Liechtenstein
Politische Schriften
BAND 5 3
Roger Beck
Rechtliche Ausgestaltung,
Arbeitsweise und Reform -
bedarf des liechten -
steinischen Landtags
Verlag der Liechtensteinischen Akademischen Gesellschaft
Dissertation der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität
Zürich zur Erlangung des akademischen Grades des Doktors der
Rechts wissenschaft, vorgelegt von Roger Beck, genehmigt auf Antrag
von Prof. Dr. Andreas Kley.
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät gestattet hierdurch die Druck -
legung der vorliegenden Dissertation, ohne damit zu den darin ausge-
sprochenen Anschauungen Stellung zu nehmen.
Zürich, den 3. Oktober 2012
Der Dekan: Prof. Dr. Christian Schwarzenegger
© 2013 Verlag der Liechtensteinischen Akademischen Gesellschaft
FL–9494 Schaan, Postfach 829
ISBN 978-3-7211-1090-6
Satz: Atelier Silvia Ruppen, Vaduz
Druck: BVD Druck+Verlag AG, 9494 Schaan
Bindung: Buchbinderei Thöny AG, 9490 Vaduz
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Vorwort
Zu Beginn des Jahres 2009 begann ich mich mit möglichen Themen für
eine Dissertation auseinanderzusetzen. Es könnte vermutet werden, dass
mich familiäre Gründe motiviert haben, ein politisches Thema wie den
Landtag zu wählen, da sowohl mein Grossvater Emanuel Vogt (ehem.
Abgeordneter des Landtags, Gemeinderat, Gemeindevorsteher und Par-
teipräsident der Fortschrittlichen Bürgerpartei) als auch mein Taufpate
Lorenz Schierscher (ehem. Gemeindevorsteher) eine politische Lauf-
bahn eingeschlagen hatten, die allerdings beendet war, als ich keine zehn
Jahre alt war. Ich konnte ihr politisches Wirken also nicht bewusst erle-
ben. Es ist vielmehr so, dass ich von aussen auf den Landtag als mögli-
ches Forschungsprojekt hingewiesen wurde.
Ich begann das Forschungsprojekt «150 Jahre Landtag» im März
2009. Ich musste dabei schnell erkennen, dass das Vorhandensein von
Kompetenzen nicht auch deren Anwendung bedeutet. Zudem zeigten
die Besuche der öffentlichen Landtagssitzungen schon bald auf, dass die
Institution Landtag nicht so funktionierte, wie sie sollte oder zumindest
könnte. Gerade diese Erfahrung motivierte mich, den Landtag genau zu
untersuchen und Lösungswege aufzuzeigen, wie der Landtag wieder
seine verfassungsrechtliche Rolle wahrnehmen und damit gestärkt wer-
den könnte.
Die vorliegende Arbeit wurde unter der Obhut von Prof. Dr. rer.
publ. Andreas Kley der Universität Zürich in Angriff genommen. Ihm
bin ich zu grossem Dank verpflichtet, da er mir bei der Bearbeitung des
Themas grosse Freiheit gewährte, es dabei aber nicht unterliess, mich
konstruktiv zu unterstützen.
Weiters gilt es an dieser Stelle jenen Personen zu danken, die mir
während der Beschäftigung mit dem liechtensteinischen Landtag ihre
Anregungen und Standpunkte mitteilten. Dabei richte ich meinen Dank
auch an die Politikerinnen und Politiker sowie Politikinteressierte, die
sich für ein Interview zur Verfügung gestellte haben. Danken möchte ich
besonders meinem Freund Christian Frommelt vom Liechtenstein-In-
stitut für die kritische Lektüre des Manuskripts.
Herzlicher Dank gebührt meinen Eltern, ohne die es niemals zu
dieser Arbeit gekommen wäre. Meiner Frau möchte ich dafür danken,
dass sie mich über die Dauer dieser Arbeit und darüber hinaus immer
unterstützt und motiviert hat. Es ist kaum möglich, diesen Personen die
Wertschätzung zurückzugeben, die sie aufgrund ihrer Unterstützung
verdient haben. Ihnen widme ich diese Arbeit in tiefer Dankbarkeit.
Schaan, im August 2012
Roger Beck
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis 13
I.
Einleitung 17
A. Gegenstand 19
B. Methodik 22
II.
Die wichtigsten Stationen in der Geschichte des Landtags 25
A. Die landständische Verfassung 1818 27
B. Der Konstitutionalismus und die Verfassung von 1862 29
C. Die Zeit zwischen 1862 und dem Ersten Weltkrieg 34
D. Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg:
Der Weg zur Verfassung von 1921 37
E. Die Verfassung von 1921 40
F. Den Landtag betreffende Novellen von 1921 bis heute 43
7
III.
Verfassungsrechtliche und politische Rahmenbedingungen
des Landtags 55
A. Rechtliche Grundlagen 57
B. Landtagswahlen 59
1. Zweck der Landtagswahlen 59
2. Wahlsystem 61
3. Wahlkreise 63
4. Sperrklausel 68
5. Wahlrecht 71
6. Verfahren vor der Wahl und Wahlvorgang 72
7. Landtagswahlen – Direktwahl Regierung 76
C. Das politische System Liechtensteins 80
1. Gewaltenteilung – Gewaltenverschränkung 80
2. Konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratischer
und parlamentarischer Grundlage 82
D. Direktdemokratische Elemente der Verfassung 84
1. Liechtenstein: Direkte Demokratie? 84
2. Instrumente der direkten Demokratie 85
2.1 Verfassungs- und Gesetzesinitiativen 85
2.2 Fakultatives Referendum zu Gesetzen, Finanz -
beschlüssen und Staatsverträgen 89
2.3 Einberufungs- und Abberufungsrecht 93
2.4 Misstrauensantrag und Abschaffung der Monarchie 93
2.5 Richterernennung 96
3. Auswirkungen der direktdemokratischen Elemente
auf die Landtagsarbeit 96
E. Wählergruppen, Parteien und deren Rolle im Staat 98
1. Partei, Wählergruppe und Fraktion 98
2. Geschichte der Parteien 101
3. Aufgaben der Wählergruppen 103
4. Programme der Parteien 106
5. Parteien und Landtagsmandat 109
8
6. Neue Parteien? 112
7. Die Parteimedien 114
8. Finanzierung der Parteien 118
IV.
Ausgestaltung und Funktionsweise des Landtags 121
A. Zusammensetzung 123
1. Milizparlament 123
1.1 Allgemeines 123
1.2 Berufsparlament? 125
2. Abgeordnetenzahl 130
2.1 Geschichtlicher Rückblick 131
2.2 Erhöhung der Abgeordnetenzahl? 134
3. Parlamentarische Stellvertretung 135
3.1 Allgemeines 135
3.2 Dauer 138
3.3 Statistik 139
3.4 Rechte und Pflichten 141
3.5 Parlamentarische Stellvertreter in Delegationen
und Kommissionen? 142
3.6 Erscheinungspflicht und Hinderungsgrund
des ordentlichen Abgeordneten 144
B. Arbeitsweise des Landtags 148
1. Landtagsbüro 148
2. Landtagssekretariat 151
3. Arbeitsperioden des Landtags 156
4. Der Landesausschuss 158
4.1 Allgemeines 158
4.2 Reformvorschläge 161
5. Autonomie des Landtags und deren Sicherung 163
5.1. Immunität und Indemnität 163
5.2. Festlegen eigener Verfahrensregeln:
Die Geschäftsordnung 164
5.3. Selbstversammlungsrecht und Selbstauf-
lösungsrecht 166
9
6. Plenum und Plenardebatte 166
6.1 Plenarsaal und Landtagsinfrastruktur 167
6.2 Beschlussfähigkeit 168
6.3 Einladung und Zustellungen 169
6.4 Plenum und Öffentlichkeit 173
6.5 Redeparlament oder Arbeitsparlament? 177
6.6 Unzulänglichkeiten der Plenardebatte am Beispiel
des Finanzhaushaltsgesetzes 179
6.7 Plenardebatte: Entscheidungsfindung oder
Meinungsplatzierung? 184
6.8 Redezeitbeschränkung – eine valable Alternative? 186
6.9 Aktuelle Stunde 188
7. Organe des Landtags 190
7.1 Kommissionen 190
7.2 Delegationen 196
7.3 Ausschüsse 198
8. Entschädigung der Abgeordneten 200
9. Inkompatibilität 204
V.
Verfassungsrechtliche Stellung von Fürst, Volk und
Regierung im Verhältnis zum Landtag 207
A. Landtag und Landesfürst 209
1. Der Landesfürst in der Verfassung 209
2. Die Beziehung des Landtags zum Landesfürsten
in der täglichen Landtagsarbeit 210
B. Landtag und Volk 217
1. Das Volk in der Verfassung 217
2. Die Beziehung des Landtags zum Volk in der täglichen
Landtagsarbeit 219
C. Landtag und Regierung 223
1. Die Regierung gemäss Verfassung 223
2. Die Beziehung des Landtags zur Regierung in der
täglichen Landtagsarbeit 224
10
3. Die Beziehung des Landtags zur Regierung im
Rechtsetzungsverfahren 230
3.1 Verfassung- und Gesetzgebung 230
3.2 Verordnungsrecht der Regierung 235
4. Die Beziehung des Landtags zur Regierung am Beispiel
der Corporate Governance 239
VI.
Kontrolle der Regierung durch den Landtag 245
A. Grundsätze der parlamentarischen Kontrolle 247
B. Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz 251
1. Personelle Kontrolle 251
1.1 Entlassungsrecht und Misstrauensvotum 252
1.2 Ministeranklage 254
1.3 Disziplinarrecht 254
2. Finanzkontrolle 255
2.1 Grundsätze der Finanzkontrolle 256
2.2 Finanzplan 258
2.3 Voranschlag 260
2.4 Rechenschaftsbericht 264
2.5 Landesrechnung 266
3. Kontrolle der Regierung durch Ausgabenkredite 269
3.1 Verpflichtungskredite 270
3.2 Ergänzungskredite 274
3.3 Nachtragskredite 277
3.4 Kreditüberschreitungen 283
4. Vom Landtag eingesetzte Kontrollorgane 286
4.1 Geschäftsprüfungskommission 287
4.2 Finanzkommission 291
4.3 Die Aussenpolitische Kommission 294
4.4 Parlamentarische Untersuchungskommissionen 296
C. Der Abgeordnete als Kontrollinstanz 300
1. Die informale Kontrolle 300
2. Die Petition 301
11
3. Die Interpellation 304
4. Das Postulat 307
5. Kurze mündliche Anfragen 309
VII.
Ergebnisse 313
A. Reformbedarf 315
1. Verfassungsrechtliche und politische Rahmen -
bedingungen des Landtags 316
2. Ausgestaltung und Funktionsweise des Landtags 318
3. Verfassungsrechtliche Stellung von Fürst, Volk und
Regierung im Verhältnis zum Landtag 321
4. Kontrolle der Regierung durch den Landtag 324
B. Reformen 328
1. Verfassungsrechtliche und politische Rahmen-
bedingungen des Landtags 329
2. Ausgestaltung und Funktionsweise des Landtags 330
3. Kontrolle der Regierung durch den Landtag 333
4. Denkanstösse 335
VIII.
Anhang 339
A. Befragungen 341
B. Literaturverzeichnis 366
C. Verzeichnis der Internetadressen 373
D. Über den Autor 374
12
Abkürzungsverzeichnis
Die Abkürzung gilt jeweils auch für die Mehrzahl
Abg. Abgeordneter
AbändB Abänderungs-Beschluss
AbändG Abänderungs-Gesetz
ABGB Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch vom 01. Juni 1811
Abs. Absatz
APK Aussenpolitische Kommission
Art. Artikel
Aufl. Auflage
B-VG Österreichisches Bundes-Verfassungsgesetz
Bd. Band
BG Schweizerisches Bundesgesetz
BGBlD Deutsches Bundesgesetzblatt
BGBlÖ Österreichisches Bundesgesetzblatt
BGE Schweizerischer Bundesgerichtsentscheid, der in der amtlichen Sammlung
publiziert wurde
BGer (Schweizerisches) Bundesgericht
Bst. Buchstabe
BuA Bericht und Antrag
BV Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April
1999,
bzw. beziehungsweise
ca. cirka
CHParlG Bundesgesetz über die Schweizerische Bundesversammlung (Schweizer Par-
lamentsgesetz), SR 171.10 (Stand 02. März 2009)
d.h. das heisst
EFTA Europäische Freihandelszone (Eropean Free Trade Association)
EG Europäische Gemeinschaften
EinfG Einführungs-Gesetz
EMRK Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten, LGBl 1982/60
13
EU Europäische Union
f./ff. und der, die folgenden
FBP Fortschrittliche Bürgerpartei
FHG Gesetz vom 20. Oktober 2010 über den Finanzhaushalt des Staates (Finanz-
haushaltsgesetz), LGBl 2010/373
FiKo Finanzkommission
FinG Finanzgesetz
FinKG Gesetz vom 22. Oktober 2009 über die Finanzkontrolle (Finanzkontrollge-
setz), LGBl 2009/324
FL Freie Liste
FN Fussnote
G Gesetz
GemG Gemeindegesetz vom 20. März 1996, LGBl 1996/76
GO Geschäftsordnung
GOLT Geschäftsordnung für den Landtag
GPK Geschäftsprüfungskommission
GR Geschäftsreglement
Hrsg. Herausgeber
hrsg. herausgegeben von
idF in der Fassung
idgF in der geltenden Fassung
iVm in Verbindung mit
JBl Österreichische Juristische Blätter
LES Amtliche liechtensteinische Entscheidungssammlung
LG Landgericht
LGBl Landesgesetzblatt
lit. litera (Buchstabe)
LJZ Liechtensteinische Juristen-Zeitung
LLA Liechtensteinisches Landesarchiv
LPS Liechtenstein Politische Schriften
LR Systematische Sammlung der liechtensteinischen Rechtsvorschriften
LT Liechtensteinischer Landtag
LTP Landtagsprotokoll
LV Verfassung des Fürstentums Liechtenstein vom 05. Oktober 1921, LGBl
1921/15
LV orig Verfassung des Fürstentums Liechtenstein vom 05. Oktober 1921, LGBl
1921/15, in der Fassung von 1921
m. a. W. mit anderen Worten
m. E. meines Erachtens
MFG Medienförderungsgesetz vom 21. September 2006, LGBl 2006/223
Nr. Nummer
OG Obergericht
OGH Oberster Gerichtshof
14
ÖUSG Gesetz vom 19. November 2009 über die Steuerung und Überwachung öf-
fentlicher Unternehmen (Öffentliche-Unternehmen-Steuerungs-Gesetz),
LGBl 2009/356
PMQs’ Prime Minister’s Question Time (Fragestunde des Premierministers im Ver-
einigten Königreich)
PUK Parlamentarische Untersuchungskommission
RA Ressortantrag
Rsp. Rechtsprechung
RV Regierungsvorlage
S. Seite
s. E. seines Erachtens
sGS Gesetzessammlung des Kantons St.Gallen, Schweiz
SR Systematische Sammlung des Schweizer Bundesrechts
SteG Gesetz vom 23. September 2010 über die Landes- und Gemeindesteuern
(Steuergesetz), LGBl 2010/340
StGH Staatsgerichtshof
StGHG Gesetz vom 27. November 2003 über den Staatsgerichtshof (Staatsgerichts-
hofgesetz), LGBl 2004/32
u. und
u. a. und andere(s)
usw. und so weiter
uvm. und viele(s) mehr
vgl. vergleiche
VRG Gesetz vom 17. Juli 1973 über die Ausübung der politischen Volksrechte in
Landesangelegenheiten (Volksrechtegesetz), LGBl 1973/50
VU Vaterländische Union
VwKG Gesetz vom 12. März 2003 über den Geschäftsverkehr des Landtages und
die Kontrolle der Staatsverwaltung, LGBl 2003/108
z. B. zum Beispiel
z. T. zum Teil
Ziff. Ziffer(n)
ZPO Gesetz vom 10. Dezember 1912 über das gerichtliche Verfahren in bürgerli-
chen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozessordnung), LGBl 1912/9
15
I.
EINLEITUNG
A. Gegenstand
Gegenstand dieser Arbeit ist die Darstellung der den Landtag betreffen-
den rechtlichen Bestimmungen und die im Wesentlichen gegenwarts be -
zogene Beschreibung des Landtagsgebarens. Die vorliegende Unter -
suchung will darstellen, inwiefern die Institution Landtag ihre verfas sungs -
rechtli che Funktion wahrnimmt und inwiefern sie reformbedürftig ist.
Der Landtag besteht seit 150 Jahren als Volksvertetung. Seit seiner
Institutionalisierung im Jahre 1862 unterlag er zu Beginn tiefgreifenden
Novellen, welche im Wesentlichen im Jahre 1921 abgeschlossen wurden.
Seine Ausgestaltung erfuhr seit 1921 einzig durch die Einführung des
Frauenwahlrechts im Jahr 1984 und die Erhöhung der Abgeordneten-
zahl im Jahr 1989 zwei wesentliche Änderungen. Es gab darüber hinaus
einige Reformvorschläge, doch herrschte häufig Uneinigkeit über die
Reformbedürftigkeit an sich, das Ausmass oder den Inhalt möglicher
Reformen. Hinderlich war aber häufig auch die Polemik zwischen den
Volksparteien Vaterländische Union und Fortschrittliche Bürgerpartei.
Der Landtag ist damit ein seit beinahe 100 Jahren praktisch unverändert
bestehendes Organ.
Im Gegensatz dazu haben sich die Regierung und die Verwaltung
an die in der Zwischenzeit stark ausgebaute und differenzierte Staatstä-
tigkeit und damit an die tiefgreifend veränderten Rahmenbedingungen
angepasst. Durch solche Entwicklungen «moderner Staaten zu Wohl-
fahrts- und Verwaltungsstaaten»1 kann international ein Trend festge-
stellt werden, indem die Stellung der Parlamente gegenüber früher stark
geschwächt ist.2 Da sich Liechtenstein darüber hinaus mitten in einem
Europa befindet, welches sich durch internationale Übereinkommen –
19
1 Robinson, S. 100.
2 Egloff, S. 22.
und die damit einhergehende Normierungsflut – stark gewandelt hat3,
stellt sich die Frage, ob es für den liechtensteinischen Landtag möglich
ist, «mit den Einrichtungen, die in der Zeit der Postkutsche geschaffen
worden sind, die Probleme des Raumfahrtzeitalters zu bewältigen».4
Die Beantwortung dieser Frage steht im Zentrum der vorliegenden
Arbeit. Sie kann allerdings nicht nur mittels einer Darstellung der ver-
fassungsrechtlichen Ausgestaltung des Landtags beantwortet werden, da
viele Faktoren – etwa die Abgeordneten oder auch andere Staatsorgane,
mit denen der Landtag im Sinne des «checks and balances»-Verhältnis-
ses verschränkt ist – die Antwort beeinflussen.
Während der politik- und rechtswissenschaftlichen Analyse der
Landtagsarbeit trat eine systembedingte «Zeitnot, Sachkundenot und
Bewertungsnot»5 des Landtags zutage. Daher drängten sich Reformen
immer mehr auf. In diese Zeit des Studiums fielen die Landtagswahlen
2009 und mit ihnen der Abschluss eines Koalitionsvertrags zwischen der
Vaterländischen Union und der Fortschrittlichen Bürgerpartei, welcher
unter anderem die Umsetzung einer Landtagsreform zur Steigerung der
Effizienz und Effektivität der Landtagsarbeit festhielt. Deshalb begann
am 16. September 2009 eine Kommission mit der Erarbeitung einer Re-
form der Geschäftsordnung für den Landtag. Obwohl ich weder aktiv
noch passiv den Sitzungen dieser Kommission beiwohnen durfte, erar-
beitete ich Änderungsvorschläge und bereitete mit Landtagssekretär Jo-
sef Hilti diese Kommissionssitzungen vor. Die Erkenntnisse beeinfluss-
ten damit sowohl die Reformkommission als auch diese Arbeit. Dabei
traten aber auch die unterschiedlichen Ansätze zu Tage, da m.E. ledig-
lich eine Novelle der Geschäftsordnung die Probleme des Landtags in
seiner momentanen Konstellation nur bedingt lösen kann. Denn eines
wurde mit andauernder Beschäftigung mit der Institution Landtag im-
mer offensichtlicher: Der Landtag kann weder seiner demokratietheore-
tischen Stellung als einziges direkt vom Volk legitimiertes Staatsorgan
noch seinen verfassungsmässigen Aufgaben genügen. Es besteht Hand-
lungsbedarf.
20
Gegenstand
3 Allgäuer, S. 354.
4 Dies monierte der ehemalige Schweizer Ständerat Karl Obrecht in Ausübung seines
Mandats (zitiert in Blum, S. 30).
5 Eichenberger, Kontrolle, S. 285.
In der vorliegenden Arbeit werden den Landtag (un-)mittelbar be-
treffende Bestimmungen sowie das Verhalten der Abgeordneten kritisch
hinterfragt. Die Erläuterungen können durchaus polarisieren, was gerne
in Kauf genommen und beabsichtigt ist, da dies die Diskussionen um
den Landtag und damit auch eine Landtagsreform positiv beeinflussen
kann. Zudem wurde während der Anwesenheit bei allen öffentlichen
Landtagssitzungen des Jahres 2009 augenscheinlich, dass eine nur ober-
flächliche und kaum kritische Begutachtung der Institution Landtag
nicht dienlich ist.
21
Gegenstand
B. Methodik
Die Arbeit ist eine Darstellung der gegenwärtigen Lage des Landtags an-
hand einer Überprüfung der rechtlichen Bestimmungen und deren
Wahrnehmung in der täglichen Landtagsarbeit. Das politische System an
sich wird nicht hinterfragt, sondern bildet das Fundament dieser Arbeit.
Die Arbeit sowie die einzelnen Teile bauen auf den (jeweils) dogmati-
schen Bestimmungen auf. Als primäre Quelle dient die Verfassung. Dazu
treten weitere Bestimmungen wie etwa die «Geschäftsordnung für den
Landtag» (GOLT)6 und das «Gesetz über den Geschäftsverkehr des
Landtags und die Kontrolle der Staatsverwaltung» (VwKG)7.
Die Bestandesaufnahme des rechtlichen Rahmens bedarf der Er-
gänzung der Darstellung des tatsächlichen Gebarens des Landtags. Es
handelt sich dabei weniger um einen Soll-Ist-Vergleich, als vielmehr um
einen Vergleich zwischen Rechten- und Pflichten und deren effektive
Wahrnehmung, weil ein Vorhandensein von Kompetenzen nicht uni-
sono deren effektive Anwendung bedeutet. Für die Darstellung des tat-
sächlichen Landtagsgebarens dienen vornehmlich die Landtagsproto-
kolle und die Vorlagen der Regierung an den Landtag. Seit dem Jahr
1862 werden die Landtagsdebatten schriftlich festgehalten. Anhand die-
ser Landtagsprotokolle lässt sich die Arbeitsweise und das Verhalten der
Landtagsabgeordneten anschaulich und gegenwartsbezogen durch Bei-
spiele darstellen.
Die Auswertung der Landtagsprotokolle (1862 – 2010) dient auch
der Illustration der Geschichte des Landtags. Allerdings standen dem
Verfasser nur die Materialien der öffentlichen Landtagssitzungen zur
22
6 Geschäftsordnung für den Landtag des Fürstentums Liechtenstein vom 11.12.1996
(GOLT), LGBl 1997, Nr. 6.
7 Gesetzes über den Geschäftsverkehr des Landtags und die Kontrolle der Staatsver-
waltung (VwKG), LGBl 2003, Nr. 108.
Verfügung. Auf Informationen aus nicht-öffentlichen Sitzungen – etwa
aus dem nicht-öffentlichen Landtag oder aus Kommissionssitzungen –
konnte dagegen nicht zurückgegriffen werden.
Der Verfasser führte ferner zahlreiche Gespräche mit Vertretern
aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft sowie wissenschaftlichen Exper-
ten, welche ihm sowohl ihre Ansichten als auch Denkanstösse mitteilten.
Nur ein Teil dieser Gespräche wurde als Interview geführt. Diese finden
sich im Anhang.
Zu diesen Quellen tritt fachwissenschaftliche in- und ausländische
Literatur. Verschiedene Autoren analysierten bereits den Liechtensteiner
Landtag. Selten widmete sich eine Publikation aber ausnahmslos dem
Landtag. Zu solchen Arbeiten zählen diejenigen von Gerard Batliner mit
dem Titel «Zur heutigen Lage des liechtensteinischen Parlaments» aus
dem Jahr 1981 sowie die von Thomas Allgäuer im Jahr 1989 erschienene
Publikation «Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung im
Fürstentum Liechtenstein». Diese eindrucksvollen Arbeiten sind seit
mittlerweile 20 Jahren die einzigen Schriften, die sich explizit und um-
fassend mit dem Landtag beschäftigten. Es war deshalb angezeigt, sich
erneut mit dem Landtag auseinanderzusetzen und die neuen Entwick-
lungen zu analysieren, aber auch einen Vergleich mit den damaligen Er-
kenntnissen und Reformvorschlägen anzustellen.
Der Hauptteil der Arbeit ist in fünf Kapitel unterteilt. Ausgehend
von den verschiedenen Abschnitten der Geschichte des heutigen Land-
tags werden die verfassungsrechtlichen und politischen Rahmenbedin-
gungen des Landtags aufgezeigt. Auf der Darstellung des politischen
Systems Liechtensteins aufbauend widmet sich das nächste Kapitel der
Ausgestaltung und Funktionsweise des Landtags. Indem der Landtag
im Rahmen des «checks and balances»-Verhältnis mit anderen Organen
in Wechselbeziehungen steht, wird in einem nächsten Schritt das Ver-
hältnis des Landtags zum Landesfürsten, zur Regierung und zum Volk
dargestellt.
Das letzte Kapitel des Hauptteils dient der Erläutertung der Kon-
trolle der Regierung durch den Landtag.
In jedem Kapitel stellt sich die Frage, ob der Landtag eine Opti-
mierung erfordert und wie eine solche ausgestaltet werden kann. Bei Be-
darf sind Reformvorschläge aufgeführt. Die möglichen Reformen sollen
in erster Linie zur Stärkung der Funktionsfähigkeit und Stellung des
Landtags dienen. Sie sollen kein Idealbild des Landtags entwerfen. Denn
23
Methodik
zur Stärkung des Systems gehört zwar eine gewisse Spannung zwischen
Ideal und Wirklichkeit, doch darf das Ideal nicht allzu unrealistisch an-
gesetzt sein, indem es den Landtag ex ante überfordert bzw. die Land-
tagsarbeit verunmöglicht. Damit ist eine realistische Vorstellung über
Grösse, Zusammensetzung und Arbeitsweise des Landtags die erste Vo-
raussetzung wirksamer Reformen.8
Die vorliegende Arbeit konzentriert sich grundsätzlich auf die
liechtensteinischen Verhältnisse. Nur dort, wo es angezeigt erscheint,
werden Vergleiche mit anderen politischen Systemen dargelegt.
Im Wesentlichen hat der Verfasser die Arbeit Ende 2010 abge-
schlossen. Materialien wurden grundsätzlich bis zu diesem Zeitpunkt,
und wo es angemessen und möglich war, darüber hinaus, berücksichtigt.
Aus Gründen der Einfachheit und Leserlichkeit sind unter den in
dieser Arbeit verwendeten Personen- und Funktionsbezeichnungen An-
gehörige des männlichen und des weiblichen Geschlechts zu verstehen.
24
Methodik
8 Beyme, S. 235; Blum, S. 4.
II.
DIE WICHTIGSTEN STATIONEN IN
DER GESCHICHTE DES LANDTAGS
Der Landtag unterliegt seit dessen Schaffung bis heute einem andauern-
den rechtlichen Wandel. In diesem Kapitel wird dieser Wandel anhand
der den Landtag betreffenden rechtlichen Bestimmungen – ausgehend
von der jeweils gültigen Verfassung – aufgezeigt.
A. Die landständische Verfassung 1818
Der Landtag als eine repräsentative Institution wurde durch die land-
ständische Verfassung von 18181 geschaffen.2 Triebfeder dieser Verfas-
sung war Art. 13 der deutschen Bundesakte, welche allen Mitgliedern
vorschrieb, eine landständische Verfassung zu erlassen.3 In diesem Sin -
ne war die Verfassung von 1818 eine oktroyierte Verfassung.4 Sie legte
fest, dass die Vertretung im Parlament aus zwei Landständen bestand:
aus der Geistlichkeit und der Landmannschaft (§ 2 LV 1818). Letztere
bestand aus zwei Vertretern jeder Gemeinde, Richter und Säckelmeister
(§ 4 LV 1818).
Es herrschte durch die Verfassung von 1818 keineswegs ein Ne-
beneinander von zwei gleichwertigen Staatsgewalten, sondern ein
«Übereinander von zwei an ihrer Macht gemessen ungleichen Institutio-
nen».5 Das heisst der Fürst stand über dem Parlament, da er in sich alle
Macht vereinigte und fast unumschränkt walten konnte, während dem
Landtag lediglich die Befugnis eingeräumt wurde, Vorschläge für das
Allgemeinwohl einzubringen, welche aber der Monarch keineswegs zu
erfüllen brauchte (§ 13 LV 1818). Somit war das Parlament bei staatspo-
litischen Entscheidungen lediglich Empfänger der fürstlichen Anwei-
sungen und Forderungen.6 Dies verdeutlicht ein Blick in die Verfassung
27
1 Landständische Verfassung vom 09.11.1818 (LV 1818), LLA 1818. Zu finden auch
im Anhang von LPS 8, S. 263 ff.
2 Quaderer, Volksrechte, S. 11.
3 Der Einleitungstext der Verfassung von 1818 lautete: «Wir Johann Joseph, von Got-
tes Gnaden Souverainer Fürst und Regierer des Hauses von und zu Liechtenstein
(. . . ) erfüllen den 13. Artikel der deutschen Bundesakte folgendermassen.»
4 Waschkuhn (System), S. 37.
5 Quaderer, Volksrechte, S. 21.
6 Quaderer, Volksrechte, S. 219.
von 1818, deren § 16 klarstellt, dass im bürgerlichen, politischen und
«peinlichen Fache» und in der Aussenpolitik den Ständen keine Vor-
schläge erlaubt sind (§ 16 LV 1818). Somit bestand seit 1818 zwar ein
«Landtag», der gemessen an seinen Kompetenzen aber kein Parlament
war, da per definitionem ein Parlament eine Volksvertretung ist, deren
Mitgliedschaft auf einer Wahl beruht und deren zentrale Kompetenzen
die Gesetzgebung, die Feststellung des Staatshaushalts und die Kontrolle
von Regierung und Verwaltung sind.7
28
Die landständische Verfassung 1818
7 Koja, S. 162 ff.
B. Der Konstitutionalismus
und die Verfassung von 1862
In der Zeit zwischen 1818 bis 1862 zeigten sich zunehmend liberale Be-
wegungen, welche sich vor allem gegen die blosse Ständevertretung rich-
teten.8 Zu dieser Zeit begann ein Ringen um den Ausbau der Volks-
rechte. Durch die Revolution von 1848/49 erreichten die Forderungen
nach «Verfassung» und «freier Volksvertretung» einen temporären Hö-
hepunkt. Die Wellen der Revolution trugen Peter Kaiser und mit ihm
nationale und liberale Ideen empor, was im Entwurf einer modernen
Verfassung im Jahr 1849 gipfelte.9 Die Geschichte der modernen liech-
tensteinischen Volksvertretung nahm ihren Anfang.10
Zu Beginn der Revolution wählten die Gemeinden die Dorfaus-
schüsse und noch im Laufe des Jahres 1848 wurden Volksvertretungen in
verschiedenen Formen entworfen und praktisch erprobt.11 Aus den
Dorfausschüssen entstand ein Landesausschuss unter dem Vorsitz von
Peter Kaiser.12 Dieser setzte Petitionen an den Fürsten auf13 und drückte
die Forderungen des ganzen Volkes gegenüber dem Fürsten aus: freiere
Verfassung, Entlastung des Grundeigentums und die Behandlung als
Bürger und nicht als Untertanen.14 Daraufhin ordnete der Fürst die Wahl
eines Verfassungsrates zur Beratung von Verfassungswünschen und zur
Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs an.15 Der Fürst erhielt den Ver-
fassungsentwurf im Oktober 1848.16 Dessen Kernpunkt war die Vereini-
29
8 Steger, S. 33.
9 Ignor, S. 472.
10 Geiger, Volksvertretung, S. 31.
11 Geiger, Volksvertretung, S. 34.
12 Beattie, S. 28.
13 Beattie, S. 28.
14 Geiger, Volksvertretung, S. 34.
15 Beattie, S. 28.
16 Geiger, Volksvertretung, S. 35 f.
gung der höchsten Gewalt, Verwaltung und Rechtspflege, bei Fürst und
Volk17, was zu dieser Zeit sehr ungewöhnlich war.18 Teile des Verfas-
sungsentwurfes traten provisorisch in Kraft, weshalb Liechtenstein von
1849 bis 1852 faktisch ein konstitutionelles Fürstentum war.19
1852 war der Fürst durch die Mitgliedschaft im deutschen Bund ge-
zwungen, die konstitutionellen Übergangsbestimmungen ausser Kraft
zu setzen und die landständische Verfassung von 1818 wieder einzuset-
zen weil (wie überall im Bund) die Revolution zusammenbrach.20 Ob-
wohl eine Welle der Restauration folgte, gingen die liberalen und demo-
kratischen Ideen nicht verloren.21
1857 konnte der alte Ständelandtag reaktiviert werden, welcher im
Jahr 1861 durch die Verweigerung des Steuerpostulats für einen Eklat
sorgte. «Erst nach stundenlangen Disputen nahmen sie es unter Bedin-
gungen an; darunter rangierte die sofortige Vorlage der Forderung nach
freier Volksvertretung an den Fürsten.»22 Als im selben Jahr der Fürst
dem Landtag einen Verfassungsentwurf zur Beratung vorlegte, wurde er
in der Plenumsberatung abgelehnt. Daraufhin erarbeitete der landständi-
sche Verfassungsausschuss zusammen mit dessen Subkomitee und einem
Verfassungsexperten einen neuen Entwurf, der auf dem Entwurf von
1848 basierte.23 Das Ergebnis erhielt der Fürst Ende 1861. Nach länge-
rem Hin und Her und einigen Kompromissen nahm der landständische
Landtag die vereinbarte Verfassung am 2. September 1862 an.24 Damit
wurde «der Schritt vom Spätabsolutismus zum Konstitutionalismus
provisorisch 1849, endgültig 1862 getan».25 Bestrebungen, sowohl
Volksrechte auszubauen als auch ein Organ als handlungsfähige Vertre-
tung des ganzen Volkes zu schaffen, waren zwar schon vor dem Jahr
1862 vorhanden, doch sind die rechtlichen Voraussetzungen dafür erst-
mals durch die Verfassung von 1862 entstanden.
30
Der Konstitutionalismus und die Verfassung von 1862
17 Geiger, Volksvertretung, S. 37.
18 Beattie, S. 28.
19 Geiger, Volksvertretung, S. 37.
20 Geiger, Volksvertretung, S. 39.
21 Ignor, S. 472.
22 Geiger, Volksvertretung, S. 40.
23 Geiger, Volksvertretung, S. 40 f.
24 Geiger, Volksvertretung, S. 41.
25 Geiger, Volksvertretung, S. 54.
Die Verfassung von 186226 schuf den Landtag als ein 15-köpfiges
Organ als «Gesamtheit der Landesangehörigen und als solches berufen,
deren Rechte im Verhältnisse zur Regierung nach den Bestimmungen
dieser Verfassungsurkunde geltend zu machen und das allgemeine Wohl
des Fürsten und des Landes mit treuer Anhänglichkeit an die Grund-
sätze der Verfassung möglichst zu fördern». (§ 39 LV 1818)
Die Verfassung von 1862 war eine konstitutionelle Verfassung, wie
es sie zu Beginn der sechziger Jahre in den meisten deutschen Staaten und
in Österreich gab.27 Das monarchische Prinzip war gewahrt durch § 2 der
Verfassung von 1862, der das Übergewicht des Fürsten unverkennbar
zum Ausdruck brachte, da der Landesfürst das Oberhaupt des Staates
war, in sich alle Rechte der Staatsgewalt vereinigte und seine Person hei-
lig und unverletzlich war. Zusätzlich hatte die Organisation der Landes-
behörden durch Verordnungen des Landesfürsten zu erfolgen (§ 28 LV
1862). Diese Tatsachen unterstrichen das monarchische Prinzip, da
Rechtsprechung und Regierung dem Einfluss des Landtags weitgehend
entzogen bleiben sollten, während sich seine Mitwirkung vor allem auf
die Gesetzgebung und das Finanzwesen zu erstrecken hatte.28 Dennoch
war sie eine Verfassung, in der monarchische Traditionen und demokrati-
sche Intentionen in einer Verfassungsordnung vereint werden sollten.29
Die Verfassung 1862 bestimmte, dass von den 15 Abgeordneten
zwölf indirekt über Wahlmänner zu wählen und drei vom Fürsten aus
der Bevölkerung zu ernennen waren (§ 55 LV 1862). Dabei wählten die
Wahlberechtigten auf je 100 Einwohner zwei Wahlmänner, welche in ei-
ner Wahlmännerversammlung ihrerseits die Abgeordneten wählten (§ 56
LV 1862). «Der Form nach war der Landtag mit diesem ständischen Ele-
ment [. . .] also eigentlich keine reine Volksvertretung, der Sache nach al-
lerdings trotzdem, denn die drei vom Fürsten ernannten Abgeordneten
waren aus der liechtensteinischen Bevölkerung zu nehmen und an keine
Restriktionen gebunden.»30
Das aktive und passive Wahlrecht war dabei den männlichen Lan-
desangehörigen vorbehalten, welche zusätzlich im Besitz bürgerlicher
31
Der Konstitutionalismus und die Verfassung von 1862
26 LV 1862, LLA 1862. Zu finden auch im Anhang von LPS 8, S. 273 ff.
27 Ignor, S. 472.
28 Vogt, S. 112.
29 Ignor, S. 477.
30 Geiger, Volksvertretung, S. 42.
Rechte waren, das 24. Lebensjahr erreicht hatten, einen Beruf für sich
auf eigene Rechnung betrieben und im Fürstentum Liechtenstein woh-
nen mussten (§ 57 LV 1862). Dies war somit kein allgemeines, sondern
ein Zensuswahlrecht, indem es ein Einkommen voraussetzte.31
Die Mandatsdauer der Abgeordneten betrug sechs Jahre, aber alle
drei Jahre wurde die Hälfte der Abgeordneten neu gewählt (§ 98 LV
1862). Damit sollte eine gewisse Kontinuität erreicht werden. Auch gab
es bereits die Institution des stellvertretenden Abgeordneten, welcher bei
Abwesenheit eines ordentlichen Abgeordneten diesen in einer Landtags-
sitzung vertrat (§ 102 LV 1862). Die Abgeordneten erhielten eine Entloh-
nung durch «angemessene Diäten» aus der Landeskassa (§ 109 LV 1862).
Dem Landtag kamen mehrere Kompetenzen und Funktionen zu.
Er hatte das Recht, den Vorsitzenden sowie dessen Stellvertreter zu wäh-
len (§ 97 LV 1862). Weiters war es ohne Mitwirkung und Zustimmung
des Landtags nicht möglich, ein Gesetz in Kraft zu setzen, aufzuheben
oder abzuändern (§ 24 LV 1862). Zusätzlich besass der Landtag das
Recht der Gesetzesinitiative (§ 41 LV 1862). Bei wichtigen Staatsverträ-
gen war Voraussetzung, dass der Landtag seine Zustimmung erteilte (§
23 LV 1862). Weiters unterlagen seiner Zustimmung sowohl alle Steuern
und sonstigen Landesabgaben und deren Umlegung und Verteilung (§ 43
LV 1862), als auch die Staatsrechnung und das Budget. Letzteres hatte
der Landtag zusätzlich zu prüfen (§ 45 LV 1862).
Bei Mängel und Missbräuchen in Landesverwaltung, Rechtspflege,
Regierung oder durch grobes Fehlverhalten von Staatsdienern sowie im
Falle von an den Landtag getragene Beschwerden, konnte er diese direkt
dem Fürsten zur Kenntnis bringen (§ 42 LV 1862).
Da der Landtag nicht ein dauernd versammeltes Organ war, wurde
der Landesausschuss geschaffen. Der Landtag galt zwischen den Sit-
zungsperioden, welche mit der Eröffnung des Landtags begannen und
mit dessen Schliessung endigten, als nicht versammelt. Üblicherweise er-
öffnete und schloss der Landesfürst den Landtag (§§ 103, 105 LV 1862).
In der Praxis war dies jeweils im Januar oder im Februar bzw. Dezem-
ber.32 War der Landtag nicht versammelt, dann oblagen dem Landesaus-
schuss als Stellvertreter des Landtags diejenigen Geschäfte, welche der
32
Der Konstitutionalismus und die Verfassung von 1862
31 Nohlen, Wahlrecht 2004; S. 1098, Koja, S. 163.
32 Vogt, S. 135.
Mitwirkung der Landesvertretung bedurften (§ 110 LV 1862). Demnach
hatte der Landesausschuss als Hauptfunktion «die formell ununterbro-
chene Wirksamkeit der Volksvertretung gegenüber den anderen Gewal-
ten im Staat»33 zu wahren. Er bestand aus dem Präsidenten und zwei an-
deren Mitgliedern des Landtags, welche zusammen mit deren Stellver-
tretern von den Abgeordneten aus ihrer Mitte gewählt wurden (§§ 111,
112 LV 1862).
33
Der Konstitutionalismus und die Verfassung von 1862
33 Geiger, Volksvertretung, S. 49.
C. Die Zeit zwischen 1862
und dem Ersten Weltkrieg
Seit 1863 werden alle Gesetze im liechtensteinischen Landesgesetzblatt
publiziert, wobei das erste Landesgesetzblatt die Geschäftsordnung des
Landtags enthielt.34 Sie legt die Arbeitsweise des Landtags näher fest.
Diese erste Geschäftsordnung trat erst nach über 100 Jahren 1969 per
Gesetz ausser Kraft.35 Ihre Kernbestimmungen lauteten: Für die Gültig-
keit der vorzunehmenden Landtagsverhandlungen war die Anwesenheit
von wenigstens zwei Dritteln der Mitglieder erforderlich (§ 4 GOLT
1863). Dieses 2⁄3-Quorum galt auch bei Beschlüssen, welche die absolute
Stimmenmehrheit der anwesenden Mitglieder erforderten (§ 33 Abs. 1
GOLT 1863). Die Sitzungen waren grundsätzlich öffentlich, doch
konnte auf «Antrag der für die Prüfung eines Gegenstandes bestellten
Kommission oder auf Beschluss der Versammlung oder auf Verlangen
des Regierungskommissärs die Sitzung bei verschlossenen Türen statt-
finden». (§ 21 GOLT 1863) Für diese nichtöffentlichen Sitzungen wur-
den besondere Protokolle geführt, welche nur im Einverständnis mit der
Regierung bekannt gemacht werden durften (§ 22 GOLT 1863). Die Öf-
fentlichkeit der Landtagssitzungen konnte zum einen durch den Einlass
einer angemessenen Anzahl Zuhörer und zum anderen durch die Publi-
kation der Landtagsberichte in der bis 1914 einzigen liechtensteinischen
Landeszeitung gewahrt werden. Namentlich handelte es sich im Zeit-
raum von 1863 bis 1868 um die «Liechtensteinische Landeszeitung», von
1873 bis 1877 um die «Liechtensteinische Wochenzeitung» und ab 1878
um das «Liechtensteiner Volksblatt».36
34
34 Geschäftsordnung vom 29.03.1863 für den Landtag des Fürstentums Liechtenstein,
LGBl 1863, Nr. 1 (GOLT 1863).
35 Gesetz vom 23.05.1969 über die Aufhebung der Geschäftsordnung für den Landtag
des Fürstentums Liechtenstein, LGBl 1969, Nr. 27.
36 Vogt, S. 118.
Die Abgeordneten wählten den Präsidenten aus ihrer Mitte (§ 1
Abs. 1 GOLT 1863). Er leitete die Geschäfte des Landtags und führte
dessen Vorsitz (§ 12 Abs. 1 GOLT 1863). Der Vizepräsident wurde auf
die gleiche Weise gewählt (§ 9 Abs. 1 GOLT 1863) und vertrat im Ver-
hinderungsfalle den Präsidenten (§ 14 Abs. 1 GOLT 1863). Wünsche,
Vorschläge und Anträge einzelner Landtagsmitglieder mussten dem Prä-
sidenten schriftlich übergeben werden, der sie der Versammlung vorlas.
Fand ein so gestellter Antrag die Unterstützung von wenigstens drei Ab-
geordneten, dann musste er von einem Ausschuss behandelt werden
(§ 12 Abs. 2 GOLT 1863).
Die Abgeordneten hatten durch die Geschäftsordnung das Recht,
Kommissionen durch geheime Wahl zu bilden, welche aus drei bis fünf
Mitgliedern bestehen mussten (§ 17 Abs. 1, 2 GOLT 1863). Die Sekre-
täre führten die Sitzungsprotokolle und fertigten die Entwürfe zu allen
Aktenstücken, Berichten und Beschlüssen an, falls damit nicht Abge-
ordnete beauftragt waren (§ 13 GOLT 1863).
Im Jahre 1878 trat das «Gesetz über die Abänderung des Landtags-
Wahlmodus» (Wahlmodus-AbänderungsG) in Kraft.37 Das Land war
von nun an in zwei Wahlkreise eingeteilt: Im Wahlkreis Oberland waren
sieben, im Wahlkreis Unterland fünf Abgeordnete zu wählen. Dabei er-
nannte der Fürst jeweils zusätzlich zwei Abgeordnete aus dem Oberland
und einen aus dem Unterland, was ein Abgeordnetenverhältnis zwischen
Oberland und Unterland von 9 zu 6 oder 60 zu 40 Prozent bedeutete
(§ 55 Wahlmodus-AbänderungsG).
Die Einteilung widerspiegelte nicht das Verhältnis der damaligen
Einwohnerzahlen von Ober- und Unterland, sondern wurde als Min-
derheitenschutz des Unterlandes eingeführt. Dieses Verhältnis war für
die Unterländer Abgeordneten von grosser Bedeutung, da durch das 2⁄3-
Quorum die Anwesenheit von zehn Personen erforderlich war und so-
mit die Unterländer Abgeordneten durch Fernbleiben das Zustande-
kommen eines Landtagsbeschlusses verhindern oder durch Drohung mit
einem Sitzungsboykott politischen Druck ausüben konnten. Diese Mit-
tel hatten die Unterländer Abgeordneten zuvor nicht, was auch der An-
stoss zu dieser Einteilung in zwei Wahlbezirke war. Denn die Einteilung
35
Die Zeit zwischen 1862 und dem Ersten Weltkrieg
37 Gesetz vom 19.02.1878 über Abänderung des Landtags-Wahlmodus (Wahlmodus-
AbänderungsG), LGBl 1878, Nr. 2.
folgte einer Staatskrise, hervorgerufen durch die Einführung der Gold-
währung im Jahre 1876 durch die Oberländer Abgeordneten. Die Un-
terländer Abgeordneten waren damals gegen die Goldwährung und blie-
ben dem Landtag bei der Verabschiedung des Münzgesetzes fern, um ei-
nen Landtagsbeschluss zu verhindern, welchen die Oberländer
Abgeordneten aber dennoch verabschiedeten. Nach Auflösung des
Landtags und monatelanger Krise konnte eine Einigung erzielt werden:
Eine neue Landtagswahlordnung trat in Kraft, welche den Unterländern
eine feste, erhöhte Zahl von Sitzen zubilligte. Von den zwölf vom Volk
zu wählenden Abgeordneten standen fortan in zwei Wahlkreisen dem
Oberland sieben, dem Unterland fünf Abgeordnete zu.38 Damit war die
Einteilung in zwei Wahlbezirke Tatsache.
Weitere wichtige Veränderungen betrafen zum einen die Herabset-
zung der Mandatsdauer der Abgeordneten von sechs auf vier Jahre und
zum anderen die Neuwahl aller Abgeordneten, die nun alle zum gleichen
Zeitpunkt neu gewählt wurden (§ 98 Wahlmodus-AbänderungsG).39
36
Die Zeit zwischen 1862 und dem Ersten Weltkrieg
38 Geiger, Volksvertretung, S. 47 f.
39 Siehe auch Geiger, Volksvertretung, S. 48 f.
D. Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg:
Der Weg zur Verfassung von 1921
Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg stand für politische Veränderung.
Es war allgemein eine Zeit des politischen Umbruchs, bei dem Grund-
satzfragen – insbesondere die Ausgestaltung einer neuen Verfassung –
heftig diskutiert wurden.40 Eine Folge daraus war, dass am 21. Januar
1918 das Gesetz betreffend die Abänderung der Landtagswahlordnung
(Landtagswahl-AbänderungsG) in Kraft trat, welches das VI. Haupt-
stück und den § 101 der Verfassung von 1862 ersetzte.41 Der Kernpunkt
dieses Gesetzes war die Einführung des direkten und gleichen Stimm-
rechts (§ 1 Landtagswahl-AbänderungsG). Dagegen blieben sowohl die
Einteilung in zwei Wahlbezirke als auch die Mitgliederzahl des Landtags
mit 15 Abgeordneten unverändert (§§ 1, 9 Landtagswahl-Abände-
rungsG).42 Unterteilt in die zwei Wahlbezirke Ober- und Unterland,
hatten die Wahlberechtigten demnach in einer direkten und gleichen
Wahl die Abgeordneten zu wählen, wobei das Oberland sieben und das
Unterland fünf Abgeordnete wählte (§ 9 Landtagswahl-Abände-
rungsG). Weiterhin ernannte der Fürst drei Abgeordnete (§ 1 Landtags-
wahl-AbänderungsG).
Als gewählt galt, wer im betreffenden Wahlbezirk die absolute
Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhielt. Falls mehrere Personen in
einem Wahlbezirk die absolute Stimmenmehrheit erhielten, galten dieje-
37
40 Vogt, S. 124.
41 Gesetz vom 21.01.1918 betreffend die Abänderung der Landtagswahlordnung,
LGBl 1918, Nr. 4 (Landtagswahl-AbänderungsG).
42 Der genaue Wortlaut des § 9 Landtagswahl-AbänderungsG lautete: «Für die Wahl
der Landtagsabgeordneten bildet das Oberland und das Unterland je einen eigenen
Wahlbezirk. Die Wahlberechtigten jedes Wahlbezirkes bilden einen Wahlkörper.
Das Oberland wählt sieben Abgeordnete und drei Ersatzmänner, das Unterland
fünf Abgeordnete und zwei Ersatzmänner.»
nigen als gewählt, die für sich am meisten Stimmen verzeichnen konnten
(§ 25 Landtagswahl-AbänderungsG). Kam aber die absolute Stimmen-
mehrheit nicht für alle in einem Wahlbezirk zu wählenden Abgeordne-
ten zustande, dann musste eine «engere Wahl» stattfinden. Dabei konn-
ten nur noch diejenigen Personen gewählt werden, die im ersten Wahl-
gang die relativ meisten Stimmen erhalten hatten. Die Anzahl der
Kandidaten, die zur engeren Wahl antreten konnten, war doppelt so
gross wie die Zahl der noch zu vergebenden Sitze (§ 26 Landtagswahl-
AbänderungsG).
Das direkte Wahlrecht intendierte eine Beziehung zwischen Land-
tagskandidat und Wähler, da nun der Wähler denjenigen Kandidaten di-
rekt wählen konnte, der seiner Meinung nach am Besten seinen Interes-
sen entsprach. Somit erwartete der Wähler vom Abgeordneten ein be-
stimmtes Verhalten. Diese Bindung war und ist heute noch durch die
Kleinheit Liechtensteins sehr ausgeprägt. Dadurch und als Folge des di-
rekten Wahlrechts war nun die Grundlage für politische Gruppierungen
endgültig gegeben, weshalb die ersten Parteigründungen, namentlich die
Gründung der Christlich-Sozialen Volkspartei sowie die Fortschrittliche
Bürgerpartei, in das Jahr 1918 fallen.43 Somit kann seit 1918 von einem
Parteiensystem gesprochen werden.44 Den liechtensteinischen Zeitun-
gen45 ist an dieser Entwicklung sowie an den dadurch entstandenen
Landtagswahlkämpfen der Parteien eine entscheidende Rolle zuzuspre-
chen.46
38
Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg: Der Weg zur Verfassung von 1921
43 Michalsky, S. 223.
44 Michalsky, S. 223 ff.; Geiger, Volksvertretung, S. 52: Nach Geiger waren zwar be-
reits im 19. Jahrhundert Tendenzen zu Parteienbildungen erkennbar, doch hat für
Michalsky vor allem die Zeit vor dem ersten Weltkrieg den Weg zum Parteiensys-
tem geebnet, als sich oppositionelle Kräfte versammelten und vier Abgeordnete ih-
rer Richtung bei den Landtagswahlen 1914 in den Landtag brachten.
45 Die «Oberrheinischen Nachrichten» wurden 1913 erschaffen (Michalsky, S.
231–236), was «die Geburtsstunde der parteieigenen Zeitungen im Lande» (Wille,
Parteien, S. 64) und die Durchbrechung des Nachrichtenmonopols des bereits 1878
gegründeten Liechtensteiner Volksblatt (Vogt, S. 118) bedeutete. Das Liechtenstei-
ner Vaterland gibt es seit dem 1. Januar 1936 (Wille, Landtag, S. 82).
46 Michalsky, S. 243.
Ende 1918 wurde vom Landtag ein 9-Punkte-Programm47 als
Grund lage für eine Verfassungsrevision geschaffen48, welches die landes-
fürstliche Zustimmung erhielt49. Die Zeit zwischen 1818 und 1921 war
geprägt von eifrigen Aktivitäten der Parteien50, wobei die divergierenden
Standpunkte um mögliche Verfassungsinhalte zu «teils recht hart ge-
führten Auseinandersetzungen der verschiedenen Gruppierungen»51
führten. Die wesentlichen Punkte bezogen sich dabei auf den Ausbau
der demokratischen und parlamentarischen Verfassungsgrundlage, ins-
besondere auf eine dem Landtag verantwortliche und mit Liechtenstei-
nern besetzte Regierung. Weitere wichtige Elemente waren der Ausbau
der direktdemokratischen Volksrechte und die Stärkung des Landtags.52
39
Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg: Der Weg zur Verfassung von 1921
47 Das 9-Punkte-Programm enthielt unter anderem folgende Punkte: «1. Die Regie-
rung des Landes hat aus dem vom Landesfürsten im Einvernehmen mit dem Land-
tage zu ernennenden Landesverweser und zwei durch den Landtag zu wählenden
Regierungsräten zu bestehen. [. . .] 3. Wenn ein Mitglied der Regierung durch die
Amtsführung das Vertrauen des Volkes und des Landtags verliert, so ist der Land-
tag berechtigt, beim Landesfürsten die Enthebung des betreffenden Regierungs-
funktionärs zu beantragen. 6. Die Sitzungen des Landtages sollen nicht in eine Ses-
sion zusammengezogen werden, sondern es soll der Landtag das ganze Jahr hin-
durch nach Bedarf mindestens aber im Frühjahr und im Herbste einberufen werden.
Präsidium, Schriftführer, und Kommissionen wären jedesmal für die Zeitdauer eines
Jahres zu wählen. 9. Das Alter der Wahlfähigkeit und Grossjährigkeit soll auf 21
Jahre herabgesetzt werden.»
48 Quaderer, Verfassungsdiskussion, S. 138.
49 Quaderer, Verfassungsdiskussion, S. 115.
50 Quaderer, Verfassungsdiskussion, S. 117.
51 Quaderer, Verfassungsdiskussion, S. 122.
52 Quaderer, Verfassungsdiskussion, S. 139.
E. Die Verfassung von 1921
Als Ergebnis der Bestrebungen nach dem Ausbau der demokratischen
und parlamentarischen Rechte trat in der Folge des Ersten Weltkrieges
am 5. Oktober 1921 eine neue Verfassung53 in Kraft, welche trotz einiger
Abänderungen in ihren Grundsätzen bis heute Bestand hat. Durch diese
neue Grundlage standen erstmals das monarchische und das demokrati-
sche Prinzip einander gleichwertig gegenüber. Grundlegend neu war da-
bei sowohl der in Art. 2 verankerte Gedanke, dass das Fürstentum eine
demokratische und parlamentarische Grundlage besitzt (Art. 2 LV idgF),
als auch die Institutionalisierung direktdemokratischer Volksrechte wie
die Initiative und das Referendum (Art. 64 LV idgF).
Im V. Hauptstück der Verfassung sind die Bestimmungen des
Landtags aufgeführt. Art. 45 bis 70 LV bauen auf der Verfassung von
1862 auf, weshalb die Einteilung in zwei Wahlbezirke ebenso bestehen
blieb wie das Sitz-Verhältnis zwischen Ober- (60 Prozent) und Unter-
land (40 Prozent) (Art. 46 LV idgF). Es wurde nach dem Majorzwahl-
recht gewählt.54
Weitere Neuerungen betrafen die Abschaffung der Institution der
drei vom Fürsten ernannten Abgeordneten sowie die Einführung des all-
gemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts auf Verfassungs-
ebene (Art. 46 Abs. 1 LV idgF). Zudem musste jede Gemeinde mit we-
nigstens 300 Einwohnern durch einen ihrer Bürger im Landtag vertreten
sein (Art. 46 Abs. 3 LV idgF). Auf die Wahl von stellvertretenden Abge-
ordneten wurde verzichtet, bei dauernder Verhinderung eines Abgeord-
neten hatte eine Ergänzungswahl stattzufinden (Art. 53 LV idgF).
40
53 Verfassung idgF, LGBl 1921, Nr. 15, Verfassung des Fürstentums Liechtenstein vom
05.10.1921.
54 Siehe dazu auch Wille, Landtag, S. 67.
Gemäss Art. 46 LV sollte Näheres über die Durchführung der
Landtagswahlen durch ein besonderes Gesetz geregelt werden. Dieses
Gesetz vom 27. Dezember 1921 erhielt den Namen «Landtagswahlord-
nung».55 Es bestimmte die formellen Einzelheiten einer Landtagswahl.
Abgesehen von den Neuerungen, welche bereits in der Verfassung 1921
ihre Niederschrift fanden, unterschied sich dieses Gesetz kaum vom
«Gesetz betreffend die Abänderung der Landtagswahlordnung vom
21. Januar 1918»56. Das aktive und passive Wahlrecht stand weiterhin
denjenigen männlichen liechtensteinischen Staatsbürgern offen, welche
das 24. Lebensjahr vollendet sowie ein Vierteljahr vor der Ausschrei-
bung der Wahlen im Fürstentum Liechtenstein ihren ständigen Wohn-
sitz hatten und nicht durch spezielle Gründe von der Wahl ausgeschlos-
sen waren (Art. 2 Landtagswahlordnung idgF). Das Gesetz nannte taxa-
tiv die Ausschliessungsgründe: Personen waren vom aktiven und
passiven Wahlrecht unter anderem dann ausgeschlossen, wenn sie nicht
sämtliche bürgerliche Rechte innehatten oder über deren Vermögen der
Konkurs eingeleitet worden war (Art. 3 Landtagswahlordnung idgF).
Das Wahlrecht lebte nach Wegfall des jeweiligen Ausschliessungsgrun-
des wieder auf (Art. 4 Landtagswahlordnung idgF). Am Rande sei er-
wähnt, dass ein ungerechtfertigtes Fernbleiben von der Wahlhandlung
eine Geldstrafe von 5 bis 10 Franken zur Folge hatte (Art. 8 Abs. 1
Landtagswahlordnung idgF).
Bei den Landtagswahlen galten diejenigen Abgeordneten als ge-
wählt, die das absolute Mehr der Stimmberechtigten in der jeweiligen
Gemeinde erreichten (Art. 26 lit. a Landtagswahlordnung idgF). Falls in
einer Gemeinde kein Kandidat das absolute Mehr erreichte, galt derje-
nige mit den meisten Stimmen als gewählt (Art. 26 lit. b Landtagswahl-
ordnung idgF). Die restlichen Mandate wurden sodann in der Reihen-
folge der Stimmenzahl solange vergeben, bis die Zahl der im Wahlkreis
zu wählenden Abgeordneten erreicht war (Art. 26 lit. c Landtagswahl-
ordnung idgF).
Die Verfassung vom 5. Oktober 1921 erweiterte die Kompetenzen
des Parlaments auf der Grundlage der Verfassung von 1862. Neu war eine
41
Die Verfassung von 1921
55 Landtagswahlordnung, LGBl 1922, Nr. 2, ausgegeben am 14.01.1922.
56 Gesetz vom 21. Januar 1918 betreffend die Abänderung der Landtagswahlordnung,
LGBl 1918, Nr. 4.
verfassungsmässig gewährleistete Mitwirkung beim Abschluss von Staats-
verträgen (Art. 62 lit. b LV idgF). Demnach bedurften Staatsverträge, die
über Staatshoheitsrechte verfügten, durch die eine neue Last übernommen
wurde oder die in die Rechte der Landesangehörigen eingriffen, zu ihrer
Gültigkeit der Zustimmung des Landtags (Art. 8 LV idgF).
Einen Ausbau erfuhr die Kontrolle der Staatsverwaltung dahinge-
hend, als die Regierung dem Landtag zur Beschlussfassung einen jährli-
chen Rechenschaftsbericht erstatten musste (Art. 62 lit. e LV idgF). Wei-
ters erhielt der Landtag das Recht zur Erhebung der Anklage gegen Mit-
glieder der Regierung wegen Verletzung der Verfassung oder sonstiger
Gesetze vor dem Staatsgerichtshof (Art. 62 lit. g LV idgF). Daneben
konnte der Landtag seinen Präsidenten eigenständig wählen, wodurch
die nachträgliche Bestätigung durch den Landesfürsten wegfiel (Art. 52
Abs. 1 LV idgF).
Bei der Wahl des Regierungschefs und seines Stellvertreters gab es
ebenfalls Neuerungen zu Gunsten des Landtags. So wurden diese Perso-
nen vom Landesfürsten einvernehmlich mit dem Landtag über dessen
Vorschlag aus der wahlfähigen Bevölkerung für sechs Jahre ernannt (Art.
79 Abs. 1, 4 LV idgF). Nach Ablauf der sechsjährigen Amtsdauer des Re-
gierungschefs konnte der Landtag dem Regierungschef das Vertrauen
aussprechen und ihn damit zur Wiederernennung durch den Landes-
fürsten vorschlagen (Art. 79 Abs. 5 LV idgF). Das gleiche galt für seinen
Stellvertreter (Art. 79 Abs. 5 LV idgF). Dagegen wählte der Landtag die
beiden Regierungsräte und ihre Stellvertreter aus der wahlfähigen Be-
völkerung unter gleichmässiger Berücksichtigung beider Landschaften
für vier Jahre. Dem Landesfürsten oblag die Bestätigung dieser Wahl
(Art. 79 Abs. 2, 3 LV idgF).
Der Landesausschuss war weiterhin für die Zeit zwischen den Sit-
zungsperioden an Stelle des Landtags zur Besorgung der der Mitwir-
kung des Landtags oder jener seiner Kommissionen bedürftigen Ge-
schäfte zuständig (Art. 71 LV idgF). Er bestand aus dem bisherigen
Landtagspräsidenten und vier vom Landtag, aus seiner Mitte unter
gleichmässiger Berücksichtigung des Ober- und Unterlandes, gewählten
Mitgliedern (Art. 72 Abs. 1 LV idgF).
42
Die Verfassung von 1921
F. Den Landtag betreffende Novellen
von 1921 bis heute
Viele Bestimmungen dieser bis heute gültigen Verfassung von 1921 er-
fuhren Abänderungen, da eine Verfassung nie etwas Abgeschlossenes
und Vollkommenes ist.57 Aber nicht nur die Verfassung selbst wurde im-
mer wieder novelliert, sondern auch deren Rahmengesetze. Es gab ver-
schiedene vom Fortschrittswillen getragene, aber auch politisch moti-
vierte Gründe, wobei einige Änderungen einzig auf die steigende Bevöl-
kerungszahl zurückzuführen sind, indem sich die Bevölkerungszahl im
Zeitraum von 1921 bis 2009 mehr als vervierfachte.58 Im Folgenden wer-
den die wichtigsten materiellrechtlichen Änderungen aufgeführt, die der
Verfassung vom 5. Oktober 1921 und deren Rahmengesetzen seit 1921
widerfahren sind.
Das Wahlrecht änderte sich bereits durch das «Gesetz vom 31. Au-
gust 1922 betreffend die Ausübung der politischen Volksrechte in Lan-
desangelegenheiten», kurz Volksrechtegesetz (VRG).59 Dieses Gesetz
legte unter anderem die Rechte der liechtensteinischen Landesbürger bei
Abstimmungen und Wahlen fest und bestimmte das dabei anzuwen-
dende Verfahren. Die wesentlichste Änderung bestand darin, dass dessen
Art. 2 das aktive und passive Wahlrecht bereits mit Vollendung des 21.
Lebensjahres gestattete (Art. 2 VRG 1922 idgF). Derjenige männliche
Liechtensteiner, der dieses Merkmal erfüllte, musste nun nicht mehr
zwingend seinen Wohnsitz in Liechtenstein haben. Es genügte, wenn ein
43
57 Quaderer, Verfassungsdiskussion, S. 139.
58 Liechtenstein in Zahlen 2009, S. 11: 1921 hatte Liechtenstein 8841, Ende 2007 be-
reits 35 356 Einwohner.
59 Gesetz vom 31.08.1922 betreffend die Ausübung der politischen Volksrechte in
Landesangelegenheiten (VRG), LGBl 1922, Nr. 28. Der abgekürzte Titel «Volks-
rechtegesetz» wird erst im Jahre 2004 durch LGBl 2004, Nr. 235 eingeführt, soll
aber der Einfachheit wegen bereits ab dieser Stelle verwendet werden.
solcher Liechtensteiner seine Angehörigen in Liechtenstein hatte oder
erkennbar beabsichtigte, wieder nach Liechtenstein zurückzukehren
(Art. 2 VRG 1922 idgF).
Das Gesetz vom 21. Februar 1932 über die Abänderung des Volks-
rechtegesetzes vom 31. August 1922 (VR-AbändG 1932)60 brachte da-
hingehend Neuerungen, als nun die einzelnen Gemeindevertreter in den
Gemeinden, welche mehr als 300 Einwohner hatten, nicht mehr durch
alle Wahlberechtigten des jeweiligen Wahlkreises, sondern durch die
Bürger der jeweiligen Gemeinde gewählt wurden (Art. 16 VRG 1922
idgF, Art. 5 VR-AbändG 1932). Das ganze Land als ein Wahlkreis (Art.
5 Abs. 2 VR-AbändG 1932) wählte die restlichen Landtagsabgeordneten
mit der Massgabe, dass das Verhältnis zwischen Oberland mit neun Ab-
geordneten und Unterland mit sechs Abgeordneten weiterhin bestehen
blieb (Art. 14 VRG 1922 idgF, Art. 4 VR-AbändG 1932).
Im Jahre 1939 fand das Verhältniswahlrecht61 sowie die Wahl von
stellvertretenden Abgeordneten Aufnahme in die Verfassung.62 Letztere
hatte vor allem die Funktion, die Mehrheitsverhältnisse im Parlament für
den Fall zu sichern, dass ein Abgeordneter an der Teilnahme an einer
Landtagssitzung verhindert war. Anlass für die Diskussionen um das
Proporzsystem waren schwere parteipolitische Auseinandersetzungen,
bei denen sich jeweils die Minderheitspartei für den Proporz stark
machte. Das Wahlgesetz war somit eine auch in den Landeszeitungen
hart umkämpfte Parteifrage, wobei schlussendlich der Proporz zur
staatsnotwendigen Einrichtung wurde.63 Dies belegt eine Rede des da-
maligen Regierungschefs Josef Hoop, worin er die Wichtigkeit des Pro-
porzwahlrechtes für Liechtenstein betonte.64
44
Den Landtag betreffende Novellen von 1921 bis heute
60 Gesetz vom 21.02.1932 über die Abänderung des Gesetzes vom 31.08.1922 (LGBl
1922, Nr. 28) betreffend die Ausübung der politischen Volksrechte in Landesange-
legenheiten (VR-AbändG 1932), LGBl 1932, Nr. 9.
61 Gesetz vom 18.01.1939 über die Einführung des Verhältniswahlrechtes (Verhältnis-
wahlrecht-EinführungsG), LGBl 1939, Nr. 4.
62 Gesetz vom 18.01.1939 betreffend Abänderung von Art. 46, 47, 49 und 53 der Ver-
fassung vom 05.10.1921 (LV-AbändG 1939), LGBl 1939, Nr. 3.
63 Wille, Landtag, S. 163–199.
64 Öffentliche Rede des damaligen Regierungschef Josef Hoop in der Volksversamm-
lung in Eschen. Die Rede wird zitiert in Wille, Landtag, S. 197 ff. An dieser Stelle
wird sie zusammengefasst wiedergegeben: «Während aussenpolitisch sich durch die
Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich keine Änderungen der Verhält-
Dieses Verhältniswahlrecht war als Listenproporz ausgestaltet. Da-
mit konnte der Wähler seine Stimme zwar nur einer einzigen Partei, aber
mehreren Kandidaten – neun im Oberland bzw. sechs im Unterland –
geben (Art. 22 Abs. 1 Verhältniswahlrecht-EinführungsG). Damit ent-
schied die Zahl der erzielten Listenstimmen über die Zuteilung der Man-
date an die Parteien. Die Zahl der auf die einzelnen Kandidaten entfal-
lenden Stimmen bestimmte lediglich über die Position innerhalb der
Partei und somit über die Zuteilung der Mandate an die Abgeordneten.65
Es war also möglich, Kandidaten der anderen Partei in seinen Stimmzet-
tel aufzunehmen, ohne dadurch die eigene Partei zu schwächen. Diese
Entwicklung war der Grund dafür, dass Liechtenstein im Jahre 1939
«endgültig Parteienstaat geworden ist».66 Die Einführung des Verhält-
niswahlrechts brachte zwei weitere Neuerungen, die vor allem durch die
damaligen besonderen Zeitumstände zu erklären sind: Zum einen wurde
die Sperrklausel für Landtagsmandate auf 18 Prozent erhöht, um den
Einzug neuer, vor allem aber nationalsozialistischer Parteien in den
Landtag zu verhindern.67 Zum anderen bestand von nun an die Mög-
lichkeit der Wahl ohne Wahlvorgang, die sogenannte stille Wahl: Falls
vor einer Wahl nur ein Wahlvorschlag eingereicht wurde und die Zahl
der Vorgeschlagenen die Zahl der zu Wählenden nicht überschritt, dann
waren die Vorgeschlagenen durch Regierungsbeschluss als gewählt zu
erklären (Art. 30 Abs. 1 Verhältniswahlrecht-EinfG).
45
Den Landtag betreffende Novellen von 1921 bis heute
nisse ergab, ist sie innerpolitisch nicht ohne Folgen geblieben. Es gab eine Anzahl
Leute, die glaubten, dass ein wenigstens wirtschaftlicher Anschluss an das neue
Gross deutschland im Interesse Liechtensteins läge [. . .], während das ganze übrige
liechtensteinische Volk sozusagen geschlossen an der Parole festhielt: Liechtenstein
soll Liechtenstein bleiben, und die Verträge sollen beibehalten werden, die es mit der
Schweiz verbinden. [. . .] Wir riefen die Führer beider Parteien zusammen, um in die-
ser Richtung eine einhellige Erklärung an die Schweiz und das übrige Ausland zu
formulieren. Die Führer [. . .] stellten sich im Zuge der Verhandlungen [. . .] auf den
Standpunkt der Unabhängigkeit und Selbständigkeit, hielten es aber für notwendig,
dass im gleichen Zuge eine innerpolitische Befriedung eingeleitet werde. [. . .] Und
dieser Friede, mit welchem [. . .] eine verhältnismässige Vertretung im Landtage auf
dem Wege des Verhältniswahlrechtes eine proportionelle Vertretung in den Behör-
den und Kommissionen eingeräumt wurde, [. . .] dieser Friede hat Liechtenstein ge-
rettet.»
65 Vogt, S. 142.
66 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 22 (Anm. 32).
67 Vogt, S. 139.
1939 trat die Institution der gesetzmässig gewährleisteten Vertreter
von Gemeinden mit mehr als 300 Einwohnern ausser Kraft (§ 1 Abs. 1
LV-AbändG 1939). Es sollte aber weiterhin möglichst jede Gemeinde im
Landtag vertreten sein: Hatte eine Gemeinde aufgrund des Wahlergeb-
nisses kein Mandat erhalten, so war für diese Gemeinde aus derjenigen
Wählergruppe ein stellvertretender Abgeordneter zu bestimmen, deren
Kandidat am meisten Stimmen bekam, und zwar unabhängig von der
Stimmenzahl oder der Reihenfolge dieses Kandidaten in der Wählerliste
(Art. 27 Abs. 2 Verhältniswahlrecht-EinfG). Ansonsten wurde derjenige
Kandidat zum stellvertretenden Abgeordneten, der unter den Nichtge-
wählten am meisten Stimmen erhielt (Art. 27 Abs. 1 Verhältniswahl-
recht-EinfG.)68
Seit 1958 entschied nicht mehr der Landtag selbst, sondern der
Staatsgerichtshof über Wahlbeschwerden (Art. 2 Abs. 1 LV-AbändG
1958).69 Im selben Jahr änderte sich das aktive und passive Wahlrecht da-
hingehend, als der männliche liechtensteinische Staatsbürger das 21. Le-
bensjahr vollendet und neuerdings mindestens einen Monat vor der
Wahl seinen ordentlichen Wohnsitz in Liechtenstein haben musste (Art.
1 VR-AbändG 1958).70 Ab dem Jahr 1969 musste das 20. Lebensjahr
vollendet sein (Art. 1 WahlalterG).71
Nach über hundert Jahren trat per 23. Mai 1969 eine neue Ge-
schäftsordnung für den Landtag in Kraft (§ 22 GOLT 1969).72 Sie stellte
die Arbeitsweise des Landtags auf eine zeitgemässe Stufe, ohne die we-
sentlichen Grundsätze der Geschäftsordnung von 1863 zu verändern:
46
Den Landtag betreffende Novellen von 1921 bis heute
68 Dazu auch die Anmerkung des damaligen Regierungsvertreters Alois Vogt in der
nichtöffentlichen Landtagssitzung vom 07.01.1939: «Die theoretische Möglichkeit
besteht, dass eine kleine Gemeinde keinen Abgeordneten erhält. Es ist aber vorge-
sehen, dass dann eine solche Gemeinde einen stellvertretenden Abgeordneten er-
hält.» (LTP 1939, S.2)
69 Verfassungsgesetz vom 25.02.1958 (LV-AbändG 1958), LGBl 1958, Nr. 1.
70 Gesetz vom 25.02.1958 betreffend die Abänderung des Gesetzes vom 31.08.1922,
LGBl 1922, Nr. 28, betreffend die Ausübung der politischen Volksrechte in Lan-
desangelegenheiten, sowie des Gesetzes vom 18.01.1939 über die Einführung des
Verhältniswahlrechtes (VR-AbändG 1958), LGBl 1939 Nr. 4, LGBl 1958, Nr. 2.
71 Gesetz vom 14.11.1969 über die Herabsetzung des Wahlalters und des Mündig-
keitsalters und die Änderung wahlgesetzlicher Vorschriften (WahlalterG), LGBl
1969, Nr. 48.
72 Geschäftsordnung vom 23.05.1969 für den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
(GOLT 1969), LGBl 1969, Nr. 28.
Wahl des Präsidenten aus der Mitte der Abgeordneten (§ 8 Abs. 1 GOLT
1969), Vorsitz des Landtagspräsidenten, Leitung der Landtagsgeschäfte
(§ 9 Abs. 1 GOLT 1969) und Anordung der Sitzungen durch den Land-
tagspräsidenten (§ 14 Abs. 1 GOLT 1969), grundsätzlich öffentliche Sit-
zungen (§§ 20f GOLT 1969), 2⁄3-Quorum (§ 22 Abs. 1 GOLT 1969) und
das Erfordernis der absoluten Stimmenmehrheit (§ 40 GOLT 1969).
Auch die Möglichkeit der Bildung von Kommissionen blieb bestehen,
wobei den Kommissionen keine stellvertretenden Abgeordneten ange-
hören durften (§§ 48ff GOLT 1969). Dies war ab dem Jahr 1971 durch
eine Abänderung der Geschäftsordnung erlaubt (Art. 1 GOLT-AbändB
1971).73
Gleichzeitig passte die Geschäftsordnung 1969 in die Jahre gekom-
mene Funktionsweisen der Zeit an. So wurden die Sitzungsprotokolle
anhand von Tonbandaufnahmen angefertigt (§ 12 Abs. 1 GOLT 1969)
und die verschiedenen Möglichkeiten parlamentarischer Eingänge nach
dem jeweiligen Kernbereich eingeteilt und näher bestimmt. Man unter-
schied nun zwischen Initiativrecht, Motion, Postulat, Interpellation und
Petition (§§ 26 ff GOLT 1969).
Die Beratungsgegenstände erhielten eine genaue Bezeichnung.
Demnach behandelte der Landtag die in seinen Geschäftsbereich fallen-
den Gegenstände einerseits aufgrund von Vorlagen, Berichten und An-
trägen der Regierung oder der Kommissionen des Landtags, und ande-
rerseits aufgrund von Anträgen aus der Mitte des Landtags selbst (§ 23
GOLT 1969).
Das Verfassungsgesetz vom 17. Juli 1973 über die Abänderung der
Verfassung vom 5. Oktober 1921 änderte das Wahlverfahren durch die
Herabsetzung der Sperrklausel von 18 auf 8 Prozent (§ 1 LV-AbändG
1973).74 Bereits 1962 hob der Staatsgerichtshof die Sperrklausel von
18 Prozent als verfassungswidrig auf. Zusammen mit einem neuen Volks-
rechtegesetz (VRG)75 wurde der Kandidatenproporz eingeführt, um
47
Den Landtag betreffende Novellen von 1921 bis heute
73 Landtagsbeschluss vom 15.04.1971 betreffend die Abänderung der Geschäftsord-
nung für den Landtag des Fürstentums Liechtenstein (GOLT-AbändB 1971), LGBl
1971, Nr. 26.
74 Verfassungsgesetz vom 17.07.1973 über die Abänderung der Verfassung vom
05.10.1921 (LV-AbändG 1973), LGBl 1973, Nr. 49.
75 Gesetz vom 17.07.1973 betreffend die Ausübung der politischen Volksrechte in
Landesangelegenheiten (VRG), LGBl 1973, Nr. 50.
mehr die Kandidaten als die Parteien in den Vordergrund zu stellen (Art.
50 VRG). Der Wähler vergab nun mit jedem auf seiner Liste aufgeführ-
ten Namen sowohl eine Partei- als auch eine Kandidatenstimme.76 Da-
neben erhielt jede Wählergruppe für jeden gewählten Abgeordneten ei-
nen stellvertretenden Abgeordneten, soweit die Wahlliste genügend
Kandidaten aufwies (Art. 60 VRG).
Dieses neue Volksrechtegesetz hob durch dessen Art. 92 mehrere
Gesetze, unter anderem das frühere Volksrechtegesetz von 1922 sowie
das Gesetz vom 18. Januar 1939 betreffend die Einführung des Verhält-
niswahlrechts auf und stellte deren zum Teil abgeänderten Inhalte auf
eine neue gemeinsame und erweiterte Grundlage.
Im Jahre 1982 trat das Gesetz über die Bezüge der Mitglieder des
Landtags in Kraft (BezügeBeiträgeG).77 Die Abgeordneten erhielten ein
Sitzungsgeld von CHF 170 für einen ganzen und CHF 120 für einen hal-
ben Tag (Art. 2 Abs. 1 BezügeBeiträgeG). Dazu trat eine Repräsentati-
onszulage als Jahrespauschale für Abgeordnete in der Höhe von CHF
1000, für stellvertretende Abgeordnete eine solche von CHF 500 (Art. 3
Abs. 1 BezügeBeiträgeG). Der Landtagspräsident erhielt ausserdem eine
Zulage von CHF 6000, der Landtagsvizepräsident eine solche von CHF
3000 pro Jahr (Art. 3 Abs. 2 BezügeBeiträgeG). Neben Fahrkostenent-
schädigungen (Art. 4 BezügeBeiträgeG) gab es auch Entschädigungen
der Mitglieder des Landtags für ihre Auslandstätigkeit (Art. 5 ff. Bezü-
geBeiträgeG).
1984 war nach langem Ringen das Frauenstimmrecht Tatsache. So-
mit standen von da an «die politischen Rechte allen Landesangehörigen
zu, die das 20. Lebensjahr vollendet, im Lande ihren ordentlichen
Wohnsitz haben und nicht im Wahl- und Stimmrecht eingestellt sind» (I.
zu Art. 29 Abs. 2 LV-AbändG 1984).78 Die daraus folgende Abänderung
des Volksrechtegesetzes brachte allen Landesangehörigen ein aktives
und passives Wahlrecht, die das 20. Lebensjahr vollendet und seit einem
48
Den Landtag betreffende Novellen von 1921 bis heute
76 Nohlen, Wahlsysteme, S. 213.
77 Gesetz vom 17.12.1981 über die Bezüge der Mitglieder des Landtages und von Bei-
trägen an die im Landtag vertretenen Wählergruppen (BezügeBeiträgeG), LGBl
1982, Nr. 22.
78 Verfassungsgesetz vom 11.04.1984 über die Abänderung der Verfassung vom
05.10.1921 (Einführung des Frauenstimmrechtes) (LV-AbändG 1984), LGBl 1984,
Nr. 27.
Monat vor der jeweiligen Wahl oder Abstimmung im Lande ihren or-
dentlichen Wohnsitz hatten (§ 1 VR-AbändG 1984).79
Per Verfassungsgesetz wurde im Jahre 1988 die Abgeordnetenzahl
auf 25 erhöht (I. zu Art. 46 Abs. 1 und 2 LV-AbändG 1987).80 Dies war die
Folge von Diskussionen um die Verfassung, in der die wichtigsten Argu-
mente trotz unterschiedlicher Ansätze der Parteien gleich waren: Ein
grösseres Parlament erlaube eine bessere Vertretung der verschiedenen
sozialen Gruppen und Berufsstände und komme dem Wunsch der Ge-
meinden entgegen, durch einen Gemeindeangehörigen im Landtag ver-
treten zu sein. Es kam noch das Argument hinzu, dass die einzelnen Ab-
geordneten infolge der zu kleinen Zahl von Abgeordneten überfordert
würden, weil zu viel Arbeit auf zu wenig Schultern laste.81 Die Erhöhung
der Abgeordnetenzahl strebte demnach einerseits eine grössere Repräsen-
tation und andererseits eine bessere Verteilung des Arbeitsaufwandes an.
Die Wahlkreise und das Verhältnis von 60 zu 40 Prozent blieben
bestehen: Auf das Oberland entfielen nun 15 und auf das Unterland
zehn Abgeordnete (I. zu Art. 46 Abs. 1 und 2 LV-AbändG 1987). Dieses
Verhältnis entsprach wiederum nicht demjenigen der Einwohnerzahlen
der beiden Wahlkreise, denn Liechtenstein hatte 1988 insgesamt 28 181
Einwohner, wovon 19 359 im Oberland und 8822 im Unterland lebten.82
Es sollte also wiederum der Minderheitenschutz gewahrt werden. Zu-
sätzlich zu den Abgeordneten stellten sich in jedem Wahlkreis auch stell-
vertretende Abgeordnete zur Wahl. Jeder Partei stand auf jeweils drei
Abgeordnete in einem Wahlkreis ein stellvertretender Abgeordneter zu
(I. zu Art. 46 Abs. 1 und 2 LV-AbändG 1987). Später wurde dies dahin-
gehend erweitert, als jeder Partei mindestens ein stellvertretender Abge-
ordneter zustand, wenn die jeweilige Partei in einem Wahlkreis ein Man-
dat erreichte (I. zu Art. 46 Abs. 2 LV-AbändG 1994).83
49
Den Landtag betreffende Novellen von 1921 bis heute
79 Gesetz vom 15.11.1984 über die Abänderung des Gesetzes betreffend die Ausübung
der politischen Volksrechte in Landesangelegenheiten (VR-AbändG 1984), LGBl
1985, Nr. 4.
80 Verfassungsgesetz vom 20.10.1987 über die Abänderung der Verfassung vom
05.10.1921 (Erhöhung der Mandatszahl des Landtages) (LV-AbändG 1987), LGBl
1988, Nr. 11.
81 Vogt, S. 135.
82 Statistisches Jahrbuch 2008, S. 55.
83 Verfassungsgesetz vom 14.06.1994 über die Abänderung der Verfassung vom
05.10.1921 (Stellvertretende Abgeordnete) (LV-AbändG 1994), LGBl 1994, Nr. 46.
Im Jahre 1989 gab sich der Landtag das Recht, Untersuchungs-
kommissionen zu bestellen (II. zu Art. 63bis LV-AbändG 1989-1)84 so-
wie neben der gesamten Staatsverwaltung auch die Justizverwaltung zu
kontrollieren (§ 1 LV-AbändG 1989-2).85
Im selben Jahr trat eine neue Geschäftsordnung (GOLT 1989) in
Kraft.86 Neben kleinen formalen Anpassungen gab es auch inhaltliche
Neuheiten. So schlug die wählerstärkste Partei – gemessen an der Man-
datszahl bzw. an den Stimmen – den Landtagspräsidenten vor, der den
Landtag von da an nach aussen vertrat (§ 9, § 11 Abs. 1 GOLT 1989). Auf
Vorschlag der zweitstärksten Fraktion wurde der Vizepräsident gewählt
(§ 11 Abs. 2 GOLT 1989). Die Geschäftsordnung führte erstmals die In-
stitution des Landtagssekretariats ein und bestimmte dessen Kompeten-
zen und Funktionsweise (§ 15 GOLT 1989). So hatte der vom Landtag
bestellte Landtagssekretär (§ 15 Abs. 2 GOLT 1989) unbeschadet des
Weisungsrechtes des Präsidenten das Sekretariat zu leiten. Dabei war er
von der Regierung unabhängig (§ 15 Abs. 2 GOLT 1989). Sein Aufgaben-
bereich bestimmte der Präsident durch ein Reglement (§ 15 Abs. 1 GOLT
1989). Die Bestimmungen der Kommissionen waren ebenfalls von Neue-
rungen betroffen, aber stellvertretende Abgeordnete durften weiterhin
nicht in Kommissionen mitarbeiten (§ 55 Abs. 1 GOLT 1989). Die stän-
digen Kommissionen konnten sich ein Reglement geben, welches vom
Landtag genehmigt werden musste (§ 51 GOLT 1989). Zusätzlich wurde
die Aussenpolitische Kommission geschaffen (§ 60 GOLT 1989).
Die Verfassung von 1921 regelte die weitere Vorgehensweise bei
vom Landtag beschlossenen Gesetzen und bei Finanzbeschlüssen. Dies
änderte sich bis heute nur im Detail. Damit unterliegt jedes vom Land-
tag beschlossene, von ihm nicht als dringlich erklärte Gesetz, ebenso je-
der von ihm nicht als dringlich erklärte Finanzbeschluss, sofern er eine
einmalige neue Ausgabe von mindestens CHF 300 000 oder eine jährli-
che Neuausgabe von CHF 150 000 verursacht, der Volksabstimmung,
50
Den Landtag betreffende Novellen von 1921 bis heute
84 Verfassungsgesetz vom 03.12.1989 über die Abänderung der Verfassung vom
05.10.1921 (Minderheitenrecht auf Kontrolle) (LV-AbändG 1989-1), LGBl 1989,
Nr. 64
85 Verfassungsgesetz vom 03.12.1989 über die Abänderung der Verfassung vom 05.10.
1921 (Kontrolle der Justizverwaltung) (LV-AbändG 1989-2), LGBl 1989, Nr. 65.
86 Geschäftsordnung vom 25.10.1989 für den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
(GOLT 1989), LGBl 1989, Nr. 66.
falls der Landtag eine solche beschliesst oder 1000 wahlberechtigte Lan-
desbürger oder drei Gemeinden ein solches Begehren stellen.87 Die
wahlberechtigten Landesbürger erhielten damit die Möglichkeit des fa-
kultativen Referendums.
Dem gleichen Prinzip folgte das bereits vier Jahre zuvor einge-
führte Staatsvertragsreferendum. Demnach konnten 1500 wahlberech-
tigte Landesbürger oder wenigstens vier Gemeinden eine Volksabstim-
mung über einen Landtagsbeschluss, welcher die Zustimmung zu einem
Staatsvertrag zum Gegenstand hatte, herbeiführen, falls der Landtag
nicht bereits selbst eine Volksabstimmung beschlossen hatte (I. zu Art.
66bis LV-AbändG 1992).88
Im Jahr 1997 werden zwei weitere Bestimmungen in die Verfassung
aufgenommen.89 Zum einen konnten Mitglieder der Regierung und der
Gerichte nicht gleichzeitig Mitglieder des Landtags sein und zum ande-
ren hatte der Landtag von da an das Recht, eine Finanzkommission zu
bestellen, der auch die Beschlussfassung über den Erwerb oder die Ver-
äusserung von Grundstücken übertragen werden konnte (I. zu Art.
63ter LV-AbändG 1997).
1997 trat eine neue Geschäftsordnung für den Landtag (GOLT)90
in Kraft, welche bis heute Bestand hat. Sie beseitigte bei der Wahl des
Präsidenten und des Vizepräsidenten den 1989 eingeführten Wahlvor-
schlag (Art. 9 GOLT). Die neu eingeführte Institution des Landtagsbü-
ros besteht aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten und den Frakti-
onssprechern sowie dem Landtagssekretär mit beratender Stimme (Art.
8 Abs. 1 GOLT). Das Landtagsbüro erstellt das Landesbudget zu Han-
den des Landtags und entscheidet im Rahmen der bewilligten Stellen
über die Anstellung von neuem Personal für das Landtagssekretariat
(Art. 8 Abs. 3, 4 GOLT). Das Landtagssekretariat selbst ist weiterhin
51
Den Landtag betreffende Novellen von 1921 bis heute
87 Verfassungsgesetz vom 03.05.1996 über die Abänderung der Verfassung vom
05.10.1921 (Finanzreferendum), LGBl 1996, Nr. 85, § 1. Ebenso Gesetz vom
03.05.1996 über die Abänderung des Gesetzes betreffend die Ausübung der politi-
schen Volksrechte in Landesangelegenheiten, LGBl 1996, Nr. 84, zu Art. 75 AbS. 1.
88 Verfassungsgesetz vom 15.03.1992 über die Abänderung der Verfassung vom
05.10.1921 (Staatsvertragsreferendum) (LV-AbändG 1992), LGBl 1992, Nr. 27.
89 Verfassungsgesetz vom 11.12.1996 über die Abänderung der Verfassung vom
05.10.1921 (LV-AbändG 1997), LGBl 1997, Nr. 46.
90 Geschäftsordnung für den Landtag des Fürstentums Liechtenstein vom 11.12.1996
(GOLT), LGBl 1997, Nr. 6.
von der Regierung unabhängig (Art. 15 Abs. 1 GOLT). Die Aufgaben-
bereiche des Landtagssekretärs und des Landtagssekretariats werden
durch die Geschäftsordnung geregelt. Somit unterliegt der Aufgabenbe-
reich des Landtagssekretärs nicht mehr einem Reglement des Präsiden-
ten. Das Landtagssekretariat ist unter anderem zuständig für die Sekre-
tariatsgeschäfte des Landtags und seines Präsidenten, die Protokollie-
rung der Landtagsdebatten und die Herausgabe der Landtagsprotokolle,
die Erfassung der Landtagsbeschlüsse und die Beschaffung von Infor-
mationen und Unterlagen zuhanden der Abgeordneten (Art. 16 Abs. 2
GOLT). Die Aufzählung in der Geschäftsordnung ist nicht taxativ, da
weitere Aufgaben vom Landtagsbüro in einem Reglement festgehalten
werden können (Art. 16 Abs. 3 GOLT).
Daneben verlängerten sich die Fristen bei Zustellungen an die Ab-
geordneten. Somit muss die Einladung zur Landtagssitzung drei Wo-
chen vor der Landtagssitzung zugestellt werden (Art. 18 Abs. 1 GOLT).
Dasselbe gilt für die Zustellung der Vorlagen, Berichte und Anträge, wo-
bei hier in dringenden Fällen die Frist durch den Landtagspräsidenten
gekürzt werden kann (Art. 18 Abs. 2 GOLT). Dagegen muss der Lan-
desvoranschlag und der Rechenschaftsbericht der Regierung mindestens
vier Wochen vor der Landtagssitzung im Besitz der Abgeordneten sein
(Art. 18 Abs. 3 GOLT).
Die Tagesordnung wird weiterhin vom Präsidenten, nun aber nach
Rücksprache mit dem Landtagsbüro, bestimmt (Art. 19 Abs. 1 GOLT).
Dabei ist der Regierung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wel-
che zusätzlich und neben einem Mitglied des Landtags das Recht hat, die
Kürzung oder – bei Dringlichkeit – die Ausweitung der Tagesordnung
zu beantragen (Art. 19 Abs. 2 GOLT).
Bei den Bestimmungen, welche die Beratungen regeln, ist neben
der expliziten Erweiterung der Beratungsgegenstände gegenüber der
Geschäftsordnung von 1989 um Volksinitiativen und Petitionen die Be-
ratung von Gesetzesvorlagen zu nennen (Art. 26 GOLT). Bei Eintritt
des Landtags auf eine Gesetzesvorlage hat nunmehr eine zweimalige Le-
sung und eine Schlussabstimmung stattzufinden (Art. 30 Abs. 2 GOLT).
Gesetzesbeschlüsse – wie auch Finanzbeschlüsse – müssen innerhalb
von fünf Arbeitstagen an die Regierung weitergeleitet werden (Art. 31
Abs. 1 GOLT).
Die verschiedenen Möglichkeiten der parlamentarischen Eingänge
(Art. 32 ff. GOLT) haben ebenso Neuerungen erfahren wie die Bestim-
52
Den Landtag betreffende Novellen von 1921 bis heute
mungen der Kommissionen und Delegationen, wobei Letztere erstmals
in die Geschäftsordnung aufgenommen wurden (Art. 53 GOLT).
Die politischen Rechte, wie das aktive und passive Wahl- und
Stimmrecht, stehen seit dem Jahr 2000 allen Landesangehörigen zu, die
das 18. Lebensjahr vollendet haben (I. zu Art. 1 Abs. 1 VR-AbändG
2000, zu Art. 29 Abs. 2 LV-AbändG 1999).91 Diese müssen aber weiter-
hin wenigstens einen Monat vor der jeweiligen Wahl oder Abstimmung
im Lande ihren ordentlichen Wohnsitz haben (I. VR-AbändG 2000).
Der Gesetzgeber überarbeitete im Jahr 2002 das Gesetz vom 17.
Dezember 1981 über die Bezüge der Mitglieder des Landtags, nachdem
dieses bereits 199492 erneuert worden war.93 Diese veränderte Fassung
hat bis heute Bestand. Der neue Titel lautet nun «Gesetz über die Be-
züge der Mitglieder des Landtages und von Beiträgen an die im Land-
tag vertretenen Wählergruppen» (I. Bezüge-AbändG 2002). Es enthält
erhöhte Entschädigungen an die Abgeordneten und erstmals Beiträge
an die Parteien.
Im Jahre 2003 erfuhren mehrere Bestimmungen des Landtags auf-
grund einer umfassenden Novellierung der Verfassung massive Ände-
rungen. So wurde das Verfahren bei der Richterauswahl umgestaltet (I.
zu Art. 11, zu Art. 96 LV-AbändG 2003).94 Der Landtag entsendet dabei
je einen Abgeordneten von jeder im Landtag vertretenen Wählergruppe
in ein Richterauswahlgremium, wobei der Landesfürst ebenso viele Mit-
glieder berufen kann wie der Landtag. Den Vorsitz sowie den Stichent-
scheid hat der Landesfürst (I. zu Art. 96 LV-AbändG 2003). Der Kandi-
dat wird nach vertraulichen Beratungen des Gremiums dem Landtag
empfohlen, der diesen Kandidaten wählen oder ablehnen kann. Bei Ab-
lehnung wird über einen neuen Kandidaten längstens binnen vier Wo-
53
Den Landtag betreffende Novellen von 1921 bis heute
91 Gesetz vom 16.12.1999 betreffend die Abänderung des Gesetzes über die Ausübung
der politischen Volksrechte in Landesangelegenheiten (VR-AbändG 2000), LGBl
2000, Nr. 56. Ebenso Verfassungsgesetz vom 16.12.1999 über die Abänderung der
Verfassung vom 05.10.1921 (Herabsetzung des Stimm- und Wahlrechtsalters) (LV-
AbändG 1999), LGBl 2000, Nr. 55.
92 Gesetz vom 24.11.1994 betreffend die Abänderung des Gesetzes über die Bezüge
der Mitglieder des Landtages, LGBl 1994, Nr. 82.
93 Gesetz vom 13.12.2001 betreffend die Abänderung des Gesetzes über die Bezüge
der Mitglieder des Landtages (Bezüge-AbändG 2002), LGBl 2002, Nr. 23.
94 Verfassungsgesetz vom 16.03.2003 über die Abänderung der Verfassung vom
05.10.1921 (LV-AbändG 2003), LGBl 2003, Nr. 186.
chen eine Einigung angestrebt. Bei Zustimmung wird der Kandidat vom
Landesfürsten zum Richter ernannt (I. zu Art. 96 LV-AbändG 2003).
Gemäss Art. 62 LV von 1921 erhielt der Landtag das Recht, die
Staatsverwaltung zu kontrollieren sowie das Entlassungsrecht gegen die
Regierung oder der Misstrauensantag gegen ein Regierungsmitglied
(I. zu Art. 62 LV-AbändG 2003). Das Kontrollrecht des Landtags er-
streckt sich aber weder auf die Rechtsprechung der Gerichte noch auf
die dem Landesfürsten zugewiesenen Tätigkeiten (I. zu Art. 63 LV-Ab-
ändG 2003).
Der Landtag verfügte zusammen mit dem Landesfürsten über das
Finanzvermögen des Landes (I. Art. 69 LV-AbändG 2003). Nunmehr
verwaltet die Regierung das Landesvermögen nach Grundsätzen, welche
sie im Einvernehmen mit dem Landtag festsetzt (I. zu Art. 70 LV-Ab-
ändG 2003). Hierbei berichtet die Regierung dem Landtag zusammen
mit dem Rechenschaftsbericht (I. zu Art. 70 LV-AbändG 2003).
Seit dem Jahr 2004 kann jeder Stimmberechtigte seine Stimme von
jedem Ort im Inland oder Ausland brieflich abgeben (zu Art. 8 VR-Ab-
ändG 2004).95 Zusätzlich hat die Regierung die Befugnis, eine elektroni-
sche Stimmabgabe per Verordnung faktisch einzuführen und genau zu
regeln (zu Art. 8b VR-AbändG 2004). Bis anhin hat sie dieses Recht
nicht beansprucht.
Eine Unklarheit konnte durch eine Abänderung des Volksrechte-
gesetzes im Jahre 2008 dahingehend beseitigt werden, als nun Art. 63
VRG klar bestimmt, dass ein gewählter Abgeordneter sein Mandat ver-
liert, sobald er seinen ordentlichen Wohnsitz in den anderen Wahlkreis
verlegt (I. zu Art. 63 VR-AbändG 2008).96
Seit dem Jahr 2008 erfolgen die Abstimmungen im Landtag in
der Regel mit Hilfe einer elektronischen Abstimmungsanlage (Art. 47
GOLT).97
54
Den Landtag betreffende Novellen von 1921 bis heute
95 Gesetz vom 15.09.2004 über die Abänderung des Gesetzes betreffend die Ausübung
der politischen Volksrechte in Landesangelegenheiten (VR-AbändG 2004), LGBl
2004, Nr. 235.
96 Gesetz vom 23.04.2008 betreffend die Abänderung des Gesetzes über die Ausübung
der politischen Volksrechte in Landesangelegenheiten (VR-AbändG 2008), LGBl
2008, Nr. 138.
97 Siehe auch das Gesetz zur Abänderung der Geschäftsordnung für den Landtag des
Fürstentums Liechtenstein vom 21.11.2008, LGBl 2008, Nr. 299.
III.
VERFASSUNGSRECHTLICHE UND
POLITISCHE RAHMENBEDINGUNGEN
DES LANDTAGS
Die geschichtlichen Ausführungen haben den rechtlichen Werdegang
des heutigen Landtags dargestellt. Noch bevor auf den Landtag und des-
sen Arbeitsweise detailliert eingegangen werden kann, wird dessen Ein-
bettung im politischen System erläutert. Es werden dabei die Legitima-
tion der Abgeordneten ebenso wie die Rahmenbedingungen des Land-
tags aufgezeigt, um darauf aufbauend dessen Kompetenzen besser
darstellen zu können.
A. Rechtliche Grundlagen
Die Darstellung der Geschichte des Landtags bezeugt, dass dem Land-
tag verschiedene rechtliche Bestimmungen zugrunde liegen. Dabei sind
drei Rechtsquellen herausragend: die Verfassung, die Geschäftsordnung
des Landtags sowie das Volksrechtegesetz.
Primäre Rechtsquelle ist die aktuelle Fassung der Verfassung von
1921. Darunter sind alle Bestimmungen subsumiert, die bis Ende 2009 in
die Verfassungsurkunde oder in Verfassungsänderungsgesetze aufge-
nommen wurden. Die Verfassung regelt den Landtag hauptsächlich im
V. Hauptstück in den Artikeln 45 bis 70. Daneben findet der Landtag,
verstreut über die ganze Verfassung, immer wieder Erwähnung.
Als sekundäre Rechtsquellen sind die aktuell geltende Geschäfts-
ordnung für den Landtag (GOLT) vom 11. Dezember 19961 sowie das
Gesetz über den Geschäftsverkehr des Landtags und die Kontrolle der
Staatsverwaltung (VwKG) vom 12. März 2003 zu nennen.2
Zusätzlich dazu sind als weitere Rechtsquellen die Art. 36 bis 63
des «Gesetzes betreffend die Ausübung der politischen Volksrechte in
Landesangelegenheiten (Volksrechtegesetz, VRG)» zu erwähnen. Dieses
Gesetz regelt auch die Landtagswahlen.3
Es liessen sich hierzu viele weitere den Landtag direkt oder indirekt
betreffende Bestimmungen anführen, wie etwa das «Gesetz vom 17. De-
zember 1981 über die Bezüge der Mitglieder des Landtages und von Bei-
57
1 Geschäftsordnung für den Landtag des Fürstentums Liechtenstein vom 11.12.1996
(GOLT), LGBl 1997, Nr. 61.
2 Gesetz vom 12.03.2003 über den Geschäftsverkehr des Landtags und die Kontrolle
der Staatsverwaltung (VwKG), LGBl 2003, Nr. 108.
3 Gesetz vom 17.07.1973 betreffend die Ausübung der politischen Volksrechte in
Landesangelegenheiten (VRG), LGBl 1973, Nr. 50.
trägen an die im Landtag vertretenen Wählergruppen» (BezügeBeiträ-
geG)4, doch sollen an dieser Stelle nur die wichtigsten Bestimmungen ge-
nannt werden.
58
Rechtliche Grundlagen
4 Gesetz vom 17.12.1981 über die Bezüge der Mitglieder des Landtages und von Bei-
trägen an die im Landtag vertretenen Wählergruppen (BezügeBeiträgeG), LGBl
1982, Nr. 22.
B. Landtagswahlen
Bevor die Abgeordneten ihre Arbeit aufnehmen können, müssen sie sich
einer Wahl stellen. Die erfolgreiche Teilnahme an den Landtagswahlen
ist damit Grundvoraussetzung jedes Mandats.
Im Folgenden wird der Zweck der Landtagswahlen ebenso darge-
stellt wie deren Ausgestaltung und das passive und aktive Wahlrecht. Es
wird aufgezeigt, dass die Kandidaten für ein Regierungsmandat die
Landtagswahlen stark beeinflussen, weshalb in einem eigenen Abschnitt
auf dieses Verhältnis eingegangen wird.
1. Zweck der Landtagswahlen
Generell sind Wahlen der zentrale Akt politischer Beteiligung breiter
Bevölkerungsschichten, durch den das Parlament als Repräsentativorgan
des Volkes verbindlich bestellt wird und der über die parteienmässige
und/oder personelle Zusammensetzung der Regierung entscheidet oder
die Regierungsbildung zumindest beeinflusst.5 Periodisch wiederkeh-
rende Wahlen sind in demokratischen Staaten ein probates Mittel, poli-
tisches Vertrauen zu erneuern oder zu entziehen. Damit können sie dem
Gedanken der «Herrschaft auf Zeit» in prozessual-dynamischer Weise
entsprechen. Durch die Wahlentscheidung gehen neben der personellen
Selektion auch Mehrheitsentscheidungen über Sachfragen auf der Basis
von Parteiprogrammen und Grundsatzpositionen einher, wobei gerade
die Parteien Meinungs- und Willensbildungsprozesse werbemässig för-
dern. Damit üben die Parteien durch die überwiegend von ihnen be-
sorgte Auswahl, Unterstützung und Präsentation der Kandidaten einen
59
5 Marxer, Wahlforschung, S. 267.
politisch massgeblichen, bisweilen überproportionalen Einfluss aus,
«der sich grösstenteils nach der Wählerstimmenmaximierungsprämisse
richtet und trotz verlautbarer Gemeinwohlmaximen als extrem selbstbe-
zogen einzuschätzen ist».6
Nohlen versteht die Parlamentswahlen im Allgemeinen als einen
Akt, «durch den Vertrauen der Wähler in die Gewählten artikuliert wird,
durch den die Bildung einer funktionsfähigen Repräsentation erfolgen
soll, durch den Kontrolle über die Regierung ausgeübt werden soll, oder
als einen Akt von Alibi-Funktionen, Konkurrenz von Personen und
Parteien vorzuspiegeln, gesellschaftliche Antagonismen zu verschlei-
ern».7 In Liechtenstein können die alle vier Jahre stattfindenden Land-
tagswahlen (Art. 47 LV) unterschiedlich wahrgenommen werden. Ge-
mäss Waschkuhn sind sie «in erster Linie Personalplebiszite über die Zu-
sammensetzung des Landtags und zumindest indirekt der Regierung».8
Landtagswahlen bieten dem Wähler die Chance, die geleistete Ar-
beit des Landtags und der indirekt gewählten Regierung, gegebenenfalls
verglichen mit den jeweiligen Wahlversprechen bei den vorangegange-
nen Wahlen, zu würdigen. Beim Wahlvorgang verfügen die Wähler ef-
fektiv über rechtlich gesicherte Auswahlmöglichkeiten und Wahlfreiheit
(kompetitive Wahlen).9 Kompetitive Wahlen bilden «the distinctive fea-
ture of democracy and the one which allows us to distinguish the demo-
cracy from other political methods».10 Damit ist die Landtagswahl eine
einmalige und zeitlich auf vier Jahre befristete Souveränitätsdelegation
durch das Volk an den Landtag. Sie ist die Legitimation des Landtags zur
Ausübung der erhaltenen Herrschaftsfunktionen in der entsprechenden
Mandatsperiode.11 Allerdings verpflichtet die Übernahme des Mandats
ihrerseits auch zur damit geschuldeten Arbeitsleistung.12 Denn «wem
auch immer ein öffentlicher Amtsträger sein Amt ‹verdankt›, er schuldet
eine an der verfassungsmässigen Ordnung, an Gesetz und Recht orien-
tierte Amtsführung».13
60
Landtagswahlen
6 Waschkuhn, 1994, S. 306.
7 Nohlen, Wahlrecht 1989, S. 24.
8 Waschkuhn, 1994, S. 306.
9 Nohlen, Wahlrecht 1989, S. 18.
10 Verba, S. 4.
11 Siehe dazu auch Nohlen, Wahlrecht 1989, S. 20 f.
12 Geiger, Abgeordnete, S. 109.
13 Lenz, S. 27.
2. Wahlsystem
Die Ausführungen zur Geschichte des Landtags haben aufgezeigt, dass
das Wahlsystem Liechtensteins mehrere Anpassungen erfuhr. Dabei
kann die Entscheidung über Bewahrung oder Änderung von Wahlsyste-
men als ein Ausdruck politischer Machtrelationen zu einer be stim mten
Zeit verstanden werden.14
Die Grundprinzipien des heute gültigen Wahlsystems Liechten-
steins ergeben sich aus Art. 46 Abs. 1 LV:
«Der Landtag besteht aus 25 Abgeordneten, die vom Volke im
Wege des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Stimm-
rechtes nach dem Verhältniswahlsystem gewählt werden. Das
Ober land und Unterland bilden je einen Wahlbezirk.»
Die Stimmenverrechnung kann in einem Verhälniswahlsystem verschie-
den ausgestaltet sein. Gemäss Art. 50 VRG richtet sich das Wahlergeb-
nis vor allem nach der Summe der für die einzelnen Kandidaten einer
Partei abgegebenen gültigen Stimmen, weshalb das Verhälniswahlsystem
Liechtensteins als Kandidatenproporz bezeichnet wird. Dabei können
nur diejenigen Wählergruppen Mandate erhalten, welche wenigstens
acht Prozent der im ganzen Land abgegebenen gültigen Stimmen (Sperr-
klausel) erhalten (Art. 46 Abs. 3 LV). Um das Wahlergebnis zu ermitteln,
kommen zwei verschiedene Systeme zur Anwendung: Die Grundman-
date werden nach dem Hare-Niemeyer-System (System mathematischer
Proportionen)15 und die Restmandate nach dem Modell von Viktor
d’Hondt (Höchstzahlensystem)16 verteilt.17
Im Sinne des Verhältniswahlsystems werden die Stimmen aller teil-
nehmenden Wählergruppen beider Wahlkreise zusammengezählt. Die
Stimmen für Wählergruppen, welche dabei die Sperrklausel von acht
Prozent nicht erreichen konnten, sind von der Verteilung der Mandate
ausgeschlossen. Diese Stimmen werden für die Errechnung der Wahl-
zahl, auch Wahlquotient genannt, nicht berücksichtigt (Art. 55 VRG).
61
Wahlsystem
14 Waschkuhn, 1994, S. 313.
15 Nohlen, Hare-Niemeyer, S. 315.
16 Nohlen, d’Hondt, S. 146.
17 Waschkuhn, 1994, S. 310.
Gemäss dem Hare-Niemeyer-System werden die Wahlzahlen wie
folgt berechnet: Die Gesamtzahl der gültigen Parteistimmen im jeweili-
gen Wahlkreis wird durch die um eins erhöhte Anzahl der in diesem
Wahlkreis zu vergebenden Abgeordnetensitze dividiert. Das Teilungser-
gebnis wird auf die nächstfolgende ganze Zahl erhöht. Um die Mandate
einer Partei zu erhalten, werden die jeweiligen Parteistimmen durch die
Wahlzahl dividiert; damit werden die Anzahl Grundmandate einer Par-
tei eruiert (Art. 55 VRG).18 Eine Partei benötigt demnach für ein Grund-
mandat im Wahlkreis Oberland 6,25 Prozent der Stimmen, im Wahlkreis
Unterland dagegen 9,1 Prozent.
Falls durch dieses Verfahren nicht alle Mandate verteilt werden
können, werden die Restmandate gemäss dem Modell von Viktor
d’Hondt zugeteilt: Die Reststimmen des betreffenden Wahlkreises wer-
den nach ihrer Grösse geordnet, nebeneinandergeschrieben und nachei-
nander durch 1, 2, 3, usw. geteilt, bis aus den gewonnenen Teilungszah-
len so viele Höchstzahlen ausgesondert werden können, wie Restman-
date zu vergeben sind. Dabei erhält jede Partei so viele Restmandate, wie
Höchstzahlen auf sie entfallen (Art. 56 VRG).19
In Folge der Mandatszuteilung an die jeweilige Partei gelten dieje-
nigen Kandidaten einer Partei im betreffenden Wahlkreis als gewählt,
welche am meisten Stimmen erhalten haben (Art. 57 VRG).20
62
Landtagswahlen
18 Waschkuhn, 1994, S. 310.
19 Waschkuhn, 1994, S. 310.
20 Um die Theorie zu verdeutlichen, werden an dieser Stelle die Landtagswahlen 2009
im Wahlkreis Oberland nochmals durchgerechnet (<www.landtagswahlen.li>,
10.06.2009). Damals wurden im Oberland insgesamt 146 235 gültige Parteistimmen
gezählt: 61 033 für die FBP, 71 469 für die VU und 13 733 Stimmen für die FL. Di-
vidiert man diese 146 235 Stimmen durch 16 (zur Zahl der zu vergebenden Sitze
wird 1 addiert), erhält man die Zahl 9139.7. Damit beträgt die Wahlzahl 9140. Nun
werden die Parteistimmen der FBP im Oberland durch die Wahlzahl 9140 dividiert;
das Ergebnis beträgt 6.67, also sechs Sitze für die FBP im Wahlkreis Oberland. Für
die VU werden 71 469 durch 9140 dividiert, was 7.82 ergibt. Demnach erhält die VU
im Oberland sieben Grundmandate. Die Parteistimmen der FL geteilt durch die
Wahlzahl ergibt 1.50, demnach einen Sitz für die FL im Wahlkreis Oberland. Somit
sind 14 Grundmandate vergeben. Um das Restmandat verteilen zu können, müssen
zunächst die Reststimmen eruiert werden. Zuerst wird dazu die jeweilige Anzahl
Grundmandate mit der Wahlzahl multipliziert und das Ergebnis von den jeweiligen
Parteistimmen subtrahiert. Für die FBP bedeutet dies folgende Rechnung: 6 multi-
pliziert mit 9140 ergibt 54 840. Da die FBP im Oberland 61 033 Parteistimmen er-
hielt, beträgt die Differenz daraus und demnach die Anzahl Reststimmen 6193. Die
Gleichzeitig mit den 25 Abgeordneten werden stellvertretende Ab-
geordnete gewählt, wobei jeder Wählergruppe in einem Wahlbezirk auf
jeweils drei Abgeordnete ein stellvertretender Abgeordneter zusteht,
aber mindestens einer, wenn eine Wählergruppe in einem Wahlkreis ein
Mandat erreicht (Art. 46 Abs. 2 LV). Zu stellvertretenden Abgeordneten
werden diejenigen Kandidaten, die auf der Wahlliste der betreffenden
Wählergruppe unter den nichtgewählten Kandidaten am meisten Stim-
men erhalten haben (Art. 60 LV).
3. Wahlkreise
Liechtenstein ist bei Landtagswahlen in zwei Wahlbezirke unterteilt: Im
Wahlkreis Oberland werden fünfzehn und im Wahlkreis Unterland zehn
Abgeordnete gewählt (Art. 46 LV). Diese Einteilung in zwei Wahlkreise
geht auf das Jahr 1878 zurück.21
Gemäss der Terminologie von Nohlen – sowie angesichts der ge-
ringen Mandatszahl – verfügt Liechtenstein damit über grosse Mehr-
mannwahlkreise. Mit Blick auf das Proporzwahlrecht ergibt dies fol-
gende Regel: Je grösser der Wahlkreis, desto grösser der Proporzeffekt
des Wahlsystems, das heisst desto grösser die Chancen kleiner Wähler-
gruppen.22 Zudem sei beim Proporzwahlrecht die «Erfolgswertgleich-
heit der Stimmen [. . .] (in dem Masse, wie sie überhaupt nur gewährleis-
tet werden kann) hergestellt».23 Indem Liechtenstein ein Einheitsstaat
ist, stellt die Einteilung in zwei Wahlkreise ein regionalistisches Element
der Verfassung dar. Damit soll «nicht nur der ungeschmälerte Bestand
von Oberland und Unterland garantiert sein, sondern auch ihr getrenn-
63
Wahlkreise
VU erzielt demnach 7489 und die FL 4593 Reststimmen. Nun müssen die Rest-
stimmen durch 1,2,3,... dividiert werden und der Grösse nach nebeneinander aufge-
schrieben werden. Dies ergibt folgendes Bild: 7489 (VU), 6193 (FBP), 4593 (FL),
3745 (VU), 3097 (FBP), 2496 (VU), 2297 (FL), 2064 (FBP), usw... Da hier nur noch
ein Mandat zu verteilen ist, erhält dieses die VU, da sie in der Auflistung über die
Höchstzahl verfügt. Wären aber rein hypothetisch noch fünf Restmandate zu ver-
geben, dann würde die VU und die FBP jeweils zwei Restmandate erhalten, wäh-
rend sich die FL mit einem begnügen müsste.
21 Gesetz vom 19.02.1878 über Abänderung des Landtags-Wahlmodus, LGBl 1878,
Nr. 2.
22 Nohlen, Wahlrecht 1989, S. 65.
23 Nohlen, Wahlrecht 1989, S. 115.
ter, politischer Einfluss auf die staatliche Willensbildung soll gewahrt
bleiben. Dieser Gedanke wird dadurch verstärkt, dass die Abgeordne-
tenzahl beider Wahlbezirke fixiert ist, ohne Rücksicht auf die Zunahme
der Zahl der Stimmberechtigten».24
Wird die Einteilung in zwei Wahlbezirke kritisch hinterfragt, dann
können zwei wichtige Grundsätze der Verfassung gegen diese räumliche
Teilung des Wahlvorgangs in Oberland und Unterland angeführt wer-
den: erstens die Einheit des liechtensteinischen Volkes und zweitens die
Einheit seines Repräsentationsorgans, des Landtags.25 Durch die Verfas-
sung ist die Staatsgewalt Liechtensteins nicht in zwei Landschaften, son-
dern im Fürsten und im Volk verankert (Art. 2 LV). Zudem beruht durch
Einführung des demokratischen Wahlrechts in den Jahren 1918 bzw.
1921 der Landtag nicht mehr auf der Repräsentation der Stände, Ge-
meinden oder Landschaften, sondern auf der parlamentarischen Vertre-
tung des Volkes. Deshalb hat der Landtag gemäss Art. 45 LV die Rechte
und Interessen des Volkes als Gesamtheit der Landesangehörigen wahr-
zunehmen. Da die Abgeordneten im Landtag «einzig nach ihrem Eid
und ihrer Überzeugung» (Art. 57 LV) abstimmen (freies Mandat) und
damit nicht an ihren Wahlkreis gebunden sind, spielen die Wahlkreise für
die Ausübung der Funktion des Landtags und seiner Abgeordneten als
Volksvertretung «eine untergeordnete Rolle».26 Darüber hinaus wird die
Einheit des liechtensteinischen Volkes innerhalb des Landtagsgebietes
als Grundlage der parlamentarischen Repräsentation im Landtag durch
das einheitliche Wahlrecht aller Landesbürger betont. «Ein Indiz dafür,
dass die Verfassung die Einheitlichkeit und Gleichheit der politischen
Rechte der Landesbürger über die Gliederung der Wahlbezirke stellt, ist
auch die Bestimmung, dass die Achtprozent-Sperrklausel für die Man-
datszuteilung sich auf die im ganzen Land abgegebenen gültigen Stim-
men bezieht.»27
Nicht nur die Verfassung liefert Argumente, die für eine Aufhe-
bung der beiden Wahlkreise sprechen. So kam es bereits zweimal zu ei-
64
Landtagswahlen
24 Stotter, S. 70.
25 Gutachten des Univ.-Prof. Dr. Peter Pernthaler, zitiert in LTP 2007, S. 378 ff. (nicht
publiziert).
26 Gutachten des Univ.-Prof. Dr. Peter Pernthaler, zitiert in LTP 2007, S. 378 ff. (nicht
publiziert).
27 Gutachten des Univ.-Prof. Dr. Peter Pernthaler, zitiert in LTP 2007, S. 379 (nicht
publiziert).
ner Landtags- und Regierungsmehrheit einer Partei, die landesweit nicht
die Mehrheit der Parteistimmen erhielt. Dies war 1978 mit dem Wahlsieg
von Hans Brunhart (VU) der Fall, als die Fortschrittliche Bürgerpartei
insgesamt 1,7 Prozent mehr Stimmen auf sich vereinigen konnte als die
Vaterländische Union. Der deutliche Vorsprung der Fortschrittlichen
Bürgerpartei im Unterland reichte aber dort nur zu einer Sitzverteilung
von drei zu drei Sitzen, während die Vaterländische Union im Oberland
mit knappem Vorsprung fünf der neun Mandate im damals 15-köpfigen
Landtag erlangen konnte. Die landesweite Stimmenmehrheit brachte der
Fortschrittlichen Bürgerpartei keine Mehrheit an Mandaten. Im Jahre
1993 profitierte allerdings die Fortschrittliche Bürgerpartei von den Tü-
cken der beiden Wahlkreise, indem sie mit 1,2 Prozent zwar weniger
Parteistimmen als die Vaterländische Union, aber dennoch mehr Man-
date als diese erringen konnte. Im Oberland erreichten beide Parteien
sieben Mandate im nunmehr 25-köpfigen Landtag, im Unterland ging
die Wahl zugunsten der Fortschrittlichen Bürgerpartei mit fünf Manda-
ten gegenüber vier Mandate der Vaterländischen Union aus.28
Werden dagegen die Einwohner der Wahlkreise analysiert, dann ist
augenfällig, dass das Verhältnis der Einwohnerzahlen von Oberland und
Unterland zum Zeitpunkt der Einführung der Wahlkreise im Jahre 1878
praktisch identisch war wie heute. 1878 betrug die Bevölkerungszahl
Liechtensteins 8095, aufgeteilt in Oberland mit 5213 (64 Prozent) und
Unterland mit 2882 (36 Prozent) Personen.29 Heute zählt Liechtenstein
35 589 Einwohner, wovon 23 100 im Oberland (65 Prozent) und 12 489
(35 Prozent) im Unterland leben.30 Dagegen hat sich der Anteil der in ih-
rer Heimatgemeinde lebenden Liechtensteiner im Verhältnis zu allen in
dieser Gemeinde lebenden Liechtensteiner stark verändert. Im Jahre
1950, also 130 Jahre nach Einführung der Wahlkreise, wohnten noch 85
Prozent der Liechtensteiner in ihrer Heimatgemeinde. Heute ist dieser
Anteil auf 61 Prozent gefallen. Der Unterschied von Ober- und Unter-
land ist dabei vernachlässigbar, wohnten doch im Jahre 1950 83 Prozent
der Oberländer und 87 Prozent der Unterländer in ihrer Heimatge-
meinde, während heute die Gemeinden im Oberland 60 Prozent und im
65
Wahlkreise
28 Marxer, Regierungsbildung und Wählerpräferenzen, S. 3
29 Statistisches Jahrbuch 1998, S. 20: Im Jahr 1901 lebten in Liechtenstein 7531 und
1950 13 757 Personen.
30 Statistisches Jahrbuch Liechtensteins 2010, S. 50.
Unterland 62 Prozent ortsansässige Bürger beheimaten.31 Darüber hi-
naus haben die in ihrer Heimatgemeinde lebenden Bürger im Verhältnis
zu allen wohnhaften Personen in dieser Gemeinde einen durchschnittli-
chen Anteil von lediglich 43 Prozent, was die steigende «Entwurzelung»
der Bürger zu deren Heimatgemeinde aufzeigt.32 Folglich verliert die
Heimatgemeinde und damit die räumliche Dimension an Bedeutung,
weshalb bei den letzten Landtagswahlen lediglich sieben der 25 Abge-
ordneten am meisten Stimmen aus ihrer Heimatgemeinde erhalten ha-
ben.33 Damit kann heute im Gegensatz zu früher ein Landtagskandidat
nicht mehr als Kandidat «seines» Dorfes angesehen werden, was den
Schluss zulässt, dass die Kandidaten nicht aufgrund ihrer Heimatge-
meinde, sondern aufgrund anderer Kriterien gewählt werden.
Da es weder gravierende gesellschaftliche noch (partei-)politische
Unterschiede zwischen Unterland und Oberland gibt und die Struktur
Liechtensteins sehr homogen ist34, kann Proportionalität nur landesweit
erreichen werden. Gemäss Koja führt die Einteilung in zwei Wahlkreise
«notwendig zu einer Abschwächung der Proportionalität. Diesem
Grundsatz wäre am reinsten durch die Wahl und die Verteilung der
Mandate im ganzen Staatsgebiet (ohne Wahlkreise) entsprochen».35
Durch den Verzicht auf die Einteilung in zwei Wahlkreise kann der
Wähler losgelöst vom Wohnort den seiner Ansicht nach fähigsten Land-
tagskandidaten wählen. Zudem wäre ein Wohnsitzwechsel eines gewähl-
ten Abgeordneten in einen anderen Wahlkreis kein Anlass mehr für Dis-
kussionen. Dies war 2007 der Fall, als die im Wahlkreis Unterland ge-
wählte stellvertretende Abgeordnete Ursula Oehry ihren Wohnsitz in
den Wahlkreis Oberland verlegte. Aufgrund der ausgelösten Debatten
legte sie ihr Mandat «freiwillig» nieder. Als Folge wurde Art. 63 Abs. 1
VRG neu geregelt: Ein Abgeordneter verliert sein Mandat, falls er seinen
66
Landtagswahlen
31 Liechtensteinische Volkszählung 1950, S. 5; Statistisches Jahrbuch Liechtensteins
2010, S. 51. Bei der Wohnbevölkerung von 1950 wurden nur Liechtensteiner be-
rücksichtigt, die in Liechtenstein geboren wurden.
32 Statistisches Jahrbuch Liechtensteins 2010, S. 51.
33 Die Ergebnisse der Landtagswahlen sind unter <www.landtagswahlen.li> ersicht-
lich. Folgende Abgeordnete erhielten prozentual am meisten Stimmen von ihrer je-
weiligen Heimatgemeinde: Amann-Marxer Marlies, Brunhart Arthur, Büchel Ge-
rold, Kaiser Johannes, Kranz Günther, Kranz Werner und Lampert Wendelin.
34 Waschkuhn, 1994, S. 312.
35 Koja, S. 168.
ordentlichen Wohnsitz (Art. 32 ff. PGR) während der Mandatsperiode
in einen anderen Wahlkreis verlegt (VRG Art. 63 Abs. 1). Dies ist hin-
sichtlich der erwähnten Grundprinzipien der Verfassung nicht unbe-
denklich.36
Aus diesen Gründen könnte über einen Verzicht der Einteilung in
zwei Wahlkreise nachgedacht werden. Dieser Meinung sind jeweils auch
die Befragten Batliner, Beck und Frick.37 Damit hätte im ganzen Land
jede Stimme die gleiche Stimmkraft, was bis anhin durch die Einteilung
in Wahlkreise verhindert wird. Durch Aufhebung der Einteilung in zwei
Wahlkreise müsste konsequenterweise auch Art. 79 LV aufgehoben wer-
den, der besagt, dass bei der Bestellung der Kollegialregierung darauf
Rücksicht zu nehmen ist, «dass auf jede der beiden Landschaften we-
nigstens zwei Mitglieder entfallen» (Art. 79 Abs. 5 LV). Dies würde auch
die Personalrekrutierung durch die Parteien erleichtern.
Allerdings finden sich auch Argumente für die Einteilung in zwei
Wahlkreise. Denn diese Institution wird seit 1878 gelebt (§ 55 Wahlmo-
67
Wahlkreise
36 Der Univ.-Prof. Dr. Peter Pernthaler erstellte ein Gutachten zu dieser Problematik
und stellte fest, dass der ordentliche Wohnsitz im Wahlkreis weder eine Vorausset-
zung für die Wählbarkeit noch für die Aufnahme in den Wahlvorschlag bzw. in die
Wahlliste darstelle. Der Wohnsitzwechsel eines Abgeordneten von einem Wahlkreis
in den anderen Wahlkreis sei kein gesetzlicher Mandatsverlust oder Rücktrittstatbe-
stand. Weiter sei die Funktion der Wahlkreise auf das Wahlverfahren beschränkt
und habe darüber hinaus keine Bedeutung (zitiert in LTP 2007, S. 334). Daraufhin
bemängelten einige Abgeordnete das Gutachten und argumentierten, dass Perntha-
lers Auslegung des Volksrechtegesetzes der verfassungsmässigen Repräsentation der
Wahlbezirke im Landtag (Art. 46 der Verfassung) widerspreche. Darüber hinaus
stellten sie das Gutachten dahingehend in Frage, als es «die liechtensteinische Ver-
fassungsgeschichte und Verfassungswirklichkeit völlig ausser Acht» (Markus Bü-
chel, LTP 2007, S. 334) lasse. Aus diesem Grund erarbeiteten die Abgeordneten
Alois Beck, Josy Biedermann, Markus Büchel, Doris Frommelt, Johannes Kaiser,
Elmar Kindle, Peter Lampert, Klaus Wanger und Renate Wohlwend eine Initiative
zur Abänderung des VRG. Dazu erstellte Univ.-Prof. Dr. Peter Pernthaler im Sinne
einer Stellungnahme wiederum ein Gutachten und betonte, dass entgegen der Mei-
nung der Initianten seine Gutachten auf den Grundprinzipien der Verfassung beru-
hen und eine Regelung wie es die Initianten vorschlagen, verfassungswidrig und da-
mit vor dem Staatsgerichtshof bekämpfbar sei. Er führte in seinem zweiten Gutach-
ten aus: «Dagegen halte ich die vorgeschlagene Regelung des Mandatsverlustes
wegen Verlegung des Wohnsitzes für verfassungs- und menschenrechtswidrig und
mit dem Grundprinzip der parlamentarischen Vertretung des Gesamtvolkes Liech-
tensteins durch die Abgeordneten des Landtags für unvereinbar» (zitiert in LTP
2007, S. 379). Dennoch wurde die Initiative angenommen (LTP 2008, S. 347ff).
37 Befragung Batliner, Beck, Frick.
dus-AbänderungsG)38 und ist daher eine über ein Jahrhundert alte Tra-
dition. Zudem besteht gemäss Marxer durch die Auflösung der Wahl-
kreise die Gefahr der Disproportionalität bzw. die Hegemonie des
Oberlandes.39 Diese Ansicht teilt auch Koja, der die Einführung von
kleineren Wahlkreisen – und damit die Einteilung in Wahlkreise über-
haupt – als notwendig erachtet, «um einer zu grossen Distanz zwischen
Wählern und Abgeordneten, um der Parteienzersplitterung sowie um
den Schwierigkeiten der Regierungsbildung entgegenzuwirken».40 Letz-
tere Gefahr besteht insofern nur bedingt, da im Unterland auch nach
Auflösung der zwei Wahlkreise 35 Prozent der Wahlberechtigten leben
und damit das Verhältnis von 3:2 – entsprechend den beiden Wahlkrei-
sen – annähernd faktisch bestehen bleibt.41
Zusammenfassend lassen sich viele Argumente für eine Auflösung
der Teilung in zwei Wahlkreise anführen. Dadurch könnte der Wähler –
losgelöst von seinem Wohnort – die seiner Ansicht nach fähigsten Kan-
didaten landesweit wählen. Allerdings muss ergänzt werden, dass derzeit
für die Auflösung der zwei Wahlkreise faktisch kein Wille besteht.
4. Sperrklausel
Unter Sperrklauseln «versteht man jene Bestimmungen, die solche Par-
teien bei der Zuteilung von Stimmen ausschliessen, die nicht einen be-
stimmten Prozentsatz der gesamten Zahl der abgegebenen Stimmen er-
reichen».42
In Liechtenstein liegt die Sperrklausel bei 8 Prozent (Art. 46 Abs. 3
LV). Gemäss Nohlen dient diese Sperrklausel «der Verfestigung des be-
stehenden»43 Parteiensystems, da sie für kleine Wählergruppen eine
hohe Hürde darstellt und damit eine starke Parteienzersplitterung aus-
68
Landtagswahlen
38 Gesetz vom 19.02.1878 über Abänderung des Landtags-Wahlmodus (Wahlmodus-
AbänderungsG).
39 Befragung Marxer.
40 Koja, S. 170.
41 Bei den Landtagswahlen 2009 durften im Unterland 6388 und im Oberland 12 105
Personen wählen (<www.landtagswahlen.li>, 03.08.2010).
42 Ermacora, S. 469.
43 Nohlen, Wahlrecht 1989, S. 77.
schliesst.44 Gleichzeitig bedeutet eine landesweite Sperrklausel, dass die
Wählergruppen faktisch eine landesweite Präsenz zeigen müssen – ob-
wohl eine solche keine rechtliche Voraussetzung für die Teilnahme an
Landtagswahlen ist – um ihre Chancen bei Landtagswahlen zu erhalten.
Zudem birgt sie die Gefahr, dass kleine Wählergruppen «nur bei einiger-
massen realistischen Chancen oder aber aufgrund unverrückbarer ideo-
logischer Überzeugungen»45 gewählt werden, da der Wähler damit ris-
kiert, dass seine Stimme verloren geht, falls diese Wählergruppe 8 Pro-
zent der Wählerstimmen nicht erreicht. Damit nimmt die Sperrklausel
Einfluss auf das Wahlverhalten und hat gemäss Nohlen zur Folge, dass
«die Wählerzuwendung im Hinblick auf die kleineren Wählergruppen
bzw. Parteien chronisch knapp»46 ist.
Es stellt sich nun die Frage, ob diese Auswirkungen der Sperrklau-
sel speziell in Liechtenstein zu beobachten sind, oder aber, ob im inter-
nationalen Vergleich eine Achtprozent-Sperrklausel tatsächlich sehr
hoch ist und dies der Grund dafür ist.
Bei den Nationalratswahlen in Österreich beträgt die Sperrklausel
4 Prozent (ö-NRWO).47 Deutschland hat bei Bundestagswahlen eine
Fünfprozent-Klausel (§ 6 Abs. 6 BWahlG).48
Generell scheint in diesem Vegleich eine Achtprozent-Klausel tat-
sächlich ungewöhnlich hoch. Verstärkt wird dies durch die eher homo-
gene Struktur Liechtensteins sowie die geringe Mandatszahl von 25 Ab-
geordneten.49 Es bestehen zwei Möglichkeiten, die negativen Auswir-
kungen der Achtprozent-Klausel auszuschliessen: Abschaffung oder
Reduktion der Prozentziffer.
Für eine generelle Abschaffung von Sperrklauseln (Grundmandat
und Prozentklausel) setzt sich Meyer in Deutschland ein. Für ihn stellt
die Fünfprozent-Klausel den gravierendsten Eingriff in das Verfassungs-
69
Sperrklausel
44 Koja, S. 170.
45 Waschkuhn, 1994, S. 312.
46 Nohlen, Wahlrecht, S. 137 f., Waschkuhn, 1994, S. 312 f .
47 Österreichisches Bundesgesetz über die Wahl des Nationalrates (Nationalrats-
Wahlordnung 1992 – NRWO), BGBl. Nr. 471/1992.
48 Deutsches Bundeswahlgesetz (BWahlG) in der Fassung der Bekanntmachung vom
23.07.1993 (BGBl. I S. 1288, 1594), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom
25.11.2011 (BGBl. I S. 2313) geändert worden ist.
49 Waschkuhn, 1994, S. 312.
recht auf gleiche Wahl dar.50 Seiner Meinung nach sollten die Sperrklau-
seln gestrichen werden, da damit keine Wählerstimmen mehr verloren
gingen.51 Allerdings kann eine Abschaffung dazu führen, dass eine Wäh-
lergruppe, die in einem Wahlkreis das Grundmandat zwar nicht erreicht,
dennoch in den Landtag einziehen kann, wenn die Gesamtzahl der in
Liechtenstein für sie abgegebenen Stimmen für ein Mandat ausreicht.52
Dadurch können Splitterparteien ins Parlament gelangen, was deren
Funktionsfähigkeit gemäss Meyer gefährden könnte. Doch seines Er-
achtens ist dies keine ausreichende Legitimation der Sperrklausel.53
Auch in Liechtenstein ist eine Streichung der Achtprozent-Klausel
überlegenswert. Ebenso überlegenswert ist die Reduktion der Prozent-
ziffer. Dabei muss für die Bestimmung einer tieferen Sperrklausel fol-
gendes bedacht werden: Für ein Grundmandat bedarf es im Wahlkreis
Oberland 6,25 Prozent und im Wahlkreis Unterland 9,1 Prozent der
dort abgegebenen Listenstimmen.54 Dies hatte zur Folge, dass für die Er-
reichung eines Grundmandates im Wahlkreis Oberland weniger Stim-
men als für die Erreichung der Achtprozent-Sperrklausel vonnöten war.
Aus diesem Grund – und im internationalen Vergleich – scheint eine
Sperrklausel von 4 Prozent opportun.
Eine Sperrklausel von 4 Prozent könnte eine gerechte Verteilung
der Parlamentssitze nach dem Wahlergebnis und, falls dadurch neue
Wählergruppen gegründet würden, einen Zwang zum Kompromiss
durch eine starke parlamentarische Minderheit bedeuten.55 Denn bis an-
hin führt die Achtprozent-Sperrklausel jeweils zu einer Identität von
Landtags- und Regierungsmehrheit.
Die Befürchtung, dass etwa das Parlament durch neue Wähler-
gruppen in viele kleine Gruppierungen zersplittert wird, was für die Bil-
dung stabiler und entscheidungskräftiger Regierungen nicht günstig
70
Landtagswahlen
50 Meyer, S. 284.
51 Meyer, S. 288.
52 Koja, S. 170.
53 Meyer, S. 287.
54 Im Oberland entsprach ein Grundmandat 9139.7 Stimmen, im Unterland 4887.7
Stimmen. Insgesamt wurden 200 005 (Oberland 146 235, Unterland 53 770) gültige
Stimmen gezählt. Im Unterland entspricht ein Grundmandat lediglich 2,4 Prozent
der landesweit abgegebenen Stimmen.
55 Koja, S. 170.
ist,56 besitzt m. E. für Liechtenstein mit seiner sehr homogenen Gesell-
schaft und seiner Parteienlandschaft kaum Gültigkeit, zumal dieser Pro-
blematik durch die Sperrklausel – auch in der Höhe von 4 Prozent – und
die Kombination von Listen- und Persönlichkeitswahl entgegengewirkt
werden kann.57
5. Wahlrecht
Das Wahlrecht im engeren Sinn bedeutet das Recht zu wählen (aktives
Wahlrecht) und gewählt zu werden (passives Wahlrecht).58 Aktiv und
passiv wahlberechtigt sind alle Landesangehörigen, «die das 18. Lebens-
jahr vollendet und seit einem Monat vor der Wahl oder Ab stim mung
im Lande ihren ordentlichen Wohnsitz (Art. 32 ff. PGR)59 haben» (Art. 1
VRG).
Personen, die sich im Ausland zum Besuch einer Lehranstalt oder
zu zeitweiliger Arbeit wie Saisonarbeit aufhalten oder vorübergehend in
einer ausländischen Heilanstalt untergebracht sind, behalten gemäss Art.
1 Abs. 2 VRG solange ihr Stimmrecht, wie sie die übrigen Vorausset-
zungen erfüllen und nicht vom Stimmrecht ausgeschlossen sind. Dem-
nach ist die aktive und passive Wahlberechtigung demjenigen entzogen,
der kraft Gesetzes oder rechtskräftiger gerichtlicher Verurteilung im
Stimmrecht eingestellt ist, der unter Vormundschaft steht (ausgenom-
men die Bevormundung auf eigenes Begehren), der während einer Wahl
oder Abstimmung wegen eines Verbrechens oder eines Vergehens eine
Freiheitsstrafe verbüsst oder der durch behördliche Verfügung in eine
Verwahrungs-, Versorgungs- oder Arbeitserziehungsanstalt eingewiesen
ist (solange diese Einweisung andauert) (Art. 1 Abs. 2 VRG).
Die Wahlberechtigten haben nicht nur ein Wahlrecht, sondern auch
eine Pflicht zur Teilnahme an den Landtagswahlen. Dies ergibt sich aus
71
Wahlrecht
56 Koja, S. 168 ff.
57 Koja, S. 170.
58 Nohlen, Wahlrecht, S. 1098.
59 Personen- und Gesellschaftsrecht (PGR) vom 20.01.1926, LGBl 1926, Nr. 4. Ge-
mäss Art. 32 befindet sich der Wohnsitz einer Person an dem Orte, wo sie sich mit
der Absicht dauernden Verbleibens aufhält. Es kann niemand an mehreren Orten
zugleich seinen Wohnsitz haben.
der Stellung des Volkes als ein Staatsorgan.60 Allerdings ist heute der Ver-
stoss gegen diese Pflicht sanktionslos (Art. 3 VRG).61
6. Verfahren vor der Wahl und Wahlvorgang
Wählergruppen nehmen bei den Landtagswahlen eine zentrale Rolle ein.
Sie erarbeiten die Wahlvorschläge, anhand derer sie ihre Kandidaten be-
zeichnen, damit diese bei der Wahl vom Volk gewählt werden können
(Art. 36 ff. VRG). Die Wahlvorschläge werden von der Regierung ge-
prüft. Sind diese korrekt und entsprechen sie den gesetzlichen Erforder-
nissen62, dann werden sie zu Wahllisten (Art. 47 VRG). Diese wiederum
werden von der Regierung in den amtlichen Kundmachungsorganen
veröffentlicht, damit sich die Stimmberechtigten über die Landtagskan-
didaten informieren können. Dieselben Wahllisten werden später dem
Volk zur Wahl vorgelegt (Art. 48 VRG).
Die Regierung ist für die Durchführung der Landtagswahlen zu-
ständig. Sie erlässt die zur ordnungsgemässen Durchführung nötigen
Vorschriften mit Verordnung (Art. 91 VRG) und ordnet die Wahlen an.
Da die Landtagswahlen jeweils im Februar oder März stattfinden müs-
sen (Art. 47 Abs. 1 LV), bestimmt die Regierung den genauen Tag und
die Zeit (Art. 25 LV).
Die Stimmabgabe erfolgt in der Wohnsitzgemeinde persönlich an
der Urne oder durch briefliche Stimmabgabe (Art. 5 VRG). Bei Ersterer
werden zwei Tage festgesetzt, an welchen der Wähler die Möglichkeit
hat, seine Stimme persönlich abzugeben (Art. 7 VRG). Der Stimmbe-
rechtigte hat an einem solchen Tag zu vorgegebener Zeit nach Betreten
des Wahllokals der Wahlkommission seine Stimmkarte zur Registrie-
rung abzugeben und danach den im Stimmkuvert eingelegten amtlichen
Stimmzettel in die Urne zu legen (Art. 49 VRG).
72
Landtagswahlen
60 Koja, S. 91.
61 Art. 3 VRG: «Die Teilnahme an der Wahl ist Bürgerpflicht.» Aufgrund Art. 8 der
Landtagswahlordnung vom 27.12.1921 (LGBl 1922/2) wurde ungerechtfertigtes
Fernbleiben von den Wahlen mit einer Geldstrafe von CHF 5 bis 10 bedroht, was
schliesslich durch LGBl 2004, Nr. 235 aufgehoben wurde.
62 Genaueres, wie Frist und Form, sind den Art. 36 bis 47 VRG zu entnehmen.
Dagegen kann der Stimmberechtigte durch die briefliche Stimmab-
gabe seine Stimme von jedem Ort im In- oder Ausland brieflich abgeben
(Art. 8 Abs. 2 VRG). Rechtzeitig ist die briefliche Stimmabgabe dann,
wenn das Zustellkuvert spätestens bis zur Öffnung der Wahl- und Ab-
stimmungslokale am ersten Wahl- bzw. Abstimmungstag bei der Ge-
meinde eintrifft (Art. 8 Abs. 4). Dort prüft die Wahl- oder Abstim-
mungskommission die Gültigkeit der brieflichen Stimmabgabe. Damit
sie formell gültig ist, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein (Art. 8a
Abs. 3 VRG).63
Erstmalig bei Landtagswahlen kam die allgemeine briefliche
Stimmabgabe 2005 zur Anwendung. Auf Anhieb nutzten nahezu
50 Prozent der Wähler dieses vereinfachte Verfahren, um an den Wahlen
teilzunehmen.64 Bei den Landtagswahlen 2009 waren es bereits 80 Pro-
zent.65 Es ist unbestritten, dass die briefliche Stimmabgabe bei den Wäh-
lern sehr beliebt ist. Ob die Briefwahl aber noch weiter zulegen kann,
oder ob die restlichen Prozente solche Wähler sind, die aus Prinzip und
Tradition ihre Stimme persönlich abgeben wollen, wird sich weisen.
M. E. hat die Briefwahl aber dazu beigetragen, dass die allgemeine
Stimmbeteiligung mit über 80 Prozent weiterhin sehr hoch ist.66
Der nächste Schritt wäre die elektronische Stimmabgabe. Die Vo-
raussetzungen dafür wurden bereits durch Art. 8b VRG geschaffen.
Nun liegt es an der Regierung, von diesem Recht Gebrauch zu machen.
Damit der Wählerwillen berücksichtigt werden kann, muss die
Stimme gültig sein. Das VRG unterscheidet zwei Möglichkeiten ungül-
tiger Stimmabgaben: ungültige Stimmzettel und ungültige Kandidaten-
73
Verfahren vor der Wahl und Wahlvorgang
63 Es muss das amtlich vorgedruckte und eigens für die Wahl oder Abstimmung ge-
kennzeichnete Zustellkuvert für die briefliche Stimmabgabe verwendet werden und
verschlossen sein, der Stimmende muss im Stimmregister eingetragen sein, die
Stimmkarte muss beiliegen, wobei die auf der Stimmkarte vorgedruckte Erklärung
für die briefliche Stimmabgabe persönlich unterzeichnet sein muss und weiters muss
die Stimme rechtzeitig bei der Gemeinde eingehen (Art. 8 AbS. 4 VRG).
64 <www.landtagswahlen.li>, 19.05.2009. Genau waren es 7226 gültige briefliche
Stimmabgaben, während 7691 Wähler die Stimmkarten persönlich abgaben.
65 <www.landtagswahlen.li>, 19.05.2009. Hier waren es 12 391 gültige briefliche
Stimmabgaben zu 3059 persönlich abgegebenen Stimmkarten.
66 <www.landtagswahlen.li>, 09.06.2009. Bei den Landtagswahlen 2009 betrug die
Stimmbeteiligung 84,6 Prozent.
stimmen (Art. 51 Abs. 1 VRG). Ein Stimmzettel67 ist dann ungültig,
wenn über den Inhalt der Stimmabgabe begründete Zweifel bestehen
(Art. 51 Abs. 1 VRG).68
Dagegen sind Kandidatenstimmen ungültig, die auf eine Person fal-
len, die in keiner der eingereichten Wahllisten als Kandidat vorgeschla-
gen ist, oder die einen Kandidaten so ungenau bezeichnen, dass begrün-
dete Zweifel über die Person bestehen (Art. 53 VRG).
Hält sich der Stimmberechtigte an diese Bestimmungen, so hat er
die Möglichkeit, seinen Wählerwillen im Stimmzettel sehr differenziert
auszudrücken. Dazu erhält jeder Wähler für jede an den Wahlen teil -
nehmende Wählergruppe einen Stimmzettel mit den Namen der Kandi-
daten der jeweiligen Partei. Je nach Wahlkreis enthalten die Stimmzettel
15 bzw. 10 Parteistimmen derjenigen Partei, die im Kopf des Stimmzet-
tels genannt ist. Dabei erhält eine Partei durch die Wahl ihrer Kandida-
ten (Kandidatenstimmen) Parteistimmen: Der Entscheid für einen Kan-
didaten ist zugleich ein Entscheid für dessen Partei. Enthält ein Stimm-
zettel weniger gültige Kandidatenstimmen als im entsprechenden
Wahlkreis Landtagsabgeordnete zu wählen sind, dann gelten die fehlen-
den Kandidaten als Zusatzstimmen für diejenige Wählergruppe, deren
Stimmzettel verwendet wird. Indem in Liechtenstein das Verhältnis-
wahlrecht als Kandidatenproporz ausgestaltet ist, ändert die Streichung
von Kandidaten nichts am Abschneiden der Partei bei den Landtags-
wahlen: Die Parteistimmen bleiben gleich.69 Damit enthält jeder Stimm-
zettel im Unterland zehn und im Oberland 15 Parteistimmen, auch
wenn auf dem Stimmzettel weniger Landtagskandidaten aufscheinen.70
74
Landtagswahlen
67 Der Stimmzettel wird in Art. 48 VRG (LGBl 1973/50) erläutert: «Zur Vornahme
der Wahl dürfen nur amtliche Stimmzettel Verwendung finden. Diese tragen die Be-
zeichnung «Amtlicher Stimmzettel» und das grosse Staatswappen. Die Stimmzettel
haben die Kandidaten in der von den einzelnen Wählergruppen eingereichten Rei-
henfolge mit genügender Adressangabe zu enthalten. An den Kopf des Stimmzettels
ist der Name der betreffenden Wählergruppe zu setzen. Nicht amtlich vorgedruckte
Stimmzettel sind ungültig.»
68 Konkret ist der Stimmzettel dann ungültig, wenn dieser nicht amtlicher Natur ist,
wenn ihm nicht mit Sicherheit der Name irgendeines der vorgeschlagenen Kandida-
ten zu entnehmen ist, wenn er Bemerkungen beleidigender Art beinhaltet oder
wenn er «die Zeichen zum offenkundigen Zweck einer Kontrolle» (Art. 52 VRG)
enthält.
69 Waschkuhn, 1994, S. 311.
70 Waschkuhn, 1994, S. 310.
Wird aber ein Kandidat vom Stimmzettel gestrichen und durch ei-
nen Kandidaten einer anderen Partei ersetzt, dann gewinnt der neu ein-
gesetzte Kandidat sowie dessen Partei (panaschieren) diese Stimme.71
Aufgrund all dieser Wahlmöglichkeiten kann der liechtensteinische
Wahlvorgang insgesamt als sehr wählerfreundlich beurteilt werden.
Das Wahlrecht ist allerdings auch ein «Bestrafungswahlrecht», da
es dem Wähler nur die Streichung von Kandidaten eröffnet, nicht aber
ein Kumulieren: «Der Kandidat allein kann nicht isoliert (ohne Partei-
stimme im Rucksack) präferiert werden.»72 Zudem kann der Wähler,
falls ihm lediglich ein Kandidat zusagt, diesen nur mit einer Stimme un-
terstützen, auch wenn er alle anderen Kandidaten streicht. Es wäre in
solch gelagerten Fällen von Vorteil, wenn der Wähler die durch die Strei-
chung «frei gewordenen Stimmen» frei kumulieren könnte. Damit be-
käme das Wahlrecht einen positiven und «belohnenden» Charakter.
In der Schweiz ist bei den Nationalratswahlen das Kumulieren in
allen Kantonen, welche mehr als einen Sitz zu vergeben haben und da-
her nach dem Proporzsystem wählen, möglich. Nicht gültig ist jedoch
das Kumulieren, welches über die einmalige Wiederholung des gleichen
Kandidaten hinausgeht (Art. 35 Abs. 3, Art. 38 Abs. 2, 3 CH-BPR)73.
M. E. ist eine solche Wahlmöglichkeit sachdienlich und sollte dem Wäh-
ler in Liechtenstein zur Verfügung stehen.
Nach Schliessung der Wahllokale ermittelt die Wahlkommission
aus den gültigen Stimmen das Ergebnis und erstellt ein Protokoll, wel-
ches Auskunft über die Kandidaten- und die Zusatzstimmen gibt
(Art. 34 VRG). Dieses Protokoll wird sodann von der Hauptwahlkom-
mission jedes Wahlkreises überprüft, worauf die Zuteilung der Mandate
durch die Regierung erfolgt (Art. 54 VRG).
Als Abschluss der Landtagswahlen veröffentlicht die Regierung die
Wahlergebnisse in den amtlichen Kundmachungsorganen (Art. 62 LV).
75
Verfahren vor der Wahl und Wahlvorgang
71 Waschkuhn, 1994, S. 311 f. Panaschieren bedeutet mischen. Auf einer Liste werden
Namen gestrichen und an deren Stelle handschriftlich Kandidierende anderer Listen
desselben Wahlkreises gesetzt. Beim Panaschieren verliert die Partei, deren Liste be-
nutzt wurde, Stimmen an die anderen Parteien, deren Vertreter auf die Liste gesetzt
wurden (Nohlen, Panaschieren, S. 618).
72 Waschkuhn, 1994, S. 312.
73 Schweizerisches Bundesgesetz über die politischen Rechte (CH-BPR), SR 161.1.
Allfällige Wahlbeschwerden sind bei der Regierung einzubringen.74 Die
Entscheidung darüber obliegt dem Staatsgerichtshof (Art. 64 LV).
7. Landtagswahlen – Direktwahl Regierung
In Liechtenstein werden der Regierungschef und die Regierungsräte
vom Landesfürsten einvernehmlich mit dem Landtag auf dessen Vor-
schlag ernannt (Art. 79 Abs. 2 LV). Verliert die Regierung das Vertrauen
des Landesfürsten oder des Landtags, dann erlischt ihre Befugnis zur
Ausübung ihres Amtes (Art. 80 LV). Gemäss Marxer verfügt Liechten-
stein damit über den Systemtypus des Semi-Präsidentialismus.75
Indem der Landtag die Regierung dem Landesfürsten vorschlägt,
ist der Wahlausgang einer Wählergruppe bei Landtagswahlen entschei-
dend für die Regierungsbildung. Die Vergangenheit hat aufgezeigt, dass
im Falle einer Koalition (die Freie Liste konnte noch nie einen Regie-
rungssitz einnehmen) die stärkste Partei den Regierungschef sowie zwei
Regierungsräte und die zweitstärkste Partei den Vize-Regierungschef
und einen weiteren Regierungsrat stellt. Dessen ist sich der Wähler zum
Zeitpunkt der Landtagswahl bewusst, weshalb die Wählergruppen im
Wahlkampf das jeweilige Regierungsteam in den Vordergrund stellen.
Die Kandidatenliste der zu wählenden Landtagsabgeordneten erscheint
daher eher sekundär.76 Waschkuhn zieht daraus folgende Schlussfolge-
rung: «Im Grunde geht es, etwas überspitzt formuliert, bei den Land-
tagswahlen um den Regierungschef, der des Weiteren überhaupt nicht
als Abgeordneter kandidiert, also nicht ‹wählbar› ist.»77
Marxer stützt diese Ansicht, indem er anhand von Nachwahlbefra-
gungen zu Landtagswahlen aufzeigt, welche Gründe für die Wähler nach
76
Landtagswahlen
74 Nach Art. 64 VRG (LGBl 1973/50) ist die Wahl eines Abgeordneten oder Ersatz-
abgeordneten nichtig, wenn dem Gewählten die gesetzlichen Eigenschaften abge-
hen. Weiters ist die Wahl dann nichtig, wenn im Wahlvorbereitungsverfahren, beim
Wahlvorgang oder bei der Ermittlung des Wahlergebnisses zwingende Gesetzesvor-
schriften nicht eingehalten wurden, gesetzeswidrige Einwirkungen, strafbare Um-
triebe oder grobe Unregelmässigkeiten stattgefunden haben, vorausgesetzt, dass
diese Tatbestände auf das Wahlergebnis einen erheblichen Einfluss gehabt haben
oder haben konnten.
75 Marxer, Direktwahl, S. 10.
76 Waschkuhn, 1994, S. 307.
77 Waschkuhn, 1994, S. 307.
eigener Auskunft massgeblich für die Wahl einer bestimmten Partei sind.
Dabei wurde als Hauptgrund «Tradition» genannt, dicht gefolgt von
«Regierungskandidaten».78 Somit kann gesagt werden, dass die Wähler
bei Landtagswahlen statt den Landtagsabgeordneten die Regierungsräte
bestimmen wollen. Dies belegt auch eine Nachwahlbefragung, welche
Marxer im Rahmen eines Vortrages mit dem Titel «Parteien und Land-
tagswahlen 2009» am 17. März 2009 präsentierte. Dabei kam er zu fol-
gendem Schluss: «60 Prozent der liechtensteinischen Wähler hätten
Klaus Tschütscher auch in einer Direktwahl zum Regierungschef ge-
macht, wäre es möglich gewesen. Und für gar 97 Prozent der Wechsel-
wähler war Klaus Tschütscher das stärkste Motiv, ihrer Stammpartei un-
treu zu werden.»79 Vom Liechtensteiner Volksblatt wurde Marxer fol-
gendermassen zitiert: Auffällig bei der Fortschrittlichen Bürgerpartei
«ist auch, dass, obwohl es sich um Landtagswahlen handelte, das Land-
tagsteam und das Programm, auf die Frage nach dem Hauptwahlmotiv
eine vergleichsweise sehr geringe Rolle spielte. Ähnlich antworteten die
Wähler der Vaterländische Union, bei denen das Landtagsteam als
Hauptwahlmotiv eine aber noch geringere Rolle spielte».80
Damit ist die Landtagswahl faktisch eine Regierungswahl, was
dazu führt, dass Landtagskandidaten im Sog der Regierungskandidaten
gewählt werden, ohne dass dies von den Wählern (primär) beabsichtigt
ist. Da dies aber der Institution Landtag nicht dienlich ist, sollte eine Di-
rektwahl der Regierung überlegt werden.
Marxer hat diese Thematik genau analysiert. An dieser Stelle wer-
den kurz seine Anmerkungen zusammengefasst, während für eine tiefere
Befassung mit dieser Thematik empfohlen wird, seine Publikation zu
lesen.81
Marxer stellte fest, dass für gewöhnlich von einer Direktwahl der
Regierung ein grösserer Einfluss der Wählerschaft auf die Regierungs-
bildung und deren Politik erwartet wird, «somit also auch eine unmit-
telbare Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der Wählerschaft,
ein stärkeres Eingehen auf die Wünsche und Forderungen der Wähler-
77
Landtagswahlen – Direktwahl Regierung
78 Marxer, Wahlverhalten, S. 164 f.
79 Liechtensteiner Vaterland, 18.03.2009, S. 3.
80 Liechtensteiner Volksblatt, 18.03.2009, Titelblatt.
81 Marxer, Wilfried, Notizen zu einer Direktwahl der Regierung in Liechtenstein, Ar-
beitspapiere Liechtenstein-Institut Nr. 27, Bendern 2010.
schaft, somit also letztlich eine bessere Performanz im Sinne und Inte-
resse der Wählerschaft».82 M. E. ist dies dadurch zu ergänzen, dass durch
eine Direktwahl der Regierung die Landtagsmehrheit stellende Partei
nicht zwingend auch die Mehrheit in der Regierung innehätte. Dadurch
scheitert die unabhängige Stellung des Landtags gegenüber der Regie-
rung nicht per se und ex ante. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen
Identität von Landtags- und Regierungsmehrheit wäre durch eine Di-
rektwahl der Regierung eingedämmt.83
Marxer zieht zu dieser Thematik folgende Schlussfolgerungen:
«Eine Direktwahl der liechtensteinischen Regierung durch das
Volk würde eine bedeutende Systemveränderung bewirken. Die
bisher massgeblich parlamentarisch geprägte Regierungsbestellung
unter Mitwirkung des Fürsten würde durch ein Wahlverfahren ab-
gelöst, welches präsidentiellen Regierungssystemen eigen ist. Präsi-
dentielle Regierungssysteme signalisieren in der Regel eine mit
mehr Machtfülle ausgestattetet Exekutive als die parlamentarischen
Systeme. In Liechtenstein würde dies bedeuten, dass die bereits
heute dominierende Gestaltungskraft der Regierung weiter zuneh-
men würde. Da das liechtensteinische politische System noch wei-
tere Komponenten kennt, namentlich Fürst und Fürstenhaus, di-
rektdemokratische Volksrechte sowie eine Verfassungsgerichtsbar-
keit, müsste genau bestimmt werden, inwiefern diese Organe ihre
bestehenden Kompetenzen beibehalten, verlieren oder ausdehnen
würden, wobei insbesondere das jeweilige Verhältnis zur Regie-
rung zu klären wäre. Erst wenn alle Kompetenzen und Verfahrens-
wege detailliert geklärt sind, können Machtverschiebungen bei ei-
ner solch grundlegenden Systemveränderung verbindlicher einge-
schätzt werden.»84
Wie von Marxer angesprochen, sind Wahlsysteme «Ausdruck politischer
Machtverhältnisse».85 Die Diskussionen um die Verfassungsrevision
78
Landtagswahlen
82 Marxer, Direktwahl, S. 1.
83 Könnten sich die Abgeordneten von ihrer Parteidisziplin lösen, dann wäre auch da-
durch die unabhängige Stellung des Landtags gegenüber der Regierung erreicht.
Eine Durchbrechung der hegemonialen Stellung der Volksparteien könnte ihres
dazu beitragen.
84 Marxer, Direktwahl, S. 23.
85 Nohlen, Wahlrecht 1989, S. 245.
2003 haben denn auch aufgezeigt, dass dem Landesfürsten das Recht, die
Regierung zu ernennen und zu entlassen, ausserordentlich wichtig ist
und er es keinesfalls freiwillig abgeben wird.86 Deshalb kann es betref-
fend die Direktwahl der Regierung zu einer ähnlichen Situation wie 2003
kommen, als der Fürst drohte, bei Nichtannahme seines Verfassungs-
vorschlages das Land zu verlassen.87 Würde nun das Volk zwischen
Fürst oder Direktwahl der Regierung entscheiden müssen, dann würde
die Direktwahl der Regierung schwerlich obsiegen.88
79
Landtagswahlen – Direktwahl Regierung
86 Verfassungsvorschlag des Fürstenhauses, S. 29 f. Im Buch «Der Staat im dritten
Jahrtausend» von Fürst Hans-Adam II. von Liechtenstein wird wiederum das Recht
des Fürsten betont, die Regierung absetzen und eine Übergangsregierung bestellen
zu können (S. 215).
87 In der Ansprache zum Staatsfeiertag am 15.08.2002 tätigte Fürst Hans-Adam II. fol-
gende Aussage: «Selbstverständlich werden wir im Fürstenhaus eine negative Ent-
scheidung respektieren, uns aus dem Land zurückziehen und wieder anderen Auf-
gaben widmen. Es wird dann Aufgabe jener Persönlichkeiten und Gruppen sein,
welche die bestehende Staatsform und den Verfassungsvorschlag ablehnen, dem
Volk für dieses Land einen neuen Weg aufzuzeigen.» Die Ansprache war auch auf
den Titelseiten von Liechtensteiner Vaterland und Liechtensteiner Volksblatt aus-
zugsweise zu lesen.
88 Befragung Wolff.
C. Das politische System Liechtensteins
Im Folgenden wird das politische System Liechtensteins dargestellt, um
die Stellung des Landtags innerhalb des Staates zu veranschaulichen. Da-
bei wird zuerst die Gewaltenteilung behandelt, um dann die einzelnen
Aspekte der Formel «konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratischer
und parlamentarischer Grundlage» zu erläutern.
1. Gewaltenteilung – Gewaltenverschränkung
Die Verfassung Liechtensteins beruht neben den vier Grundprinzi-
pien Monarchie, Demokratie, Rechtsstaat und Gemeindeautonomie
auch auf dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 2 und Art. 7 der
Verfassung).89
Die Gewaltenteilung gliedert die Funktionen in Legislative, Exe-
kutive und Judikative. Damit wird das Recht von bestimmten Organen
erlassen, von anderen vollzogen und wieder andere judizieren im Streit-
fall. Der Gesetzgeber trifft die Zuordnung einer Materie in die Kompe-
tenz der Verwaltung oder der Gerichtsbarkeit. Diese Zuordnung ist vor-
behaltlich der Verfassungskontrolle verbindlich.90 Die Dreiteilung der
Gewalten, oder besser der Staatsfunktionen, verringert die Wahrschein-
80
89 Art. 7 LV, Abs. 1: «Der Landesfürst ist das Oberhaupt des Staates und übt sein Recht
an der Staatsgewalt in Gemässheit der Bestimmungen dieser Verfassung und der üb-
rigen Gesetze aus.» Art. 7 LV, Abs. 2: «Die Person des Landesfürsten untersteht
nicht der Gerichtsbarkeit und ist rechtlich nicht verantwortlich. Dasselbe gilt für je-
nes Mitglied des Fürstenhauses, welches gemäss Art. 13bis für den Fürsten die
Funktion des Staatsoberhauptes ausübt.»
90 Stotter, S. 73.
lichkeit des Machtmissbrauchs, da die Möglichkeit dazu um so geringer
ist, je geringer die Kompetenzen eines Organs sind. Auch die korrum-
pierende Wirkung ist kleiner, wenn weniger Macht in einer Hand kon-
zentriert ist.91
Allerdings müssen für die Ausübung einer Funktion oft zwei oder
mehrere Organe zusammenwirken, oder es sind gegenseitige Kontrollen
vorgesehen. Deshalb hat die Gewaltenteilung neben einer Unterschei-
dung der einzelnen Staatsgewalten auch zu Zuständigkeitsüberschnei-
dungen, besser gesagt zu gegenseitigen Mitwirkungs- und Kontrollrech-
ten geführt. Für Waschkuhn handelt es sich dabei um «ein Netz von Ver-
bindungen, Mitwirkungs-, Widerspruchs- und Kontrollbefugnissen».92
Derartige Überschneidungen sind «nicht als Durchbrechungen des Prin-
zips Gewaltentrennung, sondern als dessen Bestandteil zu sehen, weil
Mässigung und Kontrolle der Macht oberstes Ziel ist, dem sowohl die
Teilung der Staatsfunktionen als auch deren partielle Zusammenführung
zum Zwecke gegenseitiger Hemmung dienen».93
Zusammengefasst kann Gewaltentrennung «nicht ein beziehungs-
loses Nebeneinander von Staatsfunktionen sein, sondern ist lediglich als
funktionelle Scheidung bestimmter Aufgaben in einem einheitlichen und
geschlossenen Verfassungssystem zu sehen».94 Im amerikanischen Re-
gierungssystem wird diese Art der Gewaltenverschränkung und damit
gegenseitiger Kontrollen und Ausbalancierungen (Hemmnisse und Ge-
gengewichte) von Legislative und Exekutive als «checks and balances»
bezeichnet.95 Ein solches System von «checks and balances» setzt «bei
allen Beteiligten zumindest die Bereitschaft zur Kooperation auf der
gemeinsamen Plattform des bestehenden demokratischen Systems vo-
raus».96
81
Gewaltenteilung – Gewaltenverschränkung
91 Koja, S. 139.
92 Waschkuhn, 1993, S. 272.
93 Koja, S. 141.
94 Kelsen, S. 229.
95 Dieses System geht auf Montesquieu zurück und wurde von den Federalists bei der
US-amerikanischen Verfassungsinterpretation weiterentwickelt (Schüttemeyer,
Checks, S. 107). Siehe dazu auch Allgäuer, S. 104.
96 Löschnak, S. 559.
2. Konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratischer
und parlamentarischer Grundlage
Art. 2 der Verfassung bestimmt:
«Das Fürstentum ist eine konstitutionelle Erbmonarchie auf de-
mokratischer und parlamentarischer Grundlage (Art. 79 und 80);
die Staatsgewalt ist im Fürsten und im Volke verankert und wird
von beiden nach Massgabe der Bestimmungen dieser Verfassung
ausgeübt.»
Im Folgenden werden die einzelnen Begriffe des Art. 2 LV überblicks-
mässig dargestellt. «Konstitutionelle Erbmonarchie» bedeutet, dass der
Fürst nicht vom Volk gewählt, sondern durch die Hausgesetze des Fürs-
tenhauses bestimmt wird und als Staatsoberhaupt an die Verfassung ge-
bunden ist (Art. 2, 3, 7 LV).97 Die erbliche Thronfolge und die Amtszeit
auf Lebenszeit verleihen dem Landesfürsten zusätzliche Macht, da er
nicht von der Wählergunst und von einer Wiederwahl abhängig ist.98
Gemäss Wille sind «die Wesensmerkmale des Konstitutionalismus auf-
gegeben worden».99
«Parlamentarismus» bedeutet, dass die Bildung des massgeblichen
staatlichen Willens durch ein vom Volk aufgrund des allgemeinen und
gleichen Wahlrechts – also durch ein demokratisch gewähltes Kollegial-
organ – nach dem Mehrheitsprinzip gewähltes Gremium erfolgt.100 Ein
solches allgemeines und gleiches, aber auch geheimes und gleiches Wahl-
recht gewährleistet Art. 46 LV.
«Demokratie»101 bedeutet, dass das Volk an der Bildung des Staats-
willens und damit an der Erzeugung der Rechtsordnung beteiligt ist.
Hier gibt es die bekannten Spielarten der direkten (unmittelbaren, iden-
titären) und der indirekten (mittelbaren, repräsentativen) Demokratie.
Im Fall der direkten Demokratie hat das Volk selbst Anteil an der Ent-
wicklung der Rechtsordnung, vor allem der generellen Normen. Zu den-
82
Das politische System Liechtensteins
97 Koja, S. 102 f.
98 Marxer, Direktwahl, S. 11.
99 Wille, Kontroversfragen, S. 86.
100 Koja, S. 95.
101 Griech. demos = Volk, kratein = herrschen.
ken ist etwa an die Initiative und das Referendum. Im Fall der indirek-
ten Demokratie bestellt das Volk hingegen Vertreter, die an seiner Stelle
die Funktion der Normerzeugung ausüben.102 Direkte Demokratie liegt
vor, wenn den Bürgern unmittelbarer Einfluss auf die Bildung des staat-
lichen Willens eingeräumt wird. Dabei kann in der staatlichen Wirklich-
keit die unmittelbare Demokratie als Ergänzung zur mittelbaren (reprä-
sentativen) Demokratie auftreten,103 wie es auch für Liechtenstein gilt.
Mit den Worten von Marxer: «Unter dem Vorbehalt, dass den Volksab-
stimmungen teilweise der Makel der Unverbindlichkeit anhaftet, kann
festgestellt werden, dass Liechtenstein die Postulate der direkten Demo-
kratie weitgehend erfüllt.»104
83
Konstitutionelle Erbmonarchie
102 Koja, S. 81.
103 Koja, S. 83 f.
104 Marxer, direkte Demokratie, S. 19.
D. Direktdemokratische Elemente der Verfassung
1. Liechtenstein: Direkte Demokratie?
Bevor auf die einzelnen direktdemokratischen Elemente der Verfassung
und deren Auswirkungen auf die Landtagsarbeit eingegangen werden
kann, sind die Begriffe der direkten (identitären) und indirekten (reprä-
sentativen) Demokratie zu klären. Von unmittelbarer Demokratie wird
gesprochen, «wenn der ‹staatliche Wille› unmittelbar durch das Volk ge-
bildet wird, genauer: wenn die ‹Aktivbürger›, d. h. die Wahl- und
Stimmberechtigten, an der Erzeugung von Rechtsnormen, z. B. Gesetze,
teilhaben, im Idealfall diese Funktion allein ausüben».105 Eine repräsen-
tative Demokratie liegt vor, wenn die Staatswillensbildung im wesentli-
chen durch Vertreter erfolgt, von denen das Volk einige – wie etwa Par-
lamente – zu wählen hat, «während die übrigen Organe von diesen Par-
lamenten gewählt oder gar von ihren Vorgesetzten ernannt werden».106
Allerdings kann die direkte Demokratie nicht allein anhand der direkt-
demokratischen Beteiligung, also dem Partizipationsverhalten der Be-
völkerung, beurteilt werden. «Ebenso sehr sind die Qualtiät von Ent-
scheidungen, deren Effizienz und Effektivität sowie Rationalität zu be-
urteilen.»107
Die folgenden Ausführungen zu den Instrumenten der direkten
Demokratie bringen Schranken der direktdemokratischen Instrumente
zu Tage: Schranken durch die Verfassung, Schranken der zugelassenen
Abstimmungsmaterien und die Schranke des Vetorechts des Fürsten.
Gleichzeitig sind die direktdemokratischen Elemente teilweise unver-
bindlich. Dennoch erfüllt Liechtenstein gemäss Marxer/Pállinger die
84
105 Koja, S. 82.
106 Koja, S. 83.
107 Marxer, direkte Demokratie, S. 1.
Postulate der direkten Demokratie.108 Die direkte Demokratie ist in
Liechtenstein «eine flankierende Systemkomponente der Mischverfas-
sung in ihrer Kombination von repräsentativer Demokratie und Erbmo-
narchie».109
Im Vergleich mit der Schweiz kann zusammenfassend festgehalten
werden, dass Liechtenstein und die Schweiz «über ein gut ausgebautes
und sowohl inhaltlicher als auch konzeptioneller Hinsicht vergleichba-
res Set an direktdemokratischen Instrumenten verfügen».110 Mar xer/
Pállinger stellen als Unterschied fest, dass in der Schweiz die Volksab-
stimmungen zum politischen Standardrepertoire gehören, auf das die
Akteure routinemässig zurückgreifen. Dagegen gelangten die liechten-
steinischen Volksrechte nur im Ausnahmefall zur Anwendung. Diese er-
füllten viel stärker als in der Schweiz die Funktion einer Notbremse oder
eines Sicherheitsventils des Volkes gegenüber der politischen Elite.111
2. Instrumente der direkten Demokratie
2.1 Verfassungs- und Gesetzesinitiativen
Mittels Verfassungs- und Gesetzesinitiativen kann das Volk dem Land-
tag ausgearbeitete Entwürfe vorlegen, welche für den Landtag verbind-
lich sind (Art. 64 LV). Allerdings ist dieses Recht nicht auf Verfassungs-
bestimmungen bzw. Gesetze beschränkt, da das Initiativrecht gemäss
Schurti auch «als Defensivwaffe gegen verfassungswidrige Verordnun-
gen eingesetzt werden kann».112 Hoch unterstellt hingegen alle Verord-
nungen der Volksinitiative: «Eine Initiative kann jederzeit lanciert wer-
den. Selbst Verordnungen [. . .] können auf diese Weise zu Fall gebracht
werden.»113 Ausgeschlossen ist eine solche formulierte Initiative «bei den
individuell-konkreten Finanzbeschlüssen und wohl auch bei Erlassen,
welche zur Zollvertragsmaterie gehören».114
85
Instrumente der direkten Demokratie
108 Marxer/Pállinger, S. 33.
109 Marxer/Pállinger, S. 33.
110 Marxer/Pállinger, S. 51.
111 Marxer/Pállinger, S. 51.
112 Schurti, 1994, S. 251.
113 Hoch, S. 223.
114 Hoch, S. 223.
Verfassungs- und Gesetzesinitiativen müssen einen generell abs-
trakten Inhalt haben und dürfen damit keinen konkreten Verwaltungs-
akt betreffen.115 Zusätzlich dürfen sie nicht gegen höherrangiges Recht
verstossen (Art. 70b Abs. 1 VRG). Als Verfassungs- und Rechtsstaat,116
darüber hinaus als Unterzeichnerstaat der Europäischen Menschen-
rechtskonvention sowie weiterer Staatsverträge,117 garantiert Liechten-
stein einen Kernbestand an Grund- und Menschenrechten und ist
rechtsstaatlichen Prinzipien verpflichtet. Bezogen auf die direktdemo-
kratischen Volksrechte bedeutet dies, dass bei der Anmeldung einer
Volksinitiative die Verträglichkeit mit der liechtensteinischen Verfassung
und Staatsverträgen geprüft wird und bei negativem Befund eine Initia-
tive nicht gestartet werden kann.118
Für eine Gesetzesinitiative müssen mindestens 1000 wahlberech-
tigte Landesbürger ein bestimmtes Begehren stellen, welches in der da-
rauffolgenden Landtagssitzung zu verhandeln ist (Art. 64 Abs. 1, 2
LV).119 Demgegenüber kann ein die Verfassung betreffendes Initiativbe-
gehren «nur von wenigstens 1500 wahlberechtigten Landesbürgern oder
wenigstens vier Gemeinden gestellt werden» (Art. 64 Abs. 4 LV).
Ein Spezialfall stellt die formulierte Initiative auf Erlassung eines
nicht schon durch die Verfassung vorgesehenen Gesetzes dar, aus dessen
Durchführung dem Lande entweder eine einmalige, im Finanzgesetz
nicht schon vorgesehene oder eine länger andauernde Belastung er-
wächst. Eine solche Initiative muss mit einem Bedeckungsvorschlag120
86
Direktdemokratische Elemente der Verfassung
115 Hoch, S. 214.
116 Gemäss Koja (S. 124) kann von einem Rechtsstaat gesprochen werden, «wenn die
Vollziehung an die Gesetze gebunden ist, wenn Gewaltentrennung herrscht, wenn
die Gerichte unabhängig sind, wenn für die Kontrolle der Gesetzmässigkeit der
Vollzugsakte gesorgt und wenn schliesslich die Freiheitssphäre der Bürger durch
Grundrechte gewährleistet ist».
117 Die Staatsverträge bzw. internationale Übereinkommen, welche Rechte des Volkes
gewährleisten, werden unter «III.B.2. Das Volk» aufgeführt.
118 Marxer/Pállinger, S. 37.
119 Das genaue Verfahren nach Art. 64 AbS. 2 LV lautet: «Wenn wenigstens 1000 wahlbe-
rechtigte Landesbürger, deren Unterschrift und Stimmberechtigung von der Gemein-
devorstehung ihres Wohnsitzes beglaubigt ist, schriftlich oder wenigstens drei Ge-
meinden in Form übereinstimmender Gemeindeversammlungsbeschlüsse das Begeh-
ren um Erlassung, Abänderung oder Aufhebung eines Gesetzes stellen, so ist dieses
Begehren in der darauffolgenden Sitzung des Landtages in Verhandlung zu ziehen.»
120 Der StGH beschäftigte sich seit 2000 einzig im Jahr 2004 genauer mit dem Bede-
ckungsvorschlag und legte in seinem Urteil 2004/70 fest, wann eine Initiative mit ei-
versehen sein, welcher die Art und Weise der Finanzierung der zusätzli-
chen Ausgaben darstellt, damit der Landtag einen solchen ausgearbeite-
ten Entwurf überhaupt behandeln darf (Art. 64 Abs. 3 LV).
Erfüllt ein formuliertes Initiativbegehren diese formellen und ma-
teriellen Voraussetzungen, so hat der Landtag den Beschluss zu fassen,
ob er dem Initiativentwurf, so wie er vorliegt, zustimmt oder nicht
(Art. 82 Abs. 1 VRG). Bei Zustimmung fällt der Landtag entweder einen
Beschluss oder er überlässt dies dem Volk durch eine Volksabstimmung.
Bei Ablehnung beauftragt er die Regierung mit der Anordnung einer
Volksabstimmung (Art. 82 Abs. 2 VRG). Gemäss Art. 66 Abs. 6 LV ver-
tritt die Annahme des Entwurfes durch die wahlberechtigten Landes-
bürger den sonst zur Annahme eines Gesetzes erforderlichen Beschluss
des Landtags (Art. 66 Abs. 6 LV). Bei der Volksabstimmung hat der
Landtag aber das Recht, «gegenüber dem von den Initianten oder Ge-
meinden eingereichten Entwürfe eigene Anträge auf Verwerfung des
Vorschlages oder auf eine abgeänderte Fassung desselben zu stellen und
nötigenfalls in einer an das Volk gerichteten Botschaft zu begründen»
(Art. 82 Abs. 3).121
Gemäss Schmitt-Glaeser bewirken Verfassungs- und Gesetzesini-
tiativen eine höhere Partizipation der Bürger und dadurch «eine Beteili-
gung des betroffenen Bürgers als Rechtsschutz nicht-judizieller Art».122
Allerdings haftet den Verfassungs- und Gesetzesinitiativen in Liechten-
stein der Makel an, dass auch bei diesen Beschlüssen des Volkes der Lan-
desfürst ein Veto einlegen kann. Dieses Veto ist nicht aufschiebend, son-
dern definitiv und muss nicht explizit ausgesprochen und begründet
werden. Die Nichtunterzeichnung eines Beschlusses des Volkes inner-
halb einer Frist von sechs Monaten genügt als Sanktionsverweigerung.123
In diesem Sinne sind Entscheide des Volkes über Verfassungs- und Ge-
87
Instrumente der direkten Demokratie
nem Bedeckungsvorschlag versehen sein muss: «Was den mangelnden Bedeckungs-
vorschlag anlangt, ist darauf hinzuweisen, dass ein solcher nach Art. 64 AbS. 3 LV
einem Begehren, das heisst, wenn eine Initiative bereits durch 1000 wahlberechtigte
Landesbürger unterschrieben worden ist, anzuschliessen ist. Im vorliegenden Ver-
fahrensstadium, wo es sich um eine nur angemeldete Initiative handelt, ist ein Bede-
ckungsvorschlag nicht erforderlich.»
121 Falls zwei oder mehrere Initiativen dem Volk vorzulegen sind, regelt das VRG in
Art. 82a ff. das Verfahren.
122 Schmitt-Glaeser, S. 207.
123 Marxer/Pállinger, S. 38.
setzesinitiativen «nur für den volksseitigen Teil im dualistischen Staats-
aufbau verbindlich. Das heisst dass der Landtag und die Regierung sol-
che Volksentscheidungen akzeptieren müssen und nicht abändern kön-
nen»,124 während der Landesfürst die Sanktion ohne Begründung ver-
weigern kann (Art. 9 LV).
Ein Beispiel aus der Praxis soll die Sanktionsverweigerung ver-
deutlichen. Am 28. Juni 2011 hat der Landtag in öffentlicher Sitzung das
Initiativbegehren zur Abänderung des Strafgesetzbuches («Hilfe statt
Strafe») in Behandlung gezogen und abgelehnt.125 Die Regierung wurde
mit der Anordnung einer Volksabstimmung beauftragt, welche am 16.
bzw. 18. September 2011 stattfand. Noch vor der Volksabstimmung gab
der Erbprinz bekannt, für den Fall der Annahme das Gesetz nicht zu
sanktionieren: «Aus all diesen Gründen werde auch ich den Initiativvor-
schlag ablehnen, sollte ihn das Volk nicht ebenso wie der Landtag ableh-
nen.»126 Das Stimmvolk lehnte das Initiativbegehren mit 52,3 Prozent ab.
Im Rahmen einer Nachwahlbefragung hat Marxer folgendes festgestellt:
«Die Empfehlung des Fürstenhauses bei der Volksabstimmung und die
angekündigte Sanktionsverweigerung des Erbprinzen hat die Stimmbe-
teiligung bei der Volksabstimmung negativ beeinflusst, da von vielen ein
Urnengang als sinnlos oder nicht mehr notwendig erachtet wurde.»127
Allerdings hat die angekündigte Sanktionsverweigerung «eher die ten-
denziell Zustimmenden als die tendenziell Ablehnenden vom Urnen-
gang abgehalten».128 Der Landesfürst hatte mit der Drohung der Nicht-
Sanktionierung starken Einfluss auf das Stimmvolk. Dadurch hat das
Fürstenhaus seine Zurückhaltung bei Abstimmungen abgelegt und ein-
deutig klargestellt, dass er von seinem Recht, Gesetze nicht zu sanktio-
nieren, selbst dann Gebrauch machen wird, wenn das Stimmvolk ande-
rer Meinung ist. Solche Interventionen in Volksentscheide laufen einer
(direkten) Demokratie zuwider. Waschkuhn betitelt solche Interventio-
nen als demokratietheoretische Konstruktionsfehler.129
88
Direktdemokratische Elemente der Verfassung
124 Marxer, direkte Demokratie, S. 19.
125 LTP 2011, S. 885.
126 Ansprache Seiner Durchlaucht Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein anlässlich
des Staatsfeiertages 2011 am 15.08.2011. Abrufbar unter <www.fuerstenhaus.li>,
27.12.2011.
127 Marxer, Umfrage, S. 10.
128 Marxer, Umfrage, S. 10.
129 Waschkuhn, 1993, S. 273.
Zur Vollständigkeit ist noch darauf hinzuweisen, dass auch nach
Abstimmungen bzw. nach Inkrafttreten von Gesetzesbestimmungen im
Betroffenheitsfall gegen die Gesetzesanwendung vorgegangen und diese
mit rechtsstaatlichen Mitteln – bis hin zum Staatsgerichtshof, dem Euro-
päischen Gerichtshof für Menschenrechte oder anderen in Frage kom-
menden internationalen Gerichten – bekämpft werden können (Art. 70b
VRG).
2.2 Fakultatives Referendum zu Gesetzen, Finanz -
beschlüssen und Staatsverträgen
Das Referendum (Art. 65 Abs. 2 LV)130 ist für das Volk ein wichtiges di-
rektdemokratisches Recht und gleichzeitig ein bedeutsames Instrument,
da es damit – unter dem Vorbehalt der entsprechenden formellen und
materiellen Voraussetzungen – ein Einspracherecht gegen unliebsame
Verfassungsänderungen, Gesetze, Staatsverträge und Finanzbeschlüsse
wahrnehmen kann.131 Ein Referendum hat im Gegensatz zur Initiative
bremsende Wirkung. Das Volk kann mit diesem Instrument eine be-
deutsame Rolle einnehmen, obwohl das Referendum in Liechtenstein
(mit der Ausnahme von drei obligatorischen Referenda132) im Gegensatz
zur Schweiz133 rein fakultativ ausgestaltet ist. Dies bedeutet, dass das ein
Referendum wünschende Volk dieses Recht aktiv wahrnehmen muss.
89
Instrumente der direkten Demokratie
130 Die Verfassung verwendet den Begriff «Referendum» viermal, in Art. 65 Abs. 2 als
Synonym für Volksabstimmung: «Überdies findet [. . .] eine Volksabstimmung (Re-
ferendum) statt.» Anzumerken ist dazu, dass nicht jede Volksabstimmung ein Refe-
rendum darstellt. Referendum (lateinisch zu «referre» = berichten, erwidern) be-
deutet wörtlich das (zur Entscheidung) Vorzulegende, also die Nachprüfung des
Volkes bzw. der Abstimmungsberechtigten über einen Gesetzesbeschluss oder eine
sonstige staatliche Massnahme des Parlaments durch das Volk (Volksentscheid). Es
ist aber auch nicht jede Volksabstimmung ein «Plebiszit». Ein Plebiszit (lateinisch
zu «plebi scitum» = Volksentscheid) hat eine Abstimmung des Volkes über eine
Sachfrage und nicht eine Wahl, die sich etwa auf eine Personalenscheidung bezieht,
zum Inhalt.
131 Schmidt, S. 367.
132 Die liechtensteinische Rechtsordnung kennt zwei obligatorische Referenda: Rich-
terbestellung gemäss Art. 96 Abs. 1 LV und Abschaffung der Monarchie gemäss Art.
113 LV.
133 Durch die Schweizer Verfassung unterliegen wichtige Materien der Abstimmung
des Volkes. Art. 140 der Schweizer Verfassung (Bundesverfassung der Schweizeri-
Falls der Landtag nicht von sich aus eine Volksabstimmung be-
schliesst, kann das Volk unter folgenden Bedingungen ein Referendum
erzwingen: Der Gesetzesbeschluss bzw. Finanzbeschluss darf vom
Landtag nicht als dringlich erklärt sein. Finanzbeschlüsse müssen zudem
eine einmalige neue Ausgabe von mindestens CHF 500 000 oder eine
jährlich wiederkehrende neue Ausgabe von CHF 250 000 verursachen.
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, dann hat eine Volksabstimmung
stattzufinden, falls der Landtag eine solche beschliesst oder falls inner-
halb von 30 Tagen nach amtlicher Verlautbarung des Landtagsbeschlus-
ses mindestens 1000 wahlberechtigte Landesbürger bzw. mindestens drei
Gemeinden ein darauf gerichtetes Begehren stellen (Art. 66 Abs. 1
LV).134 Das Begehren muss dabei von den wahlberechtigten Landesbür-
gern (Art. 64 Abs. 2 LV)135 schriftlich bzw. von den drei Gemeinden in
Form übereinstimmender Gemeindeversammlungsbeschlüsse gestellt
werden und auf Erlassung, Abänderung oder Aufhebung eines Gesetzes
lauten (Art. 64 Abs. 2 LV). Dasselbe Prozedere gilt auch bei einzelnen
Verfassungsbestimmungen oder der Verfassung insgesamt sowie bei
Staatsverträgen mit der Ausnahme, dass wenigstens 1500 wahlberech-
tigte Landesbürger oder wenigstens vier Gemeinden das Referendum
begehren müssen (Art. 65 Abs. 2, 66bis LV). Kommt das Referendum
schliesslich zustande, dann entscheidet darüber die absolute Mehrheit
90
Direktdemokratische Elemente der Verfassung
schen Eidgenossenschaft vom 18.04.1999, Stand am 30.11.2008, SR 101) trägt die
Überschrift «Obligatorisches Referendum». Danach müssen folgende Geschäfte
dem Volk und den Ständen unterbreitet werden: Änderungen der Bundesverfas-
sung, der Beitritt zu Organisationen für kollektive Sicherheit oder zu suprana -
tionalen Gemeinschaften und die dringlich erklärten Bundesgesetze, die keine
Verfassungsgrundlage haben und deren Geltungsdauer ein Jahr übersteigt (diese
Bundesgesetze müssen innerhalb eines Jahres nach Annahme durch die Bundesver-
sammlung zur Abstimmung unterbreitet werden). Das Volk kann nur über Volks-
initiativen auf Totalrevision der Bundesverfassung, über Volksinitiativen auf Teilre-
vision der Bundesverfassung in der Form der allgemeinen Anregung, die von der
Bundesversammlung abgelehnt worden sind sowie bei Uneinigkeit der beiden Räte
über die Frage, ob eine Totalrevision der Bundesverfassung durchzuführen ist, ab-
stimmen.
134 Die Exekutive darf bei Krediten zu Projekten, welche grundsätzlich der Volksab-
stimmung unterliegen, nicht die Referendumsgrenze durch Aufspaltung in einzelne
kleinere Kredite umgehen, da dies die Institution des Referendums weitgehend aus-
höhlen würde. Siehe dazu auch BGE 108 Ia 234, S. 242.
135 Die Unterschrift und Stimmberechtigung der Landesbürger muss von der Gemein-
devorstehung ihres Wohnsitzes beglaubigt sein.
der im ganzen Land gültig abgegebenen Stimmen (Art. 65 Abs. 4 LV,
Art. 78 Abs. 1 VRG).
Zusammenfassend kann nicht über alle Gegenstände ein Referen-
dum ergriffen werden. Ausgenommen sind als dringlich erklärte Land-
tagsbeschlüsse, Finanzbeschlüsse unterhalb einer bestimmten Ausga-
benhöhe oder über gebundene Ausgaben sowie Personalentscheidungen
(mit Ausnahme der Richterbestellung in bestimmten Dissensfällen). Zu-
dem sind aus Gründen der Gewaltenteilung die Judikative (Rechtsspre-
chung) und die Exekutive (Regierungstätigkeit mit Erlass von Verord-
nungen) für Volksabstimmungen nicht zugänglich.136 Das Finanzrefe-
rendum stellt insofern eine Ausnahme dar, da es – obwohl durch Art. 66
LV ein Referendum gegen individuell-konkrete Anordnungen grund-
sätzlich nicht möglich ist – «dem Volk die Möglichkeit gibt, gegen indi-
viduell-konkrete (Einzelfall-) Entscheidungen der Behörden mit dem
Referendumsrecht anzugehen».137
Die Regierung, die Rechtsprechung der Schweiz zitierend, führt
zum Finanzreferendum aus: Der «verfassungspolitische Zweck des Fi-
nanzreferendums besteht zweifellos darin, dem Bürger über erhebliche
Ausgaben, die ihn als Steuerzahler mittelbar treffen, ein Mitspracherecht
zu sichern»138 und diene dabei als Teil der politischen Rechte auch der
Mitentscheidung und Einflussnahme auf den politischen Willenspro-
zess.139 Dies bedeute aber nicht, «dass die Stimmbürger einen Anspruch
auf Mitwirkung am Zustandekommen und an der inhaltlichen Bestim-
mung der dem Referendum unterstellten Vorhaben hätten. Ansonsten
würde das Finanzreferendum dem Bürger eine Art Rechts- und Zweck-
mässigkeitskontrolle über die Verwaltung verschaffen».140
91
Instrumente der direkten Demokratie
136 Marxer/Pállinger, S. 37.
137 Schurti, 1994, S. 240 f.
138 BuA betreffend die Abänderung der Verfassung (Finanzreferendum) und die Er-
gänzung des Finanzhaushaltsgesetzes, Nr. 69/1991, S. 3, identisch mit BGE 112 Ia
221, S. 226. Die Regierung führt im BuA weiter aus: «In der Praxis tritt das Finanz-
referendum zwar erst am Schluss eines Entscheidungsprozesses in Erscheinung.
Trotzdem entfaltet es eine materielle Wirkung bereits während des Vorbereitungs-
und Beratungsverfahrens. Sie besteht darin, dass die Behörden, die einen Finanzbe-
schluss oder ein Gesetz mit finanziellen Auswirkungen ausarbeiten, alles daran set-
zen, um die Zustimmung des Landtags und des Volkes zu erlangen.»
139 BuA betreffend die Abänderung der Verfassung (Finanzreferendum), Nr. 90/1994,
S. 1.
140 BGE 125 I 87, S. 95.
Ist das Referendum aber ausgeschlossen, dann hat das Volk eine
Möglichkeit, sich gegen den Ausschluss zur Wehr zu setzen, indem es
eine Volksinitiative auf Abschaffung oder Abänderung des dem Referen-
dum entzogenen Erlasses ergreift. Dieses «unechte Referendumsrecht»141
hebt die 30-tägige Referendumsfrist auf und «selbst Verordnungen, die ja
ebenfalls nicht referendumsfähig sind, können auf diese Weise zu Fall ge-
bracht werden. Die Volksinitiative kann nun allerdings das Referendum
nur dann ersetzen, wenn die Abschaffung oder Abänderung des zu be-
kämpfenden Erlasses ein zulässiger Inhalt einer Initiative ist».142
Hier zeigt sich das Problem, dass nach Schurti143 gegen einen indi-
viduell konkreten Finanzbeschluss das Referendum möglich, gemäss
Hoch144 aber von der Initiative ausgeschlossen ist. Genehmigt nun der
Landtag gerade bei Finanzbeschlüssen die meistens von der Regierung
begehrte Dringlicherklärung, dann kann das Volk nichts gegen solche
Finanzbeschlüsse unternehmen.
Schurti sieht dadurch das Demokratieprinzip in Liechtenstein ge-
fährdet und hält allgemein fest: «Referendums- und Initiativrecht lassen
klar erkennen, dass es grundsätzlich ein notwendiges Erfordernis ist, die
Gesetzes- und Verfassungsbestimmungen und Beschlüsse betreffend
Kredite und Staatsverträge einer wenn auch nur stillschweigenden Ge-
nehmigung durch das Volk zu unterwerfen. Das Dringlichkeitsrecht darf
keinesfalls dazu missbraucht werden, die Volksrechte zu schmälern»145
oder auszuhöhlen.146
Findet eine Volksabstimmung über ein Referendum statt, dann ist
dessen Annahme, das heisst die Ablehnung der vom Landtag beschlos-
senen Vorlage für alle verbindlich. Bekräftigt das Volk einen Landtags-
beschluss durch Ablehnung des Referendums, dann ist diese Entschei-
dung nur für den volksseitigen Teil im dualistischen Staatsaufbau, nicht
aber für den Landesfürsten, verbindlich.147 Dieser hat wiederum das
Recht des definitiven Vetos.148
92
Direktdemokratische Elemente der Verfassung
141 Hoch, S. 223.
142 Hoch, S. 223.
143 Schurti, 1994, S. 240.
144 Hoch, S. 223.
145 Schurti, S.248.
146 Schurti, S.259.
147 Marxer/Pállinger, S. 19.
148 Marxer/Pállinger, S. 38.
2.3 Einberufungs- und Abberufungsrecht
Obwohl das Volk zwar nach der Wahl dem Landtag weder Weisungen
erteilen noch sonst die Entscheidungen der Abgeordneten bestimmen
kann, kann es den Landtag durch ein begründetes schriftliches Verlangen
von 1000 wahlberechtigten Landesbürgern oder einen Gemeindever-
sammlungsbeschluss von drei Gemeinden durch den Landtagspräsident
einrufen lassen (Art. 2 GOLT). Darüber hinaus kann das Volk über be-
gründetes, schriftliches Verlangen von wenigstens 1500 wahlberechtig-
ten Landesbürgern oder vier Gemeinden eine Volksabstimmung über die
Auflösung des Landtags erzwingen (Art. 48 Abs. 2, 3 LV). Dieses Abbe-
rufungsrecht kann dabei aber nur gegen den Landtag als solchen, nicht
aber gegen einzelne Mitglieder geltend gemacht werden (Art. 86 Abs. 2
VRG). Das Volk hat bisher vom Ein- und Abberufungsrecht noch nie
Gebrauch gemacht.
2.4 Misstrauensantrag und Abschaffung der Monarchie
Ganz andere Einflussnahmemöglichkeiten des Volkes auf den Staat stel-
len der Misstrauensantrag gegen den Landesfürsten und die Initiative auf
Abschaffung der Monarchie dar.
Den Misstrauensantrag gegen den Landesfürsten müssen mindes-
tens 1500 Landesbürger begründet einbringen. Der Landtag ist dabei in-
soweit involviert, als er über den Misstrauensantrag eine Empfehlung
abzugeben und eine Volksabstimmung anzuordnen hat. Bei Annahme
des Misstrauensantrags wird dieser dem Fürsten zur Behandlung nach
dem Hausgesetz übermittelt, woraufhin dem Landtag die Entscheidung
des Familienrates mitgeteilt wird. Der Misstrauensantrag ist damit un-
verbindlich (Art. 13ter. LV).149 Da das Fürstenhaus gemäss dessen Haus-
gesetz über den Misstrauensantrag entscheidet, welches gegen Volksent-
93
Instrumente der direkten Demokratie
149 Stotter (S. 93) meint dazu: «Ist ein Misstrauensantrag in einer Volksabstimmung an-
genommen, wird er dem Landesfürsten zur Behandlung übergeben. [. . .] Dies be-
deutet, dass die Entscheidung der Gesamtheit stimmberechtigter Mitglieder des
Fürstlichen Hauses [. . .] sechs Monate nicht übersteigt.»
scheide insgesamt immunisiert ist, bleibt im Konfliktfall nur der Weg die
Monarchie insgesamt abzuschaffen.150
Gemäss Batliner widerspricht dieses Verfahren rechtlich dem De-
mokratieprinzip. Er kommt zu diesem Schluss, da ein Misstrauensantrag
ein negativer Personalentscheid sei und als solcher geheim sein müsste.
Angesichts 1500 nicht geheimer Unterschriften mit Namen, Vornamen
und Adressen stelle sich die Frage: «Was bedeutet es beruflich, gesell-
schaftlich und politisch für jene, die es wagen, ihre nicht-geheime Un-
terschrift unter eine Misstrauensinitiative zu setzen?»151 Für Batliner ist
damit das Verfahren unter normalen Umständen nicht ausübbar und er
hält zusammenfassend fest: «Eine faktisch nichtausübbare Kompetenz
ist keine.»152
Solange das Volk das Misstrauen nicht ausspricht oder die Miss-
trauensinitiative nicht ergreift, könnte der Anschein einer dauernden
persönlichen Legitimation des Landesfürsten erweckt werden. Aller-
dings entsteht Legitimation «durch einen aktiven Akt, nicht durch
Nicht-Entzug».153
Auch die Initiative auf Abschaffung der Monarchie ist von min-
destens 1500 Landesbürgern einzubringen. Darauf folgt eine obligatori-
sche Volksabstimmung über die Einleitung des Verfahrens. Wird die Ini-
tiative durch das Volk angenommen, so hat der Landtag eine neue Ver-
fassung auf republikanischer Grundlage auszuarbeiten, über die
wie derum eine Volksabstimmung stattzufinden hat. Das Resultat dieser
Volksabstimmung ist verbindlich (Art. 113 Abs. 1, 2 LV).154
94
Direktdemokratische Elemente der Verfassung
150 Marxer/Pállinger, S. 38.
151 Batliner, Verfassungsänderungsvorschläge, S. 18.
152 Batliner, Verfassungsänderungsvorschläge, S. 18.
153 Batliner, Verfassungsänderungsvorschläge, S. 19.
154 Art. 113 Abs. 1 LV: «Dem Landesfürsten steht das Recht zu, für die gleiche Volks-
abstimmung eine neue Verfassung vorzulegen. Das im Folgenden geregelte Verfah-
ren tritt insoweit an die Stelle des Verfassungsänderungsverfahrens nach Art. 112
Abs. 2.» Art. 113 Abs. 2 LV: «Liegt nur ein Entwurf vor, dann genügt für die An-
nahme die absolute Mehrheit (Art. 66 Abs. 4). Liegen zwei Entwürfe vor, dann hat
der wahlberechtigte Landesbürger die Möglichkeit, zwischen der bestehenden Ver-
fassung und den beiden Entwürfen zu wählen. In diesem Fall hat der wahlberech-
tigte Landesbürger in der ersten Abstimmung zwei Stimmen. Diese teilt er jenen
beiden Verfassungsvarianten zu, von denen er wünscht, dass sie in die zweite Ab-
stimmung gelangen. Jene zwei Verfassungsvarianten, welche die meisten Erst- und
Gemäss Marxer ist das Verfahren zur Abschaffung der Monarchie
«zwar langwierig und mehrstufig, eine mehrheitliche Entscheidung kann
aber letztlich von keinem anderen Organ ignoriert werden».155 Marxer
scheint sich bewusst zu sein, dass dieses Instrument kaum umsetzbar ist.
Denn wiederum müssen 1500 nicht geheime Unterschriften gefunden
werden, damit überhaupt eine Volksabstimmung zur Einleitung des Ver-
fahrens stattfinden kann. Gemäss Batliner handelt es sich dabei zwar um
eine Volks-Initiativkompetenz, aber um «eine geschwächte, wenn nicht
faktisch verunmöglichte».156 Er hält fest:
«Jede geringfügige Änderung, die nicht die radikale Totalabschaf-
fung der Monarchie zum Ziel hat, bedarf weiterhin der Sanktion
des Fürsten. Mit der Monarchieabschaffungskompetenz wird der
faktische Spielraum für Vetos ausgeweitet. Es geht auch um ein
zweites, um die demokratische Legitimation der Monarchie. Die
Überlegung ist einfach. Solange das Volk von der Monarchieab-
schaffung keinen Gebrauch macht, akzeptiert es die Monarchie.
[. . .] Was als Schaffung einer neuen Volkskompetenz daherkommt,
ist das Gegenteil. Die Demokratie wird sozusagen gebändigt. Auch
moderate Änderungswünsche können leichter abgeblockt werden.
Wer dies nicht akzeptiert, könne die Monarchie abschaffen. Zum
vornherein angekündigte oder angedeutete oder erwartete Vetos
unterlaufen demokratische Initiativen, machen sie allenfalls sinnlos
und lähmen den demokratischen Prozess.»157
Zusammenfassend hat das Volk durch das Monarchieabschaffungsver-
fahren und das persönliche Misstrauensverfahren zwei gewichtige In-
strumente zur Hand, auch wenn deren Wahrnehmung unter normalen
Umständen ausgeschlossen scheint. Bis anhin wurde weder ein Miss-
trauensantrag noch eine Initiative auf Abschaffung der Monarchie ein-
gebracht.
95
Instrumente der direkten Demokratie
Zweitstimmen auf sich vereinen, kommen in die zweite Abstimmung. In der zwei-
ten Abstimmung, die 14 Tage nach der ersten Abstimmung durchzuführen ist, hat
der wahlberechtigte Landesbürger eine Stimme. Jene Verfassung gilt als angenom-
men, welche die absolute Mehrheit erhält (Art. 66 Abs. 4).»
155 Marxer, direkte Demokratie, S. 19.
156 Batliner, Verfassungsänderungsvorschläge, S. 10.
157 Batliner, Verfassungsänderungsvorschläge, S. 14 ff.
2.5 Richterernennung
Obwohl das Volk bei der Ernennung der Richter158 eine mehr als unter-
geordnete Rolle spielt, soll dieses Element als weitere Möglichkeit des
Volkes, Einfluss auf den Staat zu nehmen, der Vollständigkeit wegen
dennoch erwähnt werden.
Bei der Auswahl von Richtern bedienen sich der Landesfürst und
der Landtag eines gemeinsamen Gremiums. Dabei ist das Volk nur dann
in diesem Verfahren beteiligt, wenn der Landtag den vom Gremium
empfohlenen Kandidaten ablehnt und sich daraufhin innerhalb von vier
Wochen keine Einigung über einen neuen Kandidaten erzielen lässt. Erst
in einem solchen Dissensfall sind der Landtag und das Volk involviert,
indem der Landtag einen Gegenkandidaten vorzuschlagen und eine
Volksabstimmung anzuberaumen hat. Im Falle einer Volksabstimmung
sind auch die wahlberechtigten Landesbürger berechtigt, Kandidaten zu
nominieren (Art. 96 Abs. 1, 2 LV). Für die Nomination der Kandidaten
bedarf es wenigstens 1000 wahlberechtigte Landesbürger oder überein-
stimmende Gemeindeversammlungsbeschlüsse von mindestens drei Ge-
meinden (Art. 86a VRG).
Eine aus diesem Verfahren resultierende Volksabstimmung ist ver-
bindlich, indem das Volk letztgültig über neue Richter entscheidet.159
3. Auswirkungen der direktdemokratischen
Elemente auf die Landtagsarbeit
Die direktdemokratischen Elemente führen nicht nur durch deren aktive
Wahrnehmung durch das Volk, sondern allein durch deren Existenz zu
einer Verstärkung der politischen Wirkung der stimmberechtigten Lan-
desbürger. Diese Partizipation führt zu einer ständigen Beobachtung po-
litischer Prozesse durch das (interessierte) Volk und damit zu einer in-
formalen Kontrolle von Landtag und Regierung durch das Volk. Durch
die direktdemokratischen Mitwirkungsrechte wird diese Kontrolle der
96
Direktdemokratische Elemente der Verfassung
158 Während ihrer Amtszeit sind die Richter unabhängig, (politisch) unabsetzbar und
unversetzbar (Art. 2 Richterdienstgesetz, LGBl 2007, Nr. 347).
159 Marxer, direkte Demokratie, S. 19.
Landtagstätigkeit verstärkt. Da sich die Abgeordneten dieser Teilnahme
des Volkes am politsichen Gebaren und der direktdemokratischen Ele-
mente bewusst sind, agieren sie nie völlig emanzipiert vom Volk.
Für den Landtag ist es von Vorteil, wenn er die (Mehrheits-)Mei-
nungen der Stimmberechtigten antizipiert und so ein Referendum gegen
einen Landtagsentscheid verhindert. Er steht somit zwei wirksamen Ve-
tospielern gegenüber: dem Landesfürsten und dem Volk. Zudem entzie-
hen die direkten Volksrechte dem Landtag abschliessende Kompeten-
zen, die sonst in seinen Wirkungsbereich fallen würden. Zu denken ist
dabei an die Richterwahl, bei der er nur einen Vorschlag des Richtergre-
miums annehmen oder konkurrenzierende Vorschläge einer Volksab-
stimmung unterbreiten kann. Zudem wirkt der Landtag gegenüber dem
Landesfürsten (Misstrauensvotum, Monarchieabschaffung) nur als
Durchlaufstelle zwischen Fürst bzw. Fürstenhaus und Volk. Der Land-
tag kann sich allerdings auch selbst aus der Entscheidverantwortung
nehmen, indem er eine beschlossene Vorlage dem Volk vorlegt.160 In den
letzten zehn Jahren hat der Landag allerdings keine von ihm gutgeheis-
sene Vorlage freiwillig dem Volk vorgelegt.
97
Auswirkungen der direktdemokratischen Elemente auf die Landtagsarbeit
160 Marxer/Pállinger, S. 46.
E. Wählergruppen, Parteien
und deren Rolle im Staat
Wählergruppen und Parteien fanden in den bisherigen Ausführungen
immer wieder Erwähnung. Es werden nun die Parteien Liechtensteins
und deren Entstehungsgeschichte ebenso wie deren Parteiorgane und Fi-
nanzierung dargestellt.
Wie in den meisten westeuropäischen Demokratien wirken die
Wählergruppen auch in Liechtenstein stabilisierend auf das politische
System.161 «Ohne die Parteien würde das Volk politisch ohnmächtig und
hilflos hin und her vegetieren»,162 weshalb Parteien gemäss Rüttgers die
«entscheidenden Stabilitätsfaktoren unserer demokratischen Ordnung»
darstellen.163 Parteien sind unentbehrliche Handlungseinheiten und er-
möglichen es, «diffuse Wahlstimmen sinnvoll auf realistische politische
Alternativen, die in einer konkreten politischen Ordnung verwirklicht
werden sollen, zu versammeln. Sie stimulieren das politische Interesse
der Bürger. Sie halten das Engagement der Demokraten für ihr Gemein-
wesen lebendig. In ihrer Hand liegt die Vorbereitung und Durchführung
des Prozesses, der in der Wahl zum Parlament kulminiert.»164
1. Partei, Wählergruppe und Fraktion
Damit eine politische Institution ihre Aufgaben wahrnehmen kann, wer-
den Menschen benötigt, welche die Institution mit Leben füllen. So ist es
auch beim Landtag, bei welchem die Abgeordneten verschiedene Aufga-
ben und Pflichten zu erfüllen haben. Diese Personen gehören grund-
98
161 Haungs, S. 480.
162 Leibholz, S. 352.
163 Rüttgers, S. 154.
164 Geiger, Abgeordnete, S. 102.
sätzlich einer Wählergruppe an, weshalb diese im politischen Geschehen
Liechtensteins eine bedeutende Rolle einnehmen.
Parteien prägen die liechtensteinische Politik, obwohl der Begriff
«Partei» in der liechtensteinischen Rechtsordnung selten gebraucht
wird. Stattdessen wird sowohl von der Verfassung (Art. 46, 49, 96 LV)165
wie auch vom Volksrechtegesetz (Art. 20, 38, 40 VRG) der Begriff
«Wählergruppe» verwendet. Aber weder die Verfassung noch das Volks-
rechtegesetz bestimmen formal rechtliche Bedingungen an eine Wähler-
gruppe. Damit kann eine Wählergruppe als loses Gebilde ohne rechtli-
chen Gründungsakt bestehen und an Landtagswahlen teilnehmen.
Was aber unter «Partei» zu verstehen ist, muss erst geklärt werden.
In einem sehr allgemeinen Begriffsverständnis wird unter «Partei» eine
Gruppe gleichgesinnter Bürger verstanden, die sich die Durchsetzung
gemeinsamer politischer Vorstellungen zum Ziel gesetzt hat.166 Diese in-
haltliche Definition ist sehr weit und gestattet unabhängig von Zielset-
zung, Programm, Organisationsform und Handlungsmuster die Sub-
sumtion praktisch aller (historischen) Interessengruppen unter den Be-
griff «Partei». Es scheint somit unklar, wann eine politische Gruppe als
«Partei» bezeichnet werden kann und wann nicht.167 Allerdings müssen
sich Parteien gemäss dem «Gesetz über die Ausrichtung von Beiträgen
an die politischen Parteien»168 zu den Grundsätzen der Verfassung be-
99
Partei, Wählergruppe und Fraktion
165 Der Begriff «Wählergruppe» trat in der ursprünglichen Originalverfassung von
1921 nicht auf, sondern wurde erstmals durch das Verfassungsgesetz LGBl 1939, Nr.
3, mit welchem das Verhältniswahlrecht eingeführt wurde, in die Verfassung aufge-
nommen.
166 Nohlen, Wahlrecht 1989, S. 448; Winkler, Parteien, S. 182.
167 Eine weitere Minimaldefinition liefert Nohlen I, S. 449. Diese beruht auf zwei eng
miteinander verknüpften Prämissen: Sie unterstellt als Voraussetzung für die For-
mierung und Existenz von Parteien, dass in einer differenzierten Gesellschaft Inte-
ressenverhältnisse vorhanden sind und sieht die Partei definiert durch die Dialektik
von Teil und Ganzem. Parteien repräsentieren Teilinteressen und streben doch nach
Totalität, indem sie ihr Partikularinteresse als allgemeines durchzusetzen versuchen.
168 Gesetz vom 28.06.1984 über die Ausrichtung von Beiträgen an die politischen Par-
teien (Parteien-BeiträgeG), LGBl 1984, Nr. 31, Art. 1 ff.: Damit eine politische Par-
tei eine Entschädigung erhalten kann, muss sie entweder im Landtag vertreten sein
oder bei der letzten Landtagswahl in beiden Wahlkreisen aufgetreten sein und dabei
mindestens drei Prozent der abgegebenen Wählerstimmen als Parteisumme im gan-
zen Land erreicht haben. Zusätzlich muss eine politische Partei in Form eines Ver-
eins (Art. 246 ff PGR) errichtet sein und sich zu den Grundsätzen der Verfassung
bekennen. Die Höhe der Beiträge ist für die politischen Parteien bei CHF 810 000
kennen und zum Zwecke der politischen Bildung, der Öffentlichkeits -
arbeit sowie der Mitwirkung an der politischen Willensbildung in Form
eines Vereins (Art. 246 ff PGR) errichtet sein (Art. 1, 2 Parteien-Bei -
trägeG). Unter «Partei» ist daher ein Zusammenschluss mehrerer Per -
sonen als Verein zu verstehen mit dem Ziel, sich politisch zu betätigen.
Um Beiträge erhalten zu können, ist es daher für eine bei Landtags -
wahlen erfolgreiche Wählergruppe unabdingbar, sich als Verein zu kon-
stituieren.169
Der Begriff «Partei» ist nicht identisch mit dem Begriff «Fraktion».
Als Fraktion wird ein freiwilliger Zusammenschluss von politisch
gleichgesinnten Abgeordneten in einem Parlament zur Durchsetzung ih-
rer politischen Interessen und Ziele bezeichnet. Eine Fraktion besteht in
der Landtagspraxis Liechtensteins aus den Abgeordneten einer Partei,
obwohl sie theoretisch auch überparteilich sein könnte: Die einzige Be-
dingung, die an eine solche Gruppierung von Abgeordneten gestellt
wird, um als Fraktion gelten zu können, ist die Mindestanzahl von drei
Mitgliedern (Art. 12 GOLT). Die Fraktionen haben ihren Fraktions-
sprecher zu benennen, welcher zugleich Mitglied des Landtagsbüros
wird (Art. 8, Art. 12 GOLT). Darüber hinaus hat «jede in Fraktions-
stärke vertretene Partei das Recht, in Kommissionen vertreten zu sein»
(Art. 58 Abs. 3 GOLT). Das heisst, jede Partei, die mindestens drei Ab-
geordnete für den Landtag stellt, ist auf deren Verlangen in Kommissio-
nen vertreten.
Zu den Fraktionen kann – da sie in Liechtenstein parteihomogen
sind – festgehalten werden, dass «in den Fraktionen gewissermassen alle
Fäden zusammenlaufen und sie der Ort einer Vielzahl von politischen
Vorentscheidungen sind».170
Da aber in der jüngeren Vergangenheit in Liechtenstein weder par-
teiübergreifende Fraktionen bestanden noch Wählergruppen an Land-
tagswahlen teilnehmen, die nicht als Verein gegründet wurden, rekrutie-
100
Wählergruppen, Parteien und deren Rolle im Staat
pro Jahr festgesetzt, wobei dieser Beitrag an die Parteien nach Massgabe der jeweils
bei den letzten Landtagswahlen erzielten Anteile an den Wählerstimmen zugeteilt
werden. Zusätzlich wird jeder im Landtag vertretenen politischen Partei ein pau-
schaler Beitrag von jährlich CHF 60 000 ausgerichtet.
169 Allerdings ist dieses Gesetz nicht mit dem «Gesetz über die Bezüge der Mitglieder
des Landtages und von Beiträgen an die im Landtag vertretenen Wählergruppen»
(BezügeBeiträgeG) zu verwechseln.
170 Waschkuhn, 1994, S. 143.
ren sich die Mitglieder von Wählergruppen und Fraktionen jeweils aus
derselben Partei. Ob es in Zukunft parteiübergreifende Fraktionen ge-
ben wird, oder ob parteitechnisch inhomogene oder unabhängige Wäh-
lergruppen an Landtagswahlen teilnehmen werden, wird sich zeigen.
2. Geschichte der Parteien
Wie aus dem Abschnitt «Geschichte des Landtags» ersichtlich ist, haben
das Parteiensystem und mit ihm die politische Szenerie Liechtensteins
mehrere geschichtliche Phasen durchlaufen. So haben sich vor der Land-
tagswahl 1914 oppositionelle Kräfte um Wilhelm Beck versammelt. Aus
dieser Gruppe wuchs im Frühjahr 1918 die erste Partei Liechtensteins,
die Christlich-Soziale Volkspartei, hervor.171 Um das Volk anzusprechen
und Auseinandersetzungen mit möglichen politischen Gegnern führen
zu können, waren bereits 1913 die «Oberrheinischen Nachrichten» ge-
gründet worden172, was «die Geburtsstunde der parteieigenen Zeitungen
im Lande»173 und die Durchbrechung des Nachrichtenmonopols des be-
reits seit 1878 bestehenden Liechtensteiner Volksblatt bedeutete.174 Die
Oberrheinischen Nachrichten sollten nicht so sehr einer allgemeinen po-
litischen Bildung dienen, sondern waren viel mehr als kritisches Organ
gegenüber den politischen Institutionen des Landes und auch gegenüber
dem bereits vorhandenen Presseorgan konzipiert.175 Dadurch kehrte Po-
litik in die liechtensteinische Presselandschaft ein.176 Das Liechtensteiner
Volksblatt, das sich bis dahin an der Politik der jeweiligen Regierung ori-
entiert hatte, sah sich durch die Oberrheinischen Nachrichten gezwun-
gen, als deren Gegenpol tätig zu werden und die Politik des Landesver-
wesers und der Mehrzahl der Abgeordneten zu vertreten.177 Obwohl die
Kreise um das Liechtensteiner Volksblatt Parteien als unnötig erachte-
ten, sahen sie sich unter dem Druck der Volkspartei gezwungen, eben-
101
Geschichte der Parteien
171 Michalsky, S. 224.
172 Michalsky, S. 231–236.
173 Wille, Parteien, S. 64. Die Oberrheinischen Nachrichten erschienen erstmals 1914.
174 Vogt, S. 118.
175 Michalsky, S. 234.
176 Michalsky, S. 233.
177 Wille, Parteien, S. 62.
falls eine Partei zu gründen.178 So wurde im Dezember 1918 die Fort-
schrittliche Bürgerpartei (FBP) gegründet;179 das «Parteiensystem» war
geboren.180
Durch die beiden Landeszeitungen war das Volk nun breiter und
kritischer informiert, was ein grösseres Interesse des Volkes an der Lan-
despolitik zur Folge hatte.181 Die Zeitungen schufen viel Platz für Ein-
sendungen aus dem Volk und entwickelten dadurch einen ausserparla-
mentarischen Raum, um die eigene Politik vom Volk rechtfertigen zu
lassen und ihm das Bewusstsein zu geben, gehört zu werden und selbst
zu Wort kommen zu können.182
Zwischen den Parteien herrschten damals starke Gegensätze in der
politischen Ausrichtung. So setzte sich die Volkspartei als Befürworterin
von Parteien für ein «Liechtenstein den Liechtensteinern» ein, indem sie
den Ausbau demokratischer Rechte und vermehrte Mitbestimmung in
Regierung und Landtag verlangte. Weiters nahm sie in sozialen Fragen
einen fortschrittlichen Standpunkt ein, forcierte eine Annäherung an die
Schweiz und war der Kirche gegenüber tendenziell kritischer eingestellt.
Die Bürgerpartei dagegen war gegen Parteigründungen, wollte an den
wirtschaftlichen Bindungen zu Österreich festhalten und nahm in der
Frage der Monarchie eine klar konservative Haltung ein.183 Die Diffe-
renzen zwischen den Parteien sollten jedoch nicht überbewertet werden,
da sich beide Parteien grundsätzlich für die Monarchie aussprachen und
sich zu den christlich-katholischen Grundwerten bekannten.184
An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass die Oberrheinischen Nach-
richten bereits 1914 die Vertreter der späteren Bürgerpartei als «Herren-
partei», das heisst als Vertreter der Interessen der Oberschicht und der
Fürstlichen Wiener Hofkanzlei, etikettierten, während die Gruppe um
Wilhelm Beck durch das Liechtensteiner Volksblatt als «Rote», das
heisst als Vertreter sozialdemokratischen, ja sogar sozialistischen und
bolschewistischen Gedankengutes dargestellt wurden. Somit sind da-
mals die – heute immer noch verwendeten – Parteienbezeichnungen ge-
102
Wählergruppen, Parteien und deren Rolle im Staat
178 Marxer, Wahlverhalten, S. 75 f.
179 Michalsky, S. 253.
180 Michalsky, S. 223.
181 Wille, Parteien, S. 64.
182 Wille, Parteien, S. 66.
183 Marxer, Wahlverhalten, S. 76 f.
184 Marxer, Wahlverhalten, S. 77.
schaffen worden: «Die Schwarzen» als die bürgerliche und konservative
Alternative zu den eher sozialistischen «Roten».185
Die ursprüngliche Parteienstruktur unterlag bis heute starken Ver-
änderungen. So wurde 1933 der Liechtensteiner Heimatdienst gegrün-
det, der unter gleichem Namen eine Zeitung herausbrachte und sich un-
ter anderem gegen die etablierten Pareteien und das Parteiensystem an
sich aussprach.186 Der Liechtensteiner Heimatdienst schloss sich aber
dennoch 1936 mit der Christlich-sozialen Volkspartei zur Vaterländi-
schen Union zusammen, deren Parteizeitung das am 1. Januar 1936 erst-
mals erschienene Liechtensteiner Vaterland wurde.187 Dabei veränderte
sich auch die politische Ausrichtung: War sie vorher – nach dem tradi-
tionellen Links-Rechts-Schema – links von der Mitte und links von der
Fortschrittlichen Bürgerpartei anzusiedeln, so lag sie nun rechts von der
Mitte und rechts von der Fortschrittlichen Bürgerpartei.188
Neben diesen zwei Parteien, die bis heute Bestand haben, gab es im
Laufe der Zeit mehrere Parteien, die wieder verschwanden: Die Volks-
deutsche Bewegung in Liechtenstein (VDBL), die Liste der Unselbstän-
dig Erwerbenden und Kleinbauern (UEK), die Christlich-soziale Partei
(CSP), die Überparteiliche Liste Liechtenstein (ÜLL) sowie die Arbei-
ter- und Bauernpartei des Liechtensteiner Unterlandes, welche aber nie
zu einer Wahl zugelassen war.189 Einzig die Freie Liste (FL) hält sich seit
ihrer Gründung Ende 1985 bis heute.190 Sie erhielt bei den Wahlen 1993
ihr erstes Mandat. Ihre Anhänger werden im Volksmund «die Weissen»
genannt.191
3. Aufgaben der Wählergruppen
Vor den Wahlen ist die primäre Aufgabe einer Wählergruppe, sowohl
Kandidaten für die Regierung als auch für den Landtag zu finden. Letz-
tere benennen die Wählergruppen in Wahlvorschlägen (Art. 36 ff.
103
Aufgaben der Wählergruppen
185 Quaderer, Verfassungsdiskussion, S. 111.
186 Wille, Landtag, S. 79.
187 Wille, Landtag, S. 82.
188 Marxer, Wahlverhalten, S. 81.
189 Marxer, Wahlverhalten, S. 79–91.
190 Marxer, Wahlverhalten, S. 91.
191 Marxer, Wahlverhalten, S. 92.
VRG).192 Zugleich erarbeitet eine Wählergruppe ein Wahlprogramm193.
Dies mündet schliesslich im Wahlkampf und in die «Vermarktung» der
Kandidaten, die bis zur Landtagswahl andauert und mit ihr endet.
Zu kritisieren ist an dieser Stelle, dass Wählergruppen zuerst ein
mögliches Regierungsteam aufstellen und erst dann die Liste der Land-
tagskandidaten erstellen. Durch dieses Vorgehen priorisieren die Par-
teien das Regierungsteam und nicht die Landtagskandidaten, die bei
Landtagswahlen im Sog eines hoffentlich starken Regierungsteams mit-
gezogen werden. Dies war bei den Landtagswahlen 2009 eindeutig der
Fall, da der Wahlkampf um Landtags- und Regierungsmandate auf die
Auseinandersetzung zwischen den Regierungschef-Kandidaten der bei-
den Volksparteien reduziert wurde. Dies bestätigt auch eine wissen-
schaftliche Analyse der Landtagswahlen 2009.194
Im Falle einer Koalition erarbeiten die Grossparteien nach den
Landtagswahlen einen Koalitionsvertrag. Die Freie Liste war noch nie in
der Regierung vertreten und wird von den Grossparteien bei der Regie-
rungsbildung kategorisch ausgeschlossen.195 Dies wird sich wohl erst
dann ändern, wenn die Freie Liste eine auch aus Sicht der Grossparteien
nicht mehr vernachlässigbare Anzahl an Abgeordneten stellt. Zurzeit be-
104
Wählergruppen, Parteien und deren Rolle im Staat
192 Die Wahlvorschläge werden von der Regierung geprüft. Sind diese korrekt, werden
sie zu Wahllisten, welche dem Volk bei der Wahl vorgelegt werden (Art. 36 ff.
VRG).
193 In einem Wahlprogramm werden die Ziele einer Partei allgemein umschrieben. Idee
dahinter ist es, die Inhalte des Parteiprogramms aussenwirksam wiederzugeben, da
das Wahlprogramm als Leitlinie für den Wahlkampf genutzt wird. Das Wahlpro-
gramm dient somit einerseits als Werbung für die und andererseits als Mittel zur
Profilierung der Partei.
194 Liechtensteiner Vaterland, 18.03.2009. Bericht anlässlich einer Veranstaltung, bei der
Wilfried Marxer die Wahlanalyse der Landtagswahlen 2009 präsentierte. In diesem
Zeitungsbericht heisst es: «60 Prozent der liechtensteinischen Wähler hätten Klaus
Tschütscher auch in einer Direktwahl zum Regierungschef gemacht, wäre es mög-
lich gewesen. Und für gar 97 Prozent der Wechselwähler war Klaus Tschütscher das
stärkste Motiv ihrer Stammpartei untreu zu werden.» Mehr dazu unter «II.B. Land-
tagswahlen.
195 Seit der Einführung des Proporzwahlrechts 1938 bestand bis 1997 eine Koalitions-
regierung zwischen der FBP und der VU, welche einzig zwischen 1997 und 2005
während zwei Mandatsperioden durch Alleinregierungen der Grossparteien VU
bzw. FBP abgelöst wurde. Da erst 1993 mit der FL erstmals eine weitere Partei in
den Landtag einzog, war diese Koalition über viele Jahrzehnte hinweg eine Allpar-
teienregierung (Marxer, Regierungsbildung und Wählerpräferenzen, S. 1).
steht der aktuelle Koalitionsvertrag zwischen der Vaterländischen Union
und der Fortschrittlichen Bürgerpartei, obwohl eine Koalition aufgrund
der absoluten Mehrheit der Vaterländischen Union nicht notwendig ge-
wesen wäre.196 Der Koalitionsvertrag bestimmt die Grundsätze der Zu-
sammenarbeit der Grossparteien, das Koalitionsprogramm, die Zutei-
lung von Aufgaben und Zuständigkeiten innerhalb der Koalition, die
Besetzung der Landesinstitute bei Wahlen, das allgemeine Gebaren der
Regierung sowie deren Zusammensetzung und Ressortverteilung.197
Trotz Koalitionsvertrag tritt in Liechtenstein das Phänomen auf,
dass die Grossparteien zwar gemeinsam die Regierung bilden, sich je-
doch bei ihrer Stimmabgabe im Landtag nicht an die im Regierungs -
kollegium gefundenen Kompromisse gebunden fühlen, wie es in parla-
mentarischen Demokratien zwischen Koalitionsregierung und Koali -
tionsfraktionen die Regel ist. Batliner benannte dieses Phänomen
«Ko-Opposition».198
Eine weitere Funktion von Parteien ist die Rekrutierung von poli-
tischem Personal, welches sich in Wahlen um öffentliche Ämter und
Funktionen sowohl auf Landes-, als auch auf Gemeindeebene wie Ge-
meinderatswahl oder Vorsteherwahl bewirbt.199 Diese Rekrutierungs-
funktion geht über den rein technischen Aspekt der Auswahl und Auf-
stellung von Kandidaten für Wahlämter hinaus, da die Parteien und
damit der Landtag «gewöhnlich die Rekrutierungsbasis für Regierungs-
mitglieder sowie Mitglieder anderer wichtiger Organe ist. Nicht immer,
aber sehr oft, sitzen Regierungsmitglieder vorher im Parlament. Das
Parlament ist der Ort, wo man die Qualitäten potenzieller Regierungs-
mitglieder beurteilen kann, es ist die ‹Schule der Politiker›.»200
Gleichzeitig sind die Parteien von entscheidender Bedeutung bei
der Förderung und Heranbildung sowie auch der Sozialisierung des po-
litischen Nachwuchses.201 In der Fortschrittlichen Bürgerpartei ist er als
«Junge Fortschrittliche Bürgerpartei» und in der Vaterländischen Union
als «Jugendunion» zusammengeschlossen. Die Freie Liste verfügt (noch)
105
Aufgaben der Wählergruppen
196 Befragung Frick, Marxer.
197 Koalitionsvertrag zwischen der FBP und der VU, Stand 10.03.2009.
198 Batliner, Zur heutigen Lage S. 144.
199 Schultze, S. 630.
200 Moeckli, Funktionen, S. 12.
201 Nohlen, Lexikon, S. 352.
nicht über eine solche politische Nachwuchsorganisation.202 Aufgrund
des Milizsystems besitzt die Rekrutierungsfunktion in Liechtenstein nur
eine geringe Bedeutung.203
4. Programme der Parteien
Seit der Gründung der Freien Liste 1985204 kämpfen drei Parteien um
Landtags- und Regierungsmandate: Fortschrittliche Bürgerpartei, Freie
Liste und Vaterländische Union. Die Fortschrittliche Bürgerpartei und
die Vaterländische Union können als christdemokratische Volkspar-
teien205 betitelt werden, bei denen heute kaum Unterschiede in der poli-
tischen Ausrichtung auszumachen sind, was sowohl die Statuten der
Fortschrittlichen Bürgerpartei206 und der Vaterländischen Union207 als
106
Wählergruppen, Parteien und deren Rolle im Staat
202 <www.fbp.li>, <www.freieliste.li>, <www.vu-online.li>, 06.09.2010.
203 In diesem Sinne auch Batliner, Zur heutigen Lage, S. 96 f.
204 Marxer, Wahlverhalten, S. 91.
205 In der Politikwissenschaft ist der Begriff «Volkspartei» umstritten. Doch m. E. spie-
gelt der Begriff der Volkspartei den Charakter dieser Parteien am besten, da sie nicht
nur vom eigenen Anspruch, sondern tatsächlich aufgrund deren Wähler als auch
aufgrund deren Mitgliedern für jeden offen ist und keine extremen Standpunkte ver-
treten. Auch dies belegen die Statuten.
206 Statuten der FBP vom 14.11.2000, Art. 1: «Die FBP gestaltet das öffentliche Leben
unter Bewahrung der Monarchie auf der Grundlage der christlichen Weltanschau-
ung sowie des freiheitlichen, sozialen und demokratischen Rechtsstaates zum Wohle
des ganzen Volkes mit. Die FBP richtet ihre Arbeit nach den in der Verfassung nie-
dergelegten Zielen und Grundsätzen des staatlichen Handelns sowie nach ihren
Leitlinien und ihren Programmen aus, sucht alle gesellschaftlichen und sozialen
Gruppen anzusprechen und für das politische Leben zu interessieren, setzt sich für
die Gleichberechtigung aller ein und strebt zu diesem Zwecke in allen von ihr zu be-
setzenden Funktionen und Mandaten einen Anteil von wenigstens 1/3 Frauen und
von wenigstens 1/3 Männern an.»
207 Statuten der VU vom 24.04.2006, Art. 2: «Die Vaterländische Union vereinigt
Frauen und Männer, die den engagierten und verantwortungsvollen Einsatz für
Liechtenstein mit dem Ziel einer Förderung der politischen Organisation und Auf-
klärung der liechtensteinischen Bevölkerung bezwecken. Die Grundsätze der poli-
tischen Arbeit der Vaterländischen Union sind vor allem die monarchisch-demo-
kratische Staatsform, die christliche Weltanschauung, die guten Beziehungen zu
allen Ländern – insbesondere zu unseren Nachbarstaaten, die soziale Marktwirt-
schaft, das Verstehen unserer Umwelt als unsere Mitwelt, die gepflegt und deren
Werte gesichert werden müssen, die Bewahrung der kulturellen Eigenart und Ei-
genständigkeit unseres Landes, die Schaffung und Bewahrung eines Klimas des Mit-
einander und Füreinander unter allen Gesellschaftsschichten mit gegenseitiger Tole-
auch deren Positionen in der täglichen Landtagsarbeit belegen. Dies be-
stätigt auch eine Studie, welche «die Positionierung der Landtagskandi-
dierenden 2009» untersuchte: «Die Kandidierenden von Fortschrittli-
cher Bürgerpartei und Vaterländischer Union sind im Schnitt weitge-
hend identisch ideologisch positioniert.»208 Passend hierzu war bereits
1986 in der Neuen Zürcher Zeitung zu lesen: «Die objektive, verglei-
chende Betrachtung der roten und der schwarzen Partei Liechtensteins
vom Ausland her wird dem farbenblinden Betrachter am besten gelin-
gen.»209 Unterstrichen werden diese Ausführungen durch den Koaliti-
onsvertrag zwischen den beiden Volksparteien:
«Beide Koalitionspartner vertreten eine Politik, die der gesell-
schaftlichen, ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit ver-
pflichtet ist. Die Umwelt- und Energiepolitik trägt internationalen
Entwicklungen Rechnung, berücksichtigt aber auch die Eigenhei-
ten des liechtensteinischen Lebensraumes sowie die Erfordernisse
eines qualitativen Wirtschaftswachstums. Zum Koalitionspro-
gramm gehört auch die Sicherung eines soliden Finanzhaushalts
des Landes. Die Koalitionspartner Vaterländische Union und Fort-
schrittliche Bürgerpartei stehen gemeinsam für ein zukunftsgerich-
tetes und sich kontinuierlich erneuerndes Liechtenstein.»210
Die Volksparteien betreiben eine Politik der Konsenssuche und Kom-
promissfindung. Das heisst, dass sie darauf achten, die Gunst des Volkes
zu gewinnen, indem sie keine Extrempositionen einnehmen und gleich-
zeitig die Interessen der breiten Masse aufzugreifen versuchen. Damit
greifen gerade die Volksparteien «jene Forderungen auf, die Unterstüt-
zung, das heisst Wählerstimmen, verheissen».211 Damit betreiben die
Volksparteien eine opportunistische Politik.
Werden dagegen die Statuten der Freien Liste betrachtet, dann ist
die Nichtnennung der Monarchie gegenüber den Statuten der Volkspar-
107
Programme der Parteien
ranz und Achtung unter Respektierung demokratischer Entscheide und geltender
Rechtsvorschriften, Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit.»
208 Frick, S. 58.
209 Neue Zürcher Zeitung, 25./26.01.1986, Nr. 20, S. 36.
210 Koalitionsvertrag, zwischen der Vaterländischen Union (VU) und der Fortschrittli-
chen Bürgerpartei (FBP), Stand 10.03.2009, S. 2 f.
211 Moeckli, Funktionen, S. 4.
teien auffallendstes Merkmal.212 Die Freie Liste betitelt die anderen Par-
teien als bürgerlich-konservativ-traditionalistisch, wovon sie sich klar
distanzieren will als eine «Alternative für alle weltoffenen, fortschrittlich
denkenden und sich politisch unabhängig fühlenden Menschen in die-
sem Land, denen eine sozial, demokratisch und ökologisch ausgerichtete
Politik wichtig ist».213 M. E. ist es aufgrund ihrer Statuten zutreffend, sie
als die grün-soziale Partei214 zu betiteln. Dennoch nimmt auch die Freie
Liste keine Extrempositionen ein, da sie und damit «alle drei Parteien
eher gemässigte Positionen vertreten».215 Seit der Gründung versucht die
Freie Liste dennoch und trotz ihrer vergleichsweise kleinen Anhänger-
schaft216 das liechtensteinische Politikgeschehen zu beleben, indem sie
sich von den anderen Parteien distanziert und sich für Benachteiligte
einsetzt.217 Dies gelang ihr 2005 am besten, als sie drei Landtagsmandate
erhielt.218 Doch auch sie konnte bislang nicht die hegemoniale Stellung
108
Wählergruppen, Parteien und deren Rolle im Staat
212 Statuten der FL vom 04.06.2007, Art. 2: «Die Freie Liste ist eine basisdemokratisch
organisierte, gesellschaftlich emanzipatorisch wirkende Partei, die sich in Liechten-
stein am politischen Willensbildungsprozess beteiligt. Die Freie Liste tritt für eine
friedliche, humane und solidarische Gesellschaft ein. Sie setzt sich vorrangig für so-
ziale Gerechtigkeit, eine umfassende Demokratisierung der Gesellschaft, die
Gleichstellung der Geschlechter und eine Vertiefung des ökologischen Bewusstseins
ein. Die Freie Liste lehnt jede Form von gesellschaftlicher Ausgrenzung sowie Dis-
kriminierung aufgrund von Religion, Ethnie, Geschlecht, Lebensform oder Weltan-
schauung ab.»
213 FL-Info, 01/2009, S. 2.
214 Liechtensteiner Vaterland, 18.03.2009. Bericht anlässlich einer Veranstaltung, bei der
Wilfried Marxer die Wahlanalyse der Landtagswahlen 2009 präsentierte.
215 Frick, S. 42.
216 <www.landtagswahlen.li>, 12.04.2009: Bei den Wahlen 2009 erhielt sie 17 835 (8,9
Prozent), die FBP 86 951 (43,5 Prozent) und die VU 95 219 (47,6 Prozent) Partei-
stimmen.
217 Dies bestätigt auch der Bericht im Liechtensteiner Vaterland vom 18.03.2009 (S. 3)
anlässlich einer Veranstaltung, bei der Wilfried Marxer die Wahlanalyse der Land-
tagswahlen 2009 präsentierte: «Im Programm unterscheiden sich Liechtensteins
Grossparteien – die VU und FBP marginal; «deshalb gibt es zwischen deren Wäh-
lern kaum Differenzen in Sachfragen», habe auch die jüngste Befragung ergeben.
Die FL hingegen, deren typische Wähler eher jünger und besser gebildet sind, als
der Durchschnitt der Bevölkerung, habe von Beginn an versucht, als Programmpar-
tei Profil und Stimmen zu gewinnen. Sie werde – und das von Mal zu Mal mehr –
als deutlich links von der Mitte wahrgenommen, «als weiter weg vom Mainstream»
als FBP und VU mit ihrer traditionell Mitte-rechtsausrichtung gelten.»
218 Chronologie 20 Jahre Freie Liste, August 2005, S. 11
(<www.freieliste.li>, 10.06.2009). Details über die Landtagswahlen ab dem Jahr
2001 können unter <www.landtagswahlen.li> nachgelesen werden.
der Volksparteien brechen, was auch ihr Abschneiden bei den Landtags-
wahlen 2009 belegt, als sie nur knapp die Sperrklausel von acht Prozent
erreichen konnte.219
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Volkspar-
teien eine opportunistische Politik betreiben und «sehr nah beieinander
im knapp linken, knapp konservativen Bereich liegen. Die Kandidieren-
den der Freien Liste positionieren sich deutlich linker und liberaler.»220
5. Parteien und Landtagsmandat
Das Landtagsmandat ist die durch die Landtgswahl erteilte Vertretungs-
befugnis an den Gewählten durch den Wähler.221 Gemäss Art. 54 LV ha-
ben sich die Abgeordneten an die Staatsverfassung und die bestehenden
Gesetze zu halten und im Landtag «das Wohl des Vaterlandes ohne Ne-
benrücksichten nach bestem Wissen und Gewissen zu fördern». Im
Landtag stimmen die Abgeordneten einzig nach ihrem Eid und ihrer
Überzeugung ab (Art. 57 LV). Damit ist der Abgeordnete nicht an Auf-
träge und Weisungen der Parteien oder der Wähler gebunden. Er «schul-
det eine an der verfassungsmässigen Ordnung, an Gesetz und Recht ori-
entierte Amtsführung».222
Wird diese Bestimmung in den Kontext mit den Parteien in Liech-
tenstein gestellt, dann sollte das politische Schaffen eines Abgeordneten
nicht durch «Weiss», «Schwarz» oder «Rot» und damit nicht durch die
Parteien (vor-)bestimmt sein, weil der Abgeordnete nur der Verfassung
und dem Wohle Liechtensteins verpflichtet ist. Dies steht ganz im Sinne
einer Aussage von Deng Xiaoping: «Es ist ganz gleich, ob eine Katze
schwarz oder weiss ist, solange sie Mäuse fängt, ist sie eine gute
Katze.»223
109
Parteien und Landtagsmandat
219 <www.landtagswahlen.li>, 10.06.2009. Im Jahre 2009 erhielt die FL lediglich 8,9
Prozent der Stimmen.
220 Frick, S. 42.
221 Schüttemeyer, Mandat, S. 507.
222 Lenz, S. 27.
223 Deng Xiaoping (1904–1997) war chinesischer Politiker und galt auch nach Abgabe
seines letzten offiziellen Führungsamtes (1990) als der politisch einflussreichste
Mann in China. Er tätigte diese Aussage nach dem Ende der Kulturrevolution
(1966–1969) in China.
Andernfalls besteht die Gefahr, «dass ein der selbständigen Ent-
scheidungsgewalt beraubter, von dem Willen eines anderen abhängiger
Abgeordneter irgendwie eine capitis deminutio erleidet, die ihn letztlich
zum Sendboten degradiert und seiner eigenen Werthaftigkeit und damit
seines repräsentativen Charakters entkleidet».224
Die in der Verfassung festgehaltene Freiheit des Mandats kann aber
die in der parlamentarischen Praxis übliche tatsächliche Bindung des
Abgeordneten an die Fraktion und Partei nicht ausschliessen, weil «das
theoretisch freie Mandat der Landtagsabgeordneten informell einem
Fraktionszwang unterliegt. Es kommt nicht selten vor, dass die Fraktio-
nen geschlossen abstimmen».225
Die Bindung der Abgeordneten an ihre Fraktion bzw. Partei wird
im Landtag gepflegt, indem Abgeordnete nicht nur Repräsentanten des
Volkes sind, «sondern sie sind auch zu Repräsentanten der Parteien ge-
worden und diese erheben den Anspruch der Kontrolle gegenüber ihren
Abgeordneten».226 Verstärkt tritt dies dann in Erscheinung, wenn eine
Partei die absolute Stimmenmehrheit hat. Üblicherweise ist sich eine sol-
che Partei über einen Verhandlungsgegenstand intern einig, weshalb die
Diskussion im Plenum von vornherein obsolet ist, da – ausser im Falle
einer Verfassungsänderung – durch die Mehrheitsverhältnisse keine an-
dere Partei die Chance hat, ihren divergierenden Standpunkt durchzu-
setzen.227 Gerard Batliner hält zur Parteipolitik fest:
«Wahrhaftigkeit ist das Fundament des Umganges im öffentlichen
wie im privaten Leben, lebenswichtig für die Demokratie. Sonst
verpasst man einander und verpasst die Sache. Mir scheint, dass
neue Formen des Wettbewerbs der Parteien gefunden werden müs-
sen, mit intensiver Aufrichtigkeit, radikaler Sachlichkeit, mit Auf-
einanderhören, mit Zusammenarbeit wie mit klarer Opposi-
tion.»228
Indem die Abgeordneten in den Landtagssitzungen oft die Parteilinie
vertreten, ist das Plenum zum Ort der Platzierung von Parteimei nungen
110
Wählergruppen, Parteien und deren Rolle im Staat
224 Leibholz, S. 349.
225 Marxer, Parlamentarismus, S. 55.
226 Allgäuer, S. 70.
227 Siehe dazu die LTP des Jahres 2009.
228 Batliner, Liechtenstein, S. 130 f.
geworden. Zu selten wird ein Thema parteiübergreifend und sachlich be-
handelt und zu oft nehmen die Volksparteien prinzipiell gegensätzliche
Positionen ein. Dadurch wird eine produktive und sachliche Landtagsar-
beit gehemmt. Allerdings wäre eine Zusammenarbeit opportun, denn
keine Partei kann «die Probleme allein erfassen oder bewältigen».229 Aber
nicht nur die Institution Landtag, sondern auch das politische Selbstver-
ständnis der Abgeordneten leidet, weil durch die praktizierte Parteidis-
ziplin das (positive) Bewusstsein für ihre Rolle als Landtagsabgeordnete
nicht gefördert wird. In der Institution Landtag sind sie Teil eines 25-
köpfigen Gremiums, welches Entscheidungen mit grundlegenden Kon-
sequenzen für Liechtenstein fällt. Jeder Landtagsabgeordnete ist nicht
der Partei, sondern dem Gemeinwohl verpflichtet.230 Dementsprechend
sollte nicht die Partei, sondern der Abgeordnete selbst bestimmen, wie er
sein Mandat wahrnimmt. Die Richtschnur sollte das Verantwortungsbe-
wusstsein und die Gewissenhaftigkeit des Abgeordneten sein.231
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Volkspar-
teien das Politikgeschehen stark beeinflussen. Sie betreiben eine oppor-
tunistische Politik mit starker Parteidisziplin und fördern einen Partei-
zwang.
Es stellt sich abschliessend die Frage, ob eine Partei Möglichkeiten
besitzt, ihre Abgeordneten zu disziplinieren. Ein Abgeordneter, welcher
sich nicht an die Parteilinie hält, könnte parteiintern etwa mit einer
Nichtbenennung für Kommissionen oder Delegationen sanktioniert
werden, oder er wird, als drakonischste Massnahme, aus der Partei aus-
geschlossen. Der Abgeordnete ist aber weder durch die Verfassung noch
durch die Geschäftsordnung verpflichtet, bei Fraktionswechsel sein
Mandat niederzulegen. Demzufolge könnten Abgeordnete, die mit ihrer
Partei unzufrieden sind, sich einer anderen Partei anschliessen, eine neue
Fraktion bilden (mindestens drei Abgeordnete), eine neue Partei grün-
den oder partei- oder fraktionsunabhängig bleiben, ohne ihr Landtags-
mandat zu verlieren. Für Letzteres hat sich Harry Quaderer entschie-
den, als er im Jahr 2010 aus der Vaterländischen Union austrat und seit-
her als einziger Parteiunabhängiger sein Landtagsmandat wahrnimmt.
111
Parteien und Landtagsmandat
229 Batliner, Liechtenstein, S. 71.
230 Lenz, S. 26.
231 Geiger, Abgeordnete, S. 104.
6. Neue Parteien?
Den bisherigen Ausführungen zu den Parteien folgend, könnten neue
Parteien das Politikgeschehen positiv beeinflussen. Würde die hegemo-
niale Stellung der Volksparteien durchbrochen, müsste im Plenum wie-
der vermehrt um bessere Argumente «gekämpft» werden. Denn gerade
das Gebaren der Volksparteien führt «zur Entideologisierung und Prag-
matisierung»232 von Politik. Gleichzeitig birgt der einer Volkspartei im-
manente Charakter einer «Plattform-, Intergrations- oder Rahmen- und
Sammelpartei die Gefahr der Anpassung an den Status quo, der Aus-
höhlung echter Gegensätze, ihrer Kartellisierung und des Verlustes kla-
rer politischer Alternativen mit sich».233
Ob es in Zukunft neue Parteien geben wird, ist fraglich. Grösstes
Hindernis stellt die Sperrklausel dar, laut der eine Partei bei Landtags-
wahlen acht Prozent der Wählerstimmen erreichen muss (Art. 46 Abs. 3
LV). Selbst die Freie Liste, welche seit 1985 besteht, konnte im Jahr 2009
die acht Prozent nur knapp erreichen.234
Zudem weist Liechtenstein generell eine hohe Wahlbeteiligung
auf.235 Deshalb könnten neue Parteien kaum neue Wähler mobilisieren,
sondern müssten Wähler anderer Parteien abwerben und dabei ihre Vor-
züge proklamieren, was eine Kritik der Ist-Situation bedingt. Aus die-
sem Grund müsste eine neue Partei für einen Wechsel einstehen. Dies
stellt bei einer zwar ansteigenden, aber immer noch geringen Anzahl an
Wechselwählern ein schwieriges Unterfangen dar.236 Denn gerade in
Liechtenstein weist die Wählerschaft «immer noch sehr hohe und ver-
mutlich auch sehr stabile Parteibindungen auf. Entsprechend gering sind
nicht nur die im Aggregat festgestellten Stimmenverschiebungen, son-
dern auch der in der Nachwahlbefragung registrierte Anteil an Wechsel-
wählerInnen. Die Stabilitätsmomente überwiegen die Volatilität bei wei-
tem.»237 Zusätzlich erschwerend ist die moderate Einstellung der Wäh-
112
Wählergruppen, Parteien und deren Rolle im Staat
232 Kluxen, S. 347.
233 Kluxen, S. 347.
234 <www.landtagswahlen.li>, 26.08.2010.
235 <www.landtagswahlen.li>, 14.05.2009: Die Wahlbeteiligung bei den Landtagswah-
len betrug im Jahr 2009 84,6 Prozent, 2005 86,5 Prozent und 2001 86,7 Prozent.
236 Befragung Marxer.
237 Marxer, Wahlverhalten, S. 365.
ler, die kaum für grundlegende Veränderungen, wie neue Parteien, emp-
fänglich sind.238
Dies bestätigt Waschkuhn. Seiner Meinung nach sind vor allem die
Grossparteien an der Beibehaltung am Status quo interessiert, während
«opponierende Gruppen marginalisiert oder aber kooptiert werden und
gleichzeitig darauf Bedacht nehmen müssen, dass extreme Lösungsvor-
schläge und ungewöhnliche Polarisierungen nicht der liechtensteini-
schen Mentalitätsstruktur entsprechen und demnach mehrheitsunfähig
sind».239
Dazu stellt sich die Frage, wie eine neue Partei potenzielle Wähler
überhaupt erreichen könnte, da ihr kein dermassen omnipräsentes Me-
dium wie eine täglich erscheinende (Partei-)Zeitung zur Seite stehen
würde. Überhaupt würde sie von den Landeszeitungen wohl eher
schlechte als rechte Unterstützung erhalten. Dazu gibt es zwar Alterna-
tiven wie Radio, Plakate, Internetauftritte oder gar ein eigenes Informa-
tionsblatt, doch sind diese meistens sehr kostenintensiv. Zudem wäre die
Anzahl der Adressaten im Verhältnis zu den Landeszeitungen der Volks-
parteien beschränkt.
Die Erläuterungen zur Rolle der politischen Parteien in Liechten-
stein verdeutlichen die hohen Hürden, die potenzielle Parteien über-
springen müssen. Sie belegen aber auch, dass unzufriedene Wähler für
einen Wechsel eintreten können und die Anzahl an Wechselwählern zu-
nimmt.240 Dabei «bedeutet ein Wechsel von einer Grosspartei zur ande-
ren keinen wirklichen Richtungswechsel. Ein politischer Wechsel erfolgt
hauptsächlich, wenn jemand statt einer Volkspartei Freie Liste wählt
oder umgekehrt.»241 Bei den Landtagswahlen 2009 schien aber die Freie
Liste aufgrund von Loyalitätsmängeln242 keine Alternative zu den Volks-
parteien zu sein, weshalb neue Parteien bereits 2009 die Landtagswahlen
durchaus stark beeinflussen hätten können.
113
Neue Parteien?
238 Befragung Marxer.
239 Waschkuhn, 1994, S. 278.
240 Marxer, Wahlverhalten, S. 164 f.
241 Marxer, Einflüsse Verfassungsabstimmung, S. 17.
242 Wilfried Marxer, Vortrag zum Thema «Parteien und Landtagswahlen 2009», zitiert im
Liechtensteiner Vaterland, 04.05.2010, S. 3: «Noch weniger allerdings kommen Loya-
litätsmängel beim Wähler an: Ihr geringes Verständnis für das Auftreten der FL-Par-
teispitze während der Finanzplatzkrise brachten Liechtensteins Stimmbürger deut-
lich zum Ausdruck. Die grün-soziale Partei verlor zwei von drei Sitzen im Landtag.»
7. Die Parteimedien
Unter «Parteiorgan» können zwei verschiedene Bereiche verstanden
werden: Einerseits die verschiedenen Gremien einer politischen Partei,
wie zum Beispiel der Vorstand, und andererseits die Medien einer poli-
tischen Partei, insbesondere die Parteizeitung.243 An dieser Stelle wird
auf diese medialen Organe der liechtensteinischen Parteien eingegangen.
In der Regel wird eine Parteizeitung von einer bestimmten politi-
schen Partei herausgegeben. Darin widerspiegelt sich die Hauptaufgabe
eines Parteimediums. Diese liegt darin, Informationen und Meinungen
der Partei nach aussen zu tragen.
Die beiden Grossparteien werden von jeweils einer Landeszeitung
unterstützt: die Fortschrittliche Bürgerpartei vom «Liechtensteiner
Volksblatt» und die Vaterländische Union vom «Liechtensteiner Vater-
land». Die Freie Liste bedient sich ihres Parteiblatts «FL-Info», mit wel-
chem sie einerseits Werbung in eigener Sache macht und andererseits
ihre Meinung kundtut und auf Missstände hinweist. Demnach ist diese
Publikation unbestritten als mediales Parteiorgan anzusehen. Ob nun
die Landeszeitungen in ähnlichem Ausmass der Partei dienen und eben-
falls zu 100 Prozent Parteiorgane sind, muss erst erläutert werden.
Das Liechtensteiner Vaterland und seine Magazine gehört ebenso
zur Vaduzer Medienhaus AG wie die Sonntagszeitung «Liewo», die
Wirtschaftswochenzeitung «Wirtschaft regional», das Kultur-Monats-
magazin «KuL», die Internet-Plattform «Vaterland online» und die
«LiePlakate».244 Es lässt sich klar festhalten, dass das Liechtensteiner Va-
terland zu 100 Prozent Parteiorgan der Vaterländische Union ist, was
Verlagsleiter Daniel Quaderer in der Vaterland-Ausgabe vom 24.6.2009
bestätigte: «Die Vaduzer Medienhaus AG ist eine gewinnorientierte und
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unterworfene Unternehmung. Sie
gehört zu 100 Prozent der Stiftung Vaterländische Union und hat dieser
in den letzten Jahren zugunsten der Vaterländischen Union massgebliche
Mittel zur Finanzierung der Partei ausschütten können.»245
114
Wählergruppen, Parteien und deren Rolle im Staat
243 Nohlen, Partei, S. 628 ff; Koja, S. 235 f.
244 Liechtensteiner Vaterland, 24.06.2009, S. 3; anlässlich eines Artikels von Verlagslei-
ter Daniel Quaderer zum Führungswechsel im Vaduzer Medienhaus.
245 Liechtensteiner Vaterland, 24.06.2009, S. 3.
Beim Liechtensteiner Volksblatt kann nicht von einem 100-prozen-
tigen Parteiorgan die Rede sein, da das Liechtensteiner Volksblatt nicht
der Fortschrittlichen Bürgerpartei gehört. Hauptaktionär des Liechten-
steiner Volksblatts ist Eugen A. Russ, österreichischer Staatsbürger und
Geschäftsführer des «Vorarlberger Medienhaus G.m.b.H.».246 Die politi-
sche Berichterstattung ist deshalb aber nicht neutraler, obwohl im Jahr
2012 der Chefredaktor (Heinz Zöchbauer), der leitende Redaktor (Lucas
Ebner) und der Chefreporter (Michael Benvenuti) allesamt österrei-
chische Staatsbürger sind und ihnen damit die (politisch) tiefe Verwurze-
lung mit dem Politikgeschehen Liechtensteins und der Fortschrittlichen
Bürgerpartei eigentlich fehlen müsste.
Wollte man diese Thematik aufgrund der geschichtlichen Entwick-
lung erklären, dann ist festzustellen, dass die Fortschrittliche Bürgerpar-
tei aus dem Liechtensteiner Volksblatt hervorgegangen ist, während aus
der Vaterländischen Union das Liechtensteiner Vaterland entstanden ist.
Die Fortschrittliche Bürgerpartei kann als «Zeitungspartei» und das
Liechtensteiner Vaterland als «Parteizeitung» bezeichnet werden.247
Es stellt sich nun die Frage, wie viele Leser das jeweilige Parteior-
gan erreicht. Das «FL-Info» hat pro Ausgabe eine Auflage von 18 000
Stück und erschien in den Jahren 2001 bis 2009 durchschnittlich 4,6 mal
pro Jahr.248 Damit erreichte das FL-Info in den neun Jahren durch-
schnittlich 82 800 Leser im Jahr. Um die Auflage des Liechtensteiner Va-
terlands und des Liechtensteiner Volksblatts zu erhalten, muss auf eine
von der Wemf AG249 durchgeführte Statistik zurückgegriffen werden.
Diese wurde sowohl im Liechtensteiner Vaterland als auch im Liechten-
steiner Volksblatt am 24. März 2009 veröffentlicht. Die Statistik brachte
zu Tage, dass beide Zeitungen täglich von jeweils 19 000 Personen gele-
sen werden.250 Das heisst, in einer Woche erreicht jede Parteizeitung
115
Die Parteimedien
246 <www.medienhaus.at/unternehmen_chronik.htm>, 25.08.2010.
247 Wille, Parteien, S. 64 ff.
248 <www.freieliste.li/FLInfoundmehr/FLInfo/tabid/369/Default.aspx>, 25.08.2010.
249 <www.wemf.ch/de/company/taetigkeit.php>, 06.08.2009: «Die zentrale Aufgabe
der WEMF ist die systematische, kontinuierliche und neutrale Erhebung des Lese-
verhaltens und des Internet-Nutzungsverhaltens der in der Schweiz wohnhaften
Bevölkerung. Sie führt ausserdem noch weitere Aufträge durch. Die WEMF ist für
eine Vielzahl von Tätigkeiten verantwortlich, die alle dem Betriebszweck ‹Schaffung
von Transparenz im Werbe- und Mediennutzermarkt› dienen.»
250 Liechtensteiner Vaterland bzw. Liechtensteiner Volksblatt, jeweils in deren Ausgabe
vom 24.03.2009, S. 3 bzw. S. 5.
mehr Leser als die Freie Liste im ganzen Jahr. Diese hohe Anzahl an Le-
sern bestätigt die herausragende Stellung der Parteiorgane und bekräftigt
deren Wichtigkeit für die Grossparteien.
Als Parteiorgane stellen die beiden Tageszeitungen das politische
Geschehen einseitig und im Parteiinteresse dar. «Auf Seiten der Journa-
listen wird vor diesem Hintergrund eine Form der Selbstzensur geübt.
[. . .] Hinter den Medien wird auf Seiten der Tageszeitungen mit Recht
eine von der jeweiligen Partei anhängige Meinung und Interessenlage
vermutet.»251 So ist es notwendig, jeweils beide Zeitungen zu lesen, um
zumindest politisch objektiver informiert zu sein. Dies kann aber bei
geradezu übertrieben einseitiger Berichterstattung verwirrend sein. Als
Beispiel dafür sei die Landtagssitzung vom 27. Mai 2009 genannt, worü-
ber das Liechtensteiner Volksblatt folgendermassen berichtete: «Vater-
ländische Union blockiert, Sportschule bleibt ein Schulversuch.»252 Das
Liechtensteiner Vaterland sah die Sache anders: «Die Sportschule ist ge-
sichert.»253 Oder ein Beispiel aus dem Jahr 2010: «Erfolgreicher Tag fürs
Volk»254 prangt auf dem Titelblatt des Liechtensteiner Volksblatts, wäh-
rend das Liechtensteiner Vaterland zum selben Sachverhalt mit der
Schlagzeile «Fortschrittliche Bürgerpartei agiert fahrlässig»255 titelte.
Durch solche Aufmacher der Landeszeitungen wird erkennbar,
wie verschieden über politische Angelegenheiten berichtet wird und
wie stark versucht wird, den parteipolitischen Gegner in schlechtes
Licht zu rücken. Dadurch herrscht in Liechtenstein «ein wahrer Ana-
chronismus»,256 was unter anderem von Batliner und Wachkuhn kriti-
siert wird. Batliner: «Die Presse hat es nicht leicht. Sie sollte als Partei-
presse den Gegner bekämpfen, und sie sollte informieren. Wer die Zei-
tung zur Hand nimmt, ist nicht sicher, ob er auch wirklich informiert
oder bloss einseitig beeinflusst wird.»257 Mit den Worten von Wasch-
kuhn: «Die ‹Etatisierung› der beiden grossen Parteien hat zu einer rhe-
torischen Flucht in die lediglich verbal mobilisierende Attitüde geführt,
116
Wählergruppen, Parteien und deren Rolle im Staat
251 Marxer, Medien, S. 300.
252 Liechtensteiner Volksblatt, 28.05.2009, S. 1.
253 Liechtensteiner Vaterland, 28.05.2009, S. 1.
254 Liechtensteiner Volksblatt, 17.03.2010, S. 1.
255 Liechtensteiner Vaterland, 17.03.2010, S. 1.
256 Marxer, Parlamentarismus, S. 55.
257 Batliner, Liechtenstein, S. 130 f.
wie sie in den Landes- qua Parteizeitungen zum Ausdruck kommt, die
gebetsmühlenartig bestimmte Parolen und Standpunkte reproduzieren,
ohne überhaupt eine wirkliche Auseinandersetzung mit abweichenden
Meinungen in einem argumentativen Sinne zu suchen oder einmal zu
erproben.»258
Auch Joachim Batliner, der sich mit dem Pressegebaren Liechten-
steins eingehend auseinandergesetzt hat, kritisiert die aktuelle Presse-
landschaft. Er merkt an, dass die liechtensteinischen Tageszeitungen da-
für verantwortlich gemacht werden, «dass wegen ihrer mangelhaften
Leistung das politische System Liechtensteins – die Demokratie zumin-
dest als ein wichtiges Teilsystem – nicht funktioniere. [. . .] Die demokra-
tische Struktur braucht strukturierte Medien, transparente Medien, die
Demokratie muss von den Medien mitgestaltet werden. Sie ist Grund-
lage der Medien und gleichzeitig ihr Ziel.»259 Er verlangt dabei von den
liechtensteinischen Medien, dass sie «eine Identität haben [. . .] – aber es
scheint zu viel verlangt zu sein. [. . .] Denn das weiss man: Objektivität
gehört zu den identitätsstiftenden Merkmalen eines modernen Medi-
ums. Dieses behauptete Merkmal wird bei jeder sich bietenden Gelegen-
heit für einen Meistbietenden über Bord geworfen. Da sind alte Freund-
schaften zwischen Wirtschaft, Partei und Verlag zu pflegen.»260
Gerade diese Unabhängigkeit und Subjektivität der Tageszeitungen
wird von Joachim Batliner, wohlwissend, «dass in Liechtenstein der
Umgang mit einer freien Presse noch nie geübt worden ist, stark kriti-
siert».261 Deshalb wünscht er sich eine lebendige Medienlandschaft, in
der um politische Positionen gerungen wird, vor allem aber unabhängige
Medien.262 Durch sie könnte der politische Diskurs gewinnen, indem
sich Politikinteressierte erstmals tatsächlich über das Politikgeschehen
informieren könnten. Denn unabhängige Berichterstattung und Bewer-
tung der Politik setzen der Parteipolitik Grenzen und erleichtern dem
Bürger das Urteil. Es wäre schon ein Gewinn, wenn das Naheverhältnis
der Tageszeitungen zu den Parteien wenigstens gelockert wäre.263 Davon
117
Die Parteimedien
258 Waschkuhn, 1994, S. 276.
259 J. Batliner, Presse, S. 9.
260 J. Batliner, Presse, S. 9 f.
261 J. Batliner, Presse, S. 12.
262 J. Batliner, Presse, S. 12.
263 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 165.
könnte auch die Landtagsarbeit insgesamt profitieren. «Solange die Me-
dien so sind, wie sie sind, und solange die Wähler die Medienpräsenz
durch Wahl honorieren, solange werden Parlamentarier zum Fenster hi-
naus reden.»264 Auch wenn dies für Liechtenstein nicht unisono zutref-
fend ist, wird der Zusammenhang zwischen (Partei-)Medien und dem
Parlament deutlich. Eine unabhängige und objektive Zeitung oder allen-
falls auch eine vom Landtag für jeden Monat erscheinende Lektüre zum
aktuellen politischen Geschehen im Landtag wäre wünschenswert.
8. Finanzierung der Parteien
Die private Parteienfinanzierung erfolgt in Liechtenstein «im Stillen», da
die Liechtensteinische Rechtsordnung keine Vorschriften über die Of-
fenlegung von Wahlkampfkosten und Spenden kennt. Aus diesem
Grund werden an dieser Stelle nur die staatliche Parteienfinanzierung
sowie die staatliche Förderung der Parteipresse erläutert.
Wählergruppen erhalten vom Staat verschiedene Beiträge. Als Ers-
tes sind die direkten Beiträge des Landes an die Parteien zu nennen. Sie
erhalten Beiträge für Zwecke der politischen Bildung, der Öffentlich-
keitsarbeit und der Mitwirkung an der politischen Willensbildung. Vo-
raussetzung ist, dass die jeweilige Partei im Landtag vertreten ist oder bei
der letzten Landtagswahl in beiden Wahlkreisen auftrat und dabei insge-
samt mindestens 3 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen erreicht hat
(Art. 1 Parteien-BeiträgeG).265 Die Höhe des Beitrages richtet sich nach
den jeweils bei den letzten Landtagswahlen erzielten Anteilen an den
Wählerstimmen im Verhältnis zu den anderen Parteien. Nach diesem
Verhältnis werden dann CHF 810 000 auf die Parteien aufgeteilt (Art. 3
Abs. 1, 2 Parteien-BeiträgeG). Zusätzlich zu diesem Anteil erhält jede im
Landtag vertretene Partei einen Pauschalbetrag von jährlich CHF 60 000
(Art. 3 Abs. 3 Parteien-BeiträgeG).
Zusätzlich erhalten die im Landtag vertretenen Wählergruppen ei-
nen Grundbeitrag in der Höhe von CHF 10 000 sowie CHF 5000 pro
ordentlichen Abgeordneten (Art. 12a BezügeBeiträgeG).
118
Wählergruppen, Parteien und deren Rolle im Staat
264 Riklin/Moeckli, S. 23.
265 Gesetz vom 28.06.1984 über die Ausrichtung von Beiträgen an die politischen Par-
teien (Parteien-BeiträgeG), LGBl 1984/31.
Die Rolle der medialen Parteiorgane wurde bereits dargestellt und
auf deren Wichtigkeit für die Parteien hingewiesen. Dass durch das Me-
dienförderungsgesetz266 die Medienunternehmen einen Medienförde-
rungsbeitrag erhalten, macht sich deshalb nicht zuletzt auch für die
Grossparteien bezahlt. Denn förderungsberechtigt sind grundsätzlich
Medienunternehmen, die ein periodisches Medium publizieren, wobei
zusätzliche Anforderungen, wie etwa ein zehnmaliges Erscheinen pro
Jahr, an das Medium gestellt werden (Art. 4 MFG).267 Das Parteiorgan
der Fortschrittlichen Bürgerpartei (Liechtensteiner Volksblatt) sowie
dasjenige der Vaterländischen Union (Liechtensteiner Vaterland) kön-
nen diesen Anforderungen genügen. Doch die Hürde von zehn Ausga-
ben pro Kalenderjahr sowie das Erfordernis eines hauptberuflichen Me-
dienmitarbeiters ist für das Parteiorgan der Freien Liste zu hoch, wes-
halb es sehr zum Ärgernis der Freien Liste durch die Maschen des
Mediengesetzes fällt.268
Indem die Organe der Freien Liste keine Medienförderung erhal-
ten, zementieren die beiden Grossparteien mit Hilfe des von ihnen be-
herrschten Staates die Medienstrukturen. Das widerspricht der Mei-
119
Finanzierung der Parteien
266 Medienförderungsgesetz (MFG) vom 21.09.2006, LGBl 2006, Nr. 223.
267 Das Medium muss gemäss Art. 4 AbS. 1 MFG ständig und in bedeutendem Umfang
Nachrichten, Analysen, Kommentare und Hintergrundinformationen zu politi-
schen Themen und Ereignissen in Liechtenstein enthalten, einen wesentlichen Bei-
trag zur öffentlichen Meinungsbildung in Liechtenstein leisten, den Inhalt überwie-
gend in journalistisch-redaktionell verarbeiteter Form verbreiten, mindestens zehn
Mal pro Kalenderjahr erscheinen und für die inhaltliche Gestaltung muss mindes-
tens ein hauptberuflicher Medienmitarbeiter sorgen. Das Medium ist von der För-
derung dennoch ausgeschlossen, wenn es über 50 Prozent entgeltliche Veröffentli-
chungen aufweist, thematisch vorwiegend einen bestimmten Personenkreis an-
spricht (Mitglieder, Mitarbeiter, Kunden, Fachkreise und dergleichen), vorwiegend
religiösen oder radikal-ideologischen Inhalts ist oder auf anderer Grundlage bereits
mit staatlichen Mitteln gefördert wird (Art. 4 MFG).
268 Das FL-Info erschien in den Jahren 2001 bis 2009 durchschnittlich 4,6 mal pro Jahr.
In der Ausgabe 3/2006 des FL-Info ging die FL auf die Landtagsdiskussion um die
Medienförderung am 21.09.2006 ein und kritisiert das MFG de lege ferenda mit den
Worten: «Die beiden Regierungsparteien halten zusammen wie Pech und Schwefel,
wenn es einen neuen Topf zu plündern gibt. Und: die kleine Oppositionspartei soll
sich bitte ruhig verhalten, sonst folgt die Strafe auf den Fuss. ‹Periodizität› wird von
den beiden Mächtigen im Staat definiert. Der Antrag der Freien Liste, vier statt acht
Ausgaben pro Jahr herauszugeben, um in den Genuss der Medienförderung zu
kommen, mündete sofort in einen Gegenantrag, der noch zwei Ausgaben drauf
setzte. Mit 15 Stimmen wurde dieser Antrag durch das Parlament angenommen.»
nungsäusserungsfreiheit in einem objektivrechtlichen Sinne, da diese in
der gesamten Rechtsordnung zu achten ist.269 Der Staat hat dafür Sorge
zu tragen, dass die Meinungsäusserungsfreiheit und damit auch die Pres-
sevielfalt gewahrt werden und dass auch kleine Gruppen an den Medien
teilhaben können.270 Faktisch wirkt aber das Medienförderungsgesetz
mit dessen Kriterien dem Meinungspluralismus entgegen. Dies ist ver-
fassungsrechtlich problematisch.
Liechtenstein hat im Jahr 2007 Medienförderungen von insgesamt
CHF 1 385 236 ausbezahlt.271 Falls Medien die Voraussetzungen des Me-
dienförderungsgesetzes erfüllen können, können sie stark davon profi-
tieren. Vor allem die Medienunternehmen hinter den Grossparteien be-
anspruchen die grössten Stücke dieses Kuchens für sich. Wie oben be-
schrieben gehört das Liechtensteiner Vaterland als der wichtigste Teil der
Vaduzer Medienhaus AG zu 100 Prozent der Stiftung der Vaterländi-
schen Union und hat der Partei massgebliche finanzielle Mittel zur Fi-
nanzierung ausgeschüttet, für die zu einem Teil das Land Liechtenstein
aufkommt.272 Zwar nicht im selben Ausmass, aber dennoch profitiert
auch die Fortschrittliche Bürgerpartei von der Medienförderung an das
Liechtensteiner Volksblatt. Somit kann zusammengefassend festgehalten
werden, dass die Grossparteien durch das Medienförderungsgesetz vom
Land Liechtenstein stark unterstützt werden. Sie, wie auch die Freie
Liste erhalten aber auch eine direkte finanzielle Unterstützung durch die
Parteienbeiträge.
120
Wählergruppen, Parteien und deren Rolle im Staat
269 Fleiner-Gerster, S. 378. Gemäss Fleiner-Gerster steht die Meinungsäusserungsfrei-
heit vor allem auch in engem Zusammenhang mit dem Ausbau der politischen
Rechte und ist Voraussetzung für demokratische Entscheidungsprozesse (Fleiner-
Gerster, S. 101).
270 Häfelin/Haller/Keller, S. 79; Fleiner-Gerster, S. 28, 112.
271 Landtag, Regierung und Gerichte 2007, 331. Dabei entfielen insgesamt CHF
850 000 auf die direkte Medienförderung. Die indirekte Medienförderung betrug für
die Aus- und Weiterbildung CHF 57 237, sowie CHF 477 999 für den Verbrei-
tungsaufwand. Anzumerken ist an dieser Stelle die Anstalt Liechtensteinischer
Rundfunk, die vom MFG nicht profitieren kann, da sie 2007 bereits auf anderer
Grundlage mit staatlichen Mitteln gefördert wurde (LGBl 2006, Nr. 219: Finanzbe-
schluss vom 21.09.2006 über die Gewährung eines Landesbeitrags für das Jahr 2007
an die Anstalt ‹Liechtensteinischer Rundfunk (LRF)› für den Betrieb von Radio
Liechtenstein). Für die Jahre 2008–2010 siehe LGBl 2007, Nr. 82.
272 Liechtensteiner Vaterland, 24.06.2009.
IV.
AUSGESTALTUNG UND FUNKTIONS-
WEISE DES LANDTAGS
In diesem Kapitel wird der Aufbau der Institution Landtag sowie dessen
Funktionsweise dargestellt. Zunächst wird seine Zusammensetzung auf-
gezeigt, um darauf aufbauend die Arbeitsweise zu erläutern.
A. Zusammensetzung
Die Ausführungen zur Zusammensetzung des Landtags teilen sich in
drei Abschnitte: Milizparlament, Abgeordnetenzahl und parlamentari-
sche Stellvertretung.
1. Milizparlament
1.1 Allgemeines
Der Liechtensteiner Landtag ist ein Milizparlament, dessen Abgeord-
nete nur nebenamtlich tätig sind und das nur zu einzelnen Sitzungen zu-
sammentritt (Art. 46 LV). Das Milizsystem blieb im Gegensatz zur Ab-
geordnetenzahl seit 1862 unangetastet und wird höchst selten hinterfragt
(LV 1862).1 Aus diesen Gründen ist ein geschichtlicher Rückblick nicht
angezeigt.
In der Politikwissenschaft versteht man unter einem Milizparla-
ment «eine Versammlung von Abgeordneten, die ihr Mandat neben- und
ehrenamtlich neben einem in der Regel unpolitischen Hauptberuf verse-
hen. Der Milizparlamentarier lebt überwiegend weder für die Politik
noch von der Politik.»2 Da die Abgeordneten in Liechtenstein keine Spe-
zialisten im Sinne von Berufsparlamentariern, sondern Milizparlamenta-
rier und damit Amateure sind, kann die Art und Weise, wie beraten wird,
als eine Form der «aufgeklärten Amateurberatung»3 bezeichnet werden.
Diese Konstellation fördert die Herausbildung eines äquilibristischen
123
1 Verfassung von 1862, LLA 1862.
2 Riklin/Moeckli, S.1.
3 Beyme, S. 237.
Regierungssystems.4 Demnach ist die Frage berechtigt, ob die Institu-
tion Landtag in ihrer Ausgestaltung als Milizparlament den gestiegenen
Anforderungen des 21. Jahrhunderts genügen kann. Denn auch den Ab-
geordneten erscheint ihre Arbeitsweise als Milizparlamentarier nicht im-
mer angemessen. So stellt der Abgeordnete Johannes Kaiser fest: «Wie
wir wissen, sind wir ein Milizparlament und wir sind diesbezüglich
masslos überfordert.»5 Ähnlich folgert der Abgeordnete Harry Quade-
rer: «Ich glaube, wir sind überreif. Wir sind überreif für eine Reform.»6
Die zeitliche Anforderung an ein Landtagsmandat ist hoch. Im Jahr
2008 hatten die Abgeordneten 27 Sitzungstage, welche im Durchschnitt
10,5 Stunden pro Tag dauerten.7 Für die Abgeordneten bedeutet dies zu-
sätzlich zu ihrer beruflichen Tätigkeit einen ganzen Monat Mehraufwand
im Jahr. Der Zeitaufwand für die Vorbereitung sowie für die Arbeit in
Kommissionen, Delegationen usw. ist darin noch nicht enthalten. Zudem
steigt der Aufwand von Jahr zu Jahr.8 Gemäss den befragten Abgeordne-
ten Batliner, Frick, Beck und Kaiser offenbart sich die zeitliche Intensität
unabhängig ob man als Angestellter oder selbstständig tätig ist.9
Dieser ausserordentliche zeitliche Aufwand begleitet die Landtags-
abgeordneten seit langem. Dies belegt etwa ein Zitat des damaligen Ab-
geordneten Alexander Frick aus dem Jahr 1968: «Ich hasse eigentlich die
Abendsitzungen, denn man sollte die Nacht nicht zum Tag machen.»10
Auch bei der Diskussion um die heutige Geschäftsordnung 1996 war die
Arbeitsbelastung ein Thema. So wurden von mehreren Abgeordneten
bereits vor Inkrafttreten der derzeitigen Geschäftsordnung Änderungen
angemahnt, welche bisher ausblieben.11
124
Zusammensetzung
4 Eichenberger, Regierungssystem, S. 163.
5 LTP 2009, S. 891.
6 LTP 2009, S. 895.
7 Landtag, Regierung und Gerichte 2008, S. 9.
8 Landtag, Regierung und Gerichte 2008, S. 9.
9 Es gilt darauf hinzuweisen, dass Staatsangestellte, welche als Abgeordnete tätig sind,
herausragend privilegiert sind, da sie für alle Sitzungstage des Landtags den vollen
Lohn erhalten und keine Ferien beziehen müssen (Art. 23 Abs. 1 lit. h, Verordnung
über das Dienstverhältnis des Staatspersonals (Staatspersonalverordnung), LGBl
2008/ Nr. 303).
10 LTP 1968, S. 48.
11 LTP 1996, S. 2424 ff. So sagte der Abgeordnete Paul Vogt in der öffentlichen Land-
tagssitzung vom 20./21.11.1996: «Eine Bemerkung noch zu der Überlastung der
Nicht nur die zeitliche Beanspruchung, sondern auch die zuneh-
mende fachliche Komplexität der einzelnen im Landtag zu behandeln-
den Themen gestaltet das Landtagsmandat als schwierig. Häufig können
die Abgeordneten den an sie gestellten Aufgaben nicht gerecht werden.
So der Abgeordnete Wendelin Lampert: «Ich als Milizparlamentarier
fühle mich überfordert», und auch der Abgeordnete Elmar Kindle sieht
sich «als Miliz-Parlamentarier mit dieser Datenmenge komplett überfor-
dert».12 Diese Beispiele sind keine Einzelfälle und belegen die zeitweilige
Ratlosigkeit der Abgeordneten.
1.2 Berufsparlament?
An dieser Stelle werden die Vor- und Nachteile einer Abschaffung des
Milizsystems zugunsten der Einführung eines vollamtlichen Landtags
erörtert.
Als Vorteil eines Berufsparlaments kann vorgebracht werden, dass
das Landtagsgebaren in einem vollamtlichen Landtag sowohl in zeitli-
cher als auch in fachlicher Hinsicht insgesamt professioneller abläuft, da
komplexe Sachthemen und grosse politische Zusammenhänge von Be-
rufsabgeordneten effizienter wahrgenommen werden können. Ein Be-
rufsparlament hätte aber staatspolitisch einschneidende Veränderungen
zur Folge: «Ein Berufsparlament benötigt zur Erfüllung seiner Aufgaben
einen entsprechenden ‹Apparat›, eine entsprechende Infrastruktur. Ein
Ausbau der parlamentarischen Hilfsdienste zu einer eigentlichen parla-
mentarischen ‹Gegenverwaltung› wäre wohl unumgänglich.»13 Ebenso
müssten die Fraktionen über bedeutend grössere Mitarbeiterstäbe verfü-
125
Milizparlament
Abgeordneten: Wir sind ein Milizparlament und ich habe in den letzten vier Jahren
persönlich erlebt, dass die Belastung an die Grenze geht oder bereits eine Grenze
überschritten hat. Ich glaube, dass man hier in Zukunft wirklich mehr Unterstüt-
zung von aussen bekommen muss, sonst werden sich immer weniger Leute bereit-
finden und in der Lage sehen, ein solches Mandat zu übernehmen» (LTP 1996, S.
2427). Und der Landtagsvizepräsident Otmar Hasler meinte: «Es ist klar, dass je
nach Aufgabenstellung und Komplexität der Aufgaben weitere Reformschritte in
Zukunft zur Diskussion stehen werden» (LTP 1996, S. 2426).
12 Die Zitate sind dem LTP 2009, S. 266 bzw. 276 zu entnehmen und stammen von den
Abgeordneten Wendelin Lampert (S. 266) bzw. Elmar Kindle (S. 276).
13 Marti, S. 106.
gen. Aber auf diese Weise bekäme das Parlament erheblich mehr Ge-
wicht gegenüber der Exekutive. «Insbesondere liesse sich die Verwal-
tungskontrolle wesentlich verstärken. Politik würde gemeinhin profes-
sioneller.»14
Als Nachteil eines Berufsparlaments ist die Schaffung einer Son-
derklasse von Politikern mit eigener Gesprächskultur zu nennen, die den
Kontakt und die Nähe zum Volk verlieren könnte und ihr Mandat
nur noch technokratisch und zum Selbstzweck betreiben würde, nicht
zuletzt deshalb, weil Berufspolitiker in gewissem Masse von einer Wie-
derwahl abhängig sind und damit die Demokratie von innen «pervertie-
ren».15 Deswegen bestünde bei Abgeordneten, die ihrem Mandat haupt-
beruflich nachgehen, die Gefahr der «Sesselkleberei», wofür ausländi-
sche Berufsparlamente mit Abgeordneten in hohem Alter anschauliche
Beispiele liefern.16
Die Abgeordneten im Milizsystem sind unabhängiger, da sie ihren
Beruf weiterhin wahrnehmen können und ihre berufliche Zukunft nicht
vollständig von Landtagswahlen abhängig ist. Zudem besteht die Gefahr,
dass ein Berufsparlament ein Eigenleben und Eigengesetzlichkeiten ent-
wickelt und sich selbst beschäftigen müsste, da «ein Berufsparlament
von Betriebsamkeit und Nervosität auch nicht gefeit ist».17 Damit
brächte ein Berufsparlament in allen Bereichen «eine Ausweitung der
Staatstätigkeit mit sich».18 Zudem ist gemäss Holtkamp, welcher die
Professionalisierung der Kommunalpolitik untersuchte, ein hoher Pro-
fessionalisierungsgrad nur dann zu erwarten, wenn die institutionellen
Grenzen des Parlaments durchbrochen werden. Eine solche Verberufli-
chung «forciert die soziale Schliessung und die Kartellierung und stei-
gert das Korruptionspotenzial [in einem Kleinstaat], welches bereits auf-
grund der räumlichen Nähe von Wirtschaft, Verwaltung und Politik, der
hohen öffentlichen Investitionen und der ausgeprägten Bautätigkeit bei
nur schwacher öffentlicher Kontrolle durch die Lokalpresse besonders
gross ist».19
126
Zusammensetzung
14 Marti, S. 106.
15 Stämpfli, S. 17.
16 Stämpfli, S. 108.
17 Marti, S. 106.
18 Marti, S. 107.
19 Holtkamp, S. 118.
Demgegenüber erweitert das Milizsystem gemäss Eichenberger
«die Rekrutierungsbasis, die Chance der Sachkunde, die Freiheit gegen-
über den Prateioligarchien, die Repräsentationswirkungen, schmälert
aber die zeitliche Verfügbarkeit, die Unabhängigkeit von Unterstützun-
gen durch die Verwaltung, die taktisch-technische Erfahrungsroutine».20
Gerade die Rekrutierung von Kandidaten könnte für das Berufsparla-
ment ein grosses Problem darstellen, da ein potenzieller Landtagskandi-
dat kaum seine sichere Arbeit in der Privatwirtschaft durch ein mögli-
ches Landtagsmandat riskieren oder tauschen will. Es würden sich damit
vornehmlich Staatsangestellte zur Verfügung stellen, da diese einem ge-
ringeren beruflichen Risiko ausgesetzt sind. Die Konsequenz wäre ein
schlechteres Abbild der Bevölkerung als heute, was der Landtagsarbeit
nicht dienlich ist, da dadurch die Sichtweise im Landtag einseitiger wäre.
Es soll darüber hinaus betont werden, dass das Milizsystem durch
seine Volksnähe eine erhöhte Wahrnehmung der Bedürfnisse des Volkes
garantiert, da gemäss Marti nur ein volksnahes Parlament auch ein gutes
Parlament sein kann. Seiner Meinung nach ist es unerlässlich, dass
Frauen und Männer überall mit all jenen Problemen konfrontiert sind,
mit denen sie sich an den Parlamentssitzungen oder beim Aktenstudium
beschäftigen. «Solchen Anforderungen und Ansprüchen vermag nur das
Milizparlament zu genügen.»21
Auch wenn ein Berufsparlament grundsätzliche Befürwortung er-
hält, ist die Einführung eines vollamtlichen Landtags formell- und mate-
riellrechtlich problematisch. Materiellrechtlich würde die Einführung ei-
nes vollamtlichen Landtags tiefgreifende Veränderungen wie Entloh-
nung und Pensionsansprüche der Berufsabgeordneten mit sich bringen.
Zugleich müsste die soziale Unabhängigkeit der Abgeordneten gesichert
werden: Einerseits durch Diäten zur Angleichung der wirtschaftlichen
Situation der Abgeordneten aus schlechter gestellten sozialen Verhält-
nissen und andererseits durch Vorschriften, um die Abgeordneten gegen
die finanziellen Verlockungen mächtiger Interessenten zu schützen.22
Damit scheint die finanzielle Umsetzung dieses Reformbereichs nicht
zuletzt hinsichtlich des Staatsdefizits von heute CHF 180 Millionen pre-
127
Milizparlament
20 Eichenberger, Regierungssystem, S. 163.
21 Marti, S. 108 f.
22 Beyme, S. 236.
kär.23 Zur Kostenfrage zwischen Miliz- oder Berufsparlament entgegnen
allerdings Riklin/Moeckli: «Es ist in der Tat ein Irrtum zu glauben, ein
schlecht bezahltes und ein schlecht ausgestattetes Miliz- oder Halbbe-
rufsparlament sei kostengünstiger als ein Berufsparlament.»24
In formeller Hinsicht würde m. E. die Umstellung vom Milizpar-
lament zum Berufsparlament am Volk scheitern, obwohl der Landtag
nicht gezwungen wäre, einen allfälligen Beschluss dem Wahlvolk zur
Abstimmung vorzulegen. Es scheint mehr als fraglich, ob es einen
solchen Schritt befürworten könnte. Denn gemäss Waschkuhn hat der
Status quo «gerade im Kleinstaat ein grosses Beharrungsvermögen».25
Das Volk wird m. E. kaum bereit sein, die Institution Landtag zu pro-
fessionalisieren. Aber weder über die Erhöhung der Anzahl Regierungs-
mitglieder auf fünf im Jahr 196526 noch über die Frage, ob ein Regie-
rungsmandat vollamtlich ausgeübt werden soll, fanden Volksabstim-
mungen statt.27
Ein Kompromiss würde ein Semiberufsparlament – mit ca. 15 Ab-
geordneten ohne parlamentarische Stellvertreter – darstellen, bei dem die
Abgeordneten 50 Prozent ihrer Arbeitszeit – etwa alle Vormittage in der
Woche – aktiv Parlamentarier wären und damit noch einem anderen Be-
ruf nachgehen könnten. Damit könnten die negativen Folgen einer Ein-
führung eines vollamtlichen Landtags abgeschwächt werden.
Riklin/Moeckli vertreten allerdings die Meinung, dass für ein
Semiberufsparlament ein sehr hoher immaterieller Preis zu bezahlen
ist. Analog zum Berufsparlament besteht dieser Preis «in der äusserst
128
Zusammensetzung
23 Finanzgesetz vom 19.11.2009 für das Jahr 2010, LGBl 2009/312, Anhang S. 39.
24 Ricklin/Moeckli, S. 23: «Die Ressourcen sind sehr ungleich verteilt. Die Chancen-
gleichheit zwischen den Parlamentariern ist nicht gewährleistet. Wer hat, dem wird
gegeben. Bleibt die Frage, wer wem aus welchen Gründen und mit welchen Erwar-
tungen den Lohnausgleich, die personelle Infrastruktur und die materielle Infra-
struktur berappt. Schwerwiegender sind die Kosten, die sich nicht in Franken auf-
rechnen lassen. Wir zahlen für das Halbberufsparlament einen sehr hohen immate-
riellen Preis. Dieser Preis besteht in der äusserst schmalen Rekrutierungsbasis und
in einer verzerrten Repräsentation. Die Tatsache, dass sich gemäss unserer Befra-
gung mehr als die Hälfte der Parlamentarier als Selbstständige deklarieren, aber 92
Prozent der Wahlberechtigten unselbstszändig sind, spricht Bände.»
25 Waschkuhn, 1994, S. 278.
26 Verfassungsgesetz vom 03.02.1965 betreffend die Abänderung der Verfassung vom
05.10.1921, LGBl 1965/22.
27 Statistisches Jahrbuch Liechtensteins 2008, S. 236 ff.
schmalen Rekrutierungsbasis und in einer verzerrten Repräsentation».28
Sie schreiben:
«Nur ein sehr kleiner Bruchteil der Bürgerinnen und Bürger kann
sich eine unregelmässige Halbtagesstelle leisten. Die dafür geeigne-
ten Berufe sind sehr dünn gesäht. Man muss entweder Selbständig-
erwerbender sein oder einen ‹toleranten› Arbeitgeber finden. [. . .]
Hier ist die Achillesferse des Halbberufsparlaments. [. . .] Das
Halbberufsparlament ist unter dem Aspekt der Demokratie frag-
würdig, weil es die Repräsentation verzerrt, weil es zwischen den
Parlamentariern grosse Ungleichheiten schafft und weil es de facto
die meisten Bürgerinnen und Bürger des verfassungsmässig ‹garan-
tierten› passiven Wahlrechts beraubt.»29
Aus all diesen Gründen ist m. E. die Einführung des Berufsparlaments
und des Semiberufsparlaments zur Lösung der dem Landtag immanen-
ten «Zeitnot, Sachkundenot und Bewertungsnot»30 kaum geeignet und
die Beibehaltung des Milizparlaments angezeigt. Allerdings: «Beim blos-
sen Bekenntnis zum Milizparlament kann es indessen nicht sein Bewen-
den haben. Es sind vielmehr die nötigen Voraussetzungen zu schaffen,
damit dieses System funktionstüchtig bleibt.»31 Ein solches «relatives
Milizsystem»32 kann aber «die gesteigerten Anforderungen nur erfüllen,
wenn es [. . .] über die nötige Soft- und Hardware verfügt. Die Software
besteht in diesem Fall aus Know-how und Fachkenntnissen, die Hard-
ware aus einer ausreichenden personellen und sachlichen Infrastruk-
tur.»33 In diesem Sinne müssen das Landtagssekretariat und die Kom-
missionsdienste ausgebaut werden. Denn gerade «zur Erhaltung des Mi-
lizparlamentes sollte sich ein Ausbau dieser Hilfsdienste aufdrängen».34
Auch dies stellt eine Professionalisierung des Landtags dar.
Davon unabhängig sollte aber der Landtagspräsident seine Auf-
gabe hauptberuflich wahrnehmen. Dies hat neben der gesteigerten zeit-
lichen Anforderung an die Person des Landtagspräsidenten mehrere
129
Milizparlament
28 Ricklin/Moeckli, S. 23.
29 Ricklin/Moeckli, S. 24.
30 Eichenberger, Kontrolle, S. 285.
31 Marti, S. 109.
32 Marti, S. 109.
33 Moeckli, Funktionen, S. 4.
34 Marti, S. 110.
Gründe: Ein Berufs-Landtagspräsident würde schon rein formal auf-
grund seiner Anstellung – auch gegenüber dem Regierungschef – eine
auch vom Volk wahrgenommene starke Position einnehmen. Auch
könnte er seine Aufgaben, etwa hinsichtlich des Landtagssekretariats,
gezielter wahrnehmen. Zudem würde damit auch beim Landtag eine ge-
wisse Professionalität Einzug halten. Aber vor allem könnte der voll-
amtliche Landtagspräsident als Repräsentant des Landtags endlich die
Öffentlichkeit für den Landtag sensibilisieren und damit dessen Reprä-
sentation und positive Öffentlichkeitswirkung stark beeinflussen. Der
Landtagspräsident könnte der Bevölkerung auch immer wieder zeigen,
dass der Landtag Responsivität praktiziert, oder gemäss Patzelt zumin-
dest «Repräsentationsglauben»35 stiftet. Ein Landtagspräsident, der voll-
amtlich seiner Aufgabe nachkommt, wäre für diese Aufgaben prädesti-
niert: Er könnte dem Landtag sowohl im Innenverhältnis, aber vor allem
im Aussenverhältnis einen grossen Dienst erweisen.
Insgesamt wird sich Liechtenstein in Zukunft die Frage eines (halb-)
professionellen Parlaments stellen müssen. Bis dahin sollen die Worte
Webers Geltung haben, der zu Politik als Beruf sagte: «Nur wer sicher
ist, dass er daran nicht zerbricht, wenn die Welt, von seinem Standpunkt
aus gesehen, zu dumm oder zu gemein ist für das, was er ihr bieten will,
dass er all dem gegenüber: ‹dennoch!› zu sagen vermag, nur der hat den
‹Beruf› zur Politik.»36
2. Abgeordnetenzahl
Die bisherigen Ausführungen haben ergeben, dass der Landtag an Zeit-
not, Sachkundenot und Bewertungsnot leidet. Nachdem er seit 1988 aus
25 Abgeordneten (I. zu Art. 46 LV-AbändG 1987)37 besteht, kann die
Frage gestellt werden, ob eine Erhöhung der Abgeordnetenzahl diese
Unzulänglichkeiten mildern könnte. Dazu wird erst ein geschichtlicher
Ausblick aufgezeigt, um dann mögliche Reformen zu diskutieren.
130
Zusammensetzung
35 Patzelt, Funktionen, S. 25.
36 Weber, S. 67.
37 Verfassungsgesetz vom 20.10.1987 über die Abänderung der Verfassung vom
05.10.1921 (Erhöhung der Mandatszahl des Landtages) (LV-AbändG 1987), LGBl
1988, Nr. 11.
2.1 Geschichtlicher Rückblick
Die Abgeordnetenzahl stand ab Inkrafttreten der Verfassung von 1921
oft im Zentrum der Diskussion um mögliche Landtagsreformen. Aus
diesem Grund konzentriert sich der geschichtliche Rückblick auf die
verschiedenen Stadien zur Erhöhung der Abgeordnetenzahl seit dem
Jahr 1921.
Die Verfassung von 1921 bestimmte in Art. 46, dass von den fünf-
zehn Abgeordneten neun auf das Oberland und sechs auf das Unterland
entfallen (Art. 46 LV idgF). Bereits im Jahre 1945 sollte eine Erhöhung
der Abgeordnetenzahl realisiert werden. Drei Varianten standen zur De-
batte.38 Der Landtag einigte sich auf die Variante mit 21 Abgeordneten
im Verhältnis von 13 Abgeordneten für das Oberland und acht für das
Unterland. Das Stimmvolk lehnte diese Variante mit 498 Ja-Stimmen zu
1899 Nein-Stimmen klar ab.39
Im Jahre 1972 wurde einmal mehr die Wichtigkeit der Erhöhung
der Mandatszahl des Landtags betont. Dazu der damalige Abgeordnete
Ernst Büchel: «Regierung und Staatsverwaltung sind mächtiger gewor-
den, weil der Staat immer mehr Aufgaben übernommen hat. Es scheint
mir geboten, dass das Gegengewicht – das ist die Volksvertretung – ge-
stärkt wird.»40 Für die Erhöhung der Mandatszahl herrschte bei den Ab-
geordneten Einvernehmen, wobei sie sich über das Ausmass der Erhö-
hung nicht einigen konnten, da die Unterländer ihre Sperrminorität ge-
fährdet sahen.41 Auf der anderen Seite betrachteten einige Abgeordnete
131
Abgeordnetenzahl
38 Die ersten beiden Varianten sahen eine Erhöhung auf 21 Landtagsabgeordnete bei
unterschiedlichem Verhältnis zwischen Ober- und Unterland (14 zu 7 oder 13 zu 8)
vor. Die dritte Variante stellte auf die Zahl der Stimmberechtigten ab: Für jeweils
150 Stimmberechtigte sollte je ein Mandat geschaffen werden. Damals hätte diese
Variante eine Mandatszahl von 20 bei einem Verhältnis von 13 Abgeordneten für das
Oberland und sieben für das Unterland bedeutet (LTP 1945).
39 Statistisches Jahrbuch Liechtensteins 2009: Auf der diesem Jahrbuch beiliegenden
CD-ROM befinden sich auch die Resultate der Volksabstimmungen von 1919 bis
1977.
40 LTP 1972, S. 12.
41 Grund für die Uneinigkeit war auf der einen Seite die der Verfassung zu Grunde lie-
gende Sperrminorität von 2/3, indem seit 1921 das Oberland 3/5 und das Unterland
2/5 der Abgeordneten stellt. Falls nun dieses Verhältnis gewahrt werden sollte,
musste eine durch fünf teilbare Mandatszahl gewählt werden (Art. 58 Abs. 1 LV
iVm Art. 25 GOLT. Bei einer Mandatszahl von 15 konnten genau sechs Abgeord-
nete die Beschlussfähigkeit des Landtags aufheben (was beim damals geltenden Ver-
den Sprung von 15 auf 25 Abgeordnete als zu gross an, um vom Stimm-
volk angenommen zu werden. Der Abgeordnete Herbert Kindle: «Wir
sind der Meinung, dass 21 vorerst realistischer sei im Hinblick auf die
Hürde des Volkes, der Volksabstimmung.»42 Bei dieser Volksabstim-
mung sprach sich das Volk mit 1449 zu 1375 Stimmen gegen eine Erhö-
hung der Abgeordnetenzahl auf 21 aus. Auffallend dabei war, dass sich
das Oberland mit 984 Ja-Stimmen zu 920 Nein-Stimmen knapp für und
das Unterland mit 391 zu 529 eindeutig gegen die Vorlage aussprach.
Demnach scheiterte die Erhöhung der Mandatszahl an der mangelnden
Zustimmung der Unterländer.43
Der nächste Anstoss zur Erhöhung der Mandatszahl ging von den
Parteien aus. Im Jahre 1984 wurden zwei Verfassungsinitiativen über die
Abänderung der Verfassung eingereicht:44 die eine datiert per 14. De-
zember45, die andere mit 18. Dezember.46 Der Landtag stimmte gegen
beide Initiativen,47 weshalb die Entscheidung einer Volksabstimmung
oblag (Art. 66 Abs. 6 LV). Weil 1985 bei Abstimmungen das doppelte
132
Zusammensetzung
hältnis zwischen Ober- und Unterland von 9 zu 6 zur Folge hatte, dass die Unter-
länder Abgeordneten die Möglichkeit hatten, durch Abwesenheit den Landtag be-
schlussunfähig zu machen). Damit konnten 40 Prozent der Abgeordneten die Be-
schlussunfähigkeit des Landtags provozieren, während dies bei 21 Abgeordneten
bei gleicher Sperrminorität von 2/3 genau 38,2 Prozent konnten. Somit wäre für das
Unterland die Grenze zur Sperrminorität von 33,3 Prozent bei einem Verhältnis
zwischen Ober- und Unterland von 13 zu 8 nicht erreicht worden. Tatsächlich
fusste die Ablehnung aber weniger auf dem Argument der Sperrminorität als auf der
Wahlarithmetik.
42 LTP 1972, S. 19.
43 Volksabstimmung vom 30.06./02.07.1972, nachzulesen in den Beilagen zur Land-
tagssitzung vom 06.07.1972 oder auf der dem statistischen Jahrbuch 2009 beiliegen-
den CD.
44 LTP 1987, S. 813 iVm Berichte der Regierung an den Landtag des Fürstentums
Liechtenstein Nr. 4/85 bzw. Nr. 5/85.
45 Diese strebte eine Erhöhung der Mandatszahl auf 21 Abgeordnete an mit der Mass-
gabe, für das Oberland 13 und für das Unterland acht Mandate zu schaffen (Bericht
der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein zur Verfassungsini-
tiative betreffend die Abänderung von Art. 46 und die Ergänzung von Art. 49 der
Verfassung, BuA Nr. 4/1985).
46 Die zweite Initiative dagegen setzte sich für eine Mandatszahl von 25 im Abgeord-
netenverhältnis zwischen Ober- und Unterland von 15 zu 10 ein (Bericht der Re-
gierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein zur Verfassungsinitiative
über die Abänderung der Verfassung vom 05.10.1921, Nr. 5/1985).
47 LTP 1985, S. 78: Die Initiative vom 14.12.1984 fand eine Zustimmung von acht Ab-
geordneten, diejenige vom 18.12.1984 sieben zustimmende Abgeordnete.
Ja48 noch nicht eingeführt war, erreichte keine der beiden Initiativen das
absolute Mehr, obwohl die Mehrheit der Stimmberechtigten für eine der
beiden Varianten stimmte.49 Somit blieb die Mandatszahl unverändert,
obwohl sich die klare Mehrheit des Stimmvolkes für eine Erhöhung aus-
sprach (Art. 66 Abs. 4 LV).50
Im Jahr 1987 wurden zwei verschiedene Wege beschritten, um die
Mandatszahl zu erhöhen. Einerseits bestellte der Landtag in der Land-
tagssitzung vom 29. April 1987 eine Kommission zur Parlamentsreform
mit dem Ziel, allgemein die den Landtag betreffenden Bestimmungen
kritisch zu prüfen und gegebenenfalls Änderungs- und Ergänzungsvor-
schläge anzubringen. Andererseits brachten die beiden Landtagsfraktio-
nen am 29. September 1987 einen Initiativantrag betreffend die Abände-
rung von Art. 46 Abs. 1 und 2 der Verfassung ein, mit dem sie eine Man-
datszahlerhöhung auf 25 Abgeordnete bei einem Verhältnis von 15 zu 10
anstrebten.51 Da eine Landtagskommission zur Parlamentsreform mit
ihrem sehr breiten Aufgabenbereich und unspezifischen Zielvorgaben
einige Zeit benötigt, um Resultate bzw. konkrete Vorschläge präsentie-
ren zu können, wollten die Initianten durch die Einbringung ihrer Ini-
tiative das Ziel der Mandatszahlerhöhung beschleunigen. Da sich die
Volksparteien für diese Initiative gemeinsam verantwortlich zeichneten,
erhielt sie einhellige Zustimmung.52
Die Volksabstimmung über diese Initiative fand am 22./24. Januar
1988 statt. Das Resultat fiel mit 4537 Ja-Stimmen zu 4237 Nein-Stimmen
133
Abgeordnetenzahl
48 Das «doppelte Ja» wurde in Liechtenstein per LGBl 1985, Nr. 28 eingeführt. Das
«doppelte Ja» kommt dann zur Anwendung, wenn mehrere Initiativbegehren
gleichzeitig oder wenn der Landtag zu einer Initiative von sich aus einen Gegen-
vorschlag einbringt. Die Stimmberechtigten werden bei solchen Volksabstimmun-
gen zu jeder Vorlage einzeln, auf demselben Stimmzettel befragt, ob sie diese an-
nehmen oder ablehnen wollen. Stimmberechtigte, welche allen Vorlagen zustim-
men, können zudem angeben, welcher Vorlage sie den Vorzug geben.
49 Statistisches Jahrbuch 2007/2008, S. 438: Die Initiative vom 14.12.1984 fand eine
Zustimmung von 3310 Personen (39 Prozent) und für diejenige vom 18.12.1984
stimmten 3701 Personen (43,6 Prozent), während 1478 Personen (17,4 Prozent) ein
Nein in die Urne warfen.
50 Art. 66 AbS. 4 LV iVm VRG, LGBl 1973/50, Art. 84 AbS. 1: Das absolute Mehr ist
bei einer Abstimmung über eine Initiative für ihre Annahme vonnöten.
51 LTP 1987, S. 815. Der Initiativantrag mit dem Titel «Verfassungsgesetz über die Ab-
änderung der Verfassung vom 05.10.1921 (Erhöhung der Mandatszahl des Landta-
ges)» ist datiert mit dem 29.09.1987.
52 LTP 1987, S. 818.
zwar knapp aus, doch war die Mandatszahlerhöhung auf 25 Abgeordnete
Tatsache.53 Die Landtagskommission zur Parlamentsreform befasste sich
daraufhin praktisch ausschliesslich mit der Geschäftsordnung.54
2.2 Erhöhung der Abgeordnetenzahl?
«Die Zusammensetzung eines Parlaments ist eine Zweckmässigkeits-
frage, abhängig von den Bedürfnissen des Raumes und der Zeit.»55 Im
Jahr 2009 erfüllen gerade einmal zwei Mitglieder des Landtags nur das
Grundmandat, während alle anderen Abgeordneten entweder Frakti-
onssprecher oder Mitglied einer Kommission bzw. Delegation sind.56
Das heisst, dass praktisch sämtliche Abgeordnete über ihr Landtags-
mandat hinaus Zeit für den Landtag aufwenden und damit kaum mehr
freies personelles Potenzial vorhanden ist. Deshalb kann die Zeitnot,
Sachkundenot und Bewertungsnot des Landtags nicht durch eine perso-
nelle Umverteilung erreicht werden. Es muss eine Erhöhung der Man-
datszahl in Betracht gezogen werden. Auf der Grundlage dieser neu ge-
schaffenen personellen Ressourcen könnten dann weitere Schritte – etwa
eine Stärkung des Kommissionenwesens – gesetzt werden.
Es stellt sich nun die Frage, auf wieviele Abgeordnete der Landtag
erweitert werden sollte. Waschkuhn merkte bereits im Jahr 1994 an,
«dass man die Mandatszahl im Landtag möglichst bald auf 50 erhöhen
sollte».57
Ein Vergleich mit Parlamenten aus Kantonen der Schweiz, welche
vergleichbare Einwohnerzahlen wie Liechtenstein vorweisen, bietet ei-
nen Anhaltspunkt. In Liechtenstein – welches derzeit 35 589 Einwoh-
ner58 zählt – repräsentiert derzeit ein Abgeordneter 1424 Einwohner. In
134
Zusammensetzung
53 Statistisches Jahrbuch 2007/2008, S. 438.
54 Der BuA der Landtagskommission zur Parlamentsreform Nr. 4/1989 umfasste nun-
mehr zwei Punkte: Die Revision der Geschäftsordnung des Landtages sowie die
Aufhebung des Artikels 52 Abs. 2 der Verfassung (nachzulesen unter anderem in
den Beilagen zu LTP 1989, S. 86 ff., Band 1).
55 Tütsch, S. 57.
56 Es sind dies Gisela Biedermann und Peter Lampert. Erstere ist aber Mitglied im
Richterauswahlgremium.
57 Waschkuhn, 1994, S. 144.
58 Statistisches Jahrbuch Liechtensteins 2010, S. 50.
Obwalden hat der Kantonsrat 55 Sitze, während der Kanton 35 305 Ein-
wohner zählt.59 Das Verhältnis von Abgeordneten zu Einwohner beträgt
damit 642. Der Kanton Nidwalden hat 40 911 Einwohner bei 60 Sitzen
im Landrat. Damit repräsentiert ein Abgeordneter 682 Einwohner.60 Im
Kanton Glarus repräsentieren 60 Landräte 38 165 Einwohner.61 Das er-
gibt ein Verhältnis von 636. Und der Landrat des Kantons Uri besteht
aus 64 Abgeordneten bei 35 335 Einwohnern62, weshalb dort 552 Ein-
wohner einem Abgeordneten entsprechen. Im Durchschnitt repräsen-
tiert damit jeder Abgeordnete 628 Einwohner. Für Liechtenstein bedeu-
tet dies, dass in diesen Kantonen halb so viele Einwohner auf einen
Abgeordneten entfallen als in Liechtenstein. Genau genommen müsste
der Landtag Liechtensteins – diesem Verhältnis entsprechend – 57 Sitze
haben. Damit ist eine Abgeordnetenzahl von 50 nicht zu hoch angesetzt.
Es könnte das Verhältnis zwischen Ober- und Unterland von drei zu
zwei aufrechterhalten bleiben, indem die Wahlberechtigen aus dem
Oberland 30 Abgeordnete und diejenigen aus dem Unterland 20 Abge-
ordnete wählen. Bei dieser Gelegenheit könnte gleichzeitig auf die Insti-
tution der stellvertretenden Abgeordneten verzichtet werden.
Da aber in Liechtenstein «grosses Beharrungsvermögen»63 und ge-
nerelles Festhalten an Traditionen festgestellt werden kann, wird das
Volk eine Erhöhung von 25 auf 50 Abgeordnete kaum akzeptieren. Al-
lerdings muss in Zukunft die Abgeordnetenzahl des Landtags erhöht
werden, wenn das Volk eine Volksvertretung will, die ihre verfassungs-
mässigen Aufgaben tatsächlich wahrnehmen kann.
3. Parlamentarische Stellvertretung
3.1 Allgemeines
Die Institution der parlamentarischen Stellvertretung war in der Vergan-
genheit oft Diskussionspunkt im Plenum. Der Landtag hatte sich immer
135
Parlamentarische Stellvertretung
59 <www.ow.ch>, 06.01.2012.
60 <www.nw.ch>, 06.01.2012.
61 <www.gl.ch>, 06.01.2012.
62 <www.ur.ch>, 06.01.2012.
63 Waschkuhn, 1994, S. 278.
wieder mit diesem Thema auseinandergesetzt und dabei viele Möglich-
keiten in Erwägung gezogen: von der Stärkung über die Minderung bis
hin zur Abschaffung der Institution der parlamentarischen Stellvertre-
tung. Anlass dieser Diskussionen war oft die Überbelastung der ordent-
lichen Abgeordneten und damit einhergehend die Anzahl der Stellver-
treter sowie deren Rechte.64
Bereits 1862 wurde die Einrichtung der parlamentarischen Stellver-
tretung erstmals in die Verfassung aufgenommen (§ 102 LV 1862).65 Hin-
gegen war sie in der Verfassung von 1921 ursprünglich nicht enthalten.
Seit dem Jahre 1939 wird aber an dieser Institution festgehalten. Die par-
lamentarische Stellvertretung ist seither in Art. 46 der Verfassung gere-
gelt (§ 1 LV-AbändG 1939).66 Die Institution der stellvertretenden Ab-
geordneten wurde im Jahr 1988 so ausgestaltet, dass einer Wählergruppe
für je drei Abgeordnete in einem Wahlbezirk ein stellvertretender Abge-
ordneter zusteht (I. zu Art. 46 LV-AbändG 1987).67 Erst im Nachhinein
wurde dies erweitert, indem seit 1994 jeder Wählergruppe mindestens
ein stellvertretender Abgeordneter zusteht.68 Als Begründung brachten
die Befürworter vor, dass jede im Landtag vertretene Wählergruppe über
mindestens einen stellvertretenden Abgeordneten verfügen soll, damit
136
Zusammensetzung
64 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 66 ff. Die Daseinsberechtigung der parlamentari-
schen Abgeordneten wurde etwa in der Landtagssitzung vom 20.04.1994 kritisch
hinterfragt als auch unterstrichen. Der damalige ordentliche Abgeordnete Oswald
Kranz betonte deren Unentbehrlichkeit: «Daraus folgernd kann mit guten Gründen
festgestellt werden: Die parlamentarische Stellvertreterregelung ist eine Vorausset-
zung für das Funktionieren unseres Milizsystems vor allem dann, wenn eine Volks-
vertretung die verschiedenen Volks- und Berufsschichten auch repräsentieren soll.»
Dem entgegnete der Abgeordnete Paul Vogt: «Ich würde nicht so weit gehen wie
mein Vorredner, indem ich nicht glaube, dass die parlamentarischen Stellvertreter
eine Voraussetzung für das Funktionieren unseres Parlaments sind» (LTP 1994, S.
309).
65 Verfassung 1862, LLA 1862.
66 Gesetz vom 18.01.1939 betreffend Abänderung von Art. 46, 47, 49 und 53 der Ver-
fassung vom 05.10.1921, LGBl 1939, Nr. 3.
67 Verfassungsgesetz vom 20.10.1987 über die Abänderung der Verfassung vom
05.10.1921 (Erhöhung der Mandatszahl des Landtages) (LV-AbändG 1987), LGBl
1988, Nr. 11.
68 Verfassungsgesetz vom 14.06.1994 über die Abänderung der Verfassung vom
05.10.1921 (Stellvertretende Abgeordnete) (LV-AbändG 1994), LGBl 1994, Nr. 46.
Dieses Gesetz wurde abgeändert durch Kundmachung vom 27.09.1994 über die Be-
richtigung des Landesgesetzblattes 1994 Nr. 46, LGBl 1994, Nr. 56.
«sachlich unbegründete Unterschiede zwischen grossen und kleinen
Wählergruppen»69 beseitigt werden. Die Abgeordneten wussten, dass
mehrere Abgeordnete einer Wählergruppe eines Wahlkreises gleichzeitig
fehlen können. Doch sie empfanden eine Regelung, die auch dies aus-
schliesst, als zu schwierig und begnügten sich mit der Erweiterung auf
mindestens einen stellvertretenden Abgeordneten.70 Seitdem steht jeder
Wählergruppe auf jeweils drei Abgeordnete in einem Wahlbezirk ein
stellvertretender Abgeordneter zu, jedoch mindestens einer, wenn eine
Wählergruppe in einem Wahlkreis ein Mandat erreicht hat (Art. 46 LV).
Aufgrund der Landtagswahlen des Jahres 2005 waren acht stellvertre-
tende Abgeordnete zu bestellen, während aktuell deren sieben im Amt
sind, weil die Freie Liste bei den Landtagswahlen 2009 nicht mehr in bei-
den Wahlkreisen ein Mandat erreichen konnte, sondern nurmehr im
Oberland.71
Die Institution der parlamentarischen Stellvertretung soll in erster
Linie die Sicherung der Mehrheit bzw. der Fraktionsverhältnisse ge-
währleisten. Das heisst, dass im Stellvertretungsfall die Verhältnisse der
Fraktionen zueinander gleich bleiben. Denn haben zwei Wählergruppen
eine ähnliche oder gar die gleiche Anzahl an Landtagsmandaten, dann
könnte die Abwesenheit eines ordentlichen Abgeordneten das Kräfte-
verhältnis verändern oder umkehren.72
Es ist unbestritten, dass die parlamentarische Stellvertretung in di-
rekter Beziehung zur Abgeordnetenzahl steht. Dies hat Batliner bereits
1981 klargestellt:
«Weil das Volk eine Mandatszahlerhöhung abgelehnt hat, war man
gehalten, eine ähnliche Wirkung durch die vermehrte Miteinbezie-
hung der Stellvertreter in die reguläre Landtagstätigkeit und durch
die direkte Wählbarkeit (gleich ordentlichen Abgeordneten) in
Kommissionen zu erzielen. Würde auf die heute dauernde Mitar-
137
Parlamentarische Stellvertretung
69 BuA der Regierung an den Landtag zur Initiative vom 20.08.1993 betreffend einer
Neuregelung der Verfassungsbestimmung über die Bestellung stellvertretender Ab-
geordneter (BuA Nr. 22/1994).
70 LTP 1994, S. 307 ff. Der Abgeordnete Paul Vogt: «Es ist natürlich so, dass es denk-
bar ist, dass z. B. im Wahlkreis Unterland einmal zwei Abgeordnete der gleichen
Fraktion verhindert sind. Ich glaube aber, dass es rechtlich schwierig wäre, jede
Ausnahme, jeden Ausnahmefall befriedigend zu regeln» (LTP 1994, S. 310).
71 <www.landtagswahlen.li>, 10.06.2009.
72 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 67.
beit der stellvertretenden Abgeordneten im [. . .] verzichtet, müsste
die Mandatszahl konsequenterweise bereits mindestens auf das
Doppelte oder noch mehr erhöht werden.»73
Noch heute sind die Meinungen über die Stellvertretung geteilt, nicht
nur was deren Existenz, sondern auch was die Anwendung und mögli-
che zukünftige Ausgestaltung ihrer Rechte und Pflichten betrifft.74 Wolff
sieht in der jetzigen Wahrnehmung der parlamentarischen Stellvertre-
tung den Wählerwillen gefährdet, indem in öffentlichen Landtagssitzun-
gen die Stellvertreter zu oft anwesend sind. Denn seines Erachtens sind
Abgeordnete vom Volk gewählt und damit ordentliche Abgeordnete
oder aber sie erhalten bei Landtagswahlen nicht genügend Stimmen und
sollten dementsprechend nicht im Landtag vertreten sein.75 Beck sieht
dies ähnlich und bemerkt mehrere Gründe für die häufige Ersetzung von
ordentlichen Abgeordneten durch Stellvertreter. Seiner Meinung nach
werden die Stellvertreter insbesondere dann von den Wählergruppen in
den Landtag geschickt, wenn sich die ordentlichen Abgeordneten in ei-
nem Thema nicht «die Finger verbrennen» wollen oder wenn sich der
ordentliche Abgeordnete von einem Thema distanzieren will.76 Kaiser
dagegen spricht sich für die aktuelle Regelung aus, doch sollten die Stell-
vertreter nicht beliebig austauschbar sein.77 Demgegenüber betont Frick
die Wichtigkeit von parlamentarischen Stellvertretern, gerade für kleine
Wählergruppen.78
3.2 Dauer
Die Verfassung bestimmt, dass parlamentarische Stellvertreter ordentli-
che Abgeordnete an «einzelnen oder mehreren aufeinanderfolgenden
Sitzungen» (Art. 49 Abs. 4 LV) vertreten dürfen. Das heisst, dass sich ein
ordentlicher Abgeordneter ebensowenig für einzelne Stunden innerhalb
138
Zusammensetzung
73 Batliner Zur heutigen Lage, S.71.
74 Befragung Wolff, Frick, Beck, Hilti, Kaiser.
75 Befragung Wolff.
76 Befragung Beck.
77 Befragung Kaiser.
78 Befragung Frick.
einer Sitzung – etwa nur für eine nichtöffentliche Landtagssitzung, wenn
am selben Tag auch eine öffentliche Landtagssitzung stattfindet – als
auch für eine ausgedehnte Zeitspanne, etwa eine ganze Sitzungsperiode,
vertreten lassen kann.
Gegen eine Vertretung über einen länger andauernden Zeitraum
spricht Art. 53 LV: Er sieht vor, dass bei einem bleibenden Hindernis ein
anderer Kandidat der Wählergruppe nachzurücken hat. Wo aber die
Grenze genau liegt, die ein Nachrücken eines Kandidaten zur Folge hat,
ist durch die Verfassung und die GOLT nicht genau geregelt. M. E. liegt
die Grenze, unter Berücksichtigung von Art. 53 LV, bei etwa drei aufei-
nanderfolgenden verpassten Sitzungen, da ab einem Fernbleiben über ei-
nen solchen Zeitraum – üblicherweise entspricht dies ca. drei Monaten –
von einem bleibenden Hindernis gesprochen werden kann.
3.3 Statistik
Es stellt sich die Frage, wie oft parlamentarische Stellvertreter bei Ple-
numsdebatten anwesend sind. Im Jahre 2007 war der Landtag an drei or-
dentlichen Sitzungstagen nur mit ordentlichen Abgeordneten – und da-
mit ohne Stellvertreter – besetzt, im Jahr 2008 war dies sechs Mal der
Fall.79 So haben in den Jahren 2007 und 2008 durchschnittlich 1,5, wäh-
rend in den Sitzungsperioden 1978 bis 1980 durchschnittlich 2,3 stell-
vertretende Abgeordnete an jeder Landtagssitzung teilgenommen ha-
ben.80 Dieser Vergleich zeigt eine durchschnittliche Verminderung der
Teilnahme der stellvertretenden Abgeordneten an ordentlichen Land-
tagssitzungen, was auf die Mandatszahlerhöhung im Jahre 1988 zurück-
zuführen ist.81
139
Parlamentarische Stellvertretung
79 LTP der Jahre 2007 und 2008. Im Jahr 2007 waren ordentliche Abgeordnete bei 22
Sitzungstagen zusammengenommen an 41.5 Tagen abwesend. Im Jahr 2008 bei 26
ordentlichen Arbeitssitzungen an insgesamt 41.5 Tagen.
80 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 66.
81 Dabei war die Diskussion um die mögliche Mandatszahl mit der Ausgestaltung der
parlamentarischen Stellvertretung eng verknüpft und wurde von den beiden Par-
teien breit diskutiert. So hat 1987 der damalige Landtagspräsident Karlheinz Ritter
im Rahmen der Landtagssitzung vom 29. April, anlässlich der Bestellung einer
Landtagskommission zur Parlamentsreform, angeführt: «Eine Aussicht auf Erfolg
besteht überhaupt nur dann, wenn Klarheit darüber besteht, dass die Parlamentsre-
Allerdings deckte sich die Abwesenheit der ordentlichen Abgeord-
neten nicht mit der Anwesenheit der stellvertretenden Abgeordneten,
weder im Jahr 2007, noch im Jahr 2008. Das heisst, dass öfter ordentliche
Abgeordnete fehlten als stellvertretende Abgeordnete anwesend waren.
Eine mögliche Erklärung ist die kurzfristige Verhinderung des ordentli-
chen Abgeordneten, so dass seine Fraktion keinen stellvertretenden Ab-
geordneten mehr bestellen konnte. Ein anderer Grund ist die Tatsache,
dass eine Wählergruppe innerhalb eines Wahlkreises nur über eine be-
stimmte Anzahl an stellvertretenden Abgeordneten verfügen darf (Art.
46 Abs. 2 LV). Somit können innerhalb eines Wahlkreises mehr ordentli-
che Abgeordnete einer Wählergruppe fehlen als stellvertretende Abge-
ordnete vorhanden sind. So war es auch in den Landtagssitzungen vom
23. und 25. Mai82 sowie am 20., 21. und 22. Juni83 2007: Beide FL-Abge-
ordnete aus dem Wahlkreis Oberland konnten nicht an der jeweiligen
Sitzung teilnehmen. Da die Freie Liste für das Oberland nur einen Stell-
vertreter zur Verfügung hatte, war der Landtag an diesen Tagen nicht voll
besetzt. Für die Fortschrittliche Bürgerpartei und die Vaterländische
Union wäre dies zu keinem Problem geworden, da diese Wählergruppen
im Jahr 2007 im Wahlkreis Oberland über jeweils zwei stellvertretende
Abgeordnete verfügten. Somit tritt diese Problematik verstärkt bei klei-
140
Zusammensetzung
form sich auf die Erneuerung der Arbeitsbedingungen und der Arbeitsweise des
Landtages bezieht und dass die hochpolitischen Fragen der Mandatszahlerhöhung
und die mit den stellvertretenden Abgeordneten zusammenhängenden Probleme
nicht als Aufgabe einer Landtagskommission betrachtet, sondern als Aufgabe der
für die politische Meinungsbildung zuständigen politischen Parteien erkannt wer-
den» (LTP 1987, S. 125). Bei einer späteren Landtagssitzung, bei der sich der Land-
tag am 20.10.1987 mit dem Traktandum «Initiativantrag der beiden Landtagsfrak-
tionen betreffend die Abänderung von Art. 46 AbS. 1 und 2 LV (Mandatszahlerhö-
hung und Reduktion der Zahl der stellvertretenden Abgeordneten)» (BuA Nr.
4/1987) befasste, erklärte der Abgeordnete Hermann Hassler: «Der vorliegende Ge-
setzesvorschlag ist ein Kompromiss, der trotz teilweise gegensätzlicher Meinungen
zustande gekommen ist. [. . .] Mit einer Zahl von 25 Abgeordneten hat man sich
nicht nur etwa in der Mitte getroffen, diese Zahl dürfte auch das Verständnis der
eher zurückhaltenden Stimmbürger finden. Auch die Frage der stellvertretenden
Abgeordneten ist sicher zufriedenstellend gelöst, wenn einerseits deren Zahl auf ein
Mindestmass reduziert wird, andererseits die stellvertretenden Abgeordneten aber
nicht abgeschafft werden, weil sie unter den bestehenden politischen Kräfteverhält-
nissen für das Funktionieren des Landtages unter Umständen notwendig sein könn-
ten» (LTP 1987, S. 813f.).
82 LTP 2007, S. 1039 ff.
83 LTP 2007, S. 1078 ff.
neren Wählergruppen und vor allem im Wahlkreis Oberland auf, wenn
eine Wählergruppe weniger als sechs Mandate erreicht, da dadurch alle
nur einen stellvertretenden Abgeordneten zur Verfügung haben. Das
Unterland ist dagegen weniger betroffen, da in diesem Wahlkreis auch die
grossen Wählergruppen selten sechs Landtagsmandate erringen und so-
mit grundsätzlich alle Wählergruppen über einen Stellvertreter verfügen.
3.4 Rechte und Pflichten
Als primäre Pflicht hat der stellvertretende Abgeordnete an einzelnen
oder mehreren aufeinanderfolgenden Sitzungen in Stellvertretung des
verhinderten Abgeordneten mit Sitz und Stimme teilzunehmen (Art. 49
Abs. 4 LV). Dabei muss der verhinderte Abgeordnete selbst mittels recht-
zeitiger Anzeige unter Angabe des Hinderungsgrundes bei der ersten
Einberufung die Regierung und während der Sitzungsperiode den Land-
tagspräsidenten von der Verhinderung in Kenntnis setzen (Art. 21 Abs. 1
GOLT).84 Gemäss Art. 49 Abs. 4 LV hat dann die Fraktion des verhin-
derten Landtagsmitglieds einen Stellvertreter im Sinne von Art. 46 Abs. 2
LV zu bezeichnen (Art. 21 Abs. 2 GOLT). Während der Anwesenheit des
Verfassers bei Landtagssitzungen war augenfällig, dass die Fraktionen or-
dentliche Abgeordnete ohne Nennung eines Hinderungsgrundes wäh-
rend der betreffenden Landtagssitzung «entschuldigen». Solches Verhal-
ten sollte vom Landtagspräsidenten nicht geduldet werden.
Für die stellvertretenden Abgeordneten besteht eine Informations-
pflicht. Diese umfasst sowohl die Information über das (aktuelle) Land-
tagsgeschehen als auch das Studium der Vorlagen, Berichte und Anträge,
um im Stellvertretungsfall zweckdienlich einschreiten zu können (Art.
18 GOLT).85 Stellvertretende Abgeordnete sind auf Basis von Art. 58 LV
explizit nicht in Kommissionen wählbar (Art. 58 Abs. 2 GOLT).86 Fer-
141
Parlamentarische Stellvertretung
84 Der Bericht der Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen für eine Parlaments-
reform (Parlamentsreformkommission) verdeutlicht im Anhang 1 auf Seite 4 (zu le-
sen im LTP 1996, Band 4) die Bestimmung «rechtzeitig»: Die Meldung zu Beginn
der Sitzung ist ausreichend.
85 Die stellvertretenden Abgeordneten erhalten per Post die gleichen Materialien wie
die ordentlichen Abgeordneten mit dem Vermerk «zur Information».
86 Durch Art. 58 Abs. 2 GOLT wurde zwar die Arbeit in den Kommissionen ausge-
schlossen, während von derjenigen in Delegationen nicht die Rede ist.
ner sind Unterschriften von stellvertretenden Abgeordneten auf par -
lamentarischen Eingängen nicht zu berücksichtigen (Art. 35 Abs. 3
GOLT).
3.5 Parlamentarische Stellvertreter in Delegationen
und Kommissionen?
Im derzeitigen Landtagsprozess werden regelmässig stellvertretende
Abgeordnete in Delegationen als Vollmitglieder oder als Delegationslei-
ter bestellt.87 Es stellt sich nun die Frage, ob es der Verfassung entspricht,
dass stellvertretende Abgeordnete zwar nicht in Kommissionen, aber in
Delegationen bestellt werden.
Die Verfassung bestimmt in Art. 49 Abs. 4 deutlich, dass stellver-
tretende Abgeordnete in nur einem Fall am Landtagsgeschehen aktiv
teilnehmen dürfen: «Die stellvertretenden Abgeordneten haben [. . .] an
einzelnen oder mehreren aufeinanderfolgenden Sitzungen [. . .] teilzu-
nehmen.» Diese Bestimmung belegt, dass stellvertretende Abgeordnete
von der Mitarbeit in Kommissionen und Delegationen ausgeschlossen
sind, weil Kommissions- und Delegationssitzungen keine «ordentli-
chen» Sitzungen im Sinne des Art. 49 Abs. 4 LV sind. Nach der Verfas-
sung gibt es deshalb «eine Stellvertretung nur für den Landtag als sol-
chen».88 Waschkuhn beurteilt die Bestellung von stellvertretenden Abge-
ordneten in Delegationen als «paradox».89
Es können weitere Argumente vorgebracht werden, die dies unter-
streichen. So verstösst eine Direktwahl gegen das verfassungsmässige
Stellvertretungsprinzip, da einem Stellvertreter die Legitimation zur
Ausübung eines ordentlichen Mandats fehlt, indem er bei den Landtags-
wahlen vom Volk nicht direkt gewählt wurde. Denn eine direkte Einset-
142
Zusammensetzung
87 Folgende parlamentarische Stellvertreter sind Mitglied einer Delegation (<www.
landtag.li>): Büchel Helmuth (Parlamentarierkomitees der EFTA- und EWR-Staa-
ten, Stellvertreter), Marion Kindle-Kühnis (Parlamentarierkomitees der EFTA- und
EWR-Staaten, Stellvertreterin), Hubert Lampert (Parlamentarische Versammlung
der OSZE, Delegationsleiter), Dominik Oehri (Parlamentarier-Kommission Boden-
see, Mitglied), Leander Schädler (Parlamentarische Versammlung des Europarates,
Stellvertreter), Stefan Wenaweser (Interparlamentarische Union IPU, Stellvertreter).
88 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 68.
89 Waschkuhn, 1994, S. 126.
zung stellvertretender Abgeordneter in Kommissionen und Delegatio-
nen bedeutet «eine völlige Gleichstellung in der Legitimation mit den
vom Volk gewählten Abgeordneten».90 Damit kann der Stellvertreter
nicht anstelle des Vollmitglieds bestellt werden, «sondern höchstens als
Stellvertreter des Vollmitglieds und neben diesem».91 Zudem ist der
Stellvertretungsfall nicht schon a priori bei der Bestellung (Direktwahl)
gegeben, sondern dürfte, «wenn überhaupt, erst hinterher bei konkreter
Verhinderung eines bestimmten Abgeordneten zur Teilnahme an einer
oder mehreren Sitzungen»92 eintreten. Damit ist sowohl eine Direktwahl
stellvertretender Abgeordneter zu Vollmitgliedern von parlamentari-
schen Kommissionen und Delegationen als auch deren Mitarbeit im
Stellvertretungsfall unzulässig.93
Der Landtag von heute folgt nicht diesen Ausführungen und lässt
die Wahl stellvertretender Abgeordneter in Delegationen zu. Das
Hauptargument, welches immer wieder vorgebracht wird, um diese
Praxis zu verteidigen, ist der Fakt, dass nur die Wahl von Stellvertretern
in Kommissionen ausdrücklich durch die Geschäftsordnung des Land-
tags ausgeschlossen ist (Art. 58 Abs. 2 GOLT), während von einem
Ausschluss bei Delegationen nicht die Rede ist. Dem ist entgegenzu -
halten, dass vom Ausschluss der stellvertretenden Abgeordneten von
Kommissionen nicht der Umkehrschluss gezogen werden kann, dass
die Mitarbeit von stellvertretenden Abgeordneten in Delegationen er-
laubt ist.
Die Ausführungen belegen, dass parlamentarische Stellvertreter
von der Mitarbeit in Delegationen (und Kommissionen) durch die Ver-
fassung grundsätzlich ausgeschlossen sind. Würde dem die Praxis folgen,
dann könnte dies Wählergruppen mit wenigen ordentlichen Landtags-
abgeordneten in Schwierigkeiten bringen.94 Die Tatsache, dass jede im
Landtag vertretene Partei das Recht hat, in Kommissionen vertreten zu
sein (Art. 58 Abs. 3 LV), kann bei kleinen Wählergruppen zur Folge ha-
ben, dass ein einzelner ordentlicher Abgeordneter zum Aufwand der
Landtagssitzungen den zusätzlichen Aufwand für die Mitarbeit in (meh-
143
Parlamentarische Stellvertretung
90 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 70.
91 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 70.
92 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 70.
93 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 70.
94 Dies bestätigt etwa der befragte Frick.
reren) Kommissionen oder auch Delegationen zu tragen hat, falls seine
Wählergruppe das Bedürfnis hat, in Kommissionen oder Delegationen
vertreten zu sein.
3.6 Erscheinungspflicht und Hinderungsgrund
des ordentlichen Abgeordneten
Die Verfassung bestimmt in Art. 49 Abs. 4 und Art. 53 das Zusammen-
wirken zwischen ordentlichem und stellvertretendem Abgeordneten.
Durch Art. 53 der Verfassung sind die ordentlichen Abgeordneten ver-
pflichtet, auf die ergangene Einberufung persönlich zu erscheinen (Art.
53 LV).95 Damit darf der ordentliche Abgeordnete nur in Ausnahmefäl-
len einer Landtagssitzung fernbleiben. Gemäss Art. 53 LV nimmt ein
stellvertretender Abgeordneter dann anstelle eines ordentlichen Abge-
ordneten an Landtagssitzungen teil, wenn dieser «verhindert» ist und
damit ein «Hinderungsgrund» vorliegt (Art. 53 LV). Art. 49 Abs. 4 LV
legt die Aufgaben des stellvertretenden Abgeordneten «bei Behinderung
eines Abgeordneten» (Art. 49 Abs. 4 LV) fest.
Es stellt sich nun die Frage, was unter diesen verschiedenen Begrif-
fen subsumiert werden kann, damit ein Stellvertretungsfall vorliegt, da
sowohl die Verfassung als auch die Geschäftsordnung diese nicht weiter
ausführen.96
144
Zusammensetzung
95 Jedes Mitglied des Landtages ist verpflichtet, an den Sitzungen teilzunehmen (Art.
20 GOLT).
96 Auch die Diskussionen um die Verfassung bzw. um die jeweilige Geschäftsordnung
gehen nicht auf diese Thematik ein. So bleiben auch die Landtagsdebatten von
1938/1939 eine Klärung schuldig, obwohl in deren Folge die Institution der stell-
vertretenden Abgeordneten wieder in die Verfassung aufgenommen wurde. Daraus
ist lediglich ersichtlich, dass der Landtag damals zu sehr mit der Diskussion um die
Einführung des Proporz beschäftigt war, als dass die Bestimmungen der stellvertre-
tenden Abgeordneten näher erläutert wurden. Auch die verschiedenen Entwick-
lungsstadien um die jeweilige Geschäftsordnung bleibt eine Erläuterung der Hinde-
rungsgründe schuldig. So wurde weder bei den Diskussionen um die Geschäftsord-
nung von 1969 noch derjenigen um die aktuelle Geschäftsordnung näher darauf
eingegangen. Einzig der damalige Abgeordnete Ernst Büchel streifte 1968 anlässlich
der Landtagssitzung vom 06.05.1968 diese Thematik: «Denn grundsätzlich besteht
ja die Verpflichtung, dass jeder Abgeordnete zur Sitzung kommt. Von dieser Ver-
pflichtung ist nur der befreit, der einen wirklichen Hinderungsgrund hat. Diesen
muss er dann ja mitteilen» (LTP 1968, S. 44).
Die Verfassung verwendet verschiedene Termini: in Art. 49 Abs. 4
«Behinderung» und in Art. 53 «Hindernis». Allerdings können die Aus-
führungen in diesen Artikeln nicht isoliert betrachtet werden. Denn wä-
ren die Bestimmungen des Art. 53 LV nicht in der Verfassung, dann wäre
nirgends geregelt, wie bei einer «Behinderung» vorzugehen ist. Das
heisst, dass Art. 53 LV die Bestimmungen des Art. 49 Abs. 4 LV konkre-
tisiert. Vice versa gilt dasselbe, da allein durch Art. 53 nicht geregelt ist,
wer überhaupt als Stellvertreter zu bestellen ist. Damit ist belegt, dass
diese Termini und damit die Bestimmungen an sich nicht isoliert be-
trachtet werden können.
Anhand einer systematischen Auslegung dieser reziproken Begriffe
im Zusammenhang mit der Erscheinungspflicht der ordentlichen Abge-
ordneten kann deshalb der Schluss gezogen werden, dass nur dann ein
Stellvertretungsfall vorliegt, wenn ein ordentlicher Abgeordneter phy-
sisch nicht in der Lage ist, an einer oder mehreren Landtagssitzungen
teilzunehmen; der Stellvertreter ist Ersatz bei konkreter physischer Ver-
hinderung des ordentlichen Abgeordneten an einer Landtagssitzung.97
Gemäss Ritter sei aber der «in Art. 49 Abs. 4 LV verwendete Be-
griff der ‹Behinderung› nicht gleichbedeutend mit jenem der ‹Verhinde-
rung›. Dieser Begriff hat ausser den Fällen der physischen Verhinderung
wie Krankheit oder Landesabwesenheit auch beispielsweise den Fall der
Interessenkollision im Auge».98 Gerade Letzteres scheint im täglichen
Landtagsgebaren Usus zu sein, indem sich ordentliche Abgeordnete
etwa ersetzen lassen, «wenn sie in einer Frage die Meinung der Fraktion
nicht teilen».99 Dieser Praxis muss entgegnet werden, dass ein stellver-
tretender Abgeordneter einem ordentlichen Abgeordneten nicht gleich-
gestellt ist, weil die Gleichstellung in der Praxis die völlige Gleichstel-
lung in der Legitimation mit den vom Volk gewählten ordentlichen Ab-
geordneten bedeuten würde.100 Dies gilt es auszuschliessen, weil die
ordentlichen Abgeordneten bei Landtagswahlen vom Volk gewählt wur-
145
Parlamentarische Stellvertretung
97 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 69.
98 Liechtensteiner Vaterland, 21.12.1987, S. 3, 5: Karlheinz Ritter war der damalige
Landtagspräsident und hielt im Dezember 1987 eine Festrede zum 125-jährigen Be-
stehen des Landtags. Dabei griff er auch die Problematik der stellvertretenden Ab-
geordneten auf.
99 Allgäuer, S. 45.
100 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 70.
den, während stellvertretende Abgeordnete nicht die nötigen Stimmen
erhielten. Damit ist ein (beliebiger) Austausch von ordentlichen mit
stellvertretenden Abgeordneten bei Interessenkollision durch die Ver-
fassung ausgeschlossen.
Um dies auch in Verfassung und Geschäftsordnung des Landtags
klarzustellen, sollte der Begriff «physischer Hinderungsgrund» in Verfas-
sung und Geschäftsordnung aufgenommen werden. Dadurch wären
Hindernisse der ordentlichen Abgeordneten, die diese direkt beeinflussen
können – wie etwa eine Meinung und daraus entstehende Interessenkol-
lisionen oder ganz allgemein solche, die durch den Abgeordneten steuer-
bar oder überhaupt ausschliessbar sind – nicht subsumierbar. Alles andere
würde eine Verwässerung der Erscheinungspflicht der ordentlichen Ab-
geordneten darstellen und damit der Verfassung und dem Wählerwillen
widersprechen. Demnach ist ein Abgeordneter zur Teilnahme an Land-
tagssitzungen verpflichtet und nur dann von dieser Pflicht befreit, wenn
tatsächlich ein physischer Hinderungsgrund vorliegt.
Da aber ein Fernbleiben, mit Ausnahme der ersten Einberufung,
dem Präsidenten anzuzeigen ist, liegt es an diesem, den gesundheitlichen
Hinderungsgrund genau in Erfahrung zu bringen und gegebenenfalls zu
tadeln, falls dieser den Kriterien nicht genügen kann, da weder die Ver-
fassung noch die Geschäftsordnung Sanktionen dafür bereithalten.
Die rechtlichen Vorgaben können die Häufigkeit einer Vertretung
der ordentlichen Abgeordneten kaum schmälern oder gar gänzlich ver-
hindern. Denn wer sich vertreten lassen will oder eventuell auf Partei-
druck vertreten lassen «muss», aus welchem Grund auch immer, wird
sich, (wenn überhaupt) unter Angabe eines gesundheitlichen Hinde-
rungsgrundes entschuldigen und müsste dadurch keine Sanktionen be-
fürchten. Auch aus diesem Grund wäre es m. E. sinnvoll, die parlamen-
tarische Stellvertretung – bei gleichzeitiger Erhöhung der Abgeordne-
tenzahl auf 50 – abzuschaffen, sodass nur die tatsächlich durch Wahl
legitimierten ordentlichen Abgeordneten im Landtag vertreten sind.
Falls aber an der parlamentarischen Stellvertretung festgehalten
wird, dann muss zumindest die Regelung eingeführt werden, dass im
Stellvertretungsfall – der nur bei einem physischen Hinderungsgrund
eintreten kann – derjenige Stellvertreter an der betreffenden Landtags-
sitzung teilnimmt, welcher von den Stellvertretern bei den Landtags-
wahlen am meisten Stimmen erhalten hat. Dadurch kann der Praxis be-
gegnet werden, nach welcher die Fraktion den Stellvertreter mit der ge-
146
Zusammensetzung
ringsten Stimmenzahl gleich behandelt wie denjenigen mit der höchsten.
Denn diese Praxis bedeutet letztlich, dass bei den stellvertretenden Ab-
geordneten nicht der Wähler, sondern die Wählergruppe die Person be-
stimmt.101
147
Parlamentarische Stellvertretung
101 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 66.
B. Arbeitsweise des Landtags
Der Landtag verfügt über verschiedene Instrumente bzw. Organe, die
ihn unterstützen oder das Landtagsgebaren prägen. In diesem Kapitel
werden das Landtagsbüro, das Landtagssekretariat, die Arbeitsperioden
des Landtags sowie dessen Autonomie dargestellt. Gegenstand dieses
Kapitels sind ferner der Landesausschuss und die Entschädigung der
Abgeordneten.
1. Landtagsbüro
Das Landtagsbüro besteht aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten
und den Fraktionssprechern, denen der Landtagssekretär mit beratender
Stimme zur Seite steht (Art. 8 Abs. 1 GOLT). Es ist beschlussfähig, wenn
mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend sind. Bei Verhinderung ei-
nes Fraktionssprechers kann ein Stellvertreter entsandt werden (Art. 8
Abs. 5 GOLT).
Das Landtagsbüro steht dem Landtagspräsidenten in seinen Ent-
scheidungen beratend zur Seite. Zudem wirkt es bei der Erstellung des
Sitzungsprogrammes und bei der Festlegung der Tagesordnung, bei der
Erstellung des Landtagsbudgets sowie bei der Anstellung von neuem
Personal für das Landtagssekretariat im Rahmen der bewilligten Stellen
mit (Art. 8 Abs. 2, 3, 4 GOLT).
Die Regierung bestimmt – über ihr Recht hinaus, zur Traktandie-
rung der Landtagsgeschäfte eine Stellungnahme abzugeben (Art. 19
GOLT) – die Tagesordnung des Landtags.102 Zudem haben die im Rah-
men dieser Arbeit geführten Interviews aufgezeigt, dass sich das Land-
148
102 Heeb, S. 143.
tagsbüro gerade bei der Traktandierung von Geschäften von der Regie-
rung vereinnahmen lässt, indem es diese zu knapp – das heisst ohne Ein-
haltung der Drei-Wochen-Frist (Art. 18 GOLT) – traktandiert.103 Zu-
dem nimmt es Vorlagen der Regierung, welche noch nicht umgesetzt
sind, rein nach dem Titel und ohne Kenntnis des Inhalts auf die Trak-
tandenliste.104 Solche Vorlagen der Regierung sollte das Landtagsbüro
nicht durch eine Traktandierung gutheissen, sondern es sollte sie selbst-
bewusst zu einem späteren Zeitpunkt – wenn die Vorlage ausgearbeitet
ist – auf die Traktandenliste setzen. Damit wäre den Abgeordneten und
dem Landtag insgesamt gedient.
Die Regierung legt dem Landtag in den seltensten Fällen alle In-
formationen vor, die ihr selbst zur Ausfertigung einer Vorlage zur Ver-
fügung standen. Die Abgeordneten Batliner, Wolff, Frick und Kaiser
sind der Meinung, dass die Regierung dem Landtag solche Informatio-
nen (Stellungnahmen, Gutachten, Expertisen, usw.) bewusst vorenthalte.
Somit hätten die Abgeordneten keine Kenntnis über Informationen,
weshalb sie der Landtag auch nicht von der Regierung einfordern
könne.105 Der Abgeordnete Wendelin Lampert: «Und man kann halt nur
die richtigen Fragen stellen, wenn man auch entsprechende Informatio-
nen erhält. Man sagt ja nicht umsonst, dass man im Prinzip mit einer ge-
zielten Fragestellung auch die Antwort provozieren kann, aber dazu
braucht man gewisse Informationen.»106 Und der Abgeordnete Pepo
Frick: «Die Kosten für Expertisen und Gutachten wachsen steil an. Iro-
nischerweise bekomme ich als Landtagsabgeordneter keine Einsicht in
diese Gutachten und Expertisen. Logischerweise verliert die Volksver-
tretung mehr und mehr an Einfluss.»107
Das Land Liechtenstein hat für Experten und Gutachten im Jahr
2008 CHF 6,7 Millionen ausgegeben, folglich mehr Geld als für den ge-
samten Landtag (CHF 4,2 Millionen).108
Pointiert zitierte Waschkuhn zu dieser Lage der Abgeordneten den
Bundestagsabgeordneten Skarpelis-Sperk: «Wir [. . .] bieten schon ein
149
Landtagsbüro
103 Befragung Batliner, Beck.
104 Befragung Kaiser.
105 Befragung Batliner, Wolff, Frick, Kaiser.
106 LTP 2009, S. 675.
107 LTP 2009, S. 869.
108 Landtag, Regierung und Gerichte 2008, S. 438.
merkwürdiges Bild, wie wir in der Postkutsche nach Informationen ja-
gen, während der Kommunikations-Jetset von Regierung, Verwaltung,
Medien und Verbänden über unsere Köpfe hinwegdonnert.»109 Um die-
ses Informationsdefizit auszumerzen oder abzuschwächen, sollte das
Landtagsbüro die Regierung verpflichten, sämtliche ihr zur Ausarbei-
tung einer Vorlage zur Verfügung gestandenen Materialien anzugeben
und auf Verlangen dem Landtagsbüro zuzustellen. Allerdings könnte
dies der Landtag bereits heute unter Androhung der Nichtbehandlung
der Vorlage von der Regierung verlangen.
Damit sich die Abgeordneten besser auf grössere Gesetzesvorha-
ben und umfangreiche bzw. wichtige Geschäfte einstellen können,
sollte das Landtagsbüro die Regierung zudem verpflichten, zu Beginn
einer Sitzungsperiode den Landtag mittels Bericht darüber zu informie-
ren, welche Vorlagen in Bearbeitung sind, damit der Landtag gegen-
enenfalls den Prozess beeinflussen oder zumindest begleiten kann.110 In
diesem Sinne müsste die Regierung dem Landtagsbüro vorzeitig eine
Liste solcher Vorhaben sowie allenfalls vorliegende Materialien überge-
ben. Nach (positiver) Überprüfung durch das Landtagsbüro sollten
diese Materialien den Abgeordneten zugestellt werden, auch wenn diese
noch nicht traktandiert sind, damit sich die Abgeordneten vorinformie-
ren können.111
Darüber hinaus sollte das Landtagsbüro die Termine der Landtags-
sitzungen auf wenigstens zwei Jahre im Voraus festlegen, damit die
Landtagsarbeit für die Milizparlamentarier besser planbar ist.112 Damit
der Landtag aber grundsätzlich weiss, wohin die Reise in den nächsten
Jahren geht, scheint es zudem opportun, dass das Landtagsbüro die Re-
gierung verpflichtet, dem Landtag zu Beginn ihrer Amtsdauer ein Re-
gierungsprogramm vorzulegen, aus dem ihre politische Gesamtplanung
hervorgeht.113
150
Arbeitsweise des Landtags
109 Waschkuhn, System 1994, S. 165.
110 Dies wünschen sich auch die befragten Abgeordneten Batliner, Beck, Frick, Hilti.
111 Befragung Batliner, Beck, Frick, Kaiser.
112 Befragung Batliner, Beck, Frick, Kaiser.
113 Allgäuer, S. 387. Dies hat auch der Fraktionssprecher der FBP anlässich der Land-
tagssitzung vom 16.09.2009 gefordert: «Aus diesem Grund fordert die FBP-Frak-
tion den Regierungschef auf, in einer Erklärung darzulegen, wie er in der Vergan-
genheit Landtag, Institutionen und Öffentlichkeit informiert hat und wie er in
Zukunft gedenkt, den Landtag und die Öffentlichkeit über die zentralen und zu-
2. Landtagssekretariat
Das Landtagssekretariat besteht aus dem Landtagssekretär, seinem Stell-
vertreter und Mitarbeitern. Es verfügt derzeit über 5,8 Stellen. Zudem
sind zwei Mitarbeiter auf Stundenbasis zur Erstellung des Landtagspro-
tokolls angestellt.114 Der Landtagssekretär und sein Stellvertreter werden
vom Landtag bestellt. Die dienstrechtlichen Verfügungen werden von
der Regierung im Einvernehmen mit dem Landtagspräsidenten getrof-
fen. Daneben werden Disziplinarverfahren gegen Mitarbeiter des Land-
tagssekretariats von der Regierung von Amtes wegen mit Ermächtigung
des Präsidenten durchgeführt (Art. 15 Abs. 1, 2, 3 GOLT).
Falls für die Besorgung der Geschäfte des Landtags, des Präsiden-
ten und der Kommissionen Bedarf an zusätzlichem Personal besteht, so
ist dieses vom Präsidenten bei der Regierung anzufordern. Diese hat die
hierfür zur Verfügung gestellten Beamten und Angestellten nötigenfalls
von den Dienstpflichten zu befreien (Art. 15 Abs. 4 GOLT).
Die Leitung des Landtagssekretariats obliegt dem Landtagssekre-
tär. Derzeit ist Josef Hilti als Landtagssekretär tätig.115 Er unterstützt
den Landtagspräsidenten, das Landtagsbüro, die Abgeordneten, die
Kommissionen und die Delegationen in ihrer parlamentarischen Arbeit
(Art. 16 Abs. 1 GOLT).
Das Landtagssekretariat unterstützt den Landtag und ist bei der
Ausübung seiner Funktionen von der Regierung unabhängig (Art. 15
Abs. 1 GOLT). Insbesondere ist es zuständig für die Sekretariatsge-
schäfte des Landtags und seines Präsidenten, die Protokollierung der
Landtagsdebatten und die Herausgabe der Landtagsprotokolle, die Er-
fassung der Landtagsbeschlüsse, die Protokolle und den Schriftverkehr
von Kommissionen und Delegationen, die Beschaffung von Informatio-
nen und Unterlagen zuhanden der Abgeordneten sowie die Verlesung
der Vorlagen, soweit der Präsident dazu nicht die Schriftführer beauf-
tragt hat. Dabei können weitere Aufgaben vom Landtagsbüro in einem
Reglement festgehalten werden (Art. 16 Abs. 2, 3 GOLT).
151
Landtagssekretariat
kunftsträchtigen Themen und Reformvorhaben, welche erhebliche Auswirkungen
auf die gesamte Volkswirtschaft bzw. die Wohlfahrt dieses Landes und seiner Be-
völkerung haben, zu informieren» (LTP 2009, S. 666).
114 Landtag, Regierung und Gerichte 2009, S. 14.
115 Landtag des Fürstentums Liechtenstein, S. 14.
Das Landtagssekretariat hat damit eine Fülle von Aufgaben wahr-
zunehmen. Dabei stösst es an seine Grenzen.116 Dies steht in Wider-
spruch zu Ausführungen von Marti, der festhält, dass die nötigen Vo-
raussetzungen – auch hinsichtlich des Parlamentssekretariats – geschaf-
fen werden müssen, damit das Milizsystem funktionstüchtig bleibt.117 Er
verwendet dafür den Terminus des «relativen Milizsystems».118
Ein Blick über die Staatsgrenzen zeigt, dass eine solche organisato-
rische Struktur gerade hinsichtlich des Landtagssekretariats grosses Po-
tenzial besitzt. So bietet sich das Modell einer Landtagskanzlei, wie es
der Landtag Vorarlberg kennt,119 ebenso an wie das Modell eines Parla-
mentsdienstes, wie es etwa das Parlamentsgesetz für die Bundesver-
sammlung der Schweiz vorsieht.120 Wird der Zweck beider Instrumente
analysiert, dann unterscheiden sie sich im Detail, nicht aber in der
Grundidee: Unterstützung des Parlaments über die Funktion einer blos-
sen Koordinationsstelle hinaus. Dies wäre auch in Liechtenstein für den
Landtag eine Notwendigkeit.121
Die Parlamentsdienste der Schweizer Bundesversammlung unter-
stützen die Bundesversammlung bei der Erfüllung ihrer Aufgaben (Art.
64 Abs. 1 CHParlG). Dabei erbringen sie «eine umfassende Dienstleis-
tung und ermöglichen damit den Parlamentarierinnen und Parlamenta-
riern eine vertiefte und kreative gesetzgeberische Arbeit».122 Die Parla-
mentsdienste werden von der Generalsekretärin oder dem Generalse-
kretär der Bundesversammlung geführt (Art. 65 Abs. 2 CHParlG) und
erfüllen gemäss Art. 64 Abs. 2 CHParlG folgende Aufgaben:
«Sie planen und organisieren die Sessionen und die Sitzungen der
Kommissionen, sie besorgen die Sekretariatsgeschäfte, die Überset-
zungsarbeiten und die Protokollierung der Beschlüsse und Ver-
handlungen der Räte, der Vereinigten Bundesversammlung und der
152
Arbeitsweise des Landtags
116 Befragung Beck, Frick, Kaiser.
117 Marti, S. 109.
118 Marti, S. 109.
119 Landtagsbeschluss über eine Geschäftsordnung für den Vorarlberger Landtag
(GOLT-Vorarlberg), LGBlÖ-Vorarlberg 2007, Nr. 55.
120 Bundesgesetz über die Schweizerische Bundesversammlung vom 13.12.2002
(CHParlG), SR 171.10 (Stand 02.03.2009).
121 Dieser Meinung sind etwa auch die befragten Beck, Frick, Kaiser.
122 <www.parlament.ch/d/service-presse/parlamentsdienste/Seiten/default.aspx>,
23.04.2010.
Kommissionen, sie führen eine Dokumentation und bieten Dienst-
leistungen im Bereich der Dokumentation und der Informations-
technologien an, sie beraten die Ratsmitglieder, insbesondere die
Präsidien der Räte und der Kommissionen in Sach- und Verfah-
rensfragen, sie informieren die Öffentlichkeit über die Bundesver-
sammlung und ihre Tätigkeiten, sie unterstützen die Bundesver-
sammlung bei der Pflege ihrer internationalen Beziehungen, unter
Vorbehalt der Zuständigkeiten von Ratsorganen besorgen sie alle
übrigen Aufgaben der Parlamentsverwaltung.»
Diese weitreichenden Aufgabenbereiche werden von den einzelnen Par-
lamentsdiensten wahrgenommen. Dazu zählen etwa Generalsekretariat,
Dienst für Information und Kommunikation, Dokumentationsdienst,
Rechtsdienst und Kommissionsdienst.123
Für Liechtenstein ist m. E. der Schritt von einem Landtagssekreta-
riat mit 5,8 Stellen zu mehreren Parlamentsdiensten zu gross. Vielmehr
sollte das Landtagssekretariat als Parlamentsdienst gestaltet werden, der
sich ein Reglement und damit spezialisierte Abteilungen geben kann.
Die zu Beginn wichtigste Aufgabe wäre die erweiterte Informationsbe-
schaffung und Beratung in Fachfragen, um als Gegenpart zur Regierung
die Landtagsarbeit bzw. den politischen Prozess zu bilden und zu för-
dern. Denn «die Abgeordneten sind weitgehend auf die Informationen
durch die Regierung angewiesen. Für eigene Abklärungen fehlt die In-
frastruktur und meistens auch die Zeit.»124
Deswegen sollte der Parlamentsdienst über die bereits jetzt dem
Landtagssekretariat obliegenden Aufgaben Abklärungen in Rechts-,
Sach- oder Verfahrensfragen, auch mittels externer Gutachten, durch-
führen. Wird dieses Anforderungsprofil mit den einzelnen Parlaments-
diensten der Bundesversammlung verglichen, dann entspricht deren
Kommissionsdienst weitestgehend den für Liechtenstein notwendigsten
Bedürfnissen. Sein Aufgabenbereich ist wie folgt umschrieben:
«Nicht alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier können sich
mit jeder Vorlage umfassend auseinandersetzen. Zahl, Komplexität
und Vernetzung der Geschäfte nehmen ständig zu. Deshalb wird
153
Landtagssekretariat
123 <www.parlament.ch/d/service-presse/parlamentsdienste/aufgaben/Seiten/default.
aspx>, 26.07.2010.
124 Allgäuer, S. 54 ff.
jedes Geschäft einer Kommission zugewiesen. Deren Sekretariate
bilden den Kommissionsdienst. Sie planen die Kommissionsarbei-
ten, betreuen die Kommissionen inhaltlich, organisatorisch und ad-
ministrativ und beraten die Kommissionspräsidentin oder den
Kommissionspräsidenten und die Kommission in den Belangen des
Parlaments.»125
In diesem Sinne sollte der Kommissionsdienst der Schweizer Bundes-
versammlung zumindest zu Beginn als Rezeptionsvorlage herangezogen
werden, allerdings mit dem Vorbehalt, dass er nicht nur den Kommis-
sionen, sondern dem Plenum dient. Zu Beginn müsste der Parlaments-
dienst vornehmlich als eine Art Rechtsdienst agieren, während er bei po-
sitiver Wirkung bzw. bei Bedarf (auch in anderen Fachbereichen) konti-
nuierlich auszubauen ist.
Da die Fraktionen bereits heute externe Experten für Beratung
oder Stellungnahmen konsultieren, für die sie vom Landtag eine kleine
Entschädigung erhalten,126 könnte der Ausbau dieses Instruments eben-
falls zu einer Stärkung des Landtagssekretariats und damit des Landtags
insgesamt führen. Dabei könnte das Landtagssekretariat jeder Fraktion
– gegebenenfalls jeder Wählergruppe – (juristische) Berater zur Seite
stellen, die den Fraktionen «generell bei komplexen Vorlagen oder bei
Bedarf für Recherchen und die Erarbeitung von parlamentarischen Vor-
stössen zur Verfügung stehen».127
M. E. ist aber dem beschriebenen Parlamentsdienst klar Vorzug zu
geben, weil er verstärkt der Institution Landtag und nicht den Fraktio-
nen dient und mittels eines Geschäftsreglements relativ flexibel ausge-
staltet und ausgebaut werden kann.
Neben der juristischen Unterstützung hätte der Parlamentsdienst
eine ganz andere, nicht minder wichtige Aufgabe wahrzunehmen: die
Einführung der Abgeordneten in das Landtagsmandat.128 Dabei sollten
den Neu-Abgeordneten die Stellung des Landtags in der Verfassung so-
wie die Rechte und Pflichten der Institution Landtag als auch diejenige
154
Arbeitsweise des Landtags
125 <www.parlament.ch/d/service-presse/parlamentsdienste/aufgaben/Seiten/
default.aspx>, 26.07.2010.
126 Befragung Kaiser.
127 Ansprache von Alterspräsident Klaus Wanger, LTP 2008, S. 7.
128 Dies wünschen sich auch die Befragten Frick, Beck.
der Abgeordneten vermittelt werden. Darauf aufbauend sollte ihnen die
Landtagsarbeit und damit die Geschäftsordnung des Landtags möglichst
praxisnah erläutert werden, damit die Abgeordneten bzw. die Institution
Landtag bereits zu Beginn einer Legislaturperiode zielorientiert agieren
können und das Selbstverständnis der Abgeordneten gefördert wird.
Der Landtag unterlässt es, sein Image durch aktives Marketing im
Sinne einer (positiven) Öffentlichkeitsarbeit zu pflegen. Dies bestätigt
bereits ein Blick auf die Homepage des Landtags (<www.landtag.li>),
welche – im Gegensatz zur Homepage der Regierung (<www.regie
rung.li>) – eine praktisch monochrome Datenbank darstellt.129 Die Öf-
fentlichkeitsarbeit des Landtags sollte mittels des Parlamentsdienstes
stark forciert werden, indem er in Zusammenarbeit mit dem Landtags-
präsidenten «eine gesamtparlamentarische Informationsarbeit im Sinne
einer wohlverstandenen institutionellen Imagepflege des Parlaments»130
betreibt. Die Aufgaben des in diesem Sinne agierenden Parlamentsdiens-
tes können den Ausführungen Sarcinellis entnommen werden:
«Parlamentarische Komplexität verständlich machen, die Normali-
tät des parlamentarischen Alltags zeigen, parlamentarische Pro-
zesse und Verfahren transparent machen, Einblicke in die parla-
mentarische ‹Werkstatt› geben, differenzierte und zielgruppenge-
rechte Informationen bieten, parlamentarische Politik mit der
Lebenswelt der Menschen verbinden, Personalisierung als Mög-
lichkeit der Politikvermittlung nutzen und ‹Täter-› und ‹Betroffe-
nenperspektive› miteinander verbinden.»131
Es wäre darüber hinaus wünschenswert, wenn das Landtagssekretariat
bzw. der Parlamentsdienst die Voten der Abgeordneten sogleich proto-
kollieren und im Sinne einer Live-Schaltung online stellen würde, wie es
das Amtliche Bulletin der Parlamentsdienste der Schweiz macht: «Jedes
Parlament ist deshalb auch ein Protokollierunternehmen. [. . .] Nahezu in
Echtzeit werden die Voten der Ratsmitglieder transkribiert und auf
<www.parlament.ch> publiziert.»132 Falls in Liechtenstein die aktuelle
155
Landtagssekretariat
129 <www.landtag.li>, 20.10.2011.
130 Sarcinelli, S. 266.
131 Sarcinelli, S. 273.
132 <www.parlament.ch/d/service-presse/parlamentsdienste/aufgaben/Seiten/
default.aspx>, 23.04.2010.
Stunde sowie die Fragestunde tatsächlich eingeführt werden, dann wäre
es darüber hinaus erstrebenswert, wenn das Landtagssekretariat bzw.
der Parlamentsdienst die öffentliche Wiedergabe im Internet, bestenfalls
in Echtzeit, sicherstellen könnte. Durch diese Massnahmen könnte das
Volk einfacher und unmittelbar am politischen Geschehen teilnehmen.
Abschliessend ist festzuhalten, dass der Parlamentsdienst nicht ge-
schaffen werden sollte, um mit der Regierung und ihrer Verwaltung in
einen Wettbewerb einzutreten.133 Gemäss Partsch ist ein solcher Wettlauf
ebenso teuer wie aussichtslos.134 Aber es ist wichtig, «dem Abgeordneten
eigene Informationsquellen zu erschliessen und ihn von der Material -
suche und von allen seiner Aufgabe fremden technischen Arbeiten zu
entlasten, doch kann es ihm nicht abgenommen werden, dass er selbst –
und zwar als Politiker, nicht als Sachverständiger – entscheidet».135
3. Arbeitsperioden des Landtags
Die Arbeitsperioden des Landtags lassen sich in drei Zeiträume unter-
teilen: Mandatsdauer, Sitzungsperiode und Sitzung.
– Unter Mandatsdauer bzw. Legislaturperiode versteht man die Zeit
zwischen einer und der nächsten Landtagswahl. Sie dauert, ausser
bei vorzeitiger Auflösung des Landtags, vier Jahre (Art. 47 LV).136
– Die Legislaturperiode beginnt mit der Eröffnung des Landtags
durch den Landesfürsten oder durch einen Bevollmächtigten. In
dieser Eröffnungssitzung legen sämtliche neu eingetretenen Mit-
glieder einen Eid ab (Art. 54 LV).137
Die Mandatsdauer ist in vier Sitzungsperioden aufgeteilt. Diese beginnen
jedes Jahr mit der Eröffnung des Landtags und enden mit dessen Schlies-
156
Arbeitsweise des Landtags
133 Allgäuer, S. 373.
134 Partsch, Parlament, S. 111.
135 Partsch, Parlament, S. 111.
136 Die GOLT verwendet in Art. 30 AbS. 6 den Terminus «Legislaturperiode» und in
Art. 53 «Mandatsperiode».
137 Der Eid gemäss Art. 54 LV lautet: «Ich gelobe, die Staatsverfassung und die beste-
henden Gesetze zu halten und in dem Landtage das Wohl des Vaterlandes ohne Ne-
benrücksichten nach bestem Wissen und Gewissen zu fördern, so wahr mir Gott
helfe.»
sung am Jahresende, im Sonderfall mit der vorzeitigen Auflösung (Art.
48 LV, Art. 1, 4 GOLT).138
In der Verfassung wird der Zeitraum, in welchem der Landtag als
versammelt gilt, nicht genau festgelegt. Allerdings bestimmt Art. 56 der
Verfassung: «Zu einer Zeit, während welcher der Landtag nicht versam-
melt ist, so ist hievon ungesäumt dem Landesausschusse mit Angabe des
Grundes Mitteilung zu machen.» Damit gilt der Landtag immer dann als
versammelt, wenn der Landesausschuss nicht besteht. Da der Landes-
ausschuss nach Art. 71 LV «zwischen einer Vertagung, Schliessung oder
Auflösung des Landtages und seinem Wiederzusammentreten» (Art. 71
LV) besteht, gilt der Landtag üblicherweise im Zeitraum zwischen
Eröffnung und Schliessung als versammelt. Indem der Landtag in der
Praxis üblicherweise im Februar einberufen und im Dezember geschlos-
sen wird, dauert eine Sitzungsperiode ca. zehn Monate.139 Darin ent -
halten sind ca. drei Monate Sommerpause, während welcher der Land-
tag zwar als versammelt gilt, aber üblicherweise keine Landtagssitzun-
gen abhält.140 Da der Landtag nach Ende der Mandatsperiode ebenso
geschlossen wird wie am Ende einer Sitzungsperiode, sind auch die
Konsequenzen dieselben: Der Landtag gilt aufgrund der Schliessung als
nicht versammelt und ist damit ausgeschaltet und damit handlungsun -
fähig. In dieser Zeit gibt es demzufolge auch keinen Landtagspräsiden-
ten mehr, sondern «nur mehr den Präsidenten des Landesausschus-
ses».141 Damit ist die Bestimmung des Art. 57 Abs. 2 GOLT vor der Ver-
fassung nicht haltbar, indem besondere Kommissionen (Art. 55 GOLT)
und Unter suchungskommissionen (Art. 56 GOLT) auch tagen können,
wenn der Landtag geschlossen ist.142 Damit der Landtag und seine Or-
gane wieder handlungsfähig sind, muss der Landtag erst wieder eröffnet
werden. Der Landtag sollte innerhalb der Mandatsperiode nicht ge-
157
Arbeitsperioden des Landtags
138 Weder die Verfassung noch die Geschäftsordnung bestimmen das Ende der Sit-
zungsperiode genau. Da aber Art. 1 der Geschäftsordnung besagt, dass «zu Anfang
eines jeden Jahres» die Einberufung zu einer Sitzungsperiode erfolgt, ist am Ende
des Jahres die Sitzungsperiode durch Schliessung des Landtags zu Ende (oder zum
Zeitpunkt der vorzeitigen Auflösung).
139 LTP 2000–2009.
140 LTP iVm Agenda des Landtags (<www.landtag.li/default.aspx?event=0>,
14.08.2009).
141 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 102.
142 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 102.
schlossen werden und damit von einer Landtagswahl zur nächsten hand-
lungsfähig bleiben.143
Innerhalb der Sitzungsperioden tritt der Landtag zu Sitzungen zu-
sammen, welche der Landtagspräsident anordnet (Art. 49 Abs. 2 LV).
Die Sitzungen dauern üblicherweise zwei bis drei Tage, selten länger. Im
Jahr 2009 wurden acht ordentliche Arbeitssitzungen mit insgesamt 20
Arbeitstagen abgehalten.144
4. Der Landesausschuss
4.1 Allgemeines
«Für die Zeit zwischen einer Vertagung, Schliessung oder Auflösung des
Landtages und seinem Wiederzusammentreten besteht [. . .] an Stelle des
Landtages zur Besorgung der seiner Mitwirkung oder jener seiner Kom-
missionen bedürftigen Geschäfte der Landesausschuss.» (Art. 71 LV) Er
wird nach der Schliessung des Landtags bis zu seiner Wiedereinberufung
durch den Landesfürsten in eigener Person oder durch einen Bevoll-
mächtigten (Art. 54, 55 LV), üblicherweise für die Zeit zwischen Mitte
Dezember und Mitte Februar bestellt.145
Der Landesausschuss ist eine vom Landtag klar zu trennende un-
abhängige Institution, da der Landtag während der Zeit des Landesaus-
schusses ausgeschaltet und handlungsunfähig ist. Der Landesausschuss
ist deshalb «ein parlamentarisches Hilfsorgan für die Zeit, in der der
Landtag ausgeschaltet ist. Er ist dem Landtag für seine Geschäftsführung
verantwortlich.»146
158
Arbeitsweise des Landtags
143 Die Verfassung unterscheidet klar zwischen «eröffnen» und «einberufen»: Ersteres
geschieht einmal pro Legislaturperiode und dient dem Ablegen des Eides, während
die Einberufung (durch Verordnung des Landesfürsten) mindestens am Anfang je-
des Jahres stattfindet, wodurch die Sitzungsperiode beginnt. So auch Art. 1 und 3
GOLT. Nur der Landesfürst oder ein Bevollmächtigter kann den Landtag eröffnen
oder schliessen, den Landtag (auf drei Monate) vertagen oder auflösen kann aber der
Landesfürst nur persönlich, wobei hierzu erhebliche Gründe vorliegen müssen,
welche dem Landtag mitzuteilen sind (Art. 48, 49, 54, 55 LV).
144 <www.landtag.li>, 14.08.2009.
145 LTP. Die Agenda des Landtags kann unter folgender Internetadresse eingesehen
werden: <www.landtag.li>, 14.08.2009.
146 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 103.
Der Landesausschuss besteht aus dem Landtagspräsidenten und
zwei Abgeordneten jedes Wahlkreises, die vom Landtag aus seiner Mitte
gewählt werden (Art. 72 Abs. 1 LV). Die Wahl ist offen, sofern kein Ab-
geordneter geheime Wahl beantragt (Art. 49 GOLT).
Die Sitzungen des Landesausschusses finden «nach Bedarf über
Einberufung durch den Präsidenten am Sitze der Regierung statt» (Art.
76 Abs. 1 LV). Dabei ist für die Gültigkeit der Landesausschussbe-
schlüsse die Anwesenheit von mindestens drei Mitgliedern erforderlich
(Art. 76 Abs. 2 LV). Die Mitglieder des Landesausschusses beziehen für
ihre «Sitzungen die nämlichen Taggelder und Reisevergütungen wie die
Abgeordneten» (Art. 77 LV).
Neben der allgemeinen Bestimmung des Artikels 71 LV, die anord-
net, dass der Landesausschuss für diejenigen Geschäfte zuständig ist, die
während der Sitzungsperiode der Mitwirkung des Landtags oder seiner
Kommissionen bedürfen, bestimmt Art. 74 LV die Aufgaben und Pflich-
ten (Art. 71, 74 LV). So ist der Landesausschuss insbesondere berechtigt
und verpflichtet darauf zu achten, dass die Verfassung aufrechterhalten
und Landtagsgeschäfte erledigt werden sowie dass der Landtag bei vo-
rausgegangener Auflösung oder Vertagung rechtzeitig wieder einberufen
wird (Art. 74 lit. a LV). Dabei kann er lediglich «nach Erfordernis der
Umstände die Einberufung des Landtages» (Art. 74 lit. f LV) beantragen.
Weiters hat er die Landeskassenrechnung zu prüfen und sie mit Berich-
ten und Anträgen an den Landtag zu leiten sowie die auf die Landeskasse
unter Bezug auf einen vorausgegangenen Landtagsbeschluss auszustel-
lenden Schuld- und Pfandverschreibungen mit zu unterzeichnen (Art. 71
lit. b, c LV). Der Landesausschuss muss zudem sowohl die vom Landtag
erhaltenen besonderen Aufträge zur Vorbereitung künftiger Landtags-
verhandlungen erfüllen als auch in dringenden Fällen Anzeige an den
Landesfürsten oder die Regierung erstatten und bei Bedrohung oder
Verletzung verfassungsmässiger Rechte, Vorstellungen, Verwahrungen
und Beschwerden erheben, sowie nach Erfordernis der Umstände die
Einberufung des Landtags beantragen (Art. 71 lit. d, e, f LV).
Durch das Finanzhaushaltsgesetz147 hat die Regierung bei ge-
schlossenem Landtag den Landesausschuss bei Kreditüberschreitungen
über CHF 100 000 zu informieren (Art. 10 lit. f FHG). Zudem kann die
159
Der Landesausschuss
147 Gesetz vom 20.10.2010 über den Finanzhaushalt des Staates (Finanzhaushaltsgesetz;
FHG), LGBl 2010, Nr. 73.
Regierung bei Aufwänden oder investiven Ausgaben, für die im Voran-
schlag kein oder kein ausreichender Kredit bewilligt ist und die keinen
Aufschub ertragen, einen Kredit beschliessen, welchen sie bei geschlos-
senem Landtag dem Landesausschuss zur Kenntnis bringen muss
(Art. 11 Abs. 2 FHG).
Der Landesausschuss kann aber bei all seinen Aufgaben «keine
bleibende Verbindlichkeit für das Land eingehen und ist dem Landtag
für seine Geschäftsführung verantwortlich» (Art. 75 LV).
Die genannten Bestimmungen unterlagen seit Bestehen des Land-
tags im Jahre 1862 mehreren Reformbestrebungen (§§ 103ff LV 1862). So
wurde im Jahr 1987 eine Landtagskommission zur Parlamentsreform
bestellt, welche die Geschäftsordnung von 1989 erarbeitete. Bei der Be-
stellung der Kommission wies der Abgeordnete Hermann Hassler da-
raufhin, insbesondere die «Stellung und Funktion des Landesausschus-
ses»148 zu prüfen. Trotz dieser Vorgabe fand dieses Ansinnen im Bericht
und Antrag der Landtagskommission zur Parlamentsreform lediglich
folgende Würdigung: «Die Art. 71 bis 77 der Verfassung enthalten die
Vorschriften über den Landesausschuss. Die Kommission ist der Auf-
fassung, dass diese Bestimmungen nicht änderungsbedürftig sind.»149
Auch in den Jahren 1993 und 1994 wurde die Bestellung einer
Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen für eine Parlamentsre-
form beschlossen. Allerdings muss bei näherer Betrachtung der Land-
tagsprotokolle dieser Jahre festgestellt werden, dass der Landtag jeweils
keine detaillierte Zielvorstellung mit spezifizierten Aufgaben bestimmt
hat.150 So blieb es für den Landesausschuss bei den doch zum Teil rudi-
mentären Bestimmungen der Verfassung.
Im Jahr 1997 wurde erneut eine Parlamentsreformkommission be-
stellt, für welche die Bestimmungen des Landesausschusses aber wie-
derum nicht von derartiger Relevanz waren, um sich damit auseinander-
zusetzen, was der «Bericht der Kommission zur Erarbeitung von Vor-
schlägen für eine Parlamentsreform (Parlamentsreformkommission)»151
160
Arbeitsweise des Landtags
148 LTP 1987, Band 1, S. 127 f.
149 BuA der Landtagskommission zur Parlamentsreform (Nr. 4/1989), unter anderem
abgedruckt im Anhang zu LTP 1989, Band 1.
150 Öffentliche Sitzung vom 24.02.1994, LTP 1994, S. 232 f und öffentliche Sitzung vom
24.06.1993, LTP 1993, S. 453 ff.
151 Bericht der Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen für eine Parlamentsre-
form (Parlamentsreformkommission) vom 15.10.1996, unter anderem abgedruckt
bestätigt. Dies wurde denn auch bei den Landtagsdebatten über die Ge-
schäftsordnung von 1997 vom Abgeordneten Paul Vogt anlässlich des
Berichts der Parlamentsreformkommission bemängelt:
«Ich erlaube mir noch eine Bemerkung. Und zwar bezieht sie sich
auf den Landesausschuss. Die Kommission hat die Stellung und die
Funktionen des Landesausschusses nicht überprüft. Es finden sich
keine Artikel in der Geschäftsordnung, die sich auf den Landesaus-
schuss beziehen. Ich glaube, es wäre sinnvoll gewesen, wenn man
sich den Landesausschuss ein bisschen näher betrachtet hätte.»152
Den Ausführungen ist zu entnehmen, dass die Bestimmungen des Lan-
desausschusses seit 1862 trotz regelmässiger Beurteilung praktisch un-
verändert blieben.153 Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass im
Falle der Bestellung einer Landtagsreformkommission die Änderung an-
derer Bestimmungen jeweils wichtiger als diejenigen des Landesaus-
schusses erschien. Das heisst aber nicht, dass weder die Bestimmungen
des Landesausschusses noch die Institution des Landesausschusses an
sich unumstritten waren.
4.2 Reformvorschläge
Im heutigen politischen System Liechtensteins finden sich kaum mehr
Argumente für die Beibehaltung des Landesausschusses.154 Die Daseins-
berechtigung des Landesausschusses ist aus mehreren Gründen fragwür-
161
Der Landesausschuss
im Anhang zu LTP 1996, Band 4: «Aus dem Protokoll der betreffenden Landtags-
sitzung (S. 232) ist zu ersehen, dass sich der Landtag auf die Wahl der Kommissi-
onsmitglieder beschränkte, ohne die Aufgabenstellung näher festzulegen. Bezüglich
der Zielsetzung kann auf die Landtagsdebatte vom 24.06.1993 zurückgegriffen wer-
den (LTP S. 453 – 457), anlässlich welcher eine Kommission mit gleicher Bezeich-
nung eingesetzt worden war.»
152 LTP 1996, S. 2427
153 Die den Landesausschuss betreffenden Bestimmungen in der Verfassung von 1862
verglichen mit denjenigen in der Verfassung von 1921 sind inhaltlich praktisch iden-
tisch, es wurde lediglich die Sprache der Moderne angepasst. Diesen Artikeln der
Verfassung von 1921 ist bis heute lediglich eine Änderung widerfahren: Durch Art.
74 lit. e kann der Landesausschuss in dringenden Fällen Anzeige zusätzlich (neben
dem Landesfürsten) auch an die Regierung erstatten.
154 Allgäuer, S. 362.
dig.155 Erstens: Der Landesausschuss besteht in der Winterpause des
Landtags für ca. zwei Monate. Die Sommerpause des Landtags hingegen
dauert üblicherweise von Juni bis September, demnach ca. drei Mo-
nate,156 ohne dass der Landesausschuss bestellt würde.157 In diesem Sinne
ist die Bestellung des Landesausschusses bereits unter dem zeitlichen
Gesichtspunkt fragwürdig.
Zweitens ist der Landtag für die Zeit des Landesausschusses ausge-
schaltet und damit handlungsunfähig. Da der Landesausschuss nicht die-
selben Rechte und Pflichten wie der Landtag besitzt, kommt die Parla-
mentsarbeit praktisch vollständig zum Erliegen, während dies weder bei
der Exekutive noch bei der Judikative der Fall ist. Schon aus diesem
Grund kann das Verhältnis der Gewalten in Liechtenstein nie ausgegli-
chen sein, was das «checks and balances»-Verhältnis mit der Regierung
(vorübergehend) in Frage stellt.
Drittens wählt das Volk 25 Abgeordnete für die Institution Land-
tag. Obwohl auch der Landesausschuss aus gewählten Abgeordneten be-
steht, wurden nicht nur diese, sondern alle Abgeordneten vom Wahlvolk
mit der Volksvertretung betraut. Es erscheint fragwürdig, dass das vom
Volk legitimierte und das Volk repräsentierende Organ (Art. 45 LV)
«nicht permanent in der Lage ist, die Rechte und Interessen des Volkes
wahrzunehmen».158
Aus diesen Gründen hat die Institution des Landesausschusses
keine Daseinsberechtigung und sollte abgeschafft werden: Der Landtag
sollte während der vierjährigen Sitzungsperiode bis zur Neuwahl als
durchgehend versammelt gelten.159 Damit entfielen sämtliche Schlies-
sungen des Landtags während einer Legislaturperiode. So könnte auch
der verfassungswidrige Zustand ausgeschlossen werden, dass in der Zeit
einer handlungsunfähigen Institution dessen Organe tagen (Art. 57 Abs.
2 GOLT).
Obwohl damit die bis anhin viermalige Einberufung des Landtags
während einer Mandatsperiode entfällt und er damit nunmehr einmal er-
162
Arbeitsweise des Landtags
155 Allgäuer, S. 360 ff.
156 LTP iVm der Agenda des Landtags, welche unter folgender Internetadresse einge-
sehen werden kann: <www.landtag.li>.
157 Befragung Kaiser.
158 Allgäuer, S. 361.
159 Allgäuer, S. 387.
öffnet werden müsste, könnte m. E. an der alljährlichen Thronrede des
Landesfürsten anlässlich der Einberufung des Landtags formal festge-
halten werden.160 Mit dem Unterschied, dass der Landesfürst seine tra-
ditionsreiche Rede nicht mehr halten würde, um den Landtag einzube-
rufen, sondern um eine neue Sitzungsperiode zu einzuleiten.
5. Autonomie des Landtags und deren Sicherung
5.1. Immunität und Indemnität
Gemäss Koja ist die persönliche Stellung der Parlamentsabgeordneten
«schliesslich und vor allem durch das Institut der Immunität charakteri-
siert».161 Immunität und Indemnität dienen dem Funktionieren des Par-
laments: Es «geht bei diesen Bestimmungen nicht um eine Privilegierung
der Mitglieder [. . .], sondern vielmehr um die Garantie der Funktionsfä-
higkeit der staatlichen Organe im freiheitlich-demokratischen Rechts-
staat».162 Durch die Immunität und Indemnität werden die rechtlichen
Voraussetzungen für eine völlig freie und unabhängige Mandatsaus-
übung ausreichend gegeben und der Abgeordnete bleibt damit «vor al-
lem sich selber und seinem Gewissen verpflichtet».163
Die Immunität befreit die Abgeordneten zeitlich oder dauernd von
der Gerichtsbarkeit im Sinne des Verbots der Einleitung und Durchfüh-
rung eines gerichtlichen Verfahrens. Gemäss Verfassung darf kein Abge-
ordneter während der Dauer der üblicherweise von Februar bis Dezem-
ber dauernden «Sitzungsperiode ohne Einwilligung des Landtages ver-
haftet werden, den Fall der Ergreifung auf frischer Tat ausgenommen»
(Art. 56 Abs. 1). Im letzteren Fall entscheidet der Landtag über die Auf-
rechterhaltung der Haft (Art. 56 Abs. 2 LV). Damit kann der Landtag die
Immunität eines Abgeordneten ex ante aufheben, damit ein Verfahren
über den Abgeordneten eingeleitet werden kann, oder er hebt sie ex post
auf, indem er die Haft eines auf frischer Tat ergriffenen Abgeordneten
163
Autonomie des Landtags und deren Sicherung
160 Befragung Batliner.
161 Koja, S. 175.
162 Marti, S. 91.
163 Marti, S. 91.
gutheisst. Das letzte Mal wurde die Immunität über einen Abgeordneten
in nicht-öffentlicher Sitzung am 13. Mai 2000 aufgehoben.164
Unter Indemnität ist dagegen die rechtliche Nichtverantwortlich-
keit und der Schutz des einzelnen Abgeordneten für sein parlamentari-
sches Verhalten zu verstehen. Durch sie kann ein Abgeordneter etwa für
eine im Parlament getätigte Behauptung nicht auf deren Unterlassung
geklagt werden. Deshalb können die Abgeordneten weder für ihre Ab-
stimmungen noch für ihre Äusserungen in Sitzungen des Landtags oder
seiner Kommissionen jemals gerichtlich belangt werden (Art. 57 Abs. 1
LV). Sie sind dabei nur dem Landtag bzw. dem Volk verantwortlich, wo-
bei die Regelung der Disziplinargewalt der Geschäftsordnung vorbehal-
ten bleibt (Art. 57 LV). Gemäss Art. 22 GOLT obliegt diese dem Land-
tagspräsidenten, doch kann er lediglich jenen Abgeordneten massregeln,
der den politischen Anstand verletzt (Art. 22 GOLT).
5.2. Festlegen eigener Verfahrensregeln: Die Geschäftsordnung
Die bisherigen Ausführungen zeigten auf, dass der Landtag auf der
Grundlage seiner Geschäftsordnung arbeitet. Sie beinhaltet die Vor-
schriften über die Organisation des Landtags sowie dessen Gebaren bei
Debatten. Dazu ist sie in ihrer jetzigen Fassung in zwölf Abschnitte un-
terteilt: Sitzungsperiode, Validierung und Vereidigung, Landtagsbüro,
Sitzungsprotokolle und Landtagssekretariat, Sitzungen, Beratungen,
Gesetzesredaktion, Parlamentarische Eingänge, Abstimmungen, Wah-
164
Arbeitsweise des Landtags
164 Am 13.05.2000 schrieb das Liechtensteiner Vaterland unter dem Titel «Haftbefehl
gegen Landtagsabgeordneten» auf der Titelseite: «Der Abgeordnete Gabriel Marxer
wurde aufgrund seiner Immunität, die er als Parlamentarier geniesst, nicht in Haft
genommen.» Am 15.05.2000 war wiederum auf der Titelseite des Liechtensteiner
Vaterlands zu lesen: «Spitzers Ermittlungen haben über das vergangene Wochen-
ende zu fünf Verhaftungen geführt. Der Prominenteste darunter war der FBPL-
Landtagsabgeordnete Gabriel Marxer. Er hatte am Samstag in einer nicht-öffentli-
chen Landtagssitzung selbst den Antrag gestellt, seine Immunität aufzuheben.» Auf
der Titelseite des Liechtensteiner Volksblatts war am 15.05.2000 eine Pressemittei-
lung des Landtages abgedruckt: «Der Landtag hat in seiner nicht-öffentlichen Sit-
zung am 13.05.2000 über Antrag des Landgerichts beschlossen, die Immunität des
Abgeordneten Gabriel Marxer aufzuheben. Der Abgeordnete Marxer hatte in der
vorhergehenden Debatte den Landtag selbst ersucht, dem Antrag des Landgerichts
zu entsprechen, damit die gegen ihn erhobenen Vorwürfe rasch und umfassend ab-
geklärt werden können.»
len, Delegationen und Kommissionen und als zwölfter Abschnitt die
Schlussbestimmung.
Der Landtag beschliesst die Geschäftsordnung unter Beobachtung
der Bestimmungen der Verfassung (Art. 60 LV). Das Verfahren für die
Erarbeitung der Geschäftsordnung ist nicht festgelegt, da es sich nicht
um ein Gesetz im eigentlichen Sinn handelt. Die aktuelle Geschäftsord-
nung wurde allerdings wie ein Gesetz behandelt.165
Durch die Bestellung einer Landtagskommission in der Septem-
bersitzung des Jahres 2009 mit dem Auftrag, «die Geschäftsordnung für
den Landtag kritisch zu prüfen und allfällige Verbesserungsvorschläge
für den Landtag und die Landtagsarbeit vorzulegen»,166 wird in naher
Zukunft eine neue Geschäftsordnung in Kraft treten, welche die der jet-
zigen Geschäftsordnung anhaftenden Mängel bzw. Lücken ausmerzen
soll. Zur Landtagsreform meint der Abgeordnete Jürgen Beck: «Die Re-
form des Landtags hat auch die Stärkung des Landtags als erste Priorität
zum Grundsatz.»167
Seit Bestellung dieser Kommission scheint für viele Abgeordnete
die Lösung vieler im Landtag auftauchender Probleme die Landtagsre-
form zu sein, indem sie immer wieder darauf hinweisen.168 Doch in wel-
chem Ausmass auch immer der Landtag mittels Geschäftsordnung re-
formiert wird, muss bedacht werden, dass eine Änderung der Spielregeln
nicht automatisch ein ertragreicheres Spiel zur Folge hat. Das heisst,
«Geschäftsordnungen können nur die Rahmenbedingungen für das par-
lamentarische Verfahren schaffen»,169 aber gelebt werden müssen sie von
den Abgeordneten.
In diesem Sinne müssen die Abgeordneten als Teil einer vom Volk
gewählten Institution, deren Daseinsberechtigung im Verfassungsauf-
trag begründet ist, die Rechte und Interessen des Volkes – im Verhältnis
zur Regierung – wahrnehmen und geltend machen, um das Wohl des
Landes zu fördern (Art. 45 Abs. 1 LV) und die Geschäftsordnung leben.
Erst durch ein Handeln nach dieser Maxime kann sich eine Reform der
Geschäftsordnung wirklich auszahlen.
165
Autonomie des Landtags und deren Sicherung
165 LTP 1996, S. 2424 ff.
166 LTP 2009, S. 711.
167 LTP 2010, S. 90.
168 LTP 2009.
169 Zögernitz, S. 261.
5.3. Selbstversammlungsrecht und Selbstauflösungsrecht
Der Landtag besitzt während der Sitzungsperiode das Recht, sich selbst
zu versammeln, wenn dies von fünf Abgeordneten unter Angabe des zu
behandelnden Geschäfts schriftlich verlangt wird. In diesem Fall hat der
Landtagspräsident innert drei Wochen eine Landtagssitzung einzuberu-
fen. Soll sie innert einer kürzeren Frist stattfinden, muss die Dringlich-
keit begründet werden (Art. 17 Abs. 2 GOLT).
Allerdings kann der Landtag dieses Selbstversammlungsrecht in
der Zeit zwischen Mitte Dezember und Mitte Februar nicht wahrneh-
men, da in dieser Zeit der Landesausschuss bestellt ist und der Landtag
handlungsunfähig ist. In diesem Zeitraum kommt ihm daher kein Ein-
berufungsrecht zuteil, da er faktisch nicht existiert.170
Darüber hinaus besitzt der Landtag weder ein Selbstauflösungs-
recht, noch kann er sich selbst eröffnen oder schliessen. Der Landtag
kann aber während aufrechter Sitzungsperiode den Landesfürsten indi-
rekt zur Auflösung des Landtags veranlassen: So können neun Abge-
ordnete durch Fernbleiben den Landtag aufgrund des 2⁄3-Quorums dau-
ernd beschlussunfähig machen, wodurch dem Landesfürsten nichts an-
deres übrig bliebe, als den (beschlussunfähigen) Landtag aufzulösen
(Art. 48 Abs. 1 LV).
Daneben kann auch eine Volksabstimmung über die Auflösung des
Landtages verlangt werden: entweder von mindestens 1500 wahlberech-
tigten Landesbürgern (begründet und schriftlich) oder von einem Ge-
meindeversammlungsbeschluss von mindestens vier Gemeinden (Art. 48
Abs. 3 LV).
6. Plenum und Plenardebatte
Das Plenum171 ist die Vollversammlung, also die Sitzung möglichst aller
Mitglieder einer Institution (auch Plenarsitzung). In diesem Abschnitt
werden die (rechtlichen) Rahmenbedingungen dieser Vollversammlung
166
Arbeitsweise des Landtags
170 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 102.
171 «Plenum» ist lateinisch und bedeutet Gesamtheit, Vollversammlung. In der Rechts-
wissenschaft ist es die Vollversammlung eines Kollegiums (Plenarsitzung).
des Landtags sowie deren Wahrnehmung durch die Abgeordneten dar-
gestellt.
6.1 Plenarsaal und Landtagsinfrastruktur
Das im Jahre 2008 eröffnete und CHF 42,2 Millionen teure Landtagsge-
bäude aus Klinkersteinen befindet sich am Peter-Kaiser-Platz in Vaduz.
Es ist zweigeteilt in das hohe und das lange Haus und bietet dem Land-
tag optimale infrastrukturelle Voraussetzungen.172
Das lange Haus umfasst eine Vielzahl an Räumen: die Büros des
Landtagspräsidenten und des Landtagsvizepräsidenten, das Landtagsse-
kretariat, zwei Sitzungszimmer, eine Bibliothek, ein Archiv, die Frakti-
onszimmer, eine Cafeteria, eine Lounge sowie eine Dachterrasse.173
Eigentlicher Mittelpunkt des Landtagsgebäudes ist aber das hohe
Haus mit dem Plenarsaal. Zuhörer von öffentlichen Landtagssitzungen
gelangen über den Haupteingang des hohen Hauses in die Eingangshalle
und von dort in den darüber liegenden Plenarsaal, wo sich die eigens für
sie vorhandenen Zuschauerplätze befinden.174
In technischer Hinsicht verfügt der Saal über eine moderne elek-
tronische Redneranzeigetafel mit integrierter Abstimmungsanlage, eine
Technikkabine zur Übertragung der öffentlichen Plenarsitzungen sowie
eine Übersetzungskabine.175
Für die offiziellen Sitzungsteilnehmer ermöglicht der Plenarsaal
eine für Plenardebatten optimale Sitzordnung, indem die Abgeordneten,
die Regierung und das Landtagssekretariat in einer Kreisform sitzen.
Damit besteht zwischen allen Teilnehmern einer Landtagssitzung Sicht-
kontakt.
Es soll aber an dieser Stelle die Anmerkung erlaubt sein, dass die
Anzahl von 25 Abgeordneten keine unbewegliche Tatsache darstellt, ob-
wohl der Architekt davon ausgegangen zu sein scheint. Durch Erhöhung
der Abgeordnetenzahl wäre diese optimale Sitzordnung wieder Ge-
schichte, da der Plenarsaal genau auf 32 (25 Abgeordnete, fünf Regie-
167
Plenum und Plenardebatte
172 Landtag des Fürstentums Liechtenstein, 2009, S. 37.
173 Landtag des Fürstentums Liechtenstein, S. 37 f.
174 Landtag des Fürstentums Liechtenstein, S. 37 f.
175 Landtag des Fürstentums Liechtenstein, S. 38.
rungsräte und zwei Mitarbeiter des Landtagssekretariats) im Kreis sit-
zende Personen zugeschnitten ist. Damit würde diese kreisförmige Sitz-
ordnung im Landtagssaal bereits ab einer Abgeordnetenzahl von ca. 40
an seine klinkersteinernen Grenzen stossen.
6.2 Beschlussfähigkeit
Damit der Landtag beschlussfähig ist, müssen bei einer Landtagssitzung
mindestens 2⁄3 der 25, also 17 Abgeordnete, anwesend sein (Art. 58 LV).
Dieses Quorum soll in Liechtenstein für eine hohe Anwesenheit der Ab-
geordneten sorgen und «verhindern, dass in halbleerer Kammer Mehr-
heiten, die in Wirklichkeit nur eine Minderheit des Volkes repräsen -
tierten, kompromisslose Gesetze beschlössen».176 Das Landtagsquorum
kann aber auch einem ganz anderen (parteipolitischen) Zweck dienen.
So können zahlenmässig starke Gruppen durch Fernbleiben oder Ver-
lassen von Sitzungen das notwendige Anwesenheitsquorum verhindern
und damit Entscheidungen im Landtag blockieren. «Die politische Rai-
son verbietet es jedoch, dieses Blockadepotential allzu häufig einzu -
setzen.»177
Verfassungsänderungen erfordern zusätzlich zum Quorum «Stim-
meneinhelligkeit seiner anwesenden Mitglieder oder eine auf zwei nach-
einander folgenden Landtagssitzungen sich aussprechende Stimmen-
mehrheit von drei Vierteln derselben, allenfalls eine Volksabstimmung
(Art. 66) und jedenfalls die nachfolgende Zustimmung des Landesfürs-
ten, abgesehen von dem Verfahren zur Abschaffung der Monarchie»
(Art. 112 Abs. 2 LV). Demgegenüber bedürfen «gewöhnliche» Land-
tagsbeschlüsse zur Gültigkeit neben dem Quorum die absolute Stim-
menmehrheit unter den anwesenden Mitgliedern.178
Beides ist dispositives Recht, welches durch die Verfassung selbst
oder die Geschäftsordnung des Landtags abgeändert werden kann, wo-
bei weder diese noch jene von diesem Recht Gebrauch machen (Art. 58
168
Arbeitsweise des Landtags
176 Geiger, Volksvertretung, S. 49.
177 Marxer/Pállinger, S. 43.
178 Absolute Stimmenmehrheit bedeutet mindestens eine Stimme mehr als die Hälfte
der abgegebenen und gültigen Stimmen.
LV).179 Die Geschäftsordnung stellt lediglich klar, dass das Anwesen-
heitsquorum nur bei Abstimmungen und Wahlen erforderlich ist und
dass der Präsident bei Beschlussunfähigkeit die Sitzung unterbricht oder
sie auf bestimmte Zeit schliesst (Art. 25 Abs. 2, 3 GOLT).
6.3 Einladung und Zustellungen
Damit im hohen Haus eine Landgtagssitzung stattfinden kann, hat der
Landtagspräsident während einer Sitzungsperiode die Sitzungen anzu-
ordnen (Art. 49 Abs. 2 LV). Die Verfassung enthält keine weiteren Be-
stimmungen über die Einladungen und Zustellungen zu Landtagssitzun-
gen. Gemäss Art. 18 GOLT müssen die Abgeordneten durch eine Einla-
dung, welche «in der Regel drei Wochen vor der Landtagssitzung zu
erlassen» (Art. 18 Abs. 1 GOLT) ist, zu einer Sitzung eingeladen werden.
Diese Frist kann in dringenden Fällen kürzer ausfallen (Art. 18 Abs. 1
GOLT). Zusätzlich müssen Vorlagen, Berichte und Anträge den Abge-
ordneten drei Wochen vor der Landtagssitzung zugestellt werden, wo-
bei auch diese Frist in dringenden Fällen abgekürzt werden kann (Art.
18 Abs. 2 GOLT). Einzig der Landesvoranschlag und der Rechen-
schaftsbericht der Regierung müssen zwingend mindestens vier Wochen
vor der Landtagssitzung im Besitz der Abgeordneten sein (Art. 18 Abs.
3 GOLT).
Ein Blick in die Geschichte des Landtags zeigt auf, dass diese Fris-
ten immer wieder für kontroverse Diskussionen sorgten. Die erste Ge-
schäftsordnung war noch frei von Fristen für Einladungen und Zustel-
lungen. Diese wurden erst im Jahr 1969 eingeführt (§ 12 GOLT 1863).
Der Geschäftsordnung von 1969 lag ein Entwurf der Abgeordne-
ten Ivo Beck und Peter Marxer vom 19. Dezember 1967 zugrunde, wel-
cher eine einheitliche Frist von acht Tagen forderte.180 In der ersten Le-
sung dieser Vorlage wurde eine Fristverlängerung auf 14 Tage diskutiert.
Diese Forderung fand dann insoweit ihren Niederschlag, als die Einla-
dung 14 Tage, Vorlagen, Berichte und Anträge hingegen zehn Tage vor
169
Plenum und Plenardebatte
179 Art. 58 LV: «[. . .] soweit in dieser Verfassung oder in der Geschäftsordnung nicht et-
was anderes bestimmt wird.»
180 Bericht von Ivo Beck und Peter Marxer vom 19.12.1967, § 15, abgedruckt im An-
hang zu LTP 1968, Band 1.
der Landtagssitzung den Abgeordneten zugestellt werden sollten.181
Beide Fristen konnten in dringenden Fällen abgekürzt werden (§ 15
GOLT 1969).
Im Jahre 1989 wurden diese Fristen einheitlich auf drei Wochen
verlängert und aneinander gekoppelt (§ 17 Abs. 1, 2 GOLT 1989).182 Zu-
sätzlich musste der Landesvoranschlag und der Rechenschaftsbericht
zwingend vier Wochen vor der Landtagssitzung im Besitz der Abgeord-
neten sein (§ 17 Abs. 3 GOLT 1989). Auch diesmal wurde im Landtag
sehr breit und tiefgreifend diskutiert. Der Abgeordnete Georg Schier-
scher setzte sich für eine feste Frist von vier Wochen ein.183 Dazu ent-
gegnete der damalige Regierungschef Hans Brunhart: «Es geht nicht da-
rum, ob wir wollen oder nicht, sondern die Frage ist, ob wir das früher
schicken können.»184
Hieraus wird die grundsätzliche Problematik der Zustellfristen
zwischen Regierung und Parlament ersichtlich, wozu der Abgeordnete
Ernst Walch ausführte:
«Ich anerkenne auch den Wunsch nach Flexibilität, die wir uns si-
cher bewahren sollen. Nur sehe ich dennoch irgendwo ein Miss-
verhältnis. Es wird vom Milizparlamentarier durch die zwei- oder
dreiwöchige Frist bzw. die 10-Tage-Frist verlangt, sich innert die-
ser drei Wochen seriös vorzubereiten. [. . .] Und wenn ich mir vor-
stelle, dass man sich auch sachverhaltsmässig informieren muss,
sich einlesen muss, dann sind drei Wochen ungeheuer kurz. [. . .].
Auch die Kontrollfunktion des Landtages wird sehr stark einge-
schränkt. Der Landtag wird sehr viel weniger initiativ sein können,
weil er nur noch reagiert und nicht agieren kann.»185
170
Arbeitsweise des Landtags
181 LTP 1968, S. 23 iVm 1969, S. 108 u. 122; Bereinigter Kommissionsbericht von Ivo
Beck und Peter Marxer vom 29.11.1968, § 15, abgedruckt im Anhang zu LTP 1969,
Band 1.
182 § 17 AbS. 1 GOLT 1989 lautet: «Jede Einladung ist in der Regel drei Wochen vor
der Sitzung zu erlassen. In dringenden Fällen kann die Frist abgekürzt werden.» §
17 Abs. 2 GOLT 1989: «Vorlagen, Berichte und Anträge müssen, vorbehaltlich AbS.
1 Satz 2, spätestens mit der Einladung zugestellt werden.» Damals behandelte der
Landtag in der ersten Lesung noch eine Vorlage, die eine Frist von zehn Tagen für
Vorlagen, Berichte und Anträge und eine Frist von drei Wochen für die Einladung
vorsah (BuA Nr. 4/1989, § 15, abgedruckt im Anhang zu LTP 1989, Band 1).
183 LTP 1989, S. 119.
184 LTP 1989, S. 120 f.
185 LTP 1989, S. 122
Dieselben Probleme wurden auch anlässlich der Debatte zum Bericht
der Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen für eine Parlaments-
reform vom 15. Oktober 1996 angesprochen.186 Die Parlamentsreform-
kommission war am 24. Februar 1994 bestellt worden und hatte insge-
samt 26 Sitzungen abgehalten.187 Der Bericht empfahl, dass die Frist zur
Zustellung von Vorlagen, Berichten und Anträgen unabhängig vom Ver-
sand der Einladung an die Abgeordneten an eine feste Frist von drei Wo-
chen gebunden werden sollte.188 Am 21. November 1996 wurde diese
Vorlage im Landtag diskutiert, wobei erneut die Überbelastung des
Landtags angesprochen wurde. Als Konsequenz haben einzelne Abge-
ordnete eine vierwöchige Frist verlangt. So auch Gebhard Hoch: «Ich
bin der Meinung, dass diese abgekürzten Fristen in der Vergangenheit zu
oft strapaziert worden sind. Ich möchte [. . .] dass jede Einladung vier
Wochen vor der Landtagssitzung zu erlassen ist und das ‹in der Regel›
gestrichen wird.»189 Dazu der Abgeordnete Gabriel Marxer: «Ich glaube
auch, dass wir uns selbst durchaus leisten können, uns selbst so ernst zu
nehmen, dass wir eine vierwöchige Frist vorsehen – wie gesagt – in der
Regel. Ich bin auch gegen eine absolute Beschneidung. [. . .] Es soll mög-
lich sein, sehr rasch zu reagieren, aber bitte nur in wirklich dringenden
Ausnahmefällen.»190
Auch wenn die Parlamentsreformkommission diese Kritik in ih-
rem zweiten Bericht einfliessen liess,191 blieb es bei einer Frist von «in
der Regel drei Wochen» (Art. 18 Abs. 1, 2 GOLT). Damit sind seit 1996
Einladungen «in der Regel drei Wochen vor der Landtagssitzung zu er-
lassen» (Art. 18 Abs. 1 GOLT) und «Vorlagen, Berichte und Anträge
müssen spätestens drei Wochen vor der Landtagssitzung zugestellt wer-
171
Plenum und Plenardebatte
186 Bericht der Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen für eine Parlamentsre-
form (Parlamentsreformkommission) vom 15.10.1996, abgedruckt im Anhang zur
öffentlichen Landtagssitzung vom 20./ 21.11.1996, LTP 1996, Band 4.
187 LTP 1994, S. 232.
188 Bericht der Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen für eine Parlamentsre-
form (Parlamentsreformkommission) vom 15.10.1996, S. 4, unter anderem abge-
druckt im Anhang zur öffentlichen Landtagssitzung vom 20./ 21.11.1996, LTP 1996,
Band 4.
189 LTP 1996, S. 2435.
190 LTP 1996, S. 2436.
191 Stellungnahme zu den Kommentaren und Anregungen anlässlich der 1. Lesung des
Kommissionsberichtes, in der Landtagssitzung vom 21.11.1996, § 18, abgedruckt im
Anhang zur öffentlichen Landtagssitzung vom 11./ 12.12.1996, LTP 1996, Band 4.
den», wobei in dringenden Fällen die Fristen abgekürzt werden können
(Art. 18 Abs. 2 GOLT).
Dieser geschichtliche Rückblick zeigt augenscheinlich die Span-
nungen zwischen Regierung und Landtag hinsichtlich der Materialien-
zustellung auf. So ist aus den Voten ersichtlich, dass die Regierung damit
argumentiert, dass es ihr zum Teil nicht möglich sei, die Vorlagen, Be-
richte und Anträge früher an die Abgeordneten zu schicken, während
sich diese darüber beschweren, dass sie als Milizparlamentarier häufig
durch zu kurze Fristen überfordert sind.
Tatsache ist, dass je länger die Fristen in der Geschäftsordnung
sind, desto häufiger Dringlichkeitsfälle eintreten. Des Weiteren zeigt
sich, dass zwischen zwei aufeinanderfolgenden Sitzungen meistens und
ziemlich genau vier Wochen liegen. Somit beträgt die längste mögliche
Zustellungsfrist vier Wochen, weil die Abgeordneten kurz vor einer
Landtagssitzung kaum die Materialien der nächstfolgenden Landtagssit-
zung studieren. Aus diesem Grund scheint eine Zustellungsfrist von vier
Wochen als angebracht.
Gemäss den Befragten Wolff, Beck und Frick beansprucht die Re-
gierung die Dringlichkeitsregel zu oft, weshalb die Traktandierung zu
«Feuerwehrübungen» führt.192 Dabei scheint die Regierung Vorlagen
«leichtfertig» zu spät in den Landtag zu bringen, wodurch den Abge-
ordneten das genaue Studium der Vorlagen bzw. das Erlangen von wei-
teren Informationen immens erschwert wird.193
Der Regierung scheint es zu gelingen, dem Landtag Vorlagen als
dringlich zu verkaufen, da der Landtag diese mittels Landtagsbüro selbst
traktandiert (Art. 8 Abs. 2 GOLT). Der Landtag könnte sich selbst mehr
Zeit geben, indem er die Behandlung von zu kurzfristigen Vorlagen auf
die übernächste Landtagssitzung festlegt. M. E. besteht deshalb bei der
Zustellungsfrist von drei Wochen sowohl rechtlich kein Änderungs -
bedarf als auch faktisch keine Änderungsmöglichkeit. Deshalb ist nicht
die dreiwöchige Zustellungsfrist das primäre Problem, sondern die
Traktandierung durch (zu) häufige Beanspruchung der Dringlichkeits -
regel.
172
Arbeitsweise des Landtags
192 Befragung Wolff, Beck, Frick.
193 Befragung, Frick, Beck.
Handlungsbedarf besteht auch hinsichtlich der zugestellten Mate-
rialien, da die Regierung dem Landtag nicht alle ihr zur Ausarbeitung
einer Vorlage zur Verfügung gestandenen Materialien (Gutachten, Ex-
pertisen, Stellungnahmen, usw.) vorlegt.194 Damit kann auch das Land-
tagsbüro diese nicht den Abgeordneten zustellen.195 Dies ist für die un-
eingeschränkte Meinungsbildung der Volksvertretung nicht förderlich.
Es entsteht ein Informationsdefizit.
Zusammenfassend bringen die Ausführungen ein eindeutiges Para-
dox zu Tage: Der Landtag nimmt mittels Landtagsbüro die Traktandie-
rung von Regierungsvorlagen zwar selbst vor, beklagt sich aber darüber,
dass die Zeitspannen zu kurz sind und nicht alle Informationen zur Ver-
fügung stehen. Dieses Dilemma kann auch eine Änderung der Zustell-
fristen nicht beseitigen. Vielmehr müssen die Landtagsabgeordneten
selbst mit politischem Selbstbewusstsein auftreten und die Regierung in
die Pflicht nehmen.
6.4 Plenum und Öffentlichkeit
Nach Art. 23 der Geschäftsordnung sind die Sitzungen des Landtags «in
der Regel öffentlich» (Art. 23 Abs. 1 LV). Dabei hat einzig «die Behand-
lung von Gesetzen und Finanzbeschlüssen, mit Ausnahme von allfälli-
gen Vorbesprechungen» (Art. 24 Abs. 4 GOLT) zwingend in öffentli-
cher Sitzung zu erfolgen. Es ist einer dem Plenarsaal angemessenen An-
zahl von Zuhörern Zutritt zu gewähren, wobei Pressevertretern – soweit
wie möglich – besondere Plätze angewiesen werden (Art. 23 Abs. 2 LV).
Der Landtagspräsident hat das Recht, bei Unruhe oder bei Äusserungen
von Beifall oder Missbilligung die störende Person aus dem Zuhörer-
raum entfernen zu lassen oder bei Unordnung den Zuhörerraum nach
fruchtloser Mahnung vollständig zu räumen (Art. 23 Abs. 3, 4 GOLT).
Von einer solchen durch Störungen im Zuhörerraum provozierten
Nichtöffentlichkeit ist die aufgrund eines bestimmten Sachthemas aus-
gesprochene Nichtöffentlichkeit zu unterscheiden. Solche nichtöffentli-
chen Landtagssitzungen sind der Ort, wo die Regierung vertraulich zu
173
Plenum und Plenardebatte
194 Befragung Batliner, Wolff, Frick, Beck, Kaiser.
195 Siehe dazu IV.B.1.
behandelnde Informationen an den Landtag weiterleitet oder wo land-
tagsinterne Geschäfte oder Personalangelegenheiten besprochen wer-
den.196 Im Jahr 2009 liegt das Hauptaugenmerk im nichtöffentlichen
Landtag auf dem Finanzplatz.197
Während die Geschäftsordnung des Landtags die Nichtöffentlich-
keit dahingehend näher bestimmt, als «die Behandlung von Gesetzen
und Finanzbeschlüssen, mit Ausnahme von allfälligen Vorbesprechun-
gen [. . .] in öffentlicher Sitzung zu erfolgen» (Art. 24 Abs. 4 GOLT) hat,
fehlen derartige Bestimmungen der Verfassung vollends (Art. 24 Abs. 4
LV). Somit kann die Nichtöffentlichkeit zu praktisch jedem Themenbe-
reich vom Landtagspräsidenten angeordnet oder vom Landtag auf An-
trag eines Abgeordneten oder eines Regierungsmitgliedes beschlossen
werden. Der Zuhörerraum ist vor der Beratung und Abstimmung über
einen solchen Antrag zu räumen (Art. 24 Abs. 1 GOLT). Obwohl es die
Geschäftsordnung nicht bestimmt, ist es m. E. vice versa möglich, dass
ein Abgeordneter im nichtöffentlichen Landtag einen Antrag stellt, um
die Behandlung eines bestimmten Traktandums in den öffentlichen
Landtag zu verlegen.
In der Praxis ist es Usus, dass bei jeder Landtagssitzung jeweils am
ersten Nachmittag für ca. zwei Stunden eine nichtöffentliche Landtags-
sitzung stattfindet. Demnach werden solche Sitzungen nicht aus einem
speziellen aktuellen Anlass angeordnet, sondern sind fixer Bestandteil je-
der Landtagssitzung.
Es steht ausser Frage, dass die Öffentlichkeit wegen überwiegender
privater oder öffentlicher Interessen einzuschränken ist, beispielsweise
wenn die Privatsphäre Dritter verletzt oder die Sicherheit Liechtensteins
tangiert ist.198 Allerdings kann der Wähler nichts vom Inhalt einer nicht-
öffentlichen Sitzung in Erfahrung bringen, da deren Protokolle nur mit
Bewilligung des Landtags veröffentlicht werden dürfen und die Teilneh-
mer über die Verhandlungen Stillschweigen bewahren müssen, sofern
der Landtag die Schweigepflicht nicht ausdrücklich aufhebt (Art. 24
Abs. 2, 3 GOLT). Somit kann der Landtag bei unbequemen Themen die
Öffentlichkeit ausschliessen und dadurch der Kontrolle der Wähler ent-
gehen. Da aber «die Parlamentsöffentlichkeit der Bevölkerung auch
174
Arbeitsweise des Landtags
196 Landtag des Fürstentums Liechtenstein, S. 25.
197 Befragung Frick, Hilti.
198 Moeckli, System, S. 73.
heute noch eine wesentliche Informationsvoraussetzung für ihr direkt-
demokratisches Verhalten, vornehmlich bei Wahlen»199 bildet, sollten
nichtöffentliche Sitzungen nur vereinzelt abgehalten werden. Ansonsten
können die Wahlen durch die Nichtöffentlichkeit der Landtagssitzungen
ihre Funktion im Sinne der Volkssouveränität nicht erfüllen, weil dazu
das Volk in Erfahrung bringen können muss, wie das Parlament als Gan-
zes und wie der einzelne Abgeordnete handelt.200
Zudem ist «das Öffentlichkeitsprinzip als grundlegendes Prinzip
des liechtensteinischen demokratischen Rechtsstaates» gerade hinsicht-
lich des Redeparlaments mit ausgeprägten Plenardebatten zu bewah-
ren.201 Es sollte eine «Entscheidungsfindung organisierter Interessen
hinter verschlossenen Türen»202 möglichst vermieden werden. Diesem
Bedürfnis und der Verantwortung gegenüber dem Souverän kann der
Landtag nur in öffentlichen Landtagssitzungen gerecht werden, weil nur
dort Transparenz gelebt werden kann. Auch kann nur dort die Minder-
heit die Öffentlichkeit auf Mängel der Mehrheit oder der Regierung hin-
weisen.
Ein Beispiel dafür, wie die Öffentlichkeit nicht im Sinne der Aus-
führungen gewahrt wird, zeigt die Behandlung einer Vorlage in der öf-
fentlichen Landtagssitzung vom 17. Mai 2006, welche auffallend kurz
diskutiert wurde.203 Grund dafür war die Vorbehandlung im nichtöf-
fentlichen Landtag, wie es der damalige Landtagspräsident selbst aus-
führte: «Nachdem wir dieses Traktandum bereits in der nichtöffentli-
chen Sitzung besprochen haben, haben wir nun über diesen Antrag der
Regierung abzustimmen.»204 Solches Gebaren des Landtags sollte unter-
bunden werden, da dies dem Erfordernis der öffentlichen Behandlung
nicht genügen kann und damit Art. 24 Abs. 4 GOLT widerspricht. Ab-
satz 4 des Artikels 24 GOLT bildet somit den Hauptunterschied zwi-
175
Plenum und Plenardebatte
199 Morscher, S. 787.
200 Niesen, S. 330 f.: «Das Prinzip der Volkssouveränität besagt, dass das Volk über die
verfassungs- und gesetzgebende Gewalt verfügt, der alle anderen Gewalten, alle
Personen und Assoziationen unterworfen sind.»
201 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 88.
202 Hofmann/Dose/Wolf, S. 95
203 LTP 2006, S. 650 ff.: Abänderung der Entschädigungsregelung für die Stellvertreter
der Vorsitzenden sowie für die Rechtskundigen Beisitzer der drei Senate des Ober-
gerichts (Schreiben der Regierung vom 25.04.2006, RA 2006/1025–1612).
204 LTP 2006, S. 650.
schen der Geschäftsordnung von 1863 (§ 21ff GOLT 1863)205 und der
heutigen Geschäftsordnung.
Die Geschäftsordnung gibt jedoch keinen Aufschluss, was «über
die Verhandlungen Stillschweigen zu bewahren» (Art. 24 Abs. 3 GOLT)
bedeutet. Die für die Geschäftsordnung von 1997 bestellte Parlaments-
reformkommission hat sich zu diesem Thema zwar Gedanken gemacht,
kam dabei aber lediglich zu folgendem Schluss:
«Verschiedene Vorschläge, in der Geschäftsordnung weitere Aus-
führungen über die Schweigepflicht in Bezug auf die nichtöffentli-
che Sitzung zu machen, führten letztendlich nicht zu einem kon-
kreten Antrag der Kommission. So soll z. B. der Beschluss des Ple-
nums, ein bestimmtes Thema auch im öffentlichen Landtag zu
behandeln, nicht automatisch die Schweigepflicht aufheben. Die
Kommission geht aber davon aus, dass die Schweigepflicht ver-
nünftig gehandhabt wird.»206
Folglich kann die Parlamentsreformkommission die Schweigepflicht
nach Art. 24 Abs. 3 GOLT nicht klären. Falls nun der Begriff «Ver-
handlungen» des Art. 24 Abs. 3 GOLT wortwörtlich interpretiert wird,
dann hätte dies zur Folge, dass über die Debatten zu schweigen wäre,
während Beschlüsse der Öffentlichkeit mitgeteilt werden dürften. Dies
liegt m. E. nicht im Sinne der Bestimmungen der Geschäftsordnung über
die nichtöffentlichen Landtagssitzungen, denn auch die «Protokolle der
nichtöffentlichen Sitzungen dürfen nur mit Bewilligung des Landtages
veröffentlicht werden» (Art. 24 Abs. 3 GOLT). Da nun Landtagsproto-
176
Arbeitsweise des Landtags
205 § 21 GOLT 1863 lautet: «Die Landtagssitzungen sind öffentlich. Nur ausnahms-
weise kann auf den Antrag der für die Prüfung eines Gegenstandes bestellten Kom-
mission oder auf Beschluss der Versammlung oder auf Verlangen des Regierungs-
kommissärs die Sitzung bei verschlossenen Türen stattfinden.» § 22: «Bei geheimen
Sitzungen werden besondere Protokolle geführt, welche nur im Einverständnis mit
der Regierung durch den Druck bekannt gemacht werden dürfen.» § 23 Abs. 1: «Die
Öffentlichkeit der Sitzungen besteht darin, dass einer, dem Raume angemessenen
Anzahl von Zuhörern der Zutritt zu den für sie bestimmten Plätzen gestattet wird.»
§ 23 Abs. 2: «Auf Anordnung des Präsidenten müssen sich aber die Zuhörer jedes-
mal unverzüglich entfernen. Jedes störende Zeichen von Beifall oder Missbilligung
ist untersagt. Zuwiderhandelnde können fortgewiesen werden.»
206 Bericht der Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen für eine Parlamentsre-
form (Parlamentsreformkommission), 15.10.1996, S. 5 (unter anderem abgedruckt
im Anhang zur öffentlichen Landtagssitzung vom 20./ 21.11.1996, LTP 1996).
kolle «alle im Landtag gestellten Anträge und Beschlüsse sowie die De-
batten zu enthalten» (Art. 14 Abs. 1 GOLT) haben, kann daraus der
Schluss gezogen werden, dass nach momentaner Rechtslage über das ge-
samte Gebaren in nichtöffentlichen Landtagssitzungen Stillschweigen zu
wahren ist, weshalb Inhalt, Aussagen und Abstimmungen geheim sind.
Dieser Meinung war auch der Abgeordnete Ivo Beck anlässlich der
Landtagssitzung vom 06. Mai 1968, als diese Thematik bereits diskutiert
wurde: «Es wurde schon gemeint, dass über das gesamte Vorbringen, sei
es nun Beschluss, Antrag oder die eigentlichen Verhandlungen Still-
schweigen bewahrt wird. Das ist ja gerade der Grund, warum etwas in
eine nichtöffentliche Sitzung genommen wird. Man soll ja auch unter
Umständen nicht wissen, wie das Abstimmungsergebnis ist.»207
Für die Abgeordneten ist es aber problematisch, wenn ein be-
stimmtes Traktandum zuerst im nichtöffentlichen und daraufhin im öf-
fentlichen Landtag behandelt wird, da mehrere Beratungen zur selben
Sache kaum isoliert zu betrachten sind. Obwohl es die Rechtslage ver-
bietet, ist es (deshalb) keine Seltenheit, dass die Abgeordneten im öf-
fentlichen Landtag aus den nichtöffentlichen Landtagssitzungen zitie-
ren.208 Da dies nicht der Geschäftsordnung für den Landtag entspricht,
sollten es die Abgeordneten unterlassen und der Landtagspräsident ein
solches Vorgehen – so weit als möglich – unterbinden.
6.5 Redeparlament oder Arbeitsparlament?
Gemäss Moeckli werden die Parlamente aufgrund ihrer Arbeitsweise in
Rede- und in Arbeitsparlamente unterschieden. «Also solche, die ihre
Hauptfunktion im Schaulaufen und in der öffentlichen Präsentation von
Argumenten sehen und solche, die darüber hinaus hinter verschlossenen
Türen Problemlösungen diskutieren und Kompromisse erarbeiten.»209
Seiner Meinung nach sind die kantonalen (Miliz-)Parlamente der
177
Plenum und Plenardebatte
207 LTP 1968, S. 27 f.
208 Siehe dazu die LTP des Jahres 2009. Stellvertretend für andere (LTP 2009, S. 1242):
«Das Traktandum wurde gestern in der nichtöffentlichen Landtagssitzung traktan-
diert und man kam zum Schluss – wenn man so viel zu diesem nichtöffentlichen
Landtag sagen darf –, dass die ganze Geschichte eine Systemfrage und keine Perso-
nenfrage ist.»
209 Moeckli, Funktionen, S. 3.
Schweiz aufgrund der Arbeitsweise, ihrer rudimentären Infrastruktur,
der bescheidenen Entschädigung und den knappen personellen Ressour-
cen als Arbeitsparlamente einzustufen.210 Obwohl der liechtensteinische
Landtag über keine (spezialisierten) Ausschüsse verfügt211 und im Ge-
gensatz zu anderen Parlamenten verhältnismässig wenig Aufgaben an
Kommissionen delegiert,212 gleichzeitig aber nur über knappe personelle
Ressourcen vefügt (25 Abgeordnete und ein Landtagssekretariat mit
zehn Stellen213), kann er nicht eindeutig in eine der beiden Kategorien
eingeordnet werden. Es bedarf weiterer Ausführungen.
Gemäss Art. 26 der Geschäftsordnung befasst sich der Landtag im
Plenum mit den «gemäss Verfassung und Gesetzen in seinen Geschäfts-
bereich fallenden Gegenstände» (Art. 26 GOLT), die auf Vorlagen, Be-
richten und Anträgen der Regierung oder der Kommissionen und Dele-
gationen des Landtags, auf Anträgen aus der Mitte des Landtags selbst
oder auf Volksinitiativen oder Petitionen beruhen (Art. 26 GOLT). Die
Beratungsgegenstände werden im Plenum nach bestimmten grundsätzli-
chen Regeln diskutiert. So muss sich jedes Mitglied, das über einen in
Beratung stehenden Gegenstand sprechen oder einen Antrag stellen will,
hierfür beim Präsidenten anmelden, welcher das Wort in der Reihenfolge
der Anmeldungen erteilt (Art. 27 Abs. 1 GOLT). Darüber hinaus ver-
bietet die Geschäftsordnung, mit Ausnahme der Verlesung kurzer Zitate
zur Begründung oder Unterstützung eines Votums, die Meinung Dritter
(Art. 27 Abs. 2 GOLT). Dafür ist es aber von jedem Mitglied des Land-
tags jederzeit, jedoch ohne Unterbrechung eines Redners erlaubt, An-
träge auf Schluss der Debatte zu stellen. Über einen derartigen Antrag
wird ohne Diskussion abgestimmt und bei Annahme hat jede Fraktion
das Recht auf eine Wortmeldung (Art. 27 Abs. 3 GOLT). Ebenfalls muss
ein Regierungsmitglied gehört werden, wenn es das Wort verlangt. Da-
rüber hinaus hat es das Recht der Antragstellung (Art. 27 Abs. 4 GOLT).
Die nach diesen Regeln geführten Plenardebatten stehen bei der
Parlamentsanalyse «im Zentrum der theoretischen und praktischen Auf-
178
Arbeitsweise des Landtags
210 Moeckli, Funktionen, S. 3.
211 In Art. 64 GOLT werden zwar die Ausschüsse erwähnt, doch sind sie in der Praxis
eine Randerscheinung. Mehr dazu unter II.D.5.3.
212 Landtag des Fürstentums Liechtenstein, S. 21.
213 Landtag, Regierung und Gerichte 2009, S. 36. Die angegebenen Stellen ergeben sich
aus den Stabsstellen der Regierung inklusiv Sekretariate (80.4 Stellen). Ausgenom-
men sind die Stellen der Landesverwaltung (709,9 Stellen).
merksamkeit».214 In Liechtenstein ist das Plenum bzw. die Plenarsitzung
die zentrale Arbeitsstätte des Landtags und damit der Kern der Parla-
mentstätigkeit. Gemäss Allgäuer ist die Plenardebatte die Schaubühne
dialektischer Auseinandersetzung und das Forum für Kritik und Vertei-
digung der Abgeordneten. Das Plenum ist der Ort, wo der Meinungs-
streit zwischen der Mehrheit und Minderheit in breiteste Schichten des
Volkes getragen wird und wo die Minderheit der Öffentlichkeit erklären
kann und soll, welche Fehler die Mehrheit bzw. die Regierung macht.
Durch die Öffentlichkeit der Parlamentstätigkeit wird also eine gewisse
Kontrolle des Parlaments durch die öffentliche Meinung erreicht.215
Den Ausführungen zu Folge lässt sich der liechtensteinische Land-
tag weder nur als Rede- noch als reines Arbeitsparlament bezeichnen.
Der Landtag ist demnach ein «Mischparlament».216 Diese Ausgestaltung
des Landtags als Rede- und Arbeitsparlament ohne (spezialisierte) Aus-
schüsse ist in Europa zur Seltenheit geworden, weil eine solche Ausge-
staltung üblicherweise einem Prozess der Rationalisierung und Formali-
sierung unterliegt.217 Beyme nennt in diesem Zusammenhang die These,
«dass die Plenardebatten im Niedergang begriffen seien, weil es unwahr-
scheinlich sei, dass sich etwas Überraschendes im Plenum ereigne».218
Die folgenden Ausführungen werden aufzeigen, inwiefern Beyme
recht behält, indem sich im Plenum tatsächlich kaum Überraschendes
ereignet.
6.6 Unzulänglichkeiten der Plenardebatte am Beispiel
des Finanzhaushaltsgesetzes
An dieser Stelle wird die Landtagspraxis anhand der Plenardebatte um
das Haushaltsgesetz (FHG) aus dem Jahre 2010 (Art. 112 Abs. 2 LV)
dargestellt.219
179
Plenum und Plenardebatte
214 Hofmann/Dose/Wolf, S. 92.
215 Allgäuer, S. 48.
216 Allgäuer, S. 52.
217 Beyme, S. 281.
218 Beyme, S. 238.
219 Die erste Lesung (BuA Nr. 121/2008) fand am 21.11.2008, die zweite (BuA Nr.
7/2010) am 16.03.2010 statt. Das FHG scheiterte an der qualifizierten Mehrheit, die
für eine Verfassungsänderung vonnöten ist.
Der Bericht und Antrag der Regierung zum Finanzhaushaltsgesetz
sah gemäss Art. 62 LV vor, dass die Beschlussfassung über Kredite und
Anleihen, über Bürgschaften bis CHF 250 000 sowie über den An- und
Verkauf von Grundstücken des Finanzvermögens bis CHF 1 000 000
und des Verwaltungsvermögens bis CHF 30 000 der Regierung obliegen
soll.220 Der Abgeordnete Christian Batliner stellte während der Debatte
die Frage, ob es möglich sei, die Kompetenz über Kredite und Anleihen
mit einem Betrag zu deckeln, damit die Regierung ohne Rücksprache
mit dem Landtag nur bis zu einer bestimmten Grenze über Kredite und
Anleihen entscheiden kann.221 Der Abgeordnete Peter Hilti erwiderte:
«Nur ganz kurz eine kleine Replik: Der Abgeordnete Christian Batliner
hat von einer Deckelung über CHF 10 Millionen oder CHF 20 Millio-
nen gesprochen. Darüber können wir ja diskutieren. Mir fehlt im Mo-
ment die Grundlage, um genau das zu diskutieren.»222
Nach einer längeren Debatte und weiteren Anträgen blieb der Text
des Art. 62 LV schlussendlich unverändert. Der Antrag des Abgeordne-
ten Christian Batliner, Kredite und Anleihen zu deckeln, erhielt 12 Stim-
men.223 Damit blieb die Kompetenz – obwohl nicht beabsichtigt224 –
beim Landtag und ging nicht an die Regierung über, weil die qualifizierte
Mehrheit, die für eine Verfassungsänderung nötig ist, fehlte (Art. 112
Abs. 2 LV).
Dies deckte vor allem zwei Dinge auf: Erstens ist bei Verfassungs-
änderungen eine geschlossene Parteimeinung der Mehrheitspartei nicht
ausreichend und zweitens zeigt sich eine gewisse Nähe zum Status quo
der Vorlage, wonach neue Argumente wenig Zuspruch finden.
Der zweite heiss diskutierte Aspekt des Finanzhaushaltsgesetzes
war das Finanzreferendum. Dabei wurden vier verschiedene Anträge für
die Ausgestaltung der Referendumsgrenzen gestellt, wovon einer iden-
tisch mit der Regierungsvorlage war.225 Da keiner der Anträge die quali-
180
Arbeitsweise des Landtags
220 BuA Nr. 7/2010, S. 50.
221 LTP 2010, S. 44.
222 LTP 2010, S. 48.
223 LTP 2010, S. 51.
224 Einerseits wurde kein Antrag auf Beibehaltung des Art. 62 LV gestellt, und ande-
rerseits fand die Vorlage hinsichtlich Art. 62 LV immerhin eine Zustimmung von 17
Abgeordneten (LTP 2010, S. 52).
225 LTP 2010, S. 57 ff. Die Diskussion im öffentlichen Landtag um den «Antrag» des
Abgeordneten Günther Kranz wird kurz wiedergegeben. Der Abgeordnete Gün-
fizierte Mehrheit erreichen konnte, hätte diese einzelne Bestimmung in
der ursprünglichen Form bestehen bleiben und die zweite Lesung fort-
geführt werden müssen. Stattdessen wurde die gesamte Vorlage zum Fi-
nanzhaushaltsgesetz verworfen.226
Die damalige Vorlage zum Finanzhaushaltsgesetz scheiterte nicht
an einer generellen Ablehnung der Abgeordneten, sondern an kleinen
Detailfragen, welche nicht gelöst werden konnten. Grund dafür waren
unversöhnliche parteipolitische Animositäten der Abgeordneten, die im
Ergebnis dem Landtag nicht dienlich waren. Dies bestätigt auch die
«Debatte», welche kurz durch chronologisches Zitieren der auffälligsten
Bemerkungen der Abgeordneten wiedergegeben wird. So der Abgeord-
nete Harry Quaderer: «Das ist doch wirklich ein Kasperlitheater.»227
Pepo Frick: «Das gibt jetzt eine parteipolitische Auseinandersetzung
und dazu habe ich eigentlich keine Lust. Ich beantrage Abbruch der Dis-
kussion.»228 Diana Hilti: « [. . .] nicht einfach nochmals die Diskussion
und nochmals Parteipolitik und dann in drei Monaten wieder gleich ent-
scheiden.»229 Johannes Kaiser: «Ich hoffe, dass heute nicht allzu viele
Leute zuhören, weil das an und für sich für den Landtag ein bisschen
peinlich ist.»230 Pepo Frick: «Es ist für mich nicht mehr auszuhalten.»231
181
Plenum und Plenardebatte
ther Kranz: «Herr Präsident, jetzt habe ich ein Dilemma. Dann stelle ich auch noch
einen Antrag, und dann stelle ich den Antrag im Wortlaut genau so, wie der Art. 66
Abs. 1 formuliert ist. Dann ist das mein Antrag.» Landtagspräsident Arthur Brun-
hart: «Ihr Antrag ist dann derselbe wie der Antrag der Regierung.» Der Abgeord-
nete Günther Kranz: «Ja, aber wenn der vom Plenum kommen muss, dann stelle ich
diesen Antrag, wie er hier aufgeführt ist Seite 50, Artikel 66 Abs. 1.» Landtagsprä-
sident Arthur Brunhart: «M. E. entspricht er einfach eins zu eins dem, was die Re-
gierung vorschlägt und es gibt überhaupt keine Differenz. Das heisst, es gibt über-
haupt keinen Abstand zwischen dem, was Sie vorschlagen und dem, was die Regie-
rung vorschlägt, weil es identisch ist.» Und der Abgeordnete Günther Kranz: «Ich
übernehme den einfach und mache ihn zu meinem Antrag.»
226 LTP 2010, S. 58f iVm S. 74. Das Finanzhaushaltsgesetz trat schlussendlich erst am
20. Oktober 2010 in Kraft (FHG, LGBl 2010/ Nr. 373). Die Regierung erhielt die
Kompetenz der Beschlussfassung über Bürgschaften bis CHF 250 000 Franken,
über den Erwerb und die Veräusserung von Grundstücken des Finanzvermögens bis
CHF 1 000 000 und des Verwaltungsvermögens bis CHF 30 000 sowie kraft gesetz-
licher Ermächtigung über die Aufnahme von Krediten und Anleihen (Art. 62 lit. d
iVm Art. 93 LV).
227 LTP 2010, S. 61.
228 LTP 2010, S. 62.
229 LTP 2010, S. 81.
230 LTP 2010, S. 82.
231 LTP 2010, S. 82.
Harry Quaderer: «Und dann kommt noch der Abgeordnete Pepo Frick,
der sagt, es ist nicht auszuhalten. Dann sage ich: Herr Abgeordneter
Frick, Sie repräsentieren vier Prozent in diesem Hohen Haus. Und wenn
Sie es nicht aushalten, dann gehen Sie hinaus, aber nicht die anderen 96
Prozent. So einfach ist das.»232 Jürgen Beck: «Und das, was ich heute hier
in diesem Hohen Haus erleben durfte, ist alles andere als einem Gre-
mium wie dem Landtag, dem Parlament Liechtensteins, würdig.»233
Diese «Debatte» bringt sämtliche Blockaden des Landtags zu Tage,
welche ihm zumindest latent anhaften und damit die Einträglichkeit der
Landtagsarbeit hemmen. Augenscheinlich sind dabei Unsachlichkeit –
gemäss Weber eine von zwei Todsünden auf dem Gebiet der Politik234 –
und die selbst von den Abgeordneten erwähnte Parteipolitik. Eine Kon-
sequenz aus Unsachlichkeit und Parteipolitik ist das von den befragten
Batliner, Frick und Marxer genannte235 wenig vorhandene politische
Selbstverständnis der Abgeordneten, welches den Landtag weiter
schwächt.
Unsachlichkeit, Parteipolitik und fehlendes politisches Selbstver-
ständnis236 im Plenum sind keine neuen Erkenntnisse, da dies der Al-
terspräsidenten Klaus Wanger bereits im Jahr 2008 feststellte und zudem
auf die negative Öffentlichkeitswirkung des Landtags hinwies:
«In der zu Ende gehenden Legislaturperiode muss ich aus meiner
Sicht leider feststellen, dass sich die Fronten im Landtag oft unnö-
tigerweise verhärtet haben und besonders die konstruktive Zusam-
menarbeit der beiden grossen Wählergruppen im Landtag oft
fehlte. Daraus resultierte, dass einige wichtige Themen zum Spiel-
ball der Parteipolitik wurden, der Sache nicht dienlich waren und
zwangsläufig der Öffentlichkeit via Presse auch so vermittelt wur-
den. Dieser Umstand hat in den vergangenen Jahren die Parla-
mentsarbeit aus meiner Sicht in der Öffentlichkeit leider oft ver-
mehrt negativ geprägt und war dem Ansehen der Volksvertretung
mit Sicherheit nicht förderlich.»237
182
Arbeitsweise des Landtags
232 LTP 2010, S. 82.
233 LTP 2010, S. 90.
234 Die zweite Art von Todsünde ist gemäss Weber die «oft, aber nicht immer, damit
identisch – Verantwortungslosigkeit» (Weber, S. 52).
235 Befragung Batliner, Frick, Wolff, Kaiser.
236 Befragung Batliner, Frick, Wolff, Kaiser.
237 Ansprache von Alterspräsident Klaus Wanger, LTP 2008, S. 7 f.
Dieser Meinung ist auch Waschkuhn: Wenn «die politische Diskussion
sich mehr und mehr vom Inhalt verabschiedet, dann sind Einfallslosig-
keit und Parteiverdrossenheit die Folge».238
Es ist an dieser Stelle nochmals darauf hinzuweisen, dass Liechten-
stein über ein Parlament mit Abgeordneten verfügt, welche keine Spe-
zialisten in Form von Berufsparlamentariern, sondern Milizparlamen -
tarier sind. Somit kann die Art und Weise, wie beraten wird, als eine
Form der «aufgeklärten Amateurberatung»239 bezeichnet werden.
Waschkuhn zieht daraus den Schluss, dass die Abgeordneten «in vielem
bereits eskulpiert»240 seien. Dies mag zwar eine Erklärung für manche
Handlungsweisen der Abgeordneten sein, doch kann damit nicht darü-
ber hinweggetäuscht werden, dass die Abgeordneten als Volksvertreter
den Verfassungsauftag haben, im Landtag das Wohl des Vaterlandes
ohne Nebenrücksichten nach bestem Wissen und Gewissen zu fördern
(Art. 54 LV).
Den Ausführungen zufolge kann zusammenfassend festgehalten
werden, dass die einträgliche Landtagsarbeit durch Unsachlichkeit, Par-
teipolitik und mangelndes politisches Selbstverständnis leidet und die
Öffentlichkeitswirkung des Landtags negativ geprägt wird. Die politi-
sche Arbeit im Plenum muss wieder «weg von den sogenannten ‹Sach-
zwängen›, weg von den Nebensächlichkeiten und hin ‹zur Sache› füh-
ren».241 Dies bedingt aber für die Abgeordneten ein stärkeres politisches
Selbstverständnis gegenüber dem Mandat und der Institution Landtag.
Allerdings sind nicht nur die Abgeodneten, sondern auch der
Landtagspräsident in der Pflicht. Denn gemäss der jetzigen Geschäfts-
ordnung muss der Landtagspräsident durch Wahrnehmung seiner Dis-
ziplinargewalt auf eine standesgemässe Führung der Plenardebatten
hinwirken. Er kann demnach Unsachlichkeiten und häufigen Wiederho-
lungen entgegenwirken (Art. 22 GOLT).242 So ist etwa in der Geschäfts-
183
Plenum und Plenardebatte
238 Waschkuhn, System 1994, S. 277
239 Beyme, S. 237.
240 Waschkuhn, System 1994, S. 277.
241 Marti, S. 111.
242 Art. 22 GOLT beschreibt die Disziplinargewalt des Landtagspräsidenten: «1) Ent-
fernt sich ein Redner zu weit von dem in Beratung stehenden Gegenstand, so er-
mahnt ihn der Präsident, bei der Sache zu bleiben. 2) Verletzt ein Redner den parla-
mentarischen Anstand, namentlich durch beleidigende Äusserungen, so ruft ihn der
ordnung des Vorarlberger Landtags das Disziplinarrecht des Landtags-
präsidenten hervorgehoben: «Nach dreimaligem Ruf ‹zur Sache› oder
nach dem Ruf ‹zur Ordnung› kann der Präsident dem Redner das Wort
entziehen» (Art. 44 Abs. 4 GOLT-Vorarlberg)243 Dies wäre auch für den
Liechtensteiner Landtag empfehlenswert, weil dadurch der Präsident ex-
plizit in der Pflicht wäre, in solchen Fällen sein Disziplinarrecht wahr-
zunehmen.
6.7 Plenardebatte: Entscheidungsfindung oder Meinungsplatzierung?
Gemäss Moeckli liegt es in der Natur der Sache, «dass parlamentarische
Reden nicht jene im Saal überzeugen sollen, sondern jene vor dem Fens-
ter, also die Öffentlichkeit, und das berüchtigte ‹Reden zum Fenster hi-
naus› macht deshalb durchaus Sinn».244 Leibholz entgegnet: «Die Dis-
kussion verliert hier ihren ursprünglich schöpferischen Charakter und
wird mehr und mehr zu einer Debatte, in der die von den Wählergrup-
pen und Fraktionen festgelegten Reden zur Verlesung kommen, ohne
dass diese den Anspruch erheben, die im Parlament sitzenden politisch
Andersdenkenden durch bessere Argumente überzeugen zu wollen.»245
Werden die öffentlichen Landtagssitzungen genau analysiert, ereig-
net sich tatsächlich im Landtag kaum Überraschendes, weil die Meinun-
gen der Abgeordneten weitgehend gemacht sind. Gemäss Allgäuer ist
dies darauf zurückzuführen, dass «im Kreis der Fraktion die ‹Ecken der
Vorlagen abgeschliffen›, der Ausgang der Landtagssitzung vorgespurt,
die Details und Minderheitsmeinungen ausdiskutiert werden».246
Gleichzeitig zitiert er Abgeordnete, welche die Plenumsverhandlung als
«blosse Schaumschlägerei» oder als «Konzentrat aus den Fraktionssit-
zungen» bezeichnen.247
184
Arbeitsweise des Landtags
Präsident zur Ordnung. 3) Missachtet ein Redner die wiederholten Mahnungen des
Präsidenten, so entzieht ihm der Präsident längstens für die laufende Sitzung das
Wort. Das Stimmrecht kann jedoch niemals entzogen werden.»
243 Landtagsbeschluss über eine Geschäftsordnung für den Vorarlberger Landtag
(GOLT-Vorarlberg), LGBlÖ-Vorarlberg 2007, Nr. 55.
244 Moeckli, Funktionen, S. 15.
245 Leibholz, S. 354.
246 Allgäuer, S. 54 f.
247 Allgäuer, S. 54 f.
Ein Augenschein bei den Landtagsdebatten macht deutlich, dass
die Plenardebatten nicht mehr der Entscheidungsfindung, sondern der
Meinungsplatzierung dienen, die Abgeordneten ihre vorgefertigte Mei-
nung im Plenum vertreten und sich zu selten von anderen Ansichten
bzw. Argumenten überzeugen lassen. Gleichzeitig kann festgestellt wer-
den, dass die Abgeordneten im Plenum ihre Eintretens-Voten zu einer
Vorlage verlesen. Folgt danach eine Diskussion, so scheinen einige nicht
willens oder fähig zu sein, auf Vorbringen eines Abgeordneten sachlich
einzugehen. Dies bedürfte, im Gegensatz zum Verlesen eines Votums,
unter anderem auch eines gewissen rhetorischen Geschicks. Denn es ist
«eine alte Tatsache, dass sich die Politik nicht von der Sprache trennen
lässt. Politischer Kampf ist auch ein Kampf um Worte und Begriffe.»248
Wenige Abgeordnete führen solche Kämpfe.249
Es muss auch hierbei darauf hingewiesen werden, dass es sich um
Milizabgeordnete handelt, weshalb das Verlesen von Voten und das
mangelnde rhetorische Geschick mit der «aufgeklärten Amateurbera-
tung»250 begründet werden kann.
Als Zwischenresultat kann festgehalten werden, dass die Plenarde-
batte selten der Ort ist, wo um die besseren Argumente gekämpft wird.
Sie dient nicht der Meinungsbildung oder der Entscheidungsfindung,
sondern der Meinungsplatzierung, bei der die Abgeordneten ihren be-
reits im Vornherein festgelegten Standpunkt äussern bzw. verlesen. Von
diesem ausserhalb des Plenums festgelegten Standpunkt lassen sich die
Abgeodneten kaum abbringen. Selbst das Einlassen auf eine sachliche
Diskussion fällt schwer.
Dadurch können solch fruchtlose Landtagsdebatten wie diejenige
um das Finanzhaushaltsgesetz entstehen, welche oben dargestellt
185
Plenum und Plenardebatte
248 Marti, S. 89.
249 Als Beispiel für einen solchen Kampf aus der jüngeren Vergangenheit bietet der Ab-
geordnete Wendelin Lampert, der in der Diskussion um die Abänderung des Kran-
kengesetzes (BuA Nr. 8/2011) sagte: «Werte Frau Gesundheitsministerin, mir
kommt es vor, als ob Sie zu den Krankenkassen sagen würden, sie sollen ein Bild
aufhängen. Das Bild und der Nagel ist vorhanden, nur leider fehlt der Hammer.
Oder man könnte auch sagen: Wie soll man ohne Finger eine Faust machen? Füh-
ren Sie endlich die vergleichbare Transparenz bzw. den Tarmed ein, damit die Kran-
kenkassen Finger bekommen und auch eine Faust machen können» (LTP 2011, S.
269 f.).
250 Beyme, S. 237.
wurde.251 In solchen «Debatten» wird viel geredet, nicht immer etwas ge-
sagt, und auch viel wiederholt, wie es der Abgeordnete Harry Quaderer
pointiert zum Ausdruck brachte: «Es wurde zwar schon alles gesagt, aber
noch nicht von allen.»252 Oder mit den Worten von Marti: «Aber ebenso
machen Worte noch keine Politik. [. . .] Weniger Worte könnten vielfach
mehr bedeuten. Der derzeitige Trend läuft in die Gegenrichtung.»253
Um die Meinungsplatzierung im Plenum zu mildern und damit die
Plenardebatten wieder sachlicher und offener zu führen, bedarf es eines
Umdenkens bei den Abgeordneten und der Wählergruppen. Denn die
Plenardebatten müssen «weg vom Parteihearing, in dem Standpunkte le-
diglich vorgetragen werden [. . .]. Die Parteien müssen umdenken, Ge-
sprächsführung üben, zuhören lernen und von der Haltung Abschied
nehmen, die eigene politische Zielvorgabe als die einzig richtige Ent-
scheidungsmaxime anzusehen.»254
6.8 Redezeitbeschränkung – eine valable Alternative?
Um die Plenardebatten zu straffen, soll an dieser Stelle die Möglichkeit
einer Redezeitbeschränkung, wie es die Parlamente in der Schweiz und
Österreich kennen, erläutert werden.
Im Vorarlberger Landtag kann der Präsident «auf Grund einer ein-
stimmigen Empfehlung des erweiterten Präsidiums bei einzelnen Bera-
tungen oder Beratungsteilen die Redezeit der Abgeordneten beschrän-
ken» (Art. 42 Abs. 8 GOLT-Vorarlberg). Eine quantitative Beschrän-
kung kennt auch der Kantonsrat St. Gallen:
«Mit Ausnahme der Kommissionsberichterstatter und des Vertre-
ters der Regierung darf kein Mitglied über den nämlichen Gegen-
stand mehr als zweimal sprechen. Vorbehalten bleibt eine persönli-
che Berichtigung. [. . .] Das Präsidium kann in geeigneten Fällen
ausnahmsweise die für eine Vorlage zur Verfügung stehende Rede-
zeit beschränken. Es teilt den Fraktionen einen ihrer Mitglieder-
186
Arbeitsweise des Landtags
251 Siehe dazu IV.B.6.6.
252 Harry Quaderer, zitiert im Liechtensteiner Volksblatt vom 06.07.2010 (Titelseite).
253 Marti, S. 89.
254 Rüttgers, S. 156.
zahl entsprechenden Anteil an der Redezeit zu. Die keiner Frak-
tion angehörenden Mitglieder erhalten zusammen einen entspre-
chenden Anteil» (Art. 87 GR Kantonsrat St. Gallen).255
Einen weiteren Ansatz der Redezeitbeschränkung kennt das Geschäfts-
reglement des Kantonsrates Zürich. Dort wird grundsätzlich in freier
Debatte beraten, doch kann die Geschäftsleitung eine andere Beratungs-
art (organisierte Debatte, reduzierte Debatte oder schriftliches Verfah-
ren) vorsehen. Die Ratsmitglieder können mittels Ordnungsantrag die
freie Debatte verlangen. Dabei können die Abgeordneten aber auch in
der freien Debatte nicht unbeschränkt reden, sondern werden zeitlich li-
mitiert (§ 21 GR Kantonsrat St. Gallen). Bei der organisierten Debatte
kann bei Eintretensdebatten und bei Diskussionen über Berichte, Erklä-
rungen des Regierungsrates oder Interpellationen die Gesamtredezeit
beschränkt werden (§ 23 GR Kantonsrat St. Gallen). In der reduzierten
Debatte können sich nur Fraktionssprecher sowie Erstunterzeichnete
von Minderheitsanträgen zu Wort melden, während im schriftlichen
Verfahren für Ratsmitglieder kein Recht auf Wortmeldung besteht (§ 24,
25 GR Kantonsrat St. Gallen).
Die dargestellten Bestimmungen der Reglemente anderer Parla-
mente zeigen verschiedene Möglichkeiten auf, Plenardebatten mit einer
Redezeitbeschränkung zu straffen. M. E. sollte in Liechtenstein höchs-
tens eine flexible Redezeitbeschränkung eingeführt werden, da die Ge-
fahr besteht, sachlichen Plenardebatten von vornherein die Luft zu neh-
men und dadurch die effektiv um die besseren politischen Argumente
kämpfenden Abgeordneten zu sehr einzugrenzen.
In diesem Sinne ist eine Redezeitbeschränkung ähnlich wie im
Kantonsrat Zürich erwägenswert, unter dem Vorbehalt, dass die freie
Debatte auch tatsächlich ohne Redezeitbeschränkung stattfindet und das
schriftliche Verfahren nicht übernommen wird. Damit könnten Vorla-
gen, bei denen der Landtag kaum oder keinen Einfluss nehmen kann,
mittels reduzierter Debatte erledigt werden, um Zeit zu sparen. Zu den-
ken ist dabei etwa an Geschäfte mit Europabezug, da gemäss einer Stu-
die von Frommelt 51 Prozent aller im Jahre 2007 im Landtag behandel-
187
Plenum und Plenardebatte
255 Geschäftsreglement des Kantonsrates St. Gallen vom 24.10.1979 in der Fassung ge-
mäss 10. Nachtrag (GR Kantonsrat St. Gallen), sGS 131.11.
ten Gesetzesvorlagen einen EU/EFTA-Bezug hatten und der Umset-
zung einer EU-Richtlinie oder der Anpassung aufgrund eines Vertrags-
verletzungsverfahrens dienten.256 Bei solchen Vorlagen besitzt der Land-
tag nur eingeschränkten Handlungsspielraum.257 Moeckli kommt gar zu
folgendem Schluss: Zu einem «internationalen Abkommen kann oft nur
noch Ja oder Nein gesagt werden, faktisch sogar nur noch Ja».258 Daher
kann dort kaum eine Mehrheitsfindung im eigentlichen Sinn stattfinden,
weshalb längere Plenardebatten unangebracht erscheinen.
Doch um die Plenardebatten zu straffen, ist m. E. eine Redezeitbe-
schränkung als letztes Mittel einzuführen, zumal gemäss Moeckli mit
Reformen den nicht enden wollenden Interventionen am Rednerpult
nicht beizukommen sei, zumal die Redefreiheit der Parlamentarier nicht
beliebig eingeschränkt werden könne.259
Es liegt an den Abgeordneten selbst, die Plenardebatten sinnvoll zu
nutzen und sachlich zu debattieren. Darüber hinaus kann ein starker
Präsident durch effektive Wahrnehmung seines Disziplinarrechts eine
klare Besserung bewirken, ohne dass eine Redezeitbeschränkung einge-
führt werden muss.
6.9 Aktuelle Stunde
In den ersten Stunden einer Landtgssitzung finden in der Praxis aus-
ufernde Diskussionen statt, die nicht immer in direktem Zusammenhang
mit einem Sachthema der Traktandenliste stehen. Zudem wünschen Ab-
geordnete immer wieder zu spezifischen Themen Grundsatzdiskussio-
nen zu führen, welche im Rahmen einer Vorlagenbehandlung kaum
stattfinden. So etwa der Abgeordnete Gebhard Negele: «Nun, zu einer
Sondersession kommt es nicht. Es steht uns jedoch allen frei, hier bei
diesem Traktandenpunkt die gewünschte Grundsatzdiskussion abzuhal-
ten. Unsere Einstellung und unser Beitrag beeinflussen das weitere Vor-
gehen und sind deshalb wichtig. Es geht um Weichenstellungen. [. . .]
188
Arbeitsweise des Landtags
256 Frommelt, S. 34.
257 Frommelt, S. 11.
258 Moeckli, Funktionen, S. 10.
259 Riklin/Moeckli, S. 23.
Wenn ich mir die Anzeigentafel betreffend die Wortmeldungen an-
schaue, so hält sich diese Diskussionsfreude eher in engen Schranken.»260
Um solchen Grundsatzdiskussionen eine standesgemässe Platt-
form zu bieten, wird die Einführung einer «Aktuellen Stunde» vorge-
schlagen, damit sich die Abgeordneten unabhängig des Traktandums mit
einem bestimmten Thema beschäftigen und Meinungen öffentlich aus-
tauschen können. Damit könnte einerseits dem Volk im Sinne von Pat-
zelt aufgezeigt werden, dass das Plenum um die vielfältigen Sorgen und
Anliegen, um die Meinungen und Wünsche der Bevölkerung weiss.261
Andererseits könnte der Landtag dadurch auch der Regierung einen öf-
fentlichen Impuls geben, sich mit einem bestimmten Thema näher ausei-
nanderzusetzen.
Als prinzipielle Rezeptionsvorlage könnte die aktuelle Stunde des
Vorarlberger Landtags dienen (Art. 42 Abs. 8 GOLT-Vorarlberg).262
Dort wird während einer Stunde ein Thema von landespolitischer Be-
deutung behandelt, welches die Fraktionen benennen können. Werden
mehrere Themen vorgeschlagen, dann sollte in Liechtenstein immer ein
Thema einer Minderheitsfraktion in Behandlung gezogen werden, damit
einerseits die Minderheitsfraktion die Möglichkeit hat, ihre Gedanken
kundzutun und andererseits der politische Diskurs auch auf Themen ge-
lenkt wird, welche ansonsten nicht besprochen werden. Die Regierung
sollte an der aktuellen Stunde nicht aktiv teilnehmen können, da sie ein
Instrument des Landtags für die Meinungsbildung und für den Mei-
nungsaustausch unter den Abgeordneten sein sollte. Durch die Aktuelle
Stunde, die jeweils zu Beginn einer Landtagssitzung abgehalten werden
sollte, könnte das Interesse des Volkes an der Politik gesteigert werden,
wenn dort sachlich über Themen diskutiert wird, welche das Volk be-
schäftigen. Dabei würden (Live-) Übertragungen der Aktuellen Stunden
in Wort und Bild sicherlich unterstützend wirken.
189
Plenum und Plenardebatte
260 LTP 2007, S. 2468.
261 Patzelt, Funktionen, S. 25.
262 § 36a GOLT-Vorarlberg: «(1) Die Aktuelle Stunde hat ein Thema von landespoliti-
scher Bedeutung zu behandeln. Die Benennung des Themas der Aktuellen Stunde
steht den Landtagsfraktionen in abwechselnder Reihenfolge zu. Es ist bis spätestens
48 Stunden vor Beginn der Sitzung des Landtages dem Landtagspräsidenten be-
kannt zu geben. (2) Die Aktuelle Stunde darf die Dauer von einer Stunde nicht über-
schreiten.»
7. Organe des Landtags
Die bisherigen Ausführungen haben ergeben, dass der Landtag an «Zeit-
not, Sachkundenot und Bewertungsnot»263 leidet. Dabei wurden immer
wieder die Organe – hauptsächlich Kommissionen – als mögliche Un-
terstützung genannt. In diesem Abschnitt werden nun anhand der Ge-
schäftsordnung die Ausgestaltung und Aufgabenbereiche der Kommis-
sionen sowie der Delegationen und Ausschüsse des Landtags erläutert.
7.1 Kommissionen
Allgäuer fasst die Aufgaben der Kommissionen folgendermassen zusam-
men: Kommissionen «sollen mit fokussierender Aufmerksamkeit und
konzentrierter Sachkenntnis spezifische Aufgaben bewältigen und da-
durch eine gewisse Entlastung der Plenumsarbeit bewirken».264 Dabei
haben die Kommissionen weder Entscheidungskompetenz noch ein
Weisungsrecht. Sie sind reine Hilfsorgane des Landtags (Art. 54 ff.
GOLT).265
Die Kommissionen werden in der Verfassung lediglich beiläufig er-
wähnt (Art. 57, 61, 63, 71, 83 LV). Die wichtigste Regelungen für die
Kommissionen befinden sich in der Geschäftsordnung, welche auch
bestimmt, dass Kommissionen grundsätzlich in offenen Wahlen zu
bestimmen sind (Art. 49 Abs. 2 GOLT).266 Im Folgenden werden die Be-
stimmungen der Geschäftsordung erläutert, die für sämtliche Kommis-
sionen gelten.
Kommissionen bestehen aus drei oder fünf Mitgliedern, wobei die
Mitgliederzahl der Geschäftsprüfungskommission auf sieben erhöht
werden kann (Art. 58 Abs. 1 GOLT). «Jede in Fraktionsstärke im Land-
tag vertretene Partei hat das Recht, in den Kommissionen vertreten zu
sein» (Art. 58 Abs. 3 GOLT). Beschlussfähig ist eine Kommission dann,
190
Arbeitsweise des Landtags
263 Eichenberger, Kontrolle, S. 285
264 Allgäuer, S. 51.
265 Der FiKo kann als Ausnahme bei Bodenkäufen eine Entscheidungskompetenz zu-
kommen (Art. 61 Abs. 2 GOLT).
266 Art. 49 Abs. 2 GOLT: «In offener Wahl sind, sofern kein Abgeordneter geheime
Wahl beantragt, zu wählen: b) die Kommissionen und Delegationen des Landtages».
«wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend sind. Bei Stimmen-
gleichheit hat der Vorsitzende den Stichentscheid» (Art. 59 GOLT).
Falls in den Kommissionssitzungen ein Regierungsmitglied anwe-
send ist, muss dieses gehört werden (Art. 66 GOLT). Darüber hinaus
sind die Kommissionen berechtigt, Regierungsmitglieder und Beamte zu
ihren Beratungen beizuziehen und zu befragen. Die Regierungsmitglie-
der ihrerseits haben das Recht, in die parlamentarischen Kommissionen
Fachbeamte mitzunehmen (Art. 67 Abs. 1 GOLT). Der Beizug und die
Befragung von Beamten bedarf der Zustimmung der Regierung, die sie
nötigenfalls von der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit entbindet und
zur Herausgabe von Akten ermächtigt (Art. 67 Abs. 2 GOLT). Abgese-
hen davon dürfen Kommissionen für Geschäfte, deren Beurteilung be-
sondere Kenntnisse erfordern, Sachverständige beiziehen (Art. 67 Abs. 3
GOLT).
Wie die Geschäftsordnung in Art. 60 klar festlegt, ist über die Ver-
handlungen Stillschweigen zu bewahren. Davon ausgenommen sind
Äusserungen gegenüber Landtagsabgeordneten und Regierungsmitglie-
dern sowie Berichterstattungen gemäss Art. 65 GOLT (Art. 60 lit. b
GOLT). So erstatten die Kommissionen dem Landtag wie folgt Bericht:
«Ständige Kommissionen in der Regel schriftlich in Form der Sitzungs-
protokolle, besondere Kommissionen in der Regel in Form eines Kom-
missionsberichtes und Untersuchungskommissionen nach Abschluss
der Untersuchungen in Form eines Berichtes» (Art. 65 Abs. 1 GOLT).
Bei einem Protokoll bzw. Bericht handelt es sich nicht um Wort-
protokolle, sondern um eine Zusammenfassung der Kommissionsarbeit,
welche nur bei ständigen Kommissionen zwingend schriftlich sein muss.
Der Abgeordnete Albert Frick merkt dazu an: «Ich meine, es wird lang-
sam Usus, nach jedem dritten Satz anzumerken: ‹Das ist dann nicht für
das Protokoll›. Ich denke, das ist auch kein Weg.»267 Damit sollten in
Protokollen und Berichten alle Wortmeldungen – zumindest inhaltlich –
mit Namen des Sprechenden aufgezeichnet werden.
Als erste Ausnahme von der Stillschweigepflicht des Art. 60 GOLT
sind mündliche Berichte von Kommissionsmitgliedern gegenüber Abge-
ordneten und Regierungsräten jederzeit gestattet (Art. 65 Abs. 1
GOLT). Allerdings besagt die Grundnorm, dass über die Kommissions-
191
Organe des Landtags
267 LTP 2009, S. 674.
verhandlungen Stillschweigen zu bewahren ist. Es kann daraus der
Schluss gezogen werden, dass diese Ausnahme der Geheimhaltungs-
pflicht der reinen Information der Abgeordneten und der Regierungs-
mitglieder und nicht derjenigen der breiten Öffentlichkeit dient. Des-
halb darf dieser Informationsfluss nicht im öffentlichen Rahmen, wo-
runter auch die öffentlichen Landtagssitzungen fallen, stattfinden.
Ansonsten hätte die Geheimhaltungspflicht keine Wirkung.
Demgegenüber sind in der zweiten Ausnahmeregelung (Berichter-
stattungen gemäss Art. 65 GOLT) die Adressaten der Protokolle bzw.
Berichte nicht explizit Regierungsmitglieder oder Abgeordnete, sondern
der gesamte Landtag (Art. 65 GOLT). In diesem Sinne darf diese Be-
stimmung nicht derart restriktiv wie die erste Ausnahmeregelung ausge-
legt werden, weshalb diese an sich «öffentlicher» sind. Weil aber Kom-
missionen ihre Daseinsberechtigung in der Unterstützung des Landtags
haben, sollten auch deren Protokolle bzw. Berichte nur dem Landtag
selbst (im Sinne einer Information der Abgeordneten) dienen. Falls not-
wendig, dürfen deshalb m. E. die Abgeordneten während einer Land-
tagssitzung Protokolle bzw. Berichte zwar inhaltlich wiedergeben – zu-
mal die Berichte der besonderen Kommissionen sowie der Untersu-
chungskommissionen nicht zwingend schriftlich sind – doch ist ein
Zitieren zu unterlassen.268 Dementsprechend müssen auch Materialien,
welche der jeweiligen Kommission zur Verfügung standen, nicht so-
gleich den Abgeordneten zugestellt werden. Vielmehr liegt dies im Er-
messen der Kommission. M. E. müssen aber die Kommissionen auf Ver-
langen der Abgeordneten die geforderten Materialien aushändigen, weil
sie Hilfsorgane des Gesamtlandtags sind.
Die bisherigen Ausführungen gelten für jede Art von Landtags-
kommission. Die Geschäftsordnung unterteilt die Kommissionen in
ständige und besondere Kommissionen (Art. 54, 55 GOLT). Die parla-
mentarische Untersuchungskommission kann nicht in diese Systematik
eingepasst werden, weil Art. 54 GOLT die Parlamentarische Untersu-
chungskommission nicht als ständige Kommission aufführt. Darüber hi-
192
Arbeitsweise des Landtags
268 Dies entspricht auch der momentanen Handhabung bei den Landtagssitzungen, wie
es der Landtagspräsident ausdrückt (LTP 2009, S. 679): «Betreffend die Zitate: Wir
haben das in der Bürositzung besprochen. Für diesen Landtag gilt: Aus Zitaten der
Kommissionen wird nicht zitiert. Es können zwar die Erkenntnisse wiedergegeben
werden, aber zitiert wird nicht.»
naus ist sie aufgrund von Art. 56 und 57 Abs. 2 GOLT keine besondere
Kommission: Besondere Kommissionen haben gemäss Art. 55 GOLT
eine vorberatende Funktion, während Parlamentarische Untersuchungs-
kommissionen nach Art. 56 GOLT eine untersuchende und damit eine
kontrollierende Funktion haben. Zusätzlich nennt Art. 57 Abs. 2 GOLT
explizit die besonderen Kommissionen und die PUK trotz gleichem Re-
gelungsinhalt: «Besondere Kommissionen (Art. 55) und Untersuchungs-
kommissionen (Art. 56) können während der Mandatsdauer des Landta-
ges auch tagen, wenn der Landtag geschlossen ist» (Art. 57 Abs. 2
GOLT).
Zu den ständigen Kommissionen gehören die Finanzkommission,
die Geschäftsprüfungskommission und die Aussenpolitische Kommis-
sion, welche vom Landtag in der Eröffnungssitzung der laufenden Sit-
zungsperiode gewählt werden (Art. 54 Abs. 1 GOLT). Bei der personel-
len Besetzung handelt es sich in der Praxis um einen präjudizierten Akt,
weil der Koalitionsvertrag zwischen den Volksparteien genau festhält,
welche Partei wie viele Sitze innerhalb einer Kommission einnimmt. Da-
mit werden die Kandidaten von der Partei bestimmt und dem Landtag
zur «Wahl» vorgeschlagen.269 Der Landtag wählt die ständigen Kommis-
sionen jeweils nur für eine Sitzungsperiode, was aufgrund der damit auf-
tretenden (personellen) Diskontinuität abgeschafft werden sollte.270 Dies
hätte zur Folge, dass statt einer Einführung von neuen Kommissions-
mitgliedern in die Kommissionsarbeit zu Beginn jeder Sitzungsperiode
das in den ständigen Kommissionen vorhandene Wissen kontinuierlich
gesteigert werden kann.271
Die Aufgaben der ständigen Kommissionen werden von der Ge-
schäftsordnung folgendermassen festgelegt: «Vorberatung und Wahr-
nehmung der Geschäfte in den ihnen durch Verfassung, Gesetz oder
Landtag zugeteilten Sachbereichen» (Art. 54 Abs. 2 lit. a) sowie «Unter-
breitung von Empfehlungen und Stellung von Anträgen an den Land-
tag» (Art. 54 Abs. 2 lit. b GOLT). Entscheidungskompetenzen kann da-
bei lediglich die Finanzkommission haben, indem sie nach Art. 61 Abs.
3 GOLT vom Landtag ermächtigt werden kann, Grundstücke zu erwer-
ben oder zu veräussern».
193
Organe des Landtags
269 Koalitionsvertrag zwischen der FBP und der VU, Stand 10.03.2009, S. 10.
270 Befragung Batliner.
271 Befragung Batliner, Kaiser.
Für ihre Arbeit können sich ständige Kommissionen ein Regle-
ment geben, welches der Genehmigung des Landtags bedarf (Art. 54
Abs. 3 GOLT).
Die besonderen Kommissionen werden dagegen bei Bedarf zur
Vorberatung von Verhandlungsgegenständen vom Landtag bestellt (Art.
55 Abs. 1 GOLT). Zu diesen ad hoc-Kommissionen zählt auch eine
EWR-Kommission, die überprüft, ob Beschlüsse des gemeinsamen
EWR-Ausschusses der Zustimmung des Landtags bedürfen (Art. 55
Abs. 2 GOLT).
Untersuchungskommissionen werden «zur Feststellung von Tatsa-
chen sowie zur Abklärung von Verantwortlichkeiten» (Art. 56 Abs. 1
GOLT) eingesetzt. Als Minderheitenrecht können bereits ein Viertel des
Landtags, also sieben Abgeordnete, die Einsetzung einer Untersu-
chungskommission verlangen (Art. 56 Abs. 2 GOLT). Allerdings sind
Untersuchungskommissionen gemäss dem Abgeordneten Peter Lampert
«Notlösungen».272 So erstaunt es nicht, dass seit dem Jahr 2006 keine
Untersuchungskommission bestellt wurde.
Die Amtsdauer der besonderen Kommissionen sowie der Untersu-
chungskommissionen erlischt mit Erledigung des Auftrags, spätestens
aber mit Ablauf der Mandatsdauer des Landtags (Art. 57 Abs. 1 GOLT).
Als Besonderheit können diese Kommissionen auch während dem ge-
schlossenen Landtag tagen, was vor der Verfassung nicht haltbar ist (Art.
57 Abs. 2 GOLT). Es ist rechtlich nicht vertretbar, wenn der geschlos-
sene Landtag aufgrund der damit verbundenen Handlungsunfähigkeit
keine Sitzung abhalten kann, seine Kommissionen aber tagen können.273
In der Praxis kommt Kommissionen «weitgehend nur die Aufgabe
zu, bestimmte Geschäfte für den Gesamtlandtag vorzubereiten und ent-
sprechende Anträge zu formulieren».274 Für die Aufgaben, welche den
ständigen bzw. besonderen sowie der Untersuchungskommission zu-
kommen, sind auch in der Schweiz Kommissionen zuständig, während in
Deutschland (§ 54 Abs. 1 GO D-Bundestag)275 und Österreich (§ 39 ff.
194
Arbeitsweise des Landtags
272 LTP 2009, S. 903.
273 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 102.
274 Landtag des Fürstentums Liechtenstein, S. 21.
275 Die GO des Deutschen Bundestags in der Fassung der Bekanntmachung vom
02.07.1980, BGBlD 1 S. 1237, zuletzt geändert durch den Beschluss des Bundestags
vom 02.07.2009 (GO D-Bundestag).
Geschäftsordnungsgesetz 1975)276 solche Aufgaben von Ausschüssen
wahrgenommen werden. Der Unterschied zu Liechtenstein ist dabei aber
nicht nur die Terminologie, sondern vielmehr die Ausgestaltung und die
Wahrnehmung der Aufgaben. So gibt es in Österreich bzw. Deutschland
eine höhere Anzahl an ständigen Ausschüssen, die sich über die gesamte
Legislaturperiode einem speziellen Thema widmen und dadurch im
Laufe der Zeit zu Spezialisten in diesem Gebiet werden. Gleich verhält es
sich in der Schweiz, da für jede Legislaturperiode zwölf ständige Kom-
missionen bestellt werden (Art. 10 GR CH-Nationalrat).277 Dadurch
entsteht konzentriertes Wissen in den Ausschüssen, welches dem Parla-
ment direkt zur Verfügung steht und dessen Stellung gerade im Verhält-
nis zur Regierung stärkt.
Ähnlich könnte es auch in Liechtenstein sein, doch wie bereits er-
läutert, existiert in den Kommissionen nicht dieses konzentrierte (Ex-
perten-)Wissen. Zurückzuführen ist dies einerseits auf die Ausgestaltung
des Landtags als Milizparlament und andererseits auf die geringe Anzahl
an ständigen Kommissionen sowie auf die seltene Bestellung von beson-
deren Kommissionen.
Gerade im Hinblick auf das Ungleichgewicht zwischen Landtag
und Regierung mit ihrem professionellen Unterbau wäre es für den
Landtag aber von grossem Vorteil, wenn das Kommissionswesen ge-
stärkt werden würde. So auch Kluxen, der es als zwingendes Erfordernis
betrachtet, dass das Parlament Vorhaben in die Ausschüsse bzw. Kom-
missionen verweist, «um sich gegen den Sachverstand der Bürokratie
und der Manager behaupten zu können».278
195
Organe des Landtags
276 Bundesgesetz über die GO des Österreichischen Nationalrats (Geschäftsordnungs-
gesetz 1975), BGBlÖ Nr. 410/1975 (zuletzt geändert durch BGBlÖ 1 Nr. 31/2009),
GO des Österreichischen Bundesrats, BGBlÖ Nr. 361/1988 (zuletzt geändert durch
BGBlÖ 1 Nr. 192/1999), §§ 13, 28 ff.
277 Geschäftsreglement des Schweizer Nationalrates vom 03.10.2003, Stand 02.03.2009
(GR CH-Nationalrat), SR 171.13. Art. 10 legt fest, dass folgende zwölf ständige
Kommissionen bestehen: Finanzkommission, Geschäftsprüfungskommission, Aus-
senpolitische Kommission, Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur,
Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit, Kommission für Umwelt,
Raumplanung und Energie, Sicherheitspolitische Kommission, Kommission für
Verkehr und Fernmeldewesen, Kommission für Wirtschaft und Abgaben, Staatspo-
litische Kommission, Kommission für Rechtsfragen und eine Kommission für öf-
fentliche Bauten.
278 Kluxen, S. 199.
Damit müssten spezifische ständige Kommissionen, wie etwa eine
«Kommission für Wirtschaft und Abgaben», geschaffen werden. Die be-
stellten Abgeordneten hätten sich regelmässig und gezielt mit einem spe-
zifischen Aufgabenbereich zu beschäftigen und würden deshalb vertiefte
Kenntnisse erhalten. Darüber hinaus könnte der Landtag bereits beim
Entstehen einer Vorlage aktiv am Prozess teilnehmen.279 Dazu könnte
die Regierung mit ihren Ämtern und den Verbänden mittels Bringschuld
verpflichtet werden, sich während der Ausarbeitung einer Vorlage mit
der jeweils zuständigen Kommission in Verbindung zu setzen. Damit
wäre der Landtag über den Entstehungsprozess einer Vorlage (dauernd)
informiert und könnte bestenfalls steuernd eingreifen.280
Allerdings ist ein Ausbau des Kommissionswesens für den Liech-
tensteiner Landtag als Milizparlament mit 25 Abgeordneten unrealis-
tisch. Es sind praktisch sämtliche Abgeordneten für eine zusätzliche
Aufgabe unabkömmlich.281 Mit einer Erhöhung der Abgeordnetenzahl
oder gegebenenfalls mit einer Professionalisierung des Landtags sollte
jedoch eine Stärkung des Kommissionswesens einhergehen.282
7.2 Delegationen
Die Institution der Delegation wird durch die Geschäftsordnung ge-
schaffen, da sie in der Verfassung keine Erwähnung findet. So wählt der
Landtag in grundsätzlich offen abgehaltenen Wahlen die Delegationen zu
den internationalen Parlamentariergremien, in denen er mitwirkt (Art. 49
Abs. 2 GOLT).283 Es sind dies die Delegationen «bei der Parlamentari-
schen Versammlung des Europarates, bei der parlamentarischen Ver-
sammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in
196
Arbeitsweise des Landtags
279 Befragung Frick, Beck, Hilti, Kaiser.
280 Befragung Beck, Hilti, Marxer.
281 Gerade einmal zwei Mitglieder des Landtags erfüllen derzeit (Legislaturperiode
2009–2013) nur das Grundmandat, während alle anderen Abgeordneten entweder
Fraktionssprecher oder Mitglied einer Kommission bzw. Delegation sind. Es sind
dies Gisela Biedermann und Peter Lampert. Erstere ist aber Mitglied im Richter-
auswahlgremium.
282 Mehr zum Thema Milizparlament unter II.C.1.
283 Art. 49 AbS. 2 GOLT: «In offener Wahl sind, sofern kein Abgeordneter geheime
Wahl beantragt, zu wählen: b) die Kommissionen und Delegationen des Landtages».
Europa (OSZE) sowie bei den Parlamentarierkomitees der EFTA- bzw.
der EWR-Staaten (Europäische Freihandelsassoziation bzw. Europäi-
scher Wirtschaftsraum)» (Art. 53 Abs. 1 GOLT). Diese taxative Aufzäh-
lung der Geschäftsordnung wird durch die Praxis um zwei Delegationen
erweitert: die Delegation für die Interparlamentarische Union (IPU) so-
wie für die Parlamentarier-Kommission Bodensee.284 Da die aktuelle Ge-
schäftsordnung aus dem Jahre 1997 stammt und Liechtenstein erst seit
1998 Mitglied der Bodenseekonferenz285 und seit 2000 Mitglied der Inter-
parlamentarischen Union286 ist, ist es offensichtlich, dass diese Delegatio-
nen nicht nachträglich in die Geschäftsordnung aufgenommen wurden.
Die gewählten Delegationen bleiben für die gesamte Mandatsperi-
ode im Amt, müssen dabei aber dem Landtag jeweils bis Ende April ei-
nen Tätigkeitsbericht über das vorangegangene Jahr erstatten (Art. 53
Abs. 2 GOLT).
Die Geschäftsordnung enthält keine Bestimmungen, welche die
Mitglieder(-zahl) einer Delegation näher definieren. Derzeit werden «je-
weils zwei Delegierte und zwei Stellvertreter für die Parlamentarische
Versammlung des Europarats, das EFTA/EWR-Parlamentarier-Komi-
tee, die Parlamentarische Versammlung der OSZE, und vier Delegierte
für die Interparlamentarische Union (IPU) sowie drei Delegierte für die
Parlamentarier-Kommission Bodensee»287 vom Landtag gewählt.
Darüber hinaus ist fraglich, ob die Bestimmung, dass jede in Frak-
tionsstärke im Landtag vertretene Partei das Recht hat, in Kommissio-
nen mitzuwirken, auch für Delegationen gilt (Art. 58 Abs. 3 GOLT).
Derzeit (Legislaturperiode 2009–2013) sind die Fortschrittliche Bürger-
partei und die Vaterländische Union in jeder Delegation als Vollmitglied,
das heisst nicht nur als Ersatzmitglied, vertreten, während die Freie Liste
in keiner Delegation Mitglied ist. Dabei wird die Leitung dieser sechs
Delegationen in vier Fällen von Abgeordneten der Vaterländischen
Union und zweimal von Abgeordneten der Fortschrittlichen Bürgerpar-
tei wahrgenommen.288 Somit kann anhand der Praxis (zumindest in die-
ser Mandatsperiode) als auch durch systematische Auslegung der
197
Organe des Landtags
284 Landtag des Fürstentums Liechtenstein, S. 23.
285 <www.bodenseekonferenz.org>, 19.10.2009.
286 <www.ipu.org>, 19.10.2009.
287 Landtag des Fürstentums Liechtenstein, S. 23.
288 Landtag des Fürstentums Liechtenstein, S. 22.
Schluss gezogen werden, dass die Fraktionen in der Zusammensetzung
der Delegationen identisch zu berücksichtigen sind wie in den Kommis-
sionen. M. E. wäre es sinnvoll und der Rechtsklarheit förderlich, eine
solche Regelung simultan zu derjenigen der Kommissionen in die Ge-
schäftsordnung aufzunehmen.
Die Frage, ob auch stellvertretende Abgeordnete in eine Delegation
bestellt werden dürfen oder nur ordentliche Abgeordnete, wurde oben
bereits beantwortet.289 Obwohl der Landtag in der Praxis stellvertretende
Abgeordnete als Vollmitglieder oder gar Delegationsleiter290 in Delega-
tionen wählt, entspricht dies nicht der Verfassung (Art. 49 Abs. 4).
7.3 Ausschüsse
Wird einer politikwissenschaftlichen Definition gefolgt, dann sind Aus-
schüsse aus grösseren Gremien, insbesondere aus Vertretungskörper-
schaften gewählte engere Kreise (Komitees) mit besonderen Aufgaben.
Dabei bereiten sie regelmässig Gegenstände vor, über die das Gremium
oder in selteneren Fällen der Ausschuss selbst, die Sachentscheidung
fällt.291
Dieser Definition entsprechen die Ausschüsse in Österreich292 oder
Deutschland293, wo sie eine zentrale Rolle einnehmen. Klar davon zu un-
198
Arbeitsweise des Landtags
289 Siehe dazu IV.3.5.
290 Der stellvertretende Abgeordnete der FBP, Hubert Lampert, ist aktuell Delegati-
onsleiter der Parlamentarischen Versammlung der OSZE.
291 Koja, S. 200 ff.
292 Im Österreichischen Nationalrat spielen die Ausschüsse eine wichtige Rolle. Im
Bundesgesetz über die GO des Österreichischen Nationalrats (BGBlÖ Nr. 410/
1975, zuletzt geändert durch BGBlÖ 1 Nr. 31/2009), sind die Bestimmungen über
Ausschüsse breit verteilt (§§ 27, 29ff, 37 AbS. 9). Zusammengefasst lässt sich fol-
gendes festhalten: «Ein Prinzip des parlamentarischen Verfahrens ist, dass einem Be-
schluss über einen Gegenstand im Plenum des Nationalrats eine Vorberatung in ei-
nem Ausschuss vorangeht. Das soll sicherstellen, dass fachkundige Abgeordnete in
einem kleinen Kreis ohne Zeitdruck über Sachfragen diskutieren können; in die Be-
ratungen können auch aussenstehende Expertinnen und Experten eingeschaltet
werden. Die endgültige Entscheidung bleibt dem Plenum des Nationalrates vorbe-
halten [. . .]. Für jeden grösseren Sachbereich wird zu Beginn einer Gesetzgebungs-
periode ein eigener Ausschuss gewählt, so zum Beispiel der Familienausschuss, der-
Verfassungsausschuss, [. . .]. Ausserdem kann der Nationalrat jederzeit zur Vorbera-
tung wichtiger einzelner Verhandlungsgegenstände besondere Ausschüsse einset-
terscheiden sind die Ausschüsse des Liechtensteiner Landtags. Weil in
den letzten zehn Jahren kein Ausschuss eingesetzt wurde, spielen Aus-
schüsse in Liechtenstein eine mehr als untergeordnete Rolle.294
Es ist demnach nicht überraschend, dass sich lediglich ein einziger
Artikel der Geschäftsordnung (Art. 64 GOLT) bzw. der Verfassung mit
den Ausschüssen befasst:
«Die Finanzkommission, die Geschäftsprüfungskommission, die
Aussenpolitische Kommission sowie Untersuchungskommissio-
nen können sich in Ausschüsse gliedern, denen im Rahmen ihrer
Aufträge die gleichen Befugnisse zustehen wie der Gesamtkom-
mission. Die Ausschüsse erhalten ihre Aufträge von der Gesamt-
kommission, die allein befugt ist, Beschlüsse zu fassen.»
Damit unterstehen die Ausschüsse in Liechtenstein nicht dem Landtag
direkt, sondern den jeweiligen ständigen Kommissionen bzw. einer Un-
tersuchungskommission. Ihre Einsatzgebiete und Kompetenzen sind
sehr beschränkt.
Die Aufgaben, welche die zu Beginn dieses Kapitels genannte De-
finition erwähnt, werden in Liechtenstein nicht von Ausschüssen, son-
199
Organe des Landtags
zen. Das arbeitsteilige System ermöglicht es den Abgeordneten, sich auf die Mate-
rien der Ausschüsse, denen sie angehören, zu spezialisieren» (<www.parlin
kom.gv.at/NR/AUS/AUFGG/Aufgaben der Ausschüsse des Nationalrates_Por-
tal.shtml>, 26.10.2009). In § 13 AbS. 1 der GO des Österreichischen Bundesrats
(BGBlÖ Nr. 361/1988, zuletzt geändert durch BGBlÖ 1 Nr. 192/1999) werden die
Ausschüsse ebenfalls genannt: «Zur Vorbereitung von Verhandlungsgegenständen
werden vom Bundesrat durch Wahl Ausschüsse gebildet. Der Bundesrat setzt die
Zahl der Mitglieder und Ersatzmitglieder jedes zu bildenden Ausschusses fest.»
293 Die GO des Deutschen Bundestags (BGBlD 1 S. 1237, zuletzt geändert durch den
Beschluss des Bundestags vom 02.07.2009) bestimmt in § 54 Abs. 1: «Zur Vorberei-
tung der Verhandlungen setzt der Bundestag ständige Ausschüsse ein. Für einzelne
Angelegenheiten kann er Sonderausschüsse einsetzen.» Die Anwendung dieser Be-
stimmung hat in der Praxis folgende Konsequenz: «Ein Grossteil der parlamentari-
schen Arbeit spielt sich in den Ausschüssen ab, die auf Beschluss des Bundestages
für die Dauer der gesamten Wahlperiode gebildet werden. [. . .] In den Ausschüssen
konzentrieren sich die Abgeordneten auf ein Teilgebiet der Politik. Sie beraten alle
dazugehörigen Gesetze vor der Beschlussfassung und versuchen, bereits im Aus-
schuss einen mehrheitsfähigen Kompromiss zu finden. Um sich ein Bild bestimm-
ter Sachverhalte zu machen, lassen sich die Ausschüsse von der Regierung und Sach-
verständigen informieren» (<www.bundestag.de>, 23.10.2009).
294 LTP 2000–2010.
dern von Kommissionen wahrgenommen, da diese vom Landtag sowohl
«zur Vorberatung der Verhandlungsgegenstände» (Art. 55 Abs. 1
GOLT) als auch «zur Feststellung von Tatsachen sowie zur Abklärung
von Verantwortlichkeiten (Untersuchungskommissionen)» bestellt wer-
den können (Art. 56 Abs. 1 GOLT). Deshalb hat das liechtensteinische
Kommissionswesen einen sehr viel höheren Stellenwert als das Aus-
schusswesen. Das Kommissionswesen in Liechtenstein enspricht dem
Ausschusswesen anderer Staaten.
Gleich verhält es sich in der Schweiz, wo weder das Geschäftsre-
glement des Nationalrats (GR CH-Nationalrat) noch das des Ständerats
(GR CH-Ständerat)295 die Institution der Ausschüsse kennt. So wie in
Liechtenstein werden diese Aufgaben auch dort von Kommissionen
wahrgenommen.296
8. Entschädigung der Abgeordneten
Gemäss Weber gibt es zwei Arten, Politik zu betreiben: «Entweder: man
lebt ‹für› die Politik – oder aber: ‹von› der Politik. [. . .] ‹Von› der Politik
als Beruf lebt, wer danach strebt, daraus eine dauernde Einnahmequelle
zu machen.»297
Die Entschädigung der Abgeordneten hat Einfluss auf die Reprä-
sentanz unterschiedlicher Bevölkerungsschichten im Landtag. Mit den
Worten von Batliner aus dem Jahr 1981: «Die Entschädigungsregelung
hat Einfluss darauf, wer es sich leisten kann, Mitglied des Parlaments zu
werden und berührt damit dessen Repräsentationsbreite.»298 Damals fie-
len allerdings die Entschädigungen deutlich geringer aus als heute. Im
Jahr 1989 gab auch Allgäuer zu Bedenken, dass die «Diskrepanz zwi-
schen der zeitlichen Belastung und der geringen Entschädigung so gross
200
Arbeitsweise des Landtags
295 Geschäftsreglement des Ständerats vom 20.06.2003, Stand 01.04.2008 (GR CH-
Ständerat), SR 171.14.
296 Durch Art. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Nationalrats (SR 171.13) be-
stehen elf ständige Kommissionen; durch dessen Art. 8 können in Ausnahmefällen
Spezialkommissionen und durch Art. 11 Subkommissionen eingesetzt werden. Das
Geschäftsreglement des Ständerats (SR 171.14) regelt diese Materie naturgemäss
praktisch identisch. Siehe dazu II.D.5.1.
297 Weber, S. 15 ff.
298 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 72.
geworden sei, dass dies wie ein finanzieller Ausschlussmechanismus
wirke und die Rekrutierungsbasis schmälere».299
Es kann dazu bereits an dieser Stelle angemerkt werden, dass das
Gesetz über die Bezüge der Mitglieder des Landtags und von Beiträgen
an die im Landtag vertretenen Wählergruppen von 1982 (BezügeBeiträ-
geG)300 mehreren Novellierungen unterlag und die Entschädigungen
stark erhöhten. Um die Frage beantworten zu können, ob die Abgeord-
neten durch diese Anpassungen nun eine ausreichende Entschädigung
erhalten, werden nun die einzelnen Bestimmungen dieses Gesetzes er-
läutert.
Gemäss dem «Gesetz über die Bezüge der Mitglieder des Landtags
und von Beiträgen an die im Landtag vertretenen Wählergruppen» (Be-
zügeBeiträgeG) gebühren den Mitgliedern des Landtags «für die Teil-
nahme an Landtags- und Landtagskommissionssitzungen und an Land-
tagsdelegationen für die Vorbereitungsarbeit und für allgemeine Auf-
wendungen in Ausübung ihres Mandates eine Entschädigung» (Art. 1
Abs. 1 BezügeBeiträgeG). Dieses Sitzungsgeld wird um eine Jahrespau-
schale als Repräsentationszulage erweitert (Art. 3 BezügeBeiträgeG).
Die Entschädigung für die Teilnahme an Sitzungen des Landtages,
der Landtagskommissionen und der Ausschüsse beträgt für die Land-
tagsabgeordneten CHF 300 für einen ganzen und CHF 200 für einen
halben Tag (Art. 2 Abs. 1 BezügeBeiträgeG). Es gelten vier Stunden als
halber und acht Stunden als ganzer Tag (Art. 2 Abs. 2 BezügeBeiträgeG).
Dabei werden angefangene halbe Tage voll angerechnet. Für Vorbearbei-
tungsarbeiten beziehen die Landtagsabgeordneten für jeden abgerechne-
ten Tag eine zusätzliche Entschädigung in gleicher Höhe (Art. 2 Abs. 3
BezügeBeiträgeG). Nimmt der Abgeordnete an der Sitzung nicht teil,
dann entfällt sowohl das Sitzungsgeld als auch die Vorbereitungsent-
schädigung (Art. 2 Abs. 4 BezügeBeiträgeG).
Die Jahrespauschale für Landtagsabgeordnete beträgt CHF 20 000,
für stellvertretende Abgeordnete CHF 10 000 (Art. 3 Abs. 1 Bezüge-
BeiträgeG). Der Landtagspräsident bezieht zusätzlich zu diesen Reprä-
sentationsauslagen eine jährliche Zulage von CHF 20 000, der Land -
201
Entschädigung der Abgeordneten
299 Allgäuer, S. 59.
300 Gesetz vom 17.12.1981 über die Bezüge der Mitglieder des Landtages und von Bei-
trägen an die im Landtag vertretenen Wählergruppen (BezügeBeiträgeG), LGBl
1982, Nr. 22.
tags vizepräsident eine solche von CHF 10 000 (Art. 3 Abs. 2 Bezüge-
BeiträgeG).
Für Kommissionen gelten folgende Entschädigungen: Mitglieder
der Landtagskommissionen erhalten eine jährliche Zulage von CHF
3000 (Art. 3 Abs. 3 BezügeBeiträgeG). Zusätzlich dazu erhalten die
Kommissionspräsidenten eine Jahrespauschale von CHF 2000 (Art. 3
Abs. 4 BezügeBeiträgeG). Ad-hoc-Kommissionen werden auf die glei-
che Art und Weise pro rata temporis entschädigt (Art. 3 Abs. 5 Bezüge-
BeiträgeG). Daneben erhalten Kommissionsmitglieder für die Erledi-
gung der ihnen von der Kommission delegierten Sonderaufgaben eine
Entschädigung von CHF 100 pro Stunde (Art. 3a BezügeBeiträgeG).
Die Entschädigung der Mitglieder des Landtags für ihre Auslands-
tätigkeit folgt dem gleichen Prinzip und ist gleich hoch wie diejenige für
Sitzungen im Inland mit der Massgabe, dass mehrere Sitzungen pro Tag
als eine Sitzung verrechnet werden (Art. 5 BezügeBeiträgeG). Zusätzlich
zu diesen Sitzungsgeldern treten Mahlzeiten-, Übernachtungs- und Rei-
sekostenentschädigungen sowie die Vergütung von Spesen (Art. 6, 7, 8,
9 BezügeBeiträgeG). Mitglieder der parlamentarischen Europaratsdele-
gation und deren Stellvertreter erhalten zusätzlich eine Jahrespauschale
von CHF 3000, Mitglieder von anderen Delegationen eine Jahrespau-
schale von CHF 3000, deren Stellvertreter eine solche von CHF 1500
und die Leiter der parlamentarischen Delegationen darüber hinaus zu-
sätzlich eine Jahrespauschale von CHF 2000 (Art. 10 BezügeBeiträgeG).
Die im Landtag vertretenen Wählergruppen erhalten zudem zur
Deckung des Aufwandes ihrer Tätigkeit im Landtag einen Grundbei-
trag in der Höhe von CHF 10 000 sowie einen Beitrag pro ordentlichen
Abgeordneten von CHF 5000 (Art. 1 Abs. 2 iVm Art. 12a BezügeBei-
trägeG).
Um die Einnahmen eines ordentlichen Abgeordneten überprüfen
zu können, muss zuerst der Arbeitsaufwand ermittelt werden. Im Jahre
2007 tagte der Landtag an insgesamt 22 Sitzungstagen während rund 210
Stunden.301 Dabei betrug die durchschnittliche Dauer einer Arbeitssit-
zung rund 9,5 Stunden und damit rechnerisch 1.5 Tage, da angefangene
Tage voll anzurechnen sind.
202
Arbeitsweise des Landtags
301 Landtag, Regierung und Gerichte 2007, S. 9.
Zum zeitlichen Aufwand der Landtagssitzungen von ca. einem
Monat ist die Vorbereitungszeit anzurechnen, für welche der Einfachheit
halber der gleiche Zeitaufwand wie für die jeweilige Sitzung angenom-
men werden kann, zumal die Abgeordneten für Vorarbeitungsarbeiten
eine Entschädigung in gleicher Höhe wie das Sitzungsgeld beziehen
(Art. 2 Abs. 3 BezügeBeiträgeG). Demzufolge betrug der Zeitaufwand
eines Abgeordneten im Jahre 2007 für Landtagssitzungen (das heisst
ohne Kommissions-, Delegations- und Auslandstätigkeit) ca. zwei Mo-
nate. Folglich erhielt ein Abgeordneter dafür CHF 22 000. Wird dazu die
Jahrespauschale in der Höhe von CHF 20 000 addiert, dann ergibt sich
ein Einkommen in der Höhe von CHF 42 000. Das Einkommen erhöht
sich durch Entschädigungen für die Mitarbeit in Kommissionen, Dele-
gationen sowie für Auslandstätigkeiten.
Damit scheint m. E. die Entschädigung der Abgeordneten ausrei-
chend zu sein. Dies bestätigen auch die befragten Abgeordneten Batliner,
Frick und Hilti.302 Damit besteht bei den Bestimmungen des Gesetzes
über die Bezüge der Mitglieder des Landtages und von Beiträgen an die
im Landtag vertretenen Wählergruppen kein Reformbedarf.
Im Jahr 2006 betrugen der mittlere Bruttomonatslohn (Median-
lohn) CHF 5885303 und das mittlere Bruttojahreseinkommen CHF 70620.
Die Abgeordneten erhielten für ca. zwei Monate Arbeit (vorausgesetzt
sie investierten in die Vorbereitung von Landtagssitzungen ebenso viel
Zeit wie in die Landtagssitzungen selbst) CHF 42 000. Damit entsprach
die durchschnittliche Jahresentschädigung (Taggelder und Jahrespau-
schale) rund 60 Prozent des mittleren Bruttojahreseinkommens.304 Die
Wählergruppen versuchen denn auch, potenzielle Landtagskandidaten
mit dem Argument eines Zusatzeinkommens zu locken. Dies sollten die
203
Entschädigung der Abgeordneten
302 Befragung Batliner, Frick, Hilti.
303 Lohnstatistik 2006, S.58: «Der Bruttomonatslohn berechnet sich in der Lohnstatis-
tik als ein Zwölftel des Bruttojahreslohns bei einem Beschäftigungsgrad von 100
Prozent und ganzjähriger Beschäftigung. Der Bruttojahreslohn umfasst die vom Ar-
beitgeber im Berichtsjahr gezahlten Geldleistungen vor Abzug der Steuern und der
vom Arbeitgeber einbehaltenen Arbeitnehmerbeiträge an die Sozialversicherungen
(AHV/IV/FAK, ALV, NBU, Pensionsversicherung, Krankenkasse). Zum Brutto-
jahreslohn zählen insbesondere auch der 13. Monatslohn, Mitarbeiterbeteiligungen,
Prämien, Dienstaltersgeschenke, Überzeitvergütungen, Schicht- und Nachtarbeits-
zulagen, Sonn- und Feiertagsentschädigungen sowie Abgangsentschädigungen.»
304 Lohnstatistik 2006, S. 8.
Wählergruppen unterlassen, da dies nicht nicht im Interesse einer Volks-
vertretung ist.305
Neben diesen finanziellen Entschädigungen tritt das sogenannte
immaterielle Entgelt. Mit den Worten von Moeckli: «Das Parlaments-
mandat birgt also [. . .] auch Chancen zusätzlicher Einkommen. In der
Wirtschaft gelten politische Erfahrung und politische Beziehungen als
Zusatzqualifikation, vergleichbar einem MBA oder dem Erfolg in einem
Profitcenter. Insbesondere für die Selbständigerwerbenden dürfte sich
die Marktposition verbessern.»306 So auch Marti: «Das immaterielle Ent-
gelt – Ansehen, Prestige, Einfluss – ‹ das mit der Übernahme eines Man-
dates verbunden ist, steht folglich immer noch hoch im Kurs.»307
An dieser Stelle ist festzuhalten, dass in Liechtenstein Staatsange-
stellte finanziell privilegiert sind. Sie erhalten für alle Sitzungstage des
Landtags – im Sinne eines bezahlten Urlaubs – den vollen Lohn zusätz-
lich zur Entschädigung als Landtagsabgeordnete.308 Gemäss Geiger sind
die Dienstbezüge von Beamten «jedoch nach denselben Grundsätzen zu
kürzen, die im Beamtenbesoldungs- und Versorgungsrecht für den Fall
des Zusammentreffens zweier öffentlich-rechtlicher Dienstbezüge gel-
ten. Das verlangt der Gleichheitssatz.»309 Zudem kann es nach der Mei-
nung von Holl «den Parlamenten nicht gleichgültig sein, dass durch den
hohen Anteil der Beamtenabgeordneten in der Öffentlichkeit der Ein-
druck besteht, dass die Parlamente Selbstbedienungsläden derer sind, die
in ihnen vertreten sind, Beamte zuerst an ihre eigenen Privilegien den-
ken».310 Diese Privilegierung gilt es m. E. abzuschaffen.
9. Inkompatibilität
In vielen Staaten können Personen aufgrund von Inkompatibilität nicht
dem Parlament angehören. Bei der politischen Unvereinbarkeit geht es
204
Arbeitsweise des Landtags
305 Befragung Batliner, Beck.
306 Riklin/Moeckli, S. 18.
307 Marti, S. 106.
308 Verordnung über das Dienstverhältnis des Staatspersonals (Staatspersonalverord-
nung), LGBl 2008/ 303, Art. 23 Abs. 1 lit. h.
309 Geiger, Abgeordnete, S. 109.
310 Holl, S. 44.
um die Frage, «welche staatlichen Funktionen mit der Ausübung eines
Abgeordnetenmandats unvereinbar sind».311 Neben der politischen In-
kompatibilität existiert die wirtschaftliche Unvereinbarkeit als «das Ver-
bot für bestimmte staatliche Funktionäre, Positionen in der Wirtschaft
zu bekleiden».312 In der Schweiz etwa dürfen der Bundesversammlung
unter anderem nicht angehören: «das Personal der zentralen und dezen-
tralen Bundesverwaltung, der Parlamentsdienste, der eidgenössischen
Gerichte sowie die Mitglieder der ausserparlamentarischen Kommissio-
nen mit Entscheidkompetenzen, sofern die spezialgesetzlichen Bestim-
mungen nichts anderes vorsehen» (Art. 14 lit. c CHParlG).313
Die Inkompatibilität ist in Liechtenstein durch Art. 46 Abs. 4 LV
geregelt. Danach können die Mitglieder der Regierung und der Ge-
richte nicht gleichzeitig Mitglieder des Landtages sein (Art. 46 Abs. 4
LV). Diese Bestimmung zielt in erster Linie darauf ab, die Gewalten-
teilung gegen eine personelle Gewalten- und Funktionenhäufung zu
schützen.314
Allerdings können damit Staatsangestellte im Landtag Einsitz neh-
men, womit eine Vermischung der exekutiven und legislativen Gewalt
stattfindet. Dies kann zu «Interessenkonflikten und einer Schwächung
der Kontrolle führen».315 Allgäuer nennt dazu das Beispiel eines Amts-
leiters, der sich davor hüten werde, ein Thema aufzugreifen, das einen
anderen Amtsleiter betreffe. Jener Amtsleiter werde nach Möglichkeit
darauf verzichten, einen Berufskollegen kritisch zu hinterfragen.316 Dies
ist insofern zu ergänzen, dass sich ein Staatsangestellter – auch ausser-
halb der Kontrollfunktion – kaum gegen die Regierung als seinen Ar-
beitgeber auflehnen würde.
In diesem Sinne ist die Ausarbeitung eines Gesetzes über die Un-
vereinbarkeit wünschenswert.317 Eine solche Regelung könnte etwa zu-
sätzlich zur heutigen Regelung um die bei Stabsstellen und Amtsstellen
205
Inkompatibilität
311 Koja, S. 173.
312 Koja, S. 173.
313 Bundesgesetz über die Schweizerische Bundesversammlung vom 13.12.2002
(CHParlG), SR 171.10 (Stand 02.03.2009).
314 Schüttemeyer, Inkompatibilität, S. 358.
315 Allgäuer, S. 386.
316 Allgäuer, S. 43.
317 Allgäuer, S. 43.
beschäftigten Personen – oder generell um die vom Staatspersonalge-
setz318 erfassten Personen – erweitert werden. Allerdings würde dies die
ohnehin schwere Rekrutierung von politischem Personal erschweren.
206
Arbeitsweise des Landtags
318 Gesetz vom 24.04.2008 über das Dienstverhältnis des Staatspersonals (Staatsperso-
nalgesetz; StPG), LGBl 2008, Nr. 144.
V.
VERFASSUNGSRECHTLICHE STELLUNG
VON FÜRST, VOLK UND REGIERUNG
IM VERHÄLTNIS ZUM LANDTAG
Die bisherigen Ausführungen haben den rechtlichen Hintergrund sowie
die Ausgestaltung und Funktionsweise des Landtags analysiert. In diesem
Kapitel wird die verfassungsrechtliche Stellung von Landesfürst, Volk
und Regierung im Verhältnis zum Landtag erläutert. Dazu werden die
Organe zuerst anhand der Verfassung dargestellt, um anschliessend deren
Verhältnis zum Landtag in der täglichen Arbeit darstellen zu können.
In Anlehnung an Weber und die Frage, wie die politischen Gewal-
ten sich in ihrer Herrschaft behaupten1, versucht dieses Kapitel zu be-
antworten, wie der Landtag seine Kompetenzen gegenüber Landesfürst,
Volk und Regierung wahrnimmt und behauptet.
1 Weber, S. 9 ff. Für Weber gilt in der Politik folgender Grundsatz: «Wer Politik
treibt, erstrebt Macht.»
Die Beziehung der Judikative2 zum Landtag wird nicht explizit er-
läutert, obwohl sie in Liechtenstein als dritte Gewalt einen erheblichen
Stellenwert innehat. Doch für die vorliegende Arbeit hat sie nicht die-
selbe Relevanz wie die Beziehungen des Landtags zu Fürst, Volk und
Regierung.
208
2 Die Judikative (Rechtspflege) als dritte Gewalt neben Legislative (Gesetzgebung)
und Exekutive (ausführende Gewalt) wird im Namen des Fürsten und des Volkes
durch verpflichtete Richter ausgeübt, die vom Landesfürsten ernannt werden (Art.
95 Abs. 1 LV). Sie sind in der Ausübung ihres Amtes unter dem Vorbehalt der ge-
setzlichen Schranken sachlich und persönlich unabhängig (Art. 95 Abs. 2 LV). Dies
gilt für alle Richter, sowohl der ordentlichen Gerichte als auch des Verwaltungsge-
richtshofes und des Staatsgerichtshofes (Art. 95 Abs. 3 LV). Die ordentliche Ge-
richtsbarkeit ist die Gerichtsbarkeit in Zivil- und Strafsachen und wird in erster In-
stanz «durch das Fürstliche Landgericht in Vaduz, in zweiter Instanz durch das
Fürstliche Obergericht in Vaduz und in dritter Instanz durch den Fürstlichen
Obersten Gerichtshof ausgeübt» (Art. 97 Abs. 1 LV). Die Gerichtsbarkeit erster In-
stanz kann dabei unter bestimmten Voraussetzungen auch den Rechtspflegern über-
tragen werden (Art. 98 LV). Der Verwaltungsgerichtshof dagegen ist die Rechtsmit-
telinstanz für Beschwerden, welche aufgrund sämtlicher Entscheidungen oder Ver-
fügungen der Regierung und der anstelle der Kollegialregierung eingesetzten
besonderen Kommissionen ergriffen werden, soweit das Gesetz nichts anderes be-
stimmt (Art. 102 Abs. 5 LV). Auch die näheren Bestimmungen über das Verfahren
werden durch ein besonderes Gesetz getroffen (Art. 103 LV). Der Staatsgerichtshof
ist als «Gerichtshof des öffentlichen Rechtes zum Schutze der verfassungsmässig ge-
währleisteten Rechte, zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten zwischen den
Gerichten und den Verwaltungsbehörden und als Disziplinargerichtshof für die
Mitglieder der Regierung» (Art. 104 Abs. 1 LV) zuständig. Daneben fällt in seine
Kompetenz die Prüfung der Verfassungsmässigkeit von Gesetzen und Staatsverträ-
gen sowie der Gesetzmässigkeit der Regierungsverordnungen (Art. 104 Abs. 2 LV).
A. Landtag und Landesfürst
Der Landesfürst hat durch die Verfassung weitreichende Kompetenzen.
Durch deren Wahrnehmung beeinflusst er die tägliche Landtagsarbeit.
1. Der Landesfürst in der Verfassung
Der Landesfürst als Staatsorgan ist gemäss Verfassung Staatsoberhaupt.
Er repräsentiert unbeschadet der erforderlichen Mitwirkung der verant-
wortlichen Regierung den Gesamtstaat (gegenüber auswärtigen Staaten)
und hat sich bei der Ausübung seiner Rechte an die Verfassung bzw. Ge-
setze zu halten (Art. 7, 8 LV). Dabei verfügt er oft über einen weiten Er-
messensspielraum, der aufgrund seiner Funktion als Staatsoberhaupt
und Repräsentant Liechtensteins dahingehend eingeschränkt ist, als er
die politische Verantwortlichkeit gegenüber dem Volk trägt und aus sei-
ner Entscheidung dem Volk und auch dem Staat Liechtenstein kein
Nachteil erwachsen darf (Art. 10 LV).
Gemäss Art. 7 Abs. 2 LV untersteht die Person des Landesfürsten
nicht der Gerichtsbarkeit und sie ist rechtlich nicht verantwortlich. Ne-
ben seinen Funktionen, welche er im Verhältnis zu anderen Staatsorga-
nen wahrnimmt, hat der Landesfürst spezielle «unabhängige» Funktio-
nen wie das Begnadigungsrecht und das Notverordnungsrecht.3 Durch
Ersteres steht dem Landesfürst «das Recht der Begnadigung, der Milde-
209
3 Art. 10 Abs. 2 LV: «Notverordnungen dürfen die Verfassung als Ganzes oder ein-
zelne Bestimmungen derselben nicht aufheben, sondern nur die Anwendbarkeit ein-
zelner Bestimmungen der Verfassung einschränken. Notverordnungen können we-
der das Recht eines jeden Menschen auf Leben, das Verbot der Folter und der un-
menschlichen Behandlung, das Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit, noch die
Regel ‹Keine Strafe ohne Gesetz› beschränken. Überdies können die Bestimmungen
dieses Artikels, des Art. 3, 13ter und 113, sowie des Hausgesetzes durch Notver-
rung und Umwandlung rechtskräftig zuerkannter Strafen und der Nie-
derschlagung eingeleiteter Untersuchungen zu» (Art. 12 Abs. 1 LV).
Durch das Notverordnungsrecht kann der Landesfürst die Anwendbar-
keit einzelner Bestimmungen der Verfassung einschränken, ohne die
Verfassung als Ganzes oder einzelne Bestimmungen derselben aufzu -
heben.
Wann er von diesem Recht Gebrauch machen kann, regelt die ak-
tuelle Fassung der Verfassung nicht. Allerdings deutet das Wort «Not»
auf Ausnahmesituationen hin, die ein Tätigwerden zwingend erfordern.
Dies deckt sich mit dem Verfassungstext der Originalfassung der Verfas-
sung von 1921: «In dringenden Fällen wird er das Nötige zur Sicherheit
und Wohlfahrt des Staates vorkehren» (Art. 10 LV idgF). Schliesslich
verfügt der Landesfürst über das Sanktionsrecht (Art. 9 LV).
2. Die Beziehung des Landtags zum Landesfürsten
in der täglichen Landtagsarbeit
Bereits der erste ausdrücklich den Landtag betreffende Artikel in der
Verfassung bestimmt das Verhältnis zwischen Landtag und Fürst näher.
Durch ihn ist der Landtag berufen, «das Wohl des Fürstlichen Hauses
[. . .] möglichst zu fördern» (Art. 45 LV). «Fördern» bedeutet «in seiner
Entfaltung, bei seinem Vorankommen unterstützen» bzw. «gute Dienste
leisten». Deshalb kann bereits an dieser Stelle gesagt werden, dass die
beiden Organe kaum auf der gleichen Ebene agieren.
Dem Landtag steht das Kontrollrecht über die gesamte Staatsver-
waltung unter Einschluss der Justizverwaltung, aber explizit nicht auf
die dem Landesfürsten zugewiesenen Tätigkeiten zu (Art. 63 Abs. 1 LV).
Zudem haben neu eintretende Landtagsmitglieder den Eid vor dem
Fürsten oder seines Bevollmächtigten abzulegen (Art. 54 LV).4
210
Landtag und Landesfürst
ordnungen nicht eingeschränkt werden. Notverordnungen treten spätestens sechs
Monate nach ihrem Erlass ausser Kraft.»
4 Art. 54 LV: «Sämtliche neu eingetretene Mitglieder legen folgenden Eid in die Hände
des Fürsten oder seines Bevollmächtigten ab: «Ich gelobe, die Staatsverfassung und
die bestehenden Gesetze zu halten und in dem Landtage das Wohl des Vaterlandes
ohne Nebenrücksichten nach bestem Wissen und Gewissen zu fördern, so wahr mir
Gott helfe!»
Darüber hinaus stehen der Landtag und der Landesfürst in ver-
schiedenen Wechselbeziehungen, worüber in der Verfassung zahlreiche
formelle und auch vom Dualismus geprägte materielle Bestimmungen zu
finden sind.
So hat der Landesfürst das Recht, den Landtag einzuberufen, und
nur er oder ein Bevollmächtigter kann den Landtag eröffnen oder
schliessen. Den genauen Tag der Eröffnung bestimmt allein der Landes-
fürst, selbst wenn ihn Abgeordnete um einen anderen Tag bitten. So war
im Liechtensteiner Vaterland zu lesen: Es «mag einigen Landtagsabge-
ordneten unglücklich erscheinen, doch Erbprinz Alois hat sich nun ein-
mal dafür entschieden, den Landtag am Donnerstag, 17. Februar, zu er-
öffnen».5
Diese Regelungen bestimmen einerseits das Verhältnis zwischen
Landtag und Landesfürst näher und decken andererseits die ungleiche
Stellung dieser Institutionen auf. Dabei wird aber auch die formelle Ab-
hängigkeit des Landtags vom Landesfürsten aufgezeigt, weil der Landtag
ohne Zutun des Fürsten zumindest vorübergehend nicht handlungsfähig
sein kann: Würde der Landesfürst den an sich gewählten Landtag nicht
persönlich eröffnen bzw. zu Beginn einer Sitzungsperiode einberufen
oder nicht einen Stellvertreter damit betrauen, obwohl er dazu an sich ge-
mäss Art. 54 LV verpflichtet ist, dann würde der Landtag als geschlossen
gelten und bliebe damit formell und faktisch handlungsunfähig.6 Neben
dem Fürst hat nur noch das Volk ein Einberufungsrecht. Dessen Wahr-
nehmung bedingt aber eine gewisse Zeit, da der Landtag nur über be-
gründetes, schriftliches Verlangen von wenigstens 1000 wahlberechtigten
Landesbürgern oder über Gemeindeversammlungsbeschluss von min-
destens drei Gemeinden einzuberufen ist (Art. 48 Abs. 2 LV).
Darüber hinaus kann nur der Landesfürst persönlich den Landtag
(auf drei Monate) vertagen oder auflösen, wozu aber erhebliche Gründe
vorliegen müssen, welche dem Landtag mitzuteilen sind (Art. 48, 49, 54,
211
Die Beziehung des Landtags zum Landesfürsten
5 Liechtensteiner Vaterland, 10.02.2011, S. 3.
6 Dies vermag auch Art. 57 Abs. 2 GOLT (LGBl 1997/61) nicht zu ändern: «Beson-
dere Kommissionen (Art. 55) und Untersuchungskommissionen (Art. 56) können
während der Mandatsdauer des Landtages auch tagen, wenn der Landtag geschlos-
sen ist.» Dies ist nicht unproblematisch, da die Institution Landtag geschlossen und
damit handlungsunfähig ist, während aber Kommissionen dieser Institution den-
noch tagen können.
55 LV).7 Dabei bleibt fraglich, was alles unter «erhebliche Gründe» fällt.
Es kann aber festgehalten werden, dass dieser Begriff jedenfalls eine will-
kürliche Wahrnehmung des Auflösungsrechts ausschliesst, da der Grund
«erheblich» sein muss. Darüber hinaus darf der Landesfürst von diesem
Recht nur bei ausserordentlichen Missständen im Landtag und auch
dann nur mit grosser Rücksicht auf das Wohl des liechtensteinischen
Staates Gebrauch machen. Grund dafür ist die politische Verantwortung
des Landesfürsten gegenüber dem Volk., weshalb dem Volk und auch
dem Staat Liechtenstein aus seinen Entscheidungen kein Nachteil er-
wachsen darf (Art. 10 LV).
Bei der Bestellung der Regierung müssen Landesfürst und Landtag
dahingehend zusammenarbeiten, als der Regierungschef und die Regie-
rungsräte bzw. deren Stellvertreter vom Landesfürsten einvernehmlich
mit dem Landtag auf dessen Vorschlag ernannt werden (Art. 79 Abs. 2,
3 LV). Verliert die Regierung das Vertrauen des Landesfürsten oder des
Landtags, dann erlischt ihre Befugnis zur Ausübung des Amtes, wäh-
rend bei Vertrauensverlust eines einzelnen Regierungsmitglieds die Ent-
scheidung über den Verlust der Befugnis zur Ausübung dessen Amtes
einvernehmlich zwischen Landesfürst und Landtag getroffen wird
(Art. 80 Abs. 1, 2).
Ein Beispiel aus dem Jahr 1993 zeigt die ungleiche Stellung zwi-
schen Landesfürst und Landtag hinsichtlich des Vertrauensverlustes ei-
nes Regierungsmitglieds auf. Dem Beispiel lag zwar die Verfassungsbe-
stimmung zugrunde, dass der Landtag beim Landesfürsten einen Antrag
auf Amtesenthebung stellen konnte, falls ein Regierungsmitglied das
Vertrauen des Landtags verlor (Art. 80 LV idgF). Diese Bestimmung ist
mit der einvernehmlichen Entscheidung zwischen Landtag und Landes-
fürst über Verlust des Regierungsmandats ähnlich, indem es – jetzt wie
damals – der Zustimmung des Landesfürsten bedarf und der Landtag
nicht selbständig entscheiden kann. Im Jahr 1993 «entzog der Landtag
[. . .] Regierungschef Markus Büchel das Vertrauen. Gleichzeitig wurde
mit 18 Stimmen ein Antrag auf Amtsenthebung durch den Landesfürs-
212
Landtag und Landesfürst
7 Um möglicher Verwirrung vorzubeugen: Die Verfassung unterscheidet zwischen
«eröffnen» und «einberufen»: Ersteres geschieht einmal pro Legislaturperiode und
dient dem Ablegen des Eides, während die Einberufung (durch Verordnung des
Landesfürsten) mindestens am Anfang jedes Jahres stattfindet, wodurch die Sit-
zungsperiode beginnt. So auch Art. 1 und 3 der GOLT.
ten gestellt.»8 Der Landesfürst löste den Landtag auf und erklärte das
Ende der Legislaturperiode. Im Liechtensteiner Volksblatt war zu lesen:
«Im Gegensatz zu den Abgeordneten, die nach ihrem Amtsenthe-
bungsantrag eine Entlassung des Regierungschefs erwartet hatten,
ist der Landesfürst der Auffassung, dass der Regierungschef bis zur
Neubildung der Regierung aufgrund der Neuwahlen die Amtsge-
schäfte weiterführen kann. Der Fürst sieht sich nicht als ausfüh-
rendes Organ des Landtags, das nur nachvollziehen müsse, was der
Landtag beschliesse. [. . .] Damit tritt nun die groteske Situation ein,
dass der Landtag, der vom verfassungsmässigen Recht des Miss-
trauensantrags gegen den Regierungschef Gebrauch machte, aufge-
löst wurde, während der Regierungschef, dem das Misstrauen aus-
gesprochen wurde, weiterhin im Amt bleibt.»9
Dieser Fall zeigt auf, dass sich der Landesfürst in einem Verfahren ge-
mäss Art. 80 Abs. 1 durch sein Recht, den Landtag aufzulösen (Art. 48
Abs. 1 LV), zwischen Landtag und Regierung entscheiden kann. Dem-
gegenüber steht dem Landtag zwar das theoretische Recht zu, einen
Misstrauensantrag gegen den Landesfürsten persönlich oder eine Ini-
tiative auf Abschaffung der Monarchie zu stellen. Doch handelt es sich
dabei gemäss Batliner um zwei faktisch nicht wahrnehmbare Kompe-
tenzen.10
Gerade hier offenbart sich die Beziehung zwischen Landtag und
Landesfürst als asymmetrisch: Dem Landtag ist es nicht möglich, den
Landesfürsten abzusetzen, währenddem der Fürst den Landtag eigen-
mächtig vertagen oder auflösen kann.
Bei den materiellen Bestimmungen steht die Gesetzgebung im Mit-
telpunkt. Das Recht der Initiative steht dabei neben den wahlberechtig-
ten Landesbürgern sowohl dem Landtag selbst als auch dem Landes-
fürsten in der Form von Regierungsvorlagen zu (Art. 64 Abs. 1 LV).
Falls aber der Landesfürst sein Recht der Gesetzesinitiative so interpre-
tiert, als er der Regierung «bis ins Detail gehende Aufträge erteilt oder
ein gesetzgeberisches Nachgeben hier mit Forderungen dort junktimiert
213
Die Beziehung des Landtags zum Landesfürsten
8 Liechtensteiner Vaterland, 15.09.1993, S. 1.
9 Liechtensteiner Volksblatt, 16.09.1993, S. 1. In der Folge führte dies auch zu einer
Regierungsentlassung.
10 Batliner, Verfassungsänderungsvorschläge, S. 18.
und präventiv eine mögliche Sanktionsverweigerung ankündigt, wird
dies die bestehende Verfassungsordnung Spannungen aussetzen».11 Da
darüber hinaus der Regierungschef «die ihm unmittelbar vom Fürsten
übertragenen Geschäfte, die Gegenzeichnung der Gesetze sowie der
vom Fürsten und seiner Regentschaft ausgehenden Erlasse und Verord-
nungen»12 zu besorgen hat, nimmt der Landesfürst aktiv an der Tages-
politik teil und hat Einfluss auf die Regierungs- und damit auf die Land-
tagspolitik. Deshalb beeinflusst er auch das Agenda-Setting des Landtags
und die Institution Landtag an sich. Dies bestätigt auch ein Vergleich der
Thronrede mit den vom Landtag ex post behandelten Geschäfte. Es
kann festgestellt werden, dass die Thronrede die zukünftigen Traktan-
den des Landtags vorwegnimmt.13
Das Sanktionsrecht (Art. 65 LV)14 des Landesfürststen drängt den
Landtag im Gesetzgebungsverfahren in eine Art Begleiterrolle ohne
endgültige Entscheidungskompetenz. Denn der Landesfürst ist «niemals
verpflichtet, die Sanktion zu erteilen, er hat das – formell unbeschränkte
– Recht, die Sanktion zu verweigern. Die Erteilung oder Verweigerung
der Sanktion ist also Ermessenssache.»15 Das Sanktionsrecht des Fürsten
ist gemäss Pállinger eine «echte Prärogative»,16 «entspricht einem abso-
luten Veto und macht den Fürsten zu einem demokratisch nicht legiti-
214
Landtag und Landesfürst
11 Batliner, Schichten, S. 299.
12 <www.regierung.li/index.php?id=66>, 03.01.2011.
13 So nahm auch die Thronrede im Jahre 2007 die Traktanden des Landtags vorweg.
Der Erbprinz: «Das Jahr 2007 könnte zu einem wichtigen Reformjahr für Liech-
tenstein werden. Einige Reformen wie jene des Stiftungsrechts, des Finanzaus-
gleichs, des Staatspersonalgesetzes oder des Gerichtsorganisationsgesetzes und des
Richterdienstgesetzes könnten bereits dieses Jahr gelingen.» Die angesprochenen
Gesetze wurden daraufhin vom Landtag tatsächlich beraten und abschliessend be-
handelt: Das Stiftungsrecht am 26.06.2008 (LTP 2008, S. 1350), das Finanzaus-
gleichsgesetz am 17.12.2009 (LTP 2009, S. 2154), das Staatspersonalgesetz am
16.09.2009 (LTP 2009, S. 777), das Gerichtsorganisationsgesetz am 24.10.2007 (LTP
2007, S. 2074) und das Richterdienstgesetz am 24.10.2007 (LTP 2007, S. 2050).
14 Art. 65 LV: «Ohne Mitwirkung des Landtages darf kein Gesetz gegeben, abgeändert
oder authentisch erklärt werden. Zur Gültigkeit eines jeden Gesetzes ist ausser der
Zustimmung des Landtages die Sanktion des Landesfürsten, die Gegenzeichnung
des verantwortlichen Regierungschefs oder seines Stellvertreters und die Kundma-
chung im Landesgesetzblatte erforderlich. Erfolgt die Sanktion des Landesfürsten
nicht innerhalb von sechs Monaten, dann gilt sie als verweigert.»
15 Steger, S.75.
16 Hoch, S. 223.
mierten Teilhaber der gesetzgebenden Gewalt. Durch die Verweigerung
der Sanktion werden die Befugnisse der Regierung und des Landtags, die
beide demokratisch legitimiert sind, beschnitten und die Kette der poli-
tischen Verantwortlichkeit unterbrochen.»17 Damit hat die Sanktions-
verweigerung des Fürsten im Gesetzgebungsverfahren zur Folge, dass
die Zustimmung des Landtags zu einem Gesetz auf die Ablehnung des
Fürsten prallt, wobei das Gesetz durch seine Ablehnung nicht in Kraft
treten kann. Eine Gesetzesvorlage muss dadurch der politischen Linie
des Landesfürsten entsprechen, da sonst ein vom Landtag angenomme-
nes Gesetz Gefahr liefe, vom Fürsten nicht sanktioniert zu werden. Da-
her muss die Regierung – im Falle einer Regierungsvorlage – aber vor al-
lem der Landtag beim Gesetzgebungsprozess die Meinung des Landes-
fürsten berücksichtigen.18 Zudem eröffnet gemäss Waschkuhn das
Sanktionsverweigerungsrecht dem Landesfürsten die Möglichkeit,
«seine Meinung präventiv wissen und also wirken zu lassen».19 Wie oben
dargestellt hat er diese Möglichkeit bei der Abstimmung «Hilfe statt
Strafe» im Jahr 2011 genutzt.20
Bei Staatsverträgen kommt dem Landtag eine Nebenrolle zu, da
nur Staatsverträge, durch die «Staatsgebiet abgetreten oder Staatseigen-
tum veräussert, über Staatshoheitsrechte oder Staatsregale verfügt, eine
neue Last auf das Fürstentum oder seine Angehörigen übernommen
oder eine Verpflichtung, durch die den Rechten der Landesangehörigen
Eintrag getan würde» (Art. 64 Abs. 2 LV) zur Gültigkeit die Zustim-
mung des Landtags benötigen.
Ein weiteres Recht des Landesfürsten ist es, auf Antrag des Land-
tags eine Begnadigung oder Strafmilderung zugunsten eines wegen sei-
ner Amtshandlungen verurteilten Regierungsmitglieds auszusprechen.
Demgegenüber benötigt der Landesfürst keinen Antrag des Landtags,
um ein vom Landtag beschlossenes Ministeranklageverfahren niederzu-
schlagen (Art. 12 LV).
Auch bei der Bestellung der Richter nach Art. 96 LV müssen Fürst
und Landtag in einem gemeinsamen Gremium zusammenwirken, in dem
der Landesfürst den Vorsitz und den Stichentscheid hat. Dabei können
215
Die Beziehung des Landtags zum Landesfürsten
17 Pállinger, Stellung, S. 22 ff.
18 Siehe dazu auch Willoweit, S. 203 ff.
19 Waschkuhn, 1993, S. 271
20 Siehe dazu III.D.2.2.
Kandidaten nur mit Zustimmung des Landesfürsten dem Landtag emp-
fohlen werden. Wählt der Landtag den empfohlenen Kandidaten, dann
wird dieser vom Landesfürsten zum Richter ernannt (Art. 96 LV).21
Diese Ausführungen zeigen das ungleiche Verhältnis zwischen
Landesfürst und Landtag auf, auch wenn der Fürst gegenüber dem
Landtag nicht weisungsbefugt ist und deshalb der Landtag «weder im
Namen noch nach den Befehlen»22 des Fürsten handelt. Dabei ist das
Zusammenspiel zwischen Fürst und Landtag heikel, «wenn es nicht zu
einer Verständigung zwischen den beiden Gewalten kommt».23 Zusam-
menfassend stehen demnach die beiden Institutionen nicht auf der glei-
chen Stufe. Gerade das persönliche definitive Veto des Landesfürsten ist
dabei von grossem Gewicht.
216
Landtag und Landesfürst
21 Auch kann er «ebenso viele Mitglieder in dieses Gremium berufen wie der Landtag
Vertreter entsendet. Der Landtag entsendet je einen Abgeordneten von jeder im
Landtag vertretenen Wählergruppe» (Art. 96 LV).
22 Steger, S.75
23 Wille, Kontroversfragen, S. 187
B. Landtag und Volk
An dieser Stelle wird die verfassungsrechtliche Stellung des Volkes skiz-
ziert, um darauf aufbauend die Beziehung des Landtags zum Volk in der
täglichen Landtagsarbeit darstellen zu können.
1. Das Volk in der Verfassung
Es bedarf zuerst einer Klärung des Begriffes «Volk», da dieser in der Ver-
fassung weder definiert noch näher umschrieben wird. Gemäss Fuchs
bilden alle Menschen, die einem Staat angehören, dessen (Staats-)Volk.24
Durch die Verfassung sind «alle Personen mit liechtensteinischem Lan-
desbürgerrecht ohne Unterschied des Geschlechts» (Art. 28 Abs. 1, FN
6 LV) als Landesangehörige definiert. Damit wird unter «Volk» grund-
sätzlich die Gesamtheit der Landesangehörigen verstanden. Grundsätz-
lich deshalb, weil neben das Erfordernis des Landesbürgerrechts in ein-
zelnen Bestimmungen zusätzliche Bedingungen geknüpft sein können.
So etwa bei den Landtagswahlen: Der Landtag wird zwar «vom Volke»
(Art. 46 Abs. 1 LV) gewählt; dabei sind aber nur diejenigen Landesange-
hörigen25 wahlberechtigt, «die das 18. Lebensjahr vollendet und seit ei-
nem Monat vor der Wahl oder Abstimmung im Lande ordentlichen
Wohnsitz (Art. 32 ff. PGR) haben» (Art. 1 Abs. 1 VRG). Deshalb kann
das «Volk» – formell betrachtet – bei Landtagswahlen nicht mit der «Ge-
samtheit der Landesangehörigen» gleichgesetzt werden. Abgesehen von
217
24 Fuchs, S. 321 ff.
25 Anhang zu Art. 45 Abs. 1 LV: «Unter dem von der Verfassung verwendeten Begriff
«Landesangehörige» sind alle Personen mit liechtensteinischem Landesbürgerrecht
ohne Unterschied des Geschlechts zu verstehen.»
solchen Ausnahmen bilden – entsprechend der Verfassung – alle Lan-
desangehörigen zusammen das «Volk».
Eine Person hat Menschenrechte, die sie losgelöst von anderen Or-
ganen bzw. Institutionen wahrnimmt. Unter anderem sind das Recht auf
Menschenwürde (Art. 27bis LV), das Recht auf Leben (Art. 27ter LV),
die Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 31 LV), das Recht auf einen ordent-
lichen Richter (Art. 33 LV) und das Recht auf Beschwerde (Art. 43 LV)
als Beispiele zu nennen.26 In Liechtenstein trat am 8. September 1982 die
Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte
und Grundfreiheiten (EMRK) in Kraft, welche einer Person zusätzliche
Freiheiten und Rechte garantiert.27 Darüber hinaus gewährleisten Staats-
verträge bzw. internationale Übereinkommen weitere Rechte,28 aber
auch Pflichten, wie etwa die Pflicht zur Beachtung der Gesetze (Art. 28
Abs. 3 LV), die Pflicht zur Verteidigung des Landes (Art. 44 LV) oder die
Schulpflicht (16 Abs. 2 LV).
Zuständig für den Schutz verfassungsmässig gewährleisteter
Rechte ist der Staatsgerichtshof (StGH). Bei ihm kann die Individualbe-
schwerde eingelegt werden. Dabei behauptet der Beschwerdeführer,
«durch eine enderledigende letztinstanzliche Entscheidung oder Verfü-
gung der öffentlichen Gewalt in einem seiner verfassungsmässig ge-
währleisteten Rechte oder in einem seiner durch internationale Überein-
kommen garantierten Rechte, für die der Gesetzgeber ein Individualbe-
218
Landtag und Volk
26 In den Art. 27 ff der Verfassung sind weitere Grund- und Freiheitsrechte zu finden.
27 EMRK, LGBl 1982/60.1. Zu dieser Konvention wurden mehrere (Zusatz-) Proto-
kolle unterzeichnet.
28 Es sind dies: Übereinkommen vom 10.12.1984 gegen Folter und andere grausame,
unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (LGBl 1991/59) bzw.
Europäisches Übereinkommen vom 26.11.1987 zur Verhütung von Folter und un-
menschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (LGBl 1992/7), Überein-
kommen vom 18.12.1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau
(LGBl 1996/64), Übereinkommen vom 20.11.1989 über die Rechte des Kindes
(LGBl 1996/163), Europäische Charta vom 05.11.1992 der Regional- oder Minder-
heitensprachen (LGBl 1998/9), Rahmenübereinkommen vom 01.02.1995 zum
Schutz nationaler Minderheiten (LGBl 1998/10), Internationaler Pakt vom
16.12.1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (LGBl 1999/57), In-
ternationaler Pakt vom 16.12.1966 über bürgerliche und politische Rechte (LGBl
1999/58), Internationales Übereinkommen vom 21.12.1965 zur Beseitigung jeder
Form von Rassendiskriminierung (LGBl 2000/80).
schwerderecht ausdrücklich anerkannt hat, verletzt zu sein» (StGHG
Art. 15 Abs. 2).29
2. Die Beziehung des Landtags zum Volk
in der täglichen Landtagsarbeit
Der Landtag ist «das gesetzmässige Organ der Gesamtheit der Landes-
angehörigen und als solches berufen, nach den Bestimmungen dieser
Verfassung die Rechte und Interessen des Volkes [. . .] wahrzunehmen»
(Art. 45 Abs. 1 LV).
Die Verfassung postuliert das freie Mandat, indem die Abgeordne-
ten verpflichtet werden, sowohl «das Wohl des Vaterlandes ohne Ne-
benrücksichten nach bestem Wissen und Gewissen» (Art. 54 Abs. 1 LV)
als auch «die Rechte und Interessen des Volkes» (Art. 45 Abs. 1 LV) zu
fördern und damit das Volk zu repräsentieren und zu vertreten.30 Das
heisst, der Abgeordnete ist nicht an Aufträge und Weisungen der Wäh-
lergruppen oder der Wähler gebunden. Damit ist der Landtag bei der
Wahrnehmung seiner Kompetenzen zwar weisungsfrei und damit in sei-
nem Handeln, nicht aber in seinem Denken vom Volk unabhängig.
Hauptgrund dafür ist die Kontrolle des Landtags durch das Volk. Als die
primären Kontrollmittel sind zu nennen: das Referendum, die Landtags-
wahl sowie die Möglichkeit, eine Volksabstimmung über die Auflösung
des Landtags zu erwirken.
Die angesprochene Repräsentation ist ein weiter und breit disku-
tierter Begriff. Gemäss Fraenkel ist Repräsentation «die rechtlich autori-
sierte Ausübung von Herrschaftsfunktionen durch verfassungsmässig
bestellte, im Namen des Volkes, jedoch ohne dessen bindenden Auftrag
handelnde Organe eines Staates oder sonstigen Trägers öffentlicher Ge-
walt, die ihre Autorität mittelbar oder unmittelbar vom Volk ableiten
und mit dem Anspruch legitimieren, dem Gesamtinteresse des Volkes zu
dienen und dergestalt dessen wahren Willen zu vollziehen».31
219
Die Beziehung des Landtags zum Volk
29 Gesetz vom 27.11.2003 über den Staatsgerichtshof (StGHG), LGBl 2004, Nr. 32.
30 Siehe dazu auch Batliner, Zur heutigen Lage, S. 39 ff.
31 Fraenkel, S. 81.
Die Politikwissenschaft unterscheidet von dieser Repräsentations-
funktion (zumindest begrifflich) die Artikulationsfunktion, welche da-
rin besteht, «die Meinungen der Bevölkerung zum Ausdruck zu brin-
gen».32
Die Termini Repräsentations- und Artikulationsfunktion sind stark
miteinander verstrickt, weil ohne Artikulation der Abgeordneten kaum
eine Repräsentation des Volkes stattfinden kann, was auch vice versa gilt.
Auch für Beyme sind die beiden Begriffe zwar nicht identisch, doch ge-
hen für ihn diese Funktionen Hand in Hand, sodass er sie unter den ge-
meinsamen Terminus «Repräsentations- und Artikulationsfunktion» zu-
sammenfasst und darunter weitere (Teil-)Funktionen subsumiert.33
Es liegt nun an den Landtagsabgeordneten, diese theoretischen An-
forderungen in der täglichen Landtagsarbeit und damit im Verhältnis
zum Volk für das Land Liechtenstein effektiv wahrzunehmen. Bei opti-
maler Wahrnehmung seiner repräsentativen Funktion befindet er sich
gemäss Batliner in einer schwebenden Mitte: «In seinen Entscheidungen
vom Volke unabhängig, in seiner pluralen Vielgliedrigkeit und seinem
Denken dem Volke nah.»34
Der Landtag muss daher versuchen, hinsichtlich des Volkes einen
Mittelweg zwischen Verbundenheit im Denken und Unabhängigkeit im
Handeln zu finden, um die öffentliche Meinung und damit die Interes-
sen des Volkes tatsächlich zum Ausdruck bringen zu können: Denn geht
das Parlament «ganz im Volke auf, ist es nur noch Artikulator momen-
taner Stimmungen und Wünsche und unselbständiger Erfüller der je-
weiligen Interessen; es verliert seinen Sinn. Entfernt es sich demgegen-
über definitiv vom Volk, tritt es im Verhältnis zum Volk nur noch als
220
Landtag und Volk
32 Thaysen, Regierungssystem, S. 22.
33 Beyme, S. 241. Er fasst unter «Repräsentations- und Artikulationsfunktion» die Re-
präsentations- und die Artikulationsfunktion selbst, die Lehrfunktion sowie die In-
formationsfunktion zusammen. Durch die Lehrfunktion hat der Landtag die «Spiel-
regeln» der Politik und der Landtags- bzw. Parteiarbeit zu vermitteln, wobei diese
für Beyme längst auf Parteien und Medien übergegangen ist. Die Informations-
funktion bzw. Kommunikationsfunktion beschreibt die Übermittlung und der Aus-
tausch von Informationen und Meinungen zwischen dem Landtag und dem Volk.
Die Kommunikation ist dabei für Batliner «eine solche zwischen Parlament und
Volk sowie eine solche vermittels des Parlaments zwischen Behörden, insbesondere
der Regierung, und Bevölkerung und umgekehrt (Kommunikationsfunktion)»
(Batliner, Zur heutigen Lage, S. 81).
34 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 41.
Gegenüber auf, so hebt sich die Repräsentation, die ja Repräsentation
des Volkes ist, auf.»35
Gemäss Batliner kommt der Landtag von diesem Mittelweg ab,
wenn «sich das Parlament in seiner Machtausübung gegenüber dem Volk
etabliert oder indem das Parlament, weil es zu schwach ist, von der Re-
gierung absorbiert, vereinnahmt und gelenkt, gewissermassen dem Volk
als Teil der Regierung erscheint. In beiden Fällen geht das Parlament in
der staatlichen Herrschaftsapparatur auf, sei es als vom Volk getrennte
Staatsgewalt, sei es als Funktionär der Regierung.»36
Die bisherigen Ausführungen deuten an, dass sich der Landtag
zwar nicht gegenüber dem Volk etabliert und somit distanziert, sondern
von der Regierung absorbiert wird. Dies führt zu einer Repräsentations-
lücke, die auch auf die Dominanz der Volksparteien zurückzuführen ist.
Diese tragen gemäss Thaysen zum Repräsentationsverlust auch deswe-
gen bei, indem sie «ihre Integrationskraft in pauschalen, hochgradig ag-
gregierten Programmen suchen».37 Die «Repräsentationslücke»38 ist
umso unausweichlicher, «je weiter, je allgemeiner die Programmatik der
konsenssuchenden ‹Volksparteien›»39 ist. Dass die beiden Volksparteien
Vaterländische Union und Fortschrittliche Bürgerpartei eine opportu-
nistische Politik betreiben, indem sie aufgrund ihrer allgemein gehalte-
nen und praktisch identischen Programme weder Extrem- noch Gegen-
positionen einnehmen und gleichzeitig die Interessen der breiten Masse
aufzugreifen versuchen, wurde bereits aufgezeigt.40 Damit scheint in
Liechtenstein die Repräsentationslücke – auch durch die Parteienstruk-
tur – systembedingt. Thaysen führt zudem das Repräsentationsdefizit
des Parlaments auf dessen «prinzipielles Leistungsunvermögen»41 zu-
rück. Der Repräsentationsverlust ist aber auch deshalb systemimmanent,
als sich im Landtag aufgrund von «Zeitnot, Sachkundenot und Bewer-
tungsnot»42 ein Unvermögen manifestiert, weshalb ihm ein Repräsenta-
tionsverlust kontastiert werden muss.
221
Die Beziehung des Landtags zum Volk
35 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 41.
36 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 41.
37 Thaysen, Parlament, S. 89.
38 Thaysen, Parlament, S. 88.
39 Thaysen, Parlament, S. 88.
40 Siehe dazu III.E.
41 Thaysen, S. 87.
42 Eichenberger, Kontrolle, S. 285.
Der Landtag könnte diesem Repräsentationsverlust entgegenwir-
ken, indem er etwa eine eigenständige Öffentlichkeitsarbeit betreibt und
dabei gemäss Patzelt Repräsentationsglauben stiftet. «Dabei ist nachzu-
weisen, im Parlament wisse man um die vielfältigen Sorgen und Anlie-
gen, um die Meinungen und Wünsche der Bevölkerung, man nehme sie
ernst, man bemühe sich – ebenso streitend wie die Gesellschaft selbst –
um angemessene Politik, man sei auch auf der Höhe der in der Gesell-
schaft zu alledem vorhandenen, möglicherweise problemlösenden Infor-
mationen wäre im übrigen nicht nur in Worten, sondern auch mit Taten
responsiv.»43
222
Landtag und Volk
43 Patzelt, Funktionen, S. 25.
C. Landtag und Regierung
Partsch hält fest:
Es ist «von entscheidender Bedeutung, in welcher Weise sich die
Regierung im engeren Sinn [. . .] zum Parlament hin orientiert und
mit ihm verzahnt ist. Das ist nur teilweise eine Frage des Verfas-
sungsrechts», sondern auch der Praxis. Aus diesem Grund werden
zuerst die verfassungsrechtlichen Bestimmungen der Regierung
dargestellt, um darauf aufbauend das Verhältnis des Landtags zur
Regierung im Rechtsetzungsverfahren sowie anhand des Corpo-
rate Governance-Gesetzes darzustellen. Die Kontrolle der Regie-
rung wird aufgrund der grossen Bedeutung dieser Parlamentsfunk-
tion in einem späteren, eigenständigen Abschnitt dargestellt. Dabei
gilt es zu berücksichtigen, dass es sich bei Landtag und Regierung
nicht nur um zwei verschiedene Organe im Staat handelt, sondern
um «zwei grundverschiedene Denk- und Sehweisen.»44
1. Die Regierung gemäss Verfassung
Die Regierung wird vom Landesfürsten einvernehmlich mit dem Land-
tag auf dessen Vorschlag ernannt. Sie bildet sich in Liechtenstein aus dem
Regierungschef, dem Regierungschef-Stellvertreter und drei Regie-
rungsräten, welche ihre Geschäfte teils im Kollegium, teils in Ressorts
bearbeiten (Art. 79 Abs. 1, 2, Art. 83 LV).45 Diese vollamtliche Regierung
223
44 Partsch, Stellung, S. 323.
45 Die Ressorts und deren Ausgestaltung werden mittels einer «Verordnung über die
Geschäftsverteilung und den Ressortplan der Regierung» festgelegt. Die aktuelle
VO ist mit dem 25.03.2009 datiert (LGBl 116/2009).
ist aufgrund des Dualismus, also der Machtteilung zwischen Fürst und
Volk, dem Landtag (Volk) und dem Landesfürsten verantwortlich und
wird von ersterem kontrolliert (Art. 75 iVm. Art. 78 Abs. 1 LV). Sie
nimmt dabei eine klare Mittelstellung als Bindeglied zwischen diesen
beiden Säulen des Staatsbaus ein und ist gleichzeitig vom Vertrauen bei-
der Staatsorgane abhängig (Art. 80 Abs. 1, 2 LV).46 Die Regierung ist die
im Staat für die politische und administrative Führung des Landes ver-
antwortliche Institution und bildet zusammen mit der Verwaltung die
ausführende Gewalt (Exekutive).
Die Regierung hat unter Beachtung «der Schranken der Verfas-
sung, der Gesetze und staatsvertraglichen Regelungen» (Art. 92 Abs. 4
LV) vorzugsweise folgende Geschäfte wahrzunehmen: Vollzug der Ge-
setze und Erlass von Verordnungen (Art. 92 LV), Besorgung der gesam-
ten Landesverwaltung (Art. 78 Abs. 1 LV) und Beaufsichtigung aller ihr
unterstellten Behörden und Angestellten (Art. 93 lit. a LV), Überwa-
chung des gesetzmässigen und ununterbrochenen Geschäftsganges der
ordentlichen Gerichte (Art. 93 lit. e LV), Erstattung des jährlich dem
Landtage vorzulegenden Berichtes über ihre Amtstätigkeit (Rechen-
schaftsbericht) (Art. 93 lit. f iVm. Art. 62 lit. e LV) sowie Ausarbeitung
von Regierungsvorlagen an den Landtag und die Begutachtung der ihr
zu diesem Zwecke vom Landtag überwiesenen Vorlagen (Art. 93 lit. g
LV). Dazu tritt die Rechtsprechung im Sinne des Art. 90 Abs. 1 LV: «Alle
wichtigeren, der Regierung zur Behandlung zugewiesenen Angelegen-
heiten, insbesondere die Erledigung der Verwaltungsstreitsachen, unter-
liegen der Beratung und Beschlussfassung der Kollegialregierung.» Das
Rechtsmittel der Beschwerde kann an den Verwaltungsgerichtshof erho-
ben werden (Art. 102 Abs. 5 LV).
2. Die Beziehung des Landtags zur Regierung
in der täglichen Landtagsarbeit
Der Landtag sollte gemäss Art. 45 Abs. 1 der Verfassung ein starkes Ge-
gengewicht zur Regierung und zur gesamten Herrschaftsapparatur sein
und damit eine starke Stellung im Staat innehaben:
224
Landtag und Regierung
46 Allgäuer, S. 72.
«Der Landtag ist das gesetzmässige Organ der Gesamtheit der
Landesangehörigen und als solches berufen, nach den Bestimmun-
gen dieser Verfassung die Rechte und Interessen des Volkes im Ver-
hältnis zur Regierung wahrzunehmen und geltend zu machen.»
Die Institution Landtag steht zwischen Volk und Regierung. Faktisch
sollte der Landtag aber dem Volk näher stehen, da er durch die Verfassung
die Pflicht zur Vertretung des Volkes und seiner Interessen hat, von diesen
gewählt wird und aus Landesangehörigen besteht (Art. 46 LV).
Verfassungsrechtlich ist der Landtag der Regierung übergeordnet.
So ist die Regierung dem Landtag gegenüber verantwortlich und unter-
liegt dessen Kontrolle (Art. 75, Art. 78 Abs. 1 LV). Damit steht der
Landtagspräsident in der Hierarchie über dem Regierungschef.47 Auch
aus diesem Grund sollte der Landtagspräsident seinen Aufgaben haupt-
beruflich nachgehen können.
Durch die strukturelle Gewaltentrennung hat der Landtag Kompe-
tenzen, nach denen man versucht sein kann zu sagen, dass der Landtag
die Regierung bestimmt: Vorschlag der Regierung (Art. 79 Abs. 2 LV),
Mitwirkung an der Gesetzgebung (Art. 65 LV), Finanzhoheit (Art. 62 lit.
d LV), Antragstellung, Beschwerdeführung und Kontrolle bezüglich der
Staatsverwaltung unter Einschluss der Justizverwaltung (Art. 63 LV),
Erhebung der Anklage gegen Mitglieder der Regierung wegen Verlet-
zung der Verfassung oder sonstiger Gesetze vor dem Staatsgerichtshof,
Entlassungsrecht gegenüber der Regierung oder Misstrauensantrag ge-
gen ein Regierungsmitglied (Art. 80 LV).48
Allerdings kann der Landtag kaum eine dieser Kompetenzen ohne
Mithilfe der Regierung erfüllen. Regierung und Landtag sind zwar durch
die Verfassung in einer ganzen Reihe von Zuständigkeiten zu autonomen
Entscheidungen berufen, die teilweise auch keiner nachprüfbaren Kon-
trolle durch ein «übergeordnetes» Kontrollorgan mehr unterliegen.
Dennoch tangieren Entscheidungen eines dieser Organe das jeweils an-
dere Organ, da sie durch das «checks and balances»-Verhältnis «ver-
225
Landtag und Regierung in der täglichen Landtagsarbeit
47 <www.llv.li/pdf-llv-rfl-protokollreglement_liechtenstein_1.pdf>, 03.02.2011: Pro-
tokollreglement für das Fürstentum Liechtenstein, Genehmigt durch die Regierung
des Fürstentums Liechtenstein, Vaduz, 30.03.2010, S. 13.
48 Es wurde bereits aufgezeigt, dass das Misstrauensvotum in der Praxis schwierig um-
zusetzen ist. Siehe dazu V.A.2.
zahnt, interdependent, durchwegs aufeinander angewiesen» sind.49 Ge-
mäss Eichenberger kann damit von einem koordinativ-kooperativen Be-
ziehungssystem gesprochen werden.50 Gemäss Euchner bedingt die
Funktionsfähigkeit dieses Systems ausbalancierter gegenseitiger Zustän-
digkeiten den Kooperationswillen beider Organe. Denn «jeder exzessive
Gebrauch von Rechten, die einem der beiden Organe im Hinblick auf
das andere zwar von Verfassungs wegen durchaus zustehen mögen, ent-
hält die Gefahr einer völligen Lahmlegung staatsrechtlicher Prozesse».51
Steffani nennt diesen blockierenden Stillstand «deadlock».52 Insofern ist
es von äusserster Wichtigkeit, dass sowohl die Regierung als auch der
Landtag im Geiste der Funktionsfähigkeit des Verfassungssystems von
ihren Rechten Gebrauch machen.53
Gemäss Euchner ist ein Gleichgewicht zwischen Landtag und Re-
gierung kaum möglich, da dies in der Regel von der Dynamik des poli-
tischen Prozesses vereitelt werde. Damit sind zwei Typen des parlamen-
tarischen Systems zu unterscheiden: Solche, in denen letztlich das Parla-
ment das Übergewicht über die Regierung hat und solche, in denen
dieses Verhältnis umgekehrt ist.54
Durch die Regierungsbildung besteht in Liechtenstein ein origi-
näres Naheverhältnis zwischen Landtag und Regierung. Carrino hält
dazu fest:
Die Behauptung ist «begründet, dass es aufgrund des Mechanismus
der Regierungsbildung [. . .], des Vertrauensverhältnisses, das diese
den Landtag unterhalten muss, einer Beziehung, die Bestand haben
muss über die ganze Amtszeit hinweg, sowie auch in Beziehung
zur Praxis des nunmehr verbreiteten politischen Lebens, in Wirk-
lichkeit die Regierung ist, welche die Richtlinie der Politik be-
stimmt und durchsetzt».55
Durch die Regierungsbildung scheitert daher die unabhängige Stellung
des Landtags gegenüber der Regierung ex ante, da die Regierung und der
226
Landtag und Regierung
49 Eichenberger, Regierungssystem, S. 159.
50 Eichenberger, Regierungssystem, S. 159.
51 Löschnak, S. 557.
52 Steffani, S. 634.
53 Löschnak, S. 557.
54 Euchner, S. 301.
55 Carrino, S. 77.
Landtag (parteipolitisch) keineswegs voneinander unabhängig, sondern
aneinander gekoppelt sind, weil die Mehrheitspartei im Landtag auch die
Mehrheitspartei in der Regierung ist. Dies bringt gemäss Eichenberger
der Regierung soviel Übergewicht, dass der Landtag Mühe bekundet,
«sich der Lenkung durch die Regierung auch nur partiell zu entziehen
[. . .]: Die funktionelle Dominanz der Regierung hat Einkehr gehalten».56
Dazu tritt die Treue der Landtagsabgeordneten zur eigenen Partei so-
wohl innerhalb des Landtags als auch zu deren Regierungsmitgliedern.
Allein diese Tatsache bringt zum Ausdruck, dass der Landtag im heuti-
gen System kaum unabhängig von der Regierung sein kann.57
Lauth sieht gerade darin ein grosses Problem für einen parlamenta-
rischen Staat: «Je enger die Bindung zwischen Parlamentsmehrheit und
Regierung wurde, um so weniger konnte das Parlament als Ganzes die-
ser Entwicklung entgegentreten. Die Unterscheidung von Exekutive
und Legislative [. . .] wurde im parlamentarischen Staat durch die Hand-
lungseinheit von Regierung und Parlamentsmehrheit fragwürdig.»58
Eine Analyse der Traktanden im öffentlichen Landtag bestätigt
diese Handlungseinheit und damit die Vereinnahmung der Landtags-
mehrheit bzw. des Landtags von der Regierungsmehrheit. So hat der
Landtag im Jahr 2009 mit einer Ausnahme alle ihm zur Genehmigung
vorgelegten Eingänge bzw. Vorlagen der Regierung genehmigt.59 Damit
nimmt der Landtag die Rolle als «zustimmende Instanz»60 ein und wird
zum Akklamationsorgan.61
Auch eine zahlenmässige Analyse zeugt eindeutig von einer Ver-
einnahmung des Landtags. So ist der Landtag ein Milizparlament mit 25
Abgeordneten, welches – das Landtagssekretariat mit seinen 5,8 Stellen
227
Landtag und Regierung in der täglichen Landtagsarbeit
56 Eichenberger, Regierungssystem, S. 159.
57 Es besteht einzig die Möglichkeit, dass sich die Abgeordneten der Mehrheitspartei
derart etablieren, dass sie völlig unabhängig und distanziert von ihrer Regierung
agieren, was aber unwahrscheinlich ist.
58 Beyme, S. 231.
59 LTP des Jahres 2009. Im September-Landtag wurde das Initiativbegehren zur Ab-
änderung des Umweltschutzgesetzes mit der Nummer 52/2009 abgelehnt und damit
die Regierung beauftragt, innert der gesetzlichen Frist einen Termin für eine Volks-
abstimmung anzuberaumen (LTP 2009, S. 699ff).
60 Heeb, S. 209.
61 Schurti, 1989, S. 324.
einmal ausgenommen62 – keine Vollzeitangestellten hat, während so-
wohl die Regierung selbst als auch ihr Unterbau komplett professiona-
lisiert sind.
Wird nun auch der Beschäftigungsgrad analysiert, dann stehen für
das Jahr 2008 auf der Seite des Landtags das Landtagssekretariat mit 5,8
Arbeitsplätzen gegenüber dem Apparat an Angestellten der Regierung
wie Regierungsmitarbeiter und Regierungssekretariatsmitarbeiter mit
78,8 Arbeitsstellen.63 Im Jahr 2009 hatte der Landtag zehn und die Re-
gierung mit ihren Stabsstellen und Sekretariaten 80,4 Arbeitsstellen.64
Dies findet seinen Niederschlag in der laufenden Rechnung: Im Jahr
2008 kostete der Landtag den Staat Liechtenstein CHF 4,15 Millionen
(2009: CHF 3,7 Millionen), während die Regierung im selben Jahr CHF
17 Millionen (2009: CHF 17 Millionen) benötigte und sich allein die Ge-
hälter der Regierungssekretariate und Regierungsmitarbeiter auf CHF
5,5 Millionen (2009: CHF 6,3 Millionen) beliefen.65 Anzumerken ist da-
bei einerseits, dass darin die Gehälter der Regierungsmitglieder noch
nicht enthalten sind: 2009 beliefen sie sich insgesamt auf CHF 1,46 Mil-
lionen, 2010 auf CHF 1,39 Millionen. Andererseits ist auffallend, dass
die Gehälter der Regierungssekretariate und Regierungsmitarbeiter ste-
tig steigen. Gleichzeitig sind diese Gehälter höher als die Ausgaben für
den gesamten Landtag, welche im Zeitverlauf stagnierten oder sich sogar
leicht verringerten.66
228
Landtag und Regierung
62 Landtag des Fürstentums Liechtenstein, S. 41, iVm Art. 15 ff. GOLT: Ganz allge-
mein unterstützt das Landtagssekretariat den Landtag, wobei es bei der Ausübung
seiner Funktionen von der Regierung unabhängig ist.
63 Landtag, Regierung und Gerichte 2008, S. 39. Die angegebenen Stellen ergeben sich
aus den Stabstellen der Regierung inklusiv Sekretariate (78.7 Stellen). Ausgenom-
men sind die Stellen der Landesverwaltung (692.45 Stellen).
64 Landtag, Regierung und Gerichte 2009, S. 36. Die angegebenen Stellen ergeben sich
aus den Stabstellen der Regierung inklusiv Sekretariate (80.4 Stellen). Ausgenom-
men sind die Stellen der Landesverwaltung (709.89 Stellen).
65 Landtag, Regierung und Gerichte 2008, S. 438 iVm Landtag, Regierung und Ge-
richte 2009, S. 428: Die Taggelder, die Gehälter und die Beiträge an die politischen
Parteien machen beim Landtag den grössten Teil aus, während bei der Regierung die
Gehälter der Regierungsmitglieder, die Gehälter der Regierungssekretariate/ -mitar-
beiter und deren Sozialbeiträge sowie die Öffentlichkeitsarbeit am stärksten zu Bu-
che schlagen. Unter Regierung ist hierbei die allgemeine Verwaltung nicht subsu-
miert.
66 Landtag, Regierung und Gerichte 2008, S. 438 iVm Landtag, Regierung und Ge-
richte 2009, S. 428: Im Jahr 2008 erhielten die Regierungsmitglieder CHF 1,4 Mil-
lionen, im Jahre 2009 1,5 Millionen.
Diese Vergleiche machen ersichtlich, dass die Regierung auf einer
ganz anderen und professionellen Ebene agiert als das Milizparlament.
Gerade dieser professionelle Unterbau gibt der Regierung gegenüber
dem Landtag einen quantitativen und qualitativen Vorsprung, da mehr
Mitarbeiter auch einen diversifizierteren Wissenspool zur Folge haben.
Das diversifiziertere Wissen stammt nicht nur aus der Quantität der Mit-
arbeiter, sondern auch aus dem Fakt, dass die Regierungsmitglieder so-
wie deren Mitarbeiter jeweils Spezialgebieten zugeordnet sind und des-
halb auf dem jeweiligen Gebiet spezifische Kenntnisse haben. Zusätzlich
haben sie die Möglichkeit und die Zeit, sich in ein spezifisches Thema in
ihrem Fachbereich genau einzulesen bzw. sich fundiert zu informieren,
während die Landtagsabgeordneten jeweils ihrem Beruf nachgehen und
sich daneben für eine Landtagssitzung in relativ kurzer Zeit in viele ver-
schiedene Materien einarbeiten müssen. Dies hat auch der Abgeordnete
Wendelin Lampert festgestellt: «[. . .] nur wissen wir alle ganz genau, dass
die personellen Ressourcen jedes Einzelnen aber auch der Unterbau von
Regierung und Landtag massive Unterschiede aufweisen».67 Der Abge-
ordnete Pepo Frick kommentiert den professionellen Unterbau folgen-
dermassen: «Ich beobachte seit längerer Zeit, dass der Unterbau der Re-
gierung regelmässig und massiv ausgebaut wird. [. . .] Logischerweise
verliert die Volksvertretung mehr und mehr an Einfluss. Es besteht die
Gefahr, dass die Volksvertretung zu einem Zustimmungsgremium der
Regierung wird.»68
Es muss an dieser Stelle daran erinnert werden, dass das Parlament
von seinem eigentlichen Wesen her dem Staat die allgemeine Richtung
seiner Politik vorzugeben hätte. Mit den Worten von Marti: «Das Parla-
ment ist nicht bloss eine Ratifizierungsinstanz, die vornehmlich auf das
zu reagieren hat, was ihm die Regierung vorlegt. Es ist ihm vielmehr
auch eine Führungsaufgabe im Staat übertragen.»69
Die faktische Unterordnung des Landtags unter die Regierung und
die daraus resultierende Passivität des Landtags hat gemäss Thaysen fol-
gende Konsequenz: «In dem Masse, wie die eindeutige Determinierung
des staatlichen Eingriffs durch die Parlamente (und die Parteien) nicht
229
Landtag und Regierung in der täglichen Landtagsarbeit
67 LTP 2009, S. 870.
68 LTP 2009, S. 869.
69 Marti, S. 111.
mehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, ergibt sich
zwangsläufig auch für die Verwaltung nicht nur ein ohnehin im Zuge des
sozialstaatlichen Aufbaues erweiterter Gestaltungsspielraum, sondern
geradezu Gestaltungszwang.»70 Das heisst, je schwächer der Landtag ist,
desto dominanter muss die Regierung agieren und desto unterdrückter
und abhängiger wird wiederum der Landtag von der Regierung. Ein
Kreis, aus dem sich der Landtag nur durch selbstbewusstes Auftreten ge-
genüber der Regierung und durch proaktives Handeln befreien kann.
3. Die Beziehung des Landtags zur Regierung
im Rechtsetzungsverfahren
3.1 Verfassung- und Gesetzgebung
In Liechtenstein bestehen zwischen dem Verfahren zu Verfassungsände-
rungen und dem einfachen Gesetzgebungsverfahren lediglich geringe
Unterschiede. Verfassungsänderungen bedürfen bei einer Abstimmung
im Landtag der Einstimmigkeit oder einer 3⁄4-Mehrheit in zwei aufei-
nanderfolgenden Sitzungen (Art. 112 Abs. 2 LV). Bei einfachen Gesetzen
genügt dagegen das absolute Mehr der Anwesenden (Art. 58 LV). Vor
diesem Hintergrund ist in diesem Abschnitt auch die Verfassunggebung
gemeint, wenn undifferenziert von der Gesetzgebung bzw. vom Gesetz-
gebungsverfahren die Rede ist.
Art. 65 LV bestimmt die erforderlichen Voraussetzungen für die
Gültigkeit eines Gesetzes:
«Ohne Mitwirkung des Landtages darf kein Gesetz gegeben, abge-
ändert oder authentisch erklärt werden. Zur Gültigkeit eines jeden
Gesetzes ist ausser der Zustimmung des Landtages die Sanktion des
Landesfürsten, die Gegenzeichnung des verantwortlichen Regie-
rungschefs oder seines Stellvertreters und die Kundmachung im
Landesgesetzblatte erforderlich.»
Das Recht zum Einbringen von Gesetzesvorschlägen (Gesetzesinitiative)
steht dem Landtag (Art. 10 VwKG)71, dem Volk unter bestimmten quan-
230
Landtag und Regierung
70 Thaysen, Parlament, S. 88.
titativen Voraussetzungen oder dem Landesfürsten in Form von Regie-
rungsvorlagen zu (Art. 64 LV). Solche Gesetzesvorschläge sind in Form
eines ausgearbeiteten Entwurfes einzubringen (Art. 32 GOLT). Die Re-
gierung besitzt in der Gesetzgebung zwar kein Initiativrecht (Art. 64
Abs. 1 LV), doch obliegt ihr die Ausarbeitung von Regierungsvorlagen an
den Landtag sowie «die Begutachtung der ihr zu diesem Zwecke vom
Landtag überwiesenen Vorlagen» (Art. 93 lit. g LV). Den zu Ende bear-
beiteten Gesetzesvorschlag überweist die Regierung zusammen mit ei-
nem begründeten Bericht und Antrag (Art. 14 Abs. 1 VwKG)72 als soge-
nannte Regierungsvorlage an den Landtag (Art. 63 lit. g LV). Neben den
Regierungsvorlagen kann die Regierung im Gesetzgebungsprozess da-
hingehend aktiv werden, indem sie mit Motionen73 per Mehrheitsbe-
schluss des Landtags beauftragt wird (Art. 33 GOLT). Motionen sind
selbständige Anträge, durch deren Überweisung die Regierung beauf-
tragt wird, dem Landtag den Erlass, die Abänderung oder die Aufhebung
eines Verfassungsgesetzes, eines einfachen Gesetzes, eines Finanzbe-
schlusses oder eines anderen Landtagsbeschlusses zu unterbreiten. Die
Motion enthält eine Begründung und zeigt auf, welche Bereiche in der
Vorlage geregelt werden sollen (Art. 33 Abs. 1 lit. a GOLT). Die Regie-
rung wird durch die Begründung und die Stossrichtung nicht verpflich-
tet, den Vorstellungen der Motionäre zu folgen, da sie die Vorlage nach ei-
genem Gutdünken gestalten kann (Art. 6 Abs. 2 VwKG). Wollen die Mo-
tionäre dagegen den Inhalt der Motion bestimmen, dann müssen sie dafür
eine Landtagskommission verpflichten. Die Regierung muss dann die
Kommission in ihrer Arbeit unterstützen (Art. 33 Abs. 1 lit. b GOLT).
Jede Regierungsvorlage unterliegt zu Beginn einer Eintretensde-
batte. Darin diskutiert das Plenum allgemein die Frage des Eintretens
231
Die Beziehung des Landtags zur Regierung im Rechtsetzungsverfahren
71 Art. 10 VwKG: «Eine von Mitgliedern des Landtages eingereichte Gesetzesinitiative
kann der Regierung vom Landtag zur Stellungnahme unterbreitet werden. Diese ist
dann verpflichtet, zum Inhalt der Vorlage und zu den im Landtag aufgeworfenen
Fragen Stellung zu nehmen.»
72 Art. 14 Abs. 1 VwKG: «In den Berichten und Anträgen an den Landtag informiert
die Regierung den Landtag ausführlich über die Notwendigkeit von Vorlagen und
zeigt die Schwerpunkte und Auswirkungen auf.» Nach Art. 23 Abs. 3 der VO über
die GO der Regierung (LGBl 1994, Nr. 14) werden die BuA an den Landtag ausge-
geben und darüber hinaus in einer gebundenen Sammlung aufbewahrt. BuA sind
auch in elektronischer Form unter <www.bua.llv.li> verfügbar, solange der BuA
nicht aus einem früheren Jahr als 2000 stammt.
73 Lateinisch, zu «motio» = Bewegung.
bzw. der Annahme oder Zurückweisung der Vorlage (Art. 30 Abs. 1
GOLT). Wird die Vorlage angenommen, dann unterliegt die Vorlage ei-
ner zweimaligen Lesung und der Schlussabstimmung (Art. 30 Abs. 2
GOLT).74 Während dieser Lesungen kann der Landtag die (Regierungs-)
Vorlage jederzeit abändern (Art. 30 Abs. 3 GOLT).75 In Plenumsdebatten
ist die Wahrnehmung dieses Abänderungsrechts in der zweiten Lesung
nicht allen Abgeordneten genehm. Selbst dann nicht, wenn die erste Le-
sung in der vorangegangenen Legislaturperiode stattfand und damit der
Landtag in seiner neuen Zusammensetzung die Vorlage noch nie (öffent-
lich) behandelte.76
Ein Gesetz ist ohne Gegenzeichnung des verantwortlichen Regie-
rungschefs oder seines Stellvertreters ungültig (Art. 65 Abs. 1 LV). Es ist
demnach für die Gültigkeit eines Gesetzes ein Zutun des Landtags und
des Regierungschefs nötig, weshalb die (rechtliche) Möglichkeit besteht,
dass der Regierungschef – wie auch der Landesfürst – durch Verweige-
232
Landtag und Regierung
74 Art. 30 GOLT bestimmt: «Ist vom Landtag Eintreten auf eine Gesetzesvorlage be-
schlossen worden, so unterliegt diese in der Regel einer zweimaligen Lesung und
der Schlussabstimmung. [. . .] In der zweiten Lesung wird in der Regel artikelweise
abgestimmt. Diese Abstimmung ist für die redaktionelle Fassung eines Artikels ver-
bindlich, wenn unmittelbar nach der zweiten Lesung die Schlussabstimmung er-
folgt. Der Landtag kann zusätzliche Lesungen mit artikelweiser Abstimmung be-
schliessen, vor allem dann, wenn die Behandlung einer Vorlage über die Legislatur-
periode hinausgeht.» In der Praxis wird die zweite Lesung per Artikelaufruf
durchgeführt. Um dieses Verfahren zu straffen, sollte auf Lesungen verzichtet wer-
den, was durch eine simple Änderung der GOLT vorgenommen werden könnte, in-
dem dort «Lesung» durch «Beratung» ersetzt wird.
75 Art. 30 AbS. 3 GOLT: «Abänderungs-, Zusatz- oder Streichungsanträge können bis
zur Abstimmung über den jeweiligen Artikel eingebracht werden.»
76 LTP 2010, S. 43 ff. Der Abgeordnete Christian Batliner stellte im Märzlandtag 2008
in der zweiten Lesung zum FHG (BuA Nr. 121/2008) einen Abänderungsantrag,
was die VU (LTP 2010, S. 47) aufschreckte. Christian Batliner (S. 63) fragte nach
dem Sinn der zweiten Lesung: «Was soll die 2. Lesung? Ich meine, wir haben heute
nicht über so absolut komplizierte Dinge gesprochen. [. . .] Wir haben über Zahlen
gesprochen. Die VU bedingt sich mehr Vorlaufzeit, damit sie sich Gedanken ma-
chen können. Wenn man also in einer 2. Lesung keine Abänderungsanträge mehr
einbringen kann, ohne dass das konstruktiv diskutiert wird und das einfach Block-
abstimmungen gibt, dann frage ich mich wirklich, was wir hier machen. Dann kann
man Ideen oder Gedanken nicht mehr aufnehmen, dann braucht man Vorlaufzeit.
Für mich muss im Landtag diskutiert werden. Es muss nicht zwischen den Koaliti-
onspartnern vorgängig in einem Parteibüro diskutiert werden. Die Diskussion hat
hier stattzufinden.» Schlussendlich wurden sämtliche Anträge sowie die Vorlage
selbst nicht angenommen.
rung der Gegenzeichnung die Gesetzgebung blockieren kann. Dieses
Mitwirken mehrerer Verfassungsorgane bei der Gesetzgebung ist ty-
pisch für die liechtensteinische Mischverfassung.77
Die meisten Vorlagen werden von der Regierung eingebracht. Mar-
xer stellt klar: «Der Landtag reagiert zumeist auf Vorlagen der Regierung
und wird nur in seltenen Fällen selbst aktiv.»78 Damit werden Gesetzes-
entwürfe grundsätzlich durch die Regierung – unter Berücksichtigung
der politischen Linie des Landesfürsten aufgrund seines absoluten Vetos
– ausgearbeitet. Die Regierung kann dafür neben Kommissionen und
Experten der Exekutive auch externe Fachleute beiziehen und Vernehm-
lassungen durchführen. Mittels Letzterem lädt die Regierung alle betrof-
fenen und interessierten Kreise zu einer Stellungnahme ein.79 Allgäuer
hält fest, dass während dieses Vorprozesses die Ecken und Kanten der
Vorlage bereits derart abgeschliffen werden, dass sobald eine Vorlage
förmlich in den Landtag gelangt, die Entscheidungen grundsätzlich ge-
fallen sind.80
Der Landtag stösst im Gesetzgebungsprozess an seine qualitativen
und quantitativen Grenzen. So können die Abgeordneten das Initiativ-
recht nur begrenzt wahrnehmen, da «die Milizparlamentarier zeitlich
überfordert wären, komplexe Gesetzesvorlagen selber vorzubereiten».81
Aber nicht nur der Anstoss zu einem Gesetz, sondern auch die «zuneh-
233
Die Beziehung des Landtags zur Regierung im Rechtsetzungsverfahren
77 Hoch, S. 206
78 Marxer, Parlamentarismus, S. 54
79 Die Regierung beschreibt das Vernehmlassungsverfahren wie folgt: «Die Vernehm-
lassung markiert ein sehr frühes Stadium im Gesetzgebungsverfahren. Mit ihr legt
die Regierung einen Rechtsentwurf öffentlich zur Stellungnahme auf, welcher auf
Grund seiner politischen, wirtschaftlichen, finanziellen, rechtlichen oder kulturellen
Tragweite bei den entsprechenden Organisationen geprüft werden soll. Zur Stel-
lungnahme eingeladen werden jene Kreise, welche ein besonderes Interesse an der
Vorlage haben oder haben könnten. Zur Vernehmlassung kann sich aber auch äus-
sern, wer nicht eingeladen wird. Das Vernehmlassungsverfahren zu politisch wich-
tigen Erlassen wird durch die Regierung angeordnet und vom zuständigen Ressort
durchgeführt. Die Antworten und Rückmeldungen aus der Vernehmlassung werden
von der Regierung in einem allfälligen BuA an den Landtag berücksichtigt. Der
Landtag berät den BuA in Kenntnis dieser Vernehmlassungsergebnisse»
(<www.llv.li/llv-rk-amtsgeschaefte-vernehmlassungen>, 09.08.2010). In der Praxis
hat der Landtag aber keineswegs Kenntnis aller Vernehmlassungsergebnisse. Dazu
aber mehr unter «IV.C.2. Das Verhältnis von Regierung und Landtag in der Praxis».
80 Allgäuer, S. 116
81 Heeb, S. 143, mit Verweis auf Allgäuer, S. 115 f.
mend komplexeren Gesetzesaufgaben können immer häufiger nur noch
von der Exekutive mit dem ihr zur Vefügung stehenden Verwaltungsap-
parat adäquat bewältigt werden».82 Der Regierung stehen dabei Stel-
lungnahmen, Gutachten, Expertisen usw. zur Verfügung, welche sie dem
Landtag nicht zur Verfügung stellt.83 Die Regierung verfügt gegenüber
dem Landtag über einen nicht einholbaren Wissensvorsprung. Dieser ist
aufgrund des Regierungsunterbaus und des Landtags als Milizparlament
mit 25 Abgeordneten systembedingt. Damit liegt die Ausarbeitung der
Gesetze «weitgehend in den Händen der Regierung und der zuständigen
Stellen der Landesverwaltung».84
Durch diese systembedingten Unzulänglichkeiten des Landtags
muss das Verfassungs- und Gesetzgebungsverfahren optimiert werden,
damit der Landtag seine Rolle als eigentliches Gesetzgebungsorgan nicht
vollends einbüsst. In diesem Sinne sollte der Landtag bereits im Entste-
hungsprozess einer Vorlage aktiv mitarbeiten können oder zumindest
von der Regierung informiert werden, dass eine Vorlage in Bearbeitung
ist. Dadurch besteht für den Landtag die Möglichkeit, «den Verlust an
gesetzgeberischem Einfluss durch vorgängige Kontrolle [. . .] zu kom-
pensieren».85
Den bisherigen Ausführungen zufolge übernimmt nicht der Land-
tag, sondern die Regierung die Gesetzgebung, weil sie die Vorlagen in
den Landtag einbringt. Sie – nicht aber der Landtag – wählt die Fragen
aus und erarbeitet Gesetzesvorlagen und sie ist es auch, welche die legis-
lativen Programme inhaltlich festhält. Gelangt eine solche Vorlage in den
Landtag, dann wird diese vom Landtag praktisch immer angenommen.86
Die Regierung steuert und lenkt «durch ihr weitehendes Informations-
monopol, ihr Sachwissen, ihre Professionalität und Infrastuktur die Le-
234
Landtag und Regierung
82 Hoch, S. 212
83 Siehe dazu IV.B.1.
84 Heeb, S. 209.
85 Holl, S. 38.
86 Im Jahr 2009 hat der Landtag mit einer Ausnahme alle ihm zur Genehmigung vor-
gelegten Eingänge bzw. Vorlagen der Regierung auch genehmigt (LTP des Jahres
2009): Im September-Landtag 2009 wurde das Initiativbegehren zur Abänderung
des Umweltschutzgesetzes mit der Nummer 52/2009 abgelehnt und damit die Re-
gierung beauftragt, innert der gesetzlichen Frist einen Termin für eine Volksabstim-
mung anzuberaumen (LTP 2009, S. 699 ff.).
giferierung des Parlaments».87 Gemäss Allgäuer wurde deshalb die Ge-
setzgebung «zu einem Führungsinstrument in ihrer Hand und zu einem
Mittel zur Realisierung ihres politischen Willens».88 Damit wird die Ge-
setzgebung wesentlich durch die Regierung bestimmt.
Weil demnach «fast alle Gesetze auf von der Bürokratie ausgear-
beitete Regierungsvorlagen zurückgehen, bedeutet das Legalitätsprinzip
nicht eine Bindung der Verwaltung an den Willen des Parlaments, son-
dern eine Bindung an den von ihm ratifizierten eigenen Willen. [. . .] Die
Frage der Gesetzmässigkeit der Verwaltung vom Gesetz bedeutet eine
weitgehende faktische Abhängigkeit des Gesetzgebers von der Verwal-
tung.»89
Zusammenfassend wird der Landtag bei der Verfassung- und Ge-
setzgebung selten iniativ. Er trägt dazu bei, dass die Gesetzgebung im ei-
gentlichen Sinn der Regierung obliegt. Die Gesetzgebungsfunktion des
Landtags wurde «zu einer blossen Kontrollfunktion gegenüber den Re-
gierungsvorlagen».90 Bei dieser Kontrollfunktion nimmt der Landtag die
Rolle einer «zustimmenden Instanz»91 ein. Alles in allem hat die vorbe-
haltslose Gleichsetzung «Landtag = Legislative» materiell praktisch
keine Geltung.92
3.2 Verordnungsrecht der Regierung
In diesem Abschnitt wird das Verordungsrecht der Regierung93 darge-
stellt, um die Grenzen der Regierungskompetenz im Rechtsetzungsver-
fahren abstecken zu können. Das Verordnungsrecht der Regierung be-
darf einer Abgrenzung von Verordnung und Gesetz, da diese vor allem
für die Frage der Machtverteilung und die Kontrolle der Macht im Staat
fundamental ist. Grund dafür ist die Notwendigkeit des Zusammenar-
beitens mehrerer Institutionen des Staates im Gesetzgebungsverfahren,
235
Die Beziehung des Landtags zur Regierung im Rechtsetzungsverfahren
87 Allgäuer, S. 69.
88 Allgäuer, S. 116.
89 Welan, S. 573.
90 Schmid, S. 22.
91 Heeb, S. 209.
92 Moeckli, Funktionen, S. 10.
93 Siehe dazu die grundlegenden Ausführungen von Schurti bzw. Kley.
was für Verordnungen der Regierung nicht der Fall ist, da dabei die Mit-
wirkung von Landtag, Fürst und Volk nicht erforderlich ist.
Bei generell-abstrakten Rechtsvorschriften, die nicht dem formel-
len Gesetzgebungsverfahren des Art. 65 LV entspringen, handelt es sich
um Verordnungen (Art. 92 Abs. 2 LV). Art. 92 Abs. 2 LV stellt klar, dass
angesichts des Grundsatzes der Gewaltenteilung und der Gliederung der
Funktionen in Gesetzgebung und Vollziehung, welche ihrerseits in Ver-
waltung und Kontrolle der Verfassungs- und Gesetzmässigkeit durch
den Staatsgerichtshof geteilt ist, die Zuordnung einer Materie in die
Kompetenz der Verwaltung oder der Gerichtsbarkeit durch den Land-
tag, vorbehaltlich der Verfassungskontrolle, verbindlich ist. Aus diesem
Grund ist der in Art. 92 LV gesetzte Rahmen der Verordnungsermächti-
gung «in verfassungswidriger Weise überschritten, wenn eine durch Ge-
setz bestimmte Zuständigkeit durch Verordnung geändert oder eine
nicht vorgesehene eingeführt wird. Die alleinige Zuständigkeit des Ge-
setzgebers, die Vollziehung der Verwaltung oder dem Gericht zuzuord-
nen, schliesst es daher auch aus, eine solche Entscheidung dem Verord-
nungswege zu überlassen.»94
Durch Art. 92 Abs. 2 LV ist das Legalitätsprinzip in der Liechten-
steinischen Verfassung verankert. Dieses kann in die Grundsätze des
Vorranges und des Vorbehaltes des Gesetzes aufgegliedert werden. Der
Grundsatz des Vorranges des Gesetzes beruht auf der Rangordnung der
Normen. Deshalb dürfen die Rechtsverordnungen der Regierung nicht
gegen förmliche Gesetze und die formellen Gesetze nicht gegen Verfas-
sungsnormen verstossen.95 Dennoch können Gesetze Verfassungsnor-
men aufgrund eines Gesetzesvorbehaltes zulässigerweise einschränken.
Der Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes besagt, dass die Verwal-
tungstätigkeit grundsätzlich auf einer durch Gesetz eingeräumten Zu-
ständigkeit fusst und sich der Inhalt der Verwaltungstätigkeit innerhalb
der Gesetze bewegen muss. Dabei darf auch das Handeln von Legisla-
tive und Judikative nie gegen geltende Gesetze verstossen.96
Verordnungen sind damit Rechtssätze, die nicht im Wege der Ver-
fassung- oder Gesetzgebung erlassen wurden.97 In der Hierarchie stehen
236
Landtag und Regierung
94 Stotter, S. 73 f.
95 Schurti, 1994, S. 248 f.
96 Schurti, 1989, S. 183 ff.
97 Schurti, 1998, S. 69.
sie unterhalb der Stufe des formellen Gesetzes und übernehmen «gewis-
sermassen die Funktion eines Auffangbeckens von Rechtsquellen, die
weder auf der Verfassungs- noch auf der Gesetzesstufe stehen».98 Es
kann festgehalten werden, dass sich die Abgrenzung des Verordnungs-
rechts der Regierung vom Gesetzgebungsrecht des Landtags aus grund-
legenden Prinzipien der Verfassung Liechtensteins ergeben: «Das Lega-
litätsprinzip, die Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung, das Demo-
kratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip, insbesondere auch die
Gewaltenteilungslehre.»99
Die meisten Verordnungen werden von der Regierung erlassen und
vom Regierungschef unterzeichnet (Art. 23 Abs. 1 GO Regierung).100
Regierungsverordnungen haben die Aufgabe, die Anwendung der Ge-
setze bei den sich ändernden Verhältnissen zu ermöglichen und deren
Durchführung zu gewährleisten.101 Dabei hat der Staatsgerichtshof in
mehreren Entscheidungen102 die Grenzen der allgemeinen Vollzugskom-
petenz der Regierung konkretisiert und festgehalten, dass diese Durch-
führungsverordnungen sich an dem vom Gesetz gezogenen Rahmen hal-
ten müssen und dabei nicht gegen die Bestimmungen des Gesetzes, sei-
nen Zweck, Sinn und Geist verstossen oder in verfassungsmässig
gewährleistete Rechte der Bürger eingreifen dürfen. Deshalb sind mittels
Verordnung Erweiterungen, Abänderungen oder die Aufhebung eines
Gesetzes ebenso unzulässig wie Ergänzungen des Gesetzes durch
grundlegende, wichtige, primäre und nicht unumstrittene Bestimmun-
gen. Dies darf nur in Gesetzesform erfolgen.103 Damit bindet Art. 92
Abs. 2 LV nicht nur die Regierung, sondern auch den Landtag, der in ei-
nem Gesetz möglichst genau festzulegen hat, inwiefern die Regierung
Rechtsetzung im Verordnungswege betreiben kann. Die Regelungen
sind so zu treffen, dass sie die Rechtsanwendung in den wesentlichen
Punkten vorausbestimmen und dadurch den nachprüfenden Organen
237
Die Beziehung des Landtags zur Regierung im Rechtsetzungsverfahren
98 Kley, S. 47.
99 Schurti, 1994, S. 245
100 Verordnung vom 08.02.1994 über die Geschäftsordnung der Regierung (GO Regie-
rung), LGBl 1994, Nr. 14.
101 Schurti, 1989, S. 185.
102 StGH 1977/10 (LES 1980, S. 56 ff.); StGH 1978/1 (LES 1980, S.99ff.); StGH 1979/6
(LES 1980, S. 114 ff.).
103 (StGH 1977/10 (LES 1980, S. 56 ff.); StGH 1978/11 (LES 1980, S.99ff.); StGH
1979/6 (LES 1980, S. 114 ff.); Stotter, S. 527 ff.
eine Kontrolle der Gesetzmässigkeit der Vollziehungstätigkeit ermögli-
chen. Rechtsbegriffe, die so unbestimmt sind, dass ihnen jeder beliebige
Inhalt unterstellt werden kann, sind unzulässig, weshalb der Landtag
statt allgemeine Wendungen wie «im öffentlichen Interesse» oder «durch
öffentliche Rücksichten geboten» spezifizierte Begriffe verwenden
sollte.104
Es lässt sich abschliessend festhalten, dass das Verordnungsrecht
der Regierung eher einschränkend zu interpretieren ist, weil ansonsten
Landtag und Volk ihrer verfassungsrechtlichen Mitbestimmungsmög-
lichkeiten beraubt würden und das in der Verfassung festgelegte Demo-
kratieprinzip untergraben würde.105
Verordnungen der Regierung entsprechen nicht immer diesen Er-
läuterungen. Hat ein Gericht oder einer Gemeindebehörde eine ihnen
verfassungs-, gesetz- oder staatsvertragswidrig erscheinende Verord-
nung oder einzelne ihrer Bestimmungen in einem bei ihnen anhängigen
Verfahren anzuwenden, dann können sie beim Staatsgerichtshof einen
Antrag auf Überprüfung der Verfassungs- und Gesetzmässigkeit sowie
über die Staatsvertragsmässigkeit von Verordnungen stellen (Art. 20
Abs. 1 lit. a StGHG). Zudem können verfassungs- und gesetzeswidrige
Verordnungen mittels Beschwerde an den Staatsgerichtshof bekämpft
werden. Er entscheidet entweder auf Antrag oder von Amtes wegen und
hat die alleinige Kompetenz, Regierungsverordnungen aufzuheben (Art.
104 Abs. 2 LV, Art. 20 StGHG).106 Ein aktuelles Beispiel ist die Verord-
238
Landtag und Regierung
104 StGH 1977/10 (LES 1980, S. 56 ff.); StGH 1978/11 (LES 1980, S.99 ff.); StGH
1979/6 (LES 1980, S. 114 ff.); Stotter, S. 527 ff.
105 Schurti, 1994, S. 248.
106 Gemäss Art. 20 StGHG entscheidet der Staatsgerichtshof über die Verfassungs- und
Gesetzmässigkeit sowie über die Staatsvertragsmässigkeit von Verordnungen oder
einzelnen Bestimmungen von Verordnungen auf Antrag eines Gerichts, einer Ge-
meindebehörde unter bestimmten Bedingungen oder auf Antrag von mindestens
100 Stimmberechtigten, wenn dieser innerhalb einer Frist von einem Monat seit der
Kundmachung der Verordnung im Landesgesetzblatt gestellt wird. Ein Antrag muss
unter Darlegung der Gründe der behaupteten Verfassungs-, Gesetz- oder Staatsver-
tragswidrigkeit das Begehren enthalten, eine bestimmte Verordnung oder einzelne
ihrer Bestimmungen aufzuheben. Der StGH kann aber auch von Amtes wegen über
Verordnungen befinden, wenn und soweit ihm eine ihm verfassungs-, gesetz- oder
staatsvertragswidrig erscheinende Verordnung oder einzelne ihrer Bestimmungen in
einem bei ihm anhängigen Verfahren anzuwenden hat. Im Verfahren ist der Regie-
rung Gelegenheit zur Äusserung binnen einer zu bestimmenden Frist zu geben und
kann dem Verfahren jederzeit beitreten.
nung zum Tabakpräventionsgesetz, deren Art. 2 Abs. 6 der StGH mit
Urteil vom 17. September 2009 vom Staatsgerichtshof als gesetzes- und
verfassungswidrig aufgehoben wurde. Grund dafür war dessen Diskre-
panz zum Gesetzestext.107
Unliebsame und nicht zwingend gegen Gesetz oder Verfassung
verstossende Verordnungen können darüber hinaus auch durch das «un-
echte Referendumsrecht»108 bekämpft werden.
4. Die Beziehung des Landtags zur Regierung
am Beispiel der Corporate Governance
Gemäss Weber ist «Politik das Streben nach Machtanteil oder nach Be-
einflussung der Machtverteilung».109 Um das Verhältnis von Landtag
und Regierung in der Rechtsanwendung unter diesem Gesichtspunkt
möglichst praxisnah aufzeigen zu können, wird die Diskussion um die
Corporate Governance im Jahre 2009 herangezogen.
Den Diskussionen um die Corporate Governance in Liechtenstein
lag die Maxime zugrunde, die gesetzlichen Grundlagen der öffentlich-
rechtlichen Organisationen des Landes zu schaffen bzw. zu vereinheitli-
chen. Eine Interpellation im Jahre 2006 leitete die Vorlage der Corporate
239
Landtag und Regierung am Beispiel der Corporate Governance
107 Entscheidung des StGH vom 17.09.2009, welche bis anhin nicht veröffentlicht
wurde. Als Folge dieser Entscheidung verlautbarte die Regierung am 21.12.2009 fol-
gende Pressemitteilung: «Die Regierung hat in ihrer Sitzung vom 15.12.2009 die
Verordnung zum Tabakpräventionsgesetz abgeändert. Nachdem der Staatsgerichts-
hof mit Urteil vom 17.09.2009 Art. 2 Abs. 6 der Tabakpräventionsverordnung im
Normprüfungsverfahren als gesetzes- und verfassungswidrig aufgehoben hat, hat
die Regierung die Verordnung angepasst. Der neue Verordnungstext sieht aus-
drücklich vor, dass Raucherräume nur Nebenräume sein können. Um dies zu ge-
währleisten, werden neu die Anforderungen an Raucherräume in der Verordnung
definiert, sowohl für Raucherräume in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Straf-
vollzugsanstalten als auch speziell für gastgewerbliche Betriebe. Durch diesen An-
forderungskatalog wird es zukünftig nicht mehr möglich sein, Haupträume eines
Gastronomiebetriebes als Raucherräume zu deklarieren. Die Anforderungen an
Raucherräume wurden in Anlehnung an die schweizerische Rechtslage festgelegt.
Die Regierung hat die Verordnung im Sinne des Urteils des Staatsgerichtshofs ab-
geändert, sodass die Gesetzes- und Verfassungskonformität wieder hergestellt ist»
(<www.llv.li/amtsstellen/llv-pia-pressemitteilungen>, 07.05.2010).
108 Dieses wird im Abschnitt III.D.2.2 erläutert.
109 Weber, S. 8.
Governance mit dem Titel «Schaffung und Harmonisierung gesetzlicher
Grundlagen zur Führung und Transparenz von öffentlichen Unterneh-
men (Schaffung eines Rahmengesetzes und Abänderung der entspre-
chenden Spezialgesetze)» ein, welche die Abgeordneten Ende 2009 an-
nahmen.110 Das Ergebnis stellt das «Gesetz über die Steuerung und
Überwachung öffentlicher Unternehmen (ÖUSG)» dar.111 Im Gleich-
schritt wurden die Spezialgesetze der öffentlichen Unternehmen sowie
davon tangierte Gesetze novelliert.112
Art. 4 ÖUSG bestimmt: «Bei spezialgesetzlich errichteten öffentli-
chen Unternehmen werden die Mitglieder der strategischen Führungs-
ebene von der Regierung gewählt. Die Regierung bestimmt den Präsi-
denten.» Darüber hinaus legt Art. 16 ÖUSG den Strategieprozess und
die Strategieabstimmung dahingehend fest, als die Regierung nach Rück-
sprache mit der strategischen Führungsebene für jedes öffentliche Un-
ternehmen eine Eigner- oder Beteiligungsstrategie festlegt. Im Rahmen
dieser Strategien legt die strategische Führungsebene nach Rücksprache
mit der operativen Führungsebene eine Unternehmensstrategie fest und
überwacht deren Umsetzung (Art. 16 Abs. 1 ÖUSG). Zudem nimmt die
Regierung in ihrer Funktion als Oberaufsichtsbehörde die Steuerung
und Überwachung der öffentlichen Unternehmen wahr (Art. 24 Abs. 1
ÖUSG). Anhand dieser Gesetzesstellen ist der Kompetenzwandel und
der Machtausbau der Regierung gegenüber dem Landtag im Sinne von
Kompetenzabtretungen des Landtags offensichtlich: Die Vereinheitli-
chung der öffentlichen Unternehmen bedeutete nichts anderes als ein
Ausbau der Regierungskompetenzen auf Kosten des Landtags.
Der Landtag hat speziell in drei Bereichen Kompetenzen abgege-
ben: im Bereich «Wahlen der Mitglieder der strategischen Führungs-
240
Landtag und Regierung
110 Bereits am 13.12.2006 wurde ein Postulat betreffend Corporate-Governance für
Organisationen und Unternehmen im öffentlichen Sektor des Landes Liechtenstein
im Landtag diskutiert und der Regierung übergeben (LTP 2006, S. 2244). Die Pos-
tulatsbeantwortung mit BuA Nr. 87/2007 wurde am 19.09.2007 im Landtag behan-
delt (LTP 2007, S. 1679). Die erste Lesung (BuA Nr. 53/2009) fand am 18.09.2009,
die zweite (BuA Nr. 86/2009) am 19.11.2009 statt. Die Vorlage wurde vollumfäng-
lich angenommen.
111 Gesetz vom 19.11.2009 über die Steuerung und Überwachung öffentlicher Unter-
nehmen (Öffentliche-Unternehmen-Steuerungs-Gesetz, ÖUSG), LGBl 2009, Nr.
356.
112 Sämtliche abgeänderten oder neu inkraftgetretenen Gesetze können dem BuA Nr.
53/2009 entnommen werden.
ebene», im Bereich «Budgetgenehmigung» und im Bereich «Genehmi-
gung Geschäftsbericht».
Im ersten Bereich konnte zuvor der Landtag bei der Alters- und
Hinterbliebenenversicherung, bei der Finanzmarktaufsicht, bei der
Liechtensteinischen Gasversorgung und bei den Liechtensteinischen
Kraftwerken sämtliche und bei der Liechtensteinischen Landesbank, dem
Liechtensteinischen Rundfunk und bei der Liechtensteinischen Post die
Mehrzahl der Personen der strategischen Führungsebene durch Wahl be-
stimmen, während dieses Recht nun in der Hand der Regierung liegt.113
Bezüglich Budgetgenehmigung musste bis anhin das Budget der Alters-
und Hinterlassenenversicherung, der Finanzmarkaufsicht, des Liechten-
steinischen Rundfunks, der Liechtensteiner Gasversorgung und der
Liechtensteinischen Kraftwerke vom Landtag genehmigt werden. Auch
diese Kompetenz gab er durch das Corporate Governance-Gesetz an die
Regierung ab.114 Schliesslich hat der Landtag bei keinem öffentlichen Un-
ternehmen mehr die Befugnis, den Geschäftsbericht zu genehmigen,
während er vor dem Corporate Governance-Gesetz diese Kompetenz
bezüglich der Alters- und Hinterlassenenversicherung, der Finanzmarkt-
aufsicht, des Liechtensteinischen Rundfunks, der Liechtensteiner Gas-
versorgung und der Liechtensteinischen Kraftwerke innehatte.115
Darüber hinaus obliegt der Regierung seit Inkrafttreten des ÖUSG
und der damit verbundenen analogen Anpassung der Spezialgesetze die
Festlegung und Änderung der Eignerstrategien (bzw. beim Gesetz be-
treffend Landesbank und Post die Beteiligungsstrategien) sämtlicher öf-
fentlicher Unternehmen.116 Dies hat zur Folge, dass die Eignerstrategie
für kein öffentliches Unternehmen vom Landtag festzulegen ist und da-
mit keiner öffentlichen Kontrolle unterliegt. Die Konsequenzen hat aber
unter anderem der Landtag zu tragen, da dem Staat durch die Eigner-
strategie der Regierung hohe Kosten anfallen können. Als Beispiel dafür
kann etwa ein durch die Strategie der Regierung benötigter Ausbau von
Infrastruktur herangezogen werden, welcher der Landtag ohne (sachli-
che) Beurteilung zur Kenntnis nehmen muss und dafür in der Folge fak-
tisch die Mittel zu sprechen hat.
241
Landtag und Regierung am Beispiel der Corporate Governance
113 BuA Nr. 53/2009.
114 BuA Nr. 53/2009.
115 BuA Nr. 53/2009.
116 BuA Nr. 53/2009.
Das Plenum nahm die Bestimmungen um die Corporate Gover-
nance aber nicht einhellig an, und gerade in der Eintretensdebatte wurde
die Vorlage stellvertretend für das Verhältnis von Landtag und Regie-
rung wie auch für die aktuelle Lage des Landtags kritisiert. Dazu werden
im Folgenden kurze Auszüge aus der Debatte wiedergegeben. Der Ab-
geordnete Pepo Frick: «Ich warne aber davor, in der jetzigen Realität ei-
ner klaren Machtverschiebung zuzustimmen.»117 Der Abgeordnete
Wendelin Lampert: «Nach meiner Ansicht darf sich der Landtag als
Volksvertretung – und das auch noch selbst – nicht zum Zusehen degra-
dieren.»118 Der Abgeordnete Pepo Frick reduzierte denn auch die ganze
Diskussion auf eine einzige, aber entscheidende Frage: «Man muss mal
von Macht- und Einflussmöglichkeiten reden. [. . .] Welchen Weg wollen
wir gehen, wie viel Kompetenzen wollen wir?»119 Der Abgeordnete
Harry Quaderer: «Es liegt nicht an uns, um Hilfe bei der Regierung an-
zufragen. Wir sind selbst eine Institution.»120
Aus den Aussagen der Abgeordneten ist einerseits die Unzufrie-
denheit mit der Vorlage, aber auch mit dem Verhältnis von Landtag zu
Regierung herauszulesen. Die kritischen Stimmen setzten sich nicht
durch und die Vorlage wurde im November-Landtag 2009 angenom-
men.121 Das ÖUSG erhielt dabei 13 Stimmen.122
Kurz darauf bemerkten drei Abgeordnete, obwohl sie der Regie-
rungsvorlage um die Corporate Governance zugestimmt hatten, den
Kompetenzverlust des Landtags und reichten ein Postulat ein um zu er-
fahren, welche Strategie die Regierung in Sachen Spitalpolitik verfolgt.123
Ein Jahr nach der Annahme der Corporate Governace hielt der
Abgeordnete Pepo Frick rückblickend fest: «Der Landtag schwächt sich
dauernd selbst, hat letztes Jahr sogar viel Kompetenz und Rechte an die
Regierung freiwillig abgegeben. [. . .] In seinem jetzigen politischen
242
Landtag und Regierung
117 LTP 2009, S. 869.
118 LTP 2009, S. 871.
119 LTP 2009, S. 874.
120 LTP 2009, S. 895.
121 LTP 2009, S. 1720 ff.
122 LTP 2009, S. 1752.
123 LTP 2010, S. 1270 ff. Es waren die Abgeordneten Jürgen Beck, Diana Hilti und
Harry Quaderer.
Selbstverständnis erfüllt der Landtag seinen verfassungsmässigen Auf-
trag nicht.»124
Zusammenfassend ist der Kompetenzzuwachs der Regierung zu
Lasten der Landtagskompetenzen ebenso unbestreitbar wie die Tatsa-
che, dass der Landtag dies durch die Annahme der Gesetzesvorlage
selbst besiegelt hat. Es ist m. E. unverständlich, dass der Landtag die
Kompetenzen der Regierung ausbaut und gleichzeitig die (Vormachts-)
Stellung der Regierung im Staat als (zu) dominant kritisiert.125
In diesem Sinne bestätigt der Landtag durch die Corporate Gover-
nance, dass die Regierung auch solche Vorlagen durch den Landtag
bringt, bei denen es effektiv um die Kompetenzverteilung vom Landtag
zur Regierung geht, weil sich der Landtag von der Regierung vereinnah-
men lässt. Es kann an das erwähnte Zitat von Löschnak erinnert werden,
nach dem jeder exzessive Gebrauch von Rechten, die der Regierung und
dem Landtag im Hinblick auf das andere zwar zustehen mögen, die Ge-
fahr einer völligen Lahmlegung staatsrechtlicher Prozesse enthalte, wes-
halb die Regierung als auch der Landtag im Geiste der Funktionsfähig-
keit des Verfassungssystems von ihren Rechten Gebrauch machen
müsse.126 Diese Gefahr des «deadlock»127 wird den Ausführungen zu-
folge nicht von der Regierung, sondern durch die Zurückhaltung des
Landtags gebannt, indem er gegenüber der Regierung keine dominante
Haltung einnimmt.
Es liegt nun an den Abgeordneten selbst, diese unbefriedigende Si-
tuation anzugehen und sich gegenüber der Regierung zu behaupten.
Dies bedingt politisches Selbstverständnis und Selbstbewusstsein der
Abgeordneten.
243
Landtag und Regierung am Beispiel der Corporate Governance
124 Liechtensteiner Vaterland, 25.03.2010, S. 7.
125 Batliner, Zur heutigen Lage S. 144.
126 Löschnak, S. 557.
127 Steffani, S. 634.
VI.
KONTROLLE DER REGIERUNG
DURCH DEN LANDTAG
Der Landtag hat sehr vielfältige Möglichkeiten, die Regierung zu kon-
trollieren. Es stellt sich dabei die Frage, wer die Kontrolle ausübt: Der
Landtag als Ganzes oder der einzelne Abgeordnete. In diesem Kapitel
werden die Kontrollmöglichkeiten des Landtags unterteilt in Kontrolle
durch die Landtagsmehrheit und in Kontrolle durch den einzelnen Ab-
geordneten.1
Die Kontrolle durch die Landtagsmehrheit ist dabei in die perso-
nelle Kontrolle, in die Finanzaufsicht, in die Kontrolle anhand der Aus-
gabenkredite sowie in die Kontrolle durch Kontrollorgane gegliedert. In
die Kontrolle durch den einzelnen Abgeordneten fallen dagegen die in-
formelle Kontrolle und die Kontrolle mittels der Petition, der Interpel-
lation, des Postulats sowie der mündlichen Anfrage.
Noch bevor auf die einzelnen Kontrollmöglichkeiten eingegangen
wird, werden die Grundsätze der parlamentarischen Kontrolle erläutert.
1 Allgäuer, S. 120.
A. Grundsätze der parlamentarischen Kontrolle
Den bisherigen Ausfühungen ist zu entnehmen, dass der Landtag im Ge-
setzgebungsprozess als Kontrollinstanz gegenüber Regierungsvorlagen
auftritt. Auch Blum hält fest: «Parlamentarische Kontrolle geschieht pri-
mär im Gesetzgebungsverfahren.»2 Und für Schmid entspricht die Ge-
setzgebungsfunktion einer «blossen Kontrollfunktion gegenüber Regie-
rungsvorlagen».3
Damit hätte auch die Gesetzgebungsfunktion des Landtags in die-
sem Kapitel aufgeführt werden können. Aus Gründen der Übersicht
wird aber in der vorliegenden Arbeit an der ursprünglichen begrifflichen
Trennung dieser Funktionen festgehalten, auch wenn beide zu einer
Kontrolle der Regierung führen können. Zudem lassen sich auch Auto-
ren finden, die strikt die Kontroll- von der Gesetzgebungsfunktion ab-
grenzen.4 So bezeichnet etwa Moeckli die Kontrolle neben der Gesetz-
gebung als eine der klassischen Funktionen des Parlaments.5
Die Kontrolle der Regierung wird neben der Gesetzgebung als
wichtigste Funktion des Landtags bezeichnet. Sie ergibt sich indirekt
über die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Landtag.
Wird allein der Begriff «verantwortlich» (Art. 78 Abs. 1 LV) dem Wort-
247
2 Blum, S. 5.
3 Schmid, S. 20 f. Dort findet sich ein Diskurs verschiedener Autoren über die Zutei-
lung von Gesetzgebung des Parlaments zur Kontrollfunktion gegenüber der Regie-
rung.
4 Beyme, S. 241; Hofmann/Dose/Wolf, S. 90 ff.
5 Moeckli, Funktionen, S. 11. Aus diesem Grund ist auch die Motion dem Gesetzge-
bungsverfahren zuzuordnen und vom Postulat zu trennen. Letzteres ist ein selb-
ständiger Antrag, welcher die Regierung zur Prüfung eines bestimmten Gegenstan-
des oder zu einem bestimmten Vorgehen oder Verhalten einlädt (Art. 34 Abs. 1
GOLT) und damit der Kontrolle der Regierung zuzuordnen, während die Motion
ein Instrument im Gesetzgebungsverfahren ist.
sinn folgend auf das Verhältnis von Regierung und Landtag angewendet,
dann ist die Regierung verpflichtet, dem Landtag Rechenschaft abzule-
gen, während der Landtag autorisiert ist, solche Rechenschaft einzufor-
dern und Fehlhandlungen zu sanktionieren.6 Es ist damit ein Haupt-
zweck der parlamentarischen Kontrolle, «Regierung und Verwaltung in
eine politische Verantwortlichkeit für ihr Tun und Lassen zu bringen».7
Somit ist die Regierung schon aufgrund der Verantwortlichkeit ei-
ner «Dauerkontrolle» des Landtags ausgesetzt.
Art. 63 LV umschreibt das Kontrollrecht des Landtags direkt:
«Dem Landtag steht das Recht der Kontrolle über die gesamte
Staatsverwaltung unter Einschluss der Justizverwaltung zu. Der
Landtag übt dieses Recht unter anderem durch eine von ihm zu
wählende Geschäftsprüfungskommission aus. Das Kontrollrecht
des Landtages erstreckt sich weder auf die Rechtsprechung der Ge-
richte noch auf die dem Landesfürsten zugewiesenen Tätigkeiten.»
Es stellt sich die grundsätzliche Frage, was alles unter dem Terminus
«Kontrolle der gesamten Staatsverwaltung» des Artikels 63 LV subsu-
miert werden kann. Der Regelungsinhalt dieses Artikels deckt sich so-
wohl mit Art. 20 des «Gesetzes über den Geschäftsverkehr des Landtags
und die Kontrolle der Staatsverwaltung» (VwKG)8 als auch mit dem ers-
ten Artikel des «Gesetzes über die Kontrolle der Staatsverwaltung» von
1969, welches das Vorgängergesetz des VwKG ist. Da die neueren Mate-
rialien die gestellte Frage nicht klären können, muss auf die damaligen
Materialien zurückgegriffen werden. In den Erläuterungen zum Geset-
zesentwurf über die Kontrolle der Staatsverwaltung wurde folgendes
ausgeführt:
«Dem Landtag steht danach die Kontrolle über die Staatsverwal-
tung zu. Es handelt sich dabei um die sogenannte politische Kon-
trolle, deren Sanktionen im Gegensatz zur rechtlichen Kontrolle
(rechtliche Verantwortlichkeit, Verwaltungs- und Verfassungsge-
richtsbarkeit) ebenfalls im politischen Bereich liegen. Von der Kon-
trolle wird die gesamte Staatsverwaltung erfasst. Nicht unter die
248
Grundsätze der parlamentarischen Kontrolle
6 Forschner, S. 590.
7 Schmid, S. 25.
8 Gesetzes über den Geschäftsverkehr des Landtags und die Kontrolle der Staatsver-
waltung (VwKG), LGBl 2003, Nr. 108.
Staatsverwaltung fallen die Gebilde der mittelbaren Staatsverwal-
tung, die nach Art. 78 Abs. 4 LV der Oberaufsicht der Regierung
unterstehen. Immerhin ist aber die Regierung auch in diesem Be-
reich der Staatsverwaltung dem Parlament gegenüber für die rich-
tige Wahrnehmung seiner Oberaufsichtsfunktion verantwortlich.»9
Der Landtag hat somit den verfassungsrechtlichen Auftrag – mit Aus-
nahme der mittelbaren Staatsverwaltung (selbstständige Körperschaften,
Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts) – die Regierung und
den gesamten Verwaltungsapparat zu kontrollieren.
Die Kompetenz des Landtags zur Kontrolle der Regierung ist in
der Verfassung taxativ umschrieben. Da aber im Verhältnis dazu «die Re-
gierung im politischen – ‹gesetzesfreien› – Raum ohne vorausgehende
Determinierung durch das Parlament agieren kann, führt dies im Ergeb-
nis zu einem politischen Übergewicht der Regierung».10 Auch die vo-
rangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass die Regierung den po-
litischen Raum dominiert. Wie und in welchem Ausmass sich diese Do-
minanz hinsichtlich der Kontrollfunktion des Landtags äussert, wird im
Folgenden aufgezeigt.
Gemäss dem Grundsatz «nur kontrollierte Macht kann aber de-
mokratische Macht sein»,11 wird in diesem Kapitel dargestellt, auf wel-
che Art und Weise der Landtag und dessen Abgeordnete die Kontroll-
mittel einsetzen: Denn formal vorhandene Kontrollmöglichkeiten be-
deuten «nicht auch gleichzeitig ihre Wahrnehmung, also die faktische
Kontrolle durch das Parlament».12 Das hinter den kritischen Äusserun-
gen und Verbesserungsvorschlägen dieser Arbeit stehende Ziel ist nicht
ein bis zur Handlungslähmung kontrollierender Landtag, sondern eine
zeitgemässe, effiziente Gestaltung und Wahrnehmung der Kontroll-
rechte.13 Denn «optimale Kontrolle ist nicht maximale Kontrolle. Über-
bordende Kontrolle führt zu einem überbremsten System, einer hand-
lungsunfähigen Regierung»14 und es «darf nicht das Resultat der parla-
249
Grundsätze der parlamentarischen Kontrolle
9 Erläuterungen zum Gesetzesentwurf über die Kontrolle der Staatsverwaltung, S. 1
(Abgedruckt als Beilage zur Landtagssitzung vom 06.05.1968, LTP 1968, Band I).
10 Löschnak, S. 537
11 Blum, S.5
12 Holl, S. 38
13 Neisser, S. 716 f.
14 Allgäuer, S. 114.
mentarischen Kontrolle sein, eine Regierung hervorzubringen, die an-
statt von Tatkraft und dem Mut zum Unvollkommenen ausschliesslich
von der Sorge um Korrektheit beseelt ist. Die Kontrolle darf Regierung
und Verwaltung nicht von ihrer täglichen Arbeit abhalten und ihre Zu-
ständigkeit, Führungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit nicht läh-
men.»15
Allgäuer hat im Jahre 1989 in seinem Werk «die parlamentarische
Kontrolle über die Regierung im Fürstentum Liechtenstein» die Regie-
rungskontrolle durch den Landtag ausgiebig analysiert. In der Zwi-
schenzeit haben sich nicht nur die personelle und parteipolitische Zu-
sammensetzung, sondern auch die rechtlichen Bestimmungen geändert.
Die nachstehende Analyse erläutert die aktuellen rechtlichen Ausfor-
mungen der Kontrollinstrumente, deren konkrete Handhabung durch
die Abgeordneten und die daraus folgende Wirksamkeit der Instru-
mente.16
250
Grundsätze der parlamentarischen Kontrolle
15 Allgäuer, S. 114.
16 Für tiefergehende theoretische Ausführungen kann auf Allgäuer zurückgegriffen
werden.
B. Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
Die Politikwissenschaft schreibt die Kontrollfunktion des Parlaments
der Opposition zu, weil in der Mehrparteiendemokratie Regierung und
Regierungsfraktionen zur Erhaltung der Wählermehrheit dazu neige,
politisch übereinzustimmen. Deshalb sei die Ausübung der Kontroll-
funktion durch die Parlaments- bzw. Regierungsmehrheit letztlich
Selbstkontrolle.17 Aus diesem Grund könne sich der ursprüngliche Ge-
gensatz zwischen Parlament und Regierung in eine «politische Aktions-
gemeinschaft» von Regierung und parlamentarischer Mehrheit verwan-
deln, weshalb die auf dem alten Gegensatz aufbauenden Kontrollsys-
teme versagen müssten.18 Diesen Ausführungen zu Folge wäre der Wille
der Mehrheitsfraktion entscheidend, damit der Landtag die ihm zuste-
henden Kontrollrechte auch tatsächlich wahrnimmt.19 «Die Lust der
Mehrheitspartei insbesondere an öffentlicher Kritik und Kontrolle ist
aber meistens nicht sehr gross.»20 Ob diese Ausführungen für den Land-
tag zutreffend sind, wird in den folgenden Absätzen aufgezeigt.
1. Personelle Kontrolle
Die Regierung ist in ihrer Amtsführung vom Vertrauen des Parlaments
abhängig (parlamentarische Demokratie) und damit auch einer personel-
len Kontrolle ausgesetzt, welche die Regierung als Ganzes oder einzelne
Regierungsräte betrifft (Art. 80 LV).21
251
17 Koja, S. 200 f.
18 Koja, S. 200.
19 Holl, S. 39.
20 Schmid, S. 27.
21 Als parlamentarische Demokratie wird eine Form der Demokratie bezeichnet, in
der die Regierung vom Vertrauen des Parlamentes abhängig ist und von diesem ab-
1.1 Entlassungsrecht und Misstrauensvotum
Die Befugnis zur Ausübung des Amtes erlischt, wenn die Regierung das
Vertrauen des Landesfürsten oder des Landtages verliert (Art. 80 Abs. 1
LV). Durch das Entlassungsrecht nach Art. 80 Abs. 1 LV kann der Land-
tag die Gesamtregierung ohne Zutun eines anderen Organs absetzen.
Dies bedingt die absolute Stimmenmehrheit unter den bei der Abstim-
mung anwesenden Abgeordneten (Art. 45 GOLT). Für die Zeit bis zum
Amtsantritt der neuen Regierung kann allerdings nur der Landesfürst
aufgrund eines Misstrauensvotums «eine Übergangsregierung zur interi-
mistischen Besorgung der gesamten Landesverwaltung» bestellen (Art.
80 LV). Verliert dagegen ein einzelnes Regierungsmitglied das Vertrauen
des Landtags, «dann wird die Entscheidung über den Verlust der Befug-
nis zur Ausübung seines Amtes zwischen Landesfürst und Landtag ein-
vernehmlich getroffen» (Art. 80 Abs. 2 LV). In einem solchen Fall hat
der Stellvertreter die Amtsgeschäfte bis zur Ernennung des neuen Re-
gierungsmitgliedes fortzuführen (Art. 80 Abs. 2 LV).
Seitdem 1988 die Abgeordnetenzahl auf 25 erhöht wurde (I. zu Art.
46 Abs. 1, 2 LV-AbändG 1987),22 stellte der Landtag im Jahr 1993 ein
einziges Mal einen Misstrauensantrag an den Landesfürsten, welcher
aber dem Begehren des Plenums nicht folgte und stattdessen den Land-
tag auflöste.23 Davor war der letzte Misstrauensantrag im Jahre 1937 ge-
stellt worden.24 Obschon durch die Verfassungsnovelle 2003 die Wahr-
nehmung des Entlassungsrechts des Landtags gegenüber der Regierung
keiner Zustimmung des Landesfürsten mehr bedarf, kann der Landes-
fürst nach Wahrnehmung des Entlassungsrecht durch den Landtag und
nach der Bestellung einer Übergangsregierung den Landtag auflösen.
Die neue Regierung wird sodann im Zusammenwirken mit dem neuen
252
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
berufen werden kann (Patzelt, Parlament, S.188f). Die Kennzeichen des parlamen-
tarischen Regierungssystems nach Patzelt sind: «Regierung und regierungstragende
Parteimehrheit verschmelzen zu einer Funktionseinheit (nicht mehr das Parlament
insgesamt steht der Regierung gegenüber, sondern die parlamentarische Opposition
der Regierungsmehrheit).»
22 Verfassungsgesetz vom 20.10.1987 über die Abänderung der Verfassung vom
05.10.1921 (Erhöhung der Mandatszahl des Landtages) (LV-AbändG 1987), LGBl
1988, Nr. 11.
23 Dies wurde oben unter V.A.2. bereits näher dargestellt.
24 Allgäuer, S. 280, mit ausführlichen Wiedergaben des Fallbeispieles; LTP 1988–2009.
Landtag gebildet (Art. 80 LV). Erfährt der Fürst allerdings ex ante von
einer potenziellen Wahrnehmung des Entlassungsrechts durch den
Landtag, dann könnte er den Landtag entlassen, noch bevor dieser die
Entlassung ausspricht. Diese Möglichkeit kann er präventiv wirken und
wissen lassen. Zudem kann der Landesfürst ohne Antrag des Landtags
der Regierung das Vertrauen entziehen und ihr die Befugnis zur Aus-
übung des Amtes entziehen. Dies verstärkt den Druck auf den Landes-
fürsten und auf den Landtag, «sich im Fall des Vertrauensverlustes auf
eine neue Regierung oder auf ein neues Regierungsmitglied zu einigen,
um eine Staatskrise zu vermeiden».25
Das Entlassungsrecht erleidet aufgrund der Parteiendisziplin einen
starken Bedeutungsverlust,26 da diese «zu einem engen Zusammenhalt
zwischen Regierungsmitglied und Fraktion führt».27 Denn selbst «die
einfache Mehrheit kann nur zustande kommen, wenn mindestens zwei
Drittel der Abgeordneten dies zumindest dulden (Quorum des Art. 58
LV)».28 Damit müssten bei den bestehenden knappen Mehrheitsverhält-
nissen Abgeordnete beider Volksparteien hinter dem Antrag stehen.
Damit versagt die Kontrolle der Opposition gerade hinsichtlich des Ent-
lassungsrechts, weil die Partei, welche die Landtagsmehrheit innehat,
sich von der Opposition aufgrund der Parteiendisziplin keinen Regie-
rungsrat «herausschiessen»29 lassen wird. Genau dies war die Ursache
für den Vorfall des Jahres 1993. Gemäss Waschkuhn könnte das Entlas-
sungsrecht wirksam werden, wenn die eigene «Fraktion den Antrag
stellt und hierbei die Unterstützung der Opposition findet, wovon aus-
zugehen ist».30 Das Entlassungsrecht gewinnt gemäss Allgäuer dann
wieder an Bedeutung, wenn in Zukunft eine stärkere Parteienzersplitte-
rung mit einer lockereren Fraktionsdisziplin einhergehen würde.31
Schliesslich wird das Entlassungsrecht aber auch dann wieder angewen-
det, wenn die Landtagsabgeordneten eine Entlassung sachlich als not-
wendig erachten.
253
Personelle Kontrolle
25 BuA Nr. 87/2001, S. 20.
26 Allgäuer, S. 286.
27 Allgäuer, S. 286.
28 Allgäuer, S. 294.
29 Holl, S. 35.
30 Waschkuhn, 1994, S. 155.
31 Allgäuer, S. 287.
1.2 Ministeranklage
Mittels Ministeranklage kann die «Anklage gegen Mitglieder der Regie-
rung wegen Verletzung der Verfassung oder sonstiger Gesetze vor dem
Staatsgerichtshof» (Art. 62 lit. g LV, Art. 28 StGHG) angestrengt wer-
den. Der Staatsgerichtshof entscheidet nur über Anklagen, wenn die
«Verletzung in Ausübung der Amtstätigkeit absichtlich oder grob fahr-
lässig erfolgt ist» (Art. 28, Abs. 1 StGHG).
Der Landtag muss binnen einem Jahr ab Kenntnis des zugrunde
liegenden Sachverhalts Anklage beim Präsidenten des Staatsgerichtsho-
fes erheben (Art. 28 Abs. 2, Art. 29 StGHG). Die Einleitung und Durch-
führung des Impeachmentverfahrens32 wird gemäss Art. 30 Abs. 4
StGHG weder durch den Ablauf der Amtsperiode noch durch das Aus-
scheiden aus dem Amte berührt. Die letzte Ministeranklage wurde 1946
beschlossen.33
Ursprünglich war die Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit Vo-
raussetzung für eine Ministeranklage. Nach heutiger Rechtslage müssen
– aufgrund des Quorums (Art. 58 LV) – mindestens zwei Drittel der Ab-
geordneten die Ministeranklage zumindest dulden. Damit bleibt die Mi-
nisteranklage ein schwer anwendbares Instrument.34
Allgäuer forderte 1989 eine Verjährungsfrist von zehn Jahren. Als
Gründe nannte er die Zeitdauer, bis die Rechtsverletzung bekannt werde
und mögliche Vertuschungsversuche, die eine Anklageerhebung verzö-
gern könnten.35 Diese Ausführungen Allgäuers sind schlüssig, weshalb
die einjährige Verjährungsfrist deutlich verlängert werden sollte (Art. 28
Abs. 2).
1.3 Disziplinarrecht
Neben dem Entlassungsrecht betreffend die Gesamtregierung, dem
Misstrauensantrag gegen einzelne Regierungsmitglieder und der Minis-
254
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
32 Allgäuer, S. 297, Waschkuhn, 1994, S. 156.
33 Allgäuer, S. 299, mit ausführlichen Wiedergaben der Fallbeispiele. LTP 1988–2009.
34 Allgäuer, S. 302.
35 Allgäuer, S. 303.
teranklage bleibt das Disziplinarrecht. Es stellt gegenüber der Minister-
anklage das zweifellos schwächere Instrument dar. Es ist «eher ein Un-
tersuchungsmittel und rechtlich folgenlos».36 Durch Art. 104 LV ist der
Staatsgerichtshof der «Disziplinargerichtshof für die Mitglieder der Re-
gierung». Diese Bestimmung war bereits Inhalt der Originalverfassung
von 1921 (Art. 104 LV orig.). Das StGHG von 1925 nahm diese Rege-
lung auf und hielt fest: «Ein besonderes Gesetz bestimmt, wie weit das
vorliegende Gesetz auf das Disziplinarverfahren gegen Mitglieder der
Regierung und deren Beamten anzuwenden ist» (Art. 53 StGH idgF).
Dieses Gesetz trug den Titel «Gesetz über das Disziplinarverfahren ge-
gen Mitglieder der Regierung»37 und legte formelle Bestimmungen zum
Disziplinarverfahren fest.
Das geltende Staatsgerichtshofgesetz enthält keine dem Art. 104 LV
entsprechende Bestimmung und hat «das Gesetz über das Diszipli -
narverfahren gegen Mitglieder der Regierung» aufgehoben (Art. 59 lit. i
StGHG). Damit fehlt dem Staatsgerichtshofgesetz eine Bestimmung
zum Disziplinarverfahren gegen Regierungsmitglieder. Beim Staatsge-
richtshof kann deshalb kein Disziplinarverfahren gegen Regierungsmit-
glieder angestrengt werden. Aus den Landtagsprotokollen und den Be-
richten und Anträgen kann keine Antwort auf die Frage entnommen
werden, warum im Staatsgerichtshofgesetz eine entsprechende Regelung
fehlt.38
2. Finanzkontrolle
In diesem Abschnitt wird die Finanzkontrolle des Landtags anhand von
Finanzplan, Voranschlag, Rechenschaftsbericht und Landesrechnung
sowie anhand von Ausgabenkrediten dargestellt. Zu Beginn dieses Ab-
schnitts werden die Grundsätze der Finanzkontrolle aufgezeigt.
255
Finanzkontrolle
36 Waschkuhn, 1994, S. 156, Allgäuer, S. 291.
37 Gesetz vom 07.05.1931 über das Disziplinarverfahren gegen Mitglieder der Regie-
rung, LGBl 1931, Nr. 6.
38 LTP 2003, S. 1293 ff. (BuA Nr. 45/2003); LTP 3003, S. 1884 ff. (BuA Nr. 95/2003).
2.1 Grundsätze der Finanzkontrolle
Indem dem Landtag sowohl «die Festsetzung des jährlichen Voranschla-
ges und die Bewilligung von Steuern und anderen öffentlichen Abga-
ben» (Art. 62 lit. c LV) als auch «die Beschlussfassung über Kredite,
Bürgschaften und Anleihen zu Lasten des Landes sowie über den An-
und Verkauf von Staatsgütern» (Art. 62 lit. d LV) obliegt, ist er der Trä-
ger der Finanzhoheit. Im Übrigen ergeht die Finanzhoheit auch aus Art.
68 LV: Ohne Bewilligung des Landtags darf keine direkte oder indirekte
Steuer, noch irgendeine sonstige Landesabgabe oder allgemeine Leis-
tung, welchen Namen sie haben möge, ausgeschrieben oder erhoben
werden. Zudem erfordern auch die Art der Umlegung und Verteilung al-
ler öffentlichen Abgaben und Leistungen auf Personen und Gegenstände
sowie ihre Erhebungsweise die Zustimmung des Landtags (Art. 68 LV).
Im Sinne des Legalitätsprinzips des Art. 92 Abs. 2 LV setzt jede
Ausgabe eine Rechtsgrundlage voraus. Eine solche liegt vor, wenn die
Ausgabe eine unmittelbare oder voraussehbare Folge von Gesetzen oder
Finanzbeschlüssen ist oder gebunden ist. Eine Ausgabe gilt als gebun-
den, wenn in Bezug auf Umfang, Zeitpunkt oder andere wesentliche
Modalitäten kein erheblicher Handlungsspielraum besteht. Art. 3 Abs. 2
FHG nennt dazu demonstrativ einige gebundene Ausgaben. Im Übrigen
gilt eine Ausgabe als neu, wenn sie nicht gebunden ist (Art. 3 Abs. 3
FHG). Vereinfachend handelt es sich dann um eine ungebundene Aus-
gabe, wenn sachlich, zeitlich und örtlich ein erheblicher Entscheidungs-
spielraum besteht.
Die Regierung führte zu Art. 3 FHG im Bericht und Antrag aus,
dass im Einzelfall die Regierung entscheidet, «ob sie eine Ausgabe als
neue Ausgabe einstuft und demzufolge den Landtag zu begrüssen hat
oder aber diese unter die Definition als gebundene Ausgabe subsu-
miert».39 Somit ist der Landtag durch das Finanzhaushaltsgesetz von der
256
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
39 BuA FHG, Nr. 121/2008, S. 69: «Der Regierung ist sehr wohl bewusst, dass der Ter-
minus kein erheblicher Handlungsspielraum, wie er in Art. 3 Abs. 2 FHG vorge-
schlagen ist, Interpretationsspielraum offen lässt. Es wird jedoch nicht möglich sein,
diese Unterscheidung für die ganze Fülle der staatlichen Ausgabentätigkeit so zu
treffen, dass für jede Ausgabe eine klare Zuordnung zur einen oder anderen Kate-
gorie vorgenommen werden kann. Die Regierung wird somit im Einzelfall zu ent-
scheiden haben, ob sie eine Ausgabe als neue Ausgabe einstuft und demzufolge den
Einteilung in gebundene und nicht gebundene Ausgaben ausgeschlos-
sen. Er kann nicht eingreifen, wenn die Regierung entgegen der Meinung
des Landtags eine Ausgabe als gebunden einstuft oder eine effektiv un-
gebundene Ausgabe als gebunden betrachtet und nicht dem Landtag
vorlegt. Dies wäre hinsichtlich der durch die Verfassung dem Landtag
obliegenden Finanzhoheit problematisch, weil in solchen Fällen der
Landtag zwar die Steuern genehmigt, aber entgegen der Verfassung auf
die Überwachung der Verwendung bzw. Verteilung verzichten müsste.40
Zudem wäre das Legalitätsprinzip verletzt. Es muss im Sinne der Ver-
fassung festgehalten werden, «dass der Bereich der gebundenen Ausgabe
eng aufzufassen ist; im Zweifelsfall ist eine Ausgabe als neu dem Refe-
rendum zu unterstellen».41
Ein Grund für die Unterscheidung zwischen einer freien und einer
gebundenen Ausgabe liegt darin, dass nicht zweimal – also im Rahmen
des Gesetzgebungsverfahrens und anschliessend beim Vollzug desselben
Gesetzes – über die gleiche Sache entschieden wird. Über Ausgaben, die
sich aus dem Gesetz detailliert ergeben und deshalb gebundene Ausga-
ben sind, ist somit vom Landtag nicht noch einmal separat ein Beschluss
zu fassen. Der Vollzug eines Gesetzes und die Erfüllung der bestehenden
Aufgabe würden ansonsten verunmöglicht, indem der Landtag die Aus-
führung einer gesetzlich festgelegten Aufgabe durch die nachträgliche
Verweigerung der erforderlichen Mittel verhindert. Dies wäre sowohl
vom rechtlichen als auch vom praktischen Standpunkt aus unhaltbar.42
Damit ist auch der Landtag in der Pflicht, indem er Gesetze mit
Kostenfolgen beschliesst, deren Wahrnehmung gebundene Ausgaben
257
Finanzkontrolle
Landtag zu begrüssen hat oder aber diese unter die Definition als gebundene Aus-
gabe subsumiert. Mit dem Versuch einer abschliessenden Aufzählung der als ge-
bundene Ausgabe anzusehenden Fälle würde der erwähnte Interpretationsspiel-
raum deutlich eingeschränkt, was der Umsetzung aus Sicht der Regierung nicht
dienlich wäre.»
40 Art. 68 LV: «1) Ohne Bewilligung des Landtages darf keine direkte oder indirekte
Steuer, noch irgendeine sonstige Landesabgabe oder allgemeine Leistung, welchen
Namen sie haben möge, ausgeschrieben oder erhoben werden. Die erteilte Bewilli-
gung ist bei der Steuerausschreibung ausdrücklich zu erwähnen. 2) Auch die Art der
Umlegung und Verteilung aller öffentlichen Abgaben und Leistungen auf Personen
und Gegenstände sowie ihre Erhebungsweise erfordern die Zustimmung des Land-
tages.»
41 Allgäuer, S. 185.
42 Regierungsratsbeschluss des Kantons Solothurn vom 19.08.2008, Nr. 2008/1431.
zur Folge haben. Der Abgeordnete Elmar Kindle führt aus: «Also hier
auch an die Adresse an uns selbst: Wenn wir Gesetze beschliessen, soll-
ten wir uns auch über die Kosten und Folgekosten unterhalten und dies-
bezüglich auch ein kritisches Augenmerk darauf legen.»43
Der Landtag ist aber auch in der Pflicht, weil nur ein vom Landtag
nicht als dringlich erklärter Finanzbeschluss, sofern er eine einmalige
neue Ausgabe von mindestens CHF 500 000 oder eine jährlich wie -
derkehrende neue Ausgabe von CHF 250 000 verursacht, der Volksab-
stimmung unterliegt. Auch kann er eine solche beschliessen, während
wenigstens 1000 wahlberechtigte Landesbürger oder wenigstens drei
Gemeinden innerhalb von 30 Tagen nach amtlicher Verlautbarung des
Land tagsbeschlusses ein Begehren für eine Volksabstimmung stellen
können (Art. 66 Abs. 1 LV). In diesem Sinne sollte der Landtag, wenn
möglich, Finanzbeschlüsse nicht für dringlich erklären, um den Landes-
angehörigen die Wahrnehmung des Finanzreferendums zu ermöglichen.
Ist aber ein Landesangehöriger der Meinung, die Regierung habe
zu Unrecht eine gebundene statt eine ungebundene Ausgabe angenom-
men, so hat er, da er kein Finanzreferendum begehren kann, Beschwerde
beim Staatsgerichtshof einzubringen (Art. 15 StGHG).
Diesen Ausführungen zu Folge kann der Landtag die Regierung
nur bei ungebundenen Ausgaben kontrollieren, da die Regierung nur
dort einen beanstandbaren Spielraum für Ausgabenbeschlüsse hat. Im
folgenden werden unter diesem Gesichtspunkt die Kontrollmöglichkei-
ten des Landtags hinsichtlich des Finanzgebarens der Regierung erläu-
tert. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den Bestimmungen des Fi-
nanzhaushaltsgesetzes, welches am 20. Oktober 2010 in Kraft trat.
2.2 Finanzplan
Zur Kontrolle des finanziellen Gebarens der Regierung legt die Regie-
rung dem Landtag einen Finanzplan vor, der einen mehrere Jahre um-
fassenden Überblick des künftigen Aufwands und Ertrags der Verwal-
tungsrechnung enthält (Art. 69 Abs. 1 LV). Die Regierung erstellt jähr-
258
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
43 Anlässlich der summarischen Nachtragskredit-Sammelvorlage VIII/2008 (LTP
2009, S. 64 f.).
lich zuhanden des Landtags einen mehrjährigen Finanzplan, welcher ei-
nen Zeitraum von vier Jahren umfasst und mit dem kommenden Voran-
schlagsjahr beginnt. Der Finanzplan enthält die voraussichtlichen Auf-
wände, Erträge und Nettoinvestitionen, die im Betrachtungszeitraum
erwarteten Finanzierungsüberschüsse oder -fehlbeträge und bei Letzte-
ren Angaben zu deren Finanzierung, sowie die erwartete Entwicklung
der Aktiven und Passiven (Art. 25 FHG).
Die Regierung umschreibt ihre Kompetenz hinsichlich des Finanz-
plans wie folgt: «Die Ausgabenkompetenz der Regierung als Exekutiv-
organ ist inhaltlich dadurch begrenzt, als der finanzhaushaltsrechtliche
Grundsatz der Gesetzmässigkeit für jede Ausgabe eine Rechtsgrundlage
verlangt, während der finanzielle Umfang der Ausgabekompetenzen der
Regierung sich an den vom Landtag bewilligten Voranschlagskrediten
bemisst.»44 Über dieses Gebaren hat sie dem Landtag für das abgelaufene
Verwaltungsjahr mittels Rechenschaftsbericht und Landesrechnung zu
berichten (Art. 62 lit. f LV).
Der Finanzplan stellt ein längerfristiges Orientierungs- und Füh-
rungsmittel für die Regierung und den Landtag dar. Neben dieser Infor-
mationsfunktion erfüllt er eine Koordinationsfunktion, weil er die fi-
nanziellen Folgen der Planungen zusammenfasst und koordiniert.
Schliesslich hat der Finanzplan eine Ausgleichsfunktion, weil er das mit-
telfristige finanzielle Gleichgewicht sicherstellt und die erforderlichen
Massnahmen zur Erreichung der finanzpolitischen Ziele ausweist.45
Der Finanzplan ist eine Anordnung und keine Prognose, weshalb
es «bei der Planung um die bewusste und gezielte Gestaltung des Hand-
lungsrahmens einer Behörde»46 geht. Gemäss Allgäuer kommt dem Fi-
nanzplan allerdings «nicht nur keine rechtliche, sondern auch keine po-
litische Verbindlichkeit zu».47 Zudem hat der Landtag die Berichte bzw.
die Finanzpläne lediglich zur Kenntnis zu nehmen, ohne sie verbindlich
zurückweisen oder genehmigen bzw. annehmen zu können.48
Zusammenfassend kann der Landtag mittels Finanzplan faktisch
nicht auf Korrektur hinwirken – auch nicht unter Berufung auf das Ge-
259
Finanzkontrolle
44 BuA betreffend die Neufassung des Finanzhaushaltsgesetzes Nr. 121/2008, S. 93.
45 Allgäuer, S. 202.
46 Buschor, S.49.
47 Allgäuer, S. 205.
48 Waschkuhn, 1994, S. 151.
meinwohl.49 Er kann aber durch die Behandlung im Plenum auf Miss-
stände hinweisen und die Regierung öffentlich kritisieren.
2.3 Voranschlag
Ein wesentliches Parlamentsrecht, das älter als das parlamentarische Re-
gierungssystem ist, liegt in der Befugnis, den Staatshaushaltsplan zu be-
willigen.50 Der Haushaltsplan (Haushalt, Budget oder Etat) ist die Ge-
genüberstellung erwarteter Einnahmen und Ausgaben eines Staates für
eine bestimmte Zeit, üblicherweise für ein Jahr.51
Neben der langfristigen Planung im Rahmen des Finanzplans ob-
liegt damit dem Landtag mittels Voranschlag «die Festsetzung des jähr-
lichen Voranschlages und die Bewilligung von Steuern und anderen öf-
fentlichen Abgaben» (Art. 62 lit. c LV). Gemäss Art. 69 LV hat die Re-
gierung dem Landtag für das nächstfolgende Verwaltungsjahr einen
Voranschlag zur Prüfung und Zustimmung zu unterbreiten.52
Damit legt die Regierung dem Landtag einen Voranschlag – erstellt
nach den Grundsätzen der Vollständigkeit, der Einheit, der Spezifikation
und der Bruttodarstellung – vor (Art. 6 FHG). Die Regierung teilt dabei
den Voranschlag in eine Erfolgsrechnung und eine Investitionsrechnung,
innerhalb deren die einzelnen Positionen institutionell und nach Sach-
gruppen gegliedert sind (Art. 7 FHG).
260
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
49 Loschelder, S. 650 f.
50 Koja, S. 209.
51 Schubert, S. 316.
52 Um diejenigen Voranschläge seit dem Jahr 2000 zu nennen: BuA zum Landesvor-
anschlag und zum FinG für das Jahr 2001 (Nr. 111/2000), BuA zum Landesvoran-
schlag und zum FinG für das Jahr 2002 (Nr. 55/2001), BuA zum Landesvoranschlag
und zum FinG für das Jahr 2003 (Nr. 93/2002), BuA zum Landesvoranschlag und
zum FinG für das Jahr 2004 (Nr. 83/2003), BuA zum Landesvoranschlag und zum
FinG für das Jahr 2005 (Nr. 95/2004), BuA zum Landesvoranschlag und zum FinG
für das Jahr 2006 (Nr. 70/2005), BuA zum Landesvoranschlag und zum FinG für
das Jahr 2007 (Nr. 105/2006), BuA zum Landesvoranschlag und zum FinG für das
Jahr 2008 (Nr. 120/2007), BuA zum Landesvoranschlag und zum FinG für das Jahr
2009 (Nr. 135/2008), BuA zum Landesvoranschlag und zum FinG für das Jahr 2010
(Nr. 85/2009).
Noch bevor der Voranschlag im Plenum behandelt wird, begutach-
tet und prüft ihn die Finanzkommission (Art. 61 Abs. 1 GOLT).53 Da-
rauf folgt im öffentlichen Landtag die Beschlussfassung und die Festle-
gung des Voranschlags als Finanzgesetz.54
Allerdings handelt es sich nicht um ein Gesetz «wie jedes andere»,
da das Budget keine Verhaltensnormen für die Rechtsunterworfenen
enthält und die Adressaten ausschliesslich Staatsorgane sind.55 Diese
Staatsorgane sind berechtigt, aber nicht verpflichtet, die Mittel auszuge-
ben.56 Es ist aber Usus, dass die Ressorts bzw. die Ämter gerade im Hin-
blick auf das Jahresende das Budget aufbrauchen, um im nächsten Jahr
wiederum Mittel in gleicher Höhe zu erhalten. Gibt es für ein Jahr einen
Einnahmeüberschuss, so liegt dies in der Regel nicht an Minderausga-
ben, sondern an Mehreinnahmen.57
Der Voranschlag und damit die Billigung des Budgets durch den
Landtag hat einen doppelten Zweck: Einerseits bildet der Voranschlag
den Wirtschaftsplan, also die Grundlage für das finanzielle Gebaren der
Regierung im kommenden Finanzjahr. Andererseits ist der Voranschlag
die Grundlage für die Rechnungskontrolle, indem nach Ablauf des Fi-
nanzjahres anhand des Voranschlags geprüft werden kann, ob sich die
Verwaltung an die Anordnungen des Voranschlags gehalten hat.58
Gerade hier sieht der Abgeordnete Wendelin Lampert den Landtag
in der Pflicht, um gegenüber der Regierung seine Lenkungs- bzw. Kon-
trollbefugnis zu wahren: «Wir müssen eben bei den Voranschlägen, bei
den Budgets, da müssen wir eingreifen, damit wir noch lenken kön-
nen.»59 Demgegenüber beklagen sich die befragten Abgeordneten dahin-
gehend, dass die Abgeordneten de facto keine reelle Möglichkeit hätten,
261
Finanzkontrolle
53 Mehr zum Thema Finanzkommission unter V.A.4.2.
54 Das FinG für das Jahr 2010 ist LGBl 2009, Nr. 312 (FinG 2009).
55 Koja, S. 209.
56 Koja, S. 211.
57 Stellvertretend für andere: LTP 2006, S. 907. Der damalige Regierungschef fasst das
vergangene Finanzjahr folgendermassen zusammen: «Dabei wird aber klar ausge-
wiesen, dass das Ergebnis der ordentlichen Staatstätigkeit in der Laufenden Rech-
nung mit minus CHF 14,9 Millionen schliesst und das Finanzergebnis mit CHF
53,9 Millionen plus, sodass das Gesamtergebnis in der Laufenden Rechnung einen
Überschuss von CHF 39 Millionen ausmacht.»
58 Koja, S. 210.
59 LTP 2009, S. 875.
einen Voranschlag zu prüfen, da die Informationen der Regierung rund
um einen Voranschlag derart rar seien, dass keine (effektive) Kontrolle
bzw. Lenkung stattfinden könne.60 «Je komplexer die Aufgaben und je
komplizierter infolgedessen die Lösungen sind, desto weniger ist es dem
Parlament möglich, die von der Regierung vorgelegten Entwürfe mehr
als höchstens marginal zu korrigieren.»61 Insbesondere der Budgetent-
wurf ist «in der Regel ein komplizierter, mühsam zustande gekommener
Kompromiss zwischen politischen Zielvorstellungen, Sachgebietspunk-
ten, Ressortwünschen und gesellschaftlichen Interessen».62
Mit Blick auf Österreich folgert deshalb Koja, dass «bei der Be-
schlussfassung über den Staatshaushaltsplan [. . .] weder der Budgetaus-
schuss noch das Plenum des Parlaments mehr als das Notwendigste über
den ihm von der Regierung vorgelegten Entwurf» wisse.63 Diese
Schlussfolgerung gilt auch für den liechtensteinischen Landtag und des-
sen Finanzkommission.
Dem Landtag stehen bei der Behandlung des Voranschlags im Ple-
num sämtliche Möglichkeiten offen, die er auch bei anderen Vorlagen
der Regierung hat. So muss er nicht auf den Voranschlag eintreten oder
er kann etwa der Vorlage die Zustimmung verweigern. Dies hätte zur
Folge, dass ein Budget-Notstand entstünde, für dessen Lösung die liech-
tensteinische Rechtsordnung keine Bestimmung bereithält.64 Darüber
hinaus kann das Plenum Positionen kürzen, erhöhen, streichen oder neu
einfügen oder auch dem Bericht und Antrag die jeweils von der Regie-
rung beantragte Dringlichkeit versagen.
Empirisch zeigt sich – insbesondere unter Berücksichtigung der In-
formationsdefizite – ein grosses Engagement des Plenums bei der Be-
handlung des Voranschlages. Bei keinem anderen Bericht und Antrag
debattieren die Abgeordneten so umfangreich wie beim Voranschlag
bzw. der Genehmigung des Finanzgesetzes. So umfassen im Untersu-
chungszeitraum von 2000 bis 2009 die jeweiligen Landtagsprotokolle
durchschnittlich 65 Seiten. Als eine mögliche Erklärung führt Heeb aus,
262
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
60 Befragung Batliner, Frick.
61 Koja, S. 209.
62 Koja, S. 209.
63 Koja, S. 209.
64 Allgäuer, S. 236.
dass die Abgeordneten auf zu viele Einzelpositionen und Details einge-
hen. «Mit zunehmender Orientierung auf solche Einzelausgaben kann
der Blick für die überfgreifende gesetzliche Zweck- und Zielsetzung ver-
lorengehen.»65
Während der Debatten brachten die Abgeordneten im Zeitraum
2000–2009 insgesamt 56 Änderungsvorschläge ein. Allerdings waren da-
von nur acht erfolgreich, während 48 erfolglos blieben. Wird bei dieser
Statistik das aussergewöhnliche Jahr 2008 ausgeklammert, als allein
28 Anträge auf Abänderung gestellt wurden66, dann haben die Abgeord-
neten jedes Jahr durchschnittlich 2,2 Abänderungsanträge gestellt, wo-
von fünf Prozent erfolgreich waren.67 Auffallend ist dabei die Tatsache,
dass diese erfolgreichen fünf Prozent allesamt eine Erhöhung des Bud-
gets zur Folge hatten. Der Statistik kann deshalb entnommen werden,
dass Anträge auf Kürzung des Budgets generell sehr selten entsprochen
wird. Dies kann auf die Mehrheitsverhältnisse zurückgeführt werden,
indem die Opposition, die eher dazu neigt, den Voranschlag der Regie-
rung zu kürzen, von der Mehrheitspartei kaum Unterstützung erhält.
Demgegenüber haben Erhöhungsanträge – aufgrund des Spiegelbilds der
Parteiverhältnisse in Landtag und Regierung – deutlich höhere Chancen
auf Erfolg.
Zusammenfassend sind die Abgeordneten, vor allem aber die Op-
position68, bei der Behandlung des Voranschlags bzw. des Finanzgeset-
zes insgesamt bestrebt, die Regierung öffentlich zu hinterfragen. Die
Kontrolle folgt dabei «politischen Opportunitäts- und Richtigkeits-
überlegungen».69 Diskussionen um grundlegende Zielsetzungen finden
nicht statt.
Der Landtag sollte nicht jedem Voranschlag – wie von der Regie-
rung begehrt – die Dringlichkeit zubilligen, da dadurch das Referendum
gemäss Art. 66 LV ausgeschlossen ist.
263
Finanzkontrolle
65 Heeb, S. 219.
66 Dafür war hauptsächlich der Sparwille des Abgeordneten Heinz Vogt verantwort-
lich (LTP 2008, S. 2808 ff.).
67 LTP 2000, S. 2322ff; LTP 2001, S. 966ff; LTP 2002, S. 1886ff; LTP 2003, S. 2094ff;
LTP 2004, S. 1842ff; LTP 2005, S. 1873ff; LTP 2006, S. 2041ff; LTP 2007, S. 2491ff;
LTP 2008, S. 2808ff; LTP 2009, S. 1645 ff.
68 Allgäuer, S. 231.
69 Allgäuer, S. 230.
2.4 Rechenschaftsbericht
Der Rechenschaftsbericht wir dem Landtag zusammen mit der Landes-
rechnung übermittelt.70 Durch den Rechenschaftsbericht71 informiert die
Regierung den Landtag alljährlich über die gesamte Staatsverwaltung
(Art. 62 lit. e LV) bzw. ihre Vermögensverwaltung (Art. 33 Abs. 3 FHG).
Er hat folgende Bereiche zum Inhalt: Präsidium, Äusseres, Inneres, Bil-
dungswesen, Familie und Chancengleichheit, Kultur, Sport, Finanzen,
Gesundheit, Soziales, Umwelt, Raum, Land- und Waldwirtschaft, Wirt-
schaft, Verkehr und Kommunikation, Justiz sowie Bauwesen (Art. 93 lit.
f LV).72 Der Rechenschaftsbericht wird im zweiten Teil des von der Re-
gierung alljährlich publizierten Bandes «Landtag, Regierung und Ge-
richte»73 veröffentlicht und ist online abrufbar.74
Noch bevor der Landtag die Jahresrechnung und den Rechen-
schaftsbericht behandelt, werden sie der Geschäftsprüfungskommission
zur Überprüfung vorgelegt (Art. 62 Abs. 2 GOLT). Diese prüft dabei
den Rechenschaftsbericht aufgrund finanzieller Kriterien, wobei eine ei-
gentliche Kontrolle und Bewertung des Rechenschaftsberichts nicht
stattfindet.75
264
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
70 Als Beispiel für andere: Rechenschaftsbericht (Nr. 14/2009).
71 Der Begriff «Rechenschaftsbericht» wird nur in Art. 62 lit. e LV («über den alljähr-
lich von der Regierung über die gesamte Staatsverwaltung zu erstattenden Rechen-
schaftsbericht») verwendet, während Art. 93 Lit. f. LV von «Erstattung des jährlich
dem Landtage vorzulegenden Berichtes über ihre Amtstätigkeit» spricht. Da aber
der Inhalt dieser Bestimmungen («über die gesamte Staatsverwaltung» und «über
ihre Amtstätigkeit») dasselbe meinen, ergibt sich auch aus dem Kontext, dass es sich
um den selben Bericht handeln muss. Diese Meinung teilt auch Allgäuer (S. 259).
72 Siehe auch Landtag, Regierung und Gerichte 2008, S. 5.
73 Landtag, Regierung und Gerichte 2008, S. 7. Diese Publikation enthält zusätzlich als
ersten Teil den Bericht des Landtags und als dritten Teil die Berichte der Gerichte.
74 Wird aber unter <www.bua.llv.li> der aktuelle Rechenschaftsbericht (Nr. 14/2009)
aufgerufen, dann erscheint als Rechenschaftsbericht die Publikation «Landtag, Re-
gierung und Gerichte» mit allen vier Teilbereichen. Dazu stellt die Regierung fol-
gendes fest: «Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag in der Beilage den
Rechenschaftsbericht der Regierung sowie die Landesrechnung für das Jahr 2008
zur gesetzmässigen Behandlung zu übermitteln. Der beiliegende Bericht enthält
ausserdem den Bericht des Landtages sowie die Berichte der Gerichte» (Rechen-
schaftsbericht (Nr. 14/2009). Diese Anmerkung ist wichtig, weil der Bericht des
Landtags in die Kompetenz des Landtags und die Berichte der Gerichte in die Kom-
petenz der Gerichte und damit keines von beiden in die Kompetenz der Regierung
fallen und vom Rechenschaftsbericht klar zu trennen sind.
75 Befragung Batliner, Beck.
Der Rechenschaftsbericht wird im Plenum zuerst einer allgemei-
nen Diskussion unterzogen. Daran anknüpfend werden die einzelnen
Kapitel isoliert behandelt. Abschliessend folgt die dem Plenum oblie-
gende Beschlussfassung über den Rechenschaftsbericht (Art. 62 lit. e
LV). Die Landtagsabgeordneten haben dabei die Möglichkeit, Fragen an
die Regierungsräte zu stellen und diese und ihr Handeln im vergangenen
Jahr zu kritisieren. Deshalb ist das Parlament zumindest formell eine
«öffentliche Rügeinstanz» mit «maximalem Publizitätseffekt».76
Im Untersuchungszeitraum von 2000 bis 2009 haben die Landtags-
protokolle zu den jährlichen Rechenschaftsberichten durchschnittlich
eine Länge von 30 Seiten.77 Damit wenden die Abgeodneten etwa die
gleiche Zeit für den Rechenschaftsbericht wie für die Landesrechnung
(durchschnittliche Länge von 29 Seiten78) auf. Im Vergleich zu einfachen
Gesetzesvorlagen kann dem Landtag somit eine ausgiebige Beschäfti-
gung mit dem Rechenschaftsbericht attestiert werden.
Im Plenum werden jedoch vornehmlich allgemeine Fragen gestellt.
Grundsätzliche Diskussionen bleiben aus. Dies kritisierte Allgäuer be-
reits im Jahr 1989: «Die Beratung des Rechenschaftsberichts wurde [. . .]
kaum dazu benützt, die unterschiedlichen Positionen in den grossen po-
litischen Fragen vor der Öffentlichkeit darzulegen. [. . .] Stattdessen ver-
lor sich die Diskussion in Details.»79 Dies bestätigt ein Blick ins Plenum.
In der Landtagssitzung vom 24. Juni 2009, als der Landtag den Rechen-
schaftsbericht für das Jahr 2008 behandelte, wurde die Regierung genau
einmal kritisiert.80 Die Kritik blieb seitens der Regierung unkommen-
265
Finanzkontrolle
76 Allgäuer, S. 261.
77 LTP 2000, S. 1032 ff.; LTP 2001, S. 301 ff.; LTP 2002, S. 924 ff.; LTP 2003, S. 734 ff.;
LTP 2004, S. 744 ff.; LTP 2005, S. 489 ff.; LTP 2006, S. 848 ff.; LTP 2007, S. 1266 ff.;
LTP 2008, S. 1275 ff.; LTP 2009, S. 419 ff.
78 LTP 2000, S. 1074 ff.; LTP 2001, S. 372 ff.; LTP 2002, S. 984 ff.; LTP 2003, S. 794 ff.;
LTP 2004, S. 837 ff.; LTP 2005, S. 583 ff.; LTP 2006, S. 893 ff.; LTP 2007, S. 1311 ff.;
LTP 2008, S. 1327 ff.; LTP 2009, S. 433 ff.
79 Allgäuer, S. 262.
80 Der Abgeordnete Harry Quaderer tätigte folgende unbeantwortete Aussage: Die
Lokomotive «wurde unter Denkmalschutz gestellt und die Regierung hatte dazu-
mal einen Betrag von CHF 120 000 zur Verfügung gestellt. [. . .] Im Dezember 2008
hat die Regierungsrätin Rita Kieber-Beck der fürstlich liechtensteinischen Eisen-
bahnromantikstiftung die CHF 112 000 überwiesen ohne – meines Wissens – dass
die Grundlagen zu einer Subvention gegeben gewesen wären. Und das nenne ich
jetzt kein verantwortlicher Umgang mit Steuergeldern. [. . .] Nun, diese Fahrt hat
tiert und unbeantwortet, weshalb der Abgeordnete Harry Quaderer zur
selben Thematik zwei Jahre später eine kurze Anfrage stellte.81
Die vorstehenden Ausführungen zeigen auf, dass der Rechen-
schaftsbericht von den Abgeordneten ausgiebig und kritisch behandelt
wird. Dennoch mangelt es dabei an grundsätzlichen Diskussionen. Dies
kann aber gemäss Allgäuer «weniger durch Änderungen des Verfahrens,
sondern durch die Änderung des Willens zur Kontrolle verbessert»82
werden.
2.5 Landesrechnung
Die Landesrechnung ist «eine genaue Nachweisung über die nach Mass-
gabe des Voranschlages geschehene Verwendung der bewilligten und er-
hobenen Einnahmen» (Art. 69 Abs. 2 LV).83 Oder mit den Worten der
Regierung:
«Gemäss Art. 69 Abs. 2 der Landesverfassung erstattet die Regie-
rung dem Landtag in der ersten Hälfte des folgenden Verwaltungs-
jahres Rechenschaft über die Verwendung der bewilligten Budget-,
Nachtrags-, Verpflichtungs- und Ergänzungskredite für die Erfül-
lung der übertragenen Staatsaufgaben sowie über die erhobenen
Einnahmen des vergangenen Jahres. Auf diese Weise wird dem
Landtag – auch in finanzieller Hinsicht – eine umfassende Kon-
trolle über die Aktivitäten der Exekutive ermöglicht.»84
Gemäss Finanzhaushaltsgesetz vermittelt die Landesrechnung ein den
tatsächlichen Gegebenheiten entsprechendes Bild der Vermögens-, Fi-
266
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
nicht stattgefunden. Stattgefunden hat hingegen, dass der Stiftungsrat CHF 112 000
kassiert hat und dazu vielen Dank sagte» (LTP 2009, S. 419 ff.).
81 LTP 2010, S. 1320.
82 Allgäuer, S. 262.
83 «Für jedes abgelaufene Verwaltungsjahr hat die Regierung in der ersten Hälfte des
folgenden Verwaltungsjahres dem Landtag eine genaue Nachweisung über die nach
Massgabe des Voranschlages geschehene Verwendung der bewilligten und erhobe-
nen Einnahmen mitzuteilen, vorbehaltlich der Genehmigung von gerechtfertigten
und der Verantwortlichkeit der Regierung bei nicht gerechtfertigten Überschreitun-
gen» (Art. 69 Abs. 2 LV).
84 BuA Nr. 38/2009, S. 5.
nanz- und Ertragslage des Landes. Sie folgt den Grundsätzen der Ver-
ständlichkeit, Wesentlichkeit, Zuverlässigkeit, Vergleichbarkeit, Peri-
odengerechtigkeit und Stetigkeit (Art. 17 FHG). Die Landesrechnung
enthält die Erfolgsrechnung, die Investitionsrechnung, die Bilanz, die
Mittelflussrechnung, den Anhang mit zusätzlichen Erläuterungen, die
Jahresrechnungen der öffentlichen Unternehmen im Sinne des Gesetzes
über die Steuerung und Überwachung öffentlicher Unternehmen, von
Dritten gewidmeten Stiftungen oder von gesetzlich errichteten Fonds,
sofern diese nicht aufgrund gesetzlicher Bestimmungen vom Landtag
genehmigt oder zur Kenntnis genommen werden (Art. 18 FHG).
Der Rechenschaftsbericht85 und die Landesrechnung werden im
Landtag ordnungsgemäss als verschiedene Traktandenpunkte behandelt.
Dennoch werden sie von der Regierung dem Landtag zur Behandlung
gemeinsam übermittelt.86 Die Aufhebung der Trennung begründet die
Regierung als Einleitung zur Landesrechnung für das Jahr 2008 folgen-
dermassen: «Das Ergebnis der Landesrechnung 2008 ist im Rechen-
schaftsbericht der Regierung ausführlich dargestellt und kommentiert.
Aus diesem Grund gibt die Regierung im Folgenden eine Übersicht über
das Rechnungsresultat, verweist jedoch für weitergehende Informatio-
nen auf den Rechenschaftsbericht 2008.»87 Die Landesrechnung ist vom
Rechenschaftsbericht zu trennen. Sie wird im vierten Teil des von der
Regierung alljährlich publizierten Bandes «Landtag, Regierung und Ge-
richte»88 veröffentlicht und ist online abrufbar.
Die Regierung unterbreitet dem Landtag den Bericht und Antrag
betreffend die Genehmigung der Landesrechnung und beantragt dessen
Genehmigung. Noch bevor die Landesrechnung im Plenum behandelt
wird, unterliegt diese einer Überprüfung durch die Geschäftsprüfungs-
267
Finanzkontrolle
85 Der Begriff «Rechenschaftsbericht» wird nur in Art. 62 lit. e LV («über den alljähr-
lich von der Regierung über die gesamte Staatsverwaltung zu erstattenden Rechen-
schaftsbericht») verwendet, während Art. 93 Lit. f. LV von «Erstattung des jährlich
dem Landtage vorzulegenden Berichtes über ihre Amtstätigkeit» spricht. Da aber
der Inhalt dieser Bestimmungen («über die gesamte Staatsverwaltung» und «über
ihre Amtstätigkeit») dasselbe meinen, ergibt sich auch aus dem Kontext, dass es sich
um den selben Bericht handeln muss. Diese Meinung teilt auch Allgäuer (S. 259).
86 Als Beispiel für andere: Rechenschaftsbericht (Nr. 14/2009).
87 BuA Nr. 38/2009, S. 7.
88 Landtag, Regierung und Gerichte 2008, S. 7. Diese Publikation enthält als ersten Teil
den Bericht des Landtags, als zweiten Teil die Ressortberichte der Regierung, als
dritten Teil die Berichte der Gerichte und als vierten Teil die Landesrechnung.
kommission (Art. 63 Abs. 1 LV, Art. 62 Abs. 2 lit. a GOLT, Art. 23 Abs.
3 lit. a. VwKG). Bei dieser Überprüfung handelt es sich nicht um eine
Detailprüfung, sondern sie wird lediglich grob formal überprüft.89 Da-
raufhin folgt die Behandlung der Landesrechnung im Plenum.
Zu Beginn der Behandlung im Plenum meldet sich jeweils der Vor-
sitzende der Geschäftsprüfungskommission und erläutert die Landes-
rechnung. Im Untersuchungszeitraum zwischen 2000 und 2009 ergab
die Behandlung im Plenum eines Bericht und Antrags betreffend Lan-
desrechnung und Rechenschaftsbericht durchschnittlich 26 Seiten Land-
tagsprotokoll. Damit werden diese Vorlagen von den Abgeordneten je-
weils öffentlich ausgiebig behandelt. Von einem Durchwinken der Vor-
lagen kann nicht die Rede sein, auch wenn schlussendlich sämtliche
Vorlagen genehmigt werden.90
Bei den Plenardebatten zur Landesrechnung ist auffallend, dass die
Abgeordneten vornehmlich Detailfragen stellen, ohne das Gebaren der
Regierungsmitglieder direkt oder überhaupt allgemein zu kritisieren.
Auch ein Vergleich zwischen Voranschlag und Landesrechnung bleibt
jeweils aus. Damit erweisen sich die Debatten «als ein für die Regierung
harmloses Frage-und-Antwort-Spiel, worin Detailfragen viel grösseren
Platz einnehmen als die Grundlinien der Regierungspolitik».91 Gemäss
Heeb können Abgeordnete nur durch Insiderwissen bei bestimmten
Rechnungsposten nachhaken und die Regierung auf kritische verwal-
tungsinterne Verhältnisse ansprechen. «Doch diese Fragen und Kritik-
punkte beziehen sich mehr auf die vewaltungsinternen Verhältnisse und
die Führung der Amtsbereiche und weniger auf das Ergebnis der Lan-
desrechnung.»92
Bei der Landtagssitzung vom 24. Juni 2009, in welcher die Landes-
rechnung 2008 behandelt wurde, hinterfragte kein einziger Abgeordne-
ter das Regierungsgebaren insgesamt oder auch nur einen einzelnen Ti-
tel bzw. ein Konto kritisch.93 Eine mögliche Erklärung ist, dass es für die
Abgeordneten nichts zu bemängeln gab und sie mit der Landesrechnung
vollends einverstanden waren. Eventuell waren die Abgeordneten aber
268
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
89 Befragung Batliner, Beck.
90 LTP 2000–2009.
91 Allgäuer, S. 255.
92 Heeb, S. 222.
93 LTP 2009, S. 433 ff.
auch von der Materie überfordert und damit nicht in der Lage, ein
Konto zu bemängeln. Schliesslich ist es aber auch möglich, dass die Lan-
desrechnung jeweils im nichtöffentlichen Landtag bereits behandelt
wurde. Darauf lässt auch das Statement von Regierungschef Klaus
Tschütscher anlässlich der Genehmigung der Landesrechnung für das
Jahr 2008 schliessen: «Ich glaube, so viel darf ich aus dem nichtöffentli-
chen Landtag sagen, wenn uns das spielerische Element hier nicht ge-
lingt, dann wird es uns auch in anderen Bereichen nicht gelingen. Sie
wissen, von was ich spreche.»94
Es ist dementsprechend – auch für den Wähler – nicht nachvoll-
ziehbar, inwiefern der Landtag die Landesrechnung insgesamt und nicht
nur durch die Geschäftsprüfungskommission kritisch beurteilt hat. In
Anbetracht dessen kann das Gebaren im Plenum nicht als Kontrolle im
Sinne einer «politischen Auseinandersetzung mit den grossen Linien,
der öffentlichen Kritik, der Offenlegung von Missständen»95 bezeichnet
werden, weil eben auch der Vergleich zwischen Landesrechnung und
Voranschlag im öffentlichen Landtag unterbleibt. Damit bleibt es im
Endeffekt offen, wie stark der Landtag mittels der Landesrechung die
Regierung kontrolliert.
3. Kontrolle der Regierung durch Ausgabenkredite
Neben Rechenschaftsbericht und Landesrechnung hat der Landtag die
Regierung auch anhand des Kreditwesens zu kontrollieren, indem ihm
die Beschlussfassung über Kredite obliegt (Art. 62 lit. d LV). Ein Kredit
ist die Ermächtigung, für einen bestimmten Zweck bis zu einer be-
stimmten Höhe finanzielle Verpflichtungen einzugehen. Kredite müssen
vor dem Eingehen neuer Verpflichtungen eingeholt werden und sind in
Form von Verpflichtungskrediten, Ergänzungskrediten, Voranschlags-
krediten oder Nachtragskrediten zu beantragen (Art. 4 FHG). Diese
können unter dem Begriff «Ausgabenkredite» zusammengefasst werden,
weil es sich nicht um den Kreditbegriff in Zusammenhang mit der Auf-
nahme von Mitteln bei Dritten (z. B. Banken), sondern um Ausgaben
269
Kontrolle der Regierung durch Ausgabenkredite
94 LTP 2009, S. 448.
95 Allgäuer, S. 253.
handelt und darüber hinaus die Verbindung zum finanzhaushaltsrechtli-
chen Begriff der «Ausgabe» besteht.96
Ausgabenkredite werden von der Regierung dem Landtag zur Ge-
nehmigung als Finanzbeschlüsse vorgelegt. Wie oben erläutert, sind Fi-
nanzbeschlüsse unter bestimmten Voraussetzungen zwar dem Finanzre-
ferendum, nicht aber der formulierten Initiative zugänglich (Art. 66
LV).97 Gleichzeitig müssen Ausgabenkredite dem Legalitätsprinzip ent-
sprechen und damit dem Grundsatz «keine Ausgabe ohne Gesetz» ent-
sprechen. Das heisst, dass sowohl die Ausgabe selbst als auch die Ver-
waltungstätigkeit, für welche die Kredite zu genehmigen sind, in einem
formellen Gesetz vorgesehen sein müssen.98
3.1 Verpflichtungskredite
Verpflichtungskredite werden durch das Finanzhaushaltsgesetz geregelt.
Der Verpflichtungskredit ermächtigt die Regierung, für einen bestimm-
ten Zweck bis zu einer bestimmten Summe über das Jahr des Voran-
schlages hinaus finanzielle Verpflichtungen einzugehen (Art. 13 Abs. 1
FHG). Es handelt sich somit um Auszahlungen für ein mehrjähriges
Vorhaben oder einen mehrjährigen Landesbeitrag, bei denen kein Hand-
lungsspielraum besteht (Art. 13 Abs. 2 FHG).
Die Regierung muss die Begehren für Verpflichtungskredite dem
Landtag in einem besonderen Bericht unterbreiten, der auch Angaben
über die Folgekosten zu enthalten hat (Art. 13 Abs. 3 FHG). Der Land-
tag entscheidet daraufhin über die Genehmigung des Finanzbeschlusses.
Zudem ist der jährliche Zahlungsbedarf aus Verpflichtungen in den je-
weiligen Voranschlag aufzunehmen (Art. 13 Abs. 4 FHG). Verpflich-
tungskredite können mit einer Indexklausel versehen werden. In diesem
Fall erhöht oder vermindert sich das Kreditvolumen im gleichen Ver-
hältnis wie der zu Grunde gelegte Index (Art. 13 Abs. 6 FHG).
Die Regierung hat über die Beanspruchung jedes Verpflichtungs-
kredites eine laufende Verpflichtungskontrolle zu führen, aus der die be-
270
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
96 Siehe dazu auch den BuA betreffend die Neufassung des FHG (LGBl 2008, Nr. 121,
S. 61).
97 Siehe dazu III.D.2.
98 Schurti, 1994, S. 246
reits eingegangenen und die zur Vollendung des Vorhabens voraussicht-
lich noch erforderlichen Verpflichtungen sowie der Stand der bereits ge-
leisteten Zahlungen hervorgehen (Art. 14 FHG).
Bei Verpflichtungskrediten spielt die Dringlichkeit für die Regie-
rung, welche üblicherweise die Dringlicherklärung eines Finanzbe-
schlusses vom Landtag begehrt – anders als bei Nachtragskrediten – eine
untergeordnete Rolle. Sie wird selten beantragt, weshalb Verpflichtungs-
kredite für ein Referendum grundsätzlich zugänglich sind.99 Im Zeit-
raum von 2000 bis 2009 wurde gegen zwei Finanzbeschlüsse des Land-
tags erfolgreich das Referendum ergriffen: Im Jahre 2002 gegen den
Finanzbeschluss des Landtags betreffend die Genehmigung eines Ver-
pflichtungskredites für die Durchführung des Musik-Festivals «The
little big one». Das zweite Referendum betraf die Erweiterung des Poli-
zeigebäudes mit Untersuchungsgefängnis, des Ausländer- und Passam-
tes und des zugehörigen Parkhauses in Vaduz im Jahr 2004. Beide Refe-
rendumsbegehren wurden vom Stimmvolk deutlich – das Polizeige-
bäude mit 3745 Ja-Stimmen zu 8042 Nein-Stimmen, das Festival mit
3618 zu 6969 Stimmen100 – im Sinne des Referendums verworfen.101
Noch bevor Verpflichtungskredite im Landtag öffentlich behandelt
werden, werden sie von der Finanzkommission geprüft und begutachtet
(Art. 61 Abs. 1, 2 GOLT). Sie kann bei unklaren Positionen von der Re-
gierung Detailausführungen verlangen (Art. 61 Abs. 2 GOLT).102
Ein Blick in die Plenardebatten soll Aufschluss darüber bringen, ob
die Aussage Allgäuers, dass der Landtag durch das Instrument der Ver-
pflichtungskredite «sein Budgetrecht bei grösseren Projekten noch
271
Kontrolle der Regierung durch Ausgabenkredite
99 LTP 2000–2001.
100 <www.abstimmung.li>, 10.10.2011.
101 Der BuA betreffend die Genehmigung eines Verpflichtungskredites für die Durch-
führung des Festivals «The little big one» in den Jahren 2002 bis 2004 (Nr. 69/2001)
wurde vom Landtag am 14.11.2001 angenommen (LTP 2001, S. 894 ff.). Der BuA
betreffend die Erweiterung des Polizeigebäudes mit Untersuchungsgefängnis, des
Ausländer- und Passamtes und des zugehörigen Parkhauses in Vaduz (Nr.
115/2003) wurde vom Landtag am 17.12.2003 angenommen (LTP 2003, S. 2249 ff.).
102 Der Abgeordnete Heinz Vogt in der öffentlichen Landtagssitzung vom 21.09.2006,
S. 1349: «Auch die Finanzkommission fordere ich hiermit auf, in Zukunft dem die
entsprechende Beachtung zu schenken und vermehrt, wie es auch schon geschehen
ist, Detailausführungen zu solchen Positionen zu verlangen.»
wahrnehmen und die Finanzpolitik steuern könne»,103 zutreffend ist
oder nicht.
Die Plenardebatten um Verpflichtungskredite werden von den Ab-
geordneten hauptsächlich dazu verwendet, ihre jeweiligen politischen
Standpunkte zu platzieren. Auf einen einzelnen Artikel des jeweiligen
Finanzbeschlusses wird praktisch nie genauer eingegangen.104 Die
durchschnittliche Zustimmung betrug dabei 19 Abgeordnete bzw. 77
Prozent der anwesenden Abgeordneten. Die Abgeordneten haben trotz
(allgemeiner) Kritik alle Verpflichtungskredite der Jahre 2000 bis 2009
mit deutlicher Mehrheit genehmigt.105 Im Jahre 2008 schlugen offene
Verpflichtungskredite mit CHF 369,8 Millionen und im Jahr 2009 mit
CHF 432,4 Millionen zu Buche.
Die hohe Zustimmung zu Verpflichtungskrediten ist kein Resultat
eines Übereinstimmens der Abgeordneten mit der Vorlage. Einerseits
werden dem Landtag auch Verpflichtungskredite vorgelegt, welche we-
nig über ein konkretes Vorhaben aussagen. Andererseits sind die Abge-
ordneten schlichtweg mit der Datenmenge oder der Komplexität der
Vorlage überfordert. Dies brachte der ehemalige Abgeordnete Armin
Meier auf den Punkt: «Aber ich fühle mich ohnmächtig, ich bin nicht in
der Lage, den Nachweis anzutreten, wo, wie eingespart werden könnte.
Das ist für einen Nicht-Fachmann furchtbar schwierig. Ich muss dem
einfach Glauben schenken, dass es keine sinnvollen Einsparungen und
Einschränkungen gibt.»106 Um dieses Gefühl zu beseitigen, müssten die
Abgeordneten eigene Abklärungen tätigen können, wofür ihnen die Zeit
und die Infrastruktur fehlen.107
Im Folgenden wird als Beispiel für eine Plenardebatte zu einem
Verpflichtungskredit die öffentliche Landtagssitzung vom 16. März 2010
272
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
103 Allgäuer, S. 207.
104 LTP der öffentlichen Landtagssitzungen mit den jeweils darin behandelten BuA be-
treffend Verpflichtungs- bzw. Ergänzungskredite in Klammern aus dem Jahr 2008
und 2009: 23.04.2008 (Nr. 27/2008), 24.04.2008 (Nr. 33/2008), 16.09.2008 (Nr.
106/2008), 22.04.2009 (Nr. 11/2009), 16.09.2009 (Nr. 62/2009), 18.11.2009 (Nr.
97/2009), 16.12.2009 (Nr. 112/2009). Am 16.09.2008 wird lediglich Art. 3 des Fi-
nanzbeschlusses konkretisiert (LTP 2008, S. 1663).
105 LTP der Jahre 2000 bis 2009.
106 Der Abgeordnete Armin Meier anlässlich der Kreditgewährung für die Errichtung
des Werkhofes in Triesenberg (LTP 1985, S. 855).
107 Allgäuer, S. 216.
aufgezeigt. Beraten wurde der Bericht und Antrag betreffend den Fi-
nanzbeschluss über die Genehmigung eines Verpflichtungskredites für
die gemeinsame Durchführung des europäischen olympischen Winter-
Jugendfestivals 2015 (EYOF) in Vorarlberg (Österreich) und Liechten-
stein.108
Während der Plenardebatte stellte sich heraus, dass die Regierung
zu diesem Projekt zwar noch kein Geld ausgegeben hatte, jedoch mit
Beschluss der Regierung vom 25. November 2008 bereits die gemein-
same Durchführung des Europäischen Olympischen Winter-Jugendfes-
tivals 2015 mit dem Bundesland Vorarlberg vereinbart und ein gemein-
sames Bewerbungskomitee eingesetzt hatte.109 Diese noch vor der Bewil-
ligung durch den Landtag ergangene Zusage der Regierung zum Projekt
manövrierte den Landtag in eine Zwangssituation, in welcher er dem Fi-
nanzbeschluss nurmehr zustimmen konnte. Eine Zurücknahme von Zu-
sagen gegenüber anderen Staaten stellt für Liechtenstein – auch im Sinne
von Treu und Glauben – keine taugliche Alternative dar. Zudem hätte
eine Nicht-Genehmigung nur eine öffentlichkeitswirksame Rüge der ver-
antwortlichen Regierung ohne faktische Konsequenzen bedeutet.110
Dieses Vorgehen der Regierung kritisierten denn auch einzelne Ab-
geordnete. Stellvertretend für die kritischen Abgeordneten schilderte
Pepo Frick das formale Vorgehen der Regierung wie folgt:
«Die Regierung schreibt in ihrem Bericht und Antrag, dass nun der
richtige Zeitpunkt gekommen sei, um beim Landtag den erforder-
lichen Finanzbeschluss zu erwirken. [. . .] Es sei deshalb die Frage
erlaubt, ob sich der Landtag auch aus Imagegründen erlauben
kann, die Sinnhaftigkeit solcher Veranstaltungen zu hinterfragen
oder sogar noch diesen Verpflichtungskredit abzulehnen. So viel
zum richtigen Zeitpunkt und Ernstnehmen der Volksvertretung,
dem Landtag, welcher schlussendlich doch die Finanzkompetenz
hat.»111
273
Kontrolle der Regierung durch Ausgabenkredite
108 BuA Nr. 4/2010, S. 9 f.
109 BuA betreffend den Finanzbeschluss über die Genehmigung eines Verpflichtungs-
kredites für die gemeinsame Durchführung des europäischen olympischen Winter-
Jugendfestivals 2015 (EYOF) in Vorarlberg und Liechtenstein (BuA Nr. 4/2010, S.
9f).
110 In diesem Sinne Allgäuer, S. 248.
111 LTP 2010, S. 39.
Albert Frick erklärte: «Ich muss hier eindeutig eine Geringschätzung des
Hohen Landtags feststellen. Falls der Landtag von seinem Recht Ge-
brauch macht und den Kredit verweigert, müsste die Bewerbung zu-
rückgezogen werden. Liechtenstein würde sich der Lächerlichkeit preis-
geben und es würde in europäischen Sportkreisen ein Imageschaden von
beträchtlichem Ausmass entstehen.»112 Die Vorlage wurde mit 20 Stim-
men bei 25 anwesenden Abgeordneten angenommen.113
Dieses Beispiel zeigt auf, dass die Regierung dem Landtag zu ge-
nehmigende Verpflichtungskredite zu einem Zeitpunkt vorlegen kann,
bei welchem die Verpflichtung bereits eingegangen ist. Die Regierung
wäre zu einem Umdenken gezwungen, sobald sie befürchten müsste,
dass der Landtag einen Verpflichtungskredit nicht genehmigt. Dabei
fehlt es den Abgeordneten trotz Unzufriedenheit mit Vorlagen am Wil-
len zur Konsequenz.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Landtag an-
hand der Verpflichtungskredite seiner Kontrollfunktion kaum gerecht
werden kann. Dies liegt vor allem an den fehlenden personellen und fi-
nanziellen Ressourcen und der damit systembedingten Zeitnot, Sach-
kundenot und Bewertungsnot.114 Es ist aber auch so, dass die Regierung
vom Landtag die Bewilligung von Krediten begehrt, für welche sie die
Verpflichtung bereits eingegangen ist. Die Einführung eines Parlaments-
dienstes ist auch hier angezeigt.
3.2 Ergänzungskredite
Reicht ein Verpflichtungskredit nicht aus, dann muss die Regierung
beim Landtag einen entsprechenden Ergänzungskredit anfordern (Art.
13 Abs. 5 FHG). Auch bei Ergänzungskrediten spielt die Dringlicher-
klärung des Landtags für die Regierung, welche üblicherweise die
Dringlicherklärung eines Finanzbeschlusses begehrt, eine untergeord-
nete Rolle, weshalb die Regierung bei Ergänzungskrediten die Dring-
lichkeitserklärung nicht begehrt. Damit sind diese Finanzbeschlüsse für
ein Referendum grundsätzlich zugänglich (Art. 66 LV).
274
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
112 LTP 2010, S. 37.
113 LTP 2010, S. 42.
114 Eichenberger, Kontrolle, S. 285.
Die Finanzkommission prüft und begutachtet eine solche Vorlage der
Regierung (Art. 61 Abs. 1, 2 GOLT). Danach behandelt sie das Plenum.
Im Jahre 2008 bestanden offene Ergänzungskredite in Höhe von
CHF 17 Millionen und im Jahr 2009 von CHF 16,2 Millionen.115
Ergänzungskredite sind aufgezwungene Kredite, weil das für den
aufgebrauchten Verpflichtungskredit ausgegebene Geld ohne Ergän-
zungskredit verloren geht, da das Projekt, für welches der Verpflich-
tungskredit genehmigt wurde, aus Geldmangel gestoppt werden müsste.
Will der Landtag aber am Projekt, für das er den Verpflichtungskredit
genehmigt hat, festhalten und damit dem bereits ausgegebenen Geld «ei-
nen Sinn» geben, dann muss er – auch wenn er Kürzungen vornimmt –
den Ergänzungskredit genehmigen. Eine Nicht-Genehmigung eines Er-
gänzungskredits stellt damit kaum eine gangbare Möglichkeit dar. Es ist
demnach nicht erstaunlich, dass der Landtag zwischen 2001 und 2009
alle Ergänzungskredite genehmigte.
Es stellt sich nun die Frage, ob der Landtag mittels der Ergän-
zungskredite die Regierung insoweit kontrolliert, als er das Regierungs-
gebaren öffentlich rügt. Die Plenardebatten des Jahres 2008, in welchen
die Abgeordneten Ergänzungskredite behandelten, zeigen auf, dass diese
ihre politischen Standpunkte platzieren und auf die einzelnen Artikel
des jeweiligen Finanzbeschlusses nicht detailliert eingehen.116 Es ist dem-
nach nicht überraschend, dass diesen Finanzbeschlüssen durchschnitt-
lich 24 Abgeordnete bzw. 95 Prozent zustimmten.117
Weil Ergänzungskredite anfallen, sobald Verpflichtungskredite
nicht ausreichen (Art. 13 Abs. 5 FHG), ist es m. E. zwar vorteilhafter,
Verpflichtungskredite niedrig zu sprechen, obschon kalkulierbare Er-
gänzungskredite fällig werden, als Verpflichtungskredite (zu) hoch zu
budgetieren, da (auch in solchen Fällen) das Geld mit Sicherheit ausge-
geben wird. Die Vermutung, dass eine zu hohe Summe gesprochen
wurde, stünde dann unwiderlegbar im Raum. Dass aber die Verpflich-
tungskredite nicht immer auf sorgfältigen, nach fachmännischen Regeln
275
Kontrolle der Regierung durch Ausgabenkredite
115 Landtag, Regierung und Gerichte 2008, S. 473ff iVm Landtag, Regierung und Ge-
richte 2009, S. 463 ff.
116 LTP der öffentlichen Landtagssitzungen mit den jeweils darin behandelten BuA be-
treffend Ergänzungskredite in Klammern aus dem Jahr 2008 und 2009: 23.04.2008
(Nr. 21/2008), 26.06.2008 (Nr. 84/2008), 27.05.2009 (Nr. 18/2009), 21. 10.2009 (Nr.
75/2009).
117 LTP der Jahre 2000–2009.
erstellten Kostenberechnungen beruhen, wie es das Finanzhaushaltsge-
setz verlangt, liegt nicht am Landtag (Art. 23 Abs. 1 FHG).
Als Beispiel kann ein Ergänzungskredit zur Realisierung eines
multifunktionalen Landeswerkhofes aus dem Jahr 2005 genannt wer-
den. Mit Bericht und Antrag Nr. 47/2005 wurde dem Landtag von der
Regierung die Genehmigung eines Verpflichtungskredites zur Realisie-
rung eines multifunktionalen Landeswerkhofes vorgelegt.118 Die Kos-
tenschätzung belief sich damals auf CHF 3,27 Millionen und wurde von
der Regierung folgendermassen umschrieben: «Dank weitgehender
Vorarbeiten sind die Kosten realistisch ermittelt und mit Richtofferten
abgesichert.»119 Dass aber ein Jahr später für dasselbe Projekt Mehrkos-
ten in der Höhe von CHF 1,4 Millionen anfielen, was eine Fehlein-
schätzung von gut 40 Prozent bedeutet, zeugt von einer fehlerhaften
Budgetierung.120
Der damalige Abgeordnete Heinz Vogt äusserte sich hinsichtlich
des Ergänzungskredits: «Zum Schluss möchte ich noch ergänzen, dass
ich als Landtagsabgeordneter mich auf die zur Verfügung gestellten Un-
terlagen verlassen muss. Im Nachhinein sind Nuancen in der Berichter-
stattung der seinerzeitigen Kostenschätzung mit den Stichworten ‹realis-
tisch ermittelt›, ‹mittels Richtofferten abgesichert› doch vermehrt zu
276
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
118 BuA Nr. 47/2005.
119 BuA Nr. 47/2005, S. 15.
120 BuA Nr. 82/2006, S. 2. In der Zusammenfassung des BuA Nr. 82/2006, S. 2 heisst es:
«In der Sitzung vom 21.09.2005 hat der Landtag zur Realisierung dieses Projektes
einen Verpflichtungskredit von CHF 3 270 000.00 genehmigt. Die Ermittlung der
Investitionskosten erfolgte aufgrund eines Vorprojektes mit einer Kostenschätzung
durch das beauftragte Architekturbüro. Das Hochbauamt überprüfte diese Kosten-
schätzung bezüglich Plausibilität und mit Vergleichskennzahlen. Zusätzlich zur
Kostenschätzung des Architekten wurde eine Bauherrenreserve von ca. CHF
200 000.00 in den Verpflichtungskredit aufgenommen. Nach der Genehmigung die-
ses Verpflichtungskredites wurde ein Bauprojekt ausgearbeitet und ein detaillierter
Kostenvoranschlag erstellt, der Mehrkosten von CHF 1,4 Millionen aufzeigte.
Hochbauamt, Architekt und Nutzer haben in der Folge das Projekt des multifunk-
tionalen Werkhofes auf alle vertretbaren Einsparungsmöglichkeiten analysiert. Das
Projekt wurde verkleinert, das Nutzungskonzept optimiert und der ursprünglich
vorgesehene Ausbau der rheinstrassenseitigen Werkhalle wurde weitgehend wegge-
lassen. Trotz allen Einsparmöglichkeiten und Projektreduktionen verbleiben Mehr-
kosten von CHF 700 000.00, wobei in diesen Kosten die Ausbaukosten von CHF
155 000.00 für das nachträglich hinzugefügte Versteigerungslokal des Landgerichtes
integriert sind.»
hinterfragen und für mich als Aufforderung zu werten, vermehrt das
Ganze nachzufragen.»121 Der damalige Regierungschef Otmar Hasler
entgegnete: «Im Nachhinein hat sich nun gezeigt, dass im Lauf des Pro-
jektes die Anforderungen an dieses Projekt zu Beginn eben nicht sauber
genug geklärt worden waren. [. . .] Aber auch die Absprachen mit dem
Amt für Zivilschutz waren zu Beginn des Projektes – das muss ich heute
zugestehen – zu wenig detailliert.»122
Für den Landtag sind solche Vorlagen untragbar. Die Regierung
verfügt mit ihrem Verwaltungsapparat über die Möglichkeit, Projekte
und Kostenvoranschläge genau zu begutachten und mittels Alternativ-
angeboten zu vergleichen, während die Landtagsabgeordneten als Miliz-
parlamentarier solche Vorlagen nicht detailliert prüfen können. Damit
versagt regelmässig die Kontrolle, weil es den Abgeordneten mit den ih-
nen zur Verfügung stehenden Kontrollinstrumenten und ihrer Infra-
struktur nicht gelingt, das «Gefühl der Ohnmacht und des ‹glauben
müssens› durch eigene Abklärungen zu beseitigen».123 Grund dafür ist
die systembedingte Sachkundenot und Bewertungsnot. Zudem stellt
eine Nicht-Genehmigung eines Ergänzungskredits für die Abgeordne-
ten keine Option dar. Für die Abgeordneten wären auch in dieser Hin-
sicht die Einsetzung eines Parlamentsdienstes oder etwa einer ständigen
«Kommission für Hoch- und Tiefbauten» wirkungsvolle Instrumente,
um in solchen Fällen «verwaltungsunabhängige Abklärungen vorneh-
men zu können».124
3.3 Nachtragskredite
Eine ganz andere Art von Krediten sind Nachtragskredite, welche klar
von Ergänzungskrediten zu unterscheiden sind. Letztere dienen dem
Zweck, einen nicht ausreichenden Verpflichtungskredit aufzufangen und
auszugleichen. Fehlt dagegen für einen notwendigen Aufwand oder für
eine notwendige investive Ausgabe der Kredit oder reicht der im Voran-
277
Kontrolle der Regierung durch Ausgabenkredite
121 LTP 2006, S. 1349.
122 LTP 2006, S. 1349 f.
123 Allgäuer, S. 216.
124 Allgäuer, S. 216.
schlag bewilligte Kredit nicht aus, so ist vor Eingehung der neuen Ver-
pflichtung beim Landtag ein Nachtragskredit einzuholen (Art. 10 Abs. 1
FHG). Die Pflicht der Regierung, dem Landtag Nachtragskredite vor-
zulegen, unterliegt aber etlichen Ausnahmen.125
Die Regierung überweist dem Landtag selten solche Einzelnach-
tragskredite126, sondern bündelt Nachtragskredite zusammen mit Kre-
ditüberschreitungen zu Paketen, zu sogenannten «summarischen Nach-
tragskredit-Sammelvorlagen», und übermittelt diese dem Landtag zur
pauschalen Genehmigung.127 Die summarischen Nachtragskredit-Sam-
melvorlagen haben neben der jeweils betreffenden Jahreszahl eine fort-
laufende römische Zahl. Für das Jahr 2008 wurden von der Regierung
278
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
125 Gemäss Art. 10 Abs. 2 FHG sind Nachtragskredite nicht erforderlich für nach-
weislich teuerungsbedingte Mehraufwendungen und investive Mehrausgaben, nicht
für Zahlungen, die sich aufgrund gesetzlicher Anteile Dritter an bestimmten Erträ-
gen zwingend ergeben, nicht für Kreditüberschreitungen in Höhe von höchstens
CHF 20 000 Franken und nicht bei Kreditüberschreitungen aufgrund gesetzlich
zwingender Auszahlungen von Überzeitarbeit. Hat die Regierung eine notwendige
personelle Doppelbesetzung bei Schwangerschaften von Mitarbeitern, längerer
Krankheit von Mitarbeitern und Überschneidung im Zusammenhang mit Ersatzan-
stellungen vorzunehmen, dann werden auch dies Mehraufwendungen nicht einem
Nachtragskredit unterstellt (Art. 10 FHG). Diese Ausnahmen von der Vorlage-
pflicht waren bereits Bestandteil des Finanzhaushaltsgesetzes von 1974, welches im
Jahr 2010 ausser Kraft gesetzt wurde. Als weitere Ausnahmen kamen dazu: Bei-
tragsleistungen des Landes, die aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder vom
Landtag genehmigter Staatsverträge zwingend ausgerichtet werden müssen, wobei
bei solchen Kreditüberschreitungen über CHF 100 000 die Regierung die Finanz-
kommission des Landtags oder den Landesausschuss informieren muss (Art. 10 lit. f
FHG). Zudem bedarf es keines Nachtragskredits mehr für Kreditüberschreitungen,
denen in der gleichen Rechnungsperiode entsprechende sachbezogene Erträge und
Einnahmen gegenüberstehen (Art. 10 lit. g FHG), und für Projekte, bei welchen sich
aus buchhalterischen Gründen Verschiebungen zwischen der Erfolgsrechnung und
der Investitionsrechnung ergeben, soweit der für das Projekt budgetierte Betrag
nicht überschritten wird (Art. 10 lit. h FHG). Bei Zinsen für kurzfristiges Fremd-
kapital zur Sicherstellung der Zahlungsbereitschaft des Landes (Art. 10 lit. i FHG),
bei Abschreibungen, Wertberichtigungen und Aufwendungen aus Währungsdiffe-
renzen muss die Regierung ebenfalls nicht dem Landtag einen Nachtragskredit vor-
legen (Art. 10 lit. k FHG).
126 Im Jahr 2008 wurde dem Landtag kein einziger, in den Jahren 2000 bis 2009 sieben
solche Einzelnachtragskredite überwiesen. Ihre BuA-Nummern lauten: 31/2002,
23/2003, 51/2003, 64/2003, 61/2004, 43/2007, 11/2009.
127 Obwohl der Begriff «summarische Nachtragskredit-Sammelvorlagen» in keinem
Gesetz aufscheint, wird er von der Regierung in praktisch jedem BuA betreffend die
Bewilligung von Nachtragskrediten und Kreditüberschreitungen verwendet.
acht solche Finanzbeschlüsse (I/2008 bis VIII/2008) als Bericht und
Antrag dem Landtag übergeben.128
Die Regierung verfolgt bei der Bezeichnung der Berichte und An-
träge bzw. der summarischen Nachtragskredit-Sammelvorlagen keine
klare Linie, da dem Landtag solche Finanzbeschlüsse zwischen 2001 und
2009 immer als Bericht und Antrag «betreffend die Bewilligung von
Nachtragskrediten und Kreditüberschreitungen» vorgelegt wurden, und
zwar unabhängig davon, ob tatsächlich Nachtragskredite und Kredit-
überschreitungen Inhalt der Sammelvorlage waren.129 Es ist aber auch
möglich, dass Berichte und Anträge den Titel «betreffend die Bewilli-
gung von Nachtragskrediten» trugen, aber dennoch der Bericht und An-
trag neben Nachtragskrediten auch als solche gekennzeichnete Kredit-
überschreitungen oder gar nur Kreditüberschreitungen beinhaltete.130
Ein Blick in solche Berichte und Anträge zeugt davon, dass – ob-
wohl Art. 10 FHG eindeutig bestimmt, dass «vor Eingehung der neuen
Verpflichtung beim Landtag ein Nachtragskredit einzuholen» (Art. 10
FHG) ist – zum Zeitpunkt des Krediteinholens bei Nachtragskrediten
öfters das Geld bereits ausgegeben bzw. die Verpflichtung bereits einge-
gangen ist.131
279
Kontrolle der Regierung durch Ausgabenkredite
128 Die acht summarischen Nachtragskredit-Sammelvorlagen für das Jahr 2008 mit ih-
ren BuA-Nummern in Klammer: I/2008 (Nr. 11/2008), II/2008 (Nr. 34/2008),
III/2008 (Nr. 84/2008), IV/2008 (Nr. 113/2008), V/2008 (Nr. 123/2008), VI/2008
(Nr. 145/2008), VII/2008 (Nr. 159/2008), VIII/2008 (Nr. 7/2009).
129 Als Beispiel ist der BuA betreffend die Bewilligung von Nachtragskrediten und
Kreditüberschreitungen (VI/2009) zu nennen, welcher nur Nachtragskredite und
keine als solche gekennzeichnete Kreditüberschreitung beinhaltet (BuA Nr.
101/2009, S. 13).
130 BuA «betreffend die Bewilligung von Nachtragskrediten»: Nr. 82/2000, Nr.
95/2000, Nr. 14/2001, Nr. 39/2001, Nr. 43/2001, Nr. 60/2001, Nr. 84/2001, Nr.
23/2002, Nr. 56/2002, Nr. 63/2002, Nr. 85/2002, Nr. 118/2002, Nr. 10/2003, Nr.
52/2003, Nr. 99/2003, Nr. 110/2003, Nr. 13/2004, Nr. 35/2004, Nr. 77/2004, Nr.
92/2004, Nr. 135/2004, Nr. 9/2005, Nr. 23/2005. Unter den selben Titel fallen fol-
gende BuA, obwohl sie nur Kreditüberschreitungen und keine Nachtragskredite be-
inhalten: Nr. 6/2002, Nr. 132/2002, Nr. 9/2003, Nr. 12/2004, Nr. 21/2004. Daneben
gibt es auch BuA, welche nur Kreditüberschreitungen zum Inhalt haben und dies
auch im Titel des BuA ersichtlich ist, wie der BuA Nr. 28/2006 «betreffend die Be-
willigung von Kreditüberschreitungen (VII/2005)».
131 Etwa im Jahr 2008 beantragte die Regierung die Genehmigung eines Nachtragskre-
dites für einzelne Aufwendungen der Öffentlichkeitsarbeit, welche praktisch alle
bereits bezahlt wurden (LTP 2008, S. 3227 iVm BuA Nr. 159/2008, S. 7).
An dieser Stelle werden stellvertretend für andere nur einzelne of-
fensichtliche Beispiele genannt, bei denen die Zahlungen und damit auch
die Verpflichtungen ganz klar vor der Gewährung des Nachtragskredits
durch den Landtag vorgenommen wurden. Als Beispiel kann etwa der
Bericht und Antrag Nr. 99/2003 (V/2003) dienen. Darin begehrte die
Regierung mittels dem Konto «Öffentlichkeitsarbeit» einen Nachtrags-
kredit für die Transportierung eines Tannenbaumes von Liechtenstein
nach Wien anlässlich des Christkindlmarkts in Wien, welche bereits
durchgeführt wurde.132 Ähnlich verhielt es sich auch mit dem Bericht
und Antrag Nr. 82/2000 (V/2000). Der Finanzbeschluss beinhaltete als
Nachtragskredit gestützt auf Art. 11 FHG das Konto «Veranstaltungen
und Repräsentationen (Staatsfeiertag)», wobei der Staatsfeiertag bereits
stattgefunden hatte.133
Bis anhin war immer wieder die Rede von hohen Kosten. Die Fak-
ten sprechen dabei eine eindeutige Sprache: Der Landtag hatte im Jahr
2008 Sammelvorlagen mit einem Gesamtumfang von CHF 56,7 Millio-
nen bewilligt.134 Für das Jahr 2009 waren es CHF 31,3 Millionen, was ei-
nem Anteil von 17,4 Prozent des Staatsdefizits des Jahres 2009, CHF 180
Millionen135, entspricht.136 Diese Summen sind Indiz einer ungenügen-
den Budgetplanung. Dies bestätigt etwa der Bericht und Antrag Nr.
14/2008, mit welchem die Regierung die Bewilligung von Nachtrags-
krediten und Kreditüberschreitungen (VI/2008) von CHF 980 000 be-
gehrte. Gemäss Regierung war dies zum Teil «auf einen Fehler in der
Budgetierung zurückzuführen».137
Allerdings wäre ein Budget, welches ohne Nachtragskredite aus-
kommen würde, nicht zwingend vorteilhafter. Ein solches Budget liesse
unweigerlich die Vermutung aufkommen, dass es zu grosszügig gespro-
chen worden ist. In einer solchen Situation könnte ein knapperes Budget
die Ausgaben höchstwahrscheinlich verringern, weil dann mittels Nach-
280
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
132 LTP 2003, S. 2024 iVm BuA Nr. 99/2003, S. 4 iVm LTP 2003, S. 2023 ff.
133 LTP 2000, S. 1552 iVm BuA Nr. 82/2000, S. 7 iVm LTP 2000, S. 1552 ff.
134 BuA Nr. 7/2009. Diese CHF 56,7 Millionen entsprechen 4,6 Prozent dem Total der
laufenden Rechnung von CHF 1 229 560 247.72 (Landtag, Regierung und Gerichte,
S. 461)
135 Siehe dazu auch die Ausführungen zum BuA Nr. 100/2009 im LTP 2009 (S. 1613)
anlässlich der Finanzplanung 2010–2014.
136 BuA Nr. 25/2010, S. 5
137 BuA Nr. 14/2008, S. 4
tragskredit genau jene Summe zusätzlich verlangt werden kann, welche
für das jeweilige Projekt noch ausstehend ist. Aber 57 bzw. 31 Millionen
Franken müssen als eindeutige Fehlbudgetierungen bezeichnet werden.
Ein Blick in die Plenardebatten zu Nachtragskrediten zeigt auf,
dass die Landtagsabgeordneten aufgrund der sehr zahlreich anfallenden
Nachtragskredite immer wieder ihren Unmut über Kredit-Sammelvor-
lagen äussern. Allen voran der Abgeordnete Harry Quaderer, so etwa
anlässlich der Bewilligung von Nachtragskrediten und Kreditüber-
schreitungen (VIII/2008): «So darf es nicht weitergehen, so kann es
nicht weitergehen. Zulasten der Verwaltungsrechnung 2008 behandeln
wir hier nicht die erste, nein, es ist die achte und Gott Lob und Dank die
letzte Sammelvorlage für das Jahr 2008, welche sage und schreibe 40
Kreditüberschreitungen im Umfang von CHF 6 329 000 umfasst. [. . .]
Ich werde heute keinem Nachtragskredit und keiner Kreditüberschrei-
tung meine Bewilligung erteilen.»138
Trotz jeweils aufgekommener Kritik in den Jahren 2000 bis 2009
wurden alle Nachtragskredite bewilligt.139 Dass im Landtag die Abstim-
281
Kontrolle der Regierung durch Ausgabenkredite
138 LTP 2009, S. 63 iVm BuA Nr. 7/2009
139 Ausser in zwei Fällen wurden zwischen 2000 bis 2009 vom Landtag alle als «Kre-
dite» bezeichneten Geschäfte auch der Höhe nach genehmigt. Die zwei Ausnahmen
sind dabei keine Ausgabenkredite. Der erste Fall betrifft die Ausrichtung eines Son-
derbeitrages an die Pensionsversicherung für das Staatspersonal pro 2005 (BuA Nr.
61/2005), womit sich der öffentliche Landtag am 19.10.2005 beschäftigte. Die Re-
gierung begehrte damit den Kredit betreffend den Sonderbeitrag von 2,5 Prozent
der versicherten Besoldungen des Staatspersonals an die Pensionsversicherung für
das Staatspersonal pro 2005 im Betrag von rund CHF 3,6 Millionen. Der Landtag
beschloss aber 2 Prozent bzw. CHF 2,88 Millionen. Die zweite Ausnahme betrifft
den BuA mit der Nummer 106/2006 und mit dem Titel «Ausrichtung eines Sonder-
beitrages von 2 Prozent der versicherten Besoldungen des Staatspersonals an die
Pensionsversicherung für das Staatspersonal pro 2006», welcher im öffentlichen
Landtag am 22.11.06 behandelt wurde. Dabei beschloss der Landtag einen Kredit in
Höhe von einem Prozent und damit einen Betrag von CHF 1,44 Millionen, statt wie
von der Regierung verlangt zwei Prozent und CHF 2,88 Millionen (LTP 2006, S.
1884). Während diese beiden Kredite die Einzigen waren, welche nicht auch der
Höhe nach genehmigt wurden, wurden auch einige Kredite auf Antrag von Abge-
ordneten erhöht: BuA Nr. 76/2000 mit LTP 2000 (S. 1546) sowie BuA Nr. 47/2003
mit LTP 2003 (S. 889). Bei der Suche nach nicht (der Höhe nach) bewilligten Kredi-
ten war das Schreiben RA 2006/1025–1612 auffällig, welches am 17.05.2006 im
Landtag behandelt wurde (LTP 2006, S. 650). «RA» sind Ressortanträge, die vom je-
weils zuständigen Ressort der Kollegialegierung zur Beschlussfassung vorgelegt
werden (Art. 5 VO Regierung). Diese Beschlüsse sind nicht öffentlich. Der genannte
RA befasste sich mit der Abänderung der Entschädigungsregelung für die Stellver-
mungen über Nachtragskredite entgegen den Erwartungen nicht knapp
ausfielen, bezeugen die Zahlen aus den Jahren 2008 und 2009, als im
Durchschnitt 22 Abgeordnete oder 89 Prozent einem solchen Finanzbe-
schluss zustimmten.140
Auch wurden in den Jahren 2000 bis 2009 lediglich zwei «Nach-
tragskredite und Kreditüberschreitungen» dem Referendum zugänglich
gemacht, während alle anderen, wie es jedesmal von der Regierung ver-
langt wurde, für dringlich erklärt wurden und damit dem Volksentscheid
entzogen waren.141 Ein Entzug des Referendumsrechts ist bei ungebun-
denen Ausgaben aus (direkt-)demokratischer Sicht problematisch, weil
bei Finanzbeschlüssen auch eine Initiative im Sinne des «unechten Refe-
rendumsrechts» nicht angestrengt werden kann.142 Dadurch ist für das
Volk ein vom Landtag für dringlich erklärter Ausgabenkredit nicht an-
fechtbar.
Der Landtag kann das Dilemma dadurch lösen, indem er Vorlagen
zu Nachtragskrediten die Dringlichkeit versagt. Selbstverständlich ist je-
der Finanzbeschluss, sei es ein einzelner Nachtragskredit oder eine sum-
marische Nachtragskredit-Sammelvorlage, individuell zu prüfen und be-
treffend der effektiven Dringlichkeit zu beurteilen, doch stellt in der
Praxis auch die um 30 Tage verzögerte Rechtskraft (Referendumsfrist)
282
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
treter der Vorsitzenden sowie für die rechtskundigen Beisitzer der drei Senate des
Obergerichtes. Das Problem hierbei ist die Tatsache, dass in diesem Fall der Land-
tag den Inhalt eines RA genehmigt hat, obwohl rechtlich nur die Regierung über ein
RA rechtsverbindlich abzustimmen hat (Art. 23 VO Regierung). Siehe dazu auch
BuA Nr. 34/2003 und LTP 2003, S. 563.
140 In den Jahren 2008 und 2009 wurden 18 «Nachtragskredite und Kreditüberschrei-
tungen» im Plenum behandelt. Sie trugen folgende Nummern: Nr. 10/2008, Nr.
11/2008, Nr. 34/2008, Nr. 35/2008, Nr. 84/2008, Nr. 113/2008, Nr. 123/2008, Nr.
145/2008, Nr. 159/2008, Nr. 7/2009, Nr. 8/2009, Nr. 11/2009, Nr. 26/2009, Nr.
39/2009, Nr. 60/2009, Nr. 77/2009, Nr. 101/2009, Nr. 109/2009.
141 Die Voraussetzungen, unter denen ein Finanzbeschluss der Volksabstimmung un-
terliegt, wird unter III.C. oder in Art. 66 Abs. 1 LV (LGBl 1921, Nr. 15) erläutert.
Der erste BuA seit dem Jahr 2000, welchem die Dringlichkeit entsagt wurde, trug
die Nummer 13/2001 und den Titel «Genehmigung eines Ergänzungskredites und
einer Kreditüberschreitung für die Teilnahme an der EXPO 2000 in Hannover».
Der zweite lautete «Genehmigung eines Nachtragskredits zur Durchführung von
Veranstaltungen des London Philharmonic Orchestra im Rahmen des Gedenkpro-
grammes zum 100. Todestag von Josef Gabriel Rheinberger» und trug die Nummer
26/2001. Es wurde allerdings in keinem Fall das Referendum ergriffen.
142 Dies wird oben unter III.D.2.2. ausführlicher dargestellt.
selten ein relevantes Problem dar. Auch in Bezug auf den Jahreswechsel
ist die 30-Tage-Frist unproblematisch, da die Regierung schon jetzt dem
Landtag die letzte Sammelvorlage für ein bestimmtes Jahr zumeist erst
im nachfolgenden Jahr zur Genehmigung vorlegt.143
Wie erläutert, präjudiziert die Regierung ohne Genehmigung des
Landtags Finanzbeschlüsse, indem sie das Geld vor der Genehmigung
durch den Landtag ausgibt oder bereits die Verpflichtung eingeht.
Würde aber der Landtag ex post einen solchen von der Regierung ex ante
ausgegebenen Ausgabenkredit missbilligen, dann ändert dies nichts an
den vollendeten Tatsachen, weil durch die Zahlung die Verpflichtung der
Regierung bereits erfüllt wäre.144 Eine Nichtgenehmigung «würde bloss
eine Rüge der verantwortlichen Regierung bedeuten».145 Die rechtlich
identischen Folgen wie bei einer Nicht-Genehmigung eines präjudizier-
ten Nachtragskredites durch den Landtag würde ein erfolgreiches Volks-
referendum über einen Kredit darstellen, bei dem die Regierung das
Geld bereits ausgegeben hat bzw. die Verpflichtung eingegangen ist.
Abschliessend ist feszuhalten, dass Finanzbeschlüssen – wenn
möglich – die Dringlichkeit versagt werden sollte, um dem Volk die
Möglichkeit eines Referendums zu eröffnen. Zudem wäre es von Vorteil,
wenn die Abgeordneten im Plenum beantragen könnten, über jedes
Konto einzeln abzustimmen.146 Dann könnten die Abgeordneten die für
sie stossenden Konti nicht genehmigen, ohne die Genehmigung anderer,
etwa gebundene Ausgaben betreffende Konti, zu gefährden.
3.4 Kreditüberschreitungen
Art. 11 Abs. 1 FHG bestimmt den Anwendnungsbereich der Kredit-
überschreitungen:
«Ertragen Aufwände oder investive Ausgaben, für die im Voran-
schlag kein oder kein ausreichender Kredit bewilligt ist, keinen
Aufschub, so kann sie die Regierung beschliessen. Dies ist insbe-
sondere der Fall bei dringlichen Vorhaben, wenn der Aufschub für
283
Kontrolle der Regierung durch Ausgabenkredite
143 Siehe stellvertretend für andere Jahre LTP 2009, S. 63.
144 Befragung Wolff.
145 Allgäuer, S. 248.
146 Allgäuer, S. 249.
das Land nachteilige Folgen hätte und bei Ausgaben, die sich auf
einen rechtskräftigen Entscheid eines Gerichts stützen.»
Kreditüberschreitungen sind keine Kredite (Art. 4 Abs. 3). Sie werden
von der Regierung bei nächster Gelegenheit nicht mehr dem Gesamt-
landtag, sondern nur der Finanzkommission des Landtags oder dem
Landesausschuss zur Kenntnis gebracht (Art. 11 Abs. 2 FHG).147
Die Regierung kann aus drei Gründen Kreditüberschreitungen ein-
gehen: Erstens bei unvorhersehbaren Ereignissen oder Vorfällen, zum
Beispiel bei Unwetter. Zweitens, wenn keine oder eine zu geringe Bud-
getierung vorgenomen wurde und drittens aufgrund der zeitlichen Ab-
folge bei Jahresabschlüssen.148 Alle Fälle setzen voraus, dass entweder
284
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
147 Die Regierung begründete diesen Schritt im BuA zum Finanzhaushaltsgesetz fol-
gendermassen: «Die Regierung strebt mit ihrem Vorschlag, Kreditüberschreitungen
nicht mehr dem gesamten Landtag vorzulegen, weniger eine Erleichterung für sich
selbst sondern vielmehr eine Entlastung des Landtags an. Der Prozess für die Re-
gierung resp. die Verwaltung von der Feststellung einer Kreditüberschreitung bis
zum Genehmigungsantrag an den Landtag unterscheidet sich nicht oder nur ver-
nachlässigbar, wenn eine solche nur noch der Finanzkommission zur Kenntnis ge-
bracht werden muss. Der einzige Unterschied liegt darin, dass das Geschäft nicht
mehr an einer Landtagssitzung sondern vor der Finanzkommission vertreten wer-
den muss. Für den Landtag als Institution jedoch sieht die Regierung sehr wohl eine
Entlastung, wenn nicht mehr alle Abgeordneten sich mit Kreditüberschreitungen
befassen müssen, kein Finanzbeschluss mehr gefasst werden muss, usw. Im Ver-
gleich zu den an die Finanzkommission delegierten Kompetenzen im Bereich von
Liegenschaftsgeschäften erscheint der Regierung eine Verlagerung dieses Aufgaben-
bereichs in die Finanzkommission als sehr deutlich weniger gewichtig» (BuA Nr.
121/2008, S. 90 f.).
148 «Mit der bereits beschriebenen Änderung in Bezug auf die Umschreibung von
Nachtragskrediten wird jedoch deutlich, dass es sich bei Kreditüberschreitungen
um Mehrausgaben handelt, bei welchen dem Landtag kein Handlungsspielraum
mehr zukommt. Dies ist in erster Linie bei zeitlicher Dringlichkeit von Ausgaben
der Fall, wie es Art. 12 a FHG bereits heute festhält. Zeitliche Dringlichkeit entsteht
bei unvorhersehbaren Ereignissen oder Vorfällen, wie z. B. Unwettern. Realisti-
scherweise können Kreditüberschreitungen aber auch eintreten, ohne dass das Kri-
terium der zeitlichen Dringlichkeit erfüllt ist, nämlich einerseits, wenn ein Aspekt
bei der Budgetierung nicht oder zuwenig berücksichtigt oder unterschätzt wurde.
Wenn in diesem Fall eine Kompensationsmöglichkeit innerhalb der gleichen Kre-
ditposition nicht möglich ist, entsteht eine Überschreitung des bewilligen Voran-
schlagskredits. [. . .] Ein anderer Grund für eine Kreditüberschreitung kann die zeit-
liche Abfolge im Rahmen des Jahresabschlusses der Landesrechnung darstellen.
Viele Ausgabenpositionen werden nach Jahresende zu Lasten des vergangenen Jah-
res abgerechnet» (BuA Nr. 121/2008, S. 84).
ein Gerichtsentscheid vorliegt oder für Liechtenstein nachteilige Fol-
gen149 entstehen.
Die Bestimmung des Art. 11 FHG ist für den Landtag nicht un-
problematisch. Einerseits kann er Kreditüberschreitungen nicht mehr
öffentlich rügen, da sie nurmehr der Finanzkommission vorgelegt wer-
den. Andererseits liegt es im Ermessen der Regierung, ob eine Dring-
lichkeit oder nachteilige Folgen für Liechtenstein entstehen. Dieses Er-
messen können der Landtag und auch die Finanzkommission nicht be-
einflussen oder öffentlich rügen. Damit kann der Landtag die Regierung
anhand von Kreditüberschreitungen kaum kontrollieren.
Es ist wenig überraschend, dass der Landtag im Zeitraum
2000–2009 sämtliche Kreditüberschreitungen genehmigt hat. Da diese –
ausser im Falle von vier Vorlagen – zwischen 2000 und 2009 immer als
Sammelvorlage zusammen mit Nachtragskrediten zur pauschalen Ge-
nehmigung dem Landtag vorgelegt wurden, kann nicht differenziert
werden, welche Zustimmung Kreditüberschreitungen und welche
Nachtragskredite erhalten haben. Insgesamt stimmten durchschnittlich
22 Abgeordnete oder 88 Prozent der anwesenden Abgeordneten solchen
Finanzbeschlüssen zu.150
Eine der vier Kreditüberschreitungen, welche die Regierung nicht
als Sammelvorlage in den Landtag brachte151, hat der Landesausschuss
genehmigt.152 Die anderen drei hat der Landtag einzeln beraten. Dabei
stimmten ebenfalls durchschnittlich 22 Abgeordnete oder 88 Prozent
zu.153 Damit scheint zwischen der Zustimmung zu Sammelvorlagen und
zu Kreditüberschreitungen kein Unterschied zu bestehen, weil beide Ar-
ten von Finanzbeschlüssen jeweils eine hohe Zustimmung erhalten.
285
Kontrolle der Regierung durch Ausgabenkredite
149 Der Terminus «nachteilige Folgen» wird weder im BuA Nr. 121/2008 noch in den
entsprechenden Landtagsprotokollen (LTP 2008, S. 1808 bzw. LTP 2008, 3073 ff.)
definiert.
150 In den Jahren 2008 und 2009 wurden 18 «Nachtragskredite und Kreditüberschrei-
tungen» im Plenum behandelt. Sie trugen folgende Nummern: Nr. 10/2008, Nr.
11/2008, Nr. 34/2008, Nr. 35/2008, Nr. 84/2008, Nr. 113/2008, Nr. 123/2008, Nr.
145/2008, Nr. 159/2008, Nr. 7/2009, Nr. 8/2009, Nr. 11/2009, Nr. 26/2009, Nr.
39/2009, Nr. 60/2009, Nr. 77/2009, Nr. 101/2009, Nr. 109/2009.
151 BuA Nr. 2001/13, BuA Nr. 2005/1, BuA Nr. 2006/13, BuA Nr. 2006/28.
152 BuA Nr. 2005/1, S. 33.
153 LTP 2001, S. 76 (BuA Nr. 13/2001), LTP 2006, S. 114 ff. (BuA Nr. 13/2006), LTP
2006, S. 467 ff.
Da seit Inkrafttreten des neuen Finanzhaushaltsgesetzes Ende 2010
der Landtag Kreditüberschreitungen nicht mehr öffentlich vom Landtag
genehmigt, sondern von der Finanzkommission zur Kenntnis genom-
men werden, sind in Zukunft solche Vergleiche nicht mehr möglich.
4. Vom Landtag eingesetzte Kontrollorgane
Es ist nicht ausreichend, sich ein Bild vom Landtag lediglich aufgrund
von Plenarsitzungen zu machen. Dies führt zwangsläufig zu falschen
Vorstellungen über die Arbeitsweise und den Arbeitsumfang des Parla-
ments. Ein Teil der parlamentarischen Kontrolle «findet den Weg ins
Plenum bloss teilweise oder überhaupt nicht».154
Der Landtag kann neben den direkt dem Landtag zur Verfügung
stehenden Kontrollinstrumenten Kontrollorgane einsetzen. Diese
«Hilfsorgane»155 des Landtags sind keinesfalls als subsidiär zu betrach-
ten, da sie grossen Anteil an der parlamentarischen Kontrolle der Regie-
rung haben. Sie verrichten für den Landtag wertvolle Arbeit, indem sie
etwa Geschäfte vorprüfen oder Informationen liefern, auf deren Grund-
lage das Plenum entscheidet. An dieser Stelle werden die parlamentari-
schen Kommissionen insoweit dargestellt, als sie dem Landtag als Kon-
trollorgan für die Regierungskontrolle dienen.
Unter den ständigen Kommissionen sind primär die Geschäftsprü-
fungskommission und die Finanzkommission bedeutsam. Dazu tritt als
weitere ständige Kommission die Aussenpolitische Kommission, wäh-
rend der Landtag bei Bedarf Untersuchungskommissionen als Kontroll-
instrumente bestellen kann.
Indem weder die Kommissionsstizungen, noch die Protokolle die-
ser Sitzungen öffentlich sind, und damit eine genaue inhaltliche Darstel-
lung nicht möglich ist, konzentrieren sich die folgenden Erläuterungen
primär auf die Darstellung der rechtlichen Kompetenzen dieser Kom-
missionen.
286
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
154 Allgäuer, S. 303.
155 Eichenberger, Oberaufsichtsrecht, S. 18 ff.
4.1 Geschäftsprüfungskommission
Art. 63 Abs. 1 LV, Art. 58 GOLT bestimmt:
«Dem Landtag steht das Recht der Kontrolle über die gesamte
Staatsverwaltung unter Einschluss der Justizverwaltung zu. Der
Landtag übt dieses Recht unter anderem durch eine von ihm zu
wählende Geschäftsprüfungskommission aus.»
Die Geschäftsprüfungskommission nimmt die Oberaufsicht über die
Geschäftsführung von Regierung und Verwaltung unter Einschluss der
Justizverwaltung wahr (Art. 23 Abs. 1 VwKG). Dabei obliegt ihr gemäss
Geschäftsordnung insbesondere die Prüfung der Jahresrechnung und
des Rechenschaftsberichts sowie die Ämterprüfung (Art. 62 Abs. 2
GOLT, Art. 23 Abs. 3 VwKG). Zudem erledigt sie gemäss VwKG «be-
sondere Aufgaben gemäss konkreten Aufträgen des Landtags» (Art. 23
Abs. 3 lit. c VwKG). Die Geschäftsprüfungskommission hat folgende
Grundsätze zu beachten: Bei der Geschäftsprüfung Rechtmässigkeit,
Zweckmässigkeit, Zielkonformität, Leistungsfähigkeit und Wirksam-
keit; bei der Finanzaufsicht Ordnungsmässigkeit, Rechtmässigkeit und
Wirtschaftlichkeit (Art. 23 Abs. 2 VwKG).
In der aktuellen Legislaturperiode 2009–2013 besteht die Ge-
schäftsprüfungskommission aus fünf Mitgliedern (Art. 63 Abs. 1 LV,
Art. 58 GOLT). Sie übt die Kontrolle nach Massgabe der Verfassung und
des «Gesetzes über den Geschäftsverkehr des Landtags und die Kon-
trolle der Staatsverwaltung» (VwKG) aus (Art. 62 Abs. 1 GOLT, Art. 22
ff. VwKG).
In der Wahrnehmung ihrer Aufgaben hat die Geschäftsprüfungs-
kommission das Recht, «von allen Behörden, Amtsstellen und Kommis-
sionen der Staatsverwaltung, von den vom Land getragenen Schulen so-
wie von Organen öffentlicher Unternehmen Auskünfte einzuholen»
(Art. 25 Abs. 1 VwKG) und darüber hinaus von der Regierung alle Ak-
ten der Verwaltung zur Einsicht zu verlangen (Art. 25 Abs. 2 VwKG).156
287
Vom Landtag eingesetzte Kontrollorgane
156 Davon sind Unterlagen ausgenommen, die unmittelbar der Entscheidungsfindung
der Regierung dienen. AbS. 3 bestimmt: «Soweit es zur Wahrung eines Amtsge-
heimnisses, zur Wahrung schutzwürdiger persönlicher Interessen oder aus Rück-
sicht auf ein noch nicht abgeschlossenes Verfahren unerlässlich ist, kann die Regie-
rung anstelle der Herausgabe von Akten einen besonderen Bericht erstatten. Genügt
Denn erst wenn die Geschäftsprüfungskommission gegenüber dem Ple-
num einen «Wissensvorsprung»157 hat, kann sie effektiv als dessen Hilfs-
organ aufreten und ihre Informationen an den Landtag weitergeben.
Damit untersteht die Geschäftsprüfungskommission mit ihren oh-
nehin quantitativ beschränkten Ressourcen einer unvorteilhaften Hol-
Schuld. So haben die Mitglieder der Geschäftsprüfungskommission über
ihre Arbeit im Milizparlament hinaus grossen Aufwand zu verrichten,
dem sie kaum genügen können. Für die Geschäftsprüfungskommission
bedeutet dies, dass sie nicht die gesamte Staatsverwaltung unter Ein-
schluss der Justizverwaltung kontrollieren kann und auf externe Hin-
weise angewiesen ist. Das heisst, die Geschäftsprüfungskommission
prüft retrospektiv und neben der Landesrechnung grundsätzlich nur
Geschäfte, deren vermeintliche Missstände, etwa durch «Presseartikel,
Gerüchte oder Briefe»158 an sie herangetragen werden. Gemäss Wasch-
kuhn agiert die Geschäftsprüfungskommission im «politisch luftleeren
Raum», eine Entscheidungshilfe für das Plenum oder grundsätzliche
Anstösse in der politischen Praxis seien kaum zu erwarten.159
Auch die Abgeordneten äussern ihre Unzufriedenheit mit der Ge-
schäftsprüfungskommission. Der Abgeordnete Pepo Frick: «Aber ich
weiss auch von anderen Mitgliedern der letzten Geschäftsprüfungskom-
mission-Institutionen, die haben sich nicht wohlgefühlt, weil der Unter-
bau nicht gut ist. Und Sie haben es wunderbar gesagt: Die hecheln ir-
gendwo. Sie machen nicht den Plan, was geschieht, sondern sie erfüllen
irgendwelche Aufgaben, die von aussen zugetragen werden.»160 Und
selbst der Regierungschef Klaus Tschütscher hinterfragt die Kontrollfä-
higkeit der Geschäftsprüfungskommission: «Die Geschäftsprüfungs-
kommission, als verlängerter Arm des Landtages für diese Aufgabe,
möchte natürlich diese Aufgabe auch gewissenhaft und korrekt vorneh-
men, nur habe ich Zweifel daran, ob diese Geschäftsprüfungskommis-
sion mit ihren heutigen Ressourcen dazu in der Lage ist. Hierzu muss
m.E. ein nötiger Unterbau geschaffen werden.»161
288
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
dieser Bericht der Geschäftsprüfungskommission nicht, hört sie die Regierung an»
(Art. 25 AbS. 3 VwKG).
157 Eichenberger, Oberaufsicht, S. 20.
158 Allgäuer, S. 306.
159 Waschkuhn, 1994, S. 152
160 LTP 2009, S. 890.
161 LTP 2009, S. 877 ff.
Im Folgenden werden vor diesem Hintergrund die einzelnen Kon-
trollkompetenzen der Geschäftsprüfungskommission kurz erläutert.
Die Ämterprüfung erfolgt hinter geschlossenen Türen und wird
nur im nichtöffentlichen Landtag behandelt, denn dort «werden haupt-
sächlich vertrauliche Themen diskutiert und behandelt, wie beispiels-
weise die [. . .] Ämterprüfungen».162
Die Geschäftsprüfungskommission legt zu Jahresbeginn fest, wel-
che Ämter geprüft werden sollen. Dabei hat die Geschäftsprüfungskom-
mission das Ziel, dass «jedes Amt einmal innert vier Jahren besucht wer-
den sollte».163 Die Ämterprüfung kann gemäss Allgäuer folgendermas-
sen zusammengefasst werden:
«Im besuchten Amt referiert zunächst der Amtsleiter [. . .]. In vie-
len Fällen äussert sich der Amtsleiter zu den Rechtsvorschriften in
seinem Bereich und bringt Anregungen und Wünsche vor. [. . .] Am
Schluss der Prüfung besichtigt und beurteilt die Geschäftsprü-
fungskommission zusammen mit dem Amtsleiter jeweils die
Räumlichkeiten. Schriftführer der Kommission ist der Vertreter
der Parlamentsminderheit. Er hält in einem Protokoll die Ergeb-
nisse der Prüfung fest. [. . .] Die Protokolle geben grösstenteils die
Ausführungen des Amtsleiters wieder. Eine Eigenleistung der
Kommission kann in manchen Aufzeichnungen nicht erkannt wer-
den. In vielen Protokollen identifiziert sich die Geschäftsprüfungs-
kommission mit den Beurteilungen und Wünschen des Chefbeam-
ten und nur selten wird Kritik geübt.»164
Allgäuer zitiert zur Ämterprüfung Abgeordnete, die sie als «Alibi-
übung», als «reine Farce» oder als «keine richtige Kontrolle» bezeich-
nen.165 Damit hat die Ämterprüfung nicht die Funktion einer Kon-
trolle.166
Die Jahresrechnung und der Rechenschaftsbericht werden dagegen
nach einer Überprüfung durch die Geschäftsprüfungskommission im
öffentlichen Landtag behandelt. Es wird dort ersichtlich, dass die Ge-
289
Vom Landtag eingesetzte Kontrollorgane
162 Landtag, Regierung und Gerichte, 2009, S. 10.
163 Allgäuer, S. 306.
164 Allgäuer, S. 309 ff.
165 Allgäuer, S. 317.
166 Allgäuer, S. 317.
schäftsprüfungskommission Jahresrechnung und Rechenschaftsbericht
nicht voneinander getrennt, sondern gemeinsam aufgrund fiskalischer
Kriterien prüft. Deshalb findet die eigentliche Kontrolle und Bewertung
des Rechenschaftsberichts nicht statt.167 Es wäre aber angebracht, wenn
die Geschäftsprüfungskommission den Rechenschaftsbericht losgelöst
von der Landesrechnung effektiv prüfen würde. Hinsichtlich der Lan-
desrechnung fehlt es der Geschäftsprüfungskommission an Sachkompe-
tenz. Dies ist nicht weiter erstaunlich, da sie in den wenigen Stunden der
Rechnungsprüfung den Finanzexperten der Regierung ausgeliefert
sind.168 Auch Heeb führt die mangelnde Einflussmöglichkeit auf den
Zeitdruck und das zum Teil fehlende Fach- und Hintergrundwissen in
der Geschäftsprüfungskommission zurück, weil auch durch die «weit-
gehende Identifikation der Kommissionsberichte mit den Informatio-
nen, Anliegen und Beurteilungen der Amtsleiter kein kritisches Urteil
zulassen».169
Die speziellen, der Geschäftsprüfungskommission vom Landtag
zugetragenen Aufgaben halten sich in Grenzen. Denn zwischen dem
Jahr 2000 und 2009 hat der Landtag der Geschäftsprüfungskommission
(öffentlich) keine solchen speziellen Aufgaben überwiesen.170
Zusammenfassend ist die Reformbedürftigkeit der Geschäftsprü-
fungskommission offensichtlich, weil sie nur geringe Steuerungs- und
Kontrollmöglichkeit hat.171 Um die Geschäftsprüfungskommission zu
stärken, bieten sich mehrere Möglichkeiten an. Sie kann quantitativ
durch Erhöhung ihrer Mitgliederzahl oder qualitativ durch den Mitein-
bezug eines Parlamentsdienstes gestärkt werden. Durch Letzteres würde
sie in gewissem Masse professionalisiert, wodurch die Geschäftsprü-
fungskommission die gesamte Staatsverwaltung unter Einschluss der
Justizverwaltung besser kontrollieren könnte. Dagegen wäre eine perso-
nelle Verstärkung eine andere Möglichkeit, was allerdings nur mit einer
Erhöhung der Abgeordnetenzahl einhergehen kann.172 Dies führt zu ei-
ner Verteilung der Arbeit auf mehrere Köpfe, wodurch die Wahrneh-
290
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
167 Allgäuer, S. 383; Befragung Batliner.
168 Allgäuer, S. 317.
169 Heeb, S. 222.
170 LTP 2009–2010.
171 Heeb, S. 222.
172 Diese Thematik wird ausführlich unter IV.A.2. dargestellt.
mung der Aufgaben erhöht werden kann.173 Es drängt sich aber die Ver-
knüpfung beider Massnahmen auf.
Es wird zudem vorgeschlagen, die Hol-Schuld der Geschäftsprü-
fungskommission in eine Bring-Schuld der Regierung zu wandeln. So
könnte die Regierung verpflichtet werden, für jedes Quartal einen Be-
richt im Sinne eines «kleinen Rechenschaftsberichts» anzufertigen. Die
Geschäftsprüfungskommission wäre für die Genehmigung zuständig
und müsste bei Misswirtschaft eines Ressorts bzw. der Regierung das
Plenum unterrichten. Dieses oder die Geschäftsprüfungskommission
selbst müsste dann über das weitere Vorgehen befinden. In der Konse-
quenz bedeutet dies für den Landtag zwar ein Mehraufwand, doch da-
mit wäre er dauernd in das Finanzgebaren der Regierung involviert und
hätte dadurch ein erhöhtes Kontroll- und Steuerungspotential.
4.2 Finanzkommission
Die Finanzkommission wird in der Verfassung lediglich einmal erwähnt:
«Der Landtag bestellt eine Finanzkommission, der durch Gesetz auch
die Beschlussfassung über den Erwerb und die Veräusserung von
Grundstücken des Verwaltungs- und des Finanzvermögens sowie die
Mitwirkung bei der Verwaltung des Finanzvermögens übertragen wer-
den können.» (Art. 63ter LV)
Gemäss Geschäftsordnung prüft und begutachtet sie «die Voran-
schläge des Staates und der sonstigen Körperschaften, der Anstalten öf-
fentlichen Rechts sowie der staatlichen Betriebe. Ausgenommen sind die
Gemeinden» (Art. 61 Abs. 1 GOLT) sowie sämtliche «Vorlagen über
Kredite, Bürgschaften, Anleihen des Staates, Kauf und Verkauf von Lie-
genschaften, Ausführung von Staatsbauten, Gewährung ausserordentli-
cher Beiträge und Unterstützungen» (Art. 61 Abs. 2 GOLT). Dazu legt
die Regierung der Finanzkommission «sämtliche Vorlagen, für die sie
zuständig ist, rechtzeitig zur Überprüfung vor. Die Kommission über-
mittelt ihre Stellungnahmen und Entscheidungen allen Landtagsabge-
ordneten sowie der Regierung» (Art. 18 VwKG).
291
Vom Landtag eingesetzte Kontrollorgane
173 Siehe dazu auch Allgäuer, S. 318.
Zu diesen der Finanzkommission seit Jahren obliegenden Kompe-
tenzen traten durch das neue Finanzhaushaltsgesetz im Jahr 2010 neue
Aufgaben. Die Regierung hat bei Kreditüberschreitungen als Nachtrags-
kredite von über CHF 100 000 die Finanzkommission des Landtags –
oder den Landesausschuss – zu informieren (Art. 10 Abs. 1 lit. f FHG).
Die Finanzkommission hat diese lediglich zur Kenntnis zu nehmen.
Eine Kontrolle im eigentlichen Sinn kann daher nicht stattfinden. Das-
selbe gilt für Kreditüberschreitungen gemäss Art. 11 FHG, welche die
Regierung dem Landtag ebenfalls nur zur Kenntnis zu bringen hat (Art.
11 Abs. 2 FHG).
Zustimmungskompetenz hat die Finanzkommission bei Finanzge-
schäften der Regierung, die den Erwerb und die Veräusserung sowie die
Belastung von Grundstücken mit sonstigen dinglichen Rechten bezwe-
cken: Einerseits bei Verwaltungsvermögen, soweit solche Geschäfte die
Finanzreferendumsgrenze nicht überschreiten, andererseits bei Finanz-
vermögen, soweit die Geschäfte den Betrag von CHF 1 000 000 über-
schreiten (Art. 31 lit. e FHG, Art. 61 Abs. 3 GOLT). Zudem erlässt die
Regierung im Einvernehmen mit der Finanzkommission Richtlinien
über die Rahmenziele und Strategien sowie über die Zuständigkeiten
und Organisation der Vermögensverwaltung (Art. 33 Abs. 2 FHG).
Die Finanzkommission nimmt ihre Aufgaben vorlagengebunden
und ex ante wahr.174 Das heisst, dass die Regierung ihr Vorlagen über-
mitteln muss, noch bevor eine Verpflichtung eingegangen ist. Zudem
scheint die Finanzkommission gemäss Allgäuer «nicht befugt zu sein,
aus eigenem Antrieb tätig zu werden oder eine mitschreitende Kontrolle
im Sinne einer ständigen Überprüfung des Finanzgebarens wahrzuneh-
men».175
Allerdings scheint auch die Finanzkommission ungenügend und
verspätet informiert zu werden. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen. Die
Finanzkommission hat im Jahr 2008 den Voranschlag 2009 der Finanz-
marktaufsicht Liechtenstein geprüft. Dieser Voranschlag enthielt keinen
Hinweis auf einen bevorstehenden Mietvertag der Finanzmarktauf-
sicht.176 Am 19. November 2008 stimmte der Landtag dem Voranschlag
292
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
174 Allgäuer, S. 324.
175 Allgäuer, S. 324.
176 LTP 2009, S. 1658 ff.
zu.177 Erst dem Geschäftsbericht der Finanzmarktaufsicht im folgenden
Jahr konnten die Abgeordneten entnehmen, dass die Finanzmarktauf-
sicht einen Mietvertrag, unkündbar auf 20 Jahre, unterschrieben habe.178
Es stellte sich aber im Nachhinein heraus, dass auch zu diesem Zeitpunkt
kein Mietvertrag, sondern nur ein Vorvertrag bestand.179 Wiederum
mussten die Abgeordneten eine Kleine Anfrage stellen, um mehr darü-
ber zu erfahren.180
Allgäuer betitelte bereits 1989 das Gebaren der Finanzkommission
als «Schwäche der Kontrollfunktion».181 Zudem wurde damals die Kon-
trollfunktion der Finanzkommission von ehemaligen Abgeordneten
sehr kritisch beurteilt: «Sie sprachen von ‹Pflichtübung›, Alibiübung›
oder ‹Zeitverlust› und bezeichneten sie als ‹nutzlos› oder ‹verzicht-
bar›.»182 Obwohl sich seitdem die personellen Ressourcen und die Infra-
struktur der Finanzkommission nicht geändert haben, wurde ihr Aufga-
benbereich im Jahr 2010 noch vergrössert. Es scheint mehr als fraglich,
ob sie ihre Aufgaben erfüllen kann.
Es ist demnach wenig erstaunlich, dass auch die Abgeordneten der
Legislaturperiode 2009–2013 in den Plenardebatten immer wieder er-
wähnen, wie schwierig sich die Arbeit der Finanzkommission gestaltet.
So bemerkte der Abgeordnete Pepo Frick, dass die Finanzkommission
zwar jederzeit ein Kontroll- und Auskunftsrecht über sämtliche Aktivi-
täten der Regierung verfügt. «Jedoch, sie bewegen sich in der heutigen
293
Vom Landtag eingesetzte Kontrollorgane
177 LTP 2009, S. 1695.
178 LTP 2009, S. 225.
179 Der Abgeordnete Johannes Kaiser: «Der Landtag wurde weiter getäuscht, da der
Landtag ab dem Mai 2009 im Glauben gelassen wurde, der horrende Mietvertrag
von CHF 1,8 Mio. pro Jahr – umgerechnet macht dies CHF 5000 jeden Tag – sei de-
finitiv. Stattdessen wurde der Mietvertrag erst nach der Juni-Landtagssitzung vor
dem Beginn der Sommerpause dieses Jahres am 01.07.2009 offiziell und definitiv un-
terzeichnet, und zwar unkündbar auf 20 Jahre mit total CHF 36 Millionen» (LTP
2009, S. 2658).
180 Dies ist Antwort auf eine kleine Anfrage des Abgeordneten Johannes Kaiser vom
16.03.2010: «Der neue Aufsichtsrat hat die Situation mit Bezug auf den Mietvertrag
geprüft und festgestellt, dass die Finanzmarktaufsicht am 10.07.2008 eine Vereinba-
rung unterzeichnet hat, mit der sie sich verpflichtete, einen Mietvertrag abzu-
schliessen. Die Verhandlungen waren im Juni 2009 so weit vorangeschritten, dass
die Finanzmarktaufsicht bei einem Rückzug gegen Treu und Glauben verstossen
hätte und damit schadenersatzpflichtig geworden wäre» (LTP 2010, S. 279).
181 Allgäuer, S. 330.
182 Allgäuer, S. 328.
Organisationsstruktur zeitlich zu weit weg und haben damit in der Pra-
xis wenig Möglichkeit, auf Fehlentwicklungen Einfluss zu nehmen.»183
Der Abgeordnete Günther Kranz kritisierte den Zeitrahmen, in wel-
chem die Finanzkommission tätig wird: «Sie sassen längere Zeit in der
Finanzkommission. Sie müssten wissen, wie schwierig es ist, Korrektur-
massnahmen in allerkürzester Zeit einzuleiten und dann auch wirksam
umzusetzen, um den Staatshaushalt zu entlasten.»184 Zudem beklagen
sich die befragten Abgeordneten, dass die Finanzkommission Vorlagen
aufgrund mangelnder Informationen der Regierung nicht ausreichend
prüfen kann.185
Waschkuhn kam auch hinsichtlich der Finanzprüfungskommission
zum Schluss, dass diese im politischen Vakuum agiert. Aufgrund der
vorlagengebundenen Beratungen degenerierten ihre Aktivitäten zuse-
hends zu «akklamatorischen Pflichtübungen.»186 Ebenso beurteilte
Heeb die Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten der Finanzkommis-
sion als gering.187
Aus diesem Grund ist es für eine Verbesserung der qualitativen und
quantitativen Situation der Finanzkommission überlegenswert, die bei
der Geschäftsprüfungskommission erläuterten Massnahmen sinngemäss
auch auf die Finanzkommission anzuwenden. Das heisst, die Finanz-
kommission sollte vergrössert, aber vor allem durch einen Parlaments-
dienst unterstützt werden. Dieser könnte «auch regierungs- und verwal-
tungsunabhängige Informationsquellen erschliessen helfen».188
4.3 Die Aussenpolitische Kommission
Im Kontext der Europäisierung erstreckt sich die Zustimmungskompe-
tenz des Landtags hinsichtlich der europäischen Integration sowohl auf
die Ratifikation von Vertragsänderungen («Primärrecht»), als auch auf
die Genehmigung von EWR-Beschlüssen («Sekundärrecht»). Damit
294
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
183 LTP 2009, S. 868. Im Übrigen hat er dies auch hinsichtlich der GPK geäussert.
184 LTP 2009, S. 1619.
185 Befragung Batliner, Frick.
186 Waschkuhn, 1994, S. 152.
187 Heeb, S. 222.
188 Allgäuer, S. 328.
«induziert die EWR-Mitgliedschaft eine Dynamisierung der Aussenpo-
litischen Kontrolle.»189 Diese Kontrollaufgabe unterliegt primär der
Aussenpolitischen Kommission als weitere ständige Kommission des
Landtags, welche in der Verfassung nicht erwähnt wird. Ihr Aufgaben-
bereich ist vornehmlich der Geschäftsordnung zu entnehmen: «Die Aus-
senpolitische Kommission prüft und begutachtet die der Zustimmung
des Landtages bedürftigen Staatsverträge und nimmt in Zusammenarbeit
mit der Regierung in auswärtigen Angelegenheiten die Interessen des
Landes wahr» (Art. 63 Abs. 3 GOLT). Das heisst, dass die Regierung der
Aussenpolitischen Kommission alle der Zustimmung des Landtags be-
dürftigen Staatsverträge zur Prüfung und Begutachtung vorlegen muss.
Gleichzeitig hat sie die Aussenpolitische Kommission «regelmässig,
frühzeitig und umfassend über die Entwicklung der Aussenpolitischen
Lage sowie über Vorhaben im Rahmen der internationalen Organisatio-
nen und Verhandlungen mit auswärtigen Staaten» (Art. 19 VwKG) zu
informieren.
Gemäss Frommelt leidet die Aussenpolitische Kommission auf-
grund ihrer kleinen Mitgliederzahl an einer systemimmanenten «Ein-
schränkung der Informationsverarbeitungskapazität».190 In Zusammen-
hang mit der mangelnden «Informationskapazität»191 steht die Aussen-
politische Kommission und damit auch der Landtag in einer hohen
Abhängigkeit von den Informationen der Regierung.192 Deshalb können
die Aussenpolitische Kommission und damit der Landtag selbst bei Ge-
schäften mit internationalem Bezug kaum Einfluss nehmen. Dies wirkt
umso gravierender, als im Jahr 2007 deutlich über 50 Prozent aller im
Landtag behandelten Gesetzesvorlagen einen internationalen Bezug hat-
ten. Als ein besonders aktuelles Beispiel ist die Nicht-Einbindung des
Landtags in die Doppelbesteuerungsabkommen zu nennen. Der Abge-
ordnete Johannes Kaiser:
«In der nichtöffentlichen Sitzung informierte Regierungschef
Klaus Tschütscher am Dienstag, 16. März 2010, unter anderem
über die Abkommens-Agenden und antwortete auf die Frage aus
dem Landtag, ob in absehbarer Zeit weitere Abkommensabsichten
295
Vom Landtag eingesetzte Kontrollorgane
189 Frommelt, S. 25
190 Frommelt, S. 13.
191 Frommelt, S. 13.
192 Frommelt, S. 13.
im Gange seien mit Nein. Drei Tage später konnten die Landtags-
abgeordneten aus den Zeitungen den Abschluss eines Doppelbe-
steuerungsabkommens mit Uruguay entnehmen. Diese Vorgehens-
weise ist gegenüber dem Landtag und seinen Abgeordneten m. E.
nicht sehr respektvoll.»193
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Aussenpolitische
Kommission ihre «relativ schwachen Kontrollbefugnisse nicht aus-
schöpft».194 In Zusammenhang mit der Tatsache, dass in aussenpoliti-
schen Angelegenheiten die «Regierung ein beinahe vollkommenes Infor-
mationsmonopol»195 besitzt, und die Regierung die Aussenpolitische
Kommission ungenügend informiert, kann diese kaum als Kontrollor-
gan auftreten. Damit erfüllt die Aussenpolitische Kommission «lediglich
eine quantitative und keine qualitative Stärkung der Kontrollfunktion
des Landtags».196
4.4 Parlamentarische Untersuchungskommissionen
Das parlamentariche Untersuchungsrecht ist gemäss Koja das bedeut-
samste Instrument der politischen Kontrolle überhaupt.197 Der Landtag
kann zur Feststellung von Tatsachen sowie zur Abklärung von Verant-
wortlichkeiten Parlamentarische Untersuchungskommissionen einset-
zen (Art. 63bis LV, Art. 30 Abs. 1 VwKG). Solche ad-hoc Kommissio-
nen sind weder ständige (Art. 54 GOLT) noch besondere Kommissio-
nen. Bei Parlamentarischen Untersuchungskommissionen handelt es
sich um eine selbständige, unmittelbare, regierungsunabhängige und aus
eigenem Antrieb erfolgende Ermittlungstätigkeit des Landtags.198
Die Bestellung ist als starkes Minderheitenrecht ausgestaltet, indem
bereits ein Viertel der Abgeordneten die Einsetzung einer Parlamentari-
296
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
193 LTP 2010, S. 417.
194 Allgäuer, S. 335.
195 Allgäuer, S. 335.
196 Frommelt, S. 26.
197 Koja, S. 202.
198 Frenkel, S. 815; Stadler, S. 199; Moser, S. 199; Brunner, Regierungslehre, S. 247; All-
gäuer, S. 338
schen Untersuchungskommission verlangen kann (Art. 56 GOLT). Bei
der Bestellung ist der Regierung Gelegenheit zur Stellungnahme zu ge-
ben (Art. 30 VwKG).
Der Auftrag einer Parlamentarischen Untersuchungskommission
ist im Einsetzungsbeschluss genau festzulegen (Art. 30 Abs. 2 VwKG).
Die Kontrolltätigkeit der Parlamentarischen Untersuchungskommission
ist aber beschränkt auf eine «nachträgliche Ergebniskontrolle».199 Für
die Erfüllung ihres Auftrages kann sie weitreichende Möglichkeiten ha-
ben, um an Informationen zu gelangen. Generell haben Gerichte und
Verwaltungsbehörden den Parlamentarischen Untersuchungskommis-
sionen Rechts- und Amtshilfe zu leisten (Art. 31 VwKG), sie können
Auskunftspersonen befragen, Zeugen einvernehmen und die Heraus-
gabe von Akten verlangen, Sachverständige beiziehen und Augenscheine
vornehmen (Art. 32 Abs. 2 VwKG) und ihr sind auf Begehren alle ein-
schlägigen Akten der Staatsverwaltung herauszugeben (Art. 33 Abs. 1
VwKG). Personen, die ausserhalb der Staatsverwaltung stehen, haben ei-
ner Parlamentarischen Untersuchungskommission Akten herauszuge-
ben (Art. 33 Abs. 2 VwKG)200, sie kann von Behörden und Amtsstellen
sowie von Behördenmitgliedern, Beamten, Staatsangestellten und Pri-
vatpersonen schriftliche oder mündliche Auskünfte einholen (Art. 34
Abs. 1 VwKG) und sie kann bei einem auf sonstige Weise nicht hinrei-
chend abzuklärenden Sachverhalt die förmliche Zeugenvernehmung an-
ordnen (Art. 34 Abs. 2 VwKG). Darüber hinaus sind Beamte und Staats-
angestellte verpflichtet, einer Parlamentarischen Untersuchungskom-
mission oder ihren Ausschüssen jede Auskunft über Wahrnehmungen,
die sie kraft ihres Amtes oder in Ausübung ihres Dienstes gemacht ha-
ben und die sich auf ihre dienstlichen Obliegenheiten beziehen, wahr-
heitsgemäss zu erteilen sowie die Akten, die den Gegenstand der Befra-
gung betreffen, zu nennen (Art. 35 Abs. 2 VwKG).
Die Wahrnehmung dieser Möglichkeiten ist aber abhängig von den
Kompetenzen, die ihr der Landtag als ihr Kreationsorgan zugewiesen
297
Vom Landtag eingesetzte Kontrollorgane
199 Allgäuer, S. 340.
200 Dies nur insoweit, als sie gemäss Art. 34 VwKG der Zeugnispflicht unterliegen. Art.
34 Abs. 3 VwKG: «Jedermann ist zur Ablegung des Zeugnisses verpflichtet. Unzu-
lässigkeit und Verweigerung des Zeugnisses richten sich nach § 320 lit. 1 und 2 so-
wie § 321 der Zivilprozessordnung.»
hat.201 Die Regierung hat das Recht, «durch einen Vertreter den Befra-
gungen von Auskunftspersonen und Zeugen beizuwohnen und dabei
Ergänzungsfragen zu stellen sowie in die herausgegebenen Akten und in
die Gutachten, Expertenberichte und Vernehmungsprotokolle Einsicht
zu nehmen» (Art. 37 Abs. 1 VwKG). Insbesondere über die Zeugenver-
nehmungen hat die Parlamentarische Untersuchungskommission – ne-
ben der Protokollierung der verfahrensmässigen Vorgänge – Protokolle
zu führen (Art. 32 Abs. 3 VwKG).
Die Parlamentarische Untersuchungskommission verfügt durch
ihre weitreichenden Kompetenzen über hoheitliche Befugnisse, indem
sie als Hilfsorgan für den Gesamtlandtag Untersuchungsrechte ausübt.
Zudem kann das Plenum die Befugnisse der Untersuchungskommission
auch nicht auf sich selbst übertragen.202 Gemäss Waschkuhn hat sie da-
durch «zumindest eine behördenähnliche Stellung».203
Zur Öffentlichkeit der Parlamentarischen Untersuchungskommis-
sion gilt es festzuhalten, dass Personen, die durch ihre Arbeit mit der
Parlamentarischen Untersuchungskommission Kenntnisse erlangen, so-
wohl in Bezug auf die von den Beamten und Staatsangestellten gemach-
ten Äusserungen, die der Amtsverschwiegenheit unterliegen, als auch in
Bezug auf die herausgegebenen, von der Regierung als vertraulich be-
zeichneten Akten zur Geheimhaltung verpflichtet sind (Art. 36 VwKG).
Der Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission an den
Landtag ist auf jeden Fall öffentlich, den Zeitpunkt der Veröffentlichung
bestimmt sie selbst (Art. 41 VwKG). Dieser Bericht ist gleichzeitig auch
der Regierung vorzulegen. Sie kann dem Landtag zum Ergebnis der Un-
tersuchung ebenfalls einen Bericht vorlegen (Art. 37 VwKG).
Der Landtag bestellt Parlamentarische Untersuchungskommissio-
nen – trotz Ausgestaltung als Minderheitenrecht – äusserst selten. Seit
dem Jahr 2000 wurde vom Landtag keine einzige Parlamentarische Un-
tersuchungskommission eingesetzt.204 Der Abgeordnete Wendelin Lam-
pert begründet dies folgendermassen: «Ich denke mir, Parlamentarische
Untersuchungskommissionen sind für mich dann wirklich Notlösun-
298
Landtagsmehrheit als Kontrollinstanz
201 Waschkuhn, 1994, S. 159.
202 Waschkuhn, 1994, S. 159.
203 Waschkuhn, 1994, S. 159.
204 LTP 2000–2009.
gen, wenn man sieht, es geht definitiv nicht mehr weiter, man muss dies
abklären.»205
Den Ausführungen zu Folge sind Parlamentarische Untersu-
chungskommissionen mit ihren weitreichenden Kompetenzen geeignete
Instrumente des Landtags, seine Kontrollfunktion wahrzunehmen und
die Regierung gezielt und effizient zu kontrollieren. Sie werden aber nur
sehr selten bzw. seit 2000 gar nie eingesetzt.
299
Vom Landtag eingesetzte Kontrollorgane
205 LTP2009, S. 903.
C. Der Abgeordnete als Kontrollinstanz
Die bereits erwähnten Kontrollmöglichkeiten können nur mehrere Ab-
geordnete gemeinsam wahrnehmen. Daneben stehen dem einzelnen Ab-
geordneten auch individuelle Mittel zur Regierungskontrolle, wie die in-
formale bzw. formlose Kontrolle, die Petition, die Interpellation, das
Postulat und die mündliche Anfrage zur Seite. Diese Kontrollmittel wer-
den in diesem Abschnitt erläutert.
1. Die informale Kontrolle
Die informale Kontrolle ist im Gegensatz zu den Mitteln der formalen
Kontrolle weder in der Verfassung noch in anderen rechtlichen Bestim-
mungen zu finden und steht auf der Grundlage persönlicher Kontakte
ohne die Möglichkeit von Rechtsfolgen.206 So sind auch ihre Mittel we-
der bestimmt noch eingeschränkt, weshalb sie die unkomplizierteste Art
eines Abgeordneten darstellt, die Regierung oder einen Regierungsrat zu
befragen, zu kritisieren und damit zu kontrollieren.
Ihr zentralstes Mittel sind die vertraulichen Gespräche mit Regie-
rungsmitgliedern. Die informale Kontrolle bezieht sich dabei auf sämtli-
che Bereiche der Amtstätigkeit und kann zu jedem Zeitpunkt – ex ante
bis ex post – erfolgen. Ihre Erscheinungsform ist davon abhängig, ob sie
sich an ein Regierungsrat der eigenen oder einer anderen Wählergruppe
richtet.207 Bei Regierungsräten der eigenen Wählergruppe findet sie vor-
wiegend in den Fraktionssitzungen statt. Dabei können sachliche Infor-
mationen eingeholt, auf Missstände hingewiesen und potentielle Vor-
300
206 Thaysen, Regierungssystem, S. 54.
207 Allgäuer, S. 121 f.
stösse diskutiert werden, um die Machbarkeit zu prüfen oder zu verhin-
dern, dass im Landtag «offene Türen eingerannt» werden.208
Die informale Kontrolle findet auch gegenüber anderen Wähler-
gruppen in Form von Besuchen und Gesprächen, wenn auch abge-
schwächt, statt. Sie kann dazu dienen, die andere Person besser einzu-
schätzen bzw. ihre Interessen, Neigungen oder die Meinung zu einem
spezifischen Thema in Erfahrung zu bringen. Im Verhältnis zur anderen
Wählergruppe kann sie aber in den Hintergrund treten, da dadurch ein
solches Regierungsmitglied auf einen allfälligen Vorstoss vorbereitet
wird und während der Landtagsdebatte nicht mehr überrumpelt bzw.
überrascht werden kann. Denn «sie wollen ihre guten Fragen, ihre ‹Mu-
nition›, nicht vorparlamentarisch verschiessen und den Gegner vorwar-
nen».209
Zusammenfassend ist die informale Kontrolle ein einfach einzuset-
zendes Mittel, welches für den einzelnen Abgeordneten bedeutend sein
kann. Es mag zwar keine unmittelbaren Konsequenzen für das Plenum
haben, indem es im nichtöffentlichen Raum wahrgenommen wird, doch
ist die informale Kontrolle häufig wirksamer als die formale.210
2. Die Petition
Eine unkomplizierte Möglichkeit des Volkes, an den Landtag bzw. den
Landesausschuss zu gelangen, ist das verfassungsmässig gewährleistete
Petitionsrecht.211 Petitionen sind Beanstandungen, Vorschläge und Bit-
ten des Volkes212 und damit einfache Initiativen an den Landtag, zumeist
mit dem Inhalt, ein Gesetz zu ändern oder zu beschliessen. Das Petiti-
onsrecht an den Landtag und den Landesausschuss steht sowohl dem
Einzelnen in seinen Rechten oder Interessen betroffenen Landesangehö-
rigen, als auch den Gemeinden und Korporationen zu (Art. 42 LV). Es
mag paradox klingen, dass das Parlament, von der Bitte zur Gesetzge-
bung abgesehen, gerade nicht zuständig in dem Sinne ist, dass es dem
301
Die Petition
208 Allgäuer, S. 121.
209 Allgäuer, S. 121 f.
210 Brunner, Kontrolle, S. 277.
211 Lateinisch, zu «petere» = (er-) bitten.
212 Hempfer, S. 367.
Anliegen des Petenten aus eigenem Recht unmittelbar abhelfen kann.
Doch ist das entscheidende Merkmal des Petitionsrechts, dass der Petent
die Möglichkeit erhält, «ausserhalb der normalen Zuständigkeitsrege-
lung sein Anliegen einem staatlichen Organ vorzutragen».213
Die Geschäftsordnung regelt das Petitionsrecht eingehend, indem
es Petitionen explizit als Beratungsgegenstand des Landtags aufführt
(Art. 26 lit. d GOLT) und dem Präsidenten vorschreibt, Petitionen nach
Einbringung auf die Tagesordnung der nächsten Landtagssitzung zu set-
zen. Damit aber eine Petition vom Landtag überhaupt inhaltlich behan-
delt werden kann, ist neben der Zustimmung des Plenums bei der erst-
maligen Behandlung im Landtag erforderlich, dass die Petition von ei-
nem Abgeordneten vorgebracht wird (Art. 42 GOLT).
Petenten können durch die Wahrnehmung dieses Grundrechts ins-
besondere Amtshandlungen von Regierung, Parlament, Verwaltung
oder Gerichten kritisieren.214 Durch sie wird der Landtag aber gerade
auch auf Unzulänglichkeiten in Regierung und Verwaltung hingewiesen,
wodurch der Petition ein Informationseffekt des Volkes an den Landtag
zukommt.215 Gerade darin liegt für die Abgeordneten die Kontrollfunk-
tion der Petition.
Im Zeitraum zwischen 2000 und 2009 gelangten elf Petitionen in
den Landtag. Davon war eine zu unbestimmt, während eine andere ab-
gelehnt wurde.216 Damit nahm der Landtag neun Petitionen an. Durch-
302
Der Abgeordnete als Kontrollinstanz
213 Hempfer, S. 368.
214 Allgäuer, S. 125.
215 Allgäuer, S. 125.
216 Sämtliche Petitionen im Zeitraum 2000–2009 mit Abstimmungsergebnis: Petition
vom 03.02.2000 betreffend AHV, IV, Krankenkasse, Steuern und Seniorenbeirat,
einhellige Zustimmung (LTP 2000, S. 97–100); Petition vom 07.04.2000 betreffend
nichtionisierende elektromagnetische Strahlung, verursacht durch die Mobiltelefo-
nie, 13 Stimmen (LTP 2000, S. 368–376); Petition vom 15.11.2000 zur Abschaffung
der Zwangsmitgliedschaft und zur Stärkung der Demokratie in der Gewerbe- und
Wirtschaftskammer, 22 Stimmen (LTP 2000, S. 2231–2240); Petition «Recht auf Le-
ben» der Initiativgruppe «stimme» vom 08.10.2001 einhellige Zustimmung (LTP
2001, S. 733–737); Petition vom 11.02.2002 der Stiftung Sozialfonds für das Fürs-
tentum Liechtenstein betreffend die Verbesserung der Altersleistungen aus der Pen-
sionskasse für die «Eintrittsgeneration», 16 Stimmen (LTP 2002, S. 57–59); Petition
«Kufsteiner Resolution 2001» des Vereins zum Schutz der Bergwelt, 11 Stimmen
(LTP 2002, S. 729–735); Petition betreffend «Erklärung des Landtags» vom
12.02.2004, 21 Stimmen (LTP 2004, S. 45–72); Petition pro Quotenregelung vom
schnittlich beanspruchte die Wiedergabe der Debatten dieser Petitionen
sieben Seiten des Landtagsprotokolls. Damit behandeln die Abgerodne-
ten Petitionen zwar nicht ausgiebig, die Behandlung reduziert sich aber
auch nicht auf die inhaltliche Zusammenfassung der Petition mit an-
schliessender Abstimmung. Gleichzeitig nehmen die Abgeordneten die
Themen einer Petitionen oftmals als Anlass, um über das Ausmass des
gestellten Antrags hinaus über einen Sachbereich zu debattieren.
Ein Blick in die Plenardebatte vom 22. November 2006 kann dies
belegen. Damals behandelte der Landtag die Petition der Gruppe «CO-
LORIDA» betreffend Unterstrafestellung des Tragens von Nazi-Em-
blemen und rassendiskriminierenden Kennzeichen vom 25. Oktober
2006. Der Antrag richtete sich darauf, «die Anti-Rassismus-Norm im
liechtensteinischen Strafgesetzbuch StGB § 283 dahingehend zu ergän-
zen, dass das Tragen von Nazi-Emblemen und rassendiskriminierenden
Kennzeichen strafrechtlich verfolgt werden kann».217 Zu dieser Thema-
tik äusserten sich die Abgeordneten grundlegend zu Rassismus und
Rechtsextremismus, was den Regierungschef-Stellvertreter Klaus
Tschütscher zur Zusicherung bewegte, «die Sensibilisierung und diese
Bewusstseinsbildung für dieses sehr sensible Thema auch an die Öffent-
lichkeit zu tragen».218
Zusammenfassend kann den Abgeordneten attestiert werden, dass
sie Petitionen würdigen, indem sie diese ernsthaft beraten und grund-
sätzlich annehmen. Petitionen stellen dabei ein wichtiges Instrument dar,
um dem Plenum Denkanstösse zu geben und sie auf Missstände hinzu-
weisen, welche dem Landtag bis anhin nicht bewusst waren.
303
Die Petition
10.09.2004, zurückgewiesen weil zu unbestimmt (LTP 2004, S. 1083–1090); Petition
der «AKTION WIR TEILEN» betreffend «AIDS in Afrika, Medikamente und
Prävention – für ALLE» vom 15.06.2005, einhellige Zustimmung (LTP 2005, S. 841–
845); Petition der Gruppe «COLORIDA» betreffend Unterstrafestellung des Tra-
gens von Nazi-Emblemen und rassendiskriminierenden Kennzeichen vom
25.10.2006, einhellige Zustimmung (LTP 2006, S. 1852–1558.); Petition betreffend
Regelung für gleichgeschlechtliche Paare von Amnesty International Liechtenstein
vom 17.09.2007, 18 Stimmen (LTP 2009, S. 1985–1986)
217 LTP 2006, S. 1858.
218 LTP 2006, S. 1857.
3. Die Interpellation
«Die parlamentarische Interpellation219 ist die älteste traditionelle Ein-
richtung der politischen Kontrolle in der Entwicklung des Parlamenta-
rismus.»220 Das Interpellationsrecht umfasst begrifflich alle Erschei-
nungsformen des parlamentarischen Fragerechts.221
Die Interpellation ist eine schriftliche parlamentarische Anfrage,
mit der jeder Abgeordnete «von der Regierung über jeden Gegenstand
der gesamten Landesverwaltung» (Art. 36 GOLT) während der Sit-
zungsperiode Auskunft verlangen kann (Art. 39 GOLT). «Insbesondere
erfüllt sie Informations- und Untersuchungsfunktionen: Mittels Inter-
pellation beschafft sich der Landtag Kenntnisse über alle Bereiche der
Regierungstätigkeit.»222 Die Verfassung hält zur Interpellation lediglich
fest: «Der Regierungsvertreter [. . .] ist verpflichtet, Interpellationen der
Abgeordneten zu beantworten» (Art. 63 Abs. 4 LV). Die Interpellanten
reichen sie schriftlich und unterzeichnet beim Landtagspräsidenten ein,
welcher sie den Mitgliedern des Landtags und der Regierung zustellt
und in der Regel auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung setzt (Art.
37 GOLT). «Die Regierung antwortet in der Regel bis zur übernächsten
Landtagssitzung. Erklärt der Landtag eine Interpellation für dringlich,
antwortet die Regierung bis zur nächsten Landtagssitzung» (Art. 38
Abs. 3 GOLT).
Der erste Satz «in der Regel» bedeutet, dass die Regierung ausser
im Dringlichkeitsfalle immer bis zur übernächsten Landtagssitzung ant-
worten muss. Nach der schriftlichen Interpellationsbeantwortung durch
die Regierung können die Interpellanten erklären, ob sie von der Aus-
kunft befriedigt sind oder nicht. Eine weitere Diskussion findet nur
statt, wenn mindestens ein Viertel der Abgeordneten einem entspre-
chenden Antrag zustimmt. Die Regierung hat dabei nur das Wort, wenn
eine Diskussion beschlossen wird (Art. 38 Abs. 4 GOLT).
Die Interpellation erfüllt ähnliche Funktionen wie die kleine An-
frage. Aber durch die längere Bearbeitungszeit der Regierung darf der
Landtag höhere Ansprüche an die Antwort der Regierung stellen. Zu-
304
Der Abgeordnete als Kontrollinstanz
219 Lateinisch zu «interpellare» = unterbrechen, mit Fragen angehen.
220 Neisser, S. 673.
221 Neisser, S. 673.
222 Allgäuer, S. 149.
dem besteht nach der Beantwortung im Plenum die Möglichkeit einer
Diskussion. Indem die Antworten im öffentlichen Landtag behandelt
werden, findet eine unmittelbare Kontrolle der Regierung vor den Au-
gen bzw. Ohren des Volkes statt.
Die Regierung hatte sich zwischen 2000–2009 mit 45 Interpellatio-
nen beschäftigt. Werden die zehn Interpellationen der jüngeren Vergan-
genheit (2007–2009) genauer analysiert, dann können bei der Behand-
lung von Interpellationen mehrere Gepflogenheiten ausgemacht werden.
Erstens wurde nach jeder Interpellationsbeantwortung erfolgreich eine
Diskussion beantragt.223 Es scheint, dass es sich keine politische Mehr-
heit leisten kann, ein entsprechendes Verlangen abzulehnen.224
Zweitens beantwortet die Regierung die Interpellationen oft zu
spät. So hätten die beiden für das Jahr 2009 noch ausstehenden Interpel-
lationen, welche am 16. Dezember 2009 im Landtag angemeldet wurden,
im März-Landtag 2010 beantwortet sein müssen225, während die Regie-
rung von den acht bereits beantworteten Interpellationen fünf nicht
rechtzeitig und bis zu fünf Landtagssitzungen zu spät beantwortete. Ins-
gesamt wurden so von zehn Interpellationen gerade einmal drei recht-
zeitig beantwortet.226 Dies scheint durchaus ein normales Vorgehen der
305
Die Interpellation
223 An dieser Stelle werden die Titel der Interpellationen der Jahre 2007 bis 2009 mit
den jeweiligen Nummern der der Beantwortung dienenden BuA genannt, da die In-
terpellationen selbst keine Nummern haben: «Interpellation zum Mietrecht und zur
aktuellen Situation der Mieter und Mieterinnen» (BuA Nr. 59/2008), «Interpellation
betreffend Landwirtschaft und Naturschutz» (BuA Nr. 12/2008), «Interpellation
Wirtschaftspolitik» (Nr. 75/2008), «Einkommen, Existenzminimum und Armut»
(BuA Nr. 52/2008), «Zukunft des Liechtensteinischen Landesspitals» (Nr.
123/2007), «Häusliche Gewalt gegen Frauen» (BuA Nr. 24/2008), «Interpellation
betr. Verbesserungsmassnahmen für Menschen mit Behinderungen in Liechten-
stein» (BuA Nr. 102/2008), «Aktueller Stand der Marke Liechtenstein», «Interpel-
lation Werbung Gesundheitsberufe» sowie «Interpellation betreffend die finanziel-
len Aufwendungen (Kostenanalyse) des abgelehnten Reformprojekts Schul- und
Profilentwicklung auf der Sekundarstufe I (SPES I)» (BuA Nr. 37/2009).
224 Allgäuer, S. 156.
225 LTP 2009, S. 1958 ff. Die beiden Interpellationen tragen die Titel «Interpellation be-
treffend die Marke Liechtenstein» und «Interpellation betreffend die Gleichstellung
von liechtensteinischen Leistungserbringern in Gesundheitsberufen mit ihren
schweizerischen Berufskollegen in punkto Werbung und Empfehlung».
226 Erwähnt werden die verspätet beantworteten Interpellationen, versehen mit dem
Datum ihrer erstmaligen Behandlung im Landtag sowie der Behandlung ihrer Be-
antwortung im Landtag: Einkommen, Existenzminimum und Armut (19.09.2007,
28.05.2008), Häusliche Gewalt gegen Frauen (19.09.2007, 23.04.2008), nachhaltige
Regierung zu sein, da dies weder die Abgeordneten rügten noch die Re-
gierung rechtfertigte. Obwohl die Regierung die Möglichkeit hätte, be-
reits anlässlich der Überweisung der Interpellation einen Fristverlänge-
rungsantrag zu stellen, hat sie diese bei keiner der zu spät beantworteten
Interpellationen beantragt (Art. 8 Abs. 2 VwKG).227
Es könnte zudem die Vermutung angestellt werden, dass die Inter-
pellation hauptsächlich von der Opposition verwendet wird, um die Re-
gierung zu kontrollieren. Dies mag für die Freie Liste seine Geltung ha-
ben, da sie im Untersuchungszeitraum 2007 bis 2009 vier der zehn In-
terpellationen einbrachte. Demgegenüber hat die Vaterländische Union
nie selbstständig eine Interpellation eingebracht. Somit hat sie dieses In-
strument nicht wahrgenommen, als sie nicht die Mehrheit in Landtag
und Regierung innehatte. Damit kann drittens festgehalten werden, dass
die Interpellation nicht nur bei der Opposition ein beliebtes Instrument
darstellt.
Zusammenfassend stellt die Interpellation ein wirksames Recht dar,
die Regierung zu kontrollieren. Allerdings beansprucht die Regierung
für die Beantwortung mehr Zeit, als sie rechtlich zur Verfügung hätte.
Dies ist auch auf die detaillierten und umfangreichen Antworten zu-
rückzuführen. Es sollte überlegt werden, ob der Regierung für die Be-
antwortung nicht mehr Zeit gewährt werden sollte. Die Frist sollte um
eine Sitzung verlängert werden. Damit hätte die Regierung mehr Zeit,
während sich gleichzeitig der Landtag besser auf die Fristeinhaltung
durch die Regierung verlassen könnte.
306
Der Abgeordnete als Kontrollinstanz
und zukunftsfähige liechtensteinische Wirtschaftspolitik (24.10.2007, 25.06.2008),
zum Mietrecht und zur aktuellen Situation der Mieter und Mieterinnen (12.12.2007,
28.05.2008), Verbesserungsmassnahmen für Menschen mit Behinderung in Liech-
tenstein (23.04.2008, 16.09.2008).
227 Auffallend dazu ist, dass das Gesetz über den Geschäftsverkehr des Landtags und
die Kontrolle der Staatsverwaltung einen solchen Antrag auf Fristaufschub kennt,
während er der Geschäftsordnung fremd ist. Dies sollte m. E. für die Rechtsklarheit
dahingehend angepasst werden, indem diese Bestimmung auch in die Geschäftsord-
nung aufgenommen wird.
4. Das Postulat
Das Postulat228 wirkt primär nicht als Kontrollinstrument gegenüber der
Regierung. Dennoch kann der Abgeordnete mittels Postulat die Regie-
rung kontrollieren. Das Postulat findet in der Verfassung keine Erwäh-
nung und wird durch die Geschäftsordnung bzw. das Gesetz über den
Geschäftsverkehr des Landtags und die Kontrolle der Staatsverwaltung
definiert und geregelt. Nach Art. 34 GOLT sind Postulate «selbständige
Anträge, welche die Regierung zur Prüfung eines bestimmten Gegen-
standes oder zu einem bestimmten Vorgehen oder Verhalten einladen».
Gemäss Allgäuer kann trotz der Verwendung des unverbindlichen Be-
griffes «einladen» die Regierung mittels Postulat auch beauftragt wer-
den, einen Bericht zu erstatten.229
Das Postulat muss die Formel «der Landtag wolle beschliessen»
sowie den Wortlaut des gemäss dem Antrag vom Landtag zu fassenden
Beschlusses enthalten und von mindestens einem Abgeordneten unter-
schrieben werden (Art. 34 GOLT). Sowohl Antrag als auch Beantwor-
tung müssen schriftlich sein (Art. 34 Abs. 2 iVm Art. 35 Abs. 1 GOLT).
Werden Postulate aber nicht innerhalb einer Legislaturperiode erledigt,
dann stellt die Regierung gemäss Geschäftsordnung einen begründeten
Antrag auf deren Aufrechterhaltung oder Abschreibung (Art. 40
GOLT).
Im Gegensatz zur Interpellation, bei deren Einreichung im Land-
tag gemäss Art. 38 GOLT weder eine Diskussion noch eine Abstim-
mung stattfindet, ist dies bei Postulaten nicht ausgeschlossen. In diesem
Fall kann die Mehrheit der Abgeordneten die Überweisung des Postu-
lats an die Regierung durch Abstimmung verhindern, was für Wähler-
gruppen ohne Mehrheit eine zu hohe Hürde sein kann. Bestand noch im
Jahre 1989 «ein Konsens, dass auch Anträge des politischen Gegners op-
positionslos an die Regierung weitergeleitet werden»230, entspricht dies
heute nicht mehr der Landtagspraxis. Denn in den Jahren 2007 und 2008
wurden von sieben ausgearbeiteten Postulaten nur vier überwiesen.231
307
Das Postulat
228 Lateinisch zu «postulare» = verlangen, fordern.
229 Allgäuer, S. 161 f.
230 Allgäuer, S. 164.
231 Genannt werden die Titel der Postulate der Jahre 2007 bis 2009, versehen mit dem
Datum der erstmaligen Behandlung im Landtag und (wo möglich) mit dem Datum
Folgende Postulate fanden nicht die nötige Mehrheit des Landtags:
«Postulat betreffend der Einführung eines Kindermodells» erhielt nur
zehn Stimmen,232 das «Postulat zur Schaffung einer gemeinnützigen Stif-
tung zur Nutzung und Erhaltung des kulturellen Erbes in der Architek-
tur» neun Stimmen233 und das «Postulat betreffend die Verbesserung des
öffentlichen Busverkehrs in Bezug auf die Qualität des Angebots und
die Sicherheit der Fahrgäste» zehn Stimmen.234 Zudem wurde das «Pos-
tulat Baugesetz Parkplätze», datiert mit dem 27. September 2007, nie im
Landtag behandelt.235 Letzteres kann deshalb passieren, da über ausste-
hende Postulatsbeantwortungen «nur die Regierung, nicht aber der
Landtag selber eine Kontrolle»236 führt. Daher sollte die Regierung ver-
pflichtet werden, den Landtag jährlich, etwa im Rahmen des Rechen-
schaftsberichtes, über noch offene Postulate und dabei über den Grund
der Verzögerung und den voraussichtlichen Termin der Beantwortung
zu informieren.
Muss bei der Interpellation im Plenum nach deren Beantwortung
ein Antrag auf Diskussion gestellt werden (Art. 38 Abs. 4 GOLT), ist
dies bei Postulaten keine Voraussetzung für eine Debatte. Denn einer-
seits enthält die Geschäftsordung keine solche Bestimmung und ande-
rerseits sind Postulate «parlamentarische Eingänge». Die Landtagspro-
tokolle sehen denn auch keine Abstimung nach der Postulatsbeantwor-
tung vor. Die Abgeordneten können sogleich debattieren.
Auch bei den Postulaten sind die Gesetzestexte der Geschäftsord-
nung und des Gesetzes über den Geschäftsverkehr des Landtags und die
308
Der Abgeordnete als Kontrollinstanz
der Behandlung der Beantwortung im Landtag in Klammern: «Postulat betreffend
der Einführung eines Kindermodells» (12.12.2007), «Postulat betreffend Revitalisie-
rungsmassnahmen von Binnengewässern in Liechtenstein» (21.11.2007, 28.05.2008),
«Besserstellung der ambulanten Pflege und Betreuung» (20.06.2007, 28.05.2008),
«Gesundheitsstandort Liechtenstein» (19.09.2007, 28.05.2008), «Postulat zur Schaf-
fung einer gemeinnützigen Stiftung zur Nutzung und Erhaltung des kulturellen Er-
bes in der Architektur» (28.05.2008) und das «Postulat betreffend die Verbesserung
des öffentlichen Busverkehrs in Bezug auf die Qualität des Angebots und die Si-
cherheit der Fahrgäste» (28.05.2008).
232 LTP 2007, S. 2706.
233 LTP 2008, S. 765.
234 LTP 2008, S. 746.
235 Dieses Postulat ist abrufbar unter <www.landtag.li/default.aspx?parlam=2007
&kateg=postulate&newsid=33492>, 09.06.2010.
236 Allgäuer, S. 175.
Kontrolle der Staatsverwaltung nicht identisch. Der unterschiedliche
Wortlaut ist bei der Definition vernachlässigbar, doch sind die unter-
schiedlichen Fristen zur Beantwortung offensichtlich. Laut Geschäfts-
ordnung hat die Regierung grundsätzlich bis zur vierten Landtagssit-
zung nach der Überweisung den Bericht vorzulegen (Art. 34 GOLT),
während das Gesetz über den Geschäftsverkehr des Landtags und die
Kontrolle der Staatsverwaltung die schriftliche Beantwortung «in der
Regel binnen einem Jahr» (Art. 7 VwKG) fordert. Es wäre der Rechts-
klarheit dienlich, wenn die Bestimmungen einheitlich im Sinne der Ge-
schäftsordnung wären.
Den Ausführungen zufolge kann die Opposition das Instrument
des Postulats nicht mehr ausreichend wahrnehmen, da die Landtags-
mehrheit die Überweisung an die Regierung zusehends verhindert. In
diesem Sinne sollte es analog der Bestellung von Parlamentarischen Un-
tersuchungskommissionen als Minderheitenrecht ausgestaltet werden.
5. Kurze mündliche Anfragen
Im Rahmen der formalen Kontrolle können die Abgeordneten über die
schriftlichen parlamentarischen Eingänge hinaus auch kleine bzw.
«kurze mündliche Anfragen» (Art. 41 Abs. 1 GOLT)237 an die Regierung
richten, «die sich auf einen konkret umschriebenen Vorgang beziehen.
Die Regierung ist verpflichtet, die Anfragen in der gleichen Sitzung
mündlich zu beantworten oder die Gründe für die Verschiebung oder
Ablehnung der Beantwortung bekanntzugeben» (Art. 41 Abs. 1 GOLT).
Die mündlichen Anfragen sind das einzige Instrument, mit wel-
chem ein Abgeordneter ohne Fraktion die Regierung individuell öffent-
lich und mündlich kontrollieren kann. Dazu richten die Abgeordneten
ihre Fragen an das zuständige Regierungsmitglied oder gegebenenfalls
an die Regierung insgesamt. Sie werden üblicherweise am Ende des ers-
ten Vormittags einer Landtagssitzung gestellt und am letzten Tag der Sit-
zung beantwortet. Damit hat die Regierung gewöhnlich zwei bis drei
Tage Zeit, um die Beantwortung vorzubereiten.238 Nach Beantwortung
309
Kurze mündliche Anfragen
237 Art. 41 AbS. 1 GOLT ist praktisch identisch mit Art. 9 VwKG.
238 LTP 2007–2009.
der kurzen Anfrage durch die Regierung im Plenum kann der Fragestel-
ler «eine kurze, sachbezogene Zusatzfrage im Sinne einer Verständnis-
frage stellen. Das zuständige Regierungsmitglied nimmt dazu unverzüg-
lich Stellung» (Art. 41 Abs. 2 GOLT). Eine Debatte findet nicht statt.
Im politischen Informations- und Kontrollprozess in Liechtenstein
können die Abgeordnten durch das Instrument der Kleinen Anfragen
mit geringstem Aufwand rasche und weitreichende Wirkungen erzie-
len.239 Sie können ein Informationsmittel sein, indem durch deren Ver-
wendung andere Abgeordneten, das Volk und die Regierung selbst über
Missstände, Versäumnisse und Fehler informiert werden. Es kann sich
dabei auch um «informierende Fragen»240 im Sinne einer dirigierenden,
korrigierenden oder beschleunigten Kontrolle handeln.241 Zudem kön-
nen Kleine Anfragen der Profilierung des Abgeordneten dienen,242 in-
dem er mit Blick auf die Wähler medienwirksame Fragen stellt.243
Die Abgeordneten stellten im Jahr 2007 insgesamt 163, ein Jahr
später 176 und im Jahr 2009 130 Kleine Anfragen.244 Diese Zahlen bestä-
tigen die Kleine Anfrage als das beliebteste formale Kontrollmittel der
Abgeordneten, was an der eigentlichen Formlosigkeit und der damit ein-
hergehenden einfachen Inanspruchnahme liegt. Neben der hohen An-
zahl stellt auch der Inhalt bzw. Umfang der Kleinen Anfragen die Re-
gierung vor Probleme, da sie noch in der gleichen Landtagssitzung zu
beantworten sind. Aus diesem Grund beantwortet die Regierung die
Kleinen Anfragen gelegentlich schriftlich.245 Damit tendieren die Klei-
nen Anfragen de facto in Richtung Interpellation.
Allgäuer würde die Kleine Anfragen optimieren, indem sie nicht
mehr während der Landtagssitzung mündlich eingebracht werden, son-
dern «mindestens vier Tage vor Sitzungstermin schriftlich».246 Die Re-
gierung hätte zwar mehr Zeit für die Beantwortung, doch m. E. wäre da-
310
Der Abgeordnete als Kontrollinstanz
239 Stadler, S. 167.
240 Thaysen, Bundestag, S. 66.
241 Allgäuer, S. 130.
242 Rutschke, S. 190 ff.
243 Allgäuer, S. 130.
244 LTP 2007–2009.
245 Im Jahre 2009 war dies einmal der Fall. Im April-Landtag wurde zwischen Regie-
rung und Landtag vereinbart, dass die kleinen Anfragen schriftlich beantwortet
werden (LTP 2009, S. 113).
246 Allgäuer, S. 376.
mit die Grundidee der Kleinen Anfragen, die Regierung durch die
mündliche Fragestellung öffentlich zu begutachten und auch auf (even-
tuelle) Missstände hinzuweisen, geschwächt. Zudem würden sich die
Kleinen Anfragen dem Instrument «Interpellation» zu sehr annähern.
M. E. sollten die mündlichen Anfragen deshalb nicht durch Ver-
schriftlichung, sondern durch Einführung einer mündlichen Frage-
stunde umgestaltet werden.247 Die wahrscheinlich weltweit bekannteste
Fragestunde ist die im Vereinigten Königreich abgehaltene «Prime Min -
ister’s Question Time».248
Durch Einführung einer Fragestunde könnten die Abgeordneten
ausserhalb der regulären Landtagsdebatten für die Dauer von einer
Stunde kurze mündliche Fragen stellen, die unmittelbar von der Regie-
rung mündlich zu beantworten sind. Damit können die Abgeordneten
die Regierungsräte in einer mündlichen Auseinandersetzung kontrollie-
ren und dabei die Politik und Massnahmen der Regierung einer genauen,
öffentlichen Prüfung unterziehen. Während der Fragestunde sollten die
Wählergruppen bzw. die Fraktionen umso mehr Fragen stellen dürfen,
311
Kurze mündliche Anfragen
247 Als Vorbild dient das Westminster-System. Dort werden die mündlichen Anfragen
der Abgeordneten spätestens drei Tage vor der Fragestunde der Regierung zuge-
stellt. Während der Fragestunde werden die Abgeordneten aufgerufen, ihre Frage
zu stellen. Wenn der Minister eine Frage beantwortet hat, kann derselbe Abgeord-
nete eine Zusatzfrage stellen, wobei auch andere Abgeordnete ergänzende Fragen
stellen können. Die letzten 15 bzw. 10 Minuten der Fragestunde sind für aktuelle
Fragen reserviert. Diese können zu jedwedem Thema gestellt werden und sind vom
jeweils verantwortlichen Minister zu beantworten. Es hat sich im Westminster-Sys-
tem gezeigt, dass die Fragestunde ein beliebtes Mittel (vor allem der Opposition) ist,
die Regierung zu kontrollieren (<www.parliament.uk/about/how/business/
questions>, 11.08.2010).
248 Die PMQs dauert 30 Minuten und beginnt mit einer offenen Frage zu einem Be-
reich, in dem (in unserem Fall) der Regierungschef zuständig ist. Darauf kann der
Abgeordnete eine ergänzende Frage zu jedem Thema stellen. Im Anschluss an die
Antwort weist der Abgeordnete auf ein bestimmtes Problem mit oft aktueller poli-
tischer Bedeutung hin. Der Oppositionsführer nimmt dieses auf oder stellt eine
Frage zu einem anderen Thema. Es ist aber nach der Einführungsfrage jedem Abge-
ordneten erlaubt, Zusatzfragen zu stellen. Die verbleibende Zeit ist für Fragen der
restlichen Abgeordneten reserviert. Die Fragen sind aber dem Premierminister in
der Regel vorher nicht bekannt. Die Fragestunde nimmt breiten Raum in der
Medienberichterstattung ein. So finden regelmässige Live-Übertragungen in Radio
und Fernsehen statt und Podcasts im Internet ermöglichen es, die Fragestunde welt-
weit direkt zu verfolgen (<www.parliament.uk/about/how/business/questions>,
11.08.2010).
je weniger Sitze sie im Landtag haben. Damit könnten der Kontroll- so-
wie der Oppositionsgedanke öffentlichkeitswirksam erfüllt werden.
Allerdings können damit die Antworten gegenüber kurzen schrift-
lichen Anfragen, wie Allgäuer es vorschlägt, nicht denselben Detaillie-
rungsgrad aufweisen. Zudem dürften die Abgeordneten die Fragestunde
nicht für Detailfragen missbrauchen, welche die Regierungsräte ohne
Vorbereitung und ohne Rückfrage an die Verwaltung nicht beantworten
können.249 Dadurch könnte die Regierungskontrolle durch den Landtag
im Detail geschmälert werden. Im Gegenzug würde die Fragestunde das
Interesse des Volkes an der Politik erhöhen, sofern hitzige und span-
nende politische Auseinandersetzungen entstehen.250 Sie sollte deshalb
während jeder Landtagssitzung zur selben Zeit abgehalten und optima-
lerweise in Echtzeit übertragen werden. Allenfalls könnte die Frage-
stunde auch als zusätzliches Kontrollmittel des Landtags eingeführt
werden. Richtig angewendet ist dieses Mittel «geeignet, die Kontrolle
der Regierung durch das Parlament zu verbessern und das parlamentari-
sche Geschehen lebendiger zu machen».251
312
Der Abgeordnete als Kontrollinstanz
249 Koja, S. 202.
250 Neisser, S. 676 f.
251 Koja, S. 202.
VII.
ERGEBNISSE
A. Reformbedarf
Die Verfassung von 18621 schuf den Landtag als ein gesetzmässiges 15-
köpfiges Organ. Damit feierte er im Jahr 2012 sein 150-jähriges Beste-
hen. Zu Beginn wurde der Landtag immer wieder einschneidend umge-
staltet. Seit 1921 unterlagen die Bestimmungen des Landtags zwar einem
dauernden Wandel, um ihn jeweils für die Gegenwart und die Zukunft
zu rüsten, doch widerfuhren ihm – ausser der Einführung des Frauen-
stimmrechts im Jahr 19842 und die Erhöhung der Mandatszahl von 15
auf 25 im Jahr 19883 – kaum mehr tiefgreifende Änderungen. Damit be-
steht der Landtag im Wesentlichen seit 1921 unverändert.
In der Zwischenzeit hat sich die Regierung an die Anforderungen
der Zeit angepasst, indem sie vollamtlich und mit einem starken Unter-
bau agiert. Diese Entwicklung hat der Landtag versäumt. Dies ist keine
liechtensteinische Besonderheit, sondern ist ein international feststellba-
res Phänomen. Denn es lässt sich folgendes beobachten: «Im Zuge der
Entwicklung moderner Staaten zu Wohlfahrts- und Verwaltungsstaaten
tritt eine Normierungsflut, ein beschleunigter Gesetzgebungsrhythmus
und ein grosser Planungsbedarf ein, welchem die Parlamente, deren Ar-
beitsweisen und -bedingungen trotz veränderter Rahmenbedingungen
weitgehend gleich geblieben sind, nicht gewachsen sind.»4 Auch die Ver-
fassungsänderung im Jahr 2003 liess die Ausgestaltung des Landtags un-
angetastet.
315
1 LV 1862, LLA 1862. Zu finden auch im Anhang von LPS 8, S. 273 ff.
2 Verfassungsgesetz vom 11. 04. 1984 über die Abänderung der Verfassung vom
05.10.1921 (Einführung des Frauenstimmrechtes), LGBl 1984, Nr. 27.
3 Verfassungsgesetz vom 20.10.1987 über die Abänderung der Verfassung vom
05.10.1921 (Erhöhung der Mandatszahl des Landtages), LGBl 1988, Nr. 11.
4 Robinson, S. 100.
Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden die Ergebnisse der
einzelnen Kapitel und darauf aufbauend mögliche Reformvorschläge
dargestellt.
1. Verfassungsrechtliche und politische
Rahmenbedingungen des Landtags
Die Analyse der Landtagswahlen hat aufgezeigt, dass das Regierungs-
team bei den Wählern und den Parteien wichtiger ist als die Landtags-
kandidaten. Dies mag für den Landtag unbefriedigend sein, doch ist die
Einführung einer Direktwahl der Regierung unrealistisch. Zudem hätte
eine solch tiefgreifende Verfassungsänderung ungeahnte und kaum ab-
schätzbare Konsequenzen. Auch die Einteilung in zwei Wahlkreise
wurde kritisch beurteilt. Aber auch wenn die Verfassung diese selbst re-
lativiert, hat auch eine Auflösung der Wahlkreise weitreichende Konse-
quenzen. Zudem besteht keine konkrete Notwendigkeit, die Einteilung
in zwei Wahlkreise aufzuheben. Allerdings sollte die Sperrklausel von
acht Prozent überdacht werden, da sie im internationalen Vergleich sehr
hoch ist. Damit für andere Wählergruppen die Hürde eines Landtags-
mandats niedriger wird, sollte sie von acht auf vier Prozent gesenkt wer-
den. Gleichzeitig ist auch an die Möglichkeit der Kumulierung von
Wählerstimmen zu denken, da der Wähler derzeit Kandidaten lediglich
streichen kann. Durch die Möglichkeit des Kumulierens bekäme das
Wahlrecht ein belohnendes Element.
Die Dreiteilung der Staatsfunktion sollte nicht als Gewaltentren-
nung, sondern als Gewaltenverschränkung verstanden werden, da die
Trennung der Staatsfunktionen nicht als ein beziehungsloses Nebenei-
nander, sondern lediglich als funktionelle Scheidung bestimmter Aufga-
ben in einem einheitlichen und geschlossenen Verfassungssystem zu ver-
stehen ist.5 Ein solches System kann nur dann funktionieren, wenn alle
Beteiligten bereit sind, auf der gemeinsamen Plattform des bestehenden
demokratischen Systems zu kooperieren.6 Dieses System der Gewalten-
verschränkung und damit gegenseitiger Kontrollen und Ausbalancierun-
316
Reformbedarf
5 Kelsen, S. 229.
6 Löschnak, S. 559.
gen (Hemmnisse und Gegengewichte) von Legislative und Exekutive
wird als «checks and balances» bezeichnet.7
Auch wenn die direkte Demokratie als eine flankierende System-
komponente der Mischverfassung Liechtensteins angesehen wird, stellt
das definitive Veto des Fürsten gegenüber Volksrechten wie Verfassungs-
und Gesetzesinitiative oder Referendum zu Gesetzen, Finanzbeschlüs-
sen und Staatsverträgen ein unüberwindbares Hindernis dar. Gleichzei-
tig sind der Misstrauensantrag gegen den Landesfürsten und die Monar-
chieabschaffung faktisch kaum anwendbare Kompetenzen des Volkes.
Wählergruppen nehmen unterschiedlichste Aufgaben wahr. Ob-
wohl eine Parteizugehörigkeit oder Parteibildung keine Voraussetzung
ist, um am Politikgeschehen – etwa als Landtagsabgeordneter oder Re-
gierungsrat – teilzunehmen, haben Parteien in Liechtenstein eine heraus-
ragende Stellung. In Liechtenstein sind im Jahr 2010 sämtliche Wähler-
gruppen in Parteien zusammengeschlossen. Die Ausrichtung der beiden
Volksparteien Fortschrittliche Bürgerpartei und Vaterländische Union
ist nahezu identisch, während die Freie Liste deutlich linker und wirt-
schaftsliberaler positioniert ist. Auffallend bei den Volksparteien ist ei-
nerseits, dass sie eine opportunistische Politik betreiben, indem sie auf-
grund ihrer allgemein gehaltenen und praktisch identischen Programme
weder Extrem- noch Gegenpositionen einnehmen und gleichzeitig die
Interessen der breiten Masse aufzugreifen versuchen. Andererseits be-
wegen sich Abgeordnete im Landtag trotz praktisch identischer Aus-
richtung ihrer Parteien selten auf einer Linie. Grund dafür ist die Unter-
ordnung des freien Mandats unter die Parteipolitik und die mangelnde
Emanzipation der Landtagsmehrheit von der Regierung.
Nach den Landtagswahlen wird von den Volksparteien – ausser im
seltenen Falle einer Alleinregierung – ein Koalitionsvertrag erarbeitet.
Dennoch besteht keine Koalition im eigentlichen Sinn, sondern eine Ko-
Opposition.8 Die Zeitungen der Volksparteien informieren nicht und su-
chen keine wirkliche Auseinandersetzung mit abweichenden Meinungen
in einem argumentativen Sinne. Eine unabhängige Berichterstattung und
Bewertung der Politik wäre wünschenswert.
317
Verfassungsrechtliche und politische Rahmenbedingungen des Landtags
7 Dieses System geht auf Montesquieu zurück und wurde von den Federalists bei der
US-amerikanischen Verfassungsinterpretation weiterentwickelt (Schüttemeyer,
Checks, S. 107). Siehe dazu auch Allgäuer, S. 104.
8 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 144.
Potenziell neuen Parteien können durchaus Chancen zugestanden
werden. Diese könnten dazu beitragen, dass die absolute Mehrheit einer
Volkspartei weniger wahrscheinlich wird oder deren hegemoniale Stel-
lung abgeschwächt wird.
2. Ausgestaltung und Funktionsweise des Landtags
Die Analyse der Zusammensetzung des Landtags offenbarte strukturelle
Defizite insbesondere im Verhältnis zur Regierung. Der Landtag verfügt
als Milizparlament mit 25 Abgeordneten über knappe personelle Res-
sourcen. Gepaart mit der zeitlichen Intensität der Landtagsarbeit und
der hohen Komplexität von Vorlagen wird der Landtag in eine passive
Rolle gedrängt, aus der er sich kaum selbst befreien kann. Durch die sys-
tembedingte «Zeitnot, Sachkundenot und Bewertungsnot»9 entsteht
«Oberflächlichkeit des ‹Überall und Nirgends›, des ‹Alles und Nichts›,
der Willfährigkeit gegenüber entschlossenem Regierungs- und Verwal-
tungswillen».10
Es ist angezeigt, die Grösse des Landtags als Milizparlament mit 25
Abgeordneten den heutigen Anforderungen an ein Nationalparlament
anzupassen und die Abgeordnetenzahl auf 50 anzuheben.
Die Institution der parlamentarischen Stellvertretung befindet sich
in einem Spannungsfeld zwischen der Erscheinungspflicht der ordentli-
chen Abgeordneten und deren Hinderungsgrund. Ordentliche Abge-
ordnete lassen sich freiwillig vertreten, auch wenn keine physische Ver-
hinderung vorliegt. Dies widerspricht ebenso der Verfassung wie die Be-
stellung von Stellvertretern in Delegationen. Die parlamentarische
Stellvertretung sollte somit abgeschafft und im Gegenzug die Abgeord-
netenzahl erhöht werden. Falls an der Stellvertreterregel festgehalten
wird, dann kann aufgrund der Praxis des freiwilligen Fernbleibens der
Wählerwillen nur dann nicht vollständig ausgehebelt werden, wenn die
Geschäftsordnung festhält, dass immer zuerst derjenige Stellvertreter ei-
nen ordentlichen Abgeordneten zu vertreten hat, der von den Stellver-
tretern bei den Landtagswahlen am meisten Stimmen erhalten hat.
318
Reformbedarf
9 Eichenberger, Kontrolle, S. 285.
10 Eichenberger, Regiergunssystem, S. 163.
Die kritische Analyse der Arbeitsweise des Landtags machte die
Vereinnahmung des Landtags durch die Regierung deutlich. Dies zeigt
sich bereits bei der Traktandierung von Geschäften, bei der das Landtags-
büro diese zeitlich zu knapp traktandiert, weil die Regierung ihre Vorla-
gen oft zu spät übermittelt, oder indem es Vorlagen der Regierung, wel-
che (noch) nicht umgesetzt sind, rein nach dem Titel und ohne Kenntnis
des Inhalts auf die Traktandenliste setzt. Dadurch wird den Abgeordne-
ten das genaue Studium der Vorlagen bzw. die Einholung von weiteren
Informationen massiv erschwert. Der Regierung scheint es dagegen zu
gelingen, dem Landtag Vorlagen als dringlich zu verkaufen, weil sie das
Landtagsbüro letztlich als solche traktandiert. Damit bestimmt die Re-
gierung und nicht das Landtagsbüro die Tagesordnung. Der Landtag
sollte sich selbst mehr Zeit geben, indem er die Behandlung von zu kurz-
fristigen Vorlagen auf die Tagesordnung der übernächsten Landtagssit-
zung setzt. Schliesslich ist zu kritisieren, dass die Regierung dem Landtag
nicht alle Informationen (Stellungnahmen, Gutachten, Expertisen, usw.)
vorlegt, die ihr selbst zur Ausfertigung einer Vorlage zur Verfügung stan-
den. Die Abgeordneten erlangen auch keine Kenntnis von fehlenden Un-
terlagen, weshalb sie diese nicht einmal von der Regierung einfordern
können. Dabei bildet aber gerade das Informationsrecht und die Infor-
mationsverarbeitungskapazität eine wesentliche Voraussetzung für eine
effiziente Einflussnahme des Parlaments auf die Regierung.11
Auch das Landtagssekretariat stösst bei der Wahrnehmung seiner
Aufgaben an personelle und fachliche Grenzen. Damit das Milizsystem
funktionstüchtig bleibt, müssen im Sinne des «relativen Milizsystems»12
die nötigen organisatorischen Voraussetzungen geschaffen werden. Das
Landtagssekretariat sollte als Parlamentsdienst gestaltet werden, der sich
ein Reglement und damit spezialisierte Abteilungen geben kann. Primäre
Aufgabe wäre die Informationsbeschaffung und Beratung in Fachfragen,
um sowohl ein Gegenpart zur Regierung zu sein als auch insgesamt die
Landtagsarbeit bzw. den politischen Prozess im Landtag zu fördern. Da-
rauf aufbauend sollte im Rahmen einer Öffentlichkeitsarbeit eine wohl-
verstandene Imagepflege für den Landtag betrieben werden.
319
Ausgestaltung und Funktionsweise des Landtags
11 Frommelt, S. 13.
12 Marti, S. 109.
Der Landesausschuss besteht in der Zeit des geschlossenen Land-
tags. Der Landtag ist in diesem Zeitraum ausgeschaltet und damit hand-
lungsunfähig. Es sollte aber innerhalb der Mandatsperiode nicht ge-
schlossen werden und damit von einer Landtagswahl zur nächsten hand-
lungsfähig bleiben. Im heutigen politischen System Liechtensteins
finden sich kaum mehr Argumente für die Diskontinuität und die Bei-
behaltung des Landesausschusses.13 Der Landesausschuss hat seine Da-
seinsberechtigung verloren und sollte abgeschafft werden.
Auch wurde ersichtlich, dass viele Geschäfte in nichtöffentlichen
Landtagssitzungen (vor-)besprochen werden. Diese haben durchaus ihre
Daseinsberechtigung, doch sollten sie so selten als möglich abgehalten
werden, um nicht die Transparenz des Landtags hintanzusetzen.
Der Landtag ist sowohl ein Rede- als auch ein Arbeitsparlament,
ein «Mischparlament».14 Diese Ausgestaltung des Landtags ohne (spe-
zialisierte) Ausschüsse bzw. Kommissionen muss überdacht werden,
wenn der Landtag seine Kompetenzen in Zukunft effektiv wahrnehmen
will. Zudem sind die Plenardebatten häufig geprägt von Unsachlichkeit
und Parteipolitik. Dazu tritt das zu wenig vorhandene politische Selbst-
verständnis der Abgeordneten. Dies kann auf die Ausgestaltung als Mi-
lizparlament und die daraus entstehende Amateurberatung zurückge-
führt werden. Damit ist die Plenardebatte selten der Ort, an dem um die
besseren Argumente gekämpft wird. Sie dient nicht der Meinungsbil-
dung oder der Entscheidungsfindung, sondern der Meinungsplatzie-
rung, indem die Abgeordneten ihren bereits im Vornherein festgelegten
Standpunkt äussern bzw. verlesen. Eine Redezeitbeschränkung bietet
sich als Lösung nur bedingt an. Damit aber das Plenum tatsächlich einen
akzeptierten Zustand erreichen kann, müssen sich die Abgeordneten be-
sinnen und ihr politisches Selbstverständnis stärken. Auch müssen ver-
mehrt (öffentliche) Grundsatzdiskussionen geführt werden, weshalb in
jeder Landtagssitzung eine aktuelle Stunde stattfinden sollte.
Im Vergleich zu anderen Parlamenten werden wenige Aufgaben an
Kommissionen delegiert. Zudem herrscht in den Kommissionen kaum
ein konzentriertes Expertenwissen. Zurückzuführen ist dies einerseits
auf die Ausgestaltung des Landtags als Milizparlament und damit auf die
320
Reformbedarf
13 Allgäuer, S. 362.
14 Allgäuer, S. 52.
beschränkten personellen Ressourcen, sowie andererseits auf die geringe
Anzahl an ständigen Kommissionen und auf die seltene Bestellung von
besonderen Kommissionen. Kommissionen bergen ein grosses Unter-
stützungspotential für den Landtag. Es sollte die Anzahl an ständigen
Kommissionen erhöht sowie deren Mitwirkung im täglichen Landtags-
prozedere verstärkt werden.15 Aufgrund der knappen personellen Res-
sourcen bedingt dies allerdings eine Erhöhung der Mandatszahl.
Die finanzielle Entschädigung der Abgeordneten für ihre Land-
tagstätigkeiten scheint ausreichend. Staatsangestellte erhalten für alle Sit-
zungstage des Landtags – im Sinne eines bezahlten Urlaubs – den vollen
Lohn zusätzlich zur Entschädigung als Landtagsabgeordnete erhalten.16
Diese Bevorzugung sollte abgeschafft werden. Überhaupt ist es fraglich,
warum in Liechtenstein Staatsangestellte ein Landtagsmandat ausüben
können, während dies in anderen Staaten aufgrund von Inkompatibilität
nicht möglich ist. Da dies in Liechtenstein zu Interessenkonflikten und
etwa einer Schwächung der Regierungskontrolle führen kann, sollte ein
Gesetz über die Unvereinbarkeit eingeführt werden.
3. Verfassungsrechtliche Stellung von Fürst, Volk
und Regierung im Verhältnis zum Landtag
Innerhalb des Staatsapparates befindet sich der Landtag in einem Gefüge
mit anderen Institutionen: Landesfürst, Volk, und Regierung. Dabei
steht der Landtag zwei Vetospielern gegenüber: dem Volk und dem
Fürsten. Beim Volk ist vor allem das Referendum zu nennen. Der Land-
tag muss zudem darauf achten, dass er seine Repräsentationsfunktion im
Verhältnis zum Volk wieder wahrnimmt und sich nicht von der Regie-
rung einnehmen lässt. Nur so präsentiert sich der Landtag als Volksver-
tretung.
Die Kompetenzen zwischen Landtag und Landesfürst sind nicht
gleichmässig verteilt: Dem Landtag ist es nicht möglich, den Landes-
fürsten abzusetzen, währenddem der Fürst den Landtag eigenmächtig
vertagen oder auflösen kann. Zudem nimmt der Landesfürst mit seinem
321
Fürst, Volk und Regierung im Verhältnis zum Landtag
15 Frommelt, S. 45.
16 Verordnung über das Dienstverhältnis des Staatspersonals (Staatspersonalverord-
nung), LGBl 2008/ 303, Art. 23 AbS. 1 lit. h.
Sanktionsrecht eine herausragende Stellung ein: Einerseits ist die Ertei-
lung oder Verweigerung der Sanktion Ermessenssache, andererseits kann
der Landesfürst seine Meinung präventiv wissen und wirken lassen und
damit die Entscheidungsfindung von Landtag oder Volk massiv beein-
flussen. Da darüber hinaus der Regierungschef «die ihm unmittelbar
vom Fürsten übertragenen Geschäfte, die Gegenzeichnung der Gesetze
sowie der vom Fürsten und seiner Regentschaft ausgehenden Erlasse
und Verordnungen»17 zu besorgen hat, nimmt der Landesfürst aktiv an
der Tagespolitik teil und hat Einfluss auf die Regierungs- und damit auf
die Landtagspolitik. Deshalb beeinflusst er auch das Agenda-Setting des
Landtags und die Institution Landtag an sich.
Das Verhältnis von Volk und Landtag beginnt mit der direkten
Wahl der Abgeordneten durch die Wahlberechtigten. Obwohl bei den
Landtagswahlen der Kandidatenproporz Anwendung findet, handelt es
sich bei der Landtagswahl faktisch um eine Regierungswahl. Nach der
Landtagswahl sind die gewählten Abgeordneten zwar Träger des durch
die Verfassung postulierten freien Mandats, indem sie verpflichtet wer-
den, sowohl «das Wohl des Vaterlandes ohne Nebenrücksichten nach
bestem Wissen und Gewissen» (Art. 54 Abs. 1 LV) als auch «die Rechte
und Interessen des Volkes» (Art. 45 Abs. 1 LV) zu fördern und damit das
Volk zu repräsentieren und zu vertreten. Allerdings begünstigen das
Leistungsunvermögen des Landtags und die Volksparteien eine Reprä-
sentationslücke. Dabei fördern die Volksparteien die Parteipolitik und
unterdrücken dadurch das freie Mandat, was wiederum die Sachpolitik
des Plenums belastet.
Das Verhältnis zwischen Landtag und Regierung ist in der vorlie-
genden Arbeit zentral. Verfassungsrechtlich ist der Landtag der Regie-
rung übergeordnet. Allerdings kann der Landtag kaum eine seiner Kom-
petenzen ohne Mithilfe der Regierung erfüllen. Damit sind die beiden
Organe in Form von «checks and balances» «verzahnt, interdependent,
durchwegs aufeinander angewiesen».18 Dieses System bedingt von bei-
den Organen Kooperationswille, weil jeder exzessive Gebrauch von
Rechten, die der Regierung und dem Landtag im Hinblick auf das Ge-
genüber zwar zustehen mögen, die Gefahr einer völligen Lahmlegung
322
Reformbedarf
17 <www.regierung.li/index.php?id=66>, 03.01.2011.
18 Eichenberger, Regierungssystem, S. 159.
staatsrechtlicher Prozesse enthält. Diese Gefahr des «deadlock»19 wird
durch die Zurückhaltung des Landtags gebannt, indem er gegenüber der
Regierung keine dominante Haltung einnimmt. Dies und die daraus re-
sultierende Passivität des Landtags hat die Konsequenz, dass die Regie-
rung einem Gestaltungszwang unterliegt.20 Denn je schwächer der
Landtag ist, desto dominanter muss die Regierung agieren und desto un-
terdrückter und abhängiger wird wiederum der Landtag von der Regie-
rung. Damit läuft der Landtag Gefahr, seinen Einfluss zu verlieren, wo-
durch das System der «checks and balances» geschwächt wird, was zu ei-
ner Machkonzentration bei der Regierung führt. Dadurch ist das Volk
«im Begriffe, sein eigenes Organ und damit seinen Einfluss zu verlie-
ren».21 Diesen Kreis können nur die Abgeordneten durch selbstbewuss-
tes Auftreten gegenüber der Regierung und durch proaktives Handeln
durchbrechen. Bis dahin bleibt die Kollegialregierung unbestritten der
aktive und dynamische Hauptträger der Entscheidungsmacht.22
Allerdings kann der Landtag nie von der Regierung unabhängig
sein. Dies zeigt sich bereits unmittelbar nach den Landtagswahlen, wenn
die Abgeordneten die Regierung «wählen». Dadurch entsteht ein Nahe-
verhältnis zwischen Landtag und Regierung, welches die unabhängige
Stellung des Landtags bedroht, da Regierungs- und Parlamentsmehrheit
übereinstimmen, während die Regierungsmitglieder durch deren Infor-
mationsvorsprung auch die Parteilinie wesentlich prägen.
Auch im Rechtsetzungsverfahren stösst der Landtag an seine qua-
litativen und quantitativen Grenzen. Der Landtag wird selten initiativ,
während die Regierung Gesetze initiiert und die Gesetzgebung des
Landtags steuert und lenkt. Der Landtag trägt systembedingt – aufgrund
seiner personellen und fachlichen Grenzen – dazu bei, dass die Regie-
rung die Gesetzgebungspolitik bestimmt. Damit wurde die Gesetzge-
bungsfunktion des Landtags «zu einer blossen Kontrollfunktion gegen-
über den Regierungsvorlagen».23 Das unemanzipierte Plenum wird da-
bei zum Zustimmungsautomaten24 und lässt sich von der Regierung
323
Fürst, Volk und Regierung im Verhältnis zum Landtag
19 Steffani, S. 634.
20 Thaysen, Parlament, S. 88.
21 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 179.
22 Waschkuhn, 1994, S. 149.
23 Schmid, S. 22.
24 Thaysen, Regierungssystem, S. 47.
vereinnahmen. Dies bestätigte der Landtag etwa durch die Annahme der
Corporate Governance, indem er auch Regierungsvorlagen annimmt,
durch welche er Kompetenzen an die Regierung abtritt.
Das Ungleichgewicht zwischen Landtag und den Staatsorganen
Fürst und Regierung ist systembedingt, weil «das Parlament in sich
selbst nicht mehr genügend imstande ist, die bereits ihm zustehenden
Funktionen und übertragenen Kompetenzen entsprechend auszu-
üben».25 Aus diesen Gründen hat der Landtag einen «vergleichsweise
schwachen Stand innerhalb des politischen Systems».26
4. Kontrolle der Regierung durch den Landtag
Gemäss dem Grundsatz «nur kontrollierte Macht kann aber demokrati-
sche Macht sein»,27 kann die Frage gestellt werden, ob der Landtag de
facto «wachsamer Wächter oder paktierender Partner der Regierung war
und ist».28
Den Erläuterungen kann entnommen werden, dass die vorhande-
nen Kontrollmittel grundsätzlich geeignet sind, die Regierung zu kon-
trollieren, obwohl sie – im wesentlichen unverändert – seit 1921 beste-
hen. Aber ein formelles Kontrollrecht bedeutet nicht automatisch ein
faktisch wirksames.29
Seit 1921 hat sich die Regierung professionalisiert: Sämtliche Re-
gierungsmitglieder nehmen das Mandat hauptberuflich wahr, während
der Regierungsunterbau stark vergrössert wurde.
Der Landtag versäumte es, sich ebenfalls zu stärken, sodass «die
Erweiterung und die Differenzierung der Staatstätigkeiten den einzelnen
Abgeordneten quantitativ und qualitativ überfordern. Auch wenn er
sich spezialisiert, kann er nur in seltenen Fällen mit der Ausbildung und
der Erfahrung der Fachbeamten Schritt halten. Was das für die Effizienz
der Kontrolle bedeutet, liegt auf der Hand.»30 Obwohl der Landtag die
324
Reformbedarf
25 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 178
26 Marxer, Parlamentarismus, S. 56.
27 Blum, S. 5.
28 Thaysen, Regierungssystem, S. 8.
29 Thaysen, Regierungssystem, S. 54.
30 Koja, S. 200.
Finanzhoheit innehat, zeigt sich dies vor allem bei der Finanzkontrolle.
Allerdings kann der Landtag die Regierung dabei nur bei ungebundenen
Ausgaben kontrollieren und ist bei gebundenen Ausgaben selbst in der
Pflicht, da diese auf Gesetze zurückzuführen sind, die er selbst be-
schlossen hat.
Die fehlende Ausbildung und Erfahrung der Abgeodneten zeigt
sich vor allem bei der Behandlung der Landesrechnung und Ausgaben-
krediten. Deren Komplexität und Umfang überfordert die Abgeordne-
ten, weshalb sie die Regierung anhand dieser Instrumente kaum effektiv
kontrollieren können. Dies trifft auch auf die Geschäftsprüfungskom-
mission zu, welcher die Vorprüfung der Landesrechnung obliegt. Daher
gleicht die Behandlung der Landesrechnung im Plenum einer Frage-
stunde. Die Abgeordneten stellen gelegentlich zwar Detailfragen zu ein-
zelnen Konti, aber ein Vergleich zwischen Voranschlag und Landesrech-
nung bleibt aus.
Auch mittels des Rechenschaftsberichts, des Finanzplans und des
Voranschlags bzw. des Finanzgesetzes ist der Landtag zwar insgesamt
bestrebt, die Regierung öffentlich zu beanstanden. Aber faktisch wirkt
der Landtag durch die Behandlung solcher Vorlagen nicht anhand von
Gemeinwohlkriterien auf Korrektur hin. Diskussionen um grundle-
gende Zielsetzungen finden nicht statt.
Bei der Behandlung der Ausgabenkredite im Plenum kritisieren die
Abgeordneten die Regierung zum Teil heftig. Dies ist vor allem bei Ver-
pflichtungskrediten und Ergänzungskrediten zutreffend. Ersteres, weil
die Regierung sie dem Landtag zu einem Zeitpunkt vorlegt, zu dem sie
die Verpflichtung bereits eingegangen ist. Letzeres, weil es sich dabei um
aufgezwungene Kredite handelt. Der Landtag hat in den Jahren 2000 bis
2009 alle Ausgabenkredite bewilligt. Den Abgeordneten fehlt es dabei
am Willen zur Konsequenz.
Die Abgeordneten können solche Vorlagen aufgrund der fehlenden
personellen und finanziellen Ressourcen und wegen fehlendem Fachwis-
sen aber kaum prüfen, was auf den Umfang bzw. die Komplexität der Vor-
lage zurückzuführen ist. Die Abgeordneten müssen deshalb Regierungs-
vorlagen Glauben schenken und können sie damit kaum kontrollieren.
Der Landtag kann anhand der Ausgabenkredite seiner Kontroll-
funktion nur geringfügig gerecht werden. Er sollte diese Funktion aber
dem Volk ermöglichen, indem er diese Vorlagen – wenn möglich – nicht
für dringlich erklären.
325
Kontrolle der Regierung durch den Landtag
Die Aussenpolitische Kommission, die Geschäftsprüfungskom-
mission und die Finanzkommission verfügen nur über geringe Steue-
rungs- und Kontrollmöglichkeiten. Durch deren strukturelle Begrenzt-
heit im Inneren der jeweiligen Kommission ist die Regierungskontrolle
zweifelhaft. Darüber hinaus ist bei der Geschäftsprüfungskommission
die laufende Kontrolle unvorteilhaft als Holschuld ausgestaltet. Deshalb
sollte die Regierung für jedes Quartal einen Bericht im Sinne eines «klei-
nen Rechenschaftsberichts» anfertigen und der Geschäftsprüfungskom-
mission bzw. dem Landtag überreichen.
Parlamentarische Untersuchungskommissionen sind geeignete
Mittel, um die Regierung gezielt und effizient zu kontrollieren. Sie wer-
den aber nur selten eingesetzt. Im Gegensatz dazu ist die kurze Anfrage
das beliebteste formale Kontrollmittel der Abgeordneten, was an der ei-
gentlichen Formlosigkeit und der damit einhergehenden einfachen Inan-
spruchnahme liegt. Allerdings stösst die Regierung bei deren Beantwor-
tung an ihre Grenzen. Sie sollte durch eine Fragestunde ersetzt oder er-
gänzt werden.
Auch die Interpellation stellt ein wirksames Recht dar, um die Re-
gierung zu kontrollieren. Die Abgeordneten behandeln Petitionen aus-
giebig und nehmen sie grundsätzlich an. Sie stellen ein wichtiges Instru-
ment dar, um dem Plenum Denkanstösse zu geben und sie auf Miss-
stände hinzuweisen. Das Postulat scheitert häufig an der
Landtagsmehrheit. Es sollte daher als Minderheitenrecht ausgestaltet
werden. Für die Abgeordneten scheint die informale Kontrolle häufig
wirksamer als die gesetzliche zu sein.
Generell haben die Ausführungen ergeben, dass nicht nur die Op-
position die Regierung kritisch hinterfragt. Auch die Mehrheitspartei
prüft (ihre) Regierung. Zurückzuführen ist dies einerseits auf die Tatsa-
che, dass beide Volksparteien Regierungsmitglieder stellen und damit so-
wohl fremde als auch «eigene Leute mit in der Regierung»31 sitzen.
Gleichzeitig «wird aus Angst vor ‹Retourkutschen› auch auf die Regie-
rungsmitglieder der gegnerischen Partei bis zu einem gewissen Grad
Rücksicht genommen».32 Dadurch kann die fehlende Konsequenz der
Abgeordneten bei der Regierungskontrolle erklärt werden.
326
Reformbedarf
31 Batliner, Parlament, S. 155.
32 Allgäuer, S. 359.
Insgesamt fehlt dem Landtag bei der Kontrolle der Regierung auch
eine Unterstützung, da die Abgeordneten als Milizparlamentarier die
Regierung kaum zu kontrollieren vermögen. Dazu fehlt es ihnen an In-
formationen, Fachwissen und Zeit. Aber «Effizienz der Kontrolle be-
deutet in erster Linie Aktualität der Information und Transparenz der
Diskussion».33 Damit ist der Landtag «hinsichtlich der Regierungskon-
trolle offenkundig defizient».34 Auf diese systemimmanenten Struktur-
defizite des Plenums sind auch die mangelnden personellen Ressourcen
und die jeweils ungenügende Ausgestaltung der Hilfsorgane des Land-
tags zurückzuführen.
327
Kontrolle der Regierung durch den Landtag
33 Neisser, S. 717.
34 Waschkuhn, 1994, S. 149.
B. Reformen
Die Verfassung von 186235 schuf den Landtag als ein gesetzmässiges 15-
köpfiges Organ. Seither unterlagen die Bestimmungen des Landtags ei-
nem dauernden Wandel, um ihn jeweils für die Gegenwart und die Zu-
kunft zu rüsten. Dabei mussten immer wieder Entscheidungen darüber
getroffen werden, inwiefern die Bestimmungen des Landtags in der Ver-
fassung und der Rahmengesetze novelliert werden sollten. Aus diesem
Grund wurden seit Bestehen des Landtags immer wieder die Reformbe-
dürftigkeit an sich, das Ausmass oder der Inhalt möglicher Reformen
hinterfragt.
Während der Behandlung des Themas «150 Jahre Landtag» traten
Schwächen des Landtags zu Tage. Dabei waren gerade die Strukturpro-
bleme des Landtags omnipräsent, indem diese auf sämtliche Bereiche des
Landtags Auswirkungen haben.
Es muss versucht werden, die (strukturellen) Schwächen des Land-
tags mittels Reformen zu beseitigen, damit der Landtag seiner Stellung
und seinen Aufgaben gerecht werden kann. Aber Identitätskrisen sind
«nicht nur etwas Gefährliches, sie können sich durchaus als heilsam er-
weisen, wenn man ihnen nur offen genug ins Auge blickt».36 Dabei sind
die Abgeordneten ebenso wichtig wie die rechtlichen Bestimmungen.
Es ist nicht im Interesse der Abgeordneten, den Landtag dermassen
zu reformieren und zu regulieren, dass er nicht mehr flexibel ist, indem
er starr nach einem Schema agieren muss und dabei Gefahr läuft, sich re-
gelmässig in Diskussionen über formelle Probleme zu verlieren. Gleich-
zeitig kann es «nicht im Interesse der Regierung liegen, ein schwaches
Parlament zu haben, obwohl die Vorstellung verlockend wäre».37
328
35 LV 1862, LLA 1862. Zu finden auch im Anhang von LPS 8, S. 273 ff.
36 Stäuble, S. 157.
37 Moeckli, Funktionen, S. 4.
1. Verfassungsrechtliche und politische Rahmen -
bedingungen des Landtags
Nr. 1 Sperrklausel
Eine Sperrklausel von derzeit acht Prozent ist – auch im internationalen
Vergleich – sehr hoch. Die Sperrklausel sollte auf vier Prozent reduziert
werden.
Nr. 2 Kumulieren von Landtagskandidaten
Der Wähler kann einen Kandidaten nicht isoliert, das heisst ohne Partei-
stimme im Rucksack, präferieren. Falls ihm lediglich ein Kandidat zu-
sagt, kann er diesen nur mit einer Stimme unterstützen, auch wenn er alle
anderen Kandidaten streicht. Es wäre in solch gelagerten Fällen von Vor-
teil, wenn der Wähler die durch die Streichung «frei gewordenen Stim-
men» frei kumulieren könnte. Damit bekäme das Wahlrecht einen posi-
tiven und belohnenden Charakter.
Nr. 3 Vollamtlicher Landtagspräsident
Der Landtagspräsident sollte seine Aufgabe hauptberuflich wahrneh-
men. Dies hat neben der gesteigerten zeitlichen Anforderung an die Per-
son des Landtagspräsidenten mehrere Gründe: Ein Berufs-Landtagsprä-
sident würde schon rein formal aufgrund seiner Anstellung gegenüber
dem Regierungschef einen auch vom Volk wahrgenommenen Gegenpol
darstellen. Auch könnte er seine Aufgaben, etwa hinsichtlich Landtags-
sekretariat und Landtagsbüro, gezielter wahrnehmen. Damit würde
auch beim Landtag eine gewisse Professionalität Einzug halten. Aber vor
allem könnte der vollamtliche Landtagspräsident als Repräsentant des
Landtags endlich die Öffentlichkeit für den Landtag sensibilisieren und
damit dessen Repräsentation und positive Öffentlichkeitswirkung stark
beeinflussen.
Nr. 4 Landtagsblatt
Da die Parteiorgane Liechtensteiner Vaterland und Liechtensteiner
Volksblatt das Volk einseitig informieren, ist eine unabhängige und ob-
jektive Zeitschrift, allenfalls eine vom Landtag für jeden Monat erschei-
nende Lektüre zum aktuellen Politikgeschehen im Landtag bzw. in
Liechtenstein, wünschenswert.
329
Verfassungsrechtliche und politische Rahmen bedingungen des Landtags
2. Ausgestaltung und Funktionsweise des Landtags
Nr. 5 Abgeordnetenzahl
Indem der Landtag an «Zeitnot, Sachkundenot und Bewertungsnot»38
leidet, und keine personellen Ressourcen vorhanden sind, um dies zu
lindern, muss der Landtag auf 50 Abgeordnete aufgestockt werden.
Nr. 6 Parlamentarische Stellvertretung abschaffen
Stellvertreter sitzen im Plenum, weil sich ordentliche Abgeordneten frei-
willig vertreten lassen, ohne dass ein physischer Hinderungsgrund, son-
dern eine Abkehr von einem politischen Thema oder von der Parteimei-
nung vorliegt. Dies widerspricht der Verfassung, weshalb die parlamen-
tarische Stellvertretung abgeschafft werden sollte. Dadurch wären nur
die tatsächlich durch Wahl legitimierten ordentlichen Abgeordneten im
Landtag vertreten. Dies muss allerdings mit einer Erhöhung der Man-
datszahl einhergehen.
Nr. 7 Rangfolge der parlamentarischen Stellvertretung
Falls an der parlamentarischen Stellvertretung festgehalten wird, muss
die Regelung eingeführt werden, dass im Stellvertretungsfall – der nur
bei einem physischen Hinderungsgrund eintreten kann – derjenige Stell-
vertreter an der betreffenden Landtagssitzung teilnimmt, welcher von
den Stellvertretern bei den Landtagswahlen am meisten Stimmen erhal-
ten hat.
Nr. 8 Ausschluss der parlamentarischen Stellvertretung von Delegationen
Es widerspricht der Verfassung, dass stellvertretende Abgeordnete in
Delegationen als Vollmitglied bestellt werden. Dies ergeht aus der Ver-
fassung, doch sollte es aus Gründen der Rechtsklarheit – analog der
Regelung bei Kommissionen – ausgeschlossen werden.
Nr. 9 Parlamentsdienst
Im «relativen Milizsystem»39 müssen die nötigen Voraussetzungen ge-
schaffen werden, damit der Landtag und das System an sich funktions-
330
Reformen
38 Eichenberger, Kontrolle, S. 285.
39 Marti, S. 109.
tüchtig bleiben. Dazu müssen den Abgeordneten eigene Informations-
quellen erschlossen und sie von der Materialsuche entlastet werden. Da-
mit sollte das Landtagssekretariat als Parlamentsdienst gestaltet werden,
der sich ein Reglement und spezialisierte Abteilungen geben kann. Die-
ser sollte zu Beginn die Abgeordneten nach der Landtagswahl in ihr
Mandat einführen, die Abgeordneten in ihrer Landtagsarbeit unterstüt-
zen und auch Öffentlichkeitsarbeit im Sinne einer wohlverstandenen
Imagepflege für die Institution Landtag betreiben. Darauf aufbauend
sollte der Parlamentsdienst kontinuierlich gestärkt werden.
Nr. 10 Festsetzung der Landtagssitzungen
Das Landtagsbüro sollte die Termine der Landtagssitzungen auf wenigs-
tens zwei Jahre im Voraus festlegen, damit die Landtagsarbeit für die Mi-
lizparlamentarier besser planbar ist.
Nr. 11 Informationspflicht der Regierung
Die Regierung sollte verpflichtet werden, sämtliche ihr zur Ausarbei-
tung einer Vorlage zur Verfügung gestandenen Materialien (Stellungnah-
men, Gutachten, Expertisen, usw.) dem Landtag mitzuteilen und auf
Verlangen dem Landtagsbüro zuzustellen.
Nr. 12 Regierungsbericht über Vorlagen
Die Regierung sollte verpflichtet werden, zu Beginn einer Sitzungsperi-
ode den Landtag mittels Bericht darüber zu informieren, welche Vorla-
gen in Bearbeitung sind, damit der Landtag den Prozess begleiten oder
sich zumindest darauf vorbereiten kann.
Nr. 13 Vorlagepflicht eines Regierungsprogramms
Damit der Landtag grundsätzlich weiss, wohin die Reise in den nächsten
Jahren geht, scheint es opportun, dass die Regierung verpflichtet wird,
dem Landtag ein Regierungsprogramm vorzulegen, aus dem die politi-
sche Gesamtplanung der Regierung für die nächsten zwei Jahre hervor-
geht.
Nr. 14 Landesausschuss abschaffen
Der Landtag wird jedes Jahr für mehrere Monate geschlossen. Für diese
Zeit wir der Landesausschuss bestellt, während der Landtag ausgeschal-
tet und damit handlungsunfähig ist. Die Institution des Landesausschus-
331
Ausgestaltung und Funktionsweise des Landtags
ses sollte abgeschafft werden, damit der Landtag während der Legisla-
turperiode als versammelt gilt und permanent handeln kann. So könnte
auch der verfassungswidrige Zustand ausgeschlossen werden, dass in der
Zeit einer handlungsunfähigen Institution dessen Organe (besondere
Kommissionen und Untersuchungskommissionen) tagen.
Nr. 15 Aktuelle Stunde
Es sollte zu Beginn einer Landtagssitzung eine aktuelle Stunde abgehal-
ten werden, bei der sich die Abgeordneten allgemein mit einem be-
stimmten Thema beschäftigen und Meinungen öffentlich austauschen
können. Damit könnte einerseits dem Volk aufgezeigt werden, dass sich
das Plenum Gedanken um die vielfältigen Sorgen, Anliegen, Meinungen
und Wünsche der Bevölkerung macht, indem sich das Plenum mit aktu-
ellen Themen unabhängig einer Vorlage beschäftigt. Andererseits könnte
der Landtag dadurch auch der Regierung einen öffentlichen Impuls ge-
ben, sich mit einem bestimmten Thema näher auseinanderzusetzen.
Nr. 16 Kommissionswesen stärken
Damit das Milizparlament funktionstüchtig bleibt, sollten die nötigen
Voraussetzungen geschaffen werden. Dazu gehört neben der Einführung
des Parlamentsdienstes die Stärkung des Kommissionswesens, indem die
Anzahl an ständigen Kommissionen erhöht sowie deren Mitwirkung im
täglichen Landtagsprozedere verstärkt wird, damit sich der Landtag ge-
genüber (dem Sachverstand) der Regierung und ihrem Unterbau besser
behaupten kann. Aufgrund der knappen personellen Ressourcen bedingt
dies allerdings eine Erhöhung der Mandatszahl.
Nr. 17 Fraktionen in Delegationen
Es wäre sinnvoll und der Rechtsklarheit dienlich, ein Regelung simultan
zu derjenigen der Kommissionen in die Geschäftsordnung aufzuneh-
men, dass jede in Fraktionsstärke im Landtag vertretene Partei das Recht
hat, in Delegationen vertreten zu sein.
Nr. 18 Privilegierung von Staatsangestellten abschaffen
Staatsangestellte sind finanziell privilegiert, indem sie für alle Sitzungs-
tage des Landtags – im Sinne eines bezahlten Urlaubs – den vollen Lohn
zusätzlich zur Entschädigung als Landtagsabgeordnete erhalten. Diese
Privilegierung sollte abgeschafft werden.
332
Reformen
Nr. 19 Inkompatibilität regeln
Staatsangestellte können ein Landtagsmandat wahrnehmen, was zu Inte-
ressenkonflikten und zu einer Schwächung der Kontrollfunktion des
Landtags führen kann. Damit ist die Ausarbeitung eines Gesetzes über
die Unvereinbarkeit wünschenswert. Eine solche Regelung könnte etwa
die Unvereinbarkeit der Mitglieder der Regierung und der Gerichte mit
einem Landtagsmandat um die bei Stabsstellen und Amtsstellen beschäf-
tigten Personen – oder generell um die vom Staatspersonalgesetz um-
fassten Personen – erweitert werden.
3. Kontrolle der Regierung durch den Landtag
Nr. 20 Verjährungsfrist der Ministeranklage
Die Verjährungsfrist von einem Jahr ist im Hinblick auf die Zeitdauer,
bis die Rechtsverletzung bekannt wird, sehr kurz. Sie sollte erhöht wer-
den. Es wird eine Zeitdauer von vier Jahren vorgeschlagen.
Nr. 21 Disziplinarverfahren formell regeln
Das Gesetz über das Disziplinarverfahren gegen Mitglieder der Regie-
rung wurde aufgehoben, ohne im Staatsgerichtshofgesetz eine Bestim-
mung zum Disziplinarverfahren gegen Regierungsmitglieder festzuset-
zen. Damit das Disziplinarverfahren anwendbar ist, sollte das Verfahren
im Staatsgerichtshofgesetz geregelt werden.
Nr. 22 «Kleiner Rechenschaftsbericht»
Es wird vorgeschlagen, die Hol-Schuld der Geschäftsprüfungskommis-
sion in eine Bring-Schuld der Regierung zu wandeln. So könnte die Re-
gierung verpflichtet werden, für jedes Quartal einen Bericht im Sinne
eines «kleinen Rechenschaftsberichts» anzufertigen und der Geschäfts-
prüfungskommission zu überreichen. Die Geschäftsprüfungs kom mis -
sion wäre für die Genehmigung zuständig und müsste bei Misswirt-
schaft eines Ressorts bzw. der Regierung das Plenum unterrichten. Da-
mit wäre der Landtag dauernd in das Finanzgebaren der Regierung
involviert und hätte ein erhöhtes Kontroll- und Steuerungspotenzial.
333
Kontrolle der Regierung durch den Landtag
Nr. 23 Genehmigung einzelner Kredite bei Sammelvorlagen
zu Ausgabenkrediten
Es wäre von Vorteil, wenn die Abgeordneten im Plenum beantragen
könnten, über jeden Kredit einer Sammelvorlage einzeln abzustimmen.
Dann hätten die Abgeordneten die Möglichkeit, die für sie stossenden
Kredite nicht zu genehmigen, ohne die Genehmigung anderer zu ge-
fährden.
Nr. 24 Stärkung der Geschäftsprüfungskommission
Die Geschäftsprüfungskommission wirkt in der Wahrnehmung ihrer
Kontrollaufgaben überlastet. Damit sie einträglicher agieren kann, sollte
sie quantitativ durch Erhöhung ihrer Mitgliederzahl oder qualitativ
durch den Miteinbezug eines Parlamentsdienstes gestärkt werden.
Durch Letzteres würde sie in gewissem Masse professionalisiert und
könnte die gesamte Staatsverwaltung unter Einschluss der Justizverwal-
tung besser kontrollieren. Zugleich führt die personelle Verstärkung zu
einer Verteilung der Arbeit auf mehrere Köpfe, wodurch die Aufgaben
besser wahrgenommen werden können. Es drängt sich die Verknüpfung
beider Massnahmen auf.
Nr. 25 Stärkung der Finanzkommission
Auch die qualitative und quantitative Situation der Finanzkommission
ist unbefriedigend. Die Finanzkommission sollte simultan zur Ge-
schäftsprüfungskommission personell gestärkt und/oder durch einen
Parlamentsdienst unterstützt werden.
Nr. 26 Diskontinuität der ständigen Kommissionen
Die Mitglieder der ständigen Kommissionen (Finanzkommission, Ge-
schäftsprüfungskommission und Aussenpolitische Kommission) wer-
den jeweils für eine Sitzungsperiode bestimmt. Es wäre von Vorteil,
wenn deren Mitglieder für die gesamte Legislaturperiode gewählt
würden, da durch jede Neuwahl die Gefahr besteht, dass durch die
Nicht-Berücksichtigung eines bisherigen Mitglieds Wissen verloren
geht.
Nr. 27 Frist der Interpellationen
Interpellationen haben grossen Umfang und werden von der Regierung
oft zu spät beantwortet. Es sollte überlegt werden, der Regierung nicht
334
Reformen
bis zur übernächsten Landtagssitzung, sondern eine Sitzung länger Zeit
für die Beantwortung zu geben.
Nr. 28 Postulat als Minderheitenrecht
Indem die Landtagsmehrheit regelmässig die Überweisung des Postulats
verhindert, sollte es analog der Bestellung von Parlamentarischen Unter-
suchungskommissionen als Minderheitenrecht ausgestaltet werden.
Nr. 29 Einführung einer Fragestunde
Durch Einführung einer Fragestunde könnten die Abgeordneten ausser-
halb der regulären Landtagsdebatten für die Dauer von einer Stunde
kurze mündliche Fragen stellen, die unmittelbar von der Regierung
mündlich zu beantworten sind. Damit können die Abgeordneten in ei-
ner mündlichen Auseinandersetzung mit den Regierungsräten diese
kontrollieren und dabei die Politik und Massnahmen der Regierung ei-
ner genauen, öffentlichen Prüfung unterziehen. Die Fragestunde sollte
aber nicht für Detailfragen missbraucht werden, welche die Regierungs-
räte ohne Vorbereitung und ohne Rückfrage nicht beantworten können.
Durch die Fragestunde würde die Politik lebendiger. Zudem könnte das
Interesse des Volkes an der Politik erhöht werden, wenn dort spannende
politische Auseinandersetzungen entstehen.
4. Denkanstösse
An dieser Stelle können weniger Reformen, als vielmehr Gedankenan-
stösse vermittelt werden. Die vorgenannten Reformen können eine ge-
wisse Verbesserung der Landtagsarbeit ermöglichen. Die Abgeordneten
müssen allerdings diese Möglichkeiten wahrnehmen und mit Leben fül-
len. Denn über die Unzulänglichkeiten des Landtags kann keine Reform
eine Brücke bilden. Diese müssen die Abgeordneten selbst schlagen.
Während der Analyse des Plenums wurde augenscheinlich, dass die
Meinungsbildung der Abgeordneten nicht im Plenum stattfindet. Das
Plenum wurde zum Ort der Meinungsplatzierung, indem die Abgeord-
neten ihren ausserhalb des Plenums festgelegten Standpunkt äussern
bzw. verlesen. Von diesem lassen sich die Abgeordneten kaum abbrin-
gen. Selbst das Einlassen auf eine sachliche Diskussion fällt schwer. Aber
gemäss Batliner ist dies eine Grundvoraussetzung in der Politik: «In der
335
Denkanstösse
Politik, insbesondere im Parlament sind zugleich radikale Sachlichkeit
wie persönlicher Mut zur Auseinandersetzung anzustreben. Sachlichkeit
hat nichts mit Weichheit zu tun, deren Kennzeichen es häufig ist, sich in
Lobrednerei oder – gestärkt durch die eigene Gruppe – sich in Polemik
zu äussern.»40
Die Abgeordneten sollten gemäss Weber über folgende Eigen-
schaften verfügen:
«Leidenschaft – Verantwortungsgefühl – Augenmass. Leidenschaft
im Sinne von Sachlichkeit. [. . .] Sie macht nicht zum Politiker, wenn
sie nicht, als Dienst in einer ‹Sache›, auch die Verantwortlichkeit
gegenüber ebendieser Sache zum entscheidenden Leitstern des
Handelns macht. Und dazu bedarf es – und das ist die entschei-
dende psychologische Qualität des Politikers – des Augenmasses,
der Fähigkeit, die Realitäten mit innerer Sammlung und Ruhe auf
sich wirken zu lassen, also: der Distanz zu den Dingen und Men-
schen.»41
Es liegt nun an den Abgeordneten, sich ein solches politisches Selbstver-
ständnis anzueignen und sich sachlich – auch gegen die Regierung – zu
behaupten, weil sie im Landtag einzig nach ihrem Eid und ihrer Über-
zeugung abstimmen (Art. 57 LV). Damit ist der Abgeordnete nicht an
Aufträge und Weisungen der Parteien oder der Wähler gebunden, son-
dern «schuldet eine an der verfassungsmässigen Ordnung, an Gesetz und
Recht orientierte Amtsführung»42 und hat dabei «das Wohl des Vater-
landes ohne Nebenrücksichten nach bestem Wissen und Gewissen zu
fördern» (Art. 54 LV).
In diesem Sinne kann abschliessend Weber zitiert werden, der zur
Politik allgemein festhielt:
«Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten
Brettern mit Leidenschaft und Augenmass zugleich. [. . .] Und auch
die [Politiker; Anm.d.Verf.], [. . .] müssen sich wappnen mit jener
Festigkeit des Herzens, die auch dem Scheitern aller Hoffnungen
gewachsen ist, jetzt schon, sonst werden sie nicht imstande sein,
336
Reformen
40 Batliner, Zur heutigen Lage, S. 166.
41 Weber, S. 51.
42 Lenz, S. 27.
auch nur umzusetzen, was heute möglich ist. Nur wer sicher ist,
dass er daran nicht zerbricht, wenn die Welt, von seinem Stand-
punkt aus gesehen, zu dumm oder zu gemein ist für das, was er ihr
bieten will, dass er all dem gegenüber: ‹dennoch!› zu sagen vermag,
nur der hat den ‹Beruf› zur Politik.»43
337
Denkanstösse
43 Weber, S. 67.
VIII.
ANHANG
A. Befragungen
Mit vielen Personen habe ich gesprochen, mit einigen habe ich im Jahr
2010 gezielt ein Interview durchgeführt. Dabei wurden allen Befragten
grundsätzlich dieselben Fragen gestellt. Nachstehend sind die befragten
Personen mit ihrem politischen Werdegang sowie deren Antworten zu
den jeweiligen Fragen aufgeführt:
– Dr. iur. Batliner Christian, Abgeordneter der Fortschrittlichen
Bür ger partei und Vorsitzender der Geschäftsprüfungskommission
– Beck Jürgen, Abgeordneter der Vaterländischen Union und Dele-
gationsleiter der Interparlamentarischen Union
– Dr. med. Frick Pepo, Abgeordneter der Freien Liste und Mitglied
der Geschäftsprüfungskommission
– Hilti Peter, Fraktionssprecher der Vaterländischen Union
– Kaiser Johannes, Fraktionssprecher der Fortschrittlichen Bürger-
partei
– Dr. phil. Marxer Wilfried, Direktor des Liechtenstein-Instituts
– Dr. iur. Wille Herbert, ehemaliger Regierungschef-Stellvertreter
(Fortschrittliche Bürgerpartei)
– Dr. iur. Wolff Peter, ehemaliger Abgeordneter, Vizepräsident und
Präsident des Landtags, ehemaliger Regierungsrat (Vaterländische
Union)
Glauben Sie, dass der Landtag seine Funktionen und Aufgaben zum
Wohl des Volkes effektiv erfüllt? Falls nicht, warum?
Batliner: Nein; wegen der absoluten Mehrheit. Der Landtag muss
so keine Mehrheiten erarbeiten. Es gibt praktisch keinen Wettbewerb
der besseren Ideen. Der Landtag folgt oft blindlings der Regierung. Die
Parteipolitik erscheint wichtiger als die Wahrnehmung der eigenen
Funktion. Ein eigenes Selbstbewusstsein bzw. Selbstverständnis des
341
Landtags ist nicht vorhanden. So hat der Landtag z. B. schon völlig un-
kritisch eigene Rechte abgegeben. Im Weiteren ist das zu bewältigende
Pensum sehr gross und es steht hiefür nur wenig Zeit zur Verfügung. Zu-
satz- bzw. Hintergrundinformationen werden von der Regierung nicht
herausgegeben.
Beck: Beweggründe der Abgeordneten sind sehr unterschiedlich:
Zu nennen sind etwa Macht, Geld, die Lobby im Hintergrund, usw. Das
Wahlsystem ist nicht optimal, da Kandidaten aus seltsamen Gründen zu
Abgeordneten werden. Die Regierung sollte deshalb direkt gewählt wer-
den. Die Qualität des Landtags ist schlecht. Denn der Landtag hat zwar
ein gemeinsames Ziel, aber es ist nicht allen bewusst. Auch fehlt eine
Vorbereitung auf die Landtagsarbeit. Aber auch in vorberatenden Kom-
missionen herrscht Parteipolitik. Der Landtag praktiziert eine Gut-
menschpolitik: Alle Menschen sind lieb. Der Landtag sollte Spiegel der
Gesellschaft sein.
Frick:Nein. Eine Studie hat die Wertehaltung LandtagskandidatIn-
nen aufgezeigt: Die Grossparteien sind ideologisch identisch positio-
niert. Es fehlt eine starke Opposition. Dagegen herrscht eine Zwangs-
einheit mit Koalitionsvertrag. Damit sie sich unterscheiden, machen sie
im Landtag unsachliche Parteipolitik.
Hilti: Ja. Aber in gewissen Bereichen (Lesungen) sind Optimierun-
gen nötig. Das Volk ist ernst genommen und kann sich einbringen.
Wille: Das ist bei der heutigen Struktur des Landtages nicht mög-
lich, wenn man sich beispielsweise die internationale Verflechtung des
Landes vor Augen hält. Es fehlt ihm das Fachwissen, das er bei der Re-
gierung und ihrem Verwaltungsapparat beziehen muss.
Wolff: Formell ja, inhaltlich je nach der jeweils behandelten Mate-
rie. Dies hängt davon ab, inwieweit sich die Abgeordneten unabhängig
von der ihnen präsentierten Begründung der Regierung eine ei gene Mei-
nung zu einer Vorlage bilden. Teilweise hat man heute den Eindruck,
dass Regierungs vorlagen ohne viel Wenn und Aber durchgewinkt wer-
den. In solchen Fällen nimmt der Landtag seine Aufgabe eigentlich nicht
wahr. Im Schnitt wird in Liechtenstein vom Landtag allerdings das
meiste ziemlich intensiv behandelt, wenn auch naturgemäss laienhaft, da
es sich um eine echte Volks vertretung nicht um Spezialisten handelt.
342
Befragungen
Nimmt Ihrer Meinung nach der Landtag seine Funktion als Gesetz geber
und als Inhaber der Finanzhoheit wahr oder lässt er sich von der Regie-
rung zu sehr in den Hintergrund drücken?
Beck: Der Landtag steht dem Apparat der Regierung gegenüber.
Die Regierung hat faktisch einen Stellenwert, der nicht der Verfassung
entspricht.
Frick: Der Landtag reagiert amateurhaft auf den Pseudoprofessio-
nalismus der Regierung, die ihre Ressourcen massiv ausgebaut hat. Die
Legislative hängt mit dem Milizsystem hoffnungslos in der Luft, genügt
sich selbst mit Reagieren.
Hilti: Der Landtag nimmt seine Rolle wahr.
Wille: Der Landtag nimmt formellrechtlich seine Funktionen als
Gesetzgeber und Kontrolleur der Regierung wahr. In der Praxis dürfte
er allerdings an Grenzen stossen. Dies hängt mit den strukturellen
Schwächen des Landtages zusammen. Ich verweise auf die Dissertation
von Thomas Allgäuer (LPS Bd. 13).
Wolff: Den Anstoss zu neuen Gesetzgebungsvorhaben überlässt
der Landtag meist der Regierung. Dies hat auch damit zu tun, dass die
Regierung einen relativ grossen Apparat hat, den sie für diese Zwecke
einsetzen kann, während die Abgeordneten reine Milizabgeordnete sind.
Überdies sind Abgeordnete der jeweiligen Mehrheitspartei in der Regel
nicht gerne bereit, sich gegen Vorlagen der eigenen Regierung zu stellen,
da dies einerseits mit viel Arbeit verbunden ist und andererseits politisch
in der Regel keine Lorbeeren einbringt.
Wie gross ist Ihrer Meinung nach der Einfluss der Regierung im Gesetz-
gebungsprozess und (wie) kann sich der Landtag dagegen behaupten?
Frick: Der Landtag weiss nicht einmal, was in der Pipeline ist. Die
Regierung muss dem Landtag zu Beginn eines Jahres einen Überblick
über wichtige Vorlagen geben. Die Institution Landtag ist aktuell im Ge-
setzgebungsprozess nicht involviert. Ein professioneller Parlaments-
dienst könnte die Nachteile des Milizsystems entschärfen.
Hilti: Die Exekutive verfügt über einen Apparat: Der Landtag
muss nicht zwingend auf Augenhöhe der Exekutive sein. Der Landtag
kann vorberatende Kommissionen bestellen.
Kaiser:Dieser Einfluss ist sehr gross, da die Regierung über ausrei-
chende personelle Ressourcen verfügt. Das System des Milizparlamentes
343
Befragungen
ist für Liechtenstein sehr gut und das Richtige. Doch ist die Zuarbeit für
die Fraktionen künftig massiv zu stärken. Die Fraktionen erhalten zwar
für den Beizug von fachlicher Unterstützung einen finanziellen Beitrag,
doch ist dieser viel zu gering.
Marxer: Vorlagen der Regierung sind in der Regel im Vorfeld durch
das Vernehmlassungsverfahren bereits breit diskutiert und berücksichti-
gen nach Möglichkeit und Opportunität Anliegen von Verbänden und
Interessengruppen. Daher ist es eher selten, dass der Landtag zu kom-
plett anderen Einsichten gelangt. Ausserdem gibt es auch einen direkten
parteipolitischen Konnex zwischen der Regierung und dem Landtag, so-
dass allfällige Differenzen ebenfalls im Vorfeld in informellen Gremien
angesprochen und bereinigt werden können, anstatt eine Zurückwei-
sung einer Vorlage im Landtag zu riskieren. Der Landtag übernimmt
dennoch Vorlagen der Regierung selten eins zu eins, sondern stellt kriti-
sche Fragen und ändert Gesetzesvorlagen, aber eher in Details als in der
Substanz.
Wille: Die Regierung ist heute der aktive Part. Die Regierungsvor-
lagen sind der Beweis. An diesem Zustand wird sich aufgrund der ein-
gangs erwähnten Umstände vorerst nichts ändern.
Wolff:Der Einfluss der Regierung im Gesetzgebungsprozess ist na-
turgemäss aufgrund der oben bereits erwähnten Umstände sehr gross.
Der Landtag kann sich nur dagegen behaupten und eine eigen ständige
Position einnehmen, wenn er bereit ist, sich unter entsprechendem Zeit-
aufwand selb ständig intensiv mit den Vorlagen der Regierung zu befas-
sen. Wenn das Landtagssekretariat er weitert würde und der Landtag da-
her eigene fachlich geschulte Mitarbeiter für Abklärungen und Über-
prüfungen dieser Art hätte, würde dies besser möglich sein.
Wo sehen Sie aus der Sicht des Landtags das grösste Problem hinsichtlich
der Corporate Governance? Was ist für Sie am meisten zu bemängeln?
Batliner: Der Landtag wird neu ganz am Schluss der Entschei-
dungskette miteinbezogen, nämlich wenn es um die Zustimmungen zu
den Krediten geht. Der Landtag muss die Eignerstrategie nicht geneh-
migen, ja es findet vorgängig nicht einmal eine Diskussion im Landtag
statt. Vielmehr beschliesst die Regierung die Eignerstrategie und legt
diese (nachträglich) der Geschäftsprüfungskommission zur Kenntnis-
nahme vor. Die Geschäftsprüfungskommission selber ist hiefür aber die
344
Befragungen
falsche Kommission, da sie ja nur eine nachträgliche Kontrolle der Lan-
desverwaltung wahrnimmt. Wenn schon, hätte die Eignerstrategie der
Finanzkommission vorgelegt werden müssen. Was dies alles bewirken
kann, ist an der aktuellen Spitaldiskussion gut erkennbar.
Frick: Der Landtag hat alle Kompetenzen an die Regierung abge-
geben, ohne seine Ressourcen oder Kontrollmöglichkeiten auszubauen.
Hilti: Die Corporate Governance brachte eine Bereinigung, da sie
in die Kompetenz der Exekutive gehört. Der Weg zur Prüfung der Eig-
nerstrategie obliegt immer noch dem Landtag. Zudem besitzt die Ge-
schäftsprüfungskommission eine Infopflicht. Es geht dabei um Exeku-
tivaufgaben.
Kaiser: Der Landtag gab die Eignerstrategie mit Mehrheitsbe-
schluss (der Mehrheitspartei) aus der Hand und erhält nunmehr nur
noch einen Bericht zur Kenntnisnahme.
Wie sehen Sie die Informationspolitik der Regierung? Wo besteht der
grösste Handlungsbedarf (z. B. bei Bericht und Antrag)? Ist sie ausrei-
chend? Warum nicht?
Batliner: Die Berichte und Anträge sind oftmals sehr einseitig ge-
schrieben. Man versucht, bezüglich kritischer oder diskussionswürdiger
Punkte den Ball flach zu behalten. Obwohl die Regierung zur Erarbei-
tung der Berichte und Anträge oftmals Gutachten einholt, händigt sie
diese dem Landtag nicht aus. Ein Parlamentsdienst könnte z. B. Gutach-
ten in Erfahrung bringen und prüfen. Dasselbe gilt für die Stellungnah-
men im Vernehmlassungsverfahren. Zeitlich gesehen werden die Be-
richte und Anträge dem Landtag viel zu knapp vorgelegt, was «Feuer-
wehrübungen» zur Folge hat. Es scheint, dass die Regierung die Berichte
und Anträge dem Landtag zum Teil absichtlich so knapp vorlegt. Grös-
sere oder komplexere Vorlagen sollten eine viel längere Vorlaufzeit ha-
ben (z. B. zwei Monate vor der jeweiligen Landtagssitzung). Zum Teil
sind die Probleme aber auch hausgemacht, da die Traktandierung ja
durch das Landtagsbüro erfolgt.
Beck: Frühzeitigere und bessere Information, denn oft wird nicht
einmal die Dreiwochenfrist eingehalten, und dies zum Teil mit Absicht.
So hätte das Steuergesetz schon mit dem Landtag vorbesprochen werden
sollen. Es findet kaum ein Informationsaustausch statt. Der Landtag hat
keine Kenntnis von Gutachten und Stellungnahmen.
345
Befragungen
Frick: «Checks and balances» scheint nicht zu gelten. Die Regie-
rung hält Informationen schamlos zurück. Als Beispiel kann das Spital
Vaduz genannt werden. Dort existieren fünf Studien, aber der Landtag
erhält keine einzige. Die Gutachten werden von der Regierung dem
Landtag nicht übermittelt. Stattdessen filtert die Regierung Informatio-
nen, Stellungnahmen und Gutachten. Die Regierung sollte verpflichtet
werden anzugeben, wer bei der Bearbeitung einer Vorlage mitgeredet hat
und auf welchen Quellen diese fusst.
Hilti: Es herrscht ein Informationsvorsprung der Regierung, wäh-
rend das Parlament einen Informationshunger hat. Das in Planung ste-
hende Kommunikationskonzept könnte Abhilfe schaffen, da durch die
Verwaltungsreform nicht mehr so viele Kanäle bestehen werden. Exper-
tengutachten dienen der Meinungsbildung der Exekutive, nicht des
Landtags. Für Berichte der Ämter und Stabsstellen gilt dasselbe. Denn
die Gewaltentrennung ist zu wahren.
Kaiser: Die Abgeordneten entnehmen viele Informationen direkt
aus der Zeitung und nicht aus der Informationsquelle des Regierungs-
chefs. Es muss dauernd nachgefragt werden. In der Bürositzung wird die
Traktandierung z. T. auch ohne vorliegende Vorlagen vorgenommen. So
werden Themen traktandiert, ohne dass die Büromitglieder den Inhalt
kennen. Das Landtagsbüro müsste hier viel selbstbewusster auftreten.
Künftig hat der Landtagspräsident, der sich noch viel intensiver einzu-
bringen hat, dafür zur sorgen, dass die Institution Landtag gestärkt wird.
Wolff: Die Informationspolitik der Regierung dürfte im Allgemei-
nen ausreichend sein. Zu dem manchmal geäusserten Wunsch, auch
Kenntnis über den Inhalt interner Abklärungen und Gutachten der Re -
gierung zu erhalten, muss ich sagen, dass solche internen Regierungspa-
piere früher auch nicht zur Verfügung gestellt wurden und dass ich auch
keine generelle Verpflichtung dazu sehe.
Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Landtag und Regierung all ge -
mein? Wie würden Sie es bessern? Was ist das grösste Problem?
Beck:Die Regierung hat momentan einen Stellenwert, der nicht der
Verfassung entspricht. Dazu kommt die Parteipolitik: Die Landtags-
mehrheit kann nicht die eigene Regierung «abschiessen».
Hilti: Es herrscht zwischen Regierungsräten und Abgeordneten
eine enge Zusammenarbeit. So ist etwa die Regierung in Fraktionssit-
346
Befragungen
zungen anwesend. Denn die Regierung will was vom Landtag. Da wir
die Landtagsmehrheit und damit die Regierung stellen, verfügen wir
über ein Infoplus.
Kaiser: Der Landtag hat als Volksvertetung die Themen, die ihm
von der Regierung vorgelegt werden, fundiert, kritisch und seriös zu be-
arbeiten. Er ist in diesem Sinne nicht nur Gesetzgeber, sondern auch das
Kontrollorgan. Es liegt am Landtag selbst, gegenüber der Regierung
selbstbewusst und «stärker» aufzutreten. Das grösste Problem ist wohl,
dass der Landtag über wesentliche Themen nicht oder sehr spät infor-
miert wird, dies insbesondere vom derzeitigen Regierungschef.
Wille: Zur Verbesserung seiner Stellung kann bei der gegebenen
Verfassungslage der Landtag selber beitragen. Er muss sich als Volksver-
treter verstehen. Was das Verhältnis zum Landesfürsten angeht, kann das
dualistische Verfassungssystem im Gesetzgebungsprozess Probleme be-
reiten. Das heisst, dass ernsthaft auf beiden Seiten ein tragfähiger Kom-
promiss gesucht wird. Was das Verhältnis zur Regierung anlangt, ist es
der intensive Parteienwettbewerb, der Landtag und Regierung gefangen
nimmt, was einer selbstverantwortlichen Haltung des Landtages hinder-
lich sein kann und oft auch ist. Wichtige Landesfragen werden nicht an-
gegangen. Der Landtag muss wieder das politische Forum werden, wie
dies 1921 und in den Folgejahren der Fall gewesen ist.
Wolff: Ich beurteile das Verhältnis zwischen Landtag und Regie-
rung grundsätzlich positiv, wobei aber nicht zu übersehen ist, dass die
Regierungsmitglieder einerseits und die Abgeordneten zumindest der
Regierungsparteien andererseits aus dem selben politischen Lager kom-
men und sich naturgemäss auch vor einer Landtagssitzung über die zu
behandelnden Vorlagen untereinander besprechen – getrennt nach Par-
teien –, so dass die Landtagsarbeit natürlich nicht die einer unabhängi-
gen Prüfstelle wie eines Rechnungshofes oder ähnliches sein kann. Die
Regierung hat es dabei relativ einfach, da sie ihre Vorhaben gemäss den
gefassten Regierungsbeschlüssen im Landtag zu vertreten hat, während
die Landtagsabgeordneten je nach Partei einerseits berück sichtigen, was
in Wahlprogrammen und sonst nach entsprechender Vorabsprache mit
der Regie rung politisch durchgesetzt werden soll, während andererseits
vom Landtag bei jeder Regierungs vorlage auch eine kritische Durchsicht
und Aufzeigen allfälliger Schwachstellen erwartet wird. Das grösste Pro-
blem ist zweifellos die mangelnde Infrastruktur des Landtages, die in
den meisten Fäl len ein intensives, unabhängiges Befassen mit der Mate-
347
Befragungen
rie (nämlich unabhängig von der Regie rung) nicht ermöglicht. Erfah-
rungsgemäss übt der Landtag seine Kontrollfunktion gegenüber der Re-
gierung dann am besten aus, wenn keine Partei über eine absolute Mehr-
heit verfügt und die Regierung daher genötigt ist, eine aus Angehörigen
verschiedener Parteien zusammengesetzte Mehrheit im Landtag für ihre
Vorhaben zu finden.
Empfinden Sie den Landtag als schwach? Warum?
Batliner: Ja. Einerseits exisitert ein völliges Ungleichgewicht zwi-
schen Landtag und Regierung. Andererseits fehlt dem Landtag auch ein
eigenes Selbstverständnis. Es geht mehr um Parteipolitik als um Vor-
nahme der angestammten Aufgabe, nämlich der Kontrolle der Regie-
rung. Es passiert immer wieder, dass eine Fraktion den eigenen Regie-
rungsräten blind folgt bzw. dass man sich auf die Ressorts der Gegen-
partei fokussiert. Die absolute Mehrheit trägt hierzu sicher bei und
erachte ich eine solche für unser Land als schlecht, da eine Fraktion «be-
quem» werden kann.
Frick: Das Selbstbewusstsein und das politische Bewusstsein im
positiven Sinn fehlen vielen Abgeordneten. Das «checks and balances»-
Verhältnis sollte bewusst gelebt werden, die Legislative wird von der
Exekutive «regiert».
Kaiser: Es liegt an den Landtagsabgeordneten sowie am Landtags-
präsidenten, den Landtag insgesamt zu stärken. Nicht die Regierung
muss dem Landtag eine starke Stellung geben, dies muss der Landtag
selbst in die Hand nehmen. Es liegt riesiges Potenzial drin, derzeit ist der
Landtag sehr reaktiv.
Sind die Abgeordneten Ihrer Meinung nach überbelastet? Zeitlich/fach-
lich?
Batliner: Dies hängt eigentlich von der jeweiligen persönlichen
Situation ab. Jeder Abgeordnete hat sein Steckenpferd (Schwerpunkt-
thema), während sich die anderen einlesen müssen. In der Regel ist der
Aufgabenberg bzw. die zu verarbeitende Informationsflut aber enorm
und kaum bewältigbar. Man muss sich auf einzelne Themen konzentrie-
ren. Dass die Berichte und Anträge dem Landtag erst sehr spät vorgelegt
348
Befragungen
werden, verschärft die Situation. Für einen Tag Sitzung ist ein Tag einle-
sen ok. Ein Landtagsmandat entspricht in etwa einem 30-Prozent-Job.
Beck: Fachlich ist die Beschäftigung mit allem möglich. Aber das
Erarbeiten der Materien dauert. Die zeitliche Belastung ist gross, wes-
halb ich einen Mitarbeiter mehr einstellen musste. Problematisch: Als
Unternehmer und Abgeordneter steht man anderen Personen automa-
tisch auf die Füsse.
Frick: Zeitlich bewegt man sich sicher an der Grenze. Fachlich fehlt
häufig die Zeit, sich fundiert auf ein Thema einzulassen.
Hilti: Zeitlich entspricht das Landtagsmandat einem 30-Pozent-
Job. Als Staatsangestellter braucht man aber keine Ferien zu nehmen.
Fachlich ist es von grossem Vorteil, wenn der Regierungschef im Team
ist: Dadurch haben wir ein Infoplus. Zudem verfügen wir über eine aus-
gewogene Fraktion, und wenn niemand eine Ahnung hat, dann wird ein
externer Experte konsultiert.
Kaiser: Zeitlich ist der Aufwand sehr gross: Landtagssitzungen, in-
dividuelle Vorbereitung auf die Landtagssitzungen, interne Arbeitsgrup-
pen, Kommissionen, Fraktionssitzungen usw. Der Arbeitgeber muss bei
Mitgliedern aus der Privatwirtschaft sehr entgegenkommend sein. Die
Landtagsthemen sind zum Teil sehr komplex und eine fundierte Vorbe-
reitung bildet die Basis, um überhaupt mitreden und mitentscheiden zu
können. Dies erfordert einen grossen Zeitaufwand.
Sollten die Abgeordneten mehr Geld erhalten, um ev. weniger arbeiten
zu müssen und damit besser auf eine Landtagssitzung vorbereitet zu
sein? Scheint es für Sie lukrativ, Landtagsabgeordneter zu sein? Sollten
die Abgeordneten mehr oder weniger Geld erhalten?
Batliner: Die Entschädigung ist ausreichend. Eine höhere Entschä-
digung erachte ich als nicht nötig. Dies schafft falsche Anreize. Ein Man-
dat sollte keine Geldfrage sein, weil der Abgeordnete ja einen Beitrag
leisten will.
Beck: Es ist unverständlich, dass Staatsangestellte doppelt bezahlt
sind. Geld ist der falsche Weg. Manche haben aber die Meinung, dass
man vom Landtagsmandat leben können sollte. Zu denken ist an allein-
erziehende Mütter. Für manchen ist das Geld definitiv ein Anreiz. Doch
ist die Wertschätzung das Problem. Auch ist die Entschädigung bei der
349
Befragungen
Rekrutierung durch die Parteien ein Argument, um Kandidaten zu lo-
cken. Ich finde das nicht gut.
Frick: Das Geld ist im Moment ausreichend, was fehlt, ist ein Un-
terbau für die ParlamentarierInnen, ein professioneller Parlaments-
dienst.
Hilti: Das Geld ist ausreichend.
Was wäre Ihrer Meinung nach sinnvoll: Beibehaltung, Erhöhung der
Mandatszahl oder Professionalisierung des Landtags? Warum?
Batliner:Das Milizparlament mit 25 Abgeordneten sollte beibehal-
ten werden. Allerdings muss der Unterbau gestärkt werden. Bei einer
Professionalisierung stellt sich die Frage, ob sich qualifizierte Kräfte
überhaupt noch zur Verfügung stellen und ihren Job aufgeben. Ich
glaube, dass gute bzw. ausgewiesene Personen dies eher nicht machen
würden. Allenfalls könnte vermehrt mit Ersatzabgeordneten (Erhöhung
derselben) geschaffen werden, um die Mandatare z. B. bei Fachthemen
zu entlasten.
Beck: Der Landtag sollte ein Spiegel der Bevölkerung sein. Der
Landtag sollte auf 15 Abgeordnete verkleinert werden. Dies brächte aber
den Ausschluss bestimmter Bevölkerungsschichten mit sich. Es wären
dann wahrscheinlich 15 Lehrer bzw. Staatsbeamte im Landtag. Das wäre
schlecht, da damit eine einseitige Sichtweise vorherrschen würde. Aber
sonst wären keine Leute auffindbar. 15 Abgeordnete sind demnach nicht
optimal. Aber auf jeden Fall sollte die Mandatsdauer auf fünf bis sechs
Jahre verlängert werden.
Frick:Das Milizsystem sollte beibehalten werden, die Zahl der Ab-
geordneten stimmt für mich. Eine Stärkung der Legislative durch einen
ausgebauten Parlamentsdienst ist unabdingbar.
Hilti: Ein Berufsparlament wäre eine abgehobene Klasse mit eige-
ner (zu hoher) Gesprächskultur. Ich befürworte eine Reduktion auf 15
Abgeordnete mit anständigem Lohn (Pension, AHV, usw.). Dies würde
einem 50-Prozent-Job entsprechen. An einen Ausbau sollte nicht ge-
dacht werden.
Kaiser: Ich befürworte ein Milizparlament, damit die Volksvertre-
tung auf vielfältige Weise gewährleistet ist. Die Strukturen für ein pro-
fessionelles Parlament sind bei uns nicht gegeben. Der Landtag sollte die
verschiedenen Bevölkerungsschichten möglichst gut abbilden und reprä-
350
Befragungen
sentieren. Um den Landtag als Gesamtgremium zu stärken sollte der
Landtagspräsident seine Aufgabe in einem halb-amtlichen Status (50
Prozent) ausführen. Er ist schliesslich nach dem Fürst der zweithöchste
Liechtensteiner und hat ein sehr wichtiges Aufgabenfeld, von der Füh-
rung des Landtagsorganisation bis hin zu wichtigen Repräsentationsauf-
gaben.
Marxer: Ich würde ein Berufsparlament nicht begrüssen. Dies hätte
den Ausschluss vieler Leute vom Abgeordnetenmandat zur Folge, da
nicht alle ihren bisherigen Beruf zugunsten einer Politikerkarriere auf-
geben können oder wollen. Bei Beibehaltung des Milizparlaments wäre
eine Erhöhung der Abgeordnetenzahl allenfalls zu überlegen, wenn
künftig mehr Vorarbeiten in Ausschüssen und Kommissionen erledigt
werden sollten. Dies ist ja in Parlamenten der Nachbarstaaten häufig der
Fall. Man muss aber im Falle einer Erhöhung der Abgeordnetenzahl
auch bedenken, dass dies eine Ressourcenfrage ist. Bereits heute gestal-
tet sich die Rekrutierung von Kandidatinnen und Kandidaten als
schwierig. Die Vergangenheit hat auch gezeigt, dass eine Erhöhung der
Abgeordnetenzahl bei Volksabstimmungen meistens eher kritisch gese-
hen und meistens abgelehnt wurde. Da müsste also vermutlich noch ei-
niges an Überzeugungsarbeit geleistet werden.
Wille: Es ist weder eine Erhöhung der Zahl der Abgeordneten noch
eine Professionalisierung des Landtages politisch durchsetzbar. Sie ga-
rantieren noch nicht die gewünschte Effizienz. Aus diesem Grund muss
nach Alternativen Ausschau gehalten werden. Eine Hilfestellung könn-
ten unter Umständen Fachkräfte bieten, die dem Landtag beigegeben
werden.
Wolff: Ich würde den Landtag auf 35 Abgeordnete erhöhen und die
Einrichtung der stellvertretenden Ab geordneten abschaffen. Das heu-
tige, im Voraus fixierte Verhältnis zwischen Oberland und Unter land
könnte dabei beibehalten werden. In der politischen Praxis brächte das
für die Parteien den Nachteil mit sich, dass sie mehr Kandidaten für eine
Landtagswahl aufstellen müssten und dass mehr Kandidaten nicht ge-
wählt würden. Dies ist deshalb ein Problem, da es in Liechtenstein fast
als Schande gilt, wenn man für den Landtag kandidiert und dann nicht
gewählt wird. Eine Professionalisierung des Landtags würde ich nicht
befürworten, da ich es grundsätzlich sehr gut finde, dass sich der Land-
tag aus im Berufsleben stehenden Abgeordneten zusammensetzt.
351
Befragungen
Wie könnte Ihrer Meinung nach der Landtag gestärkt werden? Etwa
durch einen Parlamentsdienst oder mittels juristischen Berater für die
Parteien?
Beck:Der Landtag sollte ein kleines Parlament sein, bei dem jedem
Abgeordneten ein Berater zur Seite gestellt wird. Aber auch dann ist al-
les abhängig von der Qualität der Person des Abgeordneten.
Frick: Es geht um «checks and balances». Der Parlamentsdienst
sollte über genügend juristisches Know-how verfügen. Der Parlaments-
dienst muss primär die Institution Landtag stärken.
Hilti: Es sollte der Unterbau gestärkt und vorberatende Kommis-
sionen eingesetzt werden.
Kaiser: Es müsste den Fraktionen selbst eine grössere Unterstüt-
zung zukommen. Die Fraktionen müssten einen höheren finanziellen
Beitrag erhalten, um Fachpersonen einsetzen zu können. Es muss nicht
ein riesiger Mitarbeiter-Stab sein, wie die Regierung ausgestattet ist, aber
die heutige Situation ist nicht zeitgemäss und auf Dauer nicht haltbar.
Braucht es Ihrer Meinung nach parlamentarische Stellvertreter? Sollten
sie auch in Kommissionen/Delegationen wählbar sein?
Beck: Parlamentarische Stellvertreter sollten in Kommissionen ar-
beiten dürfen. Stellvertreter sind aber überflüssig, da sie nur da sind, um
die Stimmkraft zu erhalten. Stellvertreter werden kaum in die Vorberei-
tung von Landtagssitzungen eingebunden. Allerdings werden sie auch
bei Themen in den Landtag geschickt, bei dem sich der ordentliche Ab-
geordnete nicht die Finger verbrennen oder von dem sich der ordentli-
che Abgeordnete verabschieden will.
Frick: Eine kleine Partei ist mehr als die Grossparteien auf die Stell-
vertreter angewiesen; sie sollten auch in Kommissionen und Delegatio-
nen wählbar sein.
Hilti: Stellvertreter werden zu oft geschickt. Sie sollten aber in De-
legationen und Kommissionen einsetzbar sein. Für die Einsetzung soll-
ten aber triftige Gründe vorliegen. Dabei ist der Landtagspräsident ge-
fordert.
Kaiser: Ich finde die aktuelle Regelung sehr gut.
Wolff: Solange es nur 25 Abgeordnete gibt, braucht es schon wegen
der Fülle an Arbeit – nicht zuletzt in Delegationen, die bei ausländischen
352
Befragungen
bzw. multilateralen Organisationen auftreten und mitwirken – auch
stellvertretende Abgeordnete, um auf diese Art und Weise wenigstens
über 32 für solche Funktionen und für die Mitarbeit im Plenum einsetz-
bare Mitglieder zu haben. Wie bereits zuvor erwähnt, würde ich es aber
grundsätzlich besser finden, wenn es entsprechend mehr gewählte Ab-
geordnete gäbe, um auf Stellvertreter verzichten zu können. Da der
Landtag neben seinen ständigen Kommissionen relativ wenige beson-
dere Kommissionen bestellt, ist es bisher möglich gewesen, diese Kom-
missionen nur mit ordentlichen Abgeordneten zu besetzen. Bei einer
vermehrten Zahl von Kommissionen wäre dies wohl nur mit einer er-
höhten Abgeordnetenzahl aufrecht zu erhalten, nachdem der Einsatz
von stellvertretenden Abgeordneten in Landtagskommissionen verfas-
sungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt ist.
Finden Sie die Institution des Landesausschusses sinnvoll?
Batliner: Die Diskontinuität ist für die Abgeordneten von Vorteil,
da sie eine Pause ermöglicht. Als Abgeordneter ist man froh, wenn über
den Sommer bzw. im Winter ca. zwei Monate «Ruhe» herrscht. Diese
Verschnaufpause tut gut. Den Landesausschuss bräuchte es m. E. nicht
zwingend und es sollten auch die Kommissionen nicht immer wieder
neu bestellt werden, da dadurch Know-how verloren geht. Aus traditio-
nellen Gründen sollte m. E. aber an der Ansprache des Landesfürsten
festgehalten werden. Dies empfinde ich wie eine Art Standortbestim-
mung von unabhängiger Seite. Auch können dadurch Anregungen und
Impulse gegeben werden.
Beck:Die Schliessung und Eröffnung ist sinnlos. Zudem sollte eine
Einberufung in Notsituationen möglich sein. Aber der Landesausschuss
wird von der Regierung auch ausgenutzt, indem durch ihn die Finanz-
kommission umgangen, etwa bei Bauprojekten und Grundstückskäufen,
werden kann.
Frick:Der Landtag sollte nicht in jedem Jahr aufgelöst werden kön-
nen, das ist ein alter Zopf und schränkt die Möglichkeiten der Legislative
ein. Es ist auch ein Nachteil, wenn Kommissionen nicht tagen dürfen.
Hilti:Dies ist eine lange Tradition. Es könnte allerdings darauf ver-
zichtet werden. Die Regierung sollte auf jeden Fall die Vorlagen besser
verteilen.
353
Befragungen
Kaiser:Meiner Meinung nach könnte der Landtag während der ge-
samten Legislaturperiode eröffnet sein, d. h. es sollte innerhalb der Le-
gislaturperiode keine jährliche Landtags-«Schliessung» geben.
Wolff:Die Institution ist notwendig, da die Sitzungsperiode jeweils
durch Schliessung des Landtages im Dezember eines Jahres endet und
erst in der Regel im Februar des Folgejahres anlässlich der Eröffnung des
Landtages wieder neu begonnen wird. Der Landesausschuss wäre daher
nur dann überflüssig, wenn diese Regelung so geändert würde, dass der
Landtag nach einer Landtagswahl eine durchgehende vierjährige Sit-
zungsperiode bis zur Neuwahl hat. Dies scheint mir aber nicht notwen-
dig zu sein und sehe ich keinen Anlass, diese Regelung, die als Tradition
bezeichnet werden kann, abzuschaffen.
Nichtöffentliche Landtagssitzungen: Sollte Ihrer Meinung nach dieses
Instrument des Landtags eingedämmt bzw. näher reglementiert werden?
Frick: Personalsachen sollten im nichtöffentlichen Landtag behan-
delt werden. Im Moment werden dort fast nur Finanzplatzthemen dis-
kutiert. Im Moment ok.
Hilti: Im Moment ist der Finanzplatz das häufigste Thema im
nichtöffentlichen Landtag. Dort kann der Regierungschef anders infor-
mieren. Nichtöffentliche Landtagssitzungen können genutzt werden für
wertvolle Vorbesprechungen und für den Personenschutz, zum Beispiel
bei Richtern.
Kaiser: Der nichtöffentliche Landtag sollte schlank gehalten wer-
den. Der Landtag sollte die Transparenz hoch halten und sich nicht vor
öffentlichen Diskussionen scheuen.
Zustellungsfristen von Vorlagen, Berichten und Anträgen: Sind die Fris-
ten ausreichend für den Landtag? Würden Sie sich für längere Fristen
einsetzen?
Beck: Die Frist von drei Wochen wird von Regierung zum Teil ab-
sichtlich nicht eingehalten. Bericht und Antrag werden den Abgeordne-
ten so kurzfristig übermittelt, dass keine Zeit bleibt, um Gutachten ein-
zufordern. Das andere Extrem wäre aber die Zuschüttung der Abgeord-
neten durch die Regierung mit belanglosen Materialien.
354
Befragungen
Frick: Grössere Pakete sollten mindestens sechs bis acht Wochen
vor der Behandlung im Landtag den Abgeordneten zugestellt sein. Der
Landtag sollte viel früher in den Gesetzgebungsprozess eingreifen kön-
nen, z. B. durch vorberatende Landtagskommissionen.
Hilti: Die Regierung sollte Vorlagen besser verteilen. In der Reali-
tät erhält jeder Abgeordnete drei Wochen vor einer Landtagssitzung tau-
sende von Seiten. Fertige Vorlagen sollten gleich den Abgeordneten vor-
gelegt werden. Doch ich würde die Vorlagen kaum vorher studieren.
Aber die Traktandierung nimmt der Landtag ja selbst vor. Drei Wochen
sind zwar knapp aber ich vertraue der Regierung.
Hat der Landtag Ihrer Meinung nach faktisch die Möglichkeit, Ver -
pflichtungs-, Ergänzungs-, Nachtrags kredite und Kredit überschrei tun -
gen nicht zu genehmigen? Werden Ergänzungs- und Nachtrags kredite
sowie Kredit überschreitungen von der Exekutive bereits ausgegeben,
be vor der Landtag sie genehmigt?
Batliner: Bei Verpflichtungskrediten besteht die Möglichkeit, bei
Nachtragskrediten theoretisch an sich auch, diese nicht zu genehmigen.
Der Landtag hat ja die Finanzhoheit. In der Praxis wird man bei Nach-
tragskrediten aber vor Tatsachen gestellt und erfolgt eine Genehmigung
üblicherweise. Zum Teil kommt es zu Nachfragen.
Beck: Es ist unsauber, da die Abgeordneten vor vollendete Tatsa-
chen gestellt werden. Deshalb kann praktisch nur zugestimmt werden.
Kredite laufen dem Budget zuwider: Nachtragskredite sollten ausge-
schlossen werden. Die Amtsleiter brauchen Budgets immer auf. Es
bleibt nur die Zustimmung, weil durch gewisse politische Zwänge keine
andere Möglichkeit besteht. Eine Nichtgenehmigung würde Probleme
heraufbeschwören. Aber die Abgeordneten gehen lieber einen ruhigeren
Weg. Das Problem liegt primär beim Planer, sekundär beim Unterneh-
mer. Ich stelle allgemein zu den Finanzen die Budgetpositionen in Frage.
Denn was bringt eine Budgetposition? Man weiss ja doch nicht was da-
hinter steckt. Es wäre besser, wenn der Regierung eine bestimmte
Summe ohne Zuweisung zu bestimmten Konti überlassen wird. Da-
durch kann die Regierung frei walten und schalten, aber wenn diese
Summe aufgebraucht ist, ist Schluss. Die Landesverwaltung sollte unter-
nehmerisch geführt werden. Doch niemand will sich mit Landesangehö-
rigen die Finger verbrennen. Eine andere Möglichkeit würde eine be-
355
Befragungen
stimmte Geldsumme für Nachtragskredite bieten. Dann müssten keine
Nachtragskredite mehr genehmigt werden: Denn ist die Geldsumme
aufgebraucht, dann gibt’s nichts mehr.
Frick: Man sollte Kredite einfach einmal nicht genehmigen. Dabei
muss aber differenziert werden, denn etwa Medikamente müssen vor-
handen sein. Man sollte der Regierung von Vornherein ein Gefäss geben:
Zum Beispiel CHF 10 Millionen pro Jahr. Dieses Gefäss wäre dann die
Deckelung, weshalb im Landtag kein Nachtragskredit mehr zu geneh-
migen wäre. Aber auch bei Verpflichtungskrediten: Vorberatende Kom-
missionen (Finanzkommission) können diese kaum prüfen, da von der
Regierung Gutachten zurückgehalten werden. Kredite sollten allgemein
bereits bei entscheidender Phase, wo neue Richtungen eingeschlagen
werden, bzw. als Zwischenergebnis dem Landtag bekannt gegeben wer-
den. Denn der Landtag müsste zu diesem Zeitpunkt bereits mitreden
können.
Hilti: Die Regierung muss einen Spielraum, gerade hinsichtlich der
Nachtragskredite, haben. So etwa vor den Sommerferien des Landtags.
Bei Nachtragskrediten hat der Landtag kein Spielraum. Ein Sonder-
konto, mittels dem die Regierung hantieren könnte, bis das Geld aufge-
braucht wäre, würde zu viele Anreize bieten, um nicht zu sparen.
Kaiser: Für mich sind Nachtragskredite das kleinere Übel, als wenn
über das Mass budgetiert würde, um auf prophylaktische Weise Nach-
tragskrediten auszuweichen. Die Gesamtsumme der Nachtragskredite
und Kreditüberschreitungen ist im Verhältnis zum Jahresbudget wirk-
lich marginal.
Wolff: Die Möglichkeit, solche Anträge der Regierung nicht zu ge-
nehmigen, hat der Landtag. Bei Verpflichtungs- und Ergänzungskredi-
ten geschieht dies auch hin und wieder. Bei Nachtragskre diten muss man
unterscheiden, ob es sich um nötig gewordene Nachtragskredite zwecks
Er füllung bestehender gesetzlicher Verpflichtungen handelt oder um
Nachtragskredite, die nur auf einen Wunsch der Regierung zurückzu-
führen sind. Im erstgenannten Fall wäre eine Nichtge nehmigung wenig
sinnvoll und eigentlich nur dann glaubwürdig handhabbar, wenn gleich-
zeitig auch das entsprechende Gesetz vom Landtag abgeändert oder so-
gar aufgehoben würde. In die Form von Nachtragskrediten gekleidete
Ausgabewünsche der Regierung, für die es keine zwin gende Verpflich-
tung gibt, können vom Landtag natürlich jederzeit abgelehnt werden.
Wenn die Exekutive bereits Geld ausgegeben hat, welches im Budget
356
Befragungen
nicht vorgesehen war, muss sie ohnehin um Genehmigung einer solchen
Kreditüberschreitung ansuchen. Auch dies kann vom Landtag abgelehnt
werden, wobei die Folge aber eine rein politische Verantwortung ist, die
vom Wähler dann sanktioniert werden müsste. Je nach den Umständen
des Einzelfalles ist es al lerdings nicht ausgeschlossen, dass auch eine per-
sönliche Verantwortung der Regierungsmit glie der im Sinne von Scha-
denersatz hier zum Tragen kommt. In der Praxis war dies allerdings
noch nie ein Thema, da alle Kreditüberschreitungen in der Regel auf die
Finanzierung von im Vorhinein bereits genehmigten oder ohnehin vor-
gesehenen Vorhaben zurückzuführen sind. Auch hier ist zwischen Kre-
ditüberschreitungen, die aufgrund gesetzlicher Verpflichtungen vorge-
kommen sind, bevor die Möglichkeit bestand, einen Nachtragskredit zu
beantragen, einer seits, und Kredit über schreitungen, die nicht zwingend
erforderlich gewesen wären, andererseits zu unterscheiden. In der Regel
muss der Landtag von der Regierung alle nötigen Informationen vor Ge-
nehmigung solcher Ausgaben erhalten. Die Regierung versteht es aber
im Allgemeinen sehr gut, Vorlagen betreffend Nachtragskredite und
Kreditüberschreitungen als dringend notwendig zu begründen, so dass
der Landtag diese in der Regel problemlos genehmigt.
Was würde Ihrer Meinung nach geschehen, wenn der Landtag einen
Nachtragskredit, bei welchem die Auszahlung stattgefunden hat bzw.
die Verpflichtung eingegangen wurde, nicht genehmigen würde?
Hilti: Nachtragskredite sind Peanuts im Verhältnis zum Staats-
haushalt. Die stören mich nicht.
Wolff: Ein Nachtragskredit muss immer eine vorgesehene Geldaus-
gabe sein, die noch nicht stattgefunden hat, da es sich sonst ja bereits um
eine Kreditüberschreitung, die im Nachhinein genehmigt werden soll,
handeln würde. Wenn ein Nachtragskredit vom Landtag nicht geneh-
migt wird, darf er auch nicht ausgegeben werden. Grundsätzlich würde
ich es begrüssen, wenn es nur solche An träge gäbe und Kreditüber-
schreitungen untersagt würden. Aus der Praxis muss man allerdings sa-
gen, dass der Umfang von Kreditüberschreitungen äusserst gering ist
und in der Regel meist auf nachvollziehbaren Sachzwängen beruhte,
weshalb man auch die Meinung vertreten kann, dass in diesem Rahmen
Kreditüberschreitungen durchaus tolerierbar sind.
357
Befragungen
Wie prüft die Geschäftsprüfungskommission den Rechenschaftsbericht
und die Landesrechnung? Zusammen und hauptsächlich die reinen Zah-
len? Oder wird der Rechenschaftsbericht genau analysiert?
Batliner: Die Geschäftsprüfungskommission prüft hauptsächlich
die Landesrechnung, den Rechenschaftsbericht eher nicht. Der Rechen-
schaftsbericht ist eher politisch, da er die Arbeit der Regierung um-
schreibt. Fragen zu diesem werden in der Regel im Landtag gestellt.
Beck: Der Rechenschaftsbericht wird im Landtag nur am Rande
behandelt.
Wie könnte Ihrer Meinung nach die Geschäftsprüfungs kommission ge -
stärkt werden?
Batliner: Die Geschäftsprüfungskommission stösst fachlich an ihre
Grenze. Gewisse Schritte könnten instrumentalisiert werden. Wir haben
nun zum Beispiel eine jährliche Aufstellung der wesentlichen Aufgaben,
Projekte, Problemstellungen in den einzelnen Ressorts verlangt. Dies
kurz-, mittel- und langfristig (d. h. auf ein, drei und fünf Jahre). Die Ge-
schäftsprüfungskommission wird durch die Finanzkontrolle unter-
stützt. Ein personeller Ausbau der Finanzkontrolle – welcher derzeit auf
Grund der Sanierung des Staatshaushaltes noch etwas zurückgestellt
wurde – wäre hierbei hilfreich.
Beck: Es fehlt ihr an entscheidenden Kompetenzen. Sie sollte über-
all und immer direkten Zugriff auf alle Dokumente und Informationen
haben. Es wäre natürlich von Vorteil, wenn sie von den Ressorts Mo-
natsberichte erhalten würde. Das grösste Problem sind die der Ge-
schäftsprüfungskommission vorenthaltenen Informationen.
Frick: Es braucht einen klaren Unterbau, der Aufträge der Ge-
schäftsprüfungskommission ausführt.
Wie effektiv kann der Voranschlag der Regierung vom Landtag bzw. der
Finanzkommission geprüft werden?
Batliner: Die Informationen sind m. E. unzureichend, weshalb das
Budget kaum geprüft werden kann. Dies auch vor dem Hintergrund,
dass nur wenig Zeit zur Verfügung steht.
Frick:Das Budget kann kaum geprüft werden. Der Landtag müsste
früher informiert werden.
358
Befragungen
Hilti: Die Finanzkommission gibt dem Landtag eine Empfehlung
ab. Dies sollte beibehalten werden. In Deutschland hat die Meinung des
Finanzausschusses bindenden Charakter. Das wäre überlegenswert.
Sehen Sie auch Handlungsbedarf bei der Finanz kommission? Inwiefern?
Frick: Der Parlamentsdienst kann Abhilfe schaffen, weil die Ab -
geordneten bis anhin auf die Informationen der Regierung vertrauen
müssen.
Was sagen Sie zu einer Redezeitbeschränkung? In welchen Bereichen
würden Sie eine solche begrüssen?
Batliner: Der Präsident besitzt das Disziplinarrecht. Das Diszipli-
narrecht genügt m. E. und ist besser als eine Redezeitbeschränkung. Al-
lerdings sollte der Präsident bei der Verhandlungsleitung hievon auf Ge-
brauch machen. Es gibt z. B. Thema, wie etwa Gesundheit, bei denen alle
Abgeordneten dasselbe sagen (z. B. «dass ihnen die Gesundheit wichtig
ist»). Da kann man eingreifen. Bei weniger wichtigen Themen könnte
man sich ev. auch mit kurzen Fraktionserklärungen begnügen. Zudem
gibt es bei der Lesung der Gesetze grosse Optimierungsmöglichkeiten
(Aufruf der Artikel oder gar Gesetze).
Beck: Ich finde eine Redezeitbeschränkung keine gute Idee. Die
Redefreiheit ist ein urdemokratisches Recht. Jeder soll solange reden
können, wie er will. Es ist aber eine Qualitätsfrage, weshalb nur noch di-
rektes sprechen möglich sein sollte. Allerdings ist der Landtagspräsident
gefragt, Ausuferungen zu unterbinden.
Frick: Ich bin klar für eine Redezeitbeschränkung; Vorbild könnte
das Modell des Schweizer Nationalrats sein. Je nach Traktandum und
Grösse der Fraktionen steht diesen eine bestimmte Redezeit zur Verfü-
gung. Zudem sollte die Tagesordnung stundenmässig im Sinne eines
Zeitplans fixiert werden. Dies würde interessierten Leuten dienen, da sie
gezielt der Landtagssitzung folgen könnten. Dadurch wäre die Transpa-
renz gefördert und man könnte die Leute für den Landtag begeistern.
Hilti: Es werden von einzelnen Personen, aber auch von den Frak-
tionen, Wiederholungen geäussert. Als Beispiel würde ich das Landes-
spital nennen. Es ist selten, dass ein Abgeordneter zu lange redet. Zudem
sollte dies der Landtagspräsident steuern. Es braucht keine Redezeitbe-
schränkung.
359
Befragungen
Kaiser: Eine Redezeitbeschränkung kommt für mich nicht in Fage.
Es liegt an den Landtagsabgeordneten, insbesondere auf Endlos-Wie-
derholungen – was bereits alle Vorredner gesagt haben – zu verzichten.
Die Votanten sollten sich diesbezüglich etwas flexibler verhalten und
den Diskussionsverlauf mitverfolgen.
Marxer: Falls es im Landtag permanent zu ausufernden Debatten
kommen würde, wäre eine solche Massnahme zu überlegen. Das scheint
mir im Moment aber nicht der Fall zu sein. Ich würde vorläufig eher an
die Disziplin der Abgeordneten appellieren, damit bereits vorgetragene
Argumente nicht mehrfach wiederholt werden. Aber wenn etwas Wich-
tiges zu sagen ist und die Argumentation nicht in zwei Sätzen erfolgen
kann, sollte das im Landtag grundsätzlich möglich sein.
Wolff: Eine Redezeitbeschränkung würde der Qualität nicht die-
nen. Wenn überhaupt, könnte man sich überlegen, eine zweite und wei-
tere Wortmeldungen desselben Abgeordneten zum selben Tages -
ordnungspunkt zeitlich zu beschränken, während die erste Wortmel-
dung auf jeden Fall zeitlich un beschränkt bleiben sollte. Es kommt aber
manchmal vor, dass Abgeordnete sich zum selben Ge schäft immer wie-
der zu Wort melden und mehr oder weniger immer dasselbe sagen, nur
um den anderslautenden Voten anderer Abgeordneter zu widersprechen.
Hier könnte ich mir eine Ein schränkung gut vorstellen. Bei der Behand-
lung von Gesetzesvorlagen ist eine Beschränkung in Form von reinen
Gesetzes artikelaufrufen eine gute Möglichkeit. Die erste Lesung einer
Gesetzesvorlage sollte immer normal in vollem Umfang durchgeführt
werden. Je nachdem, ob man sieht, dass es keine grossen Ein wände ge-
gen eine Gesetzesvorlage gibt, kann man dann bei der zweiten Lesung
mit dem Aufruf der einzelnen Artikel das Auslangen finden.
Landtagswahlen: Was würden Sie zu einer Sperrklausel bei den Land -
tags wahlen von vier Prozent sagen?
Beck: Ich finde vier Prozent gut.
Frick: Einverstanden.
Marxer: Die bestehende Sperrklausel von acht Prozent ist für eine
Demokratie tatsächlich ungewöhnlich hoch. Sperrklauseln sollen ja eine
Zersplitterung des Parteiensystems und die Dominanz regionaler Inte-
ressenvertretung verhindern. In unseren weitgehend stabilen und homo-
genen sozialen Verhältnissen ist diese Gefahr aber nicht sonderlich gross.
360
Befragungen
Ich könnte mir eine Lösung vorstellen, dass einerseits in jedem Wahl-
kreis separat bereits die Erreichung eines Grundmandates ausreicht, um
dieses Mandat zu bekommen, andererseits landesweit vier oder fünf Pro-
zent der Stimmen zur Mandatsverteilung legitimieren, also auch für die
Zuteilung von Restmandaten.
Wolff: Ich finde die Wahlen in der momentanen Ausgestaltung sehr
gut und habe auch keine Probleme mit der bestehenden Achtprozent-
Sperrklausel. Das Wahlrecht in Liechtenstein gefällt mir vor allem des-
halb gut, da die Parteien keine Möglichkeit haben, durch Vergabe be-
stimmter Listenplätze bestimmten Kandidaten mehr oder weniger si-
chere Wahlchancen zu garantieren, sondern es liegt ausschliess lich an
den Wählern, durch Streichungen und Einfügen anderer Namen statt des
gestrichenen Kandidaten das tatsächliche Wahlergebnis herbeizuführen.
Finden Sie die Einteilung in zwei Wahlkreise bei den Landtagswahlen
von Vorteil bzw. zeitgemäss? Was würden Sie sagen, wenn Liechtenstein
nicht mehr in Wahlkreise unterteilt wäre?
Batliner: Ich bin für die Abschaffung der Wahlkreise. Die Proble-
matik, dass ein Abgeordneter in den anderen Wahlkreis zieht, als er ge-
wählt wurde, wäre damit vom Tisch. Unser Land ist so klein, dass ich
solches nicht für erforderlich achte. Dies ist ein «alter Zopf». Ich sehe
keine stichhaltigen Argumente, zwei Wahlkreise beizubehalten.
Beck: Die Einteilung sollte aufgehoben werden: Wenn gute Leute
gewählt werden sollen, dann muss landesweit gewählt werden können.
Die Sache mit Ursula Oehry war nicht optimal, denn nach dem Umzug
in den anderen Wahlkreis war sie immer noch derselbe Mensch.
Frick: Könnte damit leben, da das Land zu klein ist. Heute gibt es
kaum mehr einen Strukturunterschied zwischen Ober- und Unterland.
Hilti: Die Einteilung hat lange Tradition. Die Aufhebung der bei-
den Wahlkreise würde vom Volk nicht akzeptiert werden. Es fehlen die
Argumente für eine Änderung.
Marxer: Die Wahlkreise Oberland und Unterland haben eine lange
Tradition und ich sehe keinen Grund für eine Auflösung. So ist garan-
tiert, dass beide Landschaften mit zehn bzw. 15 Abgeordneten im Land-
tag und mit mindestens zwei Mitgliedern in der Regierung vertreten
sind. Eine geografische Verteilung der Mandatsträger ist sicher nicht ver-
kehrt. Damit kann sich das kleinere Unterland auch mittels Sperrmino-
361
Befragungen
rität gegen das Oberland wehren, falls es zu Streitfragen kommt, bei de-
nen die Interessen des Oberlandes und des Unterlandes weit auseinan-
der liegen.
Wolff: Ich sehe keinen Grund für eine Aufhebung der Wahlkreise.
Diese sind historisch gewachsen und erhöhen sicher das politische Inte-
resse innerhalb der Wahlkreise. Rein akademisch könnte man sicher die
Meinung vertreten, dass es nur einen Wahlkreis geben sollte. Nützen
würde das aber niemand.
Würden Sie eine Direktwahl der Regierung begrüssen?
Beck: Dies wäre wichtig.
Frick: Vor- und Nachteile müssten diskutiert werden, im Moment
eher Nein.
Marxer: Die Direktwahl würde das politische System fundamental
in Richtung eines präsidentiellen Systems verändern. Das könnte dazu
führen, dass die Regierung keine Mehrheit im Landtag hat, was zu Blo-
ckaden führen kann. Die Direktwahl der Regierung würde die Exekutive
weiter stärken und hätte Auswirkungen auf andere Gewalten im politi-
schen System, etwa auf das Verhältnis zum Fürsten, zur direkten Demo-
kratie, der Funktion der Parteien und anderes. Ich sehe im Moment
nicht, welches Problem mit einer Direktwahl der Regierung gelöst wer-
den soll, daher drängt sich aus meiner Sicht keine Änderung auf.
Wolff: Dies ist meiner Ansicht nach illusorisch. Die Einführung ei-
ner Direktwahl der Regierung würde am Fürsten scheitern, da eine sol-
che deutliche Systemveränderung den Einfluss des Fürsten auf die Ta-
gespolitik und darüber hinaus entscheidend schwächen würde. Eine Di-
rektwahl der Regierung durch das Volk würde nämlich auch bedeuten,
dass der Fürst die Regierung nicht mehr ernennt und auch keine Mög-
lichkeit mehr zur Abberufung der Regierung hat. Aus demokratiepoliti-
scher Sicht ist gegen eine Direktwahl der Regierung selbstverständlich
nichts einzuwenden. Ganz im Gegenteil. Aber man muss sich bewusst
sein, dass dies keine als Einzel fall zu lösende Frage ist, sondern dass dies
nur mit einer grundsätzlichen Veränderung der Ver fassungssituation ein-
hergehen könnte.
362
Befragungen
Wie sehen Sie die Chancen neuer Parteien?
Beck:Das ist schwierig zu beurteilen. Parteizeitungen geben politi-
sche Floskeln von sich und sind dabei von den Steuergeldern subventio-
niert. Wenn es richtig gemacht wird, sehe ich gute Chancen. Das braucht
aber Geld und Energie: Geld kann man auftreiben, aber Energie ist das
Problem. Mit dem nötigen Einsatz ist es aber möglich. In Zukunft wird
der Ruf laut nach neuen Parteien. Diese sollten eine klare Positionierung
haben und bodenständig sein.
Frick: Die Chancen sind je nach Parteiprogramm gross. Eine neue
Partei müsste sich im klar rechtsbürgerlichen Bereich positionieren. Das
hätte bei vielen BürgerInnen, welche zum Teil sehr konservativ denken,
ein grosses Potenzial.
Marxer: Die Sperrklausel von acht Prozent ist für neue Parteien
eine sehr hohe Hürde. Auch die Freie Liste hat diese Hürde erst im drit-
ten Anlauf gemeistert. Wir haben in Liechtenstein immer noch einen
verhältnismässig hohen Anteil von rund 70 Prozent Parteitreuen zu ver-
zeichnen, die sowieso immer die gleiche Partei wählen. Aufgrund der
hohen Wahlbeteiligung gibt es auch nicht ein zusätzliches Heer von
Wahlabstinenten, die man einfach abholen könnte. Der Wählermarkt ist
also sehr eng. Zudem sind die politischen Einstellungen der Grosszahl
der Bürgerinnen und Bürger eher moderat und tendieren in Richtung
politischer Mitte, die von Vaterländischer Union und Fortschrittlicher
Bürgerpartei bereits stark besetzt ist. Eine neue Partei muss ein erkenn-
bares Profil aufweisen, hat aber das Problem, dass das Wählersegment
sowohl nach links wie auch nach rechts rasch ausdünnt. Schliesslich ist
noch zu bedenken, dass es ein starkes persönliches Engagement für die
Gründung einer neuen Partei braucht. In unseren kleinräumigen Ver-
hältnissen ist man da natürlich stark exponiert und kann sich damit
Nachteile einhandeln. Das ist für neue Parteien auch wenig förderlich.
Wille: Der Liechtensteiner und die Liechtensteinerin sind konser-
vativ eingestellt. Sie verhalten sich neuen Ideen gegenüber skeptisch.
Erst wenn sie sich in anderen Ländern bewährt haben, sind sie bereit, sie
zu adaptieren. Extremen Lösungen sind die Liechtensteiner und Liech-
tensteinerinnen abgeneigt. Es wird sich für neue Parteien die Frage stel-
len, wo sie sich politisch positionieren. Die so genannte «Mitte» ist von
den beiden Grossparteien besetzt, so dass es vor diesem Hintergrund
neuen Parteien schwer fallen wird, sich zu etablieren.
363
Befragungen
Fällt Ihnen sonst irgend ein den Landtag betreffenden Bereich ein, den
Sie kritisieren oder ändern würden?
Batliner: Ich würde z. B. die Traktanden priorisieren und die Re-
gierung verpflichten, Informationen herauszugeben. Des Weiteren
könnten die Kleinen Anfragen eingeschränkt bzw. besser geregelt wer-
den. Am wichtigsten ist mir jedoch die Vorlaufzeit zur Vorbereitung des
jeweiligen Landtages. Diese muss massiv verlängert werden. Allenfalls
könnte gar überlegt werden, z. B. nur vier Landtagssessionen zu machen.
Diese gingen dann zwar länger (wären z. B. jeweils auf eine Woche kon-
zentriert). Dazwischen stünde aber vielmehr Zeit zur Verfügung und
könnte man sich konzentrierter auf die eigenen (einem bekannten) The-
men vorbereiten.
Beck: Bis anhin findet keine Vorbereitung auf die Landtagsarbeit
statt. Ich finde es nicht gut, wenn bei der Rekrutierung von Abgeordne-
ten die Parteien damit werben, dass man als Abgeordneter auch Geld
verdienen kann. Die Positionierung der Freien Liste ist nicht mehr so
eindeutig wie zu Beginn. D. h. es ist auch bei ihnen nicht mehr so klar,
was sie tun. Die Berichte und Anträge sind m. E. eine Empfehlung der
Regierung, da Informationen gefiltert und nach Gutdünken dem Land-
tag präsentiert werden. Bei der Parteipolitik geht es um Stimmen. Im
Plenum finden Grundsatzdiskussionen nicht statt, stattdessen werden
Routinesachen behandelt, welche besser wegdelegiert werden sollten.
Frick: Demokratie lebt von Meinungs- und Pressefreiheit. Liech-
tenstein hat die «totale» Pressefreiheit, weil es keine freie Presse gibt,
sondern nur Parteizeitungen. Eigentlich sollte die Presse die Parteien,
nicht die Parteien die Presse kontrollieren. Solange es keine parteiunab-
hängige Zeitung gibt, ist die Information der Bevölkerung immer einsei-
tig oder durch eine Parteibrille gefärbt.
Hilti: Kleine Anfragen ähneln im Moment stark den Interpellatio-
nen. Hierzu ist der Landtagspräsident gefragt. Zudem sollten die Lesun-
gen abgeschafft werden.
Kaiser:Mit der neuen Geschäftsordnung des Landtags, die im Ent-
stehen ist, ist die Institution Landtag zu stärken. Daran liegt mir sehr
viel, doch ist der Schritt dazu bisher noch zu gering.
Marxer: Es wird ja häufig die Dominanz der Exekutive festgestellt.
Der Landtag ist insgesamt eher schwach. Das hat verschiedene Ursa-
chen, die jeweils separat angeschaut werden müssten, etwa Sachzwänge
und Gesetzesautomatismen aufgrund der Europäisierung, die Unter-
364
Befragungen
stützungsaufgabe der Fraktionen für die Regierung oder die eigenen Re-
gierungsvertreter, die schwache personelle Ausstattung des Parlaments-
dienstes, vielleicht auch ein zu wenig ausgeprägtes Selbstverständnis des
Landtags als Volksvertretung und eine zu schwache Öffentlichkeitswir-
kung. Mit dem Landtagsgebäude ist erst ein räumliches Zeichen gesetzt,
dem andere folgen sollten. Zuallererst müsste sich der Landtag selbst
ernster nehmen.
Wille: Zur Stärkung des Landtags ist eine Änderung des politischen
Verhaltens nötig, wie es Gerard Batliner in seiner Studie «Zur heutigen
Lage des liechtensteinischen Parlaments» umschrieben hat (LPS 9,
S. 166 f.).
365
Befragungen
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D. Über den Autor
Roger Beck, 1983 in Grabs (CH) geboren als Sohn von Luzia (geborene
Vogt) und Othmar Beck, liechtensteinischer Staatsbürger. 2003 Matura
am liechtensteinischen Gymnasium in Vaduz. Studium der Rechtswis-
senschaften an der Universität Innsbruck (Österreich); ein Semester
in Budapest (Ungarn). Abschluss 2008 mit dem akademischen Grad des
Magister iuris. August 2008 bis Januar 2009 Gerichtspraktikum beim
Fürstlichen Landgericht, Vaduz. Zwischen 2003 und 2009 Spieler der
Fussball-Nationalmannschaft (43 Einsätze). 2009 Aufnahme des Dokto-
randenstudiums an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Univer -
sität Zürich. Seit 2010 in einer liechtensteinischen Rechtsanwaltskanzlei
tätig.
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