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Lum Zollvertrag mit Liechtenstein
Der Standpunkt der Anschluss- Gegner
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Ill.
IV.
Inhalt.
Karte (Titelblatt)
Einführung
. Das österreichische Hauptzollamt in Buchs .
Il.
Der Zollvertrag mit Liechtenstein .
1. Der politische Aspekt
2. Die Rechnung .
3. Die neue Zollgrenze .
Der Gegenvorschlag .
Rekapitulation .
Zum Zollvertrag mit Liechtenstein.
Der Standpunkt der Anschluss-Gegner.
Der liechtensteinische Nachbar ist in bedringter Lage.
Dem Manne muss geholien werden. Darüber herrscht auch
bei den Gegnern des Zollvertrages nur eine Meinung. Weit
entfernt, der humanitären Tradition der Schweiz, wie sie die
bundesrütliche Botschaft (Seite 10) mit beredten Worten schil-
dert, untreu werden zu wollen, sind wir dieser in der
Bezeugung freundnachbarlicher Gesinnung gegen Liechtenstein,
unter gebotener Wahrung der schweizerischen Landesinteres-
sen, schon in unsern Eingaben an das Politische Departement
vom 15. Februar und 28. Oktober 1922 zuvorgekommen und
kónnen auch heute das dort Gesagte nur bestátigen.
Die Frage, ob dem Fürstentum Liechtenstein vonseiten
der Schweiz Hülfe gebracht werden solle oder nicht, fállt da-
her, als allseitig bejaht, aus Abschied und Traktanden. Wor-
über die Meinungen auseinander gehen, das ist allein das W i e.
. Wir haben am 15. Februar 1922 gegen den damals geplanten
und heute unterzeichneten und zur Ratifikation vorliegenden
Zollvertrag mit Liechtenstein eine Reihe von Bedenken gel-
tend gemacht, und einen dort angedeuteten, den schweizeri-
schen Interessen gemásseren und dem Bedürfnis Liechten-
steins vollauf gerecht werdenden Gegenvorschlag am 28. Ok-
tober 1922 in concreto begründet und ausgeführt.
Da die Botschaft uns die Ehre erweist, unsere Einwände
gegen die Zollunion in relativ breitem Raume einer kritischen
Beleuchtung zu unterwerfen, so dürfte es der Abklärung der
Sache und zugleich der schuldigen Rücksicht auf die den Kom-
missionen und den hohen Räten zur Verfügung stehende Zeit
und auf die daher gebotene Kürze unserer Ausführungen dien-
lich sein, wenn wir hier von einem Resümee unserer diversen
Eingaben absehen und dafür die Thesen der Botschaft selber
näher ins Auge fassen, mit andern sachkundigen Feststellungen |
vergleichen und durch weitere Dokumente ergänzen.
— 2 —
Nach dem Vorgang unserer Eingaben befasst sich auch
die Botschaft nicht allein mit dem schweizerisch-liechtensteini-
schen Zollvertrage, sondern auch mit dem österreichischen
Hauptzollamt in Buchs. Ob die Verkoppelung dieser zwei Ge-
genstände nur auf dem zufälligen Zusammentreffen áusserer
Umstände oder ob sie auf einem inneren Zusammenhang be-
ruhe, das wird sich aus dem Nachstehenden ergeben.
I. Das österreichische Hauptzollamt in Buchs.
Die Verlegung des österreichischen Hauptzollamtes von
Buchs nach Feldkirch hätte zur Folge, dass das schweizerische
Zollamt nachfolgen müsste, und das um so sicherer, als im
Falle der Zollunion mit Liechtenstein die schweizerische Zoll-
grenze bis vor die Tore Feldkirchs vorgeschoben würde.
Eine zweifache Abfertigung von Passagieren und Gütern in
Feldkirch und Buchs könnte nur zum grossen Schaden der
internationalen Route Wien-Paris * eingefiihrt werden. Was
aber die Uebersiedlung beider Zollàmter und damit die Er-
hebung Feldkirchs zum internationalen Transitbahnhof an
Stelle von Buchs dem Bund (durch die Entwertung der An-
lagen und durch seine Beteiligung an den Betriebs- und Un-
terhaltskosten des Bahnhofes Feldkirch) und der Gemeinde
Buchs (durch den Wegzug der Speditionsgescháfte und des
Grossteils der Beamten — nicht zu reden von dem Umstande.
dass künitig ein halbes Hundert Grenzwáchter den betràcht-
lichen Gesamtbetrag ihrer Besoldung nicht mehr auf Schwei-
zer-, sondern auf fremdem Boden verzehren würden) für
schwere Nachteile bringen müsste, ergibt sich aus den nach-
stehenden Daten.
Die Speditionsgeschäfte in Buchs beschäftigen zusammen
zirka 80 Angestellte. Prinzipalschaft und Angestellte reprä-
sentieren ein steuerbares Einkommen von Fr. 255,000 und eir.
Steuervermógen von Fr. 436,000.
Die Post im Bahnhof Buchs beschäftigt 45 Angestellte
mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 152,000 und einem
Steuervermögen von Fr. 209,300.
Das schweizerische Hauptzollamt Buchs ohne das Grenz-
wachtpersonal zählt 31 Angestellte mit einem steuerbaren Ein-
kommen von Fr. 110,800 und einem Steuervermögen von
Fr. 197,400.
* S, Eingabe des offiziellen Verkehrsbureaus St. Gallen vom 21. Januar
1922 an das Volkswirtschaftsdepartement zu Handen der st. gallischen
Regierung und des Bundesrates.
— 38 —
Das Bahnpersonal im Bahnhof Buchs záhlt 210 Mann mit
einem steuerbaren Einkommen von Fr. 558,100 und einem
steuerbaren Vermógen von Fr. 301,700.
Rechnet man zwecks besserer Uebersicht und um von der
effektiven Steuereinnahme eine richtige Vorstellung zu erhal-
ten, das steuerbare Einkommen in das entsprechende Steuer-
vermögen um, so hat man die Einkommenssteuersumme auf
das ungefähr Sechsfache zı erhöhen und erhält so an
Stelle des Einkommens ein Steuervermögen von Fr. 7,060,800,
hiezu den Betrag des direkten Steuervermögens von 1,144,400
Franken gezählt, ergibt ein Steuervermögen von Fr. 8,205,200.
Hiezu das Lagerhaus der S.B.B. im Bahnhof Buchs mit
seinem Steuervermögen von Fr. 669,000 gezählt, ergibt eine
mit dem Bahnhof Buchs verbundene Totalsteuersumme von
Fr. 8,874,200. Diese Zahlen zeigen, welch' eminentes Interesse
sich für die zum Steuerbezug berechtigten staatlichen Organi-
sationen (Bund, Kanton und Gemeinde) an die Erhaltung der
bisherigen vertraglichen Einrichtungen im internationalen
Grenzbahnhof Buchs knüpft und wie sehr sie für Buchs die
eigentliche Lebensfrage bedeutet. In diesem Zusammenhang
sei auch auf die Tatsache hingewiesen, dass die S. B. B. und
durch sie die schweizerische Eidgenossenschaft im Bahnhof
Buchs mit einem Brandassekuranzkapital von Fr. 1,265,200
engagiert sind.
Die angegebenen Zahlen konnen wiinschendenfalls amtlich
belegt werden.
Nun drängt sich aber die Frage auf, ob der Fortbestand
des österreichischen Hauptzollamtes in Buchs durch die Zoll-
union mit Liechtenstein zu unsern Ungunsten prájudiziert
werden kónnte, d. h. ob die Einverleibung Liechtensteins in
das schweizerische Zollgebiet dem Freistaate Oesterreich,
wenn nicht einen Rechtsgrund, so doch einen Vorwand liefern
könnte, sich den aus den Staatsverträgen von 1870 und 1872
folgenden Pflichten zu entziehen. Ueber diesen Punkt gehen
- die Ansichten auseinander. .
Der Bundesrat schreibt hierüber in seiner Botschaft
(Seite 11):
„Schweizerischerseits ist man dabei in der Lage, sich auf
einen unanfechtbaren Rechtsboden zu stützen, indem der Ar-
tikel 18 des Staatsvertrages vom 28. August 1870 mit Oester-
reich ausdrücklich bestimmt, dass an der ôsterreichisch-schwei-
zerischen Grenze fiir die Zollbehandlung an den Anschluss-
punkten der beiderseitigen Eisenbahnen vereinigte (oster-
reichisch-schweizerische) Zollámter mit den erforderlichen
— 4 —
Beftugnissen errichtet werden sollen. Ein Zollanschluss Liech-
tensteins an die Schweiz ist nun, wie schon gesagt, ohne Ein-
fluss auf die Beurteilung dieser Verhältnisse, da die Eisen-
bahnlinie Buchs-Feldkirch nach wie vor sich im Eigentum
der österreichischen Staatsbahnen befindet, welche, wie auch
die österreichischen Zollbehörden, durch die zitierte Vertrags-
bestimmung gebunden bleiben.‘
So liquid scheint uns die Sache doch nicht. Bei Abschluss
des Staatsvertrages vom 27. August 1870 zwischen der
Schweiz einerseits und Oesterreich-Ungarn mit Liechtenstein
anderseits, über die Herstellung einer Eisenbahn von Feld-
kirch nach Buchs (Concessionsvertrag) bildeten Oesterreich-
Ungarn und Liechtenstein ein zusammengehöriges
Zollgebiet. Die politischen und Zollgrenzen der beiden
vertragschliessenden Teile fielen zusammen und es wurde in
Art. 18 des Vertrages bestimmt: „An der österreichisch-
schweizerischen Grenze (offenbar Zollgrenze) sol-
len für die Zollbehandlung an den Anschlusspunkten der beid-
seitigen Eisenbahnen vereinigte (Osterreichisch-schweizeri-
sche) Zollämter mit den erforderlichen Befugnissen errichtet
werden.“
Im Jahre 1919 hat Liechtenstein den Zollvertrag mit Oester-
reich-Ungarn aufgehoben und sich in der Folge zu einem selb-
ständigen Zollstaat auígetan. Damit ist eine neue zollpolitische
Lage geschaffen worden, welche die bisherigen faktischen und
vertraglichen Verhiltnisse vollkommen umgestaltet. Die Zoll-
grenze gegen Oesterreich ist von der politischen Grenze der
Schweiz hinweg, an die politische Grenze eines andern Staates
(Liechtenstein) verlegt worden. Diese Veränderung der tat-
sächlichen Verhältnisse aber muss neuen vertraglichen Re-
gelungen rufen, gleichgültig, ob Liechtenstein selbständiger
Zollstaat bleibe oder sich an die Schweiz anschliesse, gleich-
gültig auch, ob Deutsch-Oesterreich die Nachfolge von Oester-
reich-Ungarn im Vertrage von 1870 anerkenne oder nicht.
Hätten wir es mit grösseren Verhältnissen zu tun, als sie beim
Fürsteritum Liechtenstein vorliegen, so würde die Notwendig-
keit der Vertragsrevision noch viel augenfälliger und zwin-
gender in die Erscheinung treten. Wir wissen, wie in unsern
Eingaben vom 15. Februar 1922 und 26. Márz 1923 an den
Bundesrat nàher ausgeführt worden ist, dass in Deutsch-
Oesterreich Aspirationen zu Gunsten von Feldkirch und zum
Schaden von Buchs bestehen und Deutsch-Oesterreich seine
Nachfolge in den Verträgen von 1870 und 1872 keineswegs
anerkennt. Diese Verumständungen erzeugen eine derart un-
— 5 —
übersichtliche Lage, dass es für die Schweiz im Interesse der
Ordnung und Klarheit geboten ist, für Abklärung zu sorgen,
bevor man neue bleibende Verhältnisse schafft, deren Trag-
weite ebenfalls noch im Dunkeln liegt.
Es gäbe allerdings noch eine andere Lösung der Rechts-
frage, eine Lösung, die der Zustimmung. Oesterreichs von
vornherein sicher wäre und jedem Streit über die Auslegung
der Verträge mit einem Ruck den Boden entzöge: Der An-
kauf der heute billig zu habenden Bahnstrecke Feldkirch-
Buchs durch den Bund. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die
stillen Wünsche und Bestrebungen der österreichischen Fi-
nanz- und Eisenbahnverwaltung auf nichts anderes hinaus-
laufen, als sich dieses Anhángsels an ihr Bahnnetz und der
damit verknüpften kostspieligen Verpflichtungen ie bàlder je
lieber zu entledigen. Áber es bedarf wohl keines besondern
Nachweises, dass eine solche Durchschneidung des gordischen
Knotens zugleich den Lebensfaden der Gemeinde Buchs hoff-
nungslos entzwei schnitte.
Wenn somit die radikale Beseitigung des Rechtsstreits
durch die Uebernahme der fraglichen Bahnstrecke unsern In-
teressen direkt zuwiderláuft, wenn ein Rechtsverfahren gegen
Oesterreich, wie oben gezeigt, aussichtslos oder sein Erfolg
zum mindesten zweifelhaft ist, wenn wir folglich zur Siche-
rung des status quo auf gütliche Verhandlungen mit Oester-
reich angewiesen sind, so erscheint es als ein Gebot der Klug-
heit, alles zu vermeiden, was die Willfáhrigkeit des Mitkon-
trahenten, und wáre es auch nur durch imponderable Stim-
mungen, herabsetzen kónnte. Deshalb hat uns schon die
eigentümliche Art des Vorgehens bei den Verhandiungen mit
Liechtenstein Grund zur Besorgnis gegeben. Man erinnere sich
der historischen Vorgánge beim Austritt Liechtensteins aus
dem Zollverband mit Oesterreich. Eines schónen Tages wur-
den die ósterreichischen ,Landvógte", die weiter nichts als
ihre Vertragspflicht taten, mit blutigen Köpfen aus dem Lande
gejagt, und der liechtensteinischen Regierung blieb nichts an-
deres übrig als die nachträgliche Sanktionierung des durch
das ,Volk" neugeschaffenen Zustands. Und nach dieser Ge-
walttat breiten wir dem vertragsilüchtigen Bundesgenossen
des uns befreundeten Oesterreich die Bruderarme entgegen,
nehmen ihn in einen engen Verband auf, der ihn durch neue
Zollschranken von seinem früheren Bundesgenossen noch wei-
ter trennt, und all das, ohne Oesterreich mit einem Worte zu
begrüssen, obgleich Liechtenstein doch auch zu den Unter-
zeichnern der Verträge von 1870 und 1872 gehörte. Ob ein
— 6 —
derartiges Vorgehen gegenüber dem Kaiserstaate vor dem
Kriege oder gegenüber einem andern máchtigen Nachbarstaate
unserseits fiir statthaft gehalten worden wáre, wollen wir da-
hingestellt sein lassen. Aber das wissen wir aus guter Quelle,
dass diese Beiseitesetzung als einer quantité négligeable auf
Osterreichischer Seite peinlich empfunden worden ist.
Kommt somit' zur Unsicherheit der Rechtsgrundlage für
den Fortbestand der Vertráge von 1870 und 1872 bei unserem
Vertragspartner noch eine, zwar nicht offiziell kundgegebene —
der Unterstützungsgenóssige lernt schlucken — aber innerlich
um so mehr wurmende Verstimmung, so lag darin für uns
ein weiterer Grund zur Befürchtung, die Zollunion mit Liech-
tenstein móchte, wenn vollzogen, früher oder später neues
passer auf die Mühle der Feldkircher Bahnhofbestrebungen
eiten.
Wenn nun die Botschaft jeden innern Zusammenhang zwi-
schen der Zollunion und der Frage des österreichischen
Zollamtes in Buchs kategorisch bestreitet, so muss uns der
bezügliche Passus um so mehr überraschen, als sich der
Bundesrat, beziehungsweise das Politische Departement ver-
schiedentlich, sowohl vor als nach dem Erscheinen der Bot-
schaft, in wesentlich anderem Sinne ausgesprochen hat. Belege
dafür sind die nachstehenden Dokumente.
1.
Am 8. Márz 1923 hatte eine Delegation des werdenber-
gischen lnitiativkomitees contra Zollanschluss die Ehre einer
Konferenz im Bundeshause mit den Herren Bundesrat Motta
und Minister Dinichert. Unsere hierüber gemachten Auizeich-
nungen schliessen mit nachstehendem Passus:
„Herr Minister Dinichert gibt hierauf die Erklärung ab, dass der
Liechtensteinervertrag erst ratifiziert werden könne, wenn einmal die
Rechtslage gegenüber Oesterreich im Sinne der angeführten Verträge,
welche Buchs als Gemeinschaftsbahnhof vorsehen, restlos abgeklärt sei.
Herr Bundesrat Motta schliesst die Konferenz mit zustimmenden
Worten.“
Die von Herrn Motta nicht beanstandete Erklärung des
Herrn Dinichert war für die Vertreter der werdenbergischen
Interessen eine grosse Beruhigung. Sie wurde. ihnen auch
psychologisch erklärlich, als sie nachträglich erfuhren, dass
unterm 12. Februar 1923, also der Konferenz vorgängig, die
österreichische Regierung an den schweizerischen Bundesrat
ein Schreiben gerichtet hatte, in welchem sie erklärte, dass
sie die Verträge von 1870 und 1872 nicht als
—13 ©
bindend anerkenne und der Belassung des
ósterreichischen Zollamtes in Buchs nur
dannzustimmen kónne, wennzwischen Feld-
kirch und Buchs kein neues Zollamt errichtet
werde.
2.
Nach dem Bekanntwerden der Unterzeichnung des Zoll-
vertrages mit Liechtenstein durch die beidseitigen Regierun-
gen, richtete der Vorsitzende des werdenbergischen Initiativ-
komitees, Herr alt Nationalrat G. Schwendener, an das Po-
litische Departement ein Gesuch um Auskunít über den Stand
der Bahnhofirage und erhielt unterm 13. April 1923, also noch
vor dem Erscheinen der Botschaft, nachstehende Antwort:
Bern, den 13. April 1923.
Herrn alt Nationalrat G. Schwendener, Buchs (St. Gallen).
Sehr geehrter Herr!
Im Besitze Ihrer Zuschrift vom 9. d. M. beehren wir uns, Ihnen
mitzuteilen, dass wir gegenwärtig im Begriffe stehen, durch Verhand-
lungen mit der Oesterreichischen Regierung diese zur Anerkennung der
Geltungskraft der Staatsverträge vom 27. August 1870 und 2. August 1872
zu veranlassen.
In Bestätigung der Ihnen seinerzeit gemachten Zusage bemerken
wir ferner, dass wir den inzwischen unterzeichneten Zollvertrag mit
Liechtenstein nicht vorher in Kraft setzen werden, als bis die Rechts-
lage betreffend Sicherstellung der Grenzzollämter in Buchs abgeklärt
sein wird. Die Aufnahme eines bezüglichen Vorbehalts in den Zoll-
anschlussvertrag konnte nicht wohl in Frage kommen, da, wie auch
von Ihnen selbst anerkannt worden ist, die Frage der Belassung der
Grenzzollämter in Buchs nicht in direktem Zusammenhang mit dem
Zollanschluss steht. Hingegen besitzt der Bundesrat die Möglichkeit,
die Inkraftsetzung von sich aus hinauszuschieben, bis nach seiner Auf-
fassung die Voraussetzungen zur Ausführung des Vertrages gegeben
sind. Eine Ratifikation des Vertrages durch die zuständigen Behörden
beider Länder präjudiziert somit die obenerwähnten Verhandlungen mit
Oesterreich in keiner Weise.
Genehmigen Sie, sehr geehrter Herr, die Versicherung unserer vor-
züglichen Hochachtung
Eidgenóssisches Politisches Departement:
sig. Motta.
3.
Nach dem Erscheinen der Botschaft bestätigte das Po-
litische Departement seine Zuschrift vom 13. April mit nach-
stehendem Schreiben vom 19. Juni abhin.
Bern, den 19. Juni 1923.
Herm G. Schwendener, Advokatiebureau,
Buchs (St. Gallen).
In Erledigung Ihrer Zuschrift vom 9. d. M. beehren wir uns, Ihnen
beifolgend wunschgemáss ein Exemplar der bundesrátlichen Botschaft
über den Zollanschlussvertrag mit Liechtenstein zu übermitteln.
Was die Frage der Anerkennung der Staatsvertráge vom 27. August
1870 und 2. August 1872 durch die Oesterreichische Regierung betrifit,
so steht eine definitive Antwort derselben noch aus. Der Bundesrat
wird den Zeitpunkt der Inkraftsetzung des Vertrages erst dann end-
gültig festzusetzen in der Lage sein, wenn die eidgenössischen Räte
den Vertrag genehmigt haben und die vorerwähnte Frage bereinigt ist.
Genehmigen Sie, sehr geehrter Herr, die Versicherung unserer
vorzüglichen Hochachtung.
Der Chef der Abteilung für Auswärtiges:
: sig. Dinichert.
Aus den hier mitgeteilten Dokumenten ergeben sich nach-
stehende
Feststellungen und Folgerungen.
1. Zwischen Zollunion und Buchser Bahnhofírage be-
steht ein Zusammenhang. Ob dieser als ein direkter oder,
wie im Schreiben des Politischen Departements vom 13. April,
als ein ,nicht direkter" bezeichnet werde, ist für seine Wir-
kung vollkommen irrelevant.
2. Die ósterreichische Regierung zieht die von uns zum
voraus befürchteten Konsequenzen. Sie begründet den Abbau
des Hauptzollamtes in Buchs allerdings mit dem Hinweis auf
ihre Finarf£lage, wovon in der Botschaft die Rede ist, aber
auch mit zwei Argumenten, von denen in der Botschaft nicht
die Rede ist: Mit der ihrerseits behaupteten Nichtverbindlich-
keit der Vertrige von 1870/72 und mit der eventuellen Er-
richtung einer schweizerischen Zollstation zwischen Feldkirch
und Buchs, wie sie durch den Zollvertrag mit Liechtenstein
vorgesehen ist.
3. Aber auch das Politische Departement selber betrachtet
die beiden Fragen in seinen Kundgebungen an das werden-
bergische Initiativkomitee nicht, wie es in der Botschaft ge-
schieht, als zwei zu einander völlig beziehungslose Dinge, son-
dern verheisst Massregeln, die ohne die Voraussetzung eines
direkten oder indirekten Zusammenhangs der beiden Fragen
vollkommen unverständlich wären. Herr Dinichert ist noch am
8. März, unwidersprochen von dem mitanwesenden Chef des Po-
—_ 9 _
litischen Departements, der Meinung, dass der ,,Liechtensteiner-
vertrag nicht ratifiziert werden kónne, ehe die
Rechtslage gegenüber Oesterreich etc. restlos abge-
klärt sei“. Und der Chef des Politischen Departements
selbst will am 13. April, in der Voraussetzung, dass der Liech-
tensteinervertrag von der Bundesversammlung unzweifelhaft
ratifiziert werde, wenigstens seine Inkraftsetzung soweit hin-
ausschieben, „bis die Voraussetzungen zur Ausführung des
Vertrages nach seiner Auffassung gegeben sind", was vom:
Chef der Abteilung für Auswärtiges am 19. Juni dahin prä-
zisiert wird: „bis die vorerwähnte Frage bereinigt ist“.
4. Herr Bundesrat Motta hat in seiner Beantwortung eines
Votums des Herrn Nationalrat Gabathuler in der Junisession
der Bundesversammlung 1922 erklärt, dass er die Interessen
der Gemeinde Buchs nicht aus den Augen verliere, und hat da-
mit die Erklärung bestätigt, die der Bundesrat in pleno schon
am 5. April in seiner Antwort auf eine „Kleine Anfrage“
des nämlichen Ratsmitgliedes abgegeben hatte. Wir sind vom
landesväterlichen Wohlwollen, das sich in diesen Erklärungen
kundgibt, vollkommen überzeugt, sehen uns aber doch ge-
nötigt, die am 13. April und 19. Juni vom Politischen De-
partement erhaltenen Zusicherungen nach ihrem Beruhigungs-
wert abzuwägen. Wir wollen gerne annehmen, dass die etwas
vagen Ausdrücke „Voraussetzungen zur Ausführung des Ver-
trages“ (13. April) und ,die vorerwühnte Frage bereinigen"
(19. Juni) bona tide im Sinne der Wahrung der Buchser Bahn-
hofinteressen zu deuten seien, und dass das uns gegebene
Wort des Politischen Departements nicht mehr und nicht
weniger besage, als dass die Inkraftsetzung des Liechtensteiner
Vertrages so lange hinausgeschoben werden solle, bis der
Fortbestand des Rechtsverhiltnisses von 1870/72 sicherge-
stellt sei.
Aber da erhebt sich die schliesslich entscheidende Frage:
Hat der Bundesrat nach der Ratifikation des Vertrages durch
die Bundesversammlung noch die Kompetenz dazu? Fiir das
Inkrafttreten des Vertrages ist durch Art. 45 des Vertrages
selbst der 1. Januar 1924 festgesetzt. Der Bundesrat wird
allerdings durch das Schlussprotokoll zur Hinausschiebung
dieses Termins ermächtigt, aber unter ebenda genau f{est-
gesetzten Bedingungen, und diese liegen einzig und allein in
gewissen, von der liechtensteinischen Regierung zu erfüllen-
den Forderungen, nicht aber in irgendwelchen Unterhand-
Jungen mit einem dritten Staate. Woraus folgt: Wenn der
Liechtensteinervertrag so, wie er vorliegt, von der Bundes-
— 10 —
versammlung ratifiziert und das von der liechtensteinischen
Regierung zu Leistende klaglos geleistet ist, so ist der Bun-
desrat gehalten und gebunden, den Zollvertrag auf 1. Januar
1924 in Kraft zu setzen, gleichviel, ob die zwischen uns und
Oesterreich pendente Rechtsfrage bis dahin ,bereinigt" sei
oder nicht, und gleichviel, in welchem Sinne sie bereinigt sei.
Damit würde die das Geschüftsleben von Buchs bedrohende
Unsicherheit chronisch. Das Damoklesschwert des wirtschaft-
lichen Rückganges hángt nicht an einem Drahtseil, sondern an
einem Faden und láhmt Gewerbefleiss und Unternehmungslust
der davon bedrohten Bevölkerung. Ein wirtschaftliches Opfer
könnte man sich gefallen lassen, wenn es wenigstens zu Gun-
sten des Vaterlandes gefordert würde. Die glorreiche Humani-
tätspolitik der Schweiz scheint uns jedoch zu weit getrieben,
wenn man, um 8000 Fremden, denen in anderer Weise aus-
reichend geholfen werden kann, unter die Arme zu greifen,
die wirtschaftliche Existenz einer beträchtlich grösseren Zahl
eigener Landeskinder in einer ihrer Hauptgrundlagen er-
schüttert.
Bei solchem Sachverhalt sehen wir uns veranlasst, den
von der St, Galler Regierung und uns schon immer und
am 6. März 1923 auch von Herrn Dinichert eingenom-
menen Standpunkt neuerdings zu betonen, es möchie,
einem allfälligen Vertragsabschluss mit
Liechtenstein vorgängig oder doch gleich-
zeitigmitdemselben,dieBelassungderbeid-
seitigen Zollämter in Buchs, nach Massgabe
derZollvertrágevoni870und18720derdurch
neue Verträge sicher gestellt werden.
Nachdem im Liechtensteinervertrag ein diesbezüglicher
Vorbehalt nicht angebracht ist, ersuchen wir die zuständigen
Instanzen um Aufnahme eines solchen in geeigneter Form.
II. Der Zollvertrag mit Liechtenstein.
Wenn der Abbau des ósterreichischen Zollsitzes in Buchs
in erster Linie lokale Interessen gefährdet, so lässt sich das
Gleiche vom Liechtensteiner Zollanschluss, an und für sich
betrachtet, nicht sagen. Im Gegenteil, die neue Zollschranke
gegen Feldkirch zwingt den Liechtensteiner auf die werden-
bergischen Märkte und stellt uns somit einen Gewinn in Aus-
sicht, einen Gewinn allerdings, der die aus einem Verlust des
österreichischen Zollsitzes zu erwartenden Schädigungen von
— H-—
Ferne nicht aufwiegen würde. Unsere Gegnerschait gegen den
Zollanschluss an sich beruht daher nicht auf lokalen, sondern
auf allgemein schweizerischen Gesichtspunkten. Nun sind wir
allerdings nicht die berufenen Hüter des Landesinteresses.
Aber nach gutem Schweizerbrauch haben wir uns erlaubt,
als wohlmeinende Biirger unsere Bedenken gegen den ge-
planten Vertrag bei der obersten Landesbehörde geltend zu
machen. In gleicher Eigenschaft ersuchen wir auch die hohen
Räte um Gehör und hoffen, um so weniger eine Fehlbitte zu
tun, als die Wiedergabe unserer Einwände durch die bundes-
rätliche Botschaft da und dort der Berichtigung und Ergänzung
bedarf. In Bezug auf das Tatsächliche stützen wir uns teils
auf eigene Erfahrungen, teils auf das Zeugnis von Männern,
die sich im Laufe von Jahrzehnten die genaueste Vertraut-
heit sowohl mit Land und Leuten als mit dem Zolldienst er-
worben haben, und wir hoffen, auf dieser Grundlage manches
beizubringen, was in dem Läuterungsfilter des Instanzenzuges
nur zu leicht verloren geht. Wir möchten Ihre Aufmerksam-
keit auf nachstehende Hauptpunkte richten.
I. Der politische Aspekt.
Ein Zollvertrag ist zweifellos eine wirtschaftliche, will
sagen nicht politische Angelegenheit. Gilt das auch von der
vólligen Verschmelzung zweier Zollgebiete mit dem Ratten-
schwanz von Gesetzen und Gerichtsbarkeit, der sich vom
einen Lande auf das andere überträgt? Oder lassen sich hier
neben den wirtschaftlichen Zügen unverkennbare Keime eines
andersartigen, nicht mehr bloss wirtschaftlichen Gebildes
nachweisen? Befremdend war schon während der Inkubations-
zeit des Zollvertrages das Verhalten eines Teiles unserer,
allem Anschein nach inspirierten oder inspirieren wollenden
Grosspresse: die über den Anschlussgegner verhängte Sperre,
die anschlussfreundliche Speisung der Regionalpresse durch
eine zentrale Propagandastelle, endlich im psychologischen
Moment, als man laut „Oberrheinischen Nachrichten“,
dem liechtensteinischen Regierungsblatt, hoffen zu dürien
glaubte, den Vertrag schon in der Junisession der Bundes-
versammlung unter Dach und Fach zu bringen, die Maien-
tagung der Schweizerpresse in Vaduz und als Epilog dazu die
einheitlich organisierte Suggestion, unter die das Leserpubli-
kum zwei Wochen lang durch die journalistischen Dithy-
ramben auf das bedrüngte Nachbarvólklein gestellt wurde.
Bei der Betrachtung dieser Vorgánge stellte und verneinte
— 12 —
man kopfschiittelnd die Frage, ob es denn wirklich einen so
£rossen Apparat und so viel rauschendes Gepräge brauche,
um das Schweizervolk zu einem freundnachbarlichen »Liebes-
dienst" aufzurütteln. Man konnte sich des Eindrucks nicht er-
wehren, dass es den schweizerischen Führern des vielstim-
migen Chors weit mehr daran gelegen sei, den ,,Liebesdienst"
zu erweisen, als die Liechtensteinern ihn zu empífan-
£en. Man las endlich das Horoskop, das ein klarblickender
und ehrlicher Welscher in einem Artikel ,Un Etat en miniature“
in der ,Gazette de Lausanne“ dem Nachbarlande stellte:
»Schweizerwährung, Schweizerpost, Schweizer Zollverwal-
tung — was bleibt unserer bescheidenen Nachbarin an wirt-
schaftlicher Autonomie noch übrig? Lehrt uns die Geschichte
nicht, dass der Verlust der wirtschaftlichen Selbständigkeit
verhängnisgleich dem Verluste der politischen Unabhängigkeit
vorausgeht? Sollte Liechtenstein eine Ausnahme zu dieser
Regel bilden?‘“* Man erinnerte sich auch, wie schon vor
Jahresfrist das grösste deutschschweizerische Blatt die An-
schlussbewegung präludierte, wie es seine Leser für ein neues,
grosshelvetisches Staatsideal empfänglich zu machen und sie
- darauf vorzubereiten suchte, im ,stammverwandten" Liech-
tenstein nicht nur einen Gescháftsteilhaber, sondern eine Art
.zugewandten Ort" (,Neue Zürcher Zeitung" 1922, Nr. 184)
zu begrüssen und ihm dadurch, wie in der alten Eidgenossen-
schaft, die Anwartschaft auf ein engeres Verhältnis zu unserem
Staate zuzuerkennen.
Das Schwinden der liechtensteinischen Souveränität würde
uns wahrlich wenig kümmern, wenn sie sich wie ein Schnecken-
horn still und ohne Nebenwirkung in sich selbst zurückzöge.
Aber so verhält sich die Sache nicht. Jedes Minus an liechten-
steinischer Souveráünitàt bedeutet infolge der Zollunion ein :
Plus an schweizerischer Staatshoheit, und das Ende vom Lied
ist: ein zugewandter Ort — ein neues Glied der schwei-
zerischen Eidgenossenschaít.
Die Frage, die heute zur Diskussion vorliegt, ist daher
nicht: , Wollen wir unsere Zollgrenze verlegen?" Sondern
sie lautet, wenn man die mit dieser Verlegung gegebenen Móg-
lichkeiten und Wahrscheinlichkeiten der Entwicklung mit in
* Monnaie Suisse, postes Suisses, douanes Suisses, que reste-t-il
de l'autonomie économique de notre modeste voisine? L'histoire ne
nous enseigne-telle que la perte de l'autonomie économique précéde
fatalement celle de l'indépendance politique? Le Liechtenstein ferait-
il exception à la regle? (Gazette de Lausanne 1922, No 126).
— 13 —
Rechnung bringt, so: „Wollen wir unsere politische
Grenze verlegen?"
Wenn die Botschaft zur Entkräftung unserer Einwände
darauf hinweist (Seite 9), dass Liechtenstein dank der Kündi-
gungsklausel es periodisch in der Hand habe, sich wieder in
den Vollbesitz seiner Souveränität zu setzen, so betrachtet
sie die Sache nicht vom schweizerischen, sondern vom liech-
tensteinischen Standpunkte aus. Für uns ist eine andere Be-
trachtungsweise geboten. Keine Regierung vermag die durch
die einmal vollzogene Zollunion freiwerdenden Assimilierungs-
kräfte auf die Dauer zu hemmen, auch wenn sie wollte. Wenn
es ihr aber überhaupt nicht daran liegt, die mit der Zollunion
einsetzende Entwicklung zu bremsen, wenn massgebende, sogar
allernächst interessierte Kreise im Liechtensteinischen auf die
Erhaltung der politischen Selbständigkeit keinen Wert legen,
ja, darin eine gern abzutretende Last erblicken sollten? Wie
dann? Dann mögen die Liechtensteiner den Verzicht mit sich
selbst ausmachen. Für uns aber erhebt sich die Frage: Ist
es für uns geboten, diesen Verzicht zu unsern Gunsten anzu-
nehmen? Ist die Zustimmung zu einem Wirtschaftsvertrage,
der uns mit allmáhlich wachsenden Souveránitütsrechten über
ein fremdes Land belastet, im Interesse des sch weizeri-
schen Staates? Ist es heute geraten, eine Gebietserwei-
terung ins Auge zu fassen, durch eine Zollunion vorzubereiten
und gar, wie es in einem Teil der Presse geschieht, durch
die Berufung auf die heute durch irredentistische Bestre-
bungen ominós gewordene und für uns Schweizer dreifach
omindse ,.Stammesverwandtschaft zu begründen? Oder ist
es heute, wo alles íliesst, rátlicher, mit allen uns zu Gebote
stehenden Mitteln, Eines vor dem allgemeinen Fluss zu
schützen: unsere politischen Grenzen?
Die Botschaft weist jeden Expansionsgedanken weit von
der Hand, sintemal ja auch jene Gebietserweiterung, die vor
wenig Jahren noch die Gemüter bewegte, „gegenwärtig“
(Seite 12) aus Abschied und Traktanden falle. Gegenwärtig!
Was heisst gegenwärtig?
„Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen,
Ewig still steht die Vergangenheit“,
Dass die Logik der Tatsachen häufig unerwartete Wege
geht, haben wir in der Vorgeschichte des Zollvertrages im
eigenen Lande erlebt. In der nationalrätlichen Kommission
zur Beratung des Postvertrages mit Liechtenstein wur-
de aus dem Schosse des Rates die Zusicherung verlangt und
von höherer Stelle abgegeben, dass der Postvertrag kein
— ]4 —
Prájudiz für einen künftigen Zollvertrag abgeben solle. Und
heute? Heute beruft man sich zu Gunsten des Zollvertrages
aui den ,bewáührten" Postvertrag. Man hätte auch damals
erkláren kónnen, ,gegemwártig" sei von einem Zollanschluss
keine Rede, obwohl er laut Einleitung der Botschaft damals
schon im Plane lag.
Unsere Oeffentlichkeit behandelt den Zollanschluss en ba-
gatelle. Liechtenstein ist nur ein Pünktchen auf der Weltkarte.
Auch der J-Tupf ist nur ein Pünktchen und bildet dennoch
einen integrierenden Bestandteil eines Buchstabens des Alpha-
bets. Und die Diplomatie hat nicht nur ihre eigene Sprache,
sondern zuweilen auch ihre eigene Schreibmethode: Sie setzt
zuerst den J-Tupf und lässt den Raum für den Unterbau dazu
vorläufig offen. Eben diese Leere unter dem Tupf ist es, die
uns beunruhigt, nicht als Buchser beunruhigt, sondern als Eid-
genossen, die vorläufig zum neuen grosshelvetischen Staats-
ideal noch nicht bekehrt sind.
Aber wir sind weit entfernt, uns der Erkenntnis zu ver-
schliessen: so selbstverständlich jedem Bürger die Unver-
letzlichkeit der Landesgrenze sein muss —.ihre Unveridnder-
lichkeit darf nicht ein starres Dogma werden! Die theoretische
Möglichkeit des Eintritts von Weltumständen, die ein Hinaus-
rücken unserer Grenzpfähle als eine unabweisbare Notwen-
digkeit für die Lebensfähigkeit unseres Landes erscheinen las-
sen, muss ohne weiteres zugegeben werden. Ob eine solche
Notwendigkeit der Grenzerweiterung und damit die Notwen-
digkeit, ein Prinzip unserer traditionellen Politik an einem
Pünktchen zu durchbrechen, heute tatsächlich vorliege oder
in absehbarer Zukunft zu erwarten sei, diese Frage zu entschei-
den fehlt uns die zureichende Sachkenntnis. Wenn sie bejaht
werden muss, dann möge sie im Hinblick darauf, dass ihre
Bejahung zweifellos, schon durch die Schaffung eines Präze-
denzfalles, von tiefgreifenden und heute nicht übersehbaren
Folgen für unser Land begleitet sein wird, nicht mit dem
Schleier eines Liebesdienstes verhüllt und nicht mit der
augenblicklichen und in kopfloser Ueberstürzung selbstver-
schuldeten Verlegenheit des Nachbars verquickt werden,
zumal dem Bedrängten mit einfacheren und den status quo
der Eidgenossenschaft in keiner Weise berührenden Mitteln
geholfen werden kann.
Es sind nicht allein am fernen Horizonte auftauchende
Gefahren von zur Stunde noch unbestimmten Umrissen, mit
denen die Verlegung der Grenze unser Land bedroht — mit
der Uebernahme und Ausübung von Hoheitsrechten und Ge-
— 15 —
richtsbarkeit jenseits unserer politischen Grenze hängen un-
mittelbar andere Unzukómmlichkeiten zusammen, die weder
im politischen noch im fiskalischen Interesse der Eidgenossen-
schaít liegen. Ein gewiss achtenswertes Argument der liechten-
steinischen Anschlussgegner war bekanntlich der schmerz-
liche Gedanke an ,,ein gänzliches Untertauchen in einem frem-
den Staate“ (Liechtensteinisches Volksblatt 1922). Die liech-
tensteinische Opposition ist heute stumm. Das glückliche Zu-
sammentrefien einer Notlage unserer Landwirtschaft mit den
Unterhandlungen der beidseitigen Regierungen liess es als
gerechtfertigt erscheinen, in währender Unterhandlung die
liechtensteinische Ausfuhr nach der Schweiz in dem Masse
zu unterbinden oder zu erschweren, dass auch den Anschluss-
gegnern das Wasser an den Hals reichte und die Zollunion
schliesslich als rettende Planke willkommen sein musste. So
wenig nun auch von jenen ehrenwerten Patrioten nach dem
eventuellen Inkrafttreten des Zollvertrages irgendwelche
Illoyalitàt zu besorgen sein wird, so nahe liegt die Möglichkeit,
dass Zolidelinquenten und ihr Anhang zur Beschónigung ihrer
Privatinteressen und ihrer Ranküne sich des patriotischen
Màántelchens bedienen, zum passiven und aktiven Widerstand
gegen die schweizerischen ,Landvógte" aufwiegeln und un-
serer Zollmannschaít im fremden Lande ohne Rückendeckung
ihr Amt nicht eben erleichtern werden. Wie sehr das neue
Grenzgelánde solchem Treiben Vorschub zu leisten geeignet
ist, haben wir in unserer Eingabe vom 15. Februar 1922 an
den hohen Bundesrat ausgeführt. Dass es dem liechten-
steinischen ,,Volke" im gegebenen Augenblick an Entschiuss-
fähigkeit nicht fehlt, haben die Novembertage 1919 gezeigt.
Schweizerische Interessen also sind es, die wir durch die
Verlegung der Zollgrenze in naher und in fernerer Zeit ge-
fáhrdet sehen. Von diesem Standpunkt aus haben wir den
Abbau der liechtensteinischen Souveránitát in unsern diversen
Eingaben betrachtet. Wir glauben, es sei ein gut schwei-
zerischer Standpunkt. Danach mag man die Berechtigung
einer seither von vielen nachgeplapperten Zwischenbemerkung
beurteilen, die die Botschaft in ihre Ausführungen (Seite 9)
einfliessen lässt: „Die mit Rücksicht auf eine Schmälerung
der Souveränität Liechtensteins geäusserten Bedenken würde
man im Grund eher von liechtensteinischer als
schweizerischer Seite erwarten“.
— 16 —
2. Die Rechnung.
Wenn schweizerseits politische Gesichtspunkte für den
Zollanschluss massgebend sein sollten, so ist die Kostenfrage
natürlich von sekundárer Bedeutung. Aber betrachten wir
den Vertrag, so wie er vorliegt, als rein wirtschaftliche An-
gelegenheit, so fällt im Gegensatz zu früheren ähnlichen Vor-
lagen, die Dürftigkeit der rechnerischen Basis auf. Wir er-
lauben uns, nachstehend einige Punkte näher zu prüfen.
Für die mutmasslichen Zolleinnahmen aus dem Fürsten-
tum Liechtenstein dürften die Ergebnisse, wie sie aus dem
Zollverhältnis zwischen Liechtenstein und Oesterreich resul-
tierten, wegleitend sein. In den Jahren 1908—1917 wurde in
Liechtenstein an Zöllen eingehoben:
1908 Kr. 10,972.69
1909 » 9,310.51
1910 » 13,962.86
1911 » 13,210.78
1912 » 36,271.79
1913 » 15,208.48
1914 » 9134.14
1915 » 14,171.—
1916 » 16,581.99
1917 » 9,991.79
oder durchschnittlich Kr. 14,882.10 per Jahr.
Dazu kommen noch die Verzollungen bei den Zollàmtern
Buchs, Feldkirch und Bregenz mit jährlich 5000 Kronen, so
dass sich der Jahresdurchschnitt auf 19,882.10 Kronen erhóht.
Diese Zahlen sind einer Publikation in dem ,,Liechtensteiner
Volksblatt^ vom 21. Mai 1919 entnommen, die Herr Dr. Lo-
renz in seinem Gutachten an den liechtensteinischen Land-
tág als eine ,,verdienstvolle Arbeit" bezeichnet. Der Verfasser
derselben (ein Liechtensteiner) schreibt: ,Für Verzollungen
bei andern Zollàmtern (Buchs, Feldkirch, Bregenz) habe ich
5000 Kronen jàhrlich angenommen, bin also offenbar sehr
hoch gegangen. Auf den Kopf ausgerechnet bedeuten diese
Zahlen: Jeder Liechtensteiner zahlte jahrlich 1.93 Kronen Zoll-
gebühr“. Zu dieser jährlichen Belastung mit Zollgebühren von
1.93 Kronen kam noch die Belastung durch die Verzehrungs-
steuer in der Höhe von 93 Heller pro Kopf und Jahr, die
aber hier nicht in Betracht kommt.
Wenn nun anderseits Oesterreich dem Fürstentum pro
Kopf und Jahr durchschnittlich eine Entschädigung von 21
Kronen ausrichtete, so ist dies auf die eigentümliche Ver-
— 17 —
rechnungsweise zurückzuführen. Von den Brutto-Einnahmen
der vorarlbergischen und liechtensteinischen Zollämter
wurden die Vergütungen wegen unrichtiger Abhebungen und
die Kosten der Zollämter abgezogen, dann von den Rein-
erträgnissen der Zölle ein Drittel als Ertrag der in Vorarl-
berg und Liechtenstein für andere Teile Oesterreich-Un-
garns stattfindende Verzollungen zurückbehalten und die übri-
gen zwei Drittel nach Verhältnis der Bevölkerungszahl von
Vorarlberg und Liechtenstein verteilt. Hiezu ist zu bemerken,
dass zum Beispiel beim österreichischen Hauptzollamt in Buchs
gegen 99 Prozent aller vorgenommenen Verzollungen Waren
betrafen, die für andere Teile Oesterreichs bestimmt waren,
und dass die für Vorarlberg und Liechtenstein
verzollten Waren höchstens 1—2 Prozent ausmach-
ten; dessen ungeachtet wurde den Liechtensteinern ihr An-
teil an den verbleibenden 66°/s Prozent aller Verzollungen
ausgerichtet. Der Verfasser der vorerwähnten Publikation,
wie auch Herr Dr. Lorenz erklären daher übereinstimmend,
dass der Österreichisch-liechtensteinische Zollvertrag für
Liechtensteinausserordentlich günstig war.
Die Verhältnisse in Liechtenstein haben sich im letzten
Dezennium nicht wesentlich geändert, zum mindesten nicht
derart, dass man den damaligen Zolleinnahmen von 1.93 Kro-
nen pro Kopf und Jahr, heute eine solche von Fr. 16 gegen-
überstellen darf, wie dies in der bundesrätlichen Botschaft
(Seite 16, Absatz 3) geschieht. Aber auch dann, wenn wir
diesen Ansatz von Fr. 16 in Rechnung stellen, kommen wir,
wie die nachstehenden Ausführungen zeigen, nur auf eine Ein-
nahme von rund Fr. 128,000, von der dann noch die Mehr-
kosten für die Personalvermehrung in Abzug zu bringen sind.
Eingangs der Botschaft (Seite 2, Absatz 2) ist erwähnt,
dass das Fürstentum Liechtenstein, nach einer Volkszählung
vom 21. Dezember 1921 eine Einwohnerzahl von 11,565 Per-
sonen aufweise. Hievon waren aber 3531 Einheimische als
,abwesend" gemeldet, was zwar in der bundesrátlichen Bot-
schaft nicht enthalten ist, wohl aber in dem Gutachten, das
Herr Dr. Jakob Lorenz, Privatdozent an der eidgenóssischen
technischen Hochschule in Zürich, über die Zollanschlussirage
zu Handen des liechtensteinischen Landtages ausgearbeitet
hat. Diese nicht im Lande anwesenden Personen scheiden
für die Berechnung der Zolleinnahmen aus, so dass nur noch
eine Bevölkerungszahl von 8034 bleibt, die bei einer Belastung
von Fr. 16 pro Kopf eine Zolleinnahme von 8034 X 16'— 128,544
Franken in Aussicht stellt, Wie schon erwähnt, müssen von
— 18 —
diesem Betrag noch die Mehrkosten, die aus der notwendig
werdenden Vermehrung des Zollpersonals erwachsen, in Ab-
zug gebracht werden, so dass die an Liechtenstein zu ent-
richtende Entschädigung von jährlich Fr. 150,000 bei weitem
nicht durch die neuen Zolleinnahmen gedeckt wird.
Sodann wird in der Botschaft (Seite 5) darauf hinge-
wiesen, dass Liechtenstein im verflossenen Jahre auf Grund
seines gegenwärtig in Kraft stehenden Zolltarifs eine Zoll-
einnahme von Fr. 160,241.46 erzielte. Zu diesen Einnahmen
bemerkt Herr Dr. Lorenz in seinem Gutachten, dass die Ein-
fuhrzahlen von 1922 von einer ausserordentlichen
Bautätigkeit beeinflusst waren; ferner fand im Jahre 1922 noch
eine starke Ausnutzung der Kronen- und Markkonjunktur in
Gebrauchsgegenständen statt. Die Gesamteinfuhrmenge dürfte
nach. seiner Auffassung in normalen Jahren um mehr als einen
Drittel kleiner sein als 1922,
Die liechtensteinischen Zolleinnahmen von 1922 können
für die Berechnung der zukünftigen Zolleinnahmen, die durch
den Anschluss des Fürstentums an das schweizerische Zoll-
gebiet bedingt werden, überhaupt nicht zu Vergleichen heran-
gezogen werden, weil von den eingeführten Waren ein grosser
Teil aus der Schweiz bezogen und dafür auch der Schweizer-
zoll bezahlt wurde. Herr Dr. Lorenz schätzt die Einfuhr aus
der Schweiz, für welche der Schweizerzoll bezahlt wurde,
auf:
50*/« der Nahrungsmittel;
10 */« des Tabaks;
20*/« der Gebrauchsgegenstünde;
10 */» des Baumaterials.
Es bleibt noch zu erwihnen, dass nach dem Zollanschluss
die Waren (Vieh, Wein, Holz etc.) aus dem Fürstentum,
welche in die Schweiz eingeführt werden, dem Schweizerzoll
nicht mehr unterliegen. Daraus resultiert ein weiterer Passiv-
posten für die Schweiz.
Wir gelangen daher im allergünstigsten Falle zu folgen-
der Bilanz:
Aktiva: Aus Zöllen Fr. 128,000.
Passiva: Jährliche Entschädigung an Liechtenstein
Fr. 150,000, plus Kosten der Personalvermehrung, plus Aus-
fall der Zölle auf liechtensteinische Produkte.
Nach der annähernden Schätzung mit dem liechten-
steinisch-schweizerischen Güterverkehr durch Beruf und
Amt vertrauter Persönlichkeiten wird, beim geringen Ver-
— 19 —
brauch importierter Waren im Liechtensteinischen, der obige
Aktivposten allein schon durch Entgang der Zólle auf Artikel
liechtensteinischer Provenienz (Vieh, Holz, Wein etc) auí-
gewogen, wo nicht überboten. Diese Gleichung gewinnt an
Wahrscheinlichkeit, wenn man bedenkt, dass Liechtenstein bei
wieder normal werdendem Verkehr sein Absatzgebiet — schon
mit Rücksicht auf die bereits eingeführte Frankenwährung —
fast ausschliesslich in der Schweiz wird suchen müssen. So-
mit verbleiben in der Rechnung allein die zwei Passivposten:
Entschädigung an Liechtenstein und Mehrkosten für Grenz-
bewachung.
Wenn also laut obiger Gleichung die durch die Anglie-
derung Liechtensteins an das schweizerische Zollgebiet zu er-
wartenden Mehreinnalhimen der schweizerischen Zollverwaltung
durch den künftigen Ausfall an Schweizerzoll auf liechten-
steinische Produkte aufgezehrt werden, so stehen den 150,000
Franken, die dem Fürstentum als jährliche „Entschädigung“
zugedacht sind, effektiv keine Einnahmen gegenüber, so dass
die dem Fürstentum Liechtenstein zugesicherte jährliche Pau-
schale nicht eine Entschädigung im Sinne einer Gewinn-
beteiligung darstellt, sondern ein — Geschenk.
Der Berechnung der Mehrkosten für Grenzbewachung
legt die Botschaft einen Personalzuwachs von 12 Mann (künf-
tig 50 gegen heute 38) zu Grunde, was, den Mann zu Fr. 5000
gerechnet, eine jährliche Mehrausgabe von Fr. 60,000 bedeutet.
Diese Differenz beruht aber auf einer optischen Täuschung,
denn sowohl der Minuend als der Subtrahend sind anfecht-
bare Grössen. Durfte man nach Einführung der durchschnitt-
lich um eige Stunde verkürzten Arbeitszeit auch nicht er-
warten, dass die Grenzwache auf den vorkriegszeitlichen Be-
stand von 29 Mann zurückgehen werde, so durfte man doch
auf eine mit der Pazifierung der näheren Umwelt Schritt
haltende Annäherung an diese Zahl hoffen. Auf der andern
Seite wird die in der Botschaft vorgesehene Bewachungs-
mannschaft, wie wir im nächsten Abschnitt zeigen werden,
von sehr kompetenter Seite als numerisch zu schwach taxiert.
Somit erscheint der Minuend als zu niedrig, der Subtra-
hend als zu hoch angesetzt. Woraus folgt, dass wir, wenn
der Grenzkordon nicht zu weitmaschig und dadurch illusorisch
werden soll, mit einer 12 Mann beträchtlich übersteigenden
Differenz und daher auch mit entsprechend höhern Mehrkosten
zu rechnen haben werden. Daraus ergibt sich summa sum-
marum für unser Budget eine jährlich wiederkehrende Unter-
bilanz von einigen hunderttausend Franken.
— 20 —
3. Die neue Zollgrenze.
Vergleiche hiezu die vorstehende Karte:
ac = die neue Zollgrenze . . . . . 33 km
ab = die Rheingrenze . . . . 27h Ÿ,
bc — die liechtensteinisch-bündnerische Grenze 10
Kein Satz in der ganzen Botschait vermochte unter der
Grenzbevülkerung, ob Freund oder Gegner des Vertrages,
ebenso beim gesamten ortskundigen Zollpersonal, hoch und
niedrig, so viel Befremden, ja, fôrmliche Bestürzung auszu-
lósen als dieser eine (Seite 7 und 8): Die neue Zollgrenze sei
pur Abwehr des Schmuggels besser geeignet als die alte Rhein-
inie!
Ehe wir den Vater Rhein als untauglich aus dem Dienst ent-
lassen, wird es doch geboten sein, die Karte genauer anzusehen
und in der Wacht am Rhein ergraute Beamte zu hóren. Der
mächtige Strom mit seinen hohen Dämmen, mit seiner Breite
von reichlich 100 Meter, ist von jeder Stelle des Dammes aus,
nicht nur auf seine Breite, sondern auch auf einige hundert
Meter Länge zu überblicken. Die neue Grenze hingegen durch-
schneidet, vom Rhein ausgehend in zirka drei Kilometer lan-
ger Strecke ein mit Gebüsch durchsetztes Streueriet, überquert
dann die Strasse Nofels-Rugell und steigt von da durch Wal-
dung auf den Rücken des Schellenbergs, der von ihr nicht
umfasst, sondern in liechtensteinisches und österreichisches
Zollgebiet geteilt wird. Etwas unterhalb der südlichen Seite
des Hügelrückens biegt die Grenzlinie gegen Südwesten um,
läuft zirka 1*/» Kilometer parallel dem Kamme, windet sich
dann um die kleine österreichische Ortschaft Hub herum und
erreicht von dort quer über das Riet die Strasse Feldkirch-
Schaan, um von hier aus sich dem Gebirge zuzuwenden. Die
ganze Strecke vom Rhein bis hieher, besonders aber die zirka
drei Kilometer lange, auf dem Schellenberg liegende Teil-
strecke ist leicht begehbar, aber sehr unübersichtlich und da-
her, gleich der Strecke Sareiserioch-Naaf, wie die letzten Jahre
zur Genüge zeigten, ein wahres Dorado für den Schmuggel
und den Uebertritt von schriftenlosem Gesindel. Die vier
Rheinbrücken sind dagegen Tag und Nacht vom Zollpersonal
bewacht oder geschlossen, der übersichtliche Rhein ist von
verhältnismässig wenig Grenzpersonal sicher zu überwachen,
da derselbe für den mit Kontrebande beladenen Schmuggler
nur mit Hilfsmitteln (Schiff oder Floss) traversiert werden
kann. Man sollte nicht glauben, dass hierüber Meinungsver-
schiedenheiten bestehen könnten. Nicht zuletzt war es die
gute Rheingrenze, die seinerzeit Oesterreich veranlasste, mit
— 21
Liechtenstein den Zollvertrag einzugehen und dem Fürstentum
. derart giinstige finanzielle Bedingungen zu gewihren, wie sie
bereits an anderer Stelle erwähnt worden sind. Als im Jahre
1873 der Zollvertrag mit Oesterreich im' liechtensteinischen
Landtag zur Beratung vorlag, àusserte sich der Referent, Ab-
geordneter Kessler, dahin: ,Oesterreich hat überhaupt den
Vorteil, dass es die Ueberwachung einer nassen anstatt einer
trockenen Grenze bekommt". Und für diese von der Natur
selber gegen den Schmuggel geschützte, sollen wir nun eine
dafür wie geschatfene Zollgrenze eintauschen! Dagegen ver-
wahrte sich auch der kürzlich verstorbene Zollamtsvorstand
Künzler, der über 30 Jahre in Buchs tátig war und sámtliche an
Liechtenstein grenzenden Schweizerzollàmter kontrollierte. Er
áusserte sich dazu unter anderem wie folgt: „Könnte wenigstens
eine Verbesserung, das heisst Günstigergestaltung der Zoll-
grenze durch den Anschluss erzielt werden, so wäre dieser
erklärlich. Es ist nun aber gerade das Gegenteil der Fall, in-
dem die schöne, durch den Rheinstrom gebil-
dete Grenze verlassen und diese zum Teil in schwer
zu überwachendes Gebirge verlegt werden muss.
In Bezug auf die Grenzwache bemerkt er, dass der vorge-
sehene Mannschaftsbestand zu einem ^ wirksamen Zollschutz
keineswegs genügen werde."
III. Der Gegenvorschlag.
Das werdenbergische Initiativkomitee contra Zollanschluss
hat dem Bundesrat unterm 28. Oktober 1922 nachstehenden
Gegenvorschlag unterbreitet:
„Der hohe Bundesrat wolle eine Regelung der nachbar-
lichen Verháltnisse zwischen unserem Lande und dem Fürsten-
tum im Sinne eines vertraglich zu vereinbarenden Zonen-
regimes mit gegenseitig bevorzugtem kleinem Grenzverkehr
in Erwigung ziehen. Wir halten eine solche Regelung für móg-
lich und zweckdienlich für beide Teile auf folgender Grund-
lage:
1. Der bevorzugte kleine Grenzverkehr zwischen uns und
Liechtenstein wird mit allen gegenseitigen Erleichterungen
wieder hergestellt, wie derselbe vor dem Kriege bestanden
hat. In diesen kleinen Grenzverkehr ist auch der Verkehr zur
Bewirtschaftung des jenseits der Grenze liegenden Grund-
besitzes einzuschliessen. . .
2. Auf Produkte liechtensteinischen Ursprungs, deren Her-
kunft sich einwandfrei nachweisen ldsst, finden die Einfuhr-
— 22 —
verbote keine Anwendung. Gegenrecht der Gegenpartei bleibt
vorbehalten.
3. Die Zólle auf die liechtensteinischen Hauptprodukte,
Nutzvieh, Schlachtvieh, Wein, Holz, werden auf ein Minimum
herabgesetzt oder ganz aufgehoben. Sache der Ausführung
ist es, festzustellen, ob die Kontrolle der Herkunft mittelst
Ursprungszeugnisses oder Kontingentierung zu erfolgen habe.
(Ueber die Produktion des Landes existieren ausführliche und
weit zurückreichende Statistiken, sodass einem zollfreien
Transit durch Liechtenstein leicht vorgebeugt werden könnte.)
4. Waren nicht liechtensteinischer Herkunft bezahlen den
gewöhnlichen schweizerischen Eingangszoll und unterstehen
dei geltenden Einfuhrverboten.
5. Der Personen-, Fuhrwerk- und Autoverkehr soll móg-
lichst erleichtert und von Abgaben befreit werden.
. 6. Ueber die schweizerische Einfuhr nach Liechtenstein
werden Vorschriften in ebenso entgegenkommendem Sinne
vereinbart.
7. Dieses Abkommen wird erstmals auf kurze Frist, jedoch
mit der Möglichkeit der Verlängerung abgeschlossen und tritt
sobald als möglich in Kraft.
Gegen diesen Vorschlag erhebt die Botschaft folgende
Einwände:
a) Die Regelung der liechtensteinisch-schweizerischen
Zollverhältnisse im Sinne des kleinen Grenz- oder Zonenver-
kehrs entspreche nicht den liechtensteinischen Interessen.
b) Sie gefährde die schweizerische Landwirtschaft.
c) Sie gefährde die Chancen der Errichtung eines Zoll-
freilagers in Buchs.
Es sei uns gestattet, diese Einwände näher zu beleuchten.
Den Vorhalt, dass durch Erleichterungen im Grenzverkehr
liechtensteinische Interessen nicht restlos befriedigt
werden, würde man eher von liechtensteinischer als von
schweizerischer Seite erwarten. Setzen wir rein hypothetisch
den Fall dass unser Vorschlag den liechtensteinischen An-
sprüchen wirklich nicht ohne Rest gerecht würde, so ist zu
bemerken, dass wir dazu auch nicht gehalten sind. Unsere
moralische Pflicht ist es, an der Konsolidierung des liechten-
steinischen Staatshaushaltes ohne Gefährdung des eigenen mit-
zuwirken. Aber nichts verpflichtet uns, weder diese Aufgabe
restlos zu erfüllen, noch sie allein zu übernehmen. In diesem
Sinne gibt unser Vorschlag auch andern von humanem Geiste
erfüllten Staaten Gelegenheit, sich an dem Hülfswerk dadurch
zu beteiligen, dass sie bei den Liechtenstein unserseits zu-
gedachten Zollerleichterungen auf die Geltendmachung etwai-
ger Meistbegünstigungsrechte zu Gunsten des Fürstentums
verzichten, was ihnen bei der geringen finanziellen Tragweite
solchen Verzichtes nicht allzu schwer fallen dürfte.
Aber genau besehen liegt der hypothetisch angenommene
Fall gar nicht vor. Die behauptete Unzulánglichkeit unseres
Vorschlags ist eine Deduktion aus rein theoretischen und dar-
um unsicheren Ueberlegungen. In Wirklichkeit verlangt der
Durchschnittsliechtensteiner nichts Besseres als die Móglich-
keit einer ungehemmten Ausfuhr seines Viehs und einiger
anderen Landesprodukte nach der Schweiz und ihren Absatz-
gebieten, und beständen an seiner Landesgrenze heute noch
der freie Verkehr und die kulanten Zollansätze der Vorkriegs-
zeit, der Gedanke an eine Aenderung des status quo wäre
ihm nicht im. Traum gekommen und -er wünschte zweifellos
Zollunion samt Zubehör in ein Land, wo andere Dinge wachsen
als Türken und Kartoffeln.
Vollkommen unverständlich ist uns aber auch hier die
rechnerische Grundlage der Botschaft. Im Gegensatz zum
poblematischen Charakter der Bilanz einer Zollunion mit
Liechtenstein steht das Budget für die vorgeschlagene Zoll-
ordnung im Sinne des kleinen Grenz- oder Zonenverkehrs auí
einem der Rechnung zuginglicheren Boden. Die Einfuhr aus
Liechtenstein nach der Schweiz ist heute (infolge Zolltarit und
Sperre) gleich Null. Daraus folgt mit mathematischer Gewiss-
heit, dass sich auch die daraus resultierende Zolleinnahme zu
keinem positiven Werte erhebt. Ja, sie ist genau besehen eine
negative Grósse, denn sie reicht kaum zur Besoldung des
Zollpersonals, geschweige zu einem fiskalischen Ueberschusse.
Folglich ergibt die Oefínung der Grenze und die nachgesuchte
Erleichterung des lang gestauten Grenzverkehrs im Sinne un-
seres Antrages auch beim bescheidensten Zolltarif einen Aktiv-
posten fiir unser Budget, und zwar einen Posten, der trotz
der minimalen Einzelabgabe sich beträchtlich über den Null-
punkt erheben wird, weil mit der Herabsetzung des Zolles die
Einfuhr, mit der Verminderung des Multiplikanden der Multi-
plikator in steigender Progression wáchst.
Die aus dem kleinen Grenzverkehr sich ergebenden Zoll-
einnahmen sind aber für uns nicht nur ein fiskalischer Gewinn,
sondern sie bedeuten, so kulant die Tarifsátze gehalten sein
mógen, auch einen Schutz der schweizerischen Landwirtschait
gegen den liechtensteinischen Wettbewerb, wáhrend im Fall
der Zollunion jede Abgabe an unserer Grenze wegfíállt und
somit der liechtensteinischen Konkurrenz aui unserem land-
— 24 —
wirtschaftlichen Markte vollkommen freie Bahn geöffnet wird.
Damit vergleiche man nun die Bemerkung der Botschaft (Seite
12): „Grössere Erleichterungen im Grenzverkehr müssten auf
Kosten unserer Landwirtschaft zugestanden werden“. Soll
das heissen, dass ihr der gänzliche Wegfall der Einfuhrzölle,
wie ihn die Zollunion vorsieht, zuträglicher wäre?!
Was endlich die Neuschaffung eines Zollfreilagers in Liech-
tenstein anbelangt, so erachten wir die diesbezüglich geäus-
serten Befürchtungen als unbegründet, indem in Buchs bereits
ein Transitlager besteht, das den gegenwürtigen Anforderun-
gen genügt und es somit bei unveränderten Verhältnissen
vernünftigerweise kaum jemanden einfallen wird, einem neu
zu schaffenden Freilager in Liechtenstein den Vorzug geben zu
wollen. Dem eventuellen Ausbau des Transitlagers in Buchs
in ein Zollfreilager steht nichts im Wege.
IV. Rekapitulation.
Auf Grund der vorstehenden Darlegungen ersuchen wir
die hohen Räte, in geeignete Erwägung ziehen zu wollen:
Ob es heute nicht rätlich sei, von einer Einverleibung
Liechtensteins in das schweizerische Zollgebiet grund-
sätzlich abzusehen und dem Nachbarlande in anderer
Weise entgegenzukommen.
Eventuell: Ob es nicht zu empfehlen sei, den vorliegenden
‚Vertrag behufs Abänderung der unserem Lande ökonomisch
nachteiligen Bestimmungen an den Bundesrat zurückzuweisen.
Und vor allem: 40b es nicht dringend geboten sei, die
Ratifikation des bereinigten Vertrages, konform dem Stand-
punkt Dinichert (Seite 6 hievor) so lange hinauszuschieben,
bis hinsichtlich des österreichischen Hauptzollamtes in Buchs
unsere Rechtslage gegenüber Oesterreich restlos zu unsern
Gunsten abgeklärt ist. MT cU
Buchs, im August 1923.
Namens des Werdenbergischen Initiativkomitees,
DerPrásident: G. Schwendener.
Der Aktuar: J. Vetsch.