsächlich besteht
dieser Export schon heute. Für den liechten-
steinischen Exporteur dagegen wird sich infolge
des Wegfalles an Zoll, der auf ihm hasten bleibt,
eine Stärkung seiner Preisposition ergeben.
Außerdem ist anzunehmen, daß sich die Nach-
stage nach dem neuen „Inland"-Wein heben
und das Absatzgebiet vergrößern wird.
Wie für den Wein, so war auch die Schweiz
für das Holz ein Hauptabnehmer. Der freien
Ausfuhr standen aber teils Grenzauflagen, zum
Teil Einfuhrverbote im Wege. Da die Schweiz
auf die Holzeinfuhr angewiesen ist, hat sie am
liechtensteinischen Export Interesse. Die Nachftage
wird sich mehr als bisher auf liechtensteinisches
Holz verlegen, wenn sich dort neue Bezugsquel-
len ohne hinderliche Grenzformalitäten öffnen.
Namentlich wird die Nachftage von bearbeitetem
Holz auch die vermehrte Beschäftigung liechten-
steinischer Arbeitskräfte fördern können. Der
Wegfall der Wirtschaftsgrenzen wird dem Ex-
porteur unbedingt höhere Preise vermitteln, als
er bis heute erzielte.
Was die übrigen Exportprodukte anbelangt,
so handelt es sich sozusagen ausnahmslos um den
Verkehr mit dem benachbarten schweizerischen
Rheintal. -Daß hier der Wegfall aller Zollauf-
11
lagen und der übrigen verkehrshemmenden Vor-
schriften im Interesse beider Teile, unter dem
Gesichtspunkt der Preislage aber besonders in
jenem des liechtensteinischen Produzenten liegt,
ist eine Tatsache, die wohl keines weiteren Nach-
weises bedarf. Liechtenstein wird wirtschaftlich
ein Teil des Rheintales und damit Hinterland
einiger bedeutenden Konsumzentren der Schweiz.
So zeigt es sich denn, daß eine erfreuliche
Uebereinstimmung der Interessen für den Fall
des Zollanschlusses alle Gewähr dafür bietet, daß
ein reger Warenaustausch sich entwickeln kann
und alte Handelsbeziehungen wieder angeknüpft
werden können, die durch eine straffere Aus-
gestaltung des schweizerischen Zollsystems und
anderer Grenzvorschriften seit rund 30 Jahren
teilweise Not gelitten haben.
c) Wenn wir — zur Behandlung der Fragen
betreffend die Beschaffung von Ar-
beitsgelegenheit übergehend — glau-
ben, ein gemeinsames Interesse der Schweiz und
Liechtensteins am Zollanschluß voraussetzen zu
können, so scheint dies beim ersten Blick den
Tatsachen und dafür gemachten Aeußerungen zu
widersprechen. tàhon oben ist darauf aufmerk-
sam gemacht worden, daß die Beschäftigung des
Bevölkerungszuwachses für die Schweiz ein
Problem von größter Wichtigkeit sei. Dieselbe
Frage hat wohl für Liechtenstein eine noch grö-
ßere Bedeutung. Wird denn durch einen Zoll-
anschluß das Problem beiderseits nicht noch
verschärft? Wir scheiden hier einen Teil des
Problems aus, um ihn weiter unten (B 2) zu
behandeln, nämlich die Frage nach dem Charak-
ter der Zollpolitik mit Bezug auf die Ent-
wicklung der Arbeitsgelegenheit im Lande
Liechtenstein selbst. Hier gehen wir an die
Aufgabe nur insoweit heran, als die Be-
schäftigung von Liechtensteinern
in der Schweiz in Frage kommt. Die
Frage wird behandelt unter der Voraussetzung,
daß durch den abgeschlossenen Zollvertrag der
schweizerische Arbeitsmarkt den liechtensteinischen
Arbeitsuchenden geöffnet werde- Inwiefern dies
geschieht, wird der zweite Abschnitt des Gut-
achtens zeigen.
Ist denn der schweizerische Arbeitsmarkt
überhaupt in der Lage, Arbeitskräfte aufzuneh-
men und insbesondere solche aus dem Fürsten-
tum?
Daß dies normalerweise der Fall war, geht
aus der starken Zuwanderung ausländischer
Arbeitskräfte in die Schweiz überhaupt hervor.
Wie stehen die Dinge aber heute, wo noch immer
für rund 35,000 Mann in der Schweiz keine
Arbeit beschafft werden konnte und wo der Grad
der Arbeitslosigkeit jetzt noch ein solcher ist, daß
der Bund sogar die Auswanderung nach über-
seeischen Ländern durch Subventionen unter-
stützen muß, um den Arbeitsmarkt zu entlasten?
Es ist sehr wohl denkbar, daß der Arbeits-
markt eines Landes im allgemeinen überfüllt
sein kann und daß trotzdem ein Zuzug von Ar-
beitern notwendig ist. Erziehung, Bildungs-
niveau, plötzliches Auftreten oder Aufblühen
neuer Industrien und Gewerbe, starke Nachfrage
auf einem Teilgebiete des Arbeitsmarktes neben
anderen Faktoren können solche Zustände tatsäch-
lich hervorrufen. So ist z. B. die Klage inter-
national und allgemein, daß landwirt-
schaftliche Arbeitskräfte auch zu Zei-
ten der Arbeitslosigkeit rar sind. Dieser Zustand
zeigt sich nun gerade auf dem schweizerischen
Arbeitsmarkte in besonders deutlicher Weise. In
der Landwirtschaft ist an tüchtigen Knechten und
Mägden fast immer Mangel. Von ganz besonde-
rer Wichtigkeit ist aber, daß gewisse gewerb-
liche Berufe in der Schweiz vorwiegend zur
Domäne der Ausländer geworden sind. Es sind
dies die sogen, schweren („rauhen") gewerblichen
Berufe, wo Kraftentfaltung bei gleichzeitigem
Standhalten gegenüber Wind und Wetter not-
wendig ist. Erdarbeiter, Kanal- und Tunnel-
arbeiter, Maurer, Zimmerleute usw., mit einem
Worte vor allem Bauarbeiter sind Berufe, vor
denen sich die schweizerischen Arbeiter bis zu
einem gewissen Grade scheuen. In diesen Be-
rufen haben seit vielen Jahrzehnten ausländische
Arbeitskräfte in der Schweiz ihr gutes Auskom-
men gefunden. Der Schweizer wendet sich mehr
und mehr den leichteren, den sogen, „besseren"
Berufen zu. Da ist denn gerade für die liech-
tensteinischen Arbeitskräfte die Situation beson-
ders günstig. Die Kargheit des Bodens und die
Armut des Landes zwingt den Liechtensteiner
in seiner Heimat zu schwerem Arbeiten. Wir
stoßen bei einer Durchprüfung des Bevölke-
rungsstandes nach seiner beruflichen Zusammen-
setzung vorwiegend auf Bauern, Taglöhner,
Maurer, Holzarbeiter, Fuhrleute und dergl. Be-
rufe. für die es in der Schweiz auch unter den
ungünstigsten Verhältnissen immer Arbeitsgele-
genheit gibt und für welche die Schweizer feit
manchen Jahrzehnten die Arbeitskräfte zumeist
von außen und zum Teil weither beziehen muß-
ten. Der schweizerische Arbeits-
markt ist das natürliche Aufnahme-
gebiet der liechtensteinischen Ar-
beitskräfte. Bei der Mehrzahl dieser
Berufe handelt es sich nun gerade um solche,
12
welche infolge des Saisoncharakters der Arbeit
die temporäre Auswanderung fördern. Diese
zeitweilige, über die gute Jahreszeit stattfindende
Auswanderung ist es aber, welche für Liechten-
stein vom größten Werte ist. Durch sie wird
Sparkapital geäufnet und ins Land hineinge-
bracht. Das Auswanderungsgebiet ist nahe ge-
legen, so daß durch Reiseauslagen nur ein ganz
kleiner Teil des Verdienstes verloren geht. Es
ist nicht zu bezweifeln, daß der wirtschaftliche
Zusammenschluß Liechtensteins mit der Schweiz
jene früheren Zustände wieder herstellen
wird, wo der liechtensteinische Bauarbeiter eine
in der Schweiz häufige und gern gesehene Er-
scheinung war. Aus der Wanderarbeit in der
Schweiz blühte mancher bescheidene Wohlstand
im Lande Liechtenstein aus, der in der Folge
allerdings durch die Ereignisse der Kriegszeiten
verloren ging, nun aber aufs neue wieder wird
erarbeitet werden können. Der schweizerische
Arbeitsmarkt bedarf ferner fremder weiblicher
Dienstboten. Auch an solchen wird Liechtenstein
mehr als bisher zur Deckung des schweizerischen
Bedarfes beitragen können. Die Frauen sind, in
Liechtenstein an schwere Arbeiten gewöhnt, in
der Schweiz stets geschätzte Arbeitskräfte gewe-
sen. Wenn durch die Beseitigung der wirtschaft-
lichen Grenzpfähle die Verbindung mit der
Schweiz enger und namentlich der organische
Zusammenhang mit der planmäßigen Stellen-
vermittlung hergestellt sein wird, werden sich
auch liechtensteinischen weiblichen Arbeitskräften
in der Schweiz neue Möglichkeiten eröffnen. Es
ist allerdings anzunehmen, daß an weiblichen
industriellen Arbeitskräften in den nächsten Jah-
ren kein großer Bedarf fein wird. Allein es
ist dies auch nicht einmal das für Liechtenstein
Wünschenswerte; denn bekanntlich gehören Fa-
brikarbeiterinnen weit weniger zu den sparenden
Elementen, als Dienstboten, Wanderarbeiter
und dergleichen.
Heute, wo in ganz Europa die Arbeitslosig-
keit eine Erscheinung ist, der man vielfach ratlos
gegenübersteht, ist es für Liechtenstein von be-
sonderem Werte, durch den Zollanschluß mit dem
Arbeitsmarkte eines Landes Kontakt zu finden,
das sich sonst gegen ausländische Arbeiter stark
abschließt und dessen Lohnhöhe durchschnittlich
weit über derjenigen steht, die alle sonst in Frage
kommenden europäischen Länder ausweisen.
à) Wir kommen endlich zur Frage der F ö r -
derung des Fremdenverkehrs. Liech-
tenstein hat alle Voraussetzungen für eine Kur-
landschaft. Die eigene Bevölkerung ist zu klein,
als daß aus dem Lande heraus eine wirtschaft-
liche Fruktifizierung der Landesschönheiten mög-
lich wäre. Gegen Deutschland u. Oesterreich türmt
sich der Wall der Valuta; gegen die Schweiz
hin steht die Grenzkontrolle dem freien Verkehr
entgegen. Liechtenstein ist, so lange diese besteht,
für die Schweizer immer noch Ausland im
eigentlichsten Sinne. Besteht aber, so wird man
fragen, überhaupt Aussicht, den Fremdenverkehr
aus der Schweiz zu fördern? Hat denn die
Schweiz nicht Fremdenkurorte im Ueberfluß?
Letzteres ist nicht zu bestreiten; ja es ist zu sagen,
daß der Anschluß Liechtensteins als Kurlandschaft
für die ostschweizerische Hotelindustrie und das
Gastgewerbe sogar bis zu einem gewissen Grade
unerwünscht sein kann, so lange die àhweiz in
so hohem Maße auf die Sommerfrischler aus der
Schweiz angewiesen ist und der Fremdenstrom
noch nicht wieder reichlicher zu fließen begonnen
hat. Für Liechtenstein kann es sich natürlich nicht
darum handeln, an eine eigentliche „Fremden-
industrie" zu denken. Vielmehr wird es sich
für das Land nur um einen bürgerlichen
Sommerfrische- und Passantenbetrieb handeln.
Dieser wird alter Voraussicht nach durch
den Zollanschluß an die Schweiz ganz er-
heblich gewinnen. Die Zurückschraubung der
wirtschaftlichen Verhältnisse in der Schweiz
zwingen einerseits viele Bürgerleute, mit ein-
facheren Gasthäusern vorlieb zu nehmen; ander-
seits haben aber in den letzten Jahren die Ar-
beiter- und Angestelltenserien einen enormen
Aufschwung genommen. Wenn auch diese Leute
mit bescheidenen Mitteln in die Sommerfrische
gehen, so bringen sie doch immerhin Verdienst-
möglichkeiten. Außerdem hat die Touristik in
den letzten Jahren gewaltige Fortschritte ge-
niacht und das neue Alpengebiet wird zahlreiche
Freunde gewinnen. Liechtenstein ist für die bei-
den Städte St. Gallen und Zürich leicht zu er-
reichen und sicher wird mit dem Wegfall der
Grenzzölle auch manches Bedenken wegfallen, im
Land Liechtenstein einmal einige Wochen zuzu-
bringen. Es unterliegt auch keinem Zweifel,
daß der sonntägliche Ausflugsbetrieb nach Liech-
tenstein zunehmen wird, wenn einmal die
Grenzformalitäten beseitigt sein werden.
Ueberblicken wir die bisher gewonnenen Ein-
drücke, so ergibt es sich, daß die liechtensteinischen
Interessen hinsichtlich des Exportes und der Be-
schäftigungsmöglichkeit liechtensteinischer Arbeits-
kräfte im nahen Auslande durchaus für eine
wirtschaftliche Vereinigung mit der Schweiz spre-
chen, umso eher, als die liechtensteinischen In-
teressen in keiner Weise den schweizerischen zu-
widerlaufen, sondern vielmehr sich mit ihnen
13
decken. Was die Förderung des Fremdenver-
kehrs anbetrifft, jo liegt das Interesse noch in-
seitiger auf liechtensteinischer Seite, ohne daß
jedoch irgendwie eine fühlbare Konkurrenz des
schweizerischen Gastwirtschaftsgewerbes eintreten
wird. Alles in allem ist also zu sagen, daß der
Anschluß Liechtensteins an das schweizerische
Wirtschaftsgebiet nicht irgend eine künstliche
Maßnahme ist, sondern vielmehr eine natürliche
Wirtschaftseinheit herstellt, die bisher durch
künstliche Schranken unterbunden war.
Wir haben freilich damit noch keineswegs alle
Borteile erschöpft, die Liechtenstein durch den
Anschluß gewinnen wird. Die Herstellung der
Wirtschastseinheit wird sich auch mit der Zeit auf
dem wichtigen Gebiete der Kapitalbeschaffung
zeigen. Die großen Unterschiede, welche heute
noch in den Kreditverhältnissen zwischen Liech-
tenstein und der Schweiz bestehen, werden sich
naturnotwendig ausgleichen, wenn die liechten-
steinische mit der schweizerischen Volkswirtschaft
vereint sein wird, wie dies durch den Zollan-
schluß automatisch eintreten wird. Der Anschluß
des an sich schwachen Liechtensteins an einen
gesunden Wirtschastskörper muß das Wirtschafts-
leben in bedeutendem Grade anregen und wird
zur Erholung des Landes sehr viel beitragen.
2■ Bisher haben wir von der Zollvereinigung
mit der Schweiz bezw. von der wirtschaftlichen
Bereinigung der beiden Staaten gesprochen, ohne
uns über den Charakter der schweize-
rischen Zollpolitik zu äußern. Wir ha-
ben ohne weiteres vorausgesetzt, daß die schwei-
zerische Zollpolitik den liechtensteinischen Bedürf-
nissen angemessen sei. Nun ist zu untersuchen,
ob dies auch wirklich der Fall ist.
Wir treten an diese Frage heran, indem wir
zunächst den Charakter der schweize-
rischen Zollpolitik im allgemeinen
behandeln (b); in zweiter Linie prüfen wir die
schweizerische Zollbelastung und
den Zollschutz unter liechtensteinischem Ge-
sichtswinkel (b); sodann wollen wir untersuchen,
was von gewissen außerordentlichen
Maßnahmen der äußeren Handelspolitik
der Schweiz mit Bezug auf die liechtensteinischen
Interessen zu halten ist (Einfuhrpolitik, c); end-
lich wird uns die Frage derPreiseundLe-
benskosten im besonderen beschäftigen (d).
a) Der Charakter der schweizeri-
schen Zollpolitik ist durch zwei Umstände be-
stimmt: durch die Bundesverfassung und durch
die internationalen handelspolitischen Verhält-
nisse. Die Bundesverfassung gibt die Grundsätze
wieder, auf der die schweizerische Handelspolitik
aufgebaut sein soll die internationalen poli-
tischen Verhältnisse bestimmen, inwiefern diese
Grundsätze eingehalten werden können.
Die Grundsätze, welche die Bundesverfas-
sung (Art. 25) der Eidgenossenschaft aufstellt,
sind die folgenden:
1. Eingangsgebühren:
a) die für die inländische Industrie erforder-
lichen Stosse sind im Zolltarif möglichst
niedrig zu taxieren;
b) ebenso die zum notwendigen Lebensbe-
darf erforderlichen Gegenstände;
c) die Gegenstände des Luxus unterliegen
den höchsten Taxen.
2. Durchgangsgebühren und in der Regel auch
die Ausgangsgebühren sind möglich mäßig
festzusetzen.
3. Durch die Zollgesetzgebung sind zur Siche-
rung des Grenz- und Marktverkehrs geeig-
nete Bestimmungen zu treffen. Dem Bunde
bleibt immerhin das Recht vorbehalten, unter
außerordentlichen Umständen, in Abweichung
von vorstehenden Bestimmungen, vorüber-
gehend besondere Maßnahmen zu treffen.
Zur Zeit der Annahme des Verfassungsarti-
kels herrschten in der Schweiz die Freihan-
dels-Ideen. Indesien zeigte es sich im
Laufe der 50er Jahre, daß der niedere Tarif der
Abschließung von Handelsverträgen nicht nur
nicht dienlich, sondern im Gegenteil geradezu
hinderlich war. Das Ausland war an der wei-
teren Erniedrigung der schweizerischen Zölle
nicht interessiert und hielt sich die schweizerischen
Waren durch Differentialzölle fern. Das führte
— zusammen mit einem größeren Finanzbedürf-
nis des Bundes — zu einer Revision der
Anschauungen. Im Jahre 1887 — nach
beinahe vier Jahrzehnten bitterer Erfahrungen
mit der grundsätzlichen Freihandelspolitik — kam
man zur Ueberzeugung, daß die Schweiz den
schutzzöllnerischen Bestrebungen des Auslandes
nur dann gewachsen sei, wenn auch sie
einen gewissen Zollschutz aufstelle.
So kam der Tarif von 1887 zustande. Von dann
datieren die Erfolge der Schweiz auf dem Ge-
biet« der Handelspolitik. Im Jahre 1888 kamen
mit Oesterreich und Deutschland Verträge zu-
stande. 1889 folgte Italien. Im Jahre 1892
liefen diese Verträge ab. Ein neuer höherer
Tarif war die Grundlage zu neuen Verhand-
lungen und hatte den Erfolg, schon im Jahre
1891 neue Verträge mit Oesterreich und Deutsch-
land, 1892 einen solchen mit Italien zu erreichen.
14
Nach scharfem innerem Kampfe wurde im Jahre
1903 ein neuer, noch höherer Generaltarif vom
Volke angenommen, der zu einer ganzen Reihe
günstiger Verträge führte. Der Krieg verhin-
derte den normalen Fortgang der Zollpolitik
und führte zu einer Zwischenrevision,
deren Resultat im provisorischen Ge-
brauchstarif von 1921 vorliegt.
Es zeigte sich also im Verlauf der Jahre,
daß man sich auf keinen doktrinären
Standpunkt stellen konnte, sondern daß
die Schweiz —als kleines Land mitten zwischen
mächtigen Nachbarn gelegen — seine Handels-
politik den Maßnahmen anpassen muß, welche
die Nachbarstaaten treffen. Wenn diese schutz-
zöllnerische Maßnahmen vorkehren, kann die
Schweiz nicht beiseite stehen — und umgekehrt.
In der Schweiz bildet die Zollpolitik seit
einer Reihe von Jahren den Gegenstand steter
Diskussionen. Die Exportindustrie -hat
ein erhebliches Interesse an der möglichsten
Tiefhaltung der Preise. Sie muß darauf sehen,
daß das Preisniveau der Schweiz nicht über
jenem der Konkurrenzstaaten steht, denn sonst
leidet auf die Dauer ihre Konkurrenzfähigkeit.
Die Landwirtschaft und das Ge-
werbe stehen auf dem sogen. Produktions-
kostenstandpunkt. Nach ihren wirtschastspoli-
tifchen Grundsätzen müssen die Preise so gehal-
ten werden, daß sie den Produktionskosten
(inkl. eine „angemessene" Lebenshaltung) ent-
sprechen, ansonst zum Schaden des Staates der
Anteil der selbständigen Produzenten zurück-
geht und eine einseitige Industrialisierung er-
folgt. Die Konsumenten, vorab öffent-
liche Angestellte, dann aber auch die Arbeiter-
schaft stehen noch ausgesprochener als die Indu-
strie auf dem sog. Konsumentenstandpunkt, d. h-
sie befürworten die Zollermäßizung, um die
Kosten der Lebenshaltung zu vermindern. Die
Zollfrage in der Schweiz ist stark an die
Finanzbedürfnisse des Bundes geknüpft. In-
folge des föderativen Charakters der Schweiz
ist der Bund vorwiegend auf indirekte Steuern
angewiesen und. die Zolleinnahmen bil-
den geradezu den Rückgrat der
Bundesfinanzen.
Die fiskalischen Bedürfnisse einerseits und
anderseits die Tatsache, daß eine dem Frei-
handel günstige Initiative vor kurzem mit
einem überwältigenden Mehr vom Volke ab-
gelehnt worden ist, sprechen dafür, daß die
schweizerische Zollpolitik in ihrer
heutigen Form auf eine Reihe von
Jahren hinaus als gesichert gelten
kann. Angesichts der ausgesprochenen schutz-
zöllnerischen Maßnahmen des Auslandes darf
angenommen werden, daß die Tendenz eher
auf eine weitere Verstärkung des
Zollschutzes geht, als auf eine Verringe-
rung desselben.
b) Entspricht nun die heutige
Zollpolitik der Schweiz in ihren
Grundzügen den liechtensteini-
schen Interessen?
Wir haben einleitend festgestellt, daß ein
besonderes Charakteristikum der liechtensteini-
schen Volkswirtschaft die starke Verbindung
von Landwirtschaft und Gewerbe -ist und daß
daher ein auffallend großer Prozentsatz der
liechtensteinischen Bevölkerung zu den Grund-
besitzern, und zwar zu den kleinen Grund-
besitzern, gehört. Wie werden die Interessen
dieser Kreise von der schweizerischen Zollpolitik
gewahrt?
Die Beurteilung dieser Frage bietet nicht
unerhebliche Schwierigkeiten. Sie liegen in der
Aufgabe an sich und in den heute noch bestehen-
den unsicheren internationalen Preisverhält-
nissen. Die Frage kann nur an Hand ron
Zahlen beurteilt werden. Haben Zollbelastunzs-
berechnungen überhaupt etwas Schematisches
an sich und werden nie allen Verhältnissen
gerecht, so find heute WMürlichkeiten weniger
als je vermeidbar. Die besonderen Schwierig-
keiten im vorliegenden Falle liegen einerseits in
den außerordentlichen Preisschwankungen der
Gegenwart. Anderseits datiert der gegenwär-
tig in Kraft stehende Zolltarif (provisorischer
Gebrauchstarif) erst vom 1. Juli 1921. Im
Jahre 1921 waren also zwei Tarife in Kraft
mit verschiedenen Ansätzen. Vom Jahre 1921
können daher keine Zollbelastungsberechnungen
gemacht werden. Die Ergebnisse der Handels-
statistik 1922 sind leider, so weit die Zoll-
belastungstabellen in Frage stehen, noch nicht
erschienen, so daß die Belastung durch
den neuen Tarif noch garnicht fest-
gestellt werden kann. Es muß aber
gesagt werden, daß der Gebrauchstarif von
1921 im allgemeinen nur darauf abgestellt war,
die alten Zölle der neuen Preis-
lage anzupassen. Es dürften also, wo
nicht zum vorhinein eine stärkere Belastung vor-
gesehen wurde, wie dies namentlich beim Tabak
zutrifft, im großen und ganzen die neuen An-
sätze keine stark abweichenden prozentualen Be-
lastungen mit sich gebracht haben. Diese können
aber nur an Hand der Vorkriegsergebnisse
(1907/1913) errechnet werden, da infolge der
15
Kriegssteuerung die Zollsätze relativ an Be-
deutung gewaltig eingebüßt hatte. Solange
die Preise nicht stabilisiert sind, hat die An-
führung von bloßen Zollansätzen keinen großen
Wert, da die Belastung von heute aus morgen
schon eine andere sein kann.
Liechtenstein hat ein großes Interesse an
der möglichst freien Einfuhr von Rohstoffen
und Halbfabrikaten für die Landwirtschaft und
das Gewerbe und an einem ausgiebigen Zoll-
schutz landwirtschaftlicher und kleingewerblicher
Erzeugnisse. Wie steht es in dieser Hinsicht mit
der schweizerischen Zollpolitik?
Man beachte folgende Zahlen, die auf den
sorgfältigen Reichlinschen Berechnungen be-
ruhen.
Einfuhrbelasiung landwirtschaftlicher u. gewerb-
licher Rohstoffe und Halbfabrikate 1907/1913.
in Prozent des Durchschnittswertes der Einfuhr.
Düngstoffe...................................0.78
Futtermittel (ohne Futtermehl) . —.—
Futtermehl...................................0.02
Streuemittel, Sämereien . . . 0.03
Tierische Stoffe: Häute, Felle, Federn rc. 0.18
Oele, Fette zu gow. Gebrauch . 1.15
Bau- und Nutzholz, roh und behauen . 2.19
Kies, Sand, Pflaster-, Bruch- und Hau-
Steine .................................1.82
Lehm, Ton usw., Bindemittel . 4.56
Brennstoffe.................................0.01
Halbfabrikate:
Balken, Bretter, Schwellen . 6.15
Steinplatten, Steinhauerarbeiten, Ze-
mentplatten . , . . . 6.97
Schiefer, Ziegel, Backsteine, Tonplatten,
Rohglas, Fensterglas usw. . 18.73
Stabeisen, Blech, Draht, Röhren . . 4.51
Schlosser- und Spenglerwaren, Eisen-
möbel, Oefen.............................13.30
Landwirtschaftliche u. Gartenwerkzeuge 5.00
Gewerbliche Werkzeuge .... 6.80
Einige untergeordnete landwirtschaftliche
Produktionsmittel .... 8.00
Es mag gewagt erscheinen, auf Grund von
Belastungsrechnungen, die 10 Jahre zurücklie-
gen, und auf einen inzwischen revidierten Tarif
zurückzugehen, die Zollpolitik eines Landes zu
beurteilen. Allein es bleibt infolge der außer-
ordentlichen Umstände nun einmal kein anderer
Weg, und er ist — wie betont — gangbar, weil
der neue, jetzt in Kraft stehende Gebrauchs-
tarif, von wemgen Ausnahmen abgesehen, jeder
Position nur den Zollschutz gewähren wollte,
wie er den neuen Preisverhältnissen angemessen
war.
Daß durch die Revision des Zolltarifes von
1921 die Grundlagen der Zollpolitik nicht etwa
in einer Weise verändert worden sind, welche die
Interessen der liechtensteinischen Bevölkerung
gefährden würden, geht aus folgenden Berech-
nungen hervor, die auf amtlichem Mate-
rial beruhen.
Es betrug die prozentuale Bela-
stung für:
nach Tarif
1806 1921
Stoffe der Landwirtschaft (ohne
Bieh).......................1,12 1,51
Stoffe der Industrie . . 2,31 1,69
Stoffe des nötigen Lebensbedar-
fes (ohne Genußmittel) . . 7,01 10,21
Luxusgegenstände . . 4,53 12,37
Konsumfertige Nahrungsmittel 6,06 8,67
Schuhwerk .... 8,92 16,01
Wohnungsbau .... 11,21 15,21
Wohnungsausstattung . . 10,41 15,46
Nach dieser Aufstellung sind wesentliche Ver-
änderungen im Sinne eines verschärften Zoll-
schutzes in erster Linie bei den Luxusgegenstän-
den eingetreten. An zweiter Stelle stehen dann
die Schuhwaren und unter den Stoffen des täg-
lichen Lebensbedarfes offensichtlich auch Kleider.
Auch Wohnungsbau und Wohnungsausstattung
haben Veränderungen nach oben erfahren. Land-
wirtschaftliche Stoffe bleiben fast unverändert,
industrielle Rohstoffe sind erleichtert. Es sei aber
darauf aufmerksam gemacht, daß infolge teil-
weiser Preissteigerung seit 1921 heute die Be-
lastungsquoten durchschnittlich wieder jenen von
1906 näher gekommen sind.
Betrachten wir die vorstehenden Zahlen, so
kommen wir zu folgenden Schlüssen:
Die Einfuhrbelastung der landwirt-
schaftlichen Rohstoffe ist sozusagen gleich Null.
Einigermaßen in Betracht kommen bei den ge-
werblichen Rohstoffen nur Bau- und Nutzholz,
sowie Lehm, Ton usw. Bindemittel. Soweit
man von einer Belastung sprechen kann, trifft
sie nur das Baugewerbe und zwar z. T. gerade
in Artikeln, in denen die liechtensteinische Lan-
desproduktion auch einen gewissen Vorteil
erreichen kann. Bei den Halbfabrikaten sehen
16
wir schon höhere Belastmigsziffern. Allein auch
ihnen kann, was Holzwaren anbelangt, Liech-
tenstein nicht «inseitig vom Verbraucherstand-
punkte aus gegenüberstehen; denn gleichzeitig
wird auch die liechtensteinische Produktion zum
Teil mit chnen geschützt. Stark ins Gewicht
fallen dagegen Schiefer, Ziegel, Backsteine, Ton-
platten, Glos. Inwieweit die liechtensteinische
Ziegelproduktion durch diese Position gefördert
wird, kann nicht leicht beurteilt werden. Sicher
ist sie aber eherzur Förderung derselben
angetan, als zum Schaden. Eine weit stärkere
Belastung ist aber für die Zukunft in Glas-
und Tonwaren vorauszusehen. Das gleiche ist
der Fall für Schlosser- und Spenzlerwaren.
Eisenmöbel und Oefen werden teurer werden,
ohne daß Liechtenstein davon einen Vorteil
hat. Landwirtschaftliche und Gartenwerkzeuge
Haben wieder eine geringere Belastung: immer-
hin fällt sie aber ins Gewicht.
Wenn man die Positionen gegeneinander
abwägt, so wird man sich des Eindruckes nicht
erwehren können, daß — soweit die Waren
nicht schon aus der Schweiz bezogen wurden —
mit einer gewissen Verteuerung gerechnet wer-
den muß. Wie groß diese Verteuerung sein
wird, läßt sich mangels einer liechtensteinischen
Einf'.'hrstatistik nach Ländern und Werten nicht
berechnen. Aber auf keinen Fall ist sie so groß,
daß sie nicht auf der anderen Seite aufgehoben
würde durch den Schutz, den Landwirtschaft
und Gewerbe durch die Zölle der
Schweiz erlangen.
Was nun den Z o l l s ch u tz anbetrifft, so ist
Liechtenstein an folgenden Gruppen interessiert:
gollschutz in " o des Wertes
Nach Reichlin Nach Gaur
190713 Œnbe 1922
Mais, Hülsenfrüchte usw. 1,40 1,2
Nutzvieh 5.55
Schlachtvieh . . . . 4.53 10—21,7
Fleisch, frisch . . . . 6,74
Wurstwr.ren. tons.. Fleisch 8.89
Obst, Beeren usw. . 5,70 16,6
Eier, Milch usw. . 2,00 3,3
Bäckerwaren . . . . 11.43
Wein 30,67 24—40
Branntwein usw. . 17,57
Möbel Schreiner- und
Drechslerwaren 12,83
Lederwaren . . . . 6.53
Fertige Wäsche, Kleider. Hüte 8,66
Gartenbauerzeugnisse 2.77 20—25
Vor allem fällt die Position Wein mit 30 %
Werrbelastung ins Gewicht. Auch die einhei-
mische Branntweinfabrikation und das Holzge-
werbe profitiert in hohem Maße vom schweize-
rischen Zollschutz. Die Viehzucht wird mit einem
Zollschutz bedacht, dessen Höhe in schweizerischen
Konsumtenkreisen sogar starken Bedenken be-
gegnet. L a u r berechnet den Mehrertrag des
Zollschutzes über die Zollbelastung für Klein-
bauernbetriebe per Hektar auf Fr. 31.70, für
kleine Mittelbauernbetriebe auf Fr. 47.20.
Der ausgesprochene Konsumentenstandpunkt
fällt für Liechtenstein fast außer Betracht. Selbst
die Fabrikarbeiter sind mit landwirtschaftlichen
Interessen enge verbunden.
Ist nun die schweizerische Zollpolitik dazu
angetan, auch den i n l ä n d i s ch e n Beschäf-
tigungsgrad zu heben? Wird sie neue
Verdienstquellen schaffen? Man erinnert sich
daran, daß unter dem Regime der österreichischen
Zollpolitik verschiedene Fabriken entstanden sind,
welche dem Lande relativ große Verdienstsum-
men gebracht haben. Kann ein ähnliches Auf-
blühen der Industrie auch unter dem schweize-
rischen Zollregime erwartet werden?
Schon oben ist betont worden, daß die schwei-
zerische Industrie zum Teil mit großen Schwie-
rigkeiten zu kämpfen hat. Es ist kaum an-
zunehmen,daß dieExportindustrie
eine wesentliche Ausdehnung an-
nehmen wird. Die neuere schweizerische
Zollpolitik, welche die Erhaltung von Landwirt-
schaft und Gewerbe mehr berücksichtigt, ist der
Ausdehnung der Exportindustrie eher hinderlich.
Der Ansporn zu dieser Richtung geht aus von der
soziologischen Erwägung, daß eine U e b e r i n -
dustriealisierung des Landes nicht
wünschenswert sei. Anderseits ist zu
sagen, daß der Impuls auch vom Aus-
lands herkommt. Das Ausland will den Im-
port hindern und die eigene Bevölkerung im
Lande beschäftigen. Daher orientieren
sich die In dustrien — auch schweizerische
Unternehmungen — nach dem Konsum:
die Fabriken werden mit schweize-
rischem Kapital im Auslande er-
richtet. Eine gewisse Rückbildung in der In-
dustriealisierungstendenz der Schweiz ist unver-
kennbar. Da ist kaum anzunehmen, daß in
Liechtenstein infolge der Zollverhältnisse neue
Fabriken erstehen werden. Eine andere Frage
ist die, ob nicht schweizerische Fabri-
ken aus andern Gründen bei Her-
stellung der wirtschaftlichen Ein-
heit (Steuern, billigere Löhne wegen bescheide-
ner Lebenshaltung usw.) Liechten st eins
mit der Schweiz im neu ongeschlos-
17
jenen Lande Fabrikations st eilen
errichten. Indessen ist dies eine Frage, die
zu den allgemeinen Erwägungen gehört und die
zum Teil noch weiter unten (B 2 d) behandelt
wird.
Rückblickend wird man sagen dürfen, daß die
schweizerische Zollpolitik sehr wohl den ausge-
sprochenen landwirtschaftlichen und kleingewerb-
lichen Verhältnissen angepaßt ist und daß diese
durch den Zollschutz der Schweiz nur eine För-
derung erfahren dürften, wenn auch eine gewisse
Verteuerung vorab für das Baugewerbe, deren
Tragweite sich nicht abschätzen läßt, eintreten
wird, und wenn auch der Bauer und Handwer-
ker seine Werkzeuge etwas teurer als bisher
wird bezahlen müssen. Auf die Frage der Preise
werden wir im übrigen noch weiter unten zu
sprechen kommen sB 2 d).
c) Besondere Erwähnung verdienen gewisse
einfuhrpolitische Maßnahmen der Schweiz, die
mit der Zollpolitik an sich nicht im Zusammen-
hange stehen, sondern die als eine außer-
ordentliche Schutzmaßnahme der
Schweiz gegen die valutarische Preisunter-
bietung des Auslandes gewertet werden müssen.
Die Grundlagen bilden Art. 25 B.-V. und die
außerordentlichen Vollmachten des Bundesrates.
Wir meinen die Einfuhrbeschränkun-
gen. Sie liegen außerhalb des ordentlichen
Vorgehens auf dem Gebiete der schweizerischen
Außenhandelspolitik und sind der Ausfluß krank-
hafter Preisunterbietungen durch das Ausland.
Der Zollschutz ist unter geordneten Verhältnissen
d i e Maßnahme, um sich gegen die Unterbietung
des Auslandes in den eigenen Marken zu schüt-
zen. Durch den völligen Zerfall einiger Valuten
haben sich aber Verhältnisse herausgebildet,
welche trotz Zollschutz nicht nur die äußere
Konkurrenzfähigkeit eines in seiner Valuta ge-
sunden Landes aufs stärkste bedrohen, sondern
die auch eine Absatzstockung auf dem inneren
Markte durch eine völlige Ueberschwemmung
desselben hervorrufen mußten. Deutschland z. B.
konnte zeitweilig die Schweiz bis zu 50 Prozent
und mehr im Preise unterbieten. Obwohl die
deutschen Preise die Tendenz haben, sich dem
Weltmarktpreise anzugleichen, brachte jeder neue
Marksturz erhöhte vorübergehende Unterbie-
tvngsmöglichkeiten. Aehnlich lagen die Ver-
hältnisse mit Oesterreich, welches den Reigen der
„Ausverkaufsstaaten" eröffnete. Es handelte sich
nicht um eine unter ordentlichen Verhältnissen
zustandekommende Konkurrenz, welche etwa auf
größerer wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit be-
ruhen würde, sondern um ein- eigentliche
Schleuderkonkurrenz, die zwar letzten Endes die
Vermögenssubstanz der Ausverkaufsstaaten ver-
ringerte, aber doch den ordentlichen Gang des
schweizerischen Wirtschaftslebens in hohem Grade
beeinträchtigte. Konnte man sich gegen diese
Konkurrenz auf dem Weltmärkte nicht schützen,
so ging es doch nicht an, auch das eigene Land
dieser Schleuderkonkurrenz offen zu halten.
Zwar hätten manche vorübergehend aus dersel-
ben Nutzen ziehen können,- allein die normale
Nachfrage hätte gelitten und die Arbeitslosigkeit
würde einen noch höheren Grad erreicht haben.
Die Valutakonkurrenz ist inzwischen allmäh-
lich zurückgegangen. Die valutarischen Preis-
oorfprünge Deutschlands, welche die maßgebende
Rolle spielten, sind im Laufe eines Jahres von
55 Prozent auf rund 20 Prozent des Schweizer-
preises zusammengeschmolzen. Allerdings ist zu-
zugeben, daß sie vorübergehend wieder etwas
zunehmen können. Allein im wesentlichen ist die
Dalutakonkurrenz im großen und ganzen ziemlich
pbgebaut. Noch am 10. November 1922 waren
Hunderte von Artikeln der Einfuhrbewilligung
unterworfen und die Einfuhr mit relativ hohen
Spezialgebühren belegt. Welche Ausdehnung die
Einfuhrbewilligungen hatten, läßt sich daraus
entnehmen, daß 252 Positionen und Unterpo-
sitionen des Zolltarifes der Einfuhrbewilligung
teils ganz, teils für gewisse speziell bezeichnete
Waren unterlagen. Darunter zählen wir u. a.: Positionen
Holz- und Holzwaren . 35
Häute, Felle, Leder . . 10
Rohstoffe der Papierbearbeitung . 17
Konfektion .... . 15
Glaswaren .... . 10
Eisenartikel .... . 41
Waren aus Kupfer, Blei, Zink usw. 16
Maschinen und Geräte . 10
Uhren, Apparate, Instrumente . . 14
Inzwischen sind nicht unwesentliche Erleichte-
rungen eingetreten. So sind z. B. generelle
Einfuhrbewilligungen erteilt worden für Bau-
und Nutzholz, Fourmere, Faserstoffe der Papier-
fabrikation, einfarbiges Druck- und Schreib-
papier usw. Liniertes Papier, Handschuhe, Sei-
denstrümpfe, Rundeisen, Walzdraht, Flach- und
Quadrateisen, Fagoneisen, Eisenblech, Draht-
stiften, Holzbearbeitungsmaschinen. Aber immer
noch ist die Liste der der Einfuhrbewilligung un-
terliegenden Artikel sehr groß.
Für Liechtenstein ist die Frage der Einfuhr-
beschränkungen insofern wichtig, als das Land
darüber orientiert sein muß, wie es mit ihnen
18
in Zukunft gehalten wird. Bis heute hat sich die
Bevölkerung der Landes mit den in Frage
stehenden Waren frei eindecken können, so weit
es das Einkommen gestattete. Wird der Staats-
vertrag, über den wir im zweiten Teil zu han-
deln haben, akzeptiert, so muß natürlich auch jede
spekulative Einfuhr an Balutawaren einge-
schränkt werden. Es entsteht daher die Frage,
ob man wohl mit dieser außerordentlichen Maß-
nahme noch längere Zeit zu rechnen haben wird.
Wir glauben, daß dies nicht der Fall
s e i. Das System der Einfuhrbeschränkung soll
zwar einstweilen nochmals bis Frühjahr 1924
aufrecht erhalten werden. Allein es ist anzu-
nehmen, daß während dieser Zeitdauer die Va-
lutakonferenz des Auslandes völlig verschwinden
werde. Preisunterbietungen wer-
den allerdings trotzdem in weit
höherem Maße vorkommen als frü-
he r ; sie werden aber nicht mehr auf die Valuta-
konkurrenz zurückzuführen sein, sondern in erster
Linie aus die schlechtere Lebenshal-
tung der ausländischen Arbeiter'.
Gegen diese Konkurrenz kann es aber außer der
Zollpolitik auf die Dauer keine Beschränkung
geben. Dagegen wendet sich ein starker Teil des
Schweizervolkes. In den gegenwärtigen Ein-
fuhrmaßnahmen des Bundes ist daher nur eine
vorübergehende Maßnahme zu er-
blicken, welche nach Inkrafttreten des Vertrages
mit Liechtenstein voraussichtlich verschwunden
sein dürfte. Cs darf aber abschließend wohl be-
merkt werden, daß die Einfuhrbeschränkungen
vielfach gerade Artikel des Gewerbefleißes be-
trafen, deren Schutz vor ausländischer Schmutz-
konkurrenz auch dem liechtensteinischen Gewerbe
zugute gekommen wäre.
d) Es ist klar, daß im Zusammenhang mit
^ollfragen stets Preis- und Leben?
Haltungsfragen diskutiert werden. Denn
der Zoll beeinflußt Preise und Löhne, durch
deren Zusammenwirken die Höhe der Lebens-
haltung bestimmt wird.
Diese Fragen sollen in der Weise besprochen
werden, daß zunächst die allgemeine Preis-
lage der Schweiz unter internationalem
Gesichtspunkt betrachtet wird. Darnach werden
wir uns über die Höhe der Lebenshaltung
aussprechen, um endlich die Einwirkung des
Schweizerzolles auf die liechtensteinischen Le-
benshaltungs- und Produktionskosten zu behan-
deln.
Man ist im allgemeinen der Ansicht, daß die
Preislage der Schweiz eine ungünstige sei.
Stellen wir auf die Großhandelspreise ab, die
letzten Endes für die Detailpreise ausschlagge-
bend sind, so kann ein Vergleich zwischen der
Schweiz und dem Auslande vorerst nur mit den
Ländern gezogen werden, deren Geld mit der
alten Parität mehr oder weniger im Einklänge
steht.
Ziehen wir die Großhandelsindices zu Rate,
so ergibt sich folgendes:
Der Index stand:
für am auf
England 1. April 156
Schweden 1. April 162
Verein. Staaten 1. April 166
Dänemark 1. März 199
Holland 1. März 159
Schweiz 1. April 175
Die Schweiz steht etwa in der Mitte zwischen
den Ländern, allerdings wesentlich höher als
England und Holland. Letzten Endes ist aber
nicht dieser Index der maßgebende, sondern es
kommt auf die internationale Kauf-
k r a f t an. Da stand es längere Zeit mit der
Schweiz recht ungünstig. Infolge ihres hoch-
stehenden Geldes bei gleichzeitigen hohen Prei-
sen hatte die Schweiz gegenüber dem Auslande
wesentliche valutarische Preisnachteile, bezw. das
Ausland hatte wesentliche valutarische Preis-
vorsprünge. Sie haben sich aber seit einiger
Zeit bedeutend verringert, wie folgende Zahlen
nachweisen:
1922 England Frankreich Deutschland
Januar 16,4 18,3 53,6
Februar 13,7 13,9 51,4
März 12,9 8,0 48,1
April 9.5 5,3 53,7
Mai 8,9 0,8 46,7
Juni 6.4 0.4 37,6
Juli 6.7 5,8 35,9
August 6,7 7,5 44,4
September 8,2 12,3 48,0
Oktober 8,3 12,0 32,0
November 6.1 16,3 33,1
Dezember 5,6 14.1 39,5
1923
Januar 6,7 10,6 28,7
Februar 3,8 15,7 28,9
März 6.2 14,5 20,3
April 11,5 11,0 20,7
Mai 9,5 10,5 22,4
Die Schweiz ist hinsichtlich der Kaufkraft
ihres Geldes immer noch ungünstiger gestellt als
andere Staaten, obwohl sich die Verhältnisse we-
sentlich gebessert haben. Berücksichtigt man Ame-
rika und schaltet man Deutschland aus, für wel-
19
ches infolge der ungeheuren Inflation ganz
besondere, krankhafte Zustände herrschen, so wird
man heute den valutarischen Preisnachteil der
Schweiz auf zirka 10 Prozent veranschla-
gen können.
Spielt dieser, für die Schweiz ungünstige
Faktor für Liechtenstein eine Rolle? Der valu-
tarische Preisnachteil der Schweiz fällt ins Ge-
wicht für die Industrien, welche auf dem Welt-
märkte mit den ausländischen konkurrieren
müssen. Liechtenstein hat nun allerdings einige
Fabriken, welche mit diesem Faktor zu rechnen
haben. Sie «erden aber bis zu einem gewissen
Grade heute schon von ihm betroffen, da Liech-
tenstein durch die bestehende enge Verbindung
mit der Schweiz in der Währungsfrage und
durch eine stark« Angleichung der Preise an die
Schweiz diesen Preisnachteil bis auf weniges
bereits schon trägt. Für den liechten-
steinischen Viehexport kommt der Faktor aber
nicht in Frage, weil kein äquivalentes Export-
produkt auf den Markt kommt. Für das Ge-
werbe endlich, welches für den i n n e r e n Markt
arbeitet, spielt die Frage keine Rolle. E r n st -
liche Bedenken entstehen also für
die liechtensteinischen Interessen
aus den internationalen Kauf-
kraftimparitäten bei einem An-
schluß an das schweizerische Zoll-
gebiet nicht. —
Die Kaufkraftimparität der Schweiz ist eine
Folge von hauptsächlich zwei Faktoren: des
strengen Schutzes der landwirtschaftlichen und
gewerblichen Produktenpreise gegen die zur Zeit
starken Schwankungen des Weltmarktes und die
Hochhaltung der Löhne und damit der Le-
benshaltung durch den Abschluß des Ar-
beitsmarktes vom Auslande. Es fehst an streng
vergleichbarem Material über die Lebenshaltung.
Im großen ganzen wird man aber nicht fehl-
gehen, wenn man annimmt, der schweizerische
Arbeiter habe einen um 100 Prozent höheren
Reallohn als fein Kollege in Deutschland und
Oesterreich und vielleicht einen Vorsprung von
20—25 Prozent gegenüber dem italienischen und
ftanzösischen Arbeiter. Indessen ist es sehr
wichtig, zu konstatieren, daß in der Schweiz
s e l b st starke Belöhnungsunterschiede vorhan-
den sind. Man vergleiche folgende Löhne in der
Landwirtschaft (Wochenlöhne Mittelwerte):
Minimum Maximum Durchschnitt
Melker 22,85 36,45 25,90
Pferdeknecht 17,75 34,20 24,90
Landknecht 17,55 34,35 21,20
Magd 11,30 14,50 13,00
Je nach den Laicktesgegenden sind die Löhne
also in der Landwirtschaft außerordentlich ver-
schieden. Aehnliches ist auch bei den gewerk-
schaftlich nicht durchorganisierten Industrien
uttb GSwerben der Fall. Für Löhne und Le-
benshaltung hat daher auch ein kleines Wirt-
schaftsgebiet den größten Spielraum. Es kommt
dabei ganz und gar auf die wirtschaftliche Struk-
tur des Landesteils u. damit der Mentalität der
Lohnarbeiter an. Der Zollanfchluß wird daher
kaum direkt trgenitone die Lohnhöhe beein-
flussen. Doch ist auf längeren Termin
durch ein« gewisse Entlastung des
liechtensteinischen Arbeitsmarktes
mit einem Steigen der Löhne und
wohl auch der Lebenshaltung zu
rechnen.
Wird aber — und damit kommen wir zu
einer letzten und außerordentlich wichtigen
Frage — der Zollanschluß nicht die Lebens-
k o st e n erhöhen, daß die Löhne infolge-
dessen steigen muffen? Es handelt sich hier um
den Einfluß des Schweizerzolles auf dis liechten-
steinischen Preise bezw. Lebenskosten. Wir
müssen zur Abklärung der Angelegenheit einige
Berechnungen anstellen.
Schon früher haben wir auf die Schwierig-
keit von Belastungsberechnungen aus dem Zoll
hingewiesen. Wir wollen versuchen, sie an die-
ser Stelle aus besondere Weise zu bewältigen.
Wir kennen für Liechtenstein die einge-
führten Mengen für
a) 19 Nahrungs- und Genußmittel-Positionen
b) 3 Tabak-Positionen
c) 16 Positionen von Gebrauchs gegenständen
d) 13 Positionen von Baumaterial.
Es sind uns hiefür auch die Z o l l e r t r ä g e
bekannt. Die Zahlen erstrecken sich für .-i—c
auf zweites bis viertes Quartal 1922, für d auf
das zweite Halbjahr 1922. Wir stellen nun die
liechtensteinischen Zollerträge den mutmaßlichen
schweizerischen gegenüber (siehe ausführliche Ta-
belle im Anhang) und konstatieren folgendes:
Es beträgt der Zollertrag nach Tarif
für Liechtenstein für die Schwei;
Nahrungs- und Fr- Fr.
Genußmittel 27,825.— 39,588.—
Tabakerzeugniff« 12,570.— 61,830.—
Gebrauchsartikel 11,572.— 55,520.—
Baumaterialien 6,976.— 37,351.—
Total: 58,943.— 194,289.—
Mehraufwand bei Schweizertarkf: Fr. 135,348.
Auf den Monat umgerechnet: Fr. 16,616.
20
¿Beim ersten Hinblick scheint die Zahl sehr
hoch. Soll Liechtenstein in der Tat monatlich
rund Fr. 16,000.— mehr an Zöllen bezahlen als
bisher, d. h. mehr als das Doppelte des bisher
überhaupt bezahlten Betrages (6,936 Fr. liech-
tensteiner Zoll)? Rechnen wir weiter: Wir
haben schon weiter oben darauf aufmerksam ge-
macht, daß Liechtenstein z. T. doppelten
Zoll zahlt: Liechtensteiner und Schweizerzoll.
Ein Teil der Fr. 16,000.— monatlich
ist heute schon bezahlt worden,
ohne daß Liechten st ein davon auch
nur einen Rappen gehabt hätte.
Wie groß ist dieser Teil? Leider kennen wir
die Einfuhr nach Ländern für Liechtenstein
nicht- Wir nehmen daher zu einigen Schätzun-
gen unsere Zuflucht. Rehmen wir einmal an,
es kommen heute schon aus der Schweiz
50 % der Nahrungsmittel
10 % des Tabaks
20 % der Gebrauchsgegenstände
10 % des Baumaterials.
Legen wir nun diese Relationen auf die ver-
schiedenen Gruppen um, so kommen wir zum
Ergebnis, daß Liechten stein schon
heute an Schweizerzoll im Monat
zahlte:
Nahrungsmittel rund Fr. 2,500.—
Tabak.................... 680.—
Gebrauchsgegenstände „ 1,250.—
Baumaterial „ 600.—
Total: "grTöXßO.—
rund: Fr. 5,000.—
Wir haben Nahrungsmittel- und Tabakbezug
aus der Schweiz besonders niedrig eingeschätzt,
um möglichst auf eine Maxim albe la stung
zu kommen.
Nach den oben gemachten Berechnungen hätte
Liechtenstein nun zu zahlen:
Fr. 16,000.—
ab schon gezahlter Zoll: „ 5,000.—
effektive Mehrla st: Fr. 11,000.—
Es fällt aber in Zukunft
weg der jetzige Liechten-
steiner Zoll, rund Fr. 7,000.—
Endliche Mehrlast: Ar. 4,000.—
Alles bei pessimistischer Schätzung
für den Anschlutzfall.
Die hier in Berechnung gezogenen Positionen
erfassen rund drei Viertel der Einfuhr und die
hinsichtlich des Zollertrages gewichtigsten Posi-
tionen. Nehmen wir für das übrige Viertel
einen Zuschlag von Fr. 1,000.— an, so greifen
wir wohl hoch. Einen weiteren Zuschlag von
Fr. 1,000.— berechnen >wir für bisher zollfreie
Waren und für bessere Erfassung an der Grenze.
Dann haben wir zu verzeichnen:
Fr.
Mehrbelastung für drei Viertel der
Zollpositionen p. Mon. 4,000.—
Zuschlag für testierendes Viertel . 1,000.—
Zuschlag für zollfreie Positionen und
schärfere Erfassung . . . 1,000.—
Total: 6,000.—
per Jahr X 12 — 72,000.
Wir haben mit dieser Summe wohl das
Maximum der Mehrbelastung ge-
rechnet, da die Einfuhrzahlen 1922 von einer
außerordentlichen Bautätigkeit beeinflußt waren.
Ferner fand im Jahre 1922 noch eine starke
Ausnutzung der Kronen- und Markkonjunktur
in Gebrauchsgegenständen statt. Nach unsern Be-
rechnungen wird man die Mehrbelastung durch
den Zoll auf allerhöchstens Fr. 7.— per
Kopf und Jahr ansetzen können.
Normalerweise wird sie aber weit
niedriger sein. Eine fühlbare all-
gemeine Verteuerung durch den
Zollanschluß wird nicht eintreten.
In der Hauptsache wird sie ent-
fallen auf Gebrauchsgegenstände
und Baumaterialien. Diese ver-
mögen aber die durchschnittliche
Preislage in Liechtenstein nicht
entscheidend zu beeinflussen.
II.
Der Skaatsvertrag vom 29. März 1923.
Wir haben uns bisher mit den allgemeinen
Grundzügen befaßt, so weit sie den liechtenstein-
schweizerischen Zollanschluß betreffen. Nun gilt
es, die spezielle Modalität zu behandeln, nach
welcher der Anschluß eventuell vor sich gehen soll.
Wie in der Einleitung betont worden ist,
handelt es sich um die Einschätzung dieses Ver-
trages nach feiner volkswirtschaftlichen
und fislkalischen Bedeutung für Liechten-
stein.
A. In volkswirtschaftlicher Hinsicht
ist der Staatsvertrag von allergrößter Bedeu-
tung, weil er der logischerweise erfolgenden
wirtschaftlichen Unifizierung ihre vorderhand
endgültige Form geben soll.
Es handelt sich beim vorliegenden Vertrage
im allgemeinen nicht um einen Zoll Vereins-
vertrag, d. h. nicht um die Bereinigung zweier
mit Bezug auf die Zollpolitik gleichberechtigter
Kontrahenten, sondern vielmehr eher um einen
21
Zollanschlußvertrag, b. h. um eine Vereinbarung,
nach welcher Las größere Wirffchaftsgebier die
Jnteressenwahrunz für Las .kleinere übernimmt,
wobei, wenigstens soweit Oest e r reich in
Frage kommt, Lie fürstliche Regierung vor Ab-
schluß der Verträge anzuhören ist (Art. 8). Die
Souveränität in allen jenen Gebieten, welche
Lurch den Zollanschlußvertrag berührt -werden,
ist also für Liechtenstein für die Bertragsdauer
aufgehoben, besteht aber grundsätzlich dennoch,
da -der Vertrag kündbar ist. Er ist nur auf die
Dauer von fünf Jahren abgeschlossen und Aen-
derungen können -im gegenseitigen Einverständ-
nis auch ohne förmliche Kündigung vereinbart
werden (Art. 41 und 42), ja es ist an einen Fall
der Aenderung, der Festsetzung des liechtenstei-
nischen Anteiles an den Zollerträgen innerhalb
der Vertragsdauer eine Spezialbereinbarung
betreffend die Revision des einmal vorgesehenen
Betrages von Fr. 150,000.— p. a. event, bereits
gedacht (Art. 36).
Es erhebt sich nun die Frage, welcher
volkswirtschaftlichen Gebiete denn
im Vertrage besondere Erwähnung getan ist.
Wir glauben zunächst vorweg jene Gebiete
in summarischer Weise erledigen zu können, in
welchen heute schon eine weitgehende
Angleichung Liechtensteins an die
Schweiz erfolgt ist. Es betrifft dies das
G eld-we f en und die Vorschriften über Maß
und Gewicht. Konsequenterweise mußte die
Schweiz daraus -dringen, daß à Bundesrats-
beschlüsse, Verordnungen und Verfügungen,
welche infolge der Kriegs- und Nachkriegsver-
hältnisse erlassen wurden, im vollen Umfange
hinsichtlich des Geldwesens auch in Liechtenstein
Anwendung finden; sonst wären alle die Nach-
teile, welchen die Schweiz zufolge ihrer eigen-
tümlichen Valutalage ausweichen mußte, teil-
weise durch den Anschluß Liechtensteins an das
Schweiz. Zollgebiet in mehr oder weniger großem
Umfange wieder aufgetreten. Sie mußte selbst-
verständlich auch alle jene Bestimmungen für
Liechtenstein in Kraft setzen, welche den Verkehr
mit Gold-, Silber- und Platinwaren betreffen.
Irgendwelche Komplikationen aus den in Ver-
trags-Anlage I A k>—c erwähnten, in Zukunft
eoentl. auch für Liechtenstein geltenden Gesetzes-
normen finlb für das Fürstentum nicht zu er-
warten. Eine Aenderung im Maßwesen wird
insofern einsetzen, als das Bundesgesetz über
Maß u.- Gewicht entsprechend der Vollziehungs-
Verordnung vom 12. Januar 1012 die Viertel-
litermaße als zur Aichung zulässig nicht kennt.
Das Schwergewicht der Neuordnung der
Dinge, wie sie im Staatsoertraz vorgesehen
sind, liegt in der Einheit des Zoll - und
Verbrauchs st euerwe sens, der Vor-
schriften betreffend die Stempelsteuern,
der Fabrikgesetzgebung und der be-
stehenden und event, künftigen Gewerbe-
gesetzgebung, gewisser Vorschriften be-
treffend die Landwirtschaft und das
Veterinärwesen, sowie des Verkehrs
mit Lebensmitteln, sowie endlich be-
treffend des Arbeitsmarktes.
a) Die größte Bedeutung kommt der ver-
traglichen Vereinbarung betreffend die Einheit
des Zoll- und Verbrauchssteuer-
wesens zu. Die beiden Gebiete sind eng ver-
knüpft, weil die Verbrauchssteuern in der
Schweiz teils enge mit dem Zollwesen verbun-
den sind, teils die absolute Einheit des Wirt-
schaftsgebietes voraussetzen.
Im Vordergründe des Interesses steht das
Z o l l w e f e n. Wir versuchen uns in der
Weise ein Urteil über den Wert des Staatsver-
trages für Liechtenstein zu bilden, daß wir die
Liechtensteinischen Pflichten in ihren volkswirt-
schaftlichen Folgen einschätzen und uns über die
Tragweite der Rechte vergewissern, welche Liech-
tenstein seitens der Schweiz zugestanden worden
sind. — Die allgemeine Stellung Liechtensteins
gegenüber der Schweiz haben wir in der Ein-
leitung dieses Abschnittes bereits charakterisiert.
Das Fürstentum anerkennt nicht nur, wie ein
zur Schweiz gehöriger Kanton, die Einheit des
Zollgebietes in allen ihren Konsequenzen. Liech-
tenstein muß auch alles Nötige vorkehren zur
Bekanntmachung und Einführung der Erlasse,
welche diese Einheit konstituieren. Speziell im
Zollwesen hat Liechtenstein die a u s r e i ch e n d e
Markierung der Grenze vorzunehmen,
ihm obliegen auch die Beschaffung der Zoll-
amtsgebäude und die Erhaltung derselben,
während Einrichtung- und Betriebskosten zu
Lasten der Schweiz fallen. Sofern dies nötig
ist, besteht event, eine Verpflichtung, für Liech-
tenstein, die Ünterkunftsräume für
die Grenzwache gegen ortsübliche Ent-
schädigung zu beschaffen. Die Liechensteiuische
Regierung gewährt den schweiz. Zollorganen
die Steuerfreiheit mit Ausnahme der indirekten
und der Grundsteuern. Was die Liechtenstei-
nischen Rechte anbelangt, so sind unter volks-
wirtschaflichem Gesichspunkte zu erwähnen der
Anspruch auf eine jährliche Entschädigung von
Fr. 150,000.— für cille Zölle und Gebühren, mit
Ausnahme jener, welche die Stempelsteuer be-
treffen, event, die Anstellung Liechtensteinischen
Personals im Zolldienst, mit Ausnahme der
Grenzwacht.
22
Es entsteht die Frag«, inwiefern Liechten-
stein durch diese Vorschriften volkswirtschaftlich
belastet und entlastet wird. Die Belastung liegt
zunächst in der Herstellung der für den Zoll-
dienst nötigen Lokalitäten und in der genaueren
Ausmarkung. Bei der event. Beschaffung der
Unterkunftsmöglichkeit für das schrveiz. Zollper-
sonal wird keine Belastung entstehen, weil für
diesen Fall ortsübliche Entschädigung vorge-
sehen ist. Wie groß der Aufwand für die Er-
richtung der Zollhäuser sein wird, läßt sich, da
hierüber noch keine näheren Vereinbarungen
getroffen sind, nicht entscheiden. Dagegen ist
anzunehmen, daß die schweizer. Ansprüche kaum
das Maß jener Auslagen beträchtlich überschrei-
ten dürfte, die bei einer definitiven selbständigen
Zollpolitik Liechtensteins mit der damit verbun-
denen schärferen Bewachung ohnehin mit der
Zeit notwendig geworden wäre. Auf jeden Fall
handelt es sich nur um einmalige Aufwendun-
gen, welche bei einer event. Vertragslösung
sofort den Liechtensteinischen Staatsinteressen
dienen meröen.
In diesem Zusammenhang ist darauf zu ver-
weisen, daß die Verpflichtung, auf den eigenen
Grenzdienst zu verzichten, für Liechtenstein auch
ohne weiteres jegliche Auslagen hiefür in Weg-
fall kommen, welch« bei bisherigem Umfange
der Grenzbewachung auf rund Fr. 40,000.—
beziffert werden können gleich einem Viertel des
Zollertrages, eine Summe, welche mit der Zeit
kaum mehr ausgereicht hätte.
Den Verzicht Liechtensteins auf die direkte
Besteuerung des fchweiz. Zollpersonals —
immerhin mit Ausnahme der indirekten und
Grundsteuern — steht der Vorteil gegenüber,
welchen die Liechtensteinische Volkswirtschaft aus
dem Verbrauche des Einkommens von minde-
stens 40 Zollbeamten ziehen wird. Man geht
wohl nicht fehl, wenn man mit einem Ver-
brauche von etwa 120 bis 150.000 Franken i. I.
rechnet.
Sehen wir ab von den allgemeinen, wie wir
im ersten Teil unseres Gutachtens nachgewiesen
haben, günstigen volkswirtschaftlichen Folgen
des Zollanschlusses, fo liegt das Schwergewicht
bei der Frage der quantitativen Ent-
schädigung Liechtensteins, die sowohl volks-
wirtschaftliche wie fiskalische Bedeutung hat.
Wir ziehen vor, diesen wichtigen Punkt später
zum Schlüsse bei der Würdigung der Frage vom
fiskalischen Gesichtspunkte aus, zu erledigen.
Das Verbrauchs ft euerwefen, mit
welchem Liechtenstein event, zusammengeschmol-
zen werden soll erschöpft sich zur Gänze in den
Vorschriften der Alkoholgesetzgebung.
Nach den heute bestehenden Bestimmungen
steht das Recht zur Herstellung gebrannter
Wasser dem Bunde zu. Monopolfrei sind einzig
im Inland hergestellte gebrannte Wasser aus
Trauben und Obsttrestern, Trauben- und Obst-
wein, Wein- oder Obschesen, Kern-Stein- oder
Beerenobst und Enzianwurzeln. Alle andern
im Inland erzeugten Destillate, alle aus dem
Ausland eingeführten gebrannten Wasser, sowie
sämtliche eingeführte Erzeugnisse» die gebrannte
Wasser enthalten, alle eingeführten Rohstoffe
und alle aus solchen Rohstoffen in der Schweiz
hergestellten Produkte sind monopolpflichtig,
sofern sie zur Gewinnung gebrannter Wasser
dienen.
Annähernd ein Viertel des Bedarfes an
Sprit und Spiritus, im Maximum 30.000 Hek-
r totster jährlich, wird durch staatlich konzesfio-
f nierte Privatbetriebe in Form landwirtschaft-
licher Genossenschaften für Rechnung des Bun-
des hergestellt. Das inländische Rohmaterial
wird bevorzugt. Den Restbedarf bezieht die Mo-
nopolverwaltung vom Ausland. Die Einfuhr
von Branntwein und Liqueur, ebenso die Her-
stellung gebrannter Wasser aus ausländischem
Wein, Obst usw. ist Privatpersonen gegen Ent-
richtung der Monopolgebühr gestattet. Auch
die Einfuhr alkoholhaltiger oder mit Alkohol her-
gestellter Produkte, die nicht zu Trinkzwecken
dienen, ist frei gegen Entrichtung der Monopol-
gebühr. Sprit und Spiritus in denaturiertem
Zustand wird von der Alkoholverwaltung zum
Selbstkostenpreis abgegeben, Sprit für den
Trinkbedarf ist einem Monopolzuschlag unter-
worfen. Bei der Ausfuhr monopolpflichtiger
Produkte wird der Monopolgewinn zurück-
bezahlt. Der Handel mit gebrannten Wassern
jeder Art in Mengen von mehr als 40 Litern
ist ein freies Gewerbe. Der Handel mit klei-
neren Mengen unterliegt den nach den Bundes-
vorschriften aufgestellten kantonalen Polizei-
und Steuererlassen.
Die Mengen erzeugten Obstbranntweins in
Hektolitern absoluten Alkohols wurden im
Durchschnitt geschätzt in den Perioden 1880/84
auf 10,000 Hektoliter, 1893/1902 auf 15,000
Hektoliter, 1903^1912 auf 19,000 Hektoliter,
1914/1917 auf 27,556 Hektoliter.
Genaue Angaben über die letzten Jahre
können nicht gemacht werden, nach Schätzungen
sind im Jahre 1921 ungefähr 80.000 Hektoliter
Obstbranntwein hergestellt worden. Der Brannt-
weinkonsum hat so stark zugenommen, daß man
zu einer Ausdehnung der Gesetz-
gebung schreitet.
23
Kontrolle und Besteuerung sollen auf die
ganze einheimische Produktion übertragen wer-
den. Die privaten Brenner müßten ihre Pro-
duktion der Alloholverwaltung abliefern. Um
den bäuerlichen Interessen Rechnung zu tragen,
würde der Bund dem einheimischen Produzen-
ten die Verwertung Mer brennbaren Stoffe,
die Leine andere Verwendung finden könnten,
zu einem angemessenen Preise sichern, Um die
Produktion von Branntwein nicht übermäßig
auszudehnen, würde versucht, die Verwendung
von Obst im Haushalt zu vermehren. Ein Teil
der -Obstbranntweine würde in Industrie-Sprit
umgewandelt, der jedoch mit Verlust verkauft
werden müßte. Die Verluste würden gedeckt
durch die auf dem Trinksprit erzielten Gewinne.
In der Abstimmung vom 3. Juni nächsthin
wird sich das Schweizer Volk über den Grund-
satz der Ausdehnung des Alkoholmonopols aus-
sprechen und aller Voraussicht nach ihr zustim-
men.
Der Vertrag sieht eine Beitragspflicht des
Bundes an Liechtenstein aus dem Alkoholmono-
pol nicht vor, sodaß das Land nur soweit von
Nutzen des bestehenden und eines event, künf-
tigen Gesetzes profitiert, als die Bekämpfung
des Alkoholismus auch Liechtenstein zu gut
kommt. In wieweit eine Belastung Liechten-
steins durch diese Form der Verbrauchssteuer
eintritt, kann mangels der nötigen Angaben
nicht gesagt werden. Es ist Mer darauf auf-
merksam zu machen, daß der Liechtensteinischen
Landwirtschaft direkt und indirekt
Vorteile aus dem Alkoholmonopol
ent st ehen werden. Zu wiederholten Ma-
len, namentlich im Jahre 1922, hat das Alkohol-
monopol gegenüber den brennbaren Produkten
preis haltend gewirkt, was indirekt in Zu-
kunft in Form einer gewissen Preisgarantie auch
günstigen Einfluß auf die Liechtensteinische Pro-
duktion haben wird. Direkt erwächst der
Liechtensteinischen Landwirtschaft nicht nur ein
neuer Abnehmer, sondern es scheint uns ge-
wissermaßen auch ein Rechtsanspruch der
Liechtensteinischen Produzenten auf die Ab-
nahme einschlägiger Produkte zu
erstehen in einem Umfange, der zur jewei-
ligen Abnahme schweizerischer Produkte im Ver-
hältnis ist.
d) Das Bundesgesetz über die Stempel-
abgaben und die sog. Coupon st euer
soll für Liechtenstein ebenfalls Gesetzeskraft er-
langen. Eine Einschränkung sieht der Vertrag,
bezw. das Schloßprotokoll desselben insoweit vor.
als darüber Einverständnis besteht, daß Liechten-
stein in den Fällen, in welchen es vor dem 27.
Januar 1923 entgegenstehende Zusagen gemacht
hatte, diese einhalten kann.
Eine gewisse allgemein« Bedeutung erhält
das Gesetz durch den Stempel auf Frachturkun-
den im Gepäck-, Tier- und Güterverkehr mit
Ausnahme der Transitsendun gen. Der Abgabe -
satz mit 10 Cts. ist gering. Ferner sind von all-
gemeinem Interesse auch die Abgaben auf Prä-
mienguittungen, die Mer weder Kranken-, noch
Arbeitslosenversicherung, noch auch Rückver-
sicherung u. die landwirtschaftliche Versicherung
betreffen. Auch die Unfallversicherung bei der
Schweiz. Unfallversicherungsanstalt in Luzern
ist nicht abgabepflichtig. Richt pflichtig ist end-
lich die Versicherung öffentlicher Angestellter und
privater, soweit eigene Vevsicherungskafsen vor-
liegen. Pflichtig siM die Lebensversicherung
mit 'A Prozent der Barprämie, in gleicher Höhe
auch die Transportversicherung: die Immobiliar-
versicherung (inkl. Brandchomage- und Mietver-
lustversicherung) mit 5 Cts. per 1000 Fr. Versiche-
rungssumme, die Mobiliaroersicherung mit
10 Cts. vom Tausend der Versicherungssumme
und alle übrigen Versicherungszweize mit
5 Prozent der Barprämie. Von einer ernst-
lich ins Gewicht fallenden Belastung kann nicht
die Rede sein.
Wichtig ist bei der Beurteilung der Trag-
weite dieser Gesetzgebung, daß — obwohl dies
nirgends expressis verbis ausgedrückt ist —
nach Art. 6 des Vertrages Liechtenstein die
gleiche Rechtsstellung zukommt, wie den schwei-
zerischen Kantonen. Es kommt somit Obliga-
tionenanleihen des LaMes, wie event, der Ge-
meinden ohne weiteres die gleiche Behandlung
zu, wie den schweizerischen, d. h. sie unterliegen
der Abgabe nicht. Liechtensteinische private
Emissionen werden als schweizerische behandelt,
wie überhaupt dem Liechtensteiner hinsichtlich
des Gesetzes die gleiche Rechtsstellung zukommen
wird, wie dem Schweizer.
r) D i e Fabrikgesetzgebung der
Schweiz soll nach dem Vertrage inskünftig auch
für das Gebiet des Fürstentums Liechtensteins
gelten. Die wesentlichste Neuerung, welche durch
die Adoption der Schweiz. Fabrikgesetzgebung
für die Fabrikarbeiterverhältnisse in Liechten-
stein entstehen wird, ist die Einführung des
Achtstundentages. Der Achtstundentag
darf für Liechtenstein so ziemlich als den dortigen
Verhältnissen fremd bezeichnet werden. Er Hai
seine Gefahren namentlich da, wo die Arbeiter-
schaft, von der Scholle vollständig losgelöst, die
Freizeit produktiv nicht ausnützen kann. Dort
wirkt die so verkürzte Arbeitszeit vielfach kon-
sumsteigernd. Damit werden leicht die Ansprüche
an die Entlohnung erhöht. Die Wiederholt be-
tonte enge Verbindung der liechtensteinischen Ar-
beiter mit Grund und Boden läßt die Neuerung
weit weniger bedenklich erscheinen. Bei der acht-
stündigen Arbeitszeit handelt es sich um inter-
nationale Abmachungen, so daß die einschlägigen
Bestimmungen an sich kaum die Entwicklung der
Fabrikindustrie irgendwie beeinträchtigen. Zu-
dem ist der Achtstundentag in der Schweiz in
Form von Ausnahmebewilligungen wegen
außerordentlicher Verhältnisse ziemlich stark
durchbrochen und eine demnächst stattfindende
Volksabstimmung wird darüber entscheiden, ob
nicht auf die Dauer von 3 Jahren eine gewisse
generelle Durchbrechung des Achtstundentages
überhaupt eingeführt werden soll.
Es ist einleuchtend, daß die Schweiz darauf
halten mußte, die schärferen Bestimmungen des
Arbeiterfchutzes imFabrikgefetz auch auf Liechten-
stein anzuwenden, da die Einheit des Wirt-
schaftsgebietes unter allen Umständen auch die
Einheit des Arbeiterschutzes erfordert. Abge-
sehen von der erst seit wenigen Jahren auf 8
Stunden verkürzten Arbeitszeit enthält das Ge-
setz durchaus bewährte Vorschriften. Eine Ab-
wanderung der Industrie ist nicht zu befürchten.
Ob und wie viel neue Betriebe dem Fabrikgesetz
unterstellt werden, ist mangels einer Gewerbe-
statistik nicht feststellbar. Es kann sich aber je-
denfalls nur um den einen oder andern Fall
handeln.
Was die Gewerbegesetzgebung anbelangt,
kommt zur Zeit nur das Gesetz betreffend den
Hausierhandel bezw. betreffend die Patenttaxen
der Handelsreisenden zur Sprache, ein für Liech-
tenstein neues Gebiet. Einerseits liegt in diesem
Gesetze ein gewisser Schutz vor Auswüchsen, an-
derseits aber erhält Liechtenstein ohne weiteres
auch die Vorteile „inländischer" Handelshäuser
zugebilligt.
e) Die Artikel 57—74 des Landwirt-
schaftsgesetzes handeln von der systema-
tischen Bekämpfung der Reblaus und liegen
durchaus im Interesse des liechtensteinischen
Weinproduzenten. Unter diesem Gesichtswinkel
möchten wir auch das an sich in das Gebiet der
Gewerbegesetzgebung fallende Bundesgesetz be-
treffend das Verbot von Kunst wein und
K u n st m o st betrachtet wissen. Die Borschrif-
ten betreffend das Veterinärwesen dürf-
ten offensichtlich, nachdem die Sömmerung liech-
tensteinischen Viehs auf den Vorarlberger Alpen
gemäß Schlußprotokoll II gesichert ist, ebenfalls
im Interesse der Landwirtschaft gelegen fein,
umsomehr, als durch die Einheit der Gesetzge-
bung die Grenzen nach der Schweiz abhin so
geöffnet sind, wie sie jedem Kanton offen stehen.
Das Gesetz betreffend den Verkehr mitLe-
bensmitteln, welches seinerzeit auf Initia-
tive bäuerlicher Interessenverbände gegen eine
starke Opposition der Konsumenten ins Leben
gerufen wurde, dient ebenfalls landwirtschaft-
lichen Interessen und denjenigen der Gewerbe,
welche landwirtschaftllche Produkte konsumieren.
k) Der Abschnitt des Staatsvertrages über die
Handhabung der Fremdenpolizei (Art. 33—24)
konstituiert die E i n h e itd es liechtenstei-
n i fch-schw e ize r i sch e n Arbeitsmark-
tes. Die Schweiz mußte gegenüber Liechten-
stein als Einfallstor von Oesterreich her den
einschlägigen Bestimmungen Nachdruck verleihen,
weil gerade von jener Seite ein starker Anreiz
von Arbeitskräften zur Einwanderung in die
Schweiz besteht. Liechtenstein selbst hat an der
Beschränkung der Einwanderung in die Schweiz
das größte Interesse, weil diese auch gleichzeitig
eine Konkurrenz für die liechtensteinischen Ar-
beitskräfte bedeutet.
B. Es erübrigt nun noch, die Behandlung des
Vertrages in Bezug auf feine fiskalische
Bedeutung.
Wie erwähnt erhält Liechtenstein einen An-
teil am Zollertrag in der Höhe von jährlich
150,060 Fr. Der Betrag kann abgesehen von
der Uebergangsperiode, wo die gesetzgeberische
Cinsührungsarbeit und die technischen Zollin-
stallationen vorübergehend besondere Auslagen
erheischen als Nettoertrag angesprochen werden.
Der bisherige Nettoertrag ist auf rund 120,000
Franken per Jahr zu veranschlagen. Daneben
würden sich ohne den Anschluß an die Schweiz
als Zollgebiet eventuell aus der Herstellung ge-
brannter Wasser noch gewisse Erträge erzielen
lassen, deren Höhe aber kaum irgendwie zuver-
lässig bestimmt werden kann. Was ist nun von
der Höhe der Entschädigung zu halten? Sie ist be-
rechnet worden auf Grund der Kopfzollbelastung
der Schweiz vor der Revision des Tarifes, unter
Abzug von 25 Prozent für verminderte Kauf-
kraft. In Erwägung der Tatsache, daß sich die
Belastungsquote in der Schweiz pro Kopf seit
der Revision des Tarifes verdoppelt hat, scheint
uns der Betrag reichlich niedrig bemessen und
er sollte, unter Berücksichtigung der speziellen
liechtensteinischen Versorgungsverhältnisfe, eine
Erhöhung um 50,000 Fr. erfahren.
Auch auf anderem Wege kommen wir zu dieser
Schätzung. Nach unsern frühern (unter B 2 d)
Schätzungen dürfte der Bruttozollertrag sich auf
Grund des schweizerischen Tarifes auf zirka
220—230,000 Fr. belaufen. Bei billiger An-
25
rechnung des Mehraufwandes der Schweiz für
die kompliziertere Grenzbewachung nach An-
schluß des liechtensteinischen Gebietes wird dieser
voraussichtlich der Schweiz zum mindesten einen
Mehrertrag von zirka 150,000 Fr. eintragen.
Da aber jede Entschädigung aus dem Alkohol-
monopol für Liechtenstein fortfällt, wäre eine
Erhöhung der Abfindungssumme a u f 200,000
Franken unseres Erachtens angemessen. Auf
jeden Fall sollte aml. Ianuarl926 hierauf
Bedacht genommen werden.
Eine weitere Einnahme erwächst dem Für-
stentum gemäß Art. 37 des Vertrages durch die
Ueberlaffung der reinen Einnahmen aus dem
Stempelabgabengesetze vom 4. Oktober 1917 und
25. Juni 1921, wobei der Anteil der Verwal-
tungskosten auf 10 Prozent bestimmt wird, unter
gesonderter Rechnungsführung durch die eidge-
nössische Steuerverwaltung. Aus dieser Bestim-
mung entstehen dem Fiskus Liechtensteins weder
Ausfälle noch Aufwendungen.
Schlußfolgerungen.
I. Die Prüfung der Frage, ob ein Anschluß
-es Fürstentums Liechtenstein an das schweize-
rische Zollgebiet den Interessen der liechtenstei-
nischen Volks- und Staatswirtschaft diene, hat
ergeben:
A. Aus volkswirtschaftlichen und fiskalischen
Gründen entspricht die Fortsetzung einer selb-
ständigen Handelspolitik den Interessen des
Landes nicht.
B. Als Anschlußland scheidet Oesterreich aus
und es kommt nur die Schweiz in Frage. Das
Anschlußland ist in einer in Anbetracht der heu-
tigen allgemeinen Lage guten Situation. Liech-
tensteinischer Export, veschäfiigungsmö^lichkeit
liechtensteinischer Bürger in der Schweiz und
Förderung des Fremdenverkehrs dürsten durch
den Anschluß einen starken Gewinn erlangen.
Der Eharakter der schweizerischen Zollpolitik und
das Verhältnis von Zollbelastung und Zollschuh
sind liechtensteinischen Interessen angemessen.
Die gegenwärtig geltenden Einfuhrmaßnahmen
des Bundes find als eine voraussichttich bald
vorübergehende Maßnahme einzuschätzen. Die
Preislage in der Schweiz ist, verglichen mit an-
dern Ländern, wohl etwas ungünstiger; allein
liechtensteinische Interessen werden dadurch nicht
bedroht. Die Angleichung dürfte übrigens in
absehbarer Zeit erfolgen u. hat bedeutende Fort-
schritte gemacht. Die Zollbelastung Liechten-
steins durch den Schweizerzoll ist nicht derart
hoch, daß sie das durchschnittliche Preisniveau
wesentlich beeinflussen könnte.
II. Der Skaaksverkrag vom 29. März 1923
ist auf die Dauer von 5 Jahren vorgesehen und
berührt die zollpolitische Souveränität nur für
so lange, als Liechtenstein dies wünscht. Die in-
folge des Anschlusses (auch eventuell inskünftig)
für Liechtenstein geltende schweizerische Gesetzge-
bung verletzt nicht nur die volkswirtschaftlichen
Interessen des Landes nicht, sondern ist ihnen —
vorab der Landwirtschaft — günstig. Dagegen
dürste danach zu trachten sein, die Abfindungs-
summe Liechtensteins von 150,000 auf 200,000
'Franken zu erhöhen, was auf den 1. Januar
1928 ins Auge zu fassen ist.
Die Ratifikation des Vertrages kann dem
liechtensteinischen Landtag empfohlen werden.
Zürich, den 15. Mai 1923.
ftttäp Dm elchWàr Jollw und mtMW« ftftag »sch Schwelzmoll
Wim Sdmini Bitchnimga litttrtni w kn.
Zollamt! 1 D.- IV. Quart. LiAlemtilDci Sdminr
9 moM<« <April,vez. 1922) a. iw
Bäckereien und Zuckerwaren 40,- 10,16 1444 406
Brot 5.- 33,09 1340 1655
Butter 20.- 11,38 124 228
Dörrobst 5,- 51,46 257 257
Fleischkonserven SO.-') 3,20 64 160
Gewürze 60.--) 4,47 225 268
Gemüse- und Obstkonserven 10- 35,94 718 359
Honig 120.- 1,70 85 204
Kaffee 8.--) 131,42 658 1051
Kakao 50.- 2,50 50 125
Kochsalz -.60 870,49 7810 522
Mehl 4.50 5873,00 5875 26429
Senf 50.— 2,81 57 140
Südfrüchte 10.- 37,80 378 378
Schokolade 50.- 32,99 1646 1649
Schweinefett 20.- 82,96 1716 1659
Tee 60.—') 7,7 38 46
Wurstwaren 75.- 3,89 117 292
Jucker 10.--) 37,60 5221 3760
27825 39588
Rauchtabak 500.-') 62,85 6261 31425
Zigaretten 1300.- 11,46 4586 14898
Zigarren 900.- 17,23 1723 15507
12570 61830
') Minimalansatz.
*) Ungefähres Mittel.
tàim Etosohmtasen Mcrtng il Fi.
Mluttfc IL- IV. Diari. UuliliinMiwt Sibnuir
a kJ.
Blech- und Eisenwaren 30.- 603,69 3045 18,120
Duchbinderarbeiten 100.- 8,29 241 829
Kochherde, Oefen 25.- 5,74 115 143
Fahrräder Stück 25.- 75 750 1,875
Fässer und Kisten 25.- 429,09 1288 10,727
Glas- u. Porzellanwaren 40.- 182,72 733 7,309
Holzwaren 40.— 95,05 765 3,802
Küfer- u. Rechenmacher-
waren 30.- 125,25 1003 3,757
Korbwaren 25.- 8,51 116 205
Kupferwaren 40.— 14,45 332 578
Leder- und Sattlerwaren 70.- 13,17 802 922
Maschinen u. Bestandteile 1.20 1203,27 601 1,444
Nähmaschinen Stück 30.- 37 183 1,110
Teppiche 50. 8,41 69 421
Töpferwaren 12. - 225,17 451 2,702
Wagen und Schlitten 15.- 131,75 1058 1,976
11,572 55,520
b M»nate (3lM/Scj. 1922)
Bauholz nicht abgeb. 1.50 776.20 776 1,164
Bauholz abgeb. 8.- 297.75 804 2,382
Dauschreinerwaren 25. - 191.14 1295 4,779
Bodenriemen, Krallentäfel 25 — 568.50 1137 14,213
Dachrinnen und Röhren 5.— 10.00 100 50
Fensterglas 12.— 33.26 67 399
Kalk und Zement 1.50 7782.00 1555 11,673
Linoleum 30.— 5.14 35 154
Ofenkacheln u. Platten 5.- 42.27 211 211
Parkettböden 25. 10.00 30 250
Steinhauerarbeiten
ungeschliffen 4.- 109.20 109 437
Steinhauerarbeiten
geschliffen 6. - 27.50 55 165
Zementwarrn 2,— 736.80 802 1,474
6976 37,351