Zusammenstellung
der im
Fürstenthum Liechtenstein
giltigen
das Strafverfahren
Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen
betreffenden
Geseße und Verordnungen
Q25D
„he;
Zusammenstellung
der im
Fürstenthum Liechtenstein
giltigen
das Strafverfahren
Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen
betreffenden
Geseke und Verordnungen
her
Dru 'der-W ag n er'schen Universitäts-Buchdruerei in Junsbrutk.
Inhalt,
1. Fürstliche Verordnung vom 30. Mai 1871 betreffend die Tren-
nung der Justizpflege von der Administration - 2 ;
Strafproceßnovelle vom 24. August 1881 . 4
Auszug jener Paragraphen der Il Abschnitte des I. und Il. Theiles
des im Fürstenthum recipirten österr. Strafgesezes vom 3. Sep-
tember 1803, welche nicht nachträglich durch geseßliche Bestim-
mungen abgeändert oder aufgehoben wurden . : 25
Einführungsverordnung vom 7. November 1859 anläßlich der
Recipirung des österr. Strafgesezes vom Jahre 1852 3 .- 131
Patent vom 7. November 1859 über das abgekürzte Strafver-
fahren in geringeren Uebertretungsfällen . . . 135
Kaiserlich österr. Patent vom 6. Juli 1833 bezüglich der Abände-
rung des 8 412 des Strafgesezbuches vom Jahre 1803 über den
Beweis aus dem Zusammentreffen der Umstände (Anzeigungen)- 145
Fürstliche Verordnung,
vom 30. Mai 1871, die Trennung der Iustizpflege
von der Administration behandelnd.
(Landesgesezblatt Jahrgang 1871 Nr. 1)-
In der Absicht, im Fürstenthume Liechtenstein die Sonderung
der Rechtspflege von der Verwaltung durchzuführen, ohne jedoch
dieserwegen die Landeskasse mehr als bisher zu belasten, verordne
Ich, daß vom
1. Juli 1871
an alle na< der Amtsinstruktion für die Staatsbehörden vom
29. September 1862 dem Landgerichte zugewiesenen politischen
Amtsgeschäfte an vie Regierung überzugehen haben, welche die
Verwaltungsbehörde des Landes verbleibt, gegen deren Entscheidungen
aber die Berufung an die neu in's Leben tretende politische Re-
kursinstanz in Wien offen steht.
Hievon sind nur jene Regierungsverfügungen ausgenommen,
welche nach den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen endgültig
erfließen.
Von diesem Tage an hat sich das Landgericht blos mit der
Civilrechtspflege in und außer Streitsachen, mit dem Grundbuchs-
wesen und mit der Strafgerichtsbarkeit in erster Instanz zu be-
fassen, sowie bei der Aburtheilung von Gefällsübertretungen in
Sinne des österreichisch-liechtensteinischen Zollvertrages mitzuwirken.
Nachdem endlich ver Bodenvermessungs- und Werthkataster in
einem innigen Zusammenhang mit vem Grundbuche gestellt wird,
und hiemit auch die auf den Bestiftungszwang bezugnehmenden
41
WRG De
Erledigungen zusammenhängen, so werden vem Landgerichte eben-
falls die Evidenzhaltung des Bodenkatasters. und die Ertheilung
der Grundtrennungsbewilligungen überwiesen.
Der Wirkungskreis der einzelnen Behörden ist in der vorlie-
genden, von Mir genehmigten Amtsinstruktion vorgezeichnet, und es
tritt jene vom 29. September 1862 mit vem obigen Tage außer
Wirksamkeit.
Mit ver Durchführung dieser Berordnung beauftrage I<
Meinen Landesverwesexr.
Wien, am 30. Mai 1871.
Johann m. p.
Carl v. Hausen m. p.
Landesverweser.
Auszug
aus der Amfsinstruktion für Cie Landesbekörlen ses Fürstentums
Liechkenstein.
[. Hauptstü>.
11. Abschnitt.
Der Landesverweser.
Der Landesverweser hat für die gesezmäßige Einrichtung und
Instandhaltung der Arreste überhaupt und für die gehörige Ver-
pflegung und Beaufsichtigung der Sträflinge zu sorgen . .
10.
Der Landesverweser überwacht den gesezmäßigen und unun-
terbrochenen Geschäftsgang des Landgerichtes und ist verpflichtet,
wahrgenommene Vorschriftswidrigkeiten oder einlangende Beschwer-
den der Parteien unverzüglich dem fürstl. Appellations-Gerichte zur
Kenntniß zu bringen.
=“ 3 =
I]. Hauptstü>.
1. Abschnitt.
Von der Zustizpflege.
Die Gerichtsbarkeit im Fürstenthum wird durc< das Landge-
richt in Vaduz und im Instanzenzug durch das fürstl. Appellations-
gericht in Wien und durch das kais. königl. Oberlandesgericht in
Innsbruck ausgeübt.
Das Landgericht ist die Gerichtsbehörde erster Instanz.
Die Leitung ver Geschäftsführung des Amtes liegt einem
Landrichter ob, welcher nach ven Bestimmungen der österr. Geset-
gebung zur Ausübung des Richteramtes befähigt sein muß, vom
Vorsitzenden des Appellations8gerichtes beeidet wird und für die ge-
sammte Geschäftsführung verantwortlich bleibt,
37.
Der Landrichter handhabt das Auffsichtsrecht, sowohl über die
Untersuchungsgefängnisse, als auch hinsichtlich der Ueberwachung
und Verpflegung der Inquisiten.
Dor Landrichter fungirt als Beisitzer des Gefällenbezirksge-
richtes Feldkirch , bei vorkommender Aburtheilung von Gefälls-
übertretungen im Sinne des liechtensteinisch-österreichischen Zoll-
vertrages.
Der Landrichter hat bei Aburtheilung von Verbrechen vom
kais. königl. Oberlandesgericht in Innsbru> die Absendung von zum
Richteramt befähigten Gerichtsmitgliedern zu erwirken.
11. Abschnitt.
Das fürstliche Appellationsgericht,
4..
Das fürstl. Appellation8gericht in Wien ist die zweite Instanz
in allen Justiz-Angelegenheiten.
Dasselbe führt die Oberaufsicht über die Zustizpflege in Liech-
1*
"D
"8.
<27:,4 . SE-
tenstein, übt dem Landrichter gegenüber die Disciplinargewalt und
ertheilt diesem vorkommendenfalls Urlaub.
Das Appellationsgericht ist aus drei geprüften Richtern zusam-
mengesetzt, welche vom Fürsten ernannt werden und für ihre Mühe-
waltung keine fixen Bezüge aus der Landeskasse beziehen.
4,3.
Der Vorsitzende des Appellation8gerichtes wird vom Fürsten
bestimmt.
Er und die übrigen Mitglieder dieses Gerichtshofes leisten
die, in ver Verfassung vom 29. September 1862 vorgeschriebene
Angelobung schriftlich.
III. Abschnitt.
Der oberste Gerichtshof.
Den obersten Gerichtshof für das Fürstenthum bildet dem
bestehenden Uebereinkommen mit der k. k. österr. Regierung gemäß,
das Oberlandesgericht in Innsbruck.
En
..
rk
Strafproceßnovelle
vom 24. August 1881.
(Landesgesehblatt Jahrgang 1881 Nr. 1).
Um eine zeitgemäße und gleichwohl auch den Verhältnissen des
Qandes anpassende Aenderung in dem bisherigen Strafverfahren
über Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen eintreten zu lassen,
verordne Ich mit Zustimmung des Landtages :
Artikel 1.
Die 88 281 und 306 des IV. Hauptstückes, 310, 329, 330
ves V. Hauptstückes, 363 bis 366, 372 ves VI]. Hauptstückes
412 (jedoch ausschließlich des hiefür recipirten Patentes vom 6. Zuli
1833), dann 4:5 bis 425, 427, 428, 433 bis 444 des X1. Haupt-
stüces, das XII. und XIII Hauptstü>, die 88 47 1, 472 und
473 des X1V. Hauptstückes und das XVII]. Hauptstü> des 1:
Theiles, weiters die 88 323 lit. a und c 330 und 344 des II.
Hauptstückes, 376 und 377 des IV. Hauptstües, 384, 386, 400
bis 407 des % Hauptstüces, 409 bis 432 des Vl. Hauptstüces,
434, 435 und 457 des VII Hauptstückes und das VIH. Haupt-
stüd des Il. Theiles des in Liechtenstein recipirten österreichischen
Strafgesezbuches vom 3. September 1803, endlich Artikel I11. der
anläßlich ver Recipirung des österr. Strafgesezes vom Jahre 1852
erflossenen Einführungs-Verordnung vom 7. November 1859 wer-
den außer Kraft gesetzt.
Artikel 2.
Dafür haben vom Tage ver Wirksamkeit dieses Gesetzes nach-
stehende Bestimmungen in Kraft zu treten und auf alle anhängigen
E.48. ==
Strafuntersuchungen, worüber noch kein Erkenntniß ergangen ist,
Anwendung zu finden.
Wien, am 24. August 1881.
Johann m. p.
v. Hausen m. p.
Landesverweser.
1. Abschnitt.
Im Verfahren über Verbrechen.
I. Vom Untersuchungs-Verfahren.
8.1,
Die Erforschung von Verbrechen, die Erhebung der That und
die Untersu<hung wider den Beschuldigten geschieht vom Landge-
richte als Criminalgericht durch den Untersuchungsrichter, der die
im 8 216 vorgeschriebene Befähigung haben muß, unter Zuzug
zweier Gericht8zeugen und eines beeidigten Protokollführers.
Die Gerichtszeugen müssen volljährige, unbescholtene, bei der
Sache unbetheiligte Männer sein und mittelst Handschlages ange-
loben, daß sie auf Alles, was vor ihnen vorgenommen und aus-
gesagt wird, volle Aufmerksamkeit verwenden, über die- getreue
Protokollirung desselben wachen und bis zum Schlußverfahren
über Alles, was ihnen während der Untersuchung8handlung be-
kannt geworden, Stillschweigen beobachten.
Es ist eine allgemeine Bürgerpflicht, sich als Gerichtszeuge
bei Untersuchungsverhandlungen verwenden zu lassen. Diese Pflicht
trifft zunächst die Bewohner jener Gemeinde, in welcher die Unter-
suchung8handluug vorgenommen wird.
Der fürstl. Regierung steht zu , halbjährig jene Landesange-
hörigen zu bezeichnen und deren Namen zu verlautbaren, welche
sich über jeweilige Aufforderderung des Landesgerichtes in ihrem
Wohnorte als Gerichtszeugen verwenden lassen müssen. Die Zahl
derselben für jede Gemeinde richtet sih nach ver voraussichtlich
größeren oder selteneren Inanspruchnahme von Gerichtszeügen da-
selbst und wird ebenfalls von der Regierung derart bestimmt, daß
-- 41. =
wenigstens 4 Gerichtszeugen auf eine Gemeinde entfallen. Die
Exnannten. sind nur für die nächste Amtsperiode berechtigt, dieses
Vertrauensamt abzulehnen. Ganz befreit bleiben : a) die Seel-
jorger, b) öffentliche Beamte und Diener, c) die Lehrer, Sanitäts-
personen und Alle, deren Berufsdienst ohne Verletzung des öffent-
lichen Dienstes nicht unterbrochen werden kann.
82.
Die Criminalhaft ist gegen den Beschuldigten, welcher auf
frischer That betreten worden, oder des ihm zur Last gelegten Ver-
brechens verdächtig ist, nur dann zu verfügen:
a) wenn es sich um ein Verbrechen handelt, das wenigstens
mit. fünfjähriger Kerkerstrafe bedroht ist; oder
b) wenn zu besorgen ist, daß die Untersuchung durch Verab-
redung des Beschuldigten, mit andern dabei Betheiligten
over mit Zeugen over durch Vernichtung der Spuren des
Verbrechens vereitelt over auf andere Weise erschwert
werden könnte, oder
-) wenn der Beschuldigte sich verbirgt, sich flüchtet over wenig-
stens Anstalten zur Flucht gemacht, hat oder als ein in
ver Gemeinde Unbekannter, als ausSweis- oder heimathlos,
wegen seines herumziehenden Lebenswandels, wegen schlechten
Leumundes over aus andern Gründen der Flucht verdächtig
erscheint.
Der Verhaftsbeschluß ist schriftlich und begründet zu den
Akten zu hinterlegen und vem Beschuldigten mit der Belehrung
zu eröffnen, daß ihm dagegen vie Beschwerde an das Obergericht
offen stehe, welcher jedoch eine aufschiebende Wirkung nicht zukömmt.
Auch obliegt dem Untersuchungsrichter den Verhafteten innerhalb
24 Stunden von dem: Grunde dieser Verfügung in Kenntniß zu
sezen und dessen Aeußerung hierüber zu Protokoll zu nehmen. Wenn
im Laufe ver Untersuchung die Gründe , aus welchem die Crimi-
nalhaft verfügt wurde , entfallen, so ist die Aufhebung derselben
von dem Untersuchungsrichter sogleich zu verfügen und darüber
ebenfalls ein begründeter Beschluß zu den Akten zu hinterlegen.
Ist der Beschuldigte blos aus dem im vorstehenden 8.4;
- 3) ==
Punkt b, erwähnten Grund in Haft , so darf diese in der Regel
nicht über 2 Monate ausgedehnt werden. Eine Ausnahme hievon,
jedo<h auch nur in der Ausdehnung von 3 Monaten vom Tage
der Verhaftung angefangen, kann auf Antrag des Landgerichtes
vom Obergericht aus sehr wichtigen, zwingenden Gründen und bei
besonders weitwendigen Untersuchungen bewilligt werden.
Inwiefern ein blos wegen Fluchtverdachtes verhafteter Be-
schuldigter gegen Caution aus der Haft entlassen werden könne,
hat das Obergericht über Antrag des Untersuchungsrichters zu ent-
scheiden.
3 e-
Jedem auf freiem Fuße Untersuchten, hat der Untersuchungs-
richter das Versprechen abzufordern, daß er sich ohne Genehmigung
des Untersuchungsrichters weder von seinem Aufenthalts8ort ent-
fernen, noch sich verborgen halten werde.
Der Bruch dieses Versprechens zieht die Verhängung der
Criminalhaft wieder den Beschuldigten nach sich.
8 4.
Fesseln sind vem Verhafteten nur dann anzulegen , wenn er
Entweichungsversuche gemacht hat oder nicht anders sicher ver-
wahrt werden kann, oder wenn dies wegen besonderer Gefährlich-
feit seiner Person zur Sicherheit anderer, ins8besondere der Ge-
fangenaufseher erforderlich erscheint.
Wider Untersuchungsgefangene, welche sich ein widerspänstiges,
ungestümes, beleidigendes oder sonst vorschriftwidriges Benehmen
zu Schulden kommen lassen, ist eine angemessene Disciplinarstrafe
durch Auferlegung von einem over mehreren Fasttagen und An-
legung von Fesseln zu verhängen.
8 5.
Wenn scheinbare Anzeigungen gegen Jemanden die Einleitung
criminalgerichtliher Erhebungen und Einvernehmungen veranlaßten,
sich jedoH nicht bestätigten, sind die Untersuchungsakten vom Land-
gericht vem Obegerichte zur Fassung des Ablassungsbeschlusses vor-
zulegen.
Alle, welche sih während der Untersuchung durch eine Ver-
fügung oder Verzögerung des Landgerichtes beschwert erachten,
- 9 -
haben das Recht, darüber eine Entscheidung des Obergerichtes zu
verlangen und ihr Begehren entweder schriftlich oder mündlich
beim Landgericht over unmittelbar beim Obergerichte einzubringen.
Gegen folchartige obergerichtliche Entscheidungen, sowie gegen
die in Sachen ver Ablassung vor in einer Untersuchung gefaßten
Beschlüsse ver Oberbehörde findet ein weiterer Rechts8zug nicht statt.
Vom dem Ablassungsbeschlusse ist nebst dem Beschuldigten
auch der Beschädigte zu verständigen.
IL. Von dem Sclußverfahren und dem Erkenntnisse nach beendigtem
Sclußverfahren.,
8 6.
Ueber jede abgeführte Untersuhung, wodurch Jemand um
eines Verbrechens Willen zur Verantwortung gezogen wurde, muß
vom dem Landgerichte als Criminalgericht bei collegialer Besezung
ein Schlußverfahren gepflogen werden.
Zur collegialen Besezung des Gerichtshofes sind drei ge-
grüfte rechtskundige Richter, zwei beeidigte Laienrichter (Schöffen)
und ein Protokollführer erforderlich. Die zwei Laienrichter, welche
liechtensteinische Staatsbürger , im Fürstenthum wohnhaft und im
Vollgenuße der bürgerlihen Rechte sein müssen, werden von Fall
zu Fall von dem Landgerichte aus den durch den Landtag auf die
Dauer von drei Jahren gewählten 6 Laienrichtern (Schöffen) aus-
gelost und beeidet und haben gleich den übrigen drei geprüften
Richtern ein entscheidendes Stimmrecht.
Wer mit der Person, über welche zu urtheilen ist, in einem
solchen Verhältnisse steht , daß er in bürgerlichen Angelegenheiten
fein unbedenklicher Zeuge für oder wider dieselbe wäre, kann zu
dem Criminalgerichte nicht zugelassen werden.
8:7;
Bevor mit ver Anordnung des Schlußverfahrens vorgegangen
wird,. ist der Beschuldigte von dem Untersuchungsrichter nochmals
zu vernehmen, was er etwa zu seiner Vertheidigung anzubringen
habe und bei diesem Anlasse ist er zu belehren, daß ihm zu diesem
Schlußverhöre auf sein Verlangen eine vierzehntägige Bedenkzeit
eingeräumt werden könne, daß es ihm aber auch freistehe , inner-
"9 .-..
halb dieser Frist , sich mit einem auf seine Kosten zuzuziehenden
Rechtsbeistande nach eigener Wahl, welchem die Einsicht der Un-
tersuchungsakten unter Aufsicht gestattet werden soll , zu berathen
und durch diesen eine Vertheidigungsschrift bei Gericht zu über-
reichen, oder daß ihm, wenn er unbemittelt ist, zu diesem Zwecke
auf Verlangen vom Landgericht ein Armenanwalt beigegeben werde.
Der Armenvertretung kann sich kein Staatsbürger entschlagen, so-
bald ihm eine diesfällige gerichtlihe Aufforderung zukommt.
Diese Schlußvernehmung, sowie die vem Beschuldigten ertheilte
Belehrung und eventuell die zur Vornahme ves Sc<lußverhöres
oder Einbringung der Vertheidigungsschrift eingeräumte Frist ist
im Verhörsprotokoll zu konstatiren.
Macht ver Beschuldigte von diesem Rechte Gebrauch, und
enthält die eingebrachte Vertheidigung neue Umstände , oder bringt
ver Beschuldigte bei vem Sclußverhöre solche neue Umstände vor,
so hat der Untersuchungsrichter noh vor dem Schlußverfahren
durch nachträgliche Erhebungen ven Untersuchungsakt in der etwa
erforderlichen Weise zu vervollständigen. Andern Falls sind nach
Vornahme des Schlußverhöres over nach Ablauf der zur Ueber-
reichung der Vertheidigungsschrift festgesezten Frist mit möglichster
Beschleunigung von dem Landgerichte die Untersuchungsakten dem
Vorsitzenden des Gerichthofes, welcher einer ver rechtskundigen
Richter, aber niemals ver mit der Abführung der Untersuchung
betraut gewesene Richter sein darf, zur Einsicht und zur Anberau-
mung des Schlußverfahrens mitzutheilen.
8. 8.
Von vem zur Vornahme ves Schlußverfahrens durch den
Vorsitzenden bestimmten Tage hat das Landgericht sowohl den Be-
schuldigten, u. zw. mündlich, wenn er verhaftet ist, sonst aber durch
eine schriftliche %orladung zu verständigen, als auch den-Beschä-
digten mit dem Beisate. vorzuladen, daß im Falle seines -Wegblei-
bens auch ohne ihn' vorgegangen werden würde. Vom. Vorsitzenden
werden ferners jene -Zeugen und Sächverständigen bezeichnet, deren
in der Untersuchung abgelegten Aussagen - für die Beweis- und
Schuldfrage von maßgebendem Einfluß sind, und welche über Antrag
-- 11 -
des Untersuchungsrichters oder auf im Schlußverhör oder in der
Vertheidigungsschrift gestelltes Verlangen des Beschuldigten zum
Schlußverfahren behufs ihrer abermaligen Vernehmung vor dem
Gerichtshofe vorzuladen kommen.
Eine Vertagung des Schlußverfahrens kann ver Beschuldigte
nur im Falle der nachgewiesenen Erkrankung oder sonstiger Ver-
hinderung erwirken , doH muß vie Anzeige, wenn immer möglich
auch rechtzeitig bei dem Criminalgericht geschehen, um eine Verle-
gung des Sclußverfahrens verfügen zu können.
Das Schlußverfahren hat an einem Wochentage vor dem nach
obigen Bestimmungen zusammengesetzten Gericht8hofe im Beisein
des Beschuldigten stattzufinden, auch wird der Zutritt von Zuhörern
gestattet , sofern der Gericht8hof nicht aus Schilichkeits- oder
öffentlihen Sicherheitsgründen die Abhaltung einer geheimen
Sikung beschließt, wo dann nur „der Beschädigte und zwei von dem
Beschuldigten bezeichnete Vertrauenspersonen als Zuhörer zuge-
lassen werden.
8.9:
Dem Vorsitzenden ves Gerichtshofes obliegt die Erhaltung der
Ordnung im Gerichtssaale.
Das Schlußverfahren beginnt mit dem Aufruf der Sache
durch den Protokollführer.
Der Beschuldigte erscheint, wenn er verhaftet ist, ungefesselt
in Begleitung eines Gerichtsdieners.
Vor Allem befragt der Vorsitzende den Beschuldigten um Vor-
und Zuname, Alter, Stand, Beschäftigung, Religion, Geburts- und
Wohnort und ermahnt ihn, vem nunmehr folgenden Verfahren seine
Aufmerksamkeit zuzuwenden. Sodann trägt der mit der Abführung
der Voruntersuchung betraut gewesene Richter das vorbereitete
schriftliche Referat vor, worauf der Vorsitzende durch den Proto-
kollführer vie aufliegende Vertheidigungsschrift, sowie alle zur Be-
weisführung oder Aufklärung dienlihen Protokolle und Schrifstücke
und insbesondere jene, auf welche sich in dem Referate oder in der
Vertheidigungsschrift berufen wird, vorlesen läßt und an den Be-
schuldigten vie -Frage stellt, ob dieser noch etwas zu- bemerken oder
zu seiner -Rechtfertigung vorzubringen habe.
- '? -
Der Vorsitzende kann nach Umständen und so oft er es im
Laufe des Schlußverfahrens zur Aufklärung des einen oder anderen
Punktes nothwendig findet, auch zu einer Vernehmung des Beschul-
digten over Beschädigten schreiten, er hat auch zu bestimmen, in
welchem Stadium ves Verfahrens die etwa vorgeladenen Zeugen
und Sachverständigen vernommen, und in welcher Ordnung die
einzelnen Akten des Untersuchungsverfahrens zur Verlesung gebracht
werden sollen. Auch die übrigen stimmberechtigten Gerichtsmit-
glieder sind berechtigt an ven Veschuldigten, an den Beschädigten
und an die vorgeladenen Zeugen und Sachverständigen Fragen zu
stellen, nachdem sie hiezu von dem Vorsikenden das Wort erhalten
haben.
Wider Zeugen und Sachverständige, welche der an sie ergan-
genen Vorladung ungeachtet bei dem Schlußverfahren ohne Nach-
weisung eines unvorhergesehenen und unabwendbaren Hindernisses
nicht erscheinen, kann ein Vorführungsbefehl erlassen und eine Geld-
strafe von 5 bis 50 fl., eventuell der Ersatz der Kosten des ver-
eitelten Schlußverfahrens ausgesprochen werden, wogegen aber von
vem Zeugen binnen 8 Tagen nach erfolgter Zustellung des Erkennt-
nisses der Einspruch bei dem Landgerichte erhoben werden kann.
Das Sclußverfahren soll, wenn es einmal begonnen hat, nur
insoweit unterbrochen werden, als es der Vorsitzende zur nöthigen
Erholung erforderlich findet. Eine Vertagung kann nur statt
haben :
a) im Falle der Erkrankung des Beschuldigten während der
Verhandlung;
b) wenn das Gericht die Einleitung neuer Erhebungen oder
die Vernehmung eines nicht erschienenen Zeugen oder Sach-
verständigen für nothwendig erachtet.
Nach beendeter Vorlesung der Akten und nach stattgehabter
Vernehmung ver vorgeladenen Zeugen hat der Vorsitzende vem Be-
schuldigten nochmals das Wort zu seiner allfälligen Vertheidigung
zu ertheilen.
Ueber jedes solches Verfahren ist ein Protokoll aufzunehmen,
welches die Namen der anwesenden Mitglieder des - Gerichts8hofes,
des Angeklagten und des etwa erschienenen Beschädigten zu ent-
... Ww 132
halten und insbesondere anzuführen hat, welche Aktenstüke vorge-
sesen wurden, und welche wesentlichen Angaben die vernommenen
Zeugen und Sachverständigen, sowie ver Beschuldigte und Beschä-
digte gemacht haben.
S 10.
Zu der darauf folgenden Berathschlagung und Schöpfung des
Urtheiles zieht sich der Gericht8hof zurück.
Der Referent, -welc<her gewöhnlich der mit der Abführung der
Untersuchung betraut gewesene Richter ist, hat auf Grund des
Referates und der allenfalls bei der Sclußverhandlung zum Vor-
schein gekommenen neuen Umstände seine Schlußanträge zu stellen,
und der Vorsitzende hat sodann die weitere Umfrage zu halten.
Jede Stimme muß mit den angeführten Gründen in einem
besonderen Protokolle genau angegeben werden.
Das Urtheil wird nach Stimmenmehrheit gefaßt.
Die Abstimmung erfolgt, indem das jüngste Mitglied des
Gericht8hofes seine Stimme zuerst, der Borsitzende hingegen die
seinige zuleßt abgibt.
Wenn unter mehreren Meinungen eine die Hälfte der Stimmen
für sich hat, so kann der Vorsitzende durch seinen Beitritt für die-
selbe ven Ausschlag geben. Hat aber der Vorsitzende eine davon
verschiedene Meinung, oder hat überhaupt keine Meinung die Hälfte
der Stimmen für sich, so ist die Umfrage zu wiederholen, und
wenn auch dann eine Mehrheit der Stimmen nicht zu erzielen ist,
so werden vie vem Beschuldigten nachtheiligsten Stimmen den zu-
nächst minder nachtheiligen so lange zugezählt , bis sich eine abso-
lute Stimmenmehrheit ergibt.
5-41.
Für die Urtheilsschöpfung und für die Ausfertigung desselben
bleiben die 88 426 und 429 bis 432 Str.-G. 1. Theil jedoch
mit ver Abweichung maßgebend, daß in Hinkunft ver Beschuldigte
nur entweder für schuldlos over für schuldig erkannt werden kann,
und daß daher eine Aufhebung ver Untersuchung aus Abgang recht-
liher Beweise zu entfallen habe.
Unmittelbar nach der Fällung des Urtheiles ist dasselbe von
Aa
240. m
dem Vorsitzenden vor dem versammelten Gerichte und in Gegen-
wart des Beschuldigten mit kurzer Angabe der Beweggründe unter
Beziehung auf die angewendeten Gesetzesstellen zu verkünden und
der Beschuldigte über das ihm zustehende Berufungsrecht zu be-
lehren. Findet sich der Gerichts8hof außer Stande, mit der Fäl-
lung und Verkündigung ves Urtheiles nach beendetem Schlußver-
fahren vorzugehen, so hat der Vorsitzende ven Tag und die Stunde
befannt zu geben, wann die Urtheilspublikation statthaben wird.
Zur Verkündigung des geschöpften Urtheiles haben Zuhörer
auch dann Zutritt, wenn das Schlußverfahren selbst geheim ge-
pflogen wurde.
42;
Wird von vem Gericht8hofe auf Todesstrafe erkannt, so ist
das Urtheil mit ver Bemerkung zu verkünden, daß dasselbe dem
Landesfürsten vorgelegt werden müsse.
In diesem Falle hat aber auch der Gericht8hof darüber Be-
schluß zu fassen, ob der Verurtheilte einer Begnadigung würdig
erscheine, und ist der ganze Untersuchungsakt von Amtswegen an
das Obergericht einzuschien.
Wenn bei einem Verurtheilten sehr wichtige und überwiegende
Milverungsumstände eintreffen , so steht dem Gerichtshofe das
Befugniß zu, die in dem Gesetze verhängte lebenslange Kerkerstrafe
bis auf 1 Jahre, den nach dem Gesetze zwischen 10 bis 29 Jahren
zu bemessenden Kerker bis auf 5 Jahre, endlich die in der geseß-
lichen Dauer von 5 bis 10 Jahren festgesetzte Kerkerstrafe bis auf
2 Jahre herabzusetzen, jedoch darf ex in keinem dieser Fälle den
Grad abändern.
Hält ver Gericht8shof in Fällen, wo es sich nicht um eine
Todesstrafe handelt, den Berurtheilten einer solchen Strafmilde-
rung würdig, welche die Grenzen der ihm eingeräumten Macht
überschreitet, so hat er das Urtheil zwar innerhalb der Grenzen
seines Befugnisses zu fällen, jedoch darüber zu beschließen, welcher
weitere Milverungsantrag an das Obergericht zu erstatten sei.
Hierauf ist vas nach Maßgabe des Gesetzes geschöpfte Urtheil zu
verfünden und auszufertigen, dann aber sammt allen Akten von
<- DV) =
Amtswegen, und wenn eine Berufung eingelegt wurde, auch mit
dieser dem Obergerichte vorzulegen.
Inwieferne bei minderen Straffällen eine außerordentliche
Milderung der vom Gesetze verhängten Kerkerstrafe verfügt werden
darf, wird in den 88 54 und 55 des im Fürstenthum recipirten
österr. Strafgesezes vom Jahre 1852 bestimmt.
III. Von der Berufung.
8 13.
Gegen jedes von dem Criminalgerichte geschöpfte Urtheil ist
die Berufung mit aufschiebender Wirkung an das Obergericht, und
von dessen Entscheidungen nac< Umständen auch an den obersten
Gerichtshof des Landes zulässig. Zu diesem Zwecke ist sowohl dem
Verurtheilten als auch dem Beschädigten über Verlangen längstens
innerhalb 3 Tagen nach der Urtheilsverkündigung eine Ausferti-
gung des Urtheiles und der Beweggründe hinauszugeben.
S 14.
Ein Berufungsrecht steht zu:
a) dem Verurtheilten
b) Seinem Ehegatten, den Verwandten in auf und absteigender
Linie und dessen Vormund, und zwar gemeinschaftlich mit
ihm selbst oder für sich allein, auch wider seinen Willen
und nach dessen Tode, endlich
?) dem Beschädigten oder überhaupt demjenigen, der sich in
seinen privatrechtlichen Ansprüchen verletzt glaubt, over
dessen Erben.
S 15.
Die Berufung kann gegen die Gesetzmäßigkeit und Vollstän-
digkeit des Verfahrens und gegen den Inhalt ves Urtheiles ge-
richtet sein, und zwar in letzterer Hinsicht rücsichtlich ves Aus-
spruches über die Schuld, über die Strafe, über die privatrecht-
li<en Ansprüche und die Kosten des Strafverfahrens.
8 16.
Gegen diejenigen Entscheidungen des Obergerichtes, wodurch
das erstrichterliche Urtheil bestätigt wurde, steht Niemanden eine
Berufung zu.
Ebenso hat der Verurtheilte, dessen Ehegatte und Verwandte,
sowie dessen Vormund kein Berufungsrec<ht gegen Entscheidungen
des Obergerichtes, welche das erstrichterliche Urtheil zu Gunsten des
Verurtheilten abänderten.
Von vem Beschädigten darf die Berufung nur gegen ein er-
flossenes Strafurtheil ohne aufschiebende Wirkung des Strafvoll-
zuges und nur insoweit ergriffen werden, als in diesem über die
privatrechtlichen Ansprüche entweder gar nicht erfannt wurde, oder
der Beschädigte sich durch ven Ausspruch darüber beschwert erachtet.
Letzterem steht ein Berufungsrecht gegen eine Entscheidung des
Obergerichtes blos dann zu, wenn vurch vas Obergericht das erst-
richterliche Urtheil in Beziehung auf Entschädigung zu seinem Nach-
theil abgeändert worden ist.
S 47.
Jede Berufung muß längstens innerhalb 24 Stunden vom
Tage ver erfolgten Kundmachung des Urtheiles, und falls eine
Urtheilsausfertigung innerhalb dieser Frist begehrt wurde, vom
Tage der erfolgten Zustellung der Urtheil8ausfertigung oder der
obergerichtlichen Entscheivung bei dem Criminalgerichte entweder
mündlich over schriftlich angemeldet und die Ausführung der Be-
rufung binnen den nächsten 8 Tagen eingebracht werden. Die
Ausführung der Berufung kann auch durch einen Rechtsbeistand
geschehen, welchem vie Einsicht der Untersuchungsakten mit Aus-
schluß des Berathschlagungsprotokolles unter gehöriger Aufsicht zu
gestatten ist.
Ist gegen ein- von dem Criminalgerichte geschöpftes Urtheil
eine Berufung angebracht worden, so hat das Criminalgericht nach
Ablauf der zur Ausführung offen stehenden Frist sämmtliche Akten
sammt der Berufungsausführung und, wenn keine solche rechtzeitig
eingebracht wurde, mit ver Anmeldung allein an das Obergericht
einzusenden. Wenn es nothwendig erscheint, sind in vem Einbe-
gleitungsberichte die Beschwerdepunkte kurz zu beleuchten.
8 18.
Das Obergericht hat den ganzen Untersuchungsakt genau zu
wer
= 47
durchgehen, und findet es, daß das Verfahren und Urtheil dem
Gesetze gemäß ist, so wird die Berufung verworfen. In dem ent-
gegengesetzten Falle wird nach Umständen entweder das für wider-
vechtlih erkannte Verfahren aufgehoben und das Criminalgericht
zur Verbesserung und Schöpfung eines neuen Erkenntnisses ange-
wiesen oder das Urtheil dem Gesetze gemäß abgeändert.
Niemals darf aber anläßlich einer Berufung das Urtheil,
soweit es sih um die verhängte Strafe handelt, zum Nachtheile
des Verurtheilten abgeändert werden. Ueberhaupt hat das Ober-
gericht bei jeder ihm vorgelegten Berufung zu prüfen, ob der Vor-
gang und die Entscheivung des Gerichtes erster Instanz in allen
Beziehungen gesezmäßig war, und wenn es eine Abänderung des
Urtheiles zu Gunsten des Verurtheilten im Geseke gegründet findet,
dieselbe von Amtswegen auch hinsichtlich derjenigen Punkte zu ver-
fügen, hinsichtlich welcher keine Berufung stattgefunden hat.
In gleicher Weise hat auch das Obergericht vorzugehen, wenn
ihm von Amtswegen Todesurtheile zur Bestätigung, oder Straf-
urtheile mit vem Antrage auf außerordentliche Milderung vorge-
legt werden.
Findet das Obergericht ein ihm vorgelegtes Todesurtheil zu
bestätigen, so hat es dasselbe mit seinem Antrage, ob Gründe für
die Begnadigung des Verurtheilten sprechen, und im bejahenden
Falle, welche angemessene Strafe statt der Todesstrafe zu bestimmen
wäre, dem Landesfürsten vorzulegen.
Das Obergericht kann in. allen Fällen wo es zu einem Er-
kenntnisse berufen ist, wegen überwiegender Milderungsumstände
nach seinem Ermessen die im Gesetze bestimmten Freiheitsstrafen
nicht nur in der Dauer, sondern auch in vem Grade mildern, und
Verschärfungen der Freiheitsstrafen (8 19 des St.-G.) ganz oder
zum Theile nachsehen.
Gegen die im Berufungswege gefällten Erkenntnisse des
obersten Gerichtshofes ist in keinem Falle ein weiterer Rechtszug
zulässig.
8 Le
Sowohl dem Obergerichte als vem obersten Gerichtshofe steht
frei, in ihrem Erkenntnisse zugleih auszusprechen, ob und in wie
weit eine Einrechnung ver von dem Verurtheilten ohne sein Ber-
schulden durch längere Zeit ausgestandenen Untersuchungshaft in die
verhängte Freiheitsstrafe stattfinden soll. Erfolgt darüber in den
Strafurtheilen der beiven höheren Gerichte fein Ausspruch , und
wird die von dem Verurtheilten selbst over mit seiner Zustimmung
von einem seiner Angehörigen eingebrachte Berufung verworfen, so
ist vie Haft des Verurtheilten vom Tage der Ankündigung des
Urtheiles bis zu dem Tage, da ihm die über die Berufung er-
folgte Entscheivung bekannt gemacht wird, in die Strafzeit nicht
einzurechnen. Wird aber in Folge ver eingelegten Berufung vas
unterrichterliche Urtheil zu Gunsten des Verurtheilten abgeändert,
over wurden die Akten an das höhere Gericht aus irgend einem
anderen Grunde vorgelegt oder wird die Berufung nur gegen die
Strafart over das Strafmaß eingelegt und erflärt sich ver Ber-
urtheilte zum sofortigen Strafantritte bereit, so ist die in der
Zwischenzeit ausgestandene Haft in die Strafzeit einzurechnen.
IV. Von der Vollstrefung der strafgerichtlichen Urtheile.
8 20.
Wurde ein Verhafteter durch Urtheil schuldlos erklärt, so ist
verselbe sogleich nach eingetretener Rechtskraft des Urtheiles, selbst
an einem Soan- oder Feiertage in, Freiheit zu seken.
Jedes Strafurtheil ist, nachdem es in Rechtskraft erwachsen,
ungesäumt in Bollzug zu Fetzen.
Wenn jedoch der zu einer Strafe Verurtheilte zur Zeit, wo
das Strafurtheil in Vollzug gesezt werden soll, geisteskrank oder
körperlich schwer krank oder die Verurtheilte schwanger ist, hat die
Vollziehung in der Regel so lange zu unterbleiben, bis dieser Zu-
stand aufgehört hat. Nur dann kann ver Vollzug auch gegen eine
Schwangere eingeleitet werden, wenn vie bis zu ihrer Entbindung
fortdauernde Haft für sie härter sein würde, als die zuerkannte
Strafe.
8 21.
Jedes wider ein Mitglied des geistlichen Standes wegen eines
Verbrechens ergangene rechtskräftige Strafurtheil ist nebst den Be-
1“
--“ ") -
weggründen vorläufig von dem Gerichte dem Bischof oder geistlichen
Oberhaupte, vessen Sprengel der Verurtheilte angehört, bekannt zu
geben, damit noch vor der Vollziehung des Strafurtheiles über die
Entsezung von der geistlichen Würde verfügt werden könne.
Erfolgt diese Verfügung nicht binnen 30 Tagen, so ist das
Urtheil ohne Weiteres in Vollzug zu setzen.
Strafurtheile gegen Personen, welche ein öffentliches Amt be-
kleiven, sind nach erlangter Rechtskraft ohne weiteres in Vollzug
zu setzen, jedoch ist eine Abschrift hievon nebst den Beweggründen
dem unmittelbaren Vorgesetzten der Verurtheilten mitzutheilen.
Dem Criminalgericht liegt übrigens ob, schon bei der Einlei-
tung einer Voruntersuchung wider Geistliche und öffentlich Ange-
stellte der vorgesezten Behörde desselben Mittheilung zu machen.
Zieht eine Verurtheilung naß dem Gesete für ven Verur-
theilten den Verlust von öffentlichen Titeln oder Aemtern, Aus-
zeichnungen, academischen Graden oder andern Rechten nach sich,
so ist eine Abschrift ves rechtskräftigen Urtheiles von dem Crimi-
nalgerichte auch der fürstl. Regierung mitzutheilen.
8 22.
Zieht ein Strafurtheil ven Verfall von Waaren oder Fahr-
nissen, die Vernichtung oder Zerstörung von Geräthschaften oder
anderen Gegenständen, den Verlust eines Gewerbes oder anderer
Befugnisse nach sich, so hat sich das Criminalgeriht rüfichtlich
der Ausführung an die Regierung zu wenden.
8 '23.
Der Beginn des Vollzuges einer 6 Monate nicht überschrei-
tenden Freiheitsstrafe kann auf kurze Zeit aufgeschoben werden,
wenn durch deren unverzügliche Vollstreckung der Erwerbstand oder
Nahrungsbetrieb der schuldlosen Familie des Verurtheilten in Verfall
over doch in Unordnung gerathen würde , und eine Entweichung
nicht zu befürchten ist.
Eine Unterbrehung der bereits angetretenen Freiheitsstrafe
darf nie stattfinden.
8 24.
Eine in vem Gesetze nicht vorbedachte Milderung=over Nach-
sicht der verwirkten Strafe steht nur dem Landesfürsten zu. Die
einschlägigen Gesuche sind vom Criminalgerichte unter Anschluß der
Akten und mittelst Gutachtens an das Obergericht zu leiten, welches
das Gesuch, wenn es unbegründet befunden wird, sogleich zurück-
weisen kann, anderenfalls aber mit seinem eigenen Gutachten dem
Landesfürsten vorzulegen hat.
yV. Von den Kosten des Strafverfahrens.
8 25.
Alle Verhandlungen in Criminalangelegenheiten sind gebüh-
renfrei.
Zu denjenigen Kosten des Strafverfahrens, rüfichtlich welcher
eine Vergütung von Seite des Beschuldigten stattfinden kann, gehören:
1) die Auslagen für Zustellungen und Vorladungen,
2) die Kosten für die Vorführung und Transportierung des
Beschuldigten und anderer Personen,
3) die Gebühren der Zeugen und Sachverständigen,
4) die Kosten für vie Verpfleguug des Beschuldigten während
ver Untersuchungshaft.
5) die Reisekosten und Diäten der Gerichtspersonen,
6) die Kosten für die Vollstrefung eines Strafurtheiles.
Die Kosten werden von der Landeskasse vorgeschossen.
Die Gebühren ver Sachverständigen, Gerichtspersonen 2c. 2
sind theils gesetzlich festgesekzt , theils von Fall zu Fall von dem
Criminalgerichte zu bestimmen. Einem Zeugen, der nur vom Tag-
lohne lebt, welchem daher eine Entziehung von wenigen Stunden
einen Entgang von seinem laufenden Verdienst bringen würde, ist
der gewöhnliche Taglohn zu ersetzen.
8 26.
Die Kosten für vie Verpflegung des Beschuldigten während
der Untersuchungshaft, sowie des Verurtheilten schließen die wirk-
lich aufgelaufenen Auslagen für Kost, Lagerstätte, Beheizung, Licht,
dann für Wäsche und Kleidung und allfällige Krankheitskosten in sich.
Wird ver Beschuldigte für schuldlos erklärt, so muß er auch
von dem Ersatße ver Kosten des Strafverfahrens los8gezählt wer-
den, welche in diesem Falle in der Regel vom Staate zu tragen,
"ff
- 44 --
wenn aber das Strafverfahren durch eine wissentlich falsche An-
zeige veranlaßt wurde, von dem Anzeiger zu erseßen sind.
Wird der Beschuldigte für straffällig erkannt, so muß das
Urtheil auch ausdrü>en, daß er die Kosten des Strafverfahrens
zu erseen schuldig sei. Dieser Ersaß kann aber von dem BVer-
urthelten nur insoweit eingetrieben werden, als er dadurch nach
vem Ermessen des Criminalgerichtes weder an seinem Nahrungs-
stande gefährdet, noh an der Erfüllung derjenigen Pflichten ge-
hindert wird, welche ihm zur Leistung einer aus der strafbaren
Handlung entspringenden Entschädigung oder zur Ernährung seiner
Angehörigen obliegen.
Il. Abschnitt.
Im Verfahren über Vergehen und Uebertretungen.
8 27.
Eine förmliche Verhaftung des eines Vergehens oder einer
Vebertretung Beschuldigten darf nur in ven im 8 323 lit. db. ec.
d. f. St.-G. 11. Theil aufgezählten Fällen statt haben.
Im Uebrigen gelten auch hier die Bestimmungen des 8 1
vorliegenden Gesetzes , jedoch mit ver Beschränkung , daß die Haft
niht über 14 Tagen und mit eingeholter obergerichtliher Be-
willigung niht über 6 Wochen ausgedehnt werden darf.
8 28.
Gegen die Urtheile des Landgerichtes wegen Vergehen und
Übertretungen steht nachbenannten Personen:
a) vem Verurtheilten , dessen Ehegatten, Vormund und Ver-
wandten in auf- und absteigender Linie,
b) dem Beschädigten oder überhaupt demjenigen , der sich in
seinen privatrechtlihen Ansprüchen verletzt glaubt, oder
dessen Erben,
7) dem Kläger bei solchen strafbaren Handlungen, die nur auf
Verlangen- eines Betheiligten nach dem Strafgesetze straf-
gerichtlich verfolgt werden dürfen, den Rekurs an das
Obergericht und eventuell an den obersten Gerichtshof
unter dem im vorstehenden Absatze I1l. enthaltenen Be-
stimmungen und Beschränkungen und innerhalb ver dort
normirten Fristen zu.
Ueber Verlangen ist zu diesem Behufe dem Verurtheilten,
vem Beschädigten und eventuell dem Kläger auch eine Ausfertigung
des Urtheiltes sammt Gründen zuzustellen.
Uebrigens haben in Ansehung dieses Rekurses, der Vorlegung
der Strafurtheile an die höheren Gerichte zur außerordentlichen
Milderung und in Ansehung des Befugnisses der höheren Gerichte
zur Milderung der gesetzlichen Strafen die im Absaße Ul ent-
haltenen Vorschriften auch hier zu gelten.
8 29.
Gnadengesuche an den Landesfürsten sind im Wege des Land-
gerichtes an das Obergericht vorzulegen, hemmen jedoch, falls sie
nicht shon mit vem Rekurse verbunden werden , den Vollzug des
Strafurtheiles in ver Regel nicht. Nur wenn ein Gnadengesuch
noch vor Strafantritt eingebracht und mit solchen rüfichtswürdigen
Umständen begründet wird, welche erst nach ergangenem Urtheile
eingetreten sind, kann mit der Vollstre>ung des Urtheiles innege-
halten werden, insoferne sonst die Gnadenwerbung ganz oder zum
Theil vereitelt würde.
Rechtskräftige Urtheile wider Geistlihe und öffentlich ange-
stellte Personen hat das Landgericht in beglaubigter Abschrift sammt
ven Entscheidungsgründen vem unmittebaren Vorgesetzten des Ber-
urtheilten von Amtswegen mitzutheilen.
8 30.
Rücsichtlich der Kosten des Strafverfahrens bei Vergehen
und- Uebertretungen- und rüfichtlich der Verfügungen des. Straf-
gerichtes über privatrechtliche Ansprüche haben die für Strafur-
theile über Verbrechen normirten Bestimmungen in Anwendung zu
kommen.
Jedoch ist bei solchen strafbaren Handlungen, die nur auf
Verlangen eines Betheiligten strafgerichtlich verfolgt werden dürfen,
ver Ersatz der Kosten dem Kläger in jenen Fällen durch Urtheil
oder dur< einen speziellen Beschluß des Gerichtes aufzutragen,
wenn ver Angeklagte schuldlos gesprochen, over über Begehren des
Klägers von dem weiteren Strafverfahren abgelassen worden ist.
3.12
Auszug
jener Paragraphen der II Abschnitte des 1. und Il.
Theiles des im Fürstenthum recipirten österr. Straf-
gesehes vom 3. September 1803, welche nicht nach-
träglich durch geseßliche Bestimmungen abgeändert
oder aufgehoben wurden.
Il. Abschnitt.
Vom vechtlicheu Verfahren über Verbrechen.
1. Hauptstü>.
Von ver Gerichtsbarkeit in Absicht auf Verbrechen.
8 211.
In allen denjenigen Fällen, welche in dem ersten Abschnitte
dieses Gesees für Verbrechen erflärt werden , sollen diejenigen
Gerichte die Gerichtsbarkeit ausüben, welche nach der Verfassung
eines jeden Landes die Untersuchung über Verbrechen und die
Aburtheilung zu behandeln haben, und in dem gegenwärtigen Ge-
setzbuche unter ver Benennung der Criminal-Gerichte vorkommen.
8. 212
Die Gericht8barkeit des Criminal-Gerichtes erstrefet sich auf
vessen ganzen Bezirk. Es soll also feine Ausnahme einzelner,
in dem Umfange des Criminal -'Gerichtes befindlicher Gemeinden
oder Personen weiter statt haben , als in vem gegenwärtigen Ge-
setze ausdrüclich bestimmet ist.
8 213.
Die Criminal-Gerichtsbarkeit besteht in ver Pflicht, vie Ver-
brechen zu erforschen, die Verbrecher zu untersuchen, und mit diesen
gesezmäßig zu verfahren.
-“J +4 --
8 214.
Jedermann, der sich in dem Bezirke befindet, ist schuldig, vor
dem Criminal-Gerichte auf die nöthig befundene Vorforderung zu
erscheinen , demselben Rede und Antwort zu geben, und dessen
Verfügungen zu gehorchen.
8 215.
Das Criminal-Geri<ht muß seine Gerichtsbarkeit von Amts-
wegen ausSüben. Die zu dieser Gerichtsbarkeit gehörigen Amts-
handluugen sind vorzüglich zu beschleunigen. Es sollen auch alle
andern Obrigkeiten den Criminal-Gerichten auf ihr Ersuchen un-
gesäumt Beistand leisten.
8 216.
Die Verwaltung der Gerichtsbarkeit kann bei den Criminal-
Gerichten nur solchen Männern anvertrauet werden, die sich über
das zurücgelegte Alter von vierundzwanzig Jahren, über ihr sitt-
liches Wohlverhalten, über die mit gutem Fortgange erlernte Rechts-
wissenschaft und hinlänglich erworbene Uebung in criminal-gericht-
lihen Geschäften ausgewiesen haben, und nach einer strengen
Prüfung aus diesem Gesezbuche von vem Appellations - Gerichte
für fähig erklärt worden sind. Der auf solche Art für fähig
erflärt wird, soll auch sogleich von dem Appellations-Gerichte in
die Eidespflicht genommen werden: daß er bei jeder Gelegenheit,
da ihm die AusSübung der Gerichtsbarkeit in Criminal-Angelegen-
heiten anvertrauet werden würde, die Gerechtigkeit nach den Gesetzen
handhaben wolle.
2-L17.
Auch sollen die Criminal-Gerichte na< Maß ihres Bezirkes
die nöthigen Gerichtsdiener anstellen, die Gefängnisse in ange-
messener Zahl und gesezmäßigem Stande unterhalten, wie über-
haupt alles herbeischaffen , was zu der ihnen obliegenden Rechts-
pflege erforderlich ist. Eine öffentliche Bezeichnung der Criminal-
Gerichte oder Richtplätze ist nicht gestattet.
8 218.
Die Beschaffenheit ves Verbrechens zu untersuchen, liegt vem-
jenigen Eriminal - Gerichte ob, in dessen Bezirke das Berbrechen
begangen worden ist.
34...
Das Verfahren mit der des Verbrechens beschuldigten Person
steht demjenigen Criminal-Gerichte zu , in dessen Bezirke dieselbe
angetroffen wird.
8 220.
Wenn innerhalb des Staates an der Gränze zweier Criminal-
Gerichte. das Verbrechen begangen, oder die beschuldigte Person be-
treten worden, gibt die Zuvorkommung den Ausschlag.
8 221.
Von den vorstehenden Vorschriften der 88 219 und 220
sind folgende Fälle ausgenommen :
1) Wenn ein landesfürstliher Beamter, ein landständliches
Mitglied, eine adelige Person, ein Mitglied des geistlichen
Standes der <ristlichen Religion, oder ein immatrikulirtes
Mitglied einer inländischen Universität, over eines in-
ländischen Liceums eines Verbrechens beschuldiget wird; so
ist der Beschuldigte vem Magistrate der Hauptstadt der
Provinz, in welcher er angehalten worden, zur Untersuchung
und Aburtheilung zu übergeben.
2) Wer des Hochverrathes, der Verfälschung der öffentlichen
Credits - Papiere , oder der Münzverfälshung beschuldigt
wird, ist an das Criminalgericht der Hauptstadt der Pro-
vinz, in welcher er angehalten worden, zum rechtlichen
Verfahren einzuliefern.
3) Die zu einem innländischen Militärkörper gehörigen Per-
sonen soklen, wenn sie eines Verbrechens halber angehalten
worden, dem nächsten Militär-Commando übergeben werden.
Die auswärtigen Gesandtschaften und das eigentliche Ge-
sandtschaft8personale werden nach vem Völkerrechte behandelt
und unterliegen den Landesbehörden nicht. Auch diejenigen
Hausleute und Dienstbothen eines Gesandten , welche un-
mittelbar Unterthanen des Staates sind, zu dem er ge-
höret, sind der gemeinen Gericht8barkeit nicht unterworfen.
Dafern also mit solhen Haus- und Dienstleuten eines Ge-
sandten sich ein Fall ereignete, soll zwar die Obrigkeit sich
der Person des Beschuldigten versichern, jedo< die An-
IF
zeigungen dem Minister eröffnen, damit dieser ven Verhaf-
teten übernehmen möge.
5) Wenn ein Criminal-Gericht einer aus seinem Bezirke ent-
flohenen Person nachsetzet, muß ihm dieselbe, wo sie immer
innerhalb ves Staatsbezirkes eingeholet wird, überlassen werden
6) Wenn jemand von einem Criminal-Gerichte um eines Ver-'
brechenswillen durch Edict vorgerufen ist, und in einem
andern Criminal-Bezirke betreten wird, ist er von diesem
an jenes auszuliefern.
8 222.
Bei ver für die gemeine Sicherheit besonders wichtigen
Rechtspflege, welche den Criminal - Gerichten anvertraut wird, ist
jede Vernachlässigung einer s<weren Verantwortung unterworfen.
Sollte sich demnach zeigen, vaß ein Verbrecher aus Saumseligkeit
eines Criminal-Gerichtes dem rechtlichen Verfahren entgangen ist;
so wäre ein solches Criminal-Gericht zu verhalten, nicht nur den-
jenigen, die dadurch ihre Entschädigung verloren haben, den Ersatz
zu leisten, sondern auch alle etwa einem andern Criminal-Gerichte
dieses Verbrechers halber zur Last gefallenen Kosten zu vergüten.
Wer an der Saumseligkeit Schuld trägt, ist noch insbesondere zu
bestrafen.
8 223.
Die Criminal-Gerichte find dem Appellations-Gerichte als
vem Criminal-Obergerichte der Provinz, in welcher sie bestehen,
und diefes ver obersten Justizstelle untergeordnet.
8 224.
Dem Obergerichte ist vie Macht eingeräumet, in besonderen
Fällen die Verhandlung, anstatt vem ordentlichen Criminal-Gerichte
einem andern aufzutragen, wenn das Verhältniß des Beschuldigten
zu dem Gerichtsstande, oder zu dessen Verwaltung, oder nach dem
Zusammenhange der Sache, vie Beschleunigung und Zuverlässigkeit
des Verfahrens, over sonst wichts Unseren es erfordern.
8 225.
Würde irgend eine Obrigkeit gegen die Vorschrift vieses Ge-
setzes sich die Gerichtsbarfeit über jemanden, der eines Verbrechens
beschulviget wird, anmaßen; so ist ihre ausgeübte Handlung un-
2
gültig, und nur das Obergericht kann beurtheilen , wie weit etwa
das, was davon schon in Erfüllung gekommen ist, eine Wixkung
haben möge.
0. Hauptsftü.
Von Erforschung des Verbrechens und Erhebung
der That.
tj 226.
Das Criminal-Geriht wird zur Ausübung seiner Gerichts-
barkeit aufgefordert, sobald dasselbe von einem in seinem Bezirke
begangenen Verbrechen durch einen Ruf, oder auf irgend einem
Wege durch Anzeige, oder eigene Entdeckung Kenntniß erhält.
S 227.
Jeder Ruf pflanzet sich dur<h Mittheilung fort, hat aber stets
eine Veranlassung oder einen ersten Urheber. Daher ist das Cri-
minal-Gericht verpflichtet, diejenigen, durch, welche der Ruf von
einem geschehenen Verbrechen an dasselbe gelanget, zur Rede zu
stellen, vem Rufe von Mund zu Mund, bis zum ersten Ursprunge
nachzugehen, und. so viel möglich, sich von dem Grunde oder Un-
grunde desselben zu überzeugen.
S 228.
Alle Obrigkeiten und Aemter sind schuldig, die entweder von
ihnen selbst wahrgenommenen, oder sonst zu ihrer Kenntniß ge-
langten Verbrecher sogleich dem Criminal-Gerichte anzuzeigen, in
dessen Bezirke sie sich befinden.
8 229.
Aber auch außer den Fällen, wo die Anzeige aus Pflicht zu
geschehen hu., i*, wer immer von einem Verbrechen Kenntniß hat,
berechtiget, selves entweder unmittelbar dem Criminal-Gerichte, oder
der nächsten Obrigkeit anzuzeigen.
Das Criminal-Gericht ist daher jede an dasselbe gelangende
Anzeige anzunehmen verbunden.
8 230.
In der. Regel muß die Anzeige eine bestimmte Nachricht von
der That, wie auch Namen, Stand und Aufenthalt des Anzeigers
%4=
enthalten. Doch kann dieser, den Fall des 8 188 ausgenommen,
verlangen, daß sein Name geheim gehalten werde.
8 231.
Indessen kann auch auf eine Anzeige ohne Namen, insofern
sie bestimmte, das Verbrechen glaubwürdig bezeichnende Umstände
enthält, zur Erhobung dieser Umstände geschritten werden.
8 232.
Auf welchem Wege nun das Criminal-Gericht ein in seinem
Bezirke verübtes Verbrechen erfährt, oder selbst entve>et, so ist
vasselbe schuldig, ohne Verschub vie eigentliche Beschaffenheit der
That zu erheben.
8 233.
Der Endzwe> dieser Erhebung ist die Wirklichkeit ves began-
genen Verbrechens zu bestätigen , auch sonst alles, was zu dem
weiteren Verfahren dienen kann, nach Möglichkeit in das Klare
zu seßen.
8 234.
Nachdem also vie begangene That außer Zweifel gestellet ist-
muß der Vorgang nach“ der Reihe , wie die Umstände sämmtlich
unter sich verbunden sind, genau aufgenommen werden, um aus
vemselben beurtheilen zu können :
a) ob die That ein Verbrechen ;
b) mit welchen erschwerenden oder milvernven Umständen sie
begleitet sei ?
&) um den etwa noc< unbekannten Schuldigen zu entdeden ;
d) um unter diesen Umständen diejenigen, welche als Anzei-
gungen (Indicia) zur Entdeckung ves Thäters, oder der
Mitschuldigen und Theilnehmer, over wer sonst von der
That Kenntniß hat, führen;
e) diejenigen, welche als Beweise für over wider das Ver-
brechen dienen mögen, aufzufinden; endlich
f) um die Größe des durch das Verbrechen zugefügten Scha-
vens, insofern dieser einen Ersatz zuläßt, zu bestimmen.
8 235.
Die Erhebung der Beschaffenheit ver That ist yon dem zur
Verwaltung des Criminal - Gerichtes bestellten Beamten vorzu-
nehmen. Für den Fall aber, daß dieser zur Zeit der einlangenden
Anzeige abwesend, over sonst die Erhebung selbst vorzunehmen ge-
hindert wäre; muß stets ein solcher Beamter bestellt sein, dem die
nöthige Fähigkeit mit Grund zugetrauet, und von welchem eine
zweckmäßige Amtshandlung erwartet werden kann.
8 236.
In dringenden Fällen, wo die Erforschung von dem Criminal-
Gerichte wegen Entfernung nicht mit derjenigen Geschwindigkeit
geschehen könnte, ohne welche vielleicht die Gelegenheit entgehen,
die Beschaffenheit der Umstände sich verändern, oder das Verfahren
gehemmt werden dürfte, ist die Obrigkeit des Ortes, wo das Ver-
brechen, oder die Anzeige geschehen, und wenn mehrere Obrigkeiten
sind, diejenige, welche über Ruhe, Ordnung und Sicherheit zu
wachen hat, verbunden, alles, was zur unverzüglichen Erforschung
gehört, vorzukehren, und dann die ganze Verhandlung dem Criminal-
Gerichte zu übergeben.
8 237.
Die Erhebung der That mag von dem Criminal-Gerichte,
oder von der Ortsobrigkeit geschehen; so müssen derselben stets
zwei Gerichtspersonen, oder sonst zwei Vertrauen verdienende Per-
sonen beigezogen werden.
8 232.
Läßt das Verbrechen Merkmahle an einem Orte, oder an
einer beschädigten Person zurück; so ist die Erforschung durch den
Augenschein an vem Orte selbst, oder an der Person vorzunehmen.
8 239.
Daher ist auch gehörig Sorge zu tragen, daß indessen dem
Criminal-Gerichte die Anzeige von vem Verbrechen gemacht, und
bis die Erforschung vorgenommen wird, die Merkmahle, und was
immer zu näheren Aufklärung der eigentlichen Beschaffenheit der
That führen kann, soweit dieses, ohne größeren Schaden zu be-
sorgen, thunlich ijt, in dem Zustande gelassen werden, in welchem
sie sich zur Zeit befunden, als das Verbrechen entve>et worden.
8 240.
Ist vas Verbrechen von solcher Art, daß, um die Beschaffen-
heit desselben aus ven Merkmahlen gründlich zu erforschen, beson-
0
BIR
- 320 --
dere wissenschaftliche oder Kunstkenntnisse erfordert werden; so ist
ein dergleichen Kunstverständiger , und wenn es ohne bedenklichen
Verzug geschehen kann, sind veren zwei beizuziehen.
8 241.
Wenn der Kunstverständige schon beeidet ist, soll er erinnert
werden, daß er nach Eid und Pflicht den Gegenstand genau zu
untersuchen, und was davon zu wissen nöthig ist, wahrhaft und
bestimmt anzuzeigen habe. Ist er nicht schon beeivdet, so soll ver
Eid nach dieser Absicht von ihm abgenommen werden.
8 242.
Jusbesonvere muß, wenn eine Person verleßet, verwundet oder
getödtet worden, der Beschädigte oder Getödtete genau besichtiget,
die Zahl und Beschaffenheit der Wunden beschrieben, wie weit jede
Wunde oder Verlekung gefährlich, oder welche tödtlich sei, bestim-
met, das Werkzeug, womit die Verletzung oder Tödtung geschehen,
so viel möglich, angezeiget, auch ob ver Tod nothwendig aus ver
That, oder nur aus Nebenursachen erfolget sei, erkläret, und der
Grad ver angewandten Gewalt over ausgeübten Grausamkeit, so
weit es die vorhandenen Merkmahle entnehmen lassen, angemerket
werden.
8 243.
Bei Verbrechen, durch welche auf gewaltsame oder listige
Weise an dem Vermögen Schaden zugefügt, oder zuzufügen unter-
nommen worden, ist über die eigentliche Beschaffenheit der ge-
brauchten Gewalt oder List, und der dazu angewandten Mittel,
wie auch über den verursachenden Schaden genaue Erkundigung
einzuholen, und zugleich darauf zu sehen: ob das Verbrechen von
einem Thäter allein habe ausgeübt werden können, oder ob und
was für Mithülfe aus ven Umständen erhelle.
8 244.
Alles was von Werkzeugen, womit vas Verbrechen verübt
worden, von den das Verbrechen darstellenden Stücken, von ge-
stohlenem, oder geraubtem Sute, oder von des Thäters an dem
Orte des Verbrechens zurücgebliebenen Habschaften bei der Erfor-
schung gefunden wird, soll in ein Verzeichniß gebracht , stückweise
- “1 =-
genau beschrieben, und soweit es sich thun läßt, gegen Empfangs-
schein an den jenigen, der im Besitze davon war, in gerichtliche
Verwahrung genommen werden.
8 245.
Kommt es nach Beschaffenheit des Verbrechens nicht auf einen
Augenschein an, so kann die Erforschung der That zwar an dem
gewöhnlichen Gerichtsorte vorgenommen aber alle dahin einschla-
genden Umstände müssen mit gleicher Sorgfalt erhoben, und zu
dem Ende die in dem 8 248 angedeuteten Personen auf die darüber
vorgeschriebene Art abgehöret werden.
8 246.
Ueber die entweder durch genommenen Augenschein oder auf
andere Art geschehene Erforschung der That ist ein Protokoll zu
führen. Den Eingang dazu macht die Ursache, wodurch die Er-
forschung veranlasset worden. Weiter sollen darin alle Umstände,
welche bei der Erforschung hervorgekommen, oder erhoben worden,
und zwar, so viel möglich ist, in derjenigen Ordnung erzählet wer-
den, wie sie wirklich auf einander gefolget sind.
8 247.
So wie die Ordnung des Protokolles auf dasjenige führt,
was nach dem 8 244 in gerichtlihe Verwahrung genommen wor-
den, muß das darüber verfaßte Verzeichniß, und ebenso auch die
Beschreibung, welche der beigezogene Kunstverständige über den be-
fundenen Stand der Sache gegeben, beigeschlossen werden. Wollte
der Kunstverständige, was er befunden hat, lieber mündlich anzei-
gen; so ist diese Anzeige in eben das Protokoll wörtlich aufzu-
nehmen, und daselbst von ihm zu unterschreiben.
8 248.
Hiernächst sollen alle Personen, von denen sich wahrscheinlich
eine bestimmte Auskunft über die Umstände der That, oder zur
Entde>ung des Thäters erwarten läßt, wie auch derjenige, der
durc< das Verbrechen Schaden gelitten, ausführlich abgehöret, und
ihre Aussage protokolliret, oder wegen Abhörung derjenigen, die sich
unter einem Criminal-Gerichte befinden, das Nöthige dahin. erlassen
WEYDEeN.
0 il
Jeder, der in dieser Absicht vernommen wird, soll vorher
erinnert werden: daß er, was er aussagt, wohl überdenke, nur die
reine Wahrheit angebe, folglich weder ungegründeten Verdacht
errege, over die Beschuldigungen vergrößere, noch von den ihm
bekannten Umständen etwas verschweige, oder das eigentliche BVer-
hältniß zu verringern suche.
8 250.
Sodann sind die allgemeinen Fragen um seinen Vornamen,
Geschlechtsnamen , sein Alter, Geburtsort, seine Religion, seinen
Stand und alles dasjenige, was sonst nach Beschaffenheit der Um-
stände von seiner Person zu wissen nöthig' ist, an ihn zu stellen.
S 251.
Bei Vernehmung der Hausleute und übrigen Personen, die
von dem Vorfalle aussagen können , ist sich nach den besonderen
Umständen zu richten, unter welchen das Verbrechen begangen
worden. Ueberhaupt sind die Fragen so zu stellen , daß der Be-
fragte nicht auf einzelne Umstände geführet, sondern vemselben die
Gelegenheit, was ihm bewußt ist, selbst zu erzählen, geöffnet, und
nur dasjenige, was an der Vollständigkeit der Erzählung mangelt,
vurc<h besondere Fragen zu ergänzen gesucht werde. Jedesmahl
aber ist zu erforschen, wie die vernommene Person zur Wissenschaft
vessen gelanget sei, was sie aussagt.
8 252.
Derjenige, dem Schaden zugefüget worden, ist zu vernehmen:
a) worin der Gegenstand und wahre Betrag des Schadens
bestehe ;
b) auf welche Art der Schaden zugefügt worden sei;
&) was er von seiner Seite zur Verhütung des Schadens
angewendet habe;
d) was er etwa zur weiteren Nachforschung oder Erlangung
seiner Entschädigung anzugeben wisse.
8 253.
Könnte ver wahre Scare durch die Aussage vesjenigen, den
er betrifft, wegen seiner Abwesenheit, Geistessc<hwäche, oder eines
32
andern Hindernisses wegen nicht zuverlässig erhoben werden ; oder
wäre Ursache zu vermuthen, daß derselbe die Angabe seines Scha-
dens übertreibe; so soll in denjenigen Fällen, in welchen der Un-
terschied des Schadens auf den Unterschied des Verbrechens Be-
ziehung hat, der eigentlihe Werth durch Vernehmung solcher Per-
sonen, denen die Sache, woran der Schade geschehen, bekannt ist,
oder so weit es die Umstände zulassen, durch unparteiische Scätze-
leute erhoben weiden.
8 254.
Demjenigen, der durch das Verbrechen zu Schaden gekommen,
wie auch jedem andern, in dieser Erforschung abgehörten Zeugen,
der etwas zur Sache Beitragendes anzugeben wußte, soll seine
Aussage, wie sie in das Protokoll aufgenommen worden , deutlich
vorgelesen werden, mit der Erinnerung, daß er sie auch beschwören
müsse.
883.
Die bei solcher Vorlesung von ven Zeugen etwa gemachten
Bemerkungen sind dem Protokolle nachzutragen, und die geschlossene
Aussage ist von dem Abgehörten zu unterschreiben. Wäre er des
Schreibens nicht kundig, so soll von ihm ein Handzeichen darunter
gesetzet, dieses aber von zwei eigens dazu berufenen andern Zeugen
mit ihrer Unterschrift bestätiget werden.
8 256.
Dann ist dem Zeugen der Eid abzunehmen, daß er aufrichtig,
und der veinen Wahrheit gemäß ausgesagt habe. Doch ist die
Beeidigung damals zu unterlassen, oder doch bis zur weiteren Auf-
klärung zu verschieben, wenn dem Zeugen ein in diesem Gesetze
gegründetes Bedenken entgegen steht.
8 257.
Das auf solche Art vollendete Protokoll soll den Beisitzern der
gepflogenen Thaterhebung nach seinem ganzen Inhalte nochmals
vorgelesen, im Falle sie dabei etwas zu bemerken hätten, solches
ohne in dem Texte nachzubessern, als Bemerkung beigesetzt, das
Ganze aber, so wie jede dem Protokolle angeschlossene Beilage, von
allen unterschrieben werden.
33
9
-- 34 -=-
Dl. Hauptstü>.
Von Erforschung und rechtlicher Beschuldigung eines
begangenen Verbrechens.
8 258.
Niemand kann um eines Verbrechens willen zur Verantwor-
tung gezogen werden ; es sei venn rechtliche Anzeigung vorhanden,
worauf die Beschuldigung gegründet wird.
8 259.
Rechtliche Anzeigungen sind Umstände, welche zwischen dem
Verbrechen und einer Person einen solchen Zusammenhang wahr-
nehmen lassen, daß nach unparteiischer Ueberlegung daraus wahr-
scheinlich wird, diese Person habe das Verbrechen begangen.
8 260.
Wie aus der Untersuchung einer schon bekannten That recht-
liche Anzeigungen entstehen können, welche zur Entde>ung des
Thäters führen ; so können entgegen auch aus den Umständen einer
Person sich rechtliche Anzeigungen eines von ihr begangenen, noch
nicht bekannten Verbrechens hervorthun, wenn diese Umstände so
beschaffen sind, daß sie nach aller Wahrscheinlichkeit nur mit einem
Verbrechen zusammen hängen.
8 261.
Je nachdem sich aus den Umständen der Zusammenhang
zwischen vem begangenen Verbrechen und einer Person nach dem
gewöhnlichen Gange der Handlungen mit mehrerer over minderer
Wahrscheinlichkeit zeiget, entstehen daraus nähere oder entferntere
Anzeigungen.
S8 262.
Nähere Anzeigungen zur rechtlichen Beschulvigung entstehen
insbesondere gegen denjenigen, der
a) sich bei der Obrigkeit selbst als ven Thäter angibt ;
b) der eine heftige Leivenschaft wider den Beschädigten an den
Tag gelegt, und solchen mit dem erfolgten Uebel bedroht hat ;
&) der entweder vor ver That das Vorhaben, sie zu begehen,
entvect, over nach derselben sie ausgeübet zu haben, er“
zählt oder gestanden hat;
1) ---
d) der zur Zeit, und an vem Orte des verübten Verbrechens
in einer mit der Ausübung desselben zusammenhängenden
Handlung gesehen worden;
2) von dessen Hand Briefe oder andere Schriften sich finden,
die ihrem natürlichen Verstande nach zu erkennen geben,
daß er das Verbrechen begangen habe;
f) der durch falsche Vorspiegelung sich aus dem Verdachte zu
ziehen, oder den Verdacht auf jemanden zu leiten gesucht hat;
g) der sich um Mittel beworben, Werkzeuge bestellet oder an-
geschaffet hat, die unmittelbar auf die Begehung des Ver-
brechens Beziehung haben ;
hb) unter dessen Habseligkeiten Werkzeuge, die diesem Stande
nach, ihm zu keinem Gebrauche, sondern nur zu dem Ver-
brechen dienen konnten ; oder
i) sol<e Gegenstände gefunden werden, woran Merkmahle oder
Kennzeichen des Verbrechens sichtbar sind ; oder
k) welche von dem Verbrechen herrühren ;
1) ver schon ehedem ein gleiches Verbrechen, und mit eben
solchen besonderen Umständen, wie sie im gegenwärtigen Falle
wieder zusammen treffen, begangen hat;
m) der sogleich nach der That, oder sobald dieselbe ruchbar
wurde, entflohen ist, ohne daß eine andere Ursache seiner
Flucht vorkommt ;
n) der, auf welchen eine durch Steckbriefe bekannt gemachte
Beschreibung eines Verbrechers genau zutrifft.
8 263.
Bei Verbrechen, deren Grund Gewinnsucht ist, sind rechtliche
Anzeigungen insbesondere :
a) wenn ein sonst übel berüchtigter Mensch einen für seinen
Stand unmäßigen Aufwand macht ;
b) viele Geldsorten, wie die gestohlenen oder geraubten sind,
sehen läßt oder ausgiebt ;
-;) wenn ein Landstreicher, oder sonst verdächtige Leute, solches
Geräthe, dessen rechtmäßiger Besitz mit ihren Umständen
sich offenbar nicht vereinigen läßt, bei sich führen, oder zum
Verkaufe anbiethen.
IL
9*
8 264.
Eine nähere rechtliche Anzeigung in Ansehung eines Kindes-
mordes ist die Zusammentreffung folgender Umstände: daß, nebst
einer auffallenden gähen Veränderung am Leibe, das Kind nicht
erscheint, und bei einer vurch diese Merkmale veranlaßten Besich-
tigung sich die Gewißheit einer vor Kurzem vorgegangenen Geburt
entdeet.
8 265.
Das Angeben eines das Verbrechen gestehenden Mitschuldigen
ist nur dann eine nähere rechtliche Anzeigung, wenn solches, ohne
daß ihm auf eine bestimmte Person gedeutet worden, freiwillig ge-
schieht, und mit Umständen begleitet ist, vie bei ver weiteren Nach-
forschung wahr befunden worden.
8 266.
Wenn eine mündliche Anzeige , oder eine schriftliche, worin
sich ver Anzeiger genennet, eine rechtliche Anzeigung gegen jemanden
werden soll; so muß sie mit Umständen, vie auf den Thäter Be-
ziehung haben, begleitet sein.
8 267.
Auf eine nahmenlose, oder von einem Unbekannten, der nicht
ausfindig gemacht werden kann, unterzeichnete Anzeige aber kann
gegen niemanden verfahren werden. Da fern jedoch in einer solchen
Anzeige Umstände vorkommen, die schon für sich eine rechtliche An-
zeigung sind, kann, wenn sich solche vurch die Erforschung bestätigen,
kraft vieser Anzeigung gegen den in ver namenlosen Anzeige ge-
nannten. Thäter untersuchet werden.
8 268.
Verwirrte, unterbrochene Reden, Veränderung der Gesichts-
farbe, Zittern, oder sonst was für eine geäußerte Furcht ; rauhere
Gemüthsart, Verwandtschaft, oder Bekanntschaft mit Verbrechern,
und alle dergleichen einer unsichern Ausdeutung unterworfene Um-
stände und schwankende Vermuthungen können an sich nicht für
rechtliche Anzeigungen gelten; ob sie gleich neben andern auf die
That selbst zeigenden Umständen die Wahrscheinlichkeit der Beschul-
digung vergrößern.
36
12397
Die angeführten, und andere ihnen gleich kommende nähere
Anzeigungen sind für sich allein zur rechtlichen Beschuldignng zu-
reichend. Aber auch entferntere Anzeigungen können zur rechtlichen,
Beschuldigung zureichen, wenn mehrere derselben auf eine Person
so übereinstimmend zutreffend, daß eine die andere unterstüßt, oder
ihr Zusammenhang durch keinen entgegenstreitenden Umstand ge-
schwächet wird.
8 270.
Ueberhaupt wird jede Anzeigung wichtiger, und die an sich
schwächere Vermuthung dadurch stärker, wenn der Beschuldigte eine
Person von übelm Rufe ist, von der man sich des Verbrechens
wohl versehen kann.
8271:
Wenn nun Anzeigungen auf einen bestimmten Thäter vor-
handen sind, so muß die Wahrheit aller Umstände , aus welchen
diese Anzeigungen entstehen, mit möglichster Genauigkeit erhoben,
nnd dasjenige, worauf die Beschuldigung sich gründet, außer Zweifel
gesezt werden. Zu dem Ende soll alles, was zur Erforschung
dieser Umstände , dienen kann , durch Vernehmung der Personen,
die davon Wissenschaft haben, und sonst durch jede angemessene
Erkundigung auf eben die Art vorgekehrt werden, wie dieses zur
Erfors<ung des Vebrehens in dem vorigen Hauptstüke vorge-
schrieben ist.
8.272;
Führen die eingeholten Erkundigungen gegründeten Verdacht
herbei, daß bei vem Beschuldigten Sachen, die auf das Berbrechen
Beziehung haben , over an ihm selbst Merkmale dieser Art anzu-
treffen sein dürften; so sind in seiner oder des Hausvaters Ge-
genwart seine Wohnung, Behältnisse und Habseligkeiten , nöthigen
Falles auch seine Kleidung zu durchsuchen, und an seiner Person
selbst eine Losichtigung vorzunehmen. Doch muß bei einem solchen
Vorgange Anständigkeit, Behutsamkeit, und Vorsicht nicht außer Acht
gelassen werden, damit der Ruf des Untersuchten so wenig als mög-
lich darunter leide, und die häusliche Ruhe nicht mehr gestört
“m
gi
werde, als zur Erhaltung ver gemeinen Sicherheit und Erfüllung
ver darauf zielenden Amtspflichten unvermeidlich ist.
8 273.
Wenn gegen Jemanden zwar Anzeigungen zur Beschuldigung,
hingegen auch Umstände vorkommen, wodurch diese Anzeigungen ent-
kräftet werden, müssen vie Letzteren mit gleicher Genauigkeit er-
forschet werden. Sofern also gegen Jemanven ver Verpacht eines
Verbrechens gefaßt, und ver Erforschung der wider ihn entstandenen
Anzeigungen nachgegangen, pabei aber ver Ungrund des Verdachtes
entve>et worden wäre, soll sogleich von weiterer Untersuchung
gegen „ihn abgelassen werden.
8 274.
Die Rectlichkeit einer Anzeigung zu bestätigen , ist nicht
immer erforderlich, daß sie durch zwei unbedenkliche Zeugen , oder
gerichtlichen Augenschein bewiesen werde. Auch Cin glaubwürdiger
Zeuge, sei es der Beschädigte oder ein Dritter , ist hinlänglich,
wenn er von ver Ausübung der That selbst, oder von nothwendig
damit verbundenen Handlungen oder Umständen des Beschuldigten
aussagt.
8.275:
Wo die Entlegenheit des Criminal- Gerichtes ven Zeugen,
welche abgehört werden sollen , beschwerlich ; oder sonst ver Be-
förderung des Geschäftes hinderlich wäre; hat vasselbe die poli-
litishe Obrigkeit , wel<he über Ruhe, Ordnung und Sicherheit
Sorge zu tragen hat, um die Erforschung der ihm angedeuteten
Anzeigungen anzugehen.
8: 276:
Veberhaupt, da zur Erhaltung der allgemeinen Sicherheit an
schleuniger Entde>ung der Verbrecher alles gelegen ist; sind auch
die politischen Behörden zu piesem Zwede mitzuwirken verbunden.
Daher ist jede Obrigkeit , jedes Gericht und Amt schuldig, was
ihnen von Anzeigungen, vie zur Entdeckung eines Verbrechens dienen,
over von Umständen , die auf solche Anzeigungen führen können,
bekannt wird, sogleich vem Criminal-Gerichte, over der eben ge-
dachten politischen Obrigkeit ihres Bezirkes mitzutheilen.
38
85277.
In solchen Fällen, und überhaupt , sobald die erwähnte poli-
tische Obrigkeit die Spur eines Verbrechens erhält , soll sie, auch
ohne eine Erinnerung des Criminal-Gerichtes zu erwarten , den
Anzeigungen auf die vorgeschriebene Art nachforschen, und die
Verhandlung dem Criminal-Gerichte übergeben, welchem dann das
etwa Mangelhafte zu verbessern obliegen wird.
8 278.
Keinem Criminal-Gerichte over anderer Obrigkeit ist erlaubt,
Jemanden, der verdächtig ist, unmittelbar selbst, oder durch ingeheim
bestellte Leute auf irgend eine Art zu verleiten, sein böses Bor-
haben wirklich in Ausübung zu bringen, das Verbrechen fortzu-
sezen , over zu wiederholen, um auf solchem Wege vringendere
Anzeigungen oder Beweismittel gegen ihn aufzubringen. Ueber
alles, was durch eine solche Verleitung geschehe oder erfolgte,
wäre das Criminal-Gericht over die Obrigkeit zur strengsten Ver-
Verantwortung und Strafe zu ziehen.
8 279.
So wichtig es ver allgemeinen Sicherheit ist , durch Berfol-
gung der Anzeigungen vie Verbrecher zu entde>en; nicht minder
wichtig ist es ver öffentlichen Sorgfalt, den Ruf Derjenigen zu
shüßen , welche vurc<h einen unglücklichen Zusammenfluß von Um-
ständen in ven Verdacht eines begangenen Verbrechens gefallen
sind. Wenn daher scheinbare Anzeigungen gegen Jemanden eine
Erforschung veranlasset, bei dieser aber sich nicht bestättiget haben ;
so soll demselben auf sein Verlangen, zu seiner Beruhigung und
Rechtfertigung hierüber ein Amtszeugniß ausgefertigt werden.
8 280.
Auch derjenige, vem daran delegen ist , daß ein wider ihn
entstandener Ruf, eine ver Obrigkeit gemachte Anzeige , oder ein
sonst bei ver Obrigkeit erregter Argwohn eines von ihm verübten
Verbrechens in das Klare geseizt wurde, entweder, damit ihm nicht
indessen die zu seiner Vertheidigung dienlichen Beweise entgehen,
oder, weil er kein Verdacht auf sich liegen lassen will, ist berechtigt,
30
"40 =
die Untersuchung seiner Beschuldigung selbst zu verlangen. Das
Criminal-Gericht ist in einem solchen Falle verpflichtet , ob es
gleich sonst die vorhandenen Anzeigungen nicht für hinlänglich
hielte, die Untersuchung nach der allgemeinen vorgeschriebenen Ord-
nung einzuleiten, und dem Beschuldigten nach Beendigung darüber
das ämtliche Zeugniß zu ertheilen.
IV. Hauptstü>s.
Von Verhaftung und summarischer Abhörung des
Beschuldigten.
8 282.
Der auf ver That betretene Verbrecher ist von jeder Obrig-
keit, die ihn betritt, oder zu ver er gestellt. wird, handfest zu
machen, und entweder vem Criminal - Gerichte unmittelbar , oder
der Obrigkeit, welche in dem Orte über Ruhe , Ordnung und
Sicherheit zu wachen hat, zur weiteren Einlieferung an das Cri-
minal-Gericht zu übergeben.
S 283.
Gründet sich vie Beschuldigung auf rechtliche Anzeigungen ;
so ist es vie Pflicht der Obrigkeit, welche in vem Orte, wo die
Anzeigung vorkommt , über Ruhe', Ordnung und Sicherheit zu
wachen hat, daß sie den Beschuldigten , wenn ex in ihrem Bezirke
anzutreffen ist, in Verwahrung nehme, oder hierwegen an die Obrig-
keit seines Aufenthaltortes die Erinnerung erlasse , oder dem Ent-
flohenen , wenn sichere Spur und Hoffnung ihm einzuholen vor-
handen ist, nachseße , und ven auf die eine over andere Art Ein-
gebrachten mit allem was in Beziehung auf ihn vorgekommen, oder
verhanvelt worden, sogleich dem Criminal - Gerichte überliefere.
S8 284.
Die Anhaltung und Verwahrung muß mit aller Vorsicht, daß
ver Beschuldigte nicht entkomme, aber auch mit möglicher Schonung
seiner Ehre und Person bewerkstelliget werden. Nur dann soll
angemessene Gewalt wider ihn gebraucht werden, wenn er sich
wiedersetzt, over zu entfliehen versucht.
- 41 =
8.295.
Sobald ver Beschuldigte entweder von vem Criminal-Gerichte
selbst verhaftet, over demselben gestellet worden, hat dasselbe :
a) den Anlaß der Verhaftung, mit Beziehung auf vie An-
zeigungen, welche zum Grunde liegen ;
b) eine genaue Beschreibung der äußeren Gestalt und Kleivung
ves Verhafteten in das Protokoll aufzunehmen ;
-) die Kleivungsstü>e des Verhafteten und was er etwa sonst
noc< bei sich getragen hat, genau zu durchgehen , damit
nichts verborgen bleiben könne.
8 286.
Was von Urkunden, Geld oder sonst von Metall , Waffen
over Werkzeugen , womit der Verhaftete sich losmachen , oder sich
selbst Gewalt anthun könnte, oder von Gegenständen , oder Merk-
malen eines Verbrechens bei dieser Durchsuchung gefunden wird,
soll dem Verhafteten abgenommen, und von dem Criminal-Gerichte
aufbewahrt werden.
; 287.
Unmittelbar hierauf , und ohne allen Aufschub ist der Ber-
haftete summarisch abzuhören.
8.238.
Jedem Verhöre sind, nebst einem beeideten Gerichtsschreiber,
zwei vertraute, unparteiische Männer als Beisitzer beizuziehen, welche,
wenn sie nicht shon im Eide stehen, dahin zu beeidigen sind:
daß sie, um die Echtheit ves Protokolls bezeugen zu können, für
die ordentli& ? Eintragung der Fragen und Antworten sorgfältig
wachen und bis zur Kundmachung des Urtheiles alles, was ihnen
bei dieser Gelegenheit bekannt wird, geheim halten werden.
8 289.
Das Verhör ist mit der ernstlihen Ermahnung an den Ver-
hafteten zu eröffnen: daß er die reine Wahrheit auszusagen habe,
indem er hierzu verpflichtet sei, daß lügenhafte Vorspiegelungen
ihm Bestrafung zuziehen, und wegen der daraus hervorleuchtenden
Bysiheit auch die künftige Bestrafung des Verbrechens vergrößern
würden.
S 290.
Sodann ist ex über seinen Vornamen, seinen Geschlechts8-
namen, sein Alter, seinen Geburtsort , seine Religion , über seine
Aeltern, ob er verehlicht sei, dann über ven Ehegenossen und die
Kinder, über seinen Nahrungsstand, über sein Vermögen, seinen
lezten Aufenthaltsort , ob er shon einmal im Verhafte gewesen
sei, und endlich über die Ursachen seiner dermaligen Anhaltung
zu befragen.
8 291.
Wollte er auf die an ihn gestellten Fragen keine Antwort geben,
oder seine Antwort auf ganz andere, zur Sache nicht gehörige Gegen-
stände lenken; so ist ihm ernstlich zu bedeuten, daß dieses hart-
näcige Schweigen oder widerspänstige Betragen nur zur Ver-
schlimmerung seiner Sache gereichen könne. Würde er dennoch
darauf beharren, so soll er in das Gefängniß verschafft werden.
8.292.
Gäbe der Verhaftete an, die Ursache seiner Anhaltung nicht
zu wissen , so wäre ihm das angeschuldete Verbrechen soweit und
von ven wider ihn vorhandenen Anzeigungen so viel vorzuhalten,
als unmittelbar nöthig ist, ihn in die Kenntniß der Beschuldigung
zu setzen.
8 293.
Läugnet er das Verbrechen, dessen er beschuldigt wird, so ist
er zu befragen: was er zum Beweise seiner Schuldlosigkeit, ins-
besondere , ob er in Rücksicht auf Zeit und Ort der geschehenen
That sich 19 ausweisen könne , daß ihm diese That zu begehen,
nicht möglich gewesen sei.
8 294.
Ist er des Verbrechens geständig, so soll die Aussage, ohne
das Verhör mehr zu unterbrechen , so aufgenommen werden, daß
sie vie umständliche Erzählung von dem Anlasse , Entschlusse, der
Unternehmung und Vollbringung enthalte.
8 295.
Läßt ver Verhaftete sich mit vem Bekenntnisse solcher Ver-
brechen heraus, von welchen keine Anzeigungen vorhanden sind;
42
=="43.- =
so muß auch hierüber seine Aussage ganz, wie er sie ablegt, auf-
genommen werden.
8 296.
Zeigen die Umstände der That, daß mehrere Perfonen daran
Theil haben dürften, so ist der Verhaftete auch um die Theil-
nehmer zu befragen.
8'297.
Zede Frage und die darauf erfolgte Antwort des Verhörten
ist nach fortlaufenden Zahlen in ein Protokoll einzutragen.
8 2323.
Dem Verhörten steht frei, seine Antworten dem Gerichts-
schreiber in die Feder zu sagen. Gebraucht er sich dieses Befugnisses
nicht, so muß der gerichtliche Beamte die auf jede Frage aufge-
nommene Antwort vem Gerichtsschreiber so, daß der Verhörte
jedes Wort wohl vernehmen könne, in die Feder sagen, darin aber
die eigenen Ausdrücke des Verhörten beibehalten. Jede Antwort,
sobald sie niedergeschrieben ist, soll vem Verhörten mit vem Be-
fragen, ob sie auf solche Art richtig eingetragen sei , vorgelesen,
oder ihm selbst, wenn er es verlangt, zum Nachlesen vorgelegt
werden. Verlangt er eine Abänderung, so ist diese zwar in das
Protokoll aufzunehmen, an vem aber, was schon geschrieben wor-
den, nichts mehr zu ändern.
S 299.
Jeder Bogen des Protokolles soll von dem Verhörten unter-
schrieben, oder wenn der Verhörte des Schreibens nicht kundig ist,
von ihm ein Handzeichen darunter gesetzt, am Ende des Proto-
folles aber diese von dem Verhörten geschehene Unterschrift oder
Bezeichnung von den dem Verhöre beiwohnenden Gerichtsbeamten
und Beisitzern mit ihrer Unterschrift bestätigt werden.
8 300.
Bei dem summarischen Verhöre ist sich in die Beschaffenheit
der auf die gestellten Fragen erfolgten Antworten , und alo in
eine Erörterung, ob die Antworten mit ven vorhandenen Anzei-
gungen übereinstimmen , nicht einzulassen. Auch darf dem Ver-
hörten keine Antwort an vie Hand gegeben und gegen ihn weder
=" 44. -
Züchtigung, noc< Drohung oder Verheißung, over sonst was immer
für ein, obgleich gut gemeinter Kunstgriff angewendet werden, um
ihn vadurch zu andern Anssagen zu bewegen, als wozu er selbst
freiwillig sich versteht.
8 301.
Wenn ver Ort wo die Verhaftung geschehen ist, von dem
Orte, in welchem das Criminal-Gericht seinen Sitz hat, so weit
entfernt st, daß der Verhaftete nicht innerhalb zwölf Stunden zu
vem Criminal-Gerichte gestellt werden kann, soll die Obrigkeit,
welche in dem Orte der Verhaftung über Ruhe, Ordnung und
Sicherheit zu wachen hat, das summarische Verhör nach gegen-
wärtiger Vorschrift aufnehmen und das Protokoll nebst allen etwa
in Verwahrung genommenen Stücken bei der Einlieferung des
Verhafteten zugleich an das Criminal-Gericht übersenden. In
diesem Falle hat das Criminal-Gericht vem Eingelieferten sogleich
das von der politischen Obrigkeit geführte Protokoll, soweit es seine
Aussage betrifft, vorzulesen, ihn, ob er etwas beizusetzen, oder ab-
zuändern habe, zu befragen und seine Antwort mit Beobachtung
ver in ven 88 298 und 299 erwähnten Förmlichkeit dem Proto-
kolle hinzuzufügen.
8 302.
Wenn der Beschuldigte einen ordentlichen Wohnsitz hat, und
nicht schon aus dem Vorgange erhellet, daß seine Civil-Behörde
von seiner erfolgten Verhaftung unterrichtet ist, so soll das Cri-
minal-Gericht derselben davon Nachricht geben, damit sie nach
den ihm etwa obliegenden Verpflichtungen das Erforderliche ein-
leiten möge.
8 303.
Auch in Fällen, in welchen der Verhaftete nach vem 8 221
an ein anderes Gericht abzugeben ist , soll vor dieser Abgebung
dennoch immer ein summarisches Verhör aufgenommen, und bei der
Auslieferung des Verhafteten mitgetheilt werden.
8 304.
Ist die verhaftete Person ein in öffentlichen Diensten stehender
Beamter, ein Mitglied des geistlichen Standes ver <ristlichen Re-
=. 45: ---
ligion, ein Mitglied ver Landesstände, ein immatriculirtes Mitglied
einer inländischen Universität oder eines inländischen Liceums ;
jo soll das Criminal- Geriht nach dem summarischen Verhöre
sogleich vem Obergerichte die Anzeige davon machen, damit von
diesem ver Behörde, unter welcher der Verhaftete dient, dem
Bischofe , over dem geistlihen Oberhaupte in der Provinz, der
Landschaft, der Universität over dem Liceum die Nachricht gegeben
werde,
8 306.
Wenn der Verhaftete des Hochverrathes, der Verfälschung
öffentlicher Credit8papiere , der Münzfäls<hung , oder sonst eines
durc< große Ausbreitung der Mitschuldigen dem gemeinen Sicher-
heitsstande gefährlichen Verbrechens beschuldiget ist, hat das Cri-
minal-Gericht sogleich die Anzeige an vas Kreisamt zu machen,
damit, wenn indessen in Rücksicht auf den Staat Verfügungen
erforderlich wären, das Nöthige vorgekehrt, und nach Beschaffenheit
der Umstände auch ver Landesstelle Bericht von vem Vorfalle
gegeben werde.
V. Hauptstü>.
Von den Untersuchungs-Gefängnissen.
8 307.
Die Verhafteten sollen nicht nur dem Geschlechte nach abgeson-
dert, sondern überhaupt jeder allein, so viel möglich ist, in einem
eigenen Gefängnisse verwahrt werden. Besonders ist darauf zu
schen, daß diejenigen, welche einer Mitschuld verdächtig sind, von
einander genügsam entfernt sein. Daher muß bei jedem Criminal-
Gerichte eine seinem Bezirke, und dieser Absonderung angemessene
Anzahl Gefängnisse vorhanden sein.
8 308.
Jedes Gefängniß muß hinlänglich Luft und Licht, und wenig-
stens so viel Raum haben, daß ver Verhaftete darin gehen könne.
&s muß trocken, reinlich und überhaupt so beschaffen sein, daß die
Gesundheit des Verhafteten keiner Gefahr, und er keinem andern
Uebel ausgesezt werde, als die Versicherung von seiner Person, und
die Berhinderung der Entweichung nothwendig mit sich bringt.
- 4 =
8 309.
Allgemein sollen bei Gefängnissen, so viel die Lage des Ge-
häudes zuläßt , und sonst die Umstände erlauben, folgende Bor-
sichten angewendet werden.
a) das Fenster, wodurch Luft und Licht hineinfommt, soll
auf keine offene Straße, sondern in einem Hof over Gang
gehen, und so in die Höhe gesetzt sein, daß weder von außen
jemand hinein, noch der Verhaftete hinaus sehen, oder
sich mit jemanden besprechen könne. Auch ist das Fenster
mit starkem und engen, eisernen Gegitter zu versehen,
damit ver Verhaftete dadurch nicht entkommen, und ihm
von außen nichts zugeworfen werden möge:
b) wo die Mauern nicht di> genug, oder nicht ganz tro>en
sind, müssen sie inwendig mit Pfosten belegt werden ;
„) die Thüre muß aus doppelten Pfosten bestehen, von außen
durc< zwei oben und unten befestigte eiserne Klinken, oder
sogenannte Arben, und zwei daran gelegte starke Vorhäng-
schlösser versichert werden. In der Mitte der Thüre soll
eine kleine Oeffnung eingeschnitten sein, welche ebenfalls
gesperrt, und nur von außen aufgemacht werden fönne ;
an sich aber dazu diene, daß dem Gefängnisse Zugluft
verschafft, und der Verhaftete zu allen Zeiten, ohne die
Thüre selbst zu öffnen, von dem Gefangenwärter beobachtet
werden könne;
1) nach Bedürfniß sollen die Gefängnisse mit Oefen versehen,
diese aber inwendig mit eisernen Stangen sicher verwahrt
sein, vamit der Verhaftete dadurch nicht entkommen könne-
Auf gleiche Art ist der Rauchfang zu verwahren, und die
Oeffnung zur Heizung vorsichtig verschlossen zu halten ;
2 zur Lagerstätte muß eine Britsche vorhanden, und so zu-
bereitet sein, daß der Verhaftete , wenn es nöthig ist,
daran geschlossen werden fönne;
r, in den zur Anhaltung gefährlicherer Gefangenen bestimmten
Gefängnissen müssen entweder Steine, wenigstens von vem
Gewichte eines Zentners, oder eiserne in ver Wand oder
---"-47 . <-
vem Fußboden stark befestigte, die Ringe zur Hand sein,
um den Verhafteten auch allenfalls anketten zu können ;
* jedes Gefängniß ist mit einer Zahl zu bezeichnen, damit
die Ordnung in der Anweisung, Besichtigung und übrigen
Besorgung genau beobachtet werden könne.
8312:
Findet das Criminal-Geriht während der Untersuchung aus
den in der Verhandlung sich ergebenden Umstände, oder anus dem
bewährten Berichte des Gefangenwärters über das Betragen des
Verhafteten für nothwendig, das Gefängniß , oder die Vorsichts-
mittel von Zeit zu Zeit zu verändern; so ist es hierzu allerdings
befugt. Insonderheit muß das Gefängniß damals verändert wer-
den, wenn bemerkt wird, daß zwei zunächst aneinander Verhaftete
auf irgend eine dem Untersuchungsgeschäfte nachtheilige Art in Un-
terredung oder Einverständnisse stehen; oder wenn man entdecket,
daß der Verhaftete Vorbereitungen zur Entflichung unternommen hat.
8 312.
So lange der Verhaftete sih in der Untersuchung befindet,
ist ihm erlaubt, sich die Kost aus eigenem Vermögen zu verschaffen.
Er kann auch von andern Personen Hülfe erhalten, oder durch
Arbeiten einiges Geld verdienen, und es zu seinem besseren Unter-
halte verwenden. Nur ist ihm:
a) feine Unmäßigkeit im Essen und Trinken zu gestatten ;
b) von Speisen sind ihm nur solche, die in dem BVerwahrungs-
hause gekocht sind, zuzulassen ;
' von barem Gelde soll ihm nichts zu Handen kommen, son-
dern alles, was ihm aus fremder Hülfe, oder seinem Ver-
dienste zufließt, unmittelbar dem Criminal-Gerichte über-
geben werden, welches ihm davon die Kost anzuschaffen hat.
8.313.
Mangelt es dem Verhafteten an den im vorigen Paragraphe
erwähnten Zuflüssen , so ist das Criminal-Gericht ihn mit Wasser
und Brot, und täglich einer warmen Speise zu verpflegen schuldig.
3 214.
Auch ist dem Verhafteten sich einer eigenthümlichen Kleidung
zu gebrauchen, solche durch seine Arbeit, oder aus fremder Hülfe
anzuschaffen, s9 weit es seiner Lage ansteht, erlaubt. Doch soll
nicht nur die wegen ves Geldes bereits in vem 8. 312 bemerkte,
sondern auch die weitere Vorsicht beobachtet werden, daß ihm kein
KleivpungsstüF zukomme, so nicht vorher bei vem Criminal-Gerichte
genau durchsucht worden ist, vamit ihm nichts heimlich zuge-
ste>et werde.
8 315.
Dem Dürftigen hat das Criminal-Gericht die nöthigste Klei-
vung abzureichen. Dasselbe soll aber bei ärmeren Verhafteten über-
haupt dafür sorgen, daß die von ihnen mitgebrachte Kleivung wäh-
vend des Verhaftes nicht ganz abgenülzt werde, und sie sich dadurch
nach geendigtem Verfahren ohne nöthige Kleivung finden. Daher
sind solchen Verhafteten ihre entbehrlichen Kleivungsstücke abzu“
nehmen, und inzwischen bei dem Criminalgerichte aufzubewahren.
Darüber ist aber ein ordentliches Verzeichniß abzufassen , damit
nichts verloren oder verwechselt werde.
8 316.
Ist ver Verhaftete nicht mit einem eigenen Bette versehen,
dessen er sich in dem Gefängnisse bedienen könnte, so soll ihm von
vem Criminal-Gerichte ein Strohsa> und eine Dee, over soge-
nannte Kobe gegeben werden.
8317.
Dem Verhafteten ist jede Handarbeit und Beschäftigung zu
gestatten, insofern solche mit vem Verhafte vereinbarlich, und nicht
zu besorgen ist, daß sie Gelegenheit zur Entweichung, over gewalt-
thätigen Selbstverlezung gebe.
8 318.
Tabak zu s<hmauchen, Licht zu brennen, oder was sonst eine
Flamme hervorbringen könnte, darf vem Verhafteten nicht gestattet,
was aber zur Reinlichkeit des Körpers nöthig ist, soll ihm ver-
schafft werden.
46
= « «imme
8. 319.
Wenn der Verhaftete in eine Krankheit verfällt, oder eine
verhaftete Weibsperson der Entbindung nahe kommt, soll dem Cri-
minal-Gerichte sogleich von dem Gefangenwärter die Anzeige ge-
macht werden, damit ohne Verzug alle Hülfe herbeigeschafft werde,
welche die Menschheit fordert. Doch ist nur der eigens dazu be-
stellte Arzt, oder die Wehemutter zu rufen, auch dabei die nöthige
Vorsicht gegen die Entweichung des Verhafteten nicht aus den
Augen zu setzen.
8 320.
Erklärte der Arzt den Zustand des Verhafteten für todesge-
fährlich, so wäre diesem zur geistlihen Hülfe der eigens hierzu
bestimmte Seelsorger zuzulassen.
8 321.
Veberhaupt darf niemand zu dem Verhafteten kommen, und
sich mit ihm besprechen, es sei denn mit besonderer Erlaubniß des
Criminal-Gerichtes, und in Gegenwart eines criminal-gerichtlichen
Beamten, dem die Sprache verständlich ist, worin die Unterredung
gesHehen soll. Auch kann der Verhaftete nicht anders eine Nach-
richt jemanden 'geben, oder von jemanden erhalten, als mündlich,
und zwar nur durch das Criminal-Gericht selbst.
8.3292.
Der von dem Criminal-Gerichte bestellte Gefangenwärter soll
die ihm anvertrauten Schlüssel zu den Gefängnissen nie aus Handen
geben. Ist er durch andere Amtsverrichtungen, oder Krankheit an
Besorgung der Verhafteten auf eine Zeit gehindert, so darf er die
Schlüssel nur demjenigen überlassen, den das Criminal-Gericht
unter gleicher Verbindlichkeit ausdrücklich dazu bestimmt.
8 323.
Wenn dem Verhafteten Eisen anzulegen, oder ihn über dies
anzuketten verordnet ist, muß solches in Gegenwart des Gefangen-
wärters mit aller Vorsicht geschehen , und sollen hierzu keine andern
Eisen gebrauchet werden, als welche der Schlosser, von dem sie ver-
fertigt worden, mit seinem Namen bezeichnet hat.
41
3 rh
Der Gefangenwärter muß täglich in jedem Gefängnisse, worin
sich ein Verhafteter befindet, die“ Wände, Oefen, Thüren, Fenster
und Lagerstätte mit Aufmerksamkeit besichtigen, ob nicht Zeichen
einer von vem Verhafteten zur Entweichung versuchten Vorberei-
tung wahrgenommen werden. Ebenso muß er täglich die Eisen
besichtigen, ob sich nicht Merkmahle einer varan versuchten Gewalt
zeigen. In jedem Falle einer solchen Entve>ung muß er sogleich
vem Criminal-Gerichte die Anzeige machen.
8 225.
Wenn dem Verhafteten die Nahrung gebracht wird, muß der
Gefangenwärter zugegen sein, und sorgfältig darauf sehen, daß
demselben nichts heimlich zugestet werde.
8 326.
Wenn ver Gefangenwärter vas Gefängniß betritt, soll er,
insonderheit bei verwegenen Gefangenen, oder wo aus Nothwen-
digkeit mehrere Gefangene beisammen sind , wenigstens einen Ge-
hülfen zur Seite haben. Bei Stellung des Verhafteten vor das
Gericht soll gleiche Behutsamkeit angewendet werden. Ist es noth-
wendig, das Gefängniß nächtlicher Weile zu betreten ; so foll es
nie mit offenem Bchte, sondern allezeit mit einer Laterne geschehen.
8) 327.
Dem Gefangenwärter ist unter scharfer Bestrafung verboten;
sich mit dem Verhafteten in ein Gespräch, das auf vessen Umstände
over Verbrechen Beziehung hat, einzulassen, noc<h unter was immer
für einem Vorwande auch nur das geringste Geschenk anzunehmen.
Auch soll er an den Gefangenen, außer in vem Falle, daß er von
demselben angegriffen würde, nie eigenmächtig Hand anlegen; aber
von allem, was ihm an des Verhafteten Reden oder Betragen auf-
fällt, dem Criminal-Gerichte unverzüglich Bericht abstatten.
8 328.
Sowie ver Verhaftete von dem Gerichte sowohl, als dem
Gefangenwärter überhaupt mit aller Schonung, Gelindigkeit und
Anständigkeit behandelt werden soll; so muß hingegen auch er von
seiner Seite sich sittsam betragen, und in Allem was Ordnung und
Reinlichkeit ves Hauses betrifft, sich folgsam bezeigen.
X
== B1
8.331.
Ueber die in den zwei vorigen Paragraphen erwähnten Vor-
gänge ist ein Protokoll zu führen, und den Untersuchungsacten des
Verhafteten beizulegen.
S 332.
Der Gefangenwärter hat über alle unter seiner Aufsicht
stehende Verhaftete ein genaues Protokoll zu führen. Die Rubriken
dieses Protofolles sind :
1) die Zahl, unter welcher ver Verhaftete eingebracht worden.
Diese läuft nach der Reihe vom Anfange bis zum Ende
des Jahres fort. /'n Ende des Jahres sind die im Ver-
hafte Berbliebenen in das Protokoll des künftigen Jahres
nach der Ordnung, wie sie im vorigen standen, mit wieder
anfangender Zahlenreihe zu übertragen ;
v) der Tag, an welchem der Verhaftete eingebracht worden ;
6) der Namen der Obrigkeit, durch welche 'die Anhaltung ge-
schehen ist;
d) ver Vor- und Zuname des Verhafteten ;
e) die Zahl des Gefängnisses, und die besondern Vorsichten,
unter welchen etwa der Verhaft dauert ;
f) des Gefangenen Betragen im Verhafte ;
Sg) der Tag, und die Art, wie derselbe aus dem Verhafte
gekommen ist; durch Tod, Entfliehung, Entlassung, oder
andere Aburtheilung.
8 333.
Das Criminal-Gericht hat mit Zuziehung eines beeidigten
Beisitzers in den Gefängnissen von Zeit zu Zeit, und wenigstens
Einmal des Monats unvermuthet nachzusehen ; dabei, ob die be-
stehenden Vorschriften genau in Erfüllung kommen, zu untersuchen ;
die entdeckten Gebrechen zu verbessern ; und alles dasjenige einzu-
leiten, was dazu dienen kann, Sicherheit, gute Zucht, Ordnung
und Reinlichkeit in den Gefängnissen einzuführen und zu erhalten ;
zugleich auch den Verhafteten ihr Schifsal, 13 weit es thunlich ist,
erträglicher zu machen. Vorzüglich sollen die Verhafteten bei jeder
solchen Nachsuchung allein über die Begegnung des Gefangenwär-
ters befragt, und dieser, wenn gegründete Klagen gegen ihn vor-
kommen, streng bestrafet werden. Ueber die Untersuchung der Ge-
fängnisse ist ein Protokoll aufzunehmen , von dem Vorsteher und
Beisitzer zu unterfertigen, und bei ven Gerichtsacten aufzubewahren.
VI. Hauptstüs.
Von dem ordentlichen Untersuchungs-Processe.
8 334.
Der Hauptzwe&> des gerichtlichen Verfahrens mit einem Be-
schulvigten ist, seine Schuld oder Schuldlosigkeit so vor Augen zu
legen, daß mit möglichster Zuverlässigkeit darüber geurtheilt wer-
den kann.
8 335-
Das Criminal-Geriht muß demnach durch die Untersuchung
jeden Umstand, welcher auf das dem Beschuldigten zur Last gelegte
Verbrechen Beziehung hat, sowie alles, was zu seiner Rechtferti-
gung behülflich sein kann; es muß die Verhältnisse , welche das
Verbrechen schwerer machen, so, wie diejenigen, welche die Straf-
barkeit vermindern können, mit gleicher Unpartheilichkeit und Sorg-
falt zu erforschen, und den vollständigen Beweis darüber herbei-
zuschaffen trachten. Es muß die Verbrechen, welche erst während
ves Verfahrens bekannt werden, eben jo untersuchen, wie die,
welche schon bei der Verhaftung des Beschuldigten angezeiget waren.
8 336.
So weit also vas Verbrechen und entweder die Strafbarkeit
des Beschuldigten, oder was zu seiner Rechtfertigung dienen kann,
nicht shon durch die in ven vorigen Hauptstücken angeordneten
Verhandlungen zur Gewißheit gebracht ist, liegt dem Criminal-
Gericht ob, die ordentlihe Untersuchung durch die Abhörung ves
Beschuldigten und der Zeugen, durch gerichtliche Besichtigung Her-
beischaffung der Urkunden, und alle sonst noch mögliche Aufklärung,
vollständig zu machen.
8 337.
Da die Vertheidigung der Sculdlosigkeit shon von Amts-
wegen in der Pflicht des Criminal-Gerichtes mitbegriffen ist, so
ZG
Yu
me
kann der Beschuldigte weder die Zugebung eines Vertreters oder
Vertheidigers, noch die Mittheilung der vorhandenen Anzeigungen
verlangen. Wie er aber nach dem 8 292 bei der Verhaftung
unverzüglich in die nöthige Kenntniß der Beschuldigung gesetzt wer-
den muß, so hat er auch während des ganzen Verfahrens das un-
beschränkte Recht, alles an die Hand zu geben, was er immer zu
seiner Vertheidigung dienlich erachtet.
8: 338.
Der weitere Zwe der Untersuchung ist:
a) die Mitschuldigen und Theilnehmer an dem Verbrechen zu
entdeden ;
b) denjenigen, die vurc< das Verbrechen Schaden gelitten haben,
Entschädigung zu verschaffen.
Auch hierauf also erstreckt sich die vem Criminal-Gerichte in
dem 8 336 auferlegte Pflicht.
8 339.
So weit es die Erreichung des Zweckes jeder Untersuchung
zuläßt, i,: das Criminal-Gericht verpflichtet, überhaupt, vorzüglich
aber bei solchen Verbrechen die Untersuchung zu befördern, welche
bei dem Volke besonderes Aergerniß erregt haben.
8 340.
Auch dann soll das Criminal-Gericht sich die Beförderung
vorzüglich angelegen sein lassen, wenn es um kleinere Verbrechen
zu thun ist und sich aus dem Verzuge der Untersuchung ergeben
könnte, daß der Verhaft während derselben schwerer als die ver-
wirkte Strafe fallen würde.
““8s 341.
Wenn wider den Verhafteten keine Anzeigungen eines andern
Verbrechens vorkommen, als wegen welches er vor das Criminal-
Gericht gezogen worden und wenn er nicht selbst mehrere Ver-
brechen bekennt, als wieder ihn angezeigt sind ; so ist die Vollendung
der Untersuchung darum nicht aufzuhalten, weil vielleicht gearg-
wohnet wird, daß er noch mehrere zur Zeit unendeckte Verbrechen
begangen habe.
8.522.
Ist ver Verhaftete eines schweren Verbrechens, worauf ver Tod,
oder wenigstens eine zehnjährige Kerkerstrafe gesetzt ist, geständig ;
so soll das Untersuchungsgeshäft wegen Nachforschung auf kleinere
Verbrechen nicht verzögert werden, insofern eine solche Nachforschung
mit Weitläufigkeit verbunden wäre, und es dabei entweder nach
der Beschaffenheit des Verbrechens , oder wegen Mittellosigkeit des
Verhafteten auf keine Entschädigung ankommt.
8 343.
Obgleih auf die Mitschuldigen , besonders, wenn die Um-
stände zeigen, daß das Verbrechen nicht ohne Mithilfe habe ver-
übt werden können, over daß der Verhaftete ein Mitgesell von
einer bösen Rotte gewesen, mit allem Ernste gedrungen wer-
ven muß, so kann doch das Verfahren mit vem Verhafteten der Mit-
schuldigen halber nur dann, wenn Mitschuldige bereits eingebracht
sind, und nur so weit unterbrochen werden, als gegen diesen
Verhafteten ver Beweis erst vurch vie Mitschuldigen geführt wer-
ven müßte.
8 344.
Nur bei den mit der Strafe ves Todes oder lebenSlangen
Kerkers verpönten Verbrechen und bei welchen zugleich dem Staate
daran gelegen ist, alles anzuweuden, um verborgene Thaten oder
Mitschuldige zu entde>en, fann mit vem Abschlusse ver Untersuchung
solange eingehalten werden, als aus den Umständen sich mit Grund
erwarten läßt, in die Kenntniß mehrerer solcher Verbrechen oder
Mitschuldigen zu gelangen.
8 345.
Das Criminal-Gericht ist in allen, was immer zu seinem
Verfahren gehört , berechtiget mit jeder politischen oder Justiz-
Behörde unmittelbares Vernehmen durch Ersuchschreiben zu pflegen;
und jede Behörde ist verbunden, ven Criminal-Gerichten hülfliche
Hand zu biethen, was an sie gelangt, soweit es in ihre Wirksam-
keit einschlägt, von Amtswegen zu erfüllen und hierüber, oder über
vie etwa entgegenstehenden Hindernisse Antwort und Nachricht mit
möglichster Beförderung zu ertheilen. Bemerkte das Criminal-
Gericht von dieser Seite Nachlässigkeit over Verzögerung, so ist es
verpflichtet , solche dem Obergerichte anzuzeigen , damit die saum-
selige Behörde durch diejenige , welcher sie untergeordnet ist, zur
Erfüllung der Verbindlichkeit angehalten, auch zur Verantwortung
unv nach Beschaffenheit der Umstände zur Strafe gezogen werde.
Sollte das Criminal-Gericht diese Pflicht außer Acht lassen, so
fann die Saumseligkeit eines Dritten ihm in der Folge zu keiner
Entschuldigung dienen.
S 346.
Ueber jeden Verhafteten ist unter der Zahl, nnter welcher er
nach der Borschrift des 8 332 in vem Gefangen-Protokolle ein-
kommt, von dem Criminal-Gerichte ein eigenes Tagebuch zu führen.
In dieses ist von der Verhaftnehmung an, Tag für Tag anzu-
merfen, was in dem Geschäfte vorgekommen, eingelaufen und vor-
gekehrt worden ist; nachdem Leitfaden vieses Tagebuches sind alle
auf die Untersuchung sich beziehenden Ersuchschreiben und Antwort,
Urkunden, Protokolle und was immer sonst dahin einschlägt, in
der Ordnung, wie diese Stücke nach und nach erwachsen, zusammen
in der Amtsstube wohl verwahrt aufzubehalten.
8 347.
Auch über solche Untersuchungen, bei welchen no< feine be-
stimmte Person des Verbrechens beschuldigt, oder oder die Beschul-
digte flüchtig, auf freiem Fuße gelassen ist, muß das Tagebuch auf
eben gedachte Art und unter der Zahl , unter welcher die Unter-
suchung in dem Jahre ihren Anfang genommen hat, geführt und
die Verhandlung aufbewahrt werden.
VI. Hauptsftü.
Von vem orventlichen Verhöre des Beschuldigten.
8 348.
Was ver Beschuldigte in dem summarischen Verhöre für oder
wider sich angegeben hat, muß, insofern es auf ein Verbrechen
Beziehuna hat und nicht schon eher erhoben ist, ungesäumt und
auf gleiche Art in das Klare gesetzt werden, wie von der Erfor-
schung des Verbrechens und der Anzeigungen in den vorigen
Hauptstücken angeordnet ist.
'E
8 349.
Hat der Beschuldigte schon in dem summarischen Verhöre
seine Schuldlosigkeit au8gewiesen oder das Verbrehen umständlich
einbefannt, und stimmet seine Ausweisung oder sein Bekenntniß
mit der eingeholten Erkundigung so vollkommen überein, daß kein
Zweifel über die That und die Zurechnung derselben, über die
Mitschuldigen und die Entschädigung übrig ist, so soll das Ge-
schäft dur< unnütze Wiederholung des Verhöres nicht verlängert,
sondern das Verfahren abgeschlossen und im ersten Falle der
Schuldlose gegen Angelobung, daß er bis zum Urtheile sich von
seinem Wohnungsorte nicht wegbegeben wolle, auf freien Fuß
gesetzt ; in dem letzteren Falle aber der geständige Verbrecher auf
die auch bei vem Abschlusse des ordentlichen Verhöres unten vor-
geschriebene Art zur Ueberdenkung und Angebung seiner etwa ver-
meinten Entschuldigung angewiesen werden.
8 350.
Ist die Sache durch das summarische Verhör nicht erschöpfet,
entweder, weil der Beschuldigte dasselbe auf die im 8 291 erwähnte
Weise vereitelt hat, oder, weil die im summarischen Verhöre abgelegte
Aussfage, wenn sie gegen die übrigen Umstände gehalten wird, un-
deutlich, mangelha““, zur Widerlegung der Anzeigungen unzuläng-
lich ist, oder weil die nachgeholte Erkundigung sie nicht durchaus
bestätiget oder weil aus vem Zusammenhange der Umstände wich-
tige Gründe vorkommen, zu besorgen, daß der Verhaftete in
mehreren, noc< unbekannten Verbrechen oder mit mehreren Ver-
brechern verflochten sei; so muß von dem Criminal-Gerichte zum
ordentlichen Verhöre des Beschuldigten geschritten werden.
8 351.
Um dieses Verhör einzuleiten, soll der die Untersuchung führende
Beamte aus den bisherigen Verhandlungen alle Umstände erwägen,
die Gegenstände, welche zu erörtern sind, genau betrachten, und dabei
wohl überlegen, wie die Wahrheit auf die zwekmäßigste Art von dem
Beschuldigten zu erfahren sei. Sodann soll er die Fragen aufsetzen,
damit er vollkommen vorbereitet zu dem Verhöre schreiten könne.
8 352.
Die allgemeinen Fragen sind eben dieselben, welche in dem
56
BI
; 290 vorgeschrieben worden. Ihre Wiederholung kann jedoch
1 dem ordentlichen Verhöre soweit übergangen werden, als sie
bereits vur< das summarische Verhör außer Zweifel gesetzt sind.
Wenn aber die vaselst gegebene Antwort verdächtig ist, oder, wenn
in Beziehung auf Verbrechen und Anzeigungen daran liegt, von
den persönlichen Umständen des Beschuldigten , von seinen Ange-
hörigen, von seinem Lebenswandel, Umgange, dem von einer Zeit
zur andern gehabten Aufenthalte , gesuchten Nahrungösstande und
überkommenen Vermögen näher unterrichtet zu sein, dann müssen
die Fragen auf diese Punkte gestellt werden, um in der Folge mit
möglichster Zuverlässigkeit über ihn urtheilen zu können, oder auf
Mittel zu kommen , wodurch er, vafern er zum Leugnen Zuflucht
nehme oder sich mit falschen Entschuldigungen los8zuwinden suchte,
näher gefasst und aus seinem eigenen Geständnisse zur Ueberführung
gebracht werden könne.
8.353.
Die besonderen Fragen sind nach den besonderen Umständen
eines jeden Untersuchungsfalles abzufassen. Ihr Zwe ist, den
Befragten dahin zu führen, daß er die That mit ihren wahrhaften
Umständen eröffne, over die ihm zur Last fallende Beschuldigung
ablehne. Das Wesentlichste, worauf bei Abfassung der besondern
Fragen Rücfficht zu nehnren ist, besteht darin:
a) daß jeder Fragepunkt an und für sich, oder in Hinsicht
auf das Ganze zur Sache gehöre, nichts Unnützes, nichts
Unschiesames eingemengt werde;
daß die Fragen zusammen genommen, vie zur Sache ge-
hörigen Umstände der Absicht und Bewegungsursache der
That, des Oxtes, der Zeit, der Art und Weise, der ge-
brauchten Mittel, der Wiederholung, der Hülfeleistung voll-
ständig erschöpfen ;
daß die Fragen nicht etwa dahin zielen, um den Beschul-
digten vurch Zweideutigkeiten oder Verwicklung zu fangen,
jondern jede Frage kurz, deutlich und nur über einen Um-
stand gefaßt sei, damit ver Befragte sie wohl begreife und
bestimmt beantworten könne ;
dq) daß eine Frage aus der andern fließe, wie sich nämlich die
Begriffe an einander reihen und die Umstände auf einander
folgeu ;
21 daß nicht die Fryge zum voraus Umstände enthalte und
bezeichne, die von dem Befragten, wenn er aufrichtig aus-
sagen will, am ersten eröffnet werden sollten;
daß bei einem Befragten, ver in seinen Antworten Ver-
schlagenheit zeigt, vie ihm zur Last liegenden Anzeigungen
und Beweismittel in vie Fragen nach und nach, immer
mit mehrerer Stärke eingerückt und er dadurch auf die
selbst eigene Ueberzeugung geführt werde, daß sein Leugnen
wider die bereits vor Augen liegenden Beweise vergebens
sei. Die ausdrückliche Beziehung auf die vorhandenen Be-
weise ist in ven Fragen nur in so weit nöthig, als der
Befragte in seinen Antworten denselben widersprechen will.
Bei einem solchen Widerspruche sollen ihm die wider ihn
streitenden Beweise vorgelegt, die Zeugen nahmhast gemacht
und die wesentlichen Stellen aus verselben Aussagen vor-
gelesen werden ;
daß in ven Fragen , welche auf die Mitschuldigen hinaus-
(aufen , die zu derselben genauer Beschreibung dienlichen
Fragepunkte ebenfalls vorkommen müssen. Nach ven Grund-
säen , welche in den 88 335 und 336 vorgeschrieben
sind, müssen
h) die Fragen auch dahin gerichtet sein , alles zu erforschen,
was des Befragten Rechtfertigung und Schuldlosigkeit oder
doch seine geringere Schuld in das Licht seken und be-
weisen kann und nach vem 8 338 gehört
- auch alles dasjenige zu den Fragen , was dazu dienen
kann, dem durch das Verbrechen Beleidigten oder Beschä-
digten die Wege zur Erhaltung seiner Genugthuung und
Entschädigung zu eröffnen oder zu erleichtern.
8 354.
Das ordentliche Verhör ist in Beisein eben der Personen
vorzunehmen, welche nach vem 8 288 dem summarischen Verhöre
beigewohnt haben. Nur aus erheblichen Ursachen können die Bei-
sitzer verändert werden.
“*"
34
1
82...
Das Criminal-Gericht soll das Verhör, sobald es sich dazu
im Stande findet, anfangen, das angefangene aber ohne wichtiges
Hinderniß nicht durc< längere Zeit unterbrechen. Die Ursachen,
wegen welcher dasselbe später vorgenommen, oder länger unterbro-
<en worden wäre, sollen jedes Mahl in dem Protokolle getreu auf-
geführt werden. Dagegen steht dem Criminal-Gerichte frei, das
Verhör an jedem Tage, zu jeder Stunde, so oft und so lange es
ihm zuträglich scheint, fortzusezen. Insonderheit soll dann nicht
ausSgesezt werden, wenn der Befragte in aufrichtigem Bekenntnisse
des Verbrechens, oder in zusammenhängender Ausweisung seiner
Sculdlosigkeit begriffen, oder, wenn wahrgenommen wird , daß er
durch die ihm gestellten Fragen dahin gebracht worden, der Wahr-
heit niht ausweichen zu können, oder, daß sonst sich Gelegenheit
anbiete, auf nähere Spuren zur Entdeckung der Wahrheit zu kommen.
8S 356.
Wenn der Beschuldigte nur eine solche Sprache redet, welche
der die Untersuchung führende Beamte nicht besit; so muß dem
Verhöre ein Dolmetscher, der des Lesens und Schreibens in dieser
Sprache wohl kundig ist, beigezogen, und wenigstens ein dieser
Spräche kundiger Beisitzer gewählt werden. Der Dolmetscher muß
vorläufig einen Eid ablegen, daß er die Fragen aus dem Munde
des Beamten und die Antworten aus dem Munde des Befragten
ohne Aenderung genau und getreu übersekzen, nichts weglassen oder
hinzufügen, sondern alles so zu Papier bringen werde, wie er es
vernommen hat. Ist ein solcher Dolmetscher und wenigstens ein
der Sprache des Untersuchten kundiger Beisitzer in dem Bezirke
des Criminal-Gerichtes nicht zu finden; so muß dem Obergerichte
die Anzeige gemacht werden, damit dasselbe dem Criminal-Gerichte
einen solc<en Dolmetscher und Beisitzer zuweise oder die Verfügung
treffe, daß der Beschuldigte an ein Criminal-Gericht, wo der
Sprache kundige Beamte vorhanden sind, abgeliefert werde.
8 357.
Wenn der Beschuldigte stumm ist, aber schreiben kann, ist jede
Frage mündlich over schriftlich an ihn zu stellen, und darauf von
=
BZD =
demselben die schriftliche Beantwortung zu fordern. Einem Tauben,
ver aber lesen und reden kann, ist die Frage schriftlich vorzulegen,
damit er sie selbst lese, und die Beantwortung darauf gebe. Sollte
der Stumme nicht schreiben, der Taube nicht lesen können, oder der
Beschuldigte zugleich taub und stumm sein; so wäre der Vorfall
vem Obergerichte anzuzeigen, und vie weitere Anordnung zu er-
warten.
3 358.
Das Verhör soll mit Gelassenheit und Anständigkeit aufge-
nommen werden,
8 359.
Ueber das Verhör ist ein Protofoll zu führen. Dasselbe soll
auf halb gebrochenen Bogen fortlaufend, wenn gleich das Verhör
in unterbro<henen Sitzungen aufgenommen wird, geschrieben werden.
Am Eingange desselben und bei jeder weiteren Sißung, soll Tag
und Stunde, wann damit angefangen worden, nebst ven Personen,
welche dabei gegenwärtig sind, am Schlusse die Stunde der geen-
digten Sikung angemerkt werden. Auf der links liegenden Spalte
ist die gestellte Frage, auf der rechten die gegebene Antwort wört-
lich einzutragen. Wenn nach vem 8 356 ein Dolmetscher beige-
zogen wird, ist zuerst die Frage in der Sprache des Gerichtes und
gleich varunter die wörtliche Uebersezung und ebenso die Antwort
zuerst in ver Sprache des Befragten und gleich darunter in der
wörtlichen Uebersezung niederzuschreiben. Jede Frage erhält eine
Zahl, die in dem ganzen Verhöre ununterbrochen fortläuft, und
jede Antwort wird mit der Zahl der Frage bezeichnet , zu der
sie gehört.
8 500.
Was der Befragte antwortet, es mag zu seiner Beschwerung
oder Vertheivigung führen, ist in das Protofoll aufzunehmen. In
der Art, vie Antworten zu Papier zu bringen, soll -sich eben so
verhalten werden, wie bei vem summarischen Verhöre in dem 8 298
vorgeschrieben wird.
" 8.361.
Der Befragte ist in der Beantwortung nicht zu Übereilen.
Scheint er die Frage nicht vollkommen zu begreifen, so ist ihm
-<619 =
solche zu wiederholen. Diese Wiederholung hat insonderheit dann
zu geschehen, wenn die Antwort der Frage nicht anpassend ist und
nur die auch hierauf wiederholte obgleich nicht anpassende Antwort
soll in das Protokoll eingetragen werden. Bei Fragen, die auf
besondere Umstände oder auf entferntere Zeit hinauSgehen, muß
dem Verhörten einiges Nachdenken, um sich auf das Eigentliche
zu besinnen, zugestanden werden. Sollte dadurch eine längere Un-
terbrechung des Verhöres veranlasset werden, so ist dieser Umstand
in dem Protokolle anzumerken.
8 362.
Würde der Verhörte durch Furcht, oder Gemüthsbeklemmung
aus der Fassung gebra<t und ließ sich wahrnehmen, daß diese
Bangigkeit hauptsächlich aus vem innern Bewußtsein der Schuld
herrühre; s9 soll das Gericht mit anständigem Ernste in ihn
dringen, die Wahrheit zu entde>en. Darüber sowohl, als über-
haupt wenn an den Befragten bei einer Frage oder Antwort eine
besondere Gemüthserschütterung , oder auffallende Regungen beob-
achtet werden, ist die Bemerkung nach der wahren Beschaffenheit
in das Protokoll einzurücken.
8 367.
An die zum voraus entworfenen Fragen ist fich bei dem
Verhöre nur insoweit zu halten, als sie zu den erhaltenen Ant-
worten sich schien. Wenn daher aus einer Antwort sich der An-
laß ergibt, neue Fragen zu stellen, müssen solche sogleich zwe-
mäßig abgefaßt in die Reihe gebracht und an den Verhörten ge-
stellt werden.
8 368.
Niemals darf eine Vorspiegelung falscher Anzeigungen oder
erdichteter Beweismittel eine Verheißung gelinderer Strafe oder
der Begnadigung noH irgend eine Bedrohung oder was immer
für eine Thätigkeit gegen den Beschuldigten gebraucht werden. Eben-
so ist sich bei Protokollirung der Antworten von aller eigenmäch-
tigen Deutung, die mit dem Willen und dem natürlichen Ver-
stande der Worte des Befragten nicht übereinkäme , zu enthalten.
Jede Uebertretung dieser Art unterliegt strenger Verantwortung
---. * ?
8 599.
Auch ist niht erlaubt, dem Verhörten in den Fragen den
Namen irgend eines Mitschuldigen in den Mund zu legen, wider
welchen nicht shon rechtmäßige Anzeigungen dieser Mitschuld ver-
handen sind. Hätte jevo<h der Berhörte bereits dur< längere
Zeit sich dem Verbrechen ergeben, so kann er, auch ohne besondere
Anzeigung einer Verbindung , im Allgemeinen befragt werden, ob
ihm nicht Rotten von Verbrechern, Verhehler , oder sonst gemein-
schädliche Leute bekannt sind, 'um solchem gefährlihen Gesinde
näher nachspüren zu können.
8 370.
Nach jeder geendigten Sitzung des Verhöres ist das Protokoll
von allen zu unterschreiben , vie bei dem Verhöre zugegen gewesen
sind. “steht das Protokoll aus mehreren Bogen, jo müßen diese
sämmtlich mit einem Faden oder mit einer Schnur zusammen ge-
heftet, beide Ende des Fadens oder der Schnur mit hartem Siegel-
wachse festgemacht und das Petschaft der Anwesenden darauf ge-
drückt werden , damit kein Bogen verloren oder untergeschoben
werden könne. In Ansehung ver Unterschrift des Berhörten selbst
ist eben das zu beobachten, was bei vem snmmarischen Verhöre in
dem 8 299 vorgeschrieben wird.
8 371.
Wann Alles, was "dem Criminal-Gerichte nach den 88 335
und 336 zu erforschen obliegt, erschöpft oder keine Hoffnung übrig
ist, das Mangelnde vollständig zu machen, soll das Verhör ge-
schlossen werden.
8 373.
Dem Verhörs-Protokolle hat das Criminal-Gericht alles das-
jenige anzuhängen, was von ihm während der Untersuchung über
die körperliche „und sittliche Beschaffenheit des Berhafteten beob-
achtet worden, soweit solches einigen Einfluß auf die Schöpfung
und Vollziehung des Urtheiles haben mag. Auch ist der Berhaftete
vurch einen Leib- und Wundarzt, eine verhaftete Weibsperson aber
durch eine Hebamme zu besichtigen und die genaue Beschreibung
von der Leibesbeschaffenheit , den Kräften und Gebrechen der be-
sichtigten Person in die Akten zu nehmen.
-- 3 -=--
VIII Hauptftü.
Von der Abhörung der Zeugen.
8 374.
Es gehört zum Wesentlihen der Untersuchung, alle Zeugnisse
aufzunehmen, welche die innern uud äußern Bestimmungen eines
begangenen Verbrechens und der dazu gebrauchten Mittel erläutern,
die Ausfagen des Beschuldigten bekräftigen oder widerlegen, seine
Schuld oder Schuldlosigkeit, seine mehrere oder mindere Straf-
barkeit an den Tag legen können. Daher müssen alle Personen
abgehört werden, von welchen entweder aus den schon aufgenom-
menen Verhören der Zeugen oder des Beschuldigten selbst vor-
kommt oder sonst nach der Natur der Sache oder nach der während
des Verfahrens enthaltenen Spur sich erwarten läßt, daß sie etwas
zu solchem Zwecke dienliches auszusagen im Stande sind. Ebenso
muß der bereits abgehörte Zeuge, so fern seine Aussage nicht
deutlich genug oder in Folge unvollständig befunden wird, noch
einmal vernommen werden, um das Zweifelhafte zu erörtern , das
Mangelnde nachzuholen.
5 375.
Jeder Zeuge muß seine Aussagen vor Gericht mündlih ab-
legen. Wollte Jemand sich dessen weigern, so soll er durch ge-
richtlihen Zwang gestellt, und mit Geld-= oder Leibesstrafe zur
Aussage verhalten werden. Nur dann, wenn der Zeuge Kranfheit
halber nicht zu Gericht kommen kann, oder aus andern sehr er-
heblihen Ursachen, ist er in seiner Wohnung durch das Gericht
abzuhören. Bei stummen , tauben oder bloß einer dem Gerichte
unverständlihen Sprache kundigen Zeugen ist sich an die Vor-
schriften der 88 356 und 357 zu halten.
8 376.
Nur solche Personen sind nicht abzuhören, welche zur Zeit,
als sie das Zeugniß ablegen sollten , wegen Leibes- oder Geistes-
beschaffenheit die Wahrheit anzugeben, außer Stande sind.
8.377:
Ob des Beschuldigten Berwandte in auf- und absteigender
Linie, seine Geschwister und Geschwisterkinder, oder die ihm noch
-
PLE
= 640 ===
näher verwandt sind, sein Ehegenoß oder die ihm in dem ersten
Grade verschwängert sind, "ein Zeugniß ablegen wollen, hängt von
ihnen selbst ab. Dieselben können zwar, um auf allen Fall ihr
Zeugniß zu vernehmen, vorgefordert, sie müssen aber an die ihnen
zustehende Freiheit , sich der Aussage ents<lagen zu können, aus-
drülich erinnert und diese Erinnerung muß in dem Protokolle
angemerkt werden. Nur dann können sie das Zeugniß abzulegen
sich niht weigern, wenn es um das Verbrechen des Hochverrathes
zu thun 1-c und sich zugleich mit Grund erwarten läßt, daß
ihr Zeugniß einen Aufschluß zur näheren Ersorschung noc<h ver-
borgener Umstände geben könne.
8.378.
Insgemein sind die Zeugen von dem Criminal-Gerichte ab-
zuhören, in dessen Bezirke sie sich zur Zeit befinden. Hält sich
der Zeuge in vem Bezirke eines andern Criminal - Gerichtes, als
vesjenigen auf, welches vie Untersuchung zu führen hat; so soll
Ersteres von dem Letzteren um vie Abhörung ersucht, ihm hierzu
vie Fragen beigeschlossen und die Kenntniß von dem Geschäfte in-
soweit mitgetheilt werden , als sie ihm nöthig sein mag, um nach
Maß der Antworten des- Zeugen , die Sache durch weiter ange-
messene Fragen aufzuklären.
8 379.
Wenn jedoch der Aufenthalt des Zeugen von dem Sike des
Criminal-Gerichtes weiter, als zwei Meilen entfernt ist, soll die
Abhörung durch das Ortsgericht geschehen, unter welchem der
Zeuge sich befindet. Dasselbe ist also in einem solchen Falle ent-
weder von dem untersuchenden Criminal - Gerichte unmittelbar,
wenn dessen Bezirk sich dahin erstre>et, over von dem durch dieses
ersuchten Criminal - Gerichte um die Abhörung auf die in dem
vorigen Paragraph erwähnte Art anzugehen.
8 380.
Wenn über die Person des Beschuldigten ein Zweifel schwebt,
zu dessen Hebung nöthig ist, dem Beschuldigten den Zeugen per-
sönlich sehen zu lassen, so sind Zeugen, die nicht über sec<s Meilen
entfernt sind, bei dem Criminal-Gerichte, welches den Beschuldigten
im Verhafte hat, zu erscheinen schuldig. Bei weiterer Entfernung
-=- €;
hat das Criminal-Gericht die Anzeige an das Obergericht zu dem
Ende zu machen, damit die Vorstellung des Beschuldigten auf eine
den Zeugen minder beschwerlihe und dem Untersuchungsgeschäfte
unbedenkliche Art veranstaltet werde.
8 381.
Stimmen die Zeugen in ihren Ausfagen über wichtige Um-
stände nicht überein, so sind sie darüber einzeln gegen einander
abzuhören und ihre Aussagen in dem Protokolle neben einander
nieder zu schreiben.
5 392:
Wegen der Zeugenabhörung selbst, der Fragen, welche zu
stellen sind, und der Art, das Protokoll zu führen, ist sich nach
dem zu richten, was in den 88 249, 250, 251, 254, 255, 298,
299, 356, 357, 359 und 370 angeordnet ist.
S 383.
Den während des Untersuchungs-Prozesses abgehörten, Zeugen
soll der Eid über ihre Aussagen auf eben die Art abgenommen
werden, wie bei der ersten Erforschung in den 88 254 und 256
vorgeschrieben ist.
S 384.
Folgende Personen aber können nicht beeidet werden :
2) die selbst in Verdacht stehen , daß sie das Verbrechen be-
gangen haben, worüber sie abgehört werden ;
v) die ver Mitschuld oder Theilnahme an diesem Verbrechen
verdächtig sind ;
0) die sich wegen eines Verbrechens in der Untersuchung oder
Strafe befinden ;
d) die das vierzehnte Jahr noch nicht zurückgelegt haben ;
e) die mit dem Beschuldigten in Feindschaft leben, wofern sie
gegen ihn aussagen ;
“) die in ihrem Verhöre wesentliche Umstände angegeben haben,
deren Unwahrheit bewiesen ist, und worüber sie nicht einen
unverfänglichen Irrthum ausweisen können.
S 385.
Ueber Zeugnisse, welche aus den Geburts- , Trauungs- und
Todten Registern ausgezogen oder, welche von öffentlichen Aemtern
bh
“FT
oder auch nur von einem einzigen zur Ausstellung solcher Amts-
zeugnisse berechtigten Beamten , mit Berufung auf sein Amt und
seinen Diensteid ausgestellt werden, bedarf es keiner Beeidigung.
Sofern es aber auf Zeugnisse einzelner Beamten selbst über
Amtsverrichtungen ankommt , sind diese andern Zeugen gleich zu
halten. In Ansehung der Kunstverständigen ist allgemein zu beob-
achten, was in dem 8 241 verordnet ist.
8 386.
Geschieht die Abhörung auf ein Ersuchschreiben ; so soll das
hierum ersuchte Criminal-Gericht oder Ortsgericht eine Abschrift
von dem Verhörsprotokolle, um sich auf allen Fall damit recht-
fertigen zu können , zurück behalten , das Original aber dem Cri-
minal-Gerichte, so das Ersuchschreiben erlassen hat , ungesäumt zu
schien.
IX. Hauptstü.
Von ver Gegenstellung des Beschuldigten und der
Zeugen.
8 387.
Wenn ein Zeuge wesentliche Umstände wider den Beschuldigten
ausgesagt hat, welche dieser läugnet und wenn der Beschuldigte
ungeachtet vessen , was ihm hierüber nach Vorschrift des 8 353
F. vorgehalten worden, im Läugnen beharrt, denno< aber gegen
den Zeugen und dessen Ausfagen nichts Gründliches anbringt ; so
soll der Zeuge persönlich ihm entgegen gestellt werden.
8 388.
Wenn aber die dem Beschuldigten vorgehaltenen Aussagen der
ihm nahmhaft gemachten Zeugen schon für sich allein einen rechts-
fräftigen Beweis. machen und der Beschuldigte nicht ausdrücklich
ihre Gegenstellung verlangt, hängt es von dem Ermessen des Rich-
ters ab, ob eine Gegenstellung vorgenommen werden soll oder nicht.
8S 389.
Die Gegenstellung soll in8gemein bei dem Criminal-Gerichte,
wo die Untersuchung anhängig ist, vorgenommen werden. Wäre
aber die Erscheinung des Zeugen bei dem Criminal-Gerichte mit
zu vieler Beschwerlichkeit wegen seiner Entfernung verbunden , so
3GE
<JUE
ist die Anzeige an das Obergeriht zu machen, welches die Ein-
leitung zu treffen hat, daß entweder der Zeuge schadlos gehalten
oder der Verhaftete unter der erforderlichen Vorsicht an einen zur
Gegenstellung schilihen Ort geliefert werde.
8 390.
Ist ver Zeuge wegen Mitschuld an demselben Verbrechen oder
sonst eines Verbrechens halber bei einem andern Criminal-Gerichte
verhaftet, so ist sich mit diesem Gerichte zu verstehen, damit derselbe
wohl verwahrt gestellt werde.
8391:
Ueberhaupt muß dann, wenn es auf die Gegenstellung eines
Mitschuldigen ankommen soll, sich vor derselben Einleitung durch
ausdrückliches Befragen desselben versichert werden, daß er sein
Zeugniß dem Beschuldigten in das Angesicht bestätigen wolle und
könne.
8 7 12.
Ehe [die Gegenstellung selbst vorgenommen wird, ist der
Beschuldigte noH zu ermahmen, daß er vom Läugnen abstehe
und es nicht darauf ankommen lasse, daß ihm Zeugen entgegen
gestellt werden, die ihm die Wahrheit in das Angesiht zu sagen
fähig sind.
8 393.
Beharrt der Beschuldigte dessen ungeachtet im Läugnen, so ist
der Zeuge vorzurufen und sofern er ein beeideter Zeuge ist, an
den abgelegten Eid zu erinnern. Es ist nicht nöthig, ihn feine
ganze Aussage wiederholen zu lassen ; bloß die Hauptumstände, die
den Beschuldigten unmittelbar beschweren, sind Punkt für Punkt
zum Gegenstand des Verhöres zu nehmen. Ueber den ersten von
dem Zeugen bestätigten Punkt ist unmittelbar darauf der Beschul-
digte zu hören, ob er der Person des Zeugen oder dessen Aussage;
über die weiteren Punkte aber, ob er der Aussage des Zeugen
eine Einwendung entgegen zu setzen habe. Hat er ganz keine,
oder doh keine gegründete Einwendung , [so ist die beiderseitige
Vernehmung so lange fortzusezen , als irgend ein beschwerender
Umstand vorhanden ist.
5*
= BEIM =
8 394.
Die ganze Verhanglung ist in das Verhörsprotokoll des Be-
schuldigten , als eine Fortsezung davon, aufzunehmen. Was der
Zeuge im Beisein des Beschuldigten aussagt und Letzterer dar-
auf erwiedert , ist in dem Protofolle neben einander nieder zu
schreiben. Auch ist bei jedem Punkte das Verhalten des Zeugen
und des Beschuldigten anzumerken.
8 395.
Wenn mehrere Zeugen dem Beschuldigten entgegen zu stellen
sind, soll die Gegenstellung mit jedem insbesondere vorgenommen
werden.
X. Hauptstü>.
Von der rechtlichen Kraft der Beweise.
8 396.
Um nach geschlossener Untersuchung zum Urtheil schreiten zu
können, muß der Richter die vorhandenen Beweise genau erwägen,
Nur vasjenige kann in der Beurtheilung für wahr gehalten wer-
den, was rechtlich bewiesen ist.
8 397.
Die Schuidlosigkeit des Verhafteten ist dann für rechtlich er-
wiesen zu halten, wenn die wider ihn vorgefommenen Anzeigungen
vollkommen entkräftet sind.
8 398.
Das eigene Geständniß des Beschuldigten tst ein rechtlicher
Beweis des ihm zur Last liegenden Verbrechens.
8 399.
Das Geständniß muß aber folgende Eigenschaften haben ;
a) daß der Beschuldigte dasselbe in dem Verhöre bei dem
Criminal-Gerichte abgelegt, over voch bestätigt habe;
b) daß er solches in einem Zustande gethan habe, da er seiner
Sinne vollkommen mächtig war ;
ec) daß er klar und bestimmt, nicht etwa durch zweideutige
Ausdrüce oder Geberden gestanden habe ;
4) daß das Geständniß nicht auf einer bloßen Bejahung einer
5
vorgehaltenen Frage, sondern auf des Beschuldigten eigener
Erzählung beruhe ;
2) daß es mit ven über die Umstände des Verbrechens einge-
holten Erfahrungen übereinstimme.
8 400.
Ein so beschaffenes Geständniß verliert nichts an seiner Be-
weiskraft , wenngleih niht mehr möglich ist, die eingestandene
That vollkommen nach allen Umständen zu erforschen, es ist genug,
daß einige Umstände, wodurch vas geschehene Verbrechen bestätigt
wird, erhoben sind , und daß nichts hervorkommt , was die Wahr-
heit des Geständnisses zweifelhaft macht. Wäre es aber durchaus
unmöglich , außer vem Geständnisse eine weitere Spur von dem
Verbrechen zu erhalten; so ist das Geständniß allein fein rechtlicher
Beweis.
8 401.
Ein Geständniß, welches der Vorschrift des Gesetzes zuwider,
dur< Verheißung, Drohung, Gewaltthätigkeit , oder sonst uner-
laubte Mittel erhalten werden, kann nicht zu einem rechtlichen
Beweise angenommen werden. Wenn aber der Berhaftete nach
der Hand eben dieses Geständniß in einem Zustande ablegt, da
sein Gemüth von einem solchen wiederrechtlichen Einflusse frei, und
vor aller Besorgniß desselben in Sicherheit gestellt war, und das
Geständniß dabei solche Umstände der That enthält, 1e mit den
Erfahrungen von der Beschaffenheit des Verbrechens zu treffen,
dem Verhafteten aber nicht bekannt sein könnten, wofern ex nicht
der wirkliche Thäter wäre, dann hat dieses Geständniß vie Kraft
eines vechtlihen Beweises.
8 402.
Der Beweis aus vem Geständnisse wird vurch darauf gefolgtes
Läugnen oder Widersprehen des Beschuldigten nicht entkräftiget ;
es sei venn, daß derselbe eine glaubwürdige Ursache, warum er
das falsche Geständniß abgelegt habe, over solche Umstände vor-
bringe, welhe nach der darüber eingeholten Erfahrung die
Wahrheit des vorigen Geständnisses mit Grund in Zweifel ziehen
lassen.
GE
8 403.
Die Zeugenaussage kann zum rechtlihen Beweise dienen
wenn sie mit folgenden Erfordernissen versehen ist:
2) sie muß freimüthig abgelegt, weder durch Verständniß,
Anstiftung, Verdrehung, Bestechung, Belohnung, no< durch
Bedrohung oder Gewaltthätigkeit vem Zeugen in den Mund
gelegt sein *
sie muß die That oder ven Umstand, wovon sie die Wahr-
heit bestättigen soll , deutlich und bestimmt enthalten ; und
*) auf des Zeugen eigener sicherer Kenntniß, nicht auf Hören
sagen , Vermuthungen , Wahrscheinlichkeiten oder Sc<luß-
folgerungen beruhen;
d) fie muß beschworen sein ;
2) es muß sich weder aus den persönlichen Verhältnissen des
Zeugen, noch aus dem Inhalte der Aussage eine Bedenk-
lichkeit äußern , welche na< unparteiischem Begriffe die
Glaubwürdigkeit schwäche ;
- die Aussage muß mit den übrigen vorhandenen Erfahrungen
wenigstens insoweit übereinstimmen, daß in wesentlichen
Umständen kein Widerspruch erscheint.
8 404.
Im Allgemeinen sind die Aussagen zweier Zeugen zum recht-
lichen Beweise erforderlih. Do ist,
a) in dem Falle, wo der Beweis der That auf andere Art
nicht möglich wäre, die Ausfage desSjenigen, an dem das
Verbrechen verübt worden, für zureichend anzusehen, um
die Beschaffenheit der That zu beweisen ;
"1 der Betrag des aus dem Verbrechen entstandenen Schadens,
soweit es sich um dessen Ersatz handelt, wird durch das
Zeugniß vdesjenigen rechtlich bewiesen, dem der Schaden
zugefügt worden, oder in dessen Verwahrung die Sache,
woran der Schade geschehen ist, sich befunden hat, obschon
die Entschädigung over Genugthuung erfolget;
7) um diejenige Erfahrung über vie Umstände des Verbrechens
einzuholen, welche zur rechtlichen Beweiskraft des Geständ-
70
„- "di =
nisses des Beschuldigten erfordert wird, ist die damit über-
einstimmende Aussage Eines Zeugen genug.
8 405.
Was von vem Criminal-Gerichte, oder einer andern Obrigkeit
iber eine mit ver Untersuchung verbundene Amtshandlung in den
Protokollen angemerkt wird, isi für rechtlich bewiesen zu halten-
Aber das Zeugniß eines einzelnen crimenal-gerichtlihen Beamten
über Umstände, die während der Untersuchung hervorkommen, ist,
außer dem Falle des 8 385 , andern Zeugnissen gleich zu achten.
8 406.
Oeffentliche Urkunden, wovon in dem 8 388 erwähnt worden,
sind allgemein für rechtliche Beweise dessen anzusehen, was sie
enthalten ; es wäre denn, daß der Aussteller einer solchen Urkunde
aus einem Zeugnisse Vortheil ziehen, oder Verantwortung und
Schaden von sich ablehnen, folglich mit der in der Untersuchung
befindlichen Sache verflochten sein sollte.
8 407.
Wo nach diesem Gesetze vas Zeugniß eines Kunstverständigen
erfordert wird, ist das , was er befunden zu haben, auf die vor-
geschriebene Art bezeugt, für rechtlich bewiesen zu halten.
8 408.
Leugnet der Beschuldigte das Verbrechen, so kann er desselben
entweder unmittelbar dur< Zeugnisse , oder aus dem Zusammen-
treffen ver Umstände für rechtlich überwiesen gehalten werden.
8 409.
Zur Ueberweisung durch Zeugen wird erfordert, daß zwei be-
eivete Zeugen, deren jeder zur Zeit des ges<ehenen Verbrechens das
achtzehnte Jahr seines Alters zurüc gelegt hat, unmittelbar von
dem durch ven Beschuldigten verübten Verbrechen, einstimmig, aus
eigener vollfommenen Gewißheit, und nach der übrigen in 8 403
vorgeschriebenen Richtschnur ausgesagt , und im Falle der ange-
ordneten Gegenstellung ihre Aussagen dem Beschuldigten in das
Angesicht bestätigt haben, ohne daß gegen ihre Glaubwürdigkeit
aus der Verantwortung des Beschuldigten, oder sonst aus dem
Untersuchungsgeschäfte einiges Bedenken hervorkommt.
8.4.4
Auch die Ausfagen der Mitschuldigen können dann für Zeug-
nisse zur rechtlichen Ueberweisung des Beschuldigten gelten, wenn
zwei Mitschuldige einhellig wider. den Beschuldigten, von dessen
mit ihrem verübten Verbrechen gezeugt, und ihre Aussagen nicht
nur dem Beschuldigten bei der gerichtlichen Gegenstellung in das
Angesicht wiederholt, sondern auch nach der ihnen geschehenen An-
kündigung des Strafurtheiles, nach welcher sie in einem solchen
Falle noch einmal ausdrücklich darum zu befragen sind, befräftiget
haben. Zugleich müssen ihre Aussagen
a1 mit den Erfordernissen ves 8 403 a, b, c, e, kf begleitet
sein ;
in der Beantwortung solcher Fragen, die ihnen über be-
sondere, mit dem gemeinschaftlihen Verbrechen verbundene
Umstände gestellt worden, und die sie vor dem Verhafte
nicht voraussehen konnten, unter sich ganz übereinstimmen ;
in allen wesentlichen, den Mitschulvigen selbst zur Last
liegenden Umständen durch bestimmte Beweise deutlich be-
bestätigt sein, daß solchergestalt es vem unparteiischen Richter
unmöglich wird, ein vorläufiges Verständniß zu argwöhnen,
oder sonst an der Wahrheit dieser Aussagen zu zweifeln.
84.
Unter gleichen Vorsehungen kann die Ueberweisung auch dann
statt haben, wenn neben der beschworenen, und mit den übrigen
Erfordernissen der 88 403 und 409 begleiteten Aussage Eines
Zeugen, die nach dem 8 410 mit demselben übereinstimmende
Ausfage Eines Mitschuldigen vorhanden ist.
8 412.
Damit die rechtliche Ueberweisung eines die That läugnen-
den Verbrechers aus dem Zusammentreffen der Umstände entstehen
könne, müssen folgende Erfordernisse mit einander verbunden sein:
L Es muß rechtlich bewiesen sein, daß die That sich wirklich
ereignet habe, und mit den bestimmten Umständen begleitet gewesen
sei. Wenn alfo die That mit ihren Umständen vollkommen zu
beweisen nicht möglich ist, kann auch die Ueberweisung aus dem
Zusammentreffen der Umstände nicht statt haben.
72
= W73. --
II. Aus der Verbindung der durch die Untersuchung aufge-
flärten- Verhältnisse muß sich eine so nahe, so deutliche Beziehung
der geschehenen That auf die beschuldigte Person zeigen, daß
wenigstens nach vem natürlichen und gewöhnlichen Laufe mensch-
licher Handlungen, unmöglich zu begreifen ist, daß ein Anderer, als
eben nur ver Beschuldigte, in so naher Gelegenheit, bei solchem
Anlasse, und in dieser Bestimmung sich befunden habe.
IL. Bei Verbrechen, vie sich auf Tödtung oder eine andere körper-
liche Verletzung beziehen, muß aus der Untersuchung deutlich erhellen,
daß der Beschuldigte, Haß, Feindschaft, Eifersucht, Zorn, Unwillen,
oder eine ähnliche heftige Leidenschaft wider den Getödteten oder
Verletzten hegt, daß er ihn mit dem Tode, oder mit der kör
perlichen Verletzung bedroht , oder doch desselben Tod oder Ver-
lezung aus Habsucht, zur Erreichung eigennüßiger Absichten, oder
zur Entfernung irgend eines Hindernisses gewünscht habe.
Nebst vem müssen wenigstens zwei ver nachstehenden Umstände
auf den Beschuldigten zutreffen, und rechtlich bewiesen sein :
a) daß die Entleibung oder Verlezung mit einem Werkzeuge
geschehen sei, in dessen Besie damals nur der Beschuldigte
gewesen ;
") daß ver Beschuldigte an dem Orte des Verbrechens, zu
der Zeit, da es verübt wurde, gesehen worden sei, und
keine andere Beschäftigung oder Veranlassung mit Wahr-
scheinlichkeit angeben könne, wegen welcher er sich daselbst
eingefunden habe;
») daß er nach ruchtbar gewordenen Verbrechen ohne andere
scheinbare Ursache eutflohen sei, oder sich verborgen ge-
halten habe ;
4) daß er mit Werkzeugen die zur Berübung des Verbrechens ge-
eignet sind, und veren er doch sonst sich nicht zu gebrauchen
pflegte, angetroffen worden ;
daß er schon vor dem Verbrechen an einem Orte, den der
nun Getödtete oder Verletzte gewöhn lich besuchte, versteckt
oder lauernd gesehen worden ;
f) das Merkmahl ves Verbrechens oder des- bei Verübung
wie =
desselben erlittenen Widerstandes an seiner Person oder
Kleidung entdeckt worden ;
daß etwas bei ihm gefunden, oder von ihm bei der Ver-
folgung weggeworfen worden, was der Getödtete over Ver-
lezte zur Zeit des an ihm verübten Verbrechens bei sich
hatte.
Wenn das Widerspiel dessen, was der Beschuldigte zu
seiner Verantwortung über die gegen ihn streitenden An-
zeigungen vorbringt, rechtlich bewiesen , folglich seine Ver-
antwortung offenbar falsch ist, dann kann auch Einer der
hier bemerkten Umstände zur Ueberweisung hinreichen.
IV. Bei andern Verbrechen muß sich aus der Untersuchung
flar zeigen, daß der Beschudilgte ein Mensch ist, zu dem man sich
des angeschuldeten Verbrechens allerdings versehen kann, entweder,
weil er schon eher um eines Verbrechenswillen in gerichtliche Un-
terfuchung gezogen , und nicht für schuldlos erkannt worden , oder,
weil er sich über keinen ehrbaren Nahrungsweg auszuweisen ver-
mögend ist, oder weil er mit berüchtigten Verbrechern Gesellschaft
und vertrauten Umgang gehabt hat.
Nebst vem müssen wenigstens zwei ver nachfolgenden Um-
stände auf den Beschuldigten zu treffen, und rechtlich bewiesen sein :
a) daß bei ihm; oder in seiner Wohnung, oder in einem
andern für ihn zugänglichen Aufbewahrungsorte solche
Werkzeuge gefunden worden , die zur Ausübung des Ver-
brechens dienen, und demselben in seinem Stande und Ge-
werbe ganz überflüssig sind ;
b) daß bei ihm, oder in seiner Wohnung, oder in einem von
ihm gewählten Aufbewahrungsorte Gegeustände des Ver-
brechens, oder znrücgelassene Merkmahle vesselben, worin
sie immer bestehen mögen, angetroffen werden ;
daß er an dem -Drte wo das Verbrechen begangen wor-
den, vor, während oder nach der That sich eingeschlichen,
oder verborgen gehalten, oder darans fortgeschlichen habe ;
1) daß er nach ruchtbar gewordenen Verbrechen ohne andere
scheinbare Ursache entflohen , oder sich verborgen gehalten ;
e) daß er .einen Handwerksmann over Künstler angegangen
== 5 =
habe , ihm eine Arbeit zu liefern, die zu keinem andern
erlaubten, oder mit seinem Gewerbe zusammenhängenden
Gebrauche, wohl aber zu dem ihm angeschuldeten Ver-
brechen dienen konnte ;
f) daß Versuche des begangenen Verbrechens, Uebungen in
demselben von seiner Hand sich habe finden lasseu ;
2) daß er in Gestalt, Waffen, Kleider genau so erscheine, wie
der Thäter des Verbrechens von demjenigen, an dem
es verübt worden, oder von anderen Anwesenden beschrieben
wird.
Wenn rechtlich bewiesen ist, daß die Verantwortung des Be-
schuldigten über die gegen ihn streitenden Anzeigungen falsch sei,
kann bei jeder Gattung von Verbrechen einer der hier bemerkten
Umstände ebenso zur Ueberweisung hinreichen, wie solches vorher
bei dem Verbrechen des Mordes und der körperlihen Verletzung
gemeldet werden.
8 413.
Wenn der Beschuldigte zwar die That eingesteht aber den
bösen Vorsatz läugnet, so ist darauf zu sehen, ob nach den sich
aus der Untersuchung zeigenden Umständen die That sich plötzlich
ereignet, oder ver Thäter zur Vorbereitung derselben Mittel an-
gewendet , Hindernisse zu entfernen gesucht habe. Im ersten
Falle kann die Entschuldigung in so fern Statt haben, als das
Uebel uach der natürlichen Ordnung der Dinge nicht schon noth-
wendig aus der Handlung entstehen mußte. Hat aber der Be-
schuldigte Gelegenheit und Mittel, die That auszuüben, vorbereitet,
so ist er auch des bösen Vorsatzes für überwiesen zu halten, es
sei denn, daß aus der Untersuchung besondere Umstände hervor-
kommen, welche fügli< eine andere Absicht erkennen lassen.
8 414.
Ueberhaupt ist zur Richtschnur zu nehmen, daß kein Beweis
für sich allein zu beurtheilen, sondern jeder in Verbindung mit
dem ganzen Untersuchungsgeschäfte zu betrachten sei. Nachdem
also entweder die Unparteilichkeit der Zeugnisse durch persönliche
Verhältuisse, oder die Glaubwürdigkeit was immer für eines Be-
weifes“ dur< entgegenstehende Erfahrungen, bedenklich gemacht wird,
verliert ver Beweis an seiner Kraft, und ein auf solche Art ge-
schwächter Beweis kann nicht mehr als rechtlich betrachtet werden.
XI. Hauptstü>.
Von dem Urtheile.
8 426.
In vem Urtheile müssen folgende Stü>e ausgedrückt werden:
1. Dex Vorname und Zuname des Beschuldigten, und sein
Spitzname, wenn ihm ein solcher in einer Rotte von Verbrechern
oder sonst im gemeinen Leben gegeben ist.
IL. Die Benennung der Verbrechen worüber das Urtheil gefällt
wird, und, die Bestimmung, ob sie nur versucht worden, oder, ob
sie eine Mitschuld und Theilnahme an dem Verbrechen sein. Die
Benennnug ist nach dem in dem Geseze angenommenen Ausdruce,
mit wenigen Worten, ohne sich in eine Beschreibung der That
einzulassen, vo<h vermassen anzuführen, daß die unter dem allge-
meinen Begriffe eines Verbrechens enthaltenen mehreren Gattungen,
in so fern sie von vem Geseke selbst von einander abgesondert
sind, nach dieser abgesonderten Benennung bemerkt werden.
III. Der Tag, da der Beschuldigte bei dem Criminal-Gerichte
das erste Mahl verhört worden, der Tag des Abschlusses der Un-
tersuchung, und ver Tag des ergehenden Urtheiles.
IV. Der eigentliche Inhalt des richterlichen Ausspruches,
nach welchem
a) ver Beschuldigte entweder für schuldlos oder für straffällig
erfannt, oder die Untersuchung aufgehoben ;
b) die Entschädigung, so der Verurtheilte etwa aus dem Ver-
brechen zu leisten hat, bestimmt, oder vorbehalten ;
e) ver Ersatz der Criminal-Gerichtskosten auferlegt, oder er-
lassen wird.
8 429.
Wird der Beschuldigte aus rechtlichen Beweisen, eines oder
mehrerer Verbrechen schuldig erkannt , so muß die Strafe mit ge-
sezmäßiger Rüsicht auf die Verhältnisse der That, des Thäters,
ver Milderungs- und Beschwerungsumstände ausSgemessen werden.
79 -
Hiernach muß vas Urtheil die bestimmte Strafart , folglich , wenn
auf Kerkerstrafe geurtheilt wird , den Grad, die Zeit der Dauer,
wie auch die etwa hinzugeseßten Verschärfungen, den Verlust des
Adels, oder die Landesverweisung so deutlich ausdrücken , daß bei
dem Vollzuge nicht der mindeste Zweifel entstehen könne.
8 430.
Auf Todesstrafe kann das Urtheil nur damals ergehen,
wenn das von dem Gesetze mit dieser Strafe belegte Verbrechen
wider den Beschuldigten durch sein Geständniß, oder durch ge-
schworene Zeugnisse rechtlich bewiesen, und zugleich ver Thatbe-
stand vollkommen nach Allen erheblichen Umständen rechtlich er-
hoben ist. Kann der Thatbestand auf solche Art nicht mehr er-
hoben werden, oder ist ver Beschuldigte nur dur< Mitschuldige
oder aus vem Zusammentreffen der Umstände rechtlich überwiesen,
so fann er zu keiner längeren als zwanzigjährigen Kerterstrafe
verurtheilt werden.
3 431.
Auch dann, wenn der Verbrecher zur Zeit des begangenen
Verbrechens das Alter von zwanzig Jahren noch nicht zurückgelegt
hat, over wenn von der Zeit des begangenen Verbrechens ein Zeit-
raum von zwanzig Jahren verflossen ist, und die im 8 208 ent-
haltenen Bedingungen eintreffen , ist anstatt der Todesstrafe, auf
schweren Kerker zwischen zehn und zwanzig Jahren zu erkenneu.
8S 432.
Das nach der Mehrheit der Stimmen ausgefallene Urtheil
muß von vem Vorsitzenden wörtlich zu Protokol gegeben, auf der
Stelle die Ausfertigung darüber durch den Gerichtsschreiber ge-
macht, und diese von sämmtlichen Mitgliedern des Gerichtes unter-
schrieben werden.
XIV. Hauptstüd.
Von Wiederaufnehmung der Untersuchung wegen
neuer Umstände.
8 474.
Wer durch Urtheil von einem Verbrechen lo8gesprochen , und
schuldlos erklärt worden ist, kann dieses Verbrechens halber nur
-= 73?
dann wieder zur Verantwortung gezogen werden , wenn von der
Zeit des ergangenen Lossprechungsurtheiles das Verbrechen durch
Verjährung noch nicht erloschen ist, und solche ganz neue Beweis-
mittel vorgefunden werden, woraus sih mit Grund die Verur-
theilung erwarten läßt. Vor Einleitung der Untersuchung muß
jedoch die Anzeige an das Obergericht gemacht, und die Entschei-
dung hierüber abgewartet werden.
8 475.
Wider einen bereits zur Strafe verurtheilten Verbrecher,
kann wegen neu hervorgekommener Umstände derselben That nur
dann eine neue Untersuchung Statt finden, wann diese Umstände
mit ven im 8 472 angegebenen Erfordernissen versehen und so
beschaffen sind, daß nach dem Gesetze eine wenigstens zehnjährige
Strafe zu bestimmen wäre, da nur eine Strafe unter fünf Jahren
oder , wann nach dem Geseße die Strafe des Todes oder lebens-
langen Kerkers bevorstünde, nur auf eine zeitliche Kerkerstrafe er-
kannt worden ist.
8 476.
Wegen eines vor dem Strafurtheile begangenen Verbrechens
eben verselben Gattung, wie dasjenige ist, worüber bereits das
Strafurtheil geschöpft worden, kann der Verurtheilte nur dann zu
einem neuen Verfahren gezogen werden , wann die neu entdeckten
Umstände die im 8 472 erwähnten Erfordernisse haben, und zu-
gleich die vorkommende Wiederholung des Verbrechens von solcher
Art ist, daß das Gesetz insgemein eine wenigstens zehnjährige
Strafe darauf verhängt, da in der vorigen Aburtheilung die
Strafe wegen dieser damals nicht bekannt, over nicht bewiesen
gewesenen Wiederholung unter fünf Jahren ausgemessen worden.
Wegen ehemals unbekannt gewesener Wiederholung eines Ver-
brechens von minderer Art kann ein neues Verfahren, nicht um
eine strengere Strafe auszumessen, sondern nur so weit Statt finden,
als es etwa auf eine Entschädigung ankommt, und aus vem Zu-
sammenhang der vorigen Akten mit den neu entdeckten Umständen
sich mit Grund hoffen läßt, eine Entschädigung verschaffen zu können.
8 477.
Wenn ein ehemals begangenes Verbrechen, von einter anderen
Gattung, als das, worüber das vorige Urtheil ergangen ist, oder,
wenn von einer That, worüber bereits das Urtheil gefällt worden,
nach dem 8 475 neue Umstände von einer solchen Art entde>t
werden, vermöge welcher die That zu einer andern schweren Gat-
tung der Verbrechen gehört; kann die Untersuchung wieder vor-
genommen werden, wofern
a) die bereits erkannte Strafe sich nicht länger als auf ein
Jahr erstreckt das neu vorkommende Verbrechen hingegen
nach dem Gesetze wenigstens eine fünfjährige Strafe nach
sich zöge, oder
b) auf das neu vorkommende Verbrechen die Strafe des
Todes oder lebenslangen Kerkers gesetzt , durch das vorige
Urtheil aber eine zeitliche Kerkerstrafe ausgemessen ist, oder
2) aus dem neuvorkommenden Verbrechen ein Schade zu er-
seen, und gegründete Hoffnung vorhanden ist, daß die
Entschädigung durch das Verfahren verschafft werden könne.
8 478.
Wenn wieder einen bereits Abgeurtheilten neue Anzeigungen
eines vor seiner Aburtheilung von ihm in einer dem Gerichte noch
unbekannten Gesellschaft begangenen Verbrechens vorkommen , kann
derselbe in der Untersuchung zur Entdeckung der Mitschuldigen aller-
dings zur Rede gestellt werden , wenn gleich wider ihn. selbst nach
der Anordnung der vorhergehenden Paragraphe wegen dieses neu
hervorgekommenen Verbrechens kein neues Strafurtheil ergehen kann.
S 479.
Auch der Abgeurtheilte selbst, und Jedermann für ihn, kann
die Wiederaufnehmung der Untersuchung fordern, wenn er durch
das vorige Urtheil nicht für schuldlos erkannt ist, nun aber solche
Beweise. an die Hand gegeben werden , die in der vorigen Unter-
suchung nicht vorgekommen, und so beschaffen sind, daß sie ge-
gründete Hoffnung zeigen, durch ihre Erörterung die Schuldlosig-
keit des Abgeurtheilten wirklich außer Zweifel zu setzen. Befände
sim ein solcher Abgeurtheilter in der Strafe, 10 hat ex seine
neuen Befehle, und die Wege, durch welche die Wahrheit der-
selben erforscht werden kann, dem Vorsteher ves Strafortes anzu-
geben ; dieser hat in Gegenwart zweier Zeugen ein genaues, von den
Anwesenden zu unterfertigendes Protokoll darüber zu führen, und
solches dem Criminal-Gerichte zu übersenden, welches die neu vor-
fommenden Umstände genau erwägen, wenn sie gegründet befunden
werden, den Abgeurtheilten unverzüglich ans der Strafe vor sich
stellen lassen , und mit demselben die Untersuchung wieder vor-
nehmen soll.
8 480.
Eine neue Untersuchung muß in8gemein Criminal-Gerichte
vorgenommen werden, bei welchem das vorige Urtheil ergangen ist.
Demselben müssen daher die neuvorgekommenen Umstände angezeigt,
die Beweismittel mitgetheilt, und der Abgeurtheilte, wenn er noch
in der Strafe, oder wieder zu Verhaft gebracht ist, eingeliefert
werden. Wenn er sich auf freiem Fuße befindet , und um seine
Schuldlosigkeit darzuthun , selbst die neue Untersuchung verlangt,
muß er sich vor eben demselben Criminal-Gerichte stellen. Nur
dann , wann die neue Untersuchung nach dem 8 477 wegen einer
andern That, als worüber er bereits abgeuvtheilt worden , vorzu-
nehmen ist, liegt die neue Untersuchung dem Criminal-Gerichte
ob, in vessen Bezirke der Beschuldigte nunmehr sich befindet.
8 481.
Bei jeder wieder aufgenommen Untersuchung in dem gauzen
Verfahren, und in der Aburtheilung genau alles dasjenige zu be-
obachten, was das gegenwärtige Gesetzbuch in den vorhergehenden
Hauptstüken vorschreibt. Ueber jede solhe Untersuchung muß
wieder ein eigenes Urtheil geschöpft werden. In ver Beurtheilung
der Beweise sind die neuen Umstände mit denjenigen, die in der
vorigen Verhandlung vorgekommen, zusammen zu halten, und zu
verbinden , und wenn es auf Strafe ankommt, ist das Urtheil
so zu fällen, wie es dem Gesetze gemäß hätte gefällt werden müssen,
wenn die später entdeckten Verbrechen, und die nun vorhandenen
Beweise zur Zeit der vorigen Aburtheilung bekannt gewesen wären.
Bei Ausmessung zeitlicher Kerkerstrafe soll jedoch die bereits nach
dem vorigen Urtheile ausgestandene Strafe in die neue eingerechnet,
und wäre nach vem Geseke die Todesstrafe verwirkt, anstatt verselben
auf lebenslange schwerste Kerkerkerstrafe erkannt werden.
="53t - --
XV. Hauptstü>.
Von dem Verfahren wider Abwesende und
Flüchtlinge.
8 482.
Wenn gleich ver Thäter eines der Obrigkeit bekannt gewor-
danen Verbrechens ganz unbekannt , oder sich desselben zu bemäch-
tigen nicht möglich ist, so muß doch stets was wegen Erforschung
der That und der damit verbundenen Umstände, und wegen Her-
beischaffung der Beweismittel vorgeschrieben ist, vorgekehrt , auch
alles, was dem Gesetze gemäß davon in Erfahrung gebracht wor-
den, bet dem Criminal-Gerihte sorgfältig aufbewahrt werden , da-
mit, wenn der Thäter künftig hervorkäme, davon Gebrauch gemacht
werden könne.
8 483.
Trifft die Beschuldigung eines verübten Verbrechens einen
Abwesenden , der aber wahrscheinlich nicht flüchtig geworden ist,
so muß alle Vorsicht angewendet werden, daß er nicht etwa durch die
Oeffentlichkeit ver Vorkehrungen in der vermeinten Sicherheit, dem
Gerichte sei nichts von ihm bekannt, gestört, und entweder von
der Rückkehr abgeschre>t , oder zur Flucht gereizt, oder sonst be-
wogen werde, sich der Nachforschung zu entziehen. In Fällen, wo
etwas solches zu beforgen ist, soll den Spuren des Aufenthaltes
vielmehr im Stillen nachgeforscht, und durch geheime Aufforverung
der Obrigkeiten, in deren Bezirke der Thäter sich einfinden dürfte,
die Anhaltung veranlaßt werden.
S 484.
Zeigen die Umstände, daß der Thäter die Flucht ergriffen
hat, aber noch verfolgt werden kann, so ist es Pflicht des Crimi-
nal-Gerichtes, alles vorzukehren, was immer dienlich sein mag, um
des Thäters habhaft zu werden. Auch müssen alle obrigkeitlichen
Behörden hierin vem Criminal-Gerichte an die Hand gehen. Bei
Verfolgung eines flüchtigen Verbrechers ist die dazu aufgeforderte
Behörde nicht bloß auf ihren obrigkeitlichen Bezirk beschränkt, son-
dern kann die Spur des Verbrechers unmittelbar bis an die
äußersten Grenzen dieser Länder verfolgen, ohne daß ive von den
-- . 82 =
Obrigkeiten, veren Bezixk sie durchzieht, Hindernisse gelegt werden
fönnen; vielmehr sind solche in8gesammt verbunden, gemeinschaft-
liche Hülfe zu leisten.
8 485.
Läßt sich von den erwähnten Mitteln der beabsichtigte Erfolg
nicht erwarten, und ist die Person ves Thäters aus unbezweifelten
Merkmahlen und solchen Anzeigungen befannt , die nach vem Ge-
sede zum Verhafte zureichen, so sind sogleich Ste&briefe auszu-
senden.
8 486.
Diese müssen auch unverzüglich gegen diejenigen ausgefertigt
werden, welche aus dem Verhafte, während der Untersuchung, oder
aus der Strafe zu entweichen, Mittel gefunden haben.
8 487.
In dem Ste&briefe muß die Person, gegen welche er geht,
auf das deutlichste keunbar gemacht werden. Das Criminal-Gericht
entwirft den Steckbrief, und übergibt solchen vem KreiSamte,
welches ihn sogleich durch eine eigene Currende, die in engere Be-
zirke eingetheilt wird, und Tag und Nacht zu laufen hat, den
Criminal-Gerichten und politischen Obrigkeiten seines Kreises mit-
theilt; zugleich ist eine Abschrift an die Landesstelle einzusenden,
damit die Kundmachung im ganzen Lande und nach Erforderniß
auch in andern Provinzen durch die Landesstellen , wie auch nach
Beschaffenheit der Umstände durch die Zeitungsblätter eingeleitet
werde.
8 458.
Das Criminal-Gericht over vie politische Obrigkeit, so einen
Stebrief erhält, hat denselben sogleich allen ihren zur öffentlichen
Wachsamkeit bestellten Beamten, und den Vorstehern aller in ihrem
Bezirke befindlichen Gemeinden befannt zu machen, damit nicht
nur von ihnen selbst alle zwe>mäßige Vorsorge getragen, sondern
auch durch sie Jedermann , besonders aber jeder Hausvater auf-
merksam gemacht werde , die Anzeige zu thun, wenn ihm eine der
beschriebenen ähnliche Person vorkommen sollte.
8 489.
Wie bei Ste>briefen, so ist auch bei der Beschreibung und
* 83 -=
Kundmachung des gestohlenen oder geraubten Gutes, des Gegen-
standes eines verübten Betruges, der unternommenen Verfälschung
offentlicher Creditspapiere oder Münzen sich zu benehmen. Wenn
eine solche Beschreibung Gegenstände von größerem Werthe , oder
von solcher Beschaffenheit betrifft , daß Hoffnung vorhanden ist,
durch ihre Bekanntmachung den Thäter selbst zu entdecken, oder
noc< ferneres Uebel zu verhindern, over Demjenigen, der Scha-
den leidet, Entschädigung zu verschaffen , so kann die Bekannt-
machung sogleich vorgenommen werden. Bei Beschreibungen ver-
fälschter öffentlicher Credit8papiere oder Münzen aber muß vor-
läufig die Anzeige bei dem Obergerichte geschehen, welches sich
darüber mit der Landesstelle in das Vernehmen zu setzen hat.
Die Kundmachung geschieht, wie bei Ste>briefen. Auch ist bei
solchen Beschreibungen jedermanns Pflicht, den beschriebenen Gegen-
stand, sobald er etwas davon erfährt, der Obrigkeit anzuzeigen.
8 490.
Kann aller versuchten Mittel ungeachtet der des Verbrechens
Beschuldigte nicht betreten werden, f9 hat im Allgemeinen das
eigentliche Verfahren, so weit es auf die ordentliche Verurtheilung
gerichtet ist, bis zur Anhaltung des Beschuldigten zu beruhen.
Wenn jedo< das Verbrechen großes Aufsehen erweckt hat, oder
die gänzliche Straflosigkeit weitere nachtheilige Folgen besorgen
läßt, und wenn weder der Thatbestand, noch die Person des Thäters
einem Zweifel unferliegt , so kann auch wider den Abwesenden
und Flüchtigen verfahren und bis zu einer solchen Verurtheilung
vorgegangen werden , die in ven Augen des Volkes wenigstens einige
Wirkung gegen die Person des Thäters hervorzubringen fähig ist.
8 491.
Ob nun ein solches Bertl einzuleiten sei, darüber hat das
Criminal-Oericht die Bewilligung vom Obergerichte einzuholen. Nach
erfolgter Bewilligung ist der Abwesende oder Flüchtige durch Edict zur
Stellung vor Gericht vorzuforvern. In diesem Edicte ist der Vorname,
Zuname und Stand des Berufenen auszudrücken, das Verbrechen, dessen
er beschuldigt wird, zu benennen, und ihm aufzutragen, daß er, um über
diese Beschuldigung Rede und Antwort zu geben, sich längstens
binnen sechzig Tagen vor das Criminal-Gericht zu stellen habe,
= 1...
8 492.
Erscheint der Vorgerufene binnen der angesetzten Frist nicht,
so wird die Vorrufung mittelst eines zweiten Edictes wiederholt.
Dieses Edict soll nebst dem Namen und Stande des Vorgerufenen,
das gegen ihn vorgekommene Verbrechen mit den wesentlichen Um-
ständen, die auf die strengere Aburtheilung Beziehung haben, und
zugleich den Auftrag enthalten, daß ver Vorgerufene sich binnen sech-
zig Tagen vor das Criminal-Gericht stellen soll, widrigen Falls er
als des angeschuldeten Verbrechens geständig würde, geachtet werden.
8 493.
Das eine und andere Vorufungsedict muß in dem Orte, wo
das Verbrechen begangen, in demjenigen, wo der Beschuldigte
seinen bekannten Wohnsitz hatte, und da, wo der Sitz des Crimi-
nal-Gerichtes ist, auf die bei allen übrigen gerichtlichen Vorladungen
gewöhnliche Art angeschlagen und während der Frist des Edictes,
wenn der Vorgerufene indessen nicht angehalten worden, wenigstens
einmal in jevem Monate in die Zeitungsblätter der Provinz, wo
die Vorrufung geschieht, eingerückt werden. Auch ist eine Abschrift
davon an vas Obergericht einzusenden, damit , besonders in sehr
wichtigen Fällen, wobei an Habhaftwerdung des Thäters viel ge-
legen ist, wegen gleicher Kundmachung in den Zeitungsblättern der
übrigen Provinzen oder auch in fremden Ländern das Nöthige
veranlaßt werde.
8 494.
Erscheint ver Vorgerufene vor dem Gerichte, das ihn berufen
hat, auf die erste oder zweite Vorrufung, so ist ver allgemeinen
gesezmäßigen Ordnung nach zu verfahren. Stellt er sich vor ein
anderes Gericht, so hat dasselbe ihn an das Criminal-Gericht,
von welchem die Einberufung geschehen ist, zur rechtlichen Verhand-
lung zu überliefern.
8 495.
Verlangte der Berufene die Ertheilung eines sicheren Ge-
leites so kann dieses zwar nicht darauf. daß er vom Untersuchungs-
Prozesse , und der Aburtheilung verschont bleiben , oder niemals
angehalten werden soll , ertheilt werden ; vo< fann man ihm die
Zusicherung geben , daß er während der Untersuchung so lange
.2
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auf freien Fuß bleiben soll, bis gegen ihn rechtliche Beweise von
dem angeschulveten Verbrechen , und der Unstatthaftigkeit seiner
Rechtfertigung vorkommen. Auch eine solche beschränkte Ertheilung
des sicheren Geleites aber kann von dem Criminal-Gerichte nur
mit Bewilligung des Obergerichtes, an welches hierwegen die An-
zeige zu machen ist, geschehen, und wenn sie gleich mit obergericht-
licher Bewilligung erfolgt ist, bleibt dennoch das Criminal-Gericht
zu solchen Vorsichten verpflichtet , welche vie Entweichung des Be-
schuldigten , so weit es ohne wirklichen Verhaft möglich ist, zu
hindern geeignet find.
8 496.
Sollte aus besonders wichtigen Ursachen an ver Habhaftwerdung
des Berufenen vem allgemeinen Wesen äußerst gelegen sein, und
diese niht anders, als durch seine freiwillige Stellung bewirkt
werden , der Berufene aber die Zusicherung der Straflosigkeit zur
Bedingung setzen; so sollen diese Verhältnisse von dem Obergerichte
der obersten Justizstelle, von dieser aber dem Landesfürsten vorgelegt
und von daher vie Entscheivung gewärtigt werden, ob und in wie
weit eine Zusicherung der Straflosigkeit Statt zu finden habe.
8 497.
Wäre auch die zweite Frist ver Vorrufung fruchtlos verstrichen,
so hat das Criminal-Gericht ven Vorgerufenen nach der bei seiner
Abwesenheit gegen ihn geführten Untersuchung abzuurtheilen. Bei
solcher Aburtheilung sind die wider den Vorgerufenen vorhandenen
Beweise so zu betrachten, als ob er dagegen Einwendungen zu
machen, oder sich zu rechtfertigen, unvermögend wäre, und ist selber
nach ven Umständen, die in dem zweiten Vorrufungs-Edicte ange-
zeigt worden, als des Verbrechens geständig zn halten. Die Be-
rathschlagung und Schöpfung des Urtheiles geschieht ganz auf die
Art, als ob vas Verfahren wider einen ordentlichen angehaltenen
Verbrecher wäre geschlossen worden. Das geschöpfte Urtheil muß
vor der Kundmachung vem Obergerichte, von diesem aber mit
seinem Gutachten der obersten Justizstelle, und wenn auf Todes-
strafe erkannt wird, von der obersten Justizstelle mit ihrer Mei-
nung den Landesfürsten vorgelegt werden.
zm
8 428.
Die Kundmachung des wider einen Abwesenden over Flüch-
tigen auf Bestrafung gefällten Urtheiles geschieht auf folgende
Art: An einem zur Vollziehung öffentlicher Strafen bestimmten
Orte wird ein Pfahl, oder wenn die Todesstrafe verhängt ist, ein
Galgen errichtet und daselbst das Strafurtheil solcher Gestalt an-
geschlagen , daß es der Vorübergehende leicht lesen, aber Niemand
abreißen und sonst vertilgen könne. Das Urtheil ist durch drei
auf einander folgende Tage also angeheftet zu lassen , nebstvem
dreimal in die Zeitungsblätter ver Provinz einzurü&ken, wo es er-
lassen worden.
8 499.
So weit ein solches Urtheil den Verlust des Adels verhängt,
und so weit aus demselben die in dem 8 23 erwähnten allge-
meinen Wirkungen entstehen, muß es auch bei fortvauernder Abwe-
senheit ves Verurtheilten zur Erfüllung gebracht werden. Geräth
ver Flüchtige nach ver Hand in Verhaft, so ist ungeachtet des
vorher auf sein Ausbleiben ergangenen Urtheiles dennoch das ordent-
liche Verfahren bei demjenigen Criminal-Gerichte, welches ehedem
die Edikte ausgefertigt hat, aufzunehmen, und ein neues Urtheil
darüber zu schöpfen.
XVI. Hauptstüs.
Von dem Standrehte.
8 500.
Dringende Nothfälle können das außerordentliche Verfahren
des Standrechtes veranlassen, welches darin besteht, daß das Ver-
brechen auf das Kürzeste untersucht, der Schuldige sogleich verur-
theilt und die Strafe auf der Stelle vollzogen wird.
8 501.
In der Regel kann vas Standrecht nur bei einem Aufruhre
stattfinden ; wenn es nämlich nac< 8 66 bei einer Volksbewegung
oder Zusammenrottung soweit kommt, daß zur Herstellung der
Ruhe die ordentlihen Zwangsmittel nicht mehr zureichen und die
5"
ui
= 87. =
Anwendung außerordentliher Gewalt nöthig würde. Die Erklä-
rung, daß Aufruhr ist, und die Nothwendigkeit ves Standrechtes
eintritt, bleibt der Ländesstelle im Einverständniß mit vem Ober-
gerichte der Provinz, und, wenn Gefahr auf dem BVerzuge steht,
dem Kreisamte vorbehalten. Nach gestillter Unruhe kann ein Stand-
recht nicht mehr angefangen, noch, wenn es wirklich im Zuge wäre,
fortgesetzt werden.
8 502.
Die Einleitung zum Standrechte muß durch das Kreisämt
geschehen, das Standrecht aber an dem Orte des Aufruhres ge-
halten werden: Zu diesem Ende hat der Kreishauptmänn nach
erhaltener Erfahrung von der eigentlichen Beschaffenheit des Auf-
ruhres, und nach anerkannter Nothwendigkeit des Standrechtes :
a) die Stünde, zu welcher er no< an eben demselben Täge,
oder wenn dieses nicht. möglich ist, am folgenden Tage
daselbst eintreffen wird, zu bestimmen ;
5) fünf in dem Criminal-Richteramte bewährte und bei der
Sache unbefangene Männer zur Besetzung des Stand-
rechtes zu benennen, und Einem aus ihnen den Vorsitz an-
zuweisen, auch einen Gerichtsschreiber beizuziehen ;
sich mit dem nächsten Militär-Commando über die Anord-
nung der zur Bedeckung des Standrechtes auf alle Fälle
nöthigen Mannschaft einzuvernehmen ;
I) der politischen Obrigkeit des Ortes, wo das Standrecht
gehalten werden soll, aufzutragen, sich selbst, oder durch
einen abgeordneten Beamten einzufinden , und die Anstalt
zu treffen, daß die nöthigen Amtsgeräthschaften an einem
zur Gerichtshaltung schiflihen Orte bereit sein, und wenn
es nöthig würde, sogleich ein Galgen aufgerichtet werden
könne; auch für diesen Fall ein Seelsorger und ein Scarf-
richter zur Hand sei,
8 503.
Jeder, der zur Besezung des Standvechtes von dem Kreis-
amte berufen wird, ist unter strenger Verantwortung schulvig, sich
mit Hintansezung aller andern Geschäfte zur bestimmten Zeit und
au dem bestimmten Orte einzufinden.
--“ 3 ==
8 504.
Sobald alles gehörig vorbereitet ist, wird in den Gegenden,
wo Aufruhr ist, unter Trommelschlag kund gemacht: 'Das Stand-
recht sei nun in seiner Wirksamkeit. Jedermann habe sich zur
Ruhe zu begeben , sich sogleich von den aufrührischen Zusammen-
rottungen zu entfernen, und den zur Stillung des Aufruhres
ergehenden Anordnungen zu fügen ; widrigenfalles der noch ferner
im Aufruhre Ergriffene nach ver Strenge des Standrechtes mit
vem Tode würde bestraft werden. Nach dieser Verkündigung ist
die Anstalt zu machen, daß diejenigen, die sich als Rädelsführer
und Aufwiegler 'auszeichnen, oder durch boShafte Handlungen und
Gewaltthätigkeiten der strengen Strafe schuldig machen, durch die
Wache, welcher von dem Kreishauptmanne bescheidene Kommissäre
beizugeben sind, ergriffen und vor das Standrecht gebracht werden.
8 505.
Die Nothwendigkeit eines Standrechtes kann auch auf die
von den Behörden gemachten Anzeigen durch ungewöhnlich um sich
greifenden Raub, Mord und Brandlegung herbeigeführt werden.
Das Erkenntniß über die Nothwendigkeit dieses Mittel anzuwenden,
ist ver obersten Justizstelle, im Einverständnisse mit der politischen
Hofstelle vorbehalten. Wenn demnach das Verfahren mit Stand-
recht befohlen worden, hat das Obergericht die Einleitung zu
treffen, daß die Bedrohung dieses Verfahrens in dem Bezirke be-
kannt gemacht werde, wo die überhandnehmenden Verbrechen dazu
Atilaß geben. Wird nach dieser Kundmachung ein solches Ver-
brechen in dem Bezirke wieder begangen, und Jemand, wider wel-
<hen rechtliche Anzeigungen darüber bestehen, handfest gemacht ; so
ist jede Obrigkeit schuldig, solches sogleich dem KreiS8amte anzu-
zeigen. Der KreiShauptmann hat dann ungesäumt das Standrecht
in vem Orte des angezeigten Verbrechens anzuordnen, und zu dem
Ende die in dem 8 502 erwähnten Vorkehrungen zu treffen.
8 506.
Bei jedem Standrechte ist wegen zuverlässiger Erforschung
der Umstände und der eigentlichen Beschaffenheit der That, Auf-
suchung der Beweise und ihrer rechtlichen Kraft, wie auch wegen
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Vernehmung des Beschuldigten zwar überhaupt dasjenige zu beob-
achten, was für -das allgemeine Verfahren in diesem Gesekzbuche
verordnet is-* aber die wesentlichsten Unterscheidungszeichen des
Verfahrens im Standrecht sind :
a) daß das ganze Verfahren von seinem Ursprunge an bis
zum Ende vor dem versammelten Gerichte und ohne Un-
terbrechung geschieht ;
9) daß es hierbei allein auf ven Beweis derjenigen That
ankommt, zu deren Bestrafung das Standrecht zusammen-
gesetzt ijt, daß folglih auch Nebenumstände oder sonst etwa
entdeckte Verbrechen des Ergriffenen nicht zu sehen, die
Ausforschung der Mitschuldigen zwar nicht außer Acht zu
lassen, jedoch die Schöpfung und Vollziehung des Urtheiles
wider den Ergriffenen wegen der Mitschuldigen nicht auf-
zuhalten ist;
1 daß das Urtheil im Standrechte binnen vierundzwanzig
Stunden von Zeit der Ergreifung des Beschuldigten ge-
schöpft und sogleich vollzogen werden muß.
8 507.
Das Verfahren im Standrechte ist daher an den gewöhnlichen
Gang und die Förmlichkeit in ver Untersuchung nicht gebunden.
Nur hat der älteste Beisitzer bei der Berathschlagung vorzutragen,
was er nah Beschaffenheit der Umstände zu unternehmen, und
wie er das Verfahren zu leiten gedenke. Das Standrecht hat die
Macht, den Zeugen, wer. er immer sei, augenbli>lich vorzurufen,
und im Falle der Weigerung mit Gewalt vor sich bringen zu
lassen, auch so lange anzuhalten, als es wegen Gegenstellung mit
andern Zeugen, oder mit vem Beschuldigten zur Aufklärung der
Wahrheit nöthig ist. Der älteste Beisizer hat die Fragen zu
stellen, und dieselben, sowie die Antworten dem Gerichtsschreiber
zum Protofoll in die Feder zu sagen. Bei der Berathschlagung
soll ver Vorsitzende die Stimmen der Beisizer nach dem Alter
im Richteramte sanimeln , und den Schluß nach den mehreren
Stimmen schöpfen; bei gleich getheilten Meinungen aber den Be-
schuldigten dem ordentlihen Criminal-Gerichte zur Behandlung
überliefern.
3-28:
Bei dem Standrechte ist die Strafe des Verbrechers die Hin-
richtung mit dem Strange. Nur diejenigen, die an dem Aufruhre
geringeren Antheil genommen haben , sollen dann, wenn das ab-
schre>ende Beispiel schon durch die Hinrichtung eines oder andern
Hauptschuldigen bewirkt wird, zu der in dem 8 69 verordneten
Leibesstrafe, welche hier mit öffentlicher Züchtigung zu verschärfen
ist, verurtheilt werden.
S 5609.
Wäre das dem Beschuldigten zur Last liegende Verbrechen
binnen der bestimmten vierundzwanzig Stunden nicht rechtlich er-
wiesen ; wäre aber auch seine Schuldlosigkeit nicht zureichend dar-
gethan ; so ist derselbe sammt den Untersuchung8akten an das
ordentlihe Criminal-Gericht einzuliefern, damit das ordentliche
Verfahren mit ihm vorgenommen werde.
8.510.
Wenn der rechtliche Beweis des Verbrechens vorhanden, und
das Strafurtheil gefällt ist, muß dieses ohne Verzug kund gemacht
und Anstalt getroffen werden, damit sogleich in dem tauglichsten
Orte das Strafgericht errichtet, und das Urtheil ungesäumt voll-
zogen werde.
8 511.
Wenn das standrechtlihe Urtheil zum Strange ausfällt, sind
vem BVerurtheilten zur Vorbereitung zum Tode insgemein zwei
Stunden, auf seine ausdrückliche Bitte auch eine dritte zu gewähren.
Eine weitere Verlängerung kann nicht stattfinden.
8 512.
Gegen das von dem Standrechte gefällte Urtheil hat kein
Recurs und kein Gnadengesuch statt.
8 513.
Ueber die Vorgänge im Standrechte ist ein ordentliches Pro-
tofoll zu führen, in vasselbe alles Wesentliche, besonder8 was die
eigentliche Beschaffenheit der That und die Beweise betrifft sammt
den bei der Berathschlagung aufgenommenen Stimmen, "unv dem
90
- 3%Y9 -
Urtheile einzutragen, das Protokoll von allen, die dem Standrechte
beiwohnen, zu unterfertigen, und längstens drei Tage nach geen-
digtem Standrechte dem Obergerichte einzusenden.
XVII. Hauptstü>.
Von ver Ents <ädigung und Genugthuung.
8 514.
Das Criminal-Gericht ist verpflichtet, denjenigen, welche durch
ein Verbrechen Schaden gelitten haben, das ihnen gehörige Out
in so fern von Amtswegen zurü& zu verschaffen , als dieses Gut
bei ver Untersuchung unter der Habseligkeit des Verbrechers, oder
eines Theilnehniers am Verbrechen , oder an einem solchen Orte
gefunden wird, wohin es von vem Verbrecher nur zur Aufbewah-
rung gelegt oder gegeben worden. Diese Zurücstellung geschieht
entweder von dem Criminal-Gerichte unmittelbar, wenn das fremde
Gut ihm zugekommen ist, oder vermittelst seiner Verwendung bei
der Gerichtsbehörde, unter deren Gerichtsbarfeit vas Gut befindlich
ist. Das Criminal-Gericht hat sich darüber mit einer ordentlichen
Quittung desjenigen zu bedecken , der sein Eigenthum zurüder-
halten hat.
8 515.
Ist das fremde Gut bereits in die Hände eines Dritten, der
sich keiner Theilnehmung schuldig gemacht hat, auf eine zur Ueber-
tragung des Eigenthums insgemein gültige Art, oder auch als Un-
terpfand gerathen ; so soll zwar das Criminal-Gericht sich eben-
falls verwenden, daß der Besißer sich zur Abtretung in Güte be-
queme; sofern jedoch dieses nicht bewirket werden kann, hat das
Criminal-Geri<ht dem Eigenthümer bloß anzuzeigen, wer in dem
Besitze seines Gutes sei, damit er im ordentlichen Wege sein Recht
suchen könne.
8 540.
Ehe das Criminal-Gericht jemanden dasjenige zurü stellt,
was er als vein ihm durch das Verbrechen entzogenes Gut an-
spricht, muß bewiesen sein, daß ex wirklih der Eigenthümer oder
sonst Inhaber davon gewesen sei. Dieser Beweis wird bei vor-
handenem Geständnisse des Verbrechers durch die beschworene Be-
stätigung des Eigenthümers oder Inhabers vollständig gemacht.
Auch bei mangelndem Geständnisse des Verbrechers ist zu einem
sol<en Beweise genug, wenn
a) durch die Untersuchung dargethan ist, daß das Verbrechen
an demjenigen, der sich als Eigenthümer oder Inhaber
meldet, verübt worden ;
dieser die Sache kennbar, und mit solchen Merkmahlen
beschreibt, die -nur dem Eigenthümer oder Inhaber bekannt
sein können; und
6) seine Angebung mit einem Eide bestätiget.
8 517.
Ist das Eigenthum oder das Inhaben erwiesen ; so muß das
angesprochene Gut vem Eigenthümer oder Inhaber sogleich zurück-
gestellt, over wieder verschafft werden, wenngleich die Untersuchung
noch nicht geendigt wäre. Vielmehr ist das Criminal-Gericht ver-
pflichtet, die Eigenthümer fremder , in ver Untersuchung vorkom-
mender Habseligkeiten, sobald es geschehen kann, ausfindig zu
machen, und ihnen zu dem Ihrigen zu verhelfen. Daher, wenn
bei einer Untersuchung ein nach allem Anscheine fremdes Gut ge-
funden wird, der Beschuldigte aber den Eigenthümer nicht angeben
kann oder will, und binnen zwei Monaten von Zeit der bekannt
gewordenen Anhaltung des Beschuldigten niemand sich mit einem
Anspruche des Eigenthumes gemeldet hat, soll das Criminal-Gericht
die Beschreibung eines solchen Gutes auf eine Art abfassen, daß
zwar dasselbe vem Eigenthümer kennbar gemacht, jedoch einige
wesentliche Unterscheidungszeichen verschwiegen werden, um die Be-
zeichnung derselben dem Eigenthümer als ven Beweis seines Rechtes
vorzubehalten.
8 513.
Eine sol<he Beschreibung ist an denjenigen Orten, wo der
Beschuldigte sich aufgehalten hat, oder wo die ihm Schuld gege-
benen Verbrechen verübt worden, durc< Edikt bekannt zu machen,
worin dem Eigenthümer aufgetragen wird, sich binnen Jahresfrist
zu melden und sein Recht zu beweisen, widrigenfalls das beschrie-
-- / 93 ---
bene Gut veräußert und das Kaufgeld indessen bei dem Criminal-
Gerichte aufbehalten werden würde.
8 519.
Wenn binnen dieser Frist niemand sich mit einem Rechte auf
die beschriebenen Habseligkeiten meldet, hat das Criminal-Gericht
die Einleitung zu treffen, daß dieselben von dem Civil-Gerichte
des Ortes, wo sie befindlich find durch öffentliche Versteigerung
verkauft, und das gelöSte Geld ihm, dem Criminal-Gerichte, übergeben
werde. Bis zur gesetzmäßigen Verjährungsfrist kann der recht-
mäßige Eigenthümer, der sein Eigenthumsrecht zu beweisen vermag,
die Abfolgung dieses Kaufgeldes fordern Nach der Verjährungs-
frist fällt dasselbe der Casse zu, aus welcher ins8gemein die Cri-
minal-Gerichtskosten bestritten werden.
8 520.
Wäre das fremde Gut von einer solchen Beschaffenheit, daß
es sich ohne Gefahr des Verderbnisses durch ein Jahr nicht auf-
bewahren läßt, oder wäre die Aufbewahrung mit Kosten verbunden ;
so ist die Veräußerung durch öffentliche Versteigerung auch vor
der Zeit einzuleiten.
8 521.
Bei jeder Veräußerung eines fremden Gutes , dessen Eigen-
thümer unbefannt ist, muß die umständliche Beschreibung jedes
verkauften Stückes, der für jeden gelöSten Betrag des Kaufgeldes,
und der Käufer genau aufgezeichnet, und diese Aufzeichnung den
Untersuchungsakten beigelegt werden.
8 522.
Wenn das fremde Gut nicht mehr zurücverschafft werden
fann, ist vas Criminal-Gericht zwar verpflichtet, bei der Unter-
suchung von Amtswegen aufzuklären, was für ein Schade aus dem
Verbrechen entstanden si. In dem Urtheile aber ist nur dann
etwas in Beziehung auf die Entschädigung zu bestimmen, wenn der
Betrag des Schadens und die Person, der die Entschädigung ge-
bührt, aus ver Verhandlung deutlich und zuverlässig erhellt. In
diesem Falle soll das Criminal-Gericht mit dem Strafurtheile zu-
gleich das Erkenntniß schöpfen, wann, und in was für einem Be-
<=7"%gi --
trage von vem Verbrecher eine Entschädigung zu leisten sei; und
dieses Erkenntniß ist jedem, dem eine Entschädigung zugesprochen
worden, von vem Criminal-Gerichte zuzustellen.
8 523.
Ein solches Erkenntniß hat gleich einem andern rechtsfräftigen
Urtheile vie Wirkung, daß derjenige, dem die Entschädigung zuer-
kannt ist, den Civilrichter des Verurtheilten unmittelbar um die
Exekution anrufen kann. . Er ist aber durch dieses Erkenntniß nicht
gehindert, auch eine größere Entschädigung zu fordern, wenn er
einen größeren Schaden, als durc; das Erkenntniß des Criminal-
Gerichtes bestimmt ist, zu erweisen vermag.
8 524.
Findet vas Criminal-Gericht sich außer Stand, mit Zuver-
lässigkeit zu bestimmen, wem eigentlich eine Entschädigung aus dem
Verbrechen gebühre, oder worin diese Entschädigung zu bestehen
habe, so hat es nur dem Strafurtheile einzurücken, daß denjenigen,
venen ver Verbrecher Schaden gethan, ihre Entschädigung im
ordentlichen Rechtswege zu suchen, bevorstehe. Wenn nun jemand,
um dieses ihm vorbehaltene Recht ausführen zu können, sich der
Beweise halber bei dem Criminal-Gerichte meldet, ist ihm das
Einsehen der Untersuchungsakten, jedoch bloß an denjenigen Stellen
zu gestatten, welche auf das an ihm verübte Verbrechen Beziehung
haben, und ihm zu Beweisgründen seines Rechtes dienlich sein
können. Von solchen Stellen müssen ihm auch auf Verlangen
Abschriften hinausgegeben werden.
8 525.
Die Genugthuung eines durch das Verbrechen Beleidigten ist
immer nur in dem gewöhnlichen Rechtswege zu suchen, wozu der
Beleidigte nach geendigter Untersuchung und geschöpftem Urtheile
die Beweye auf die im vorigen Paragraphe erwähnte Art bei dem
Criminal-Gerichte einzuholen befugt ist.
-- 81 -=-
XIX. Hauptstü.
Von dem Zusammenhange der Criminal-Gerichte
und Obergerichte in Criminal-Sacen.
S 540.
Zur Beförderung der allgemeinen Sicherheit müssen die Cri-
minal-Gerichte unter sich im Zusammenhange und enger Verbin-
dung stehen, und mit gegenseitigem Verständnisse auf das thätigste
einander hülfliche Hand bieten. Dieses Vernehmen muß insbe-
sondere gepflogen werden, wenn bei einem Criminal-Gerichte ein
gefährlicher Berbrecher einkommt, und bei Erforschung seines Lebens-
wandels Spuren erscheinen, daß er schon bei einem andern Cri-
minal-Gerichte im Verhaft gewesen, oder wann vorkommt, daß bei
einem andern Criminal-Gerichte Anzeigungen eines Verbrechens
entde>t worden, die auf einen Thäter weisen, welcher mit dem
gegenwärtig in der Untersuchung stehenden Aenlichkeit hat, oder,
daß Mitschuldige oder Theilnehmer desjenigen Verbrechens bekannt
geworden sind, dessen der Verhaftete beschuldigt wird.
S 541.
In gleichem Verhältnisse müssen die Criminal-Gerichte nach
Beschaffenheit ihrer Lage sich gegenseitig die erhaltenen Nachrichten
von Oerten mittheilen, wo Verbrecher sich versammeln, sich unter-
reden, oder ihren Aufenthalt haben, oder wo sie Gegenstände des
Verbrechens oder Werkzeuge zur Ausführung desselben verbergen,
oder auch Werkzeuge verfertigen lassen, oder, wo sie durc< BVer-
brechen an sich gebrachte Habseligkeiten veräußern.
S 542.
Ebenso haben die Criminal-Gerichte zu ihrem Zwecke gemein-
schaftlich mitzuwirken, wenn bemerkt wird, daß in einem Orte oder
in einer Gegend die Verbrechen gemeiner werden oder die Verbre-
<her sich häufen, weil vielleicht die politishe Obrigkeit es an der
erforderlichen Sorgfalt mangeln läßt, oder die zur Hintanhaltung
der Verbrechen bestehenden Vorsichten und Anordnungen unbefolgt
bleiben, oder auch, weil besondere Umstände Gelegenheit und Er-
leihterung zu Verbrechen geben.
ei ) ==.
8 649.
Wenn ein Criminal-Geri<ht Losungen oder Zeichen erfährt,
deren sich die Verbrecher in ihren Unternehmungen, oder um sich
miteinander zu erkennen bedienen, over, wenn es Kenntniß von
besondern Erfindungen, Kunstgriffen und Wegen erhält, wodurch
sie sich die Ausführung ihrer Uebelthaten erleichtern, so müssen
die Criminal-Gerichte solche einander mittheilen, um die Kenntniß
dieser Spuren zur Entdeckung der Verbrecher anzuwenden, die
Obrigkeiten darauf aufmerksam zu machen, und das Publikum vor
Schaden zu sichern. Zugleich müssen solche besondere EntdeFungen
vem Obergerichte angezeigt werden, wenn es darauf ankommt, An-
stalten zu treffen und Verfügungen einzuleiten, wodurch den Ber-
brechern vorgebeugt oder die Verbrecher entde>t werden können.
8 544.
In diesen und ähnlichen Fällen müssen nicht nur die Cri-
minal-Gerichte derselben Provinz, sondern soweit es von Wirkung sein
kann, auch die der gesammten Länder, ihre vereinten Kräfte zum
gemeinschaftlichen Endzwee anwenden, sich gegenseitige Auskunft
und Aufklärung unmittelbar ertheilen, und einander vie bereits
vorfindigen Akten entweder in Urschrift, so weit sie entbehrlich sind,
oder in genauer Abschrift zusenden.
8 545.
Zu solchem Ende ist bei jedem Criminal-Gerichte ein Ein-
reihungs-Protokoll zu führen, in welchem die einlangenden Stücke,
so weit sie nicht zu den in dem 8 346 vorgeschriebenen besondern
Tagebüchern gehören, eingetragen, und die darüber getroffenen Vor-
kehrungen angemerkt werden sollen.
8 546.
Ueber die zur Registratur hinterlegten Akten hat das Criminal-
Gericht ein Nachschlagungs-Protokoll zu führen.
In diesem sind die Geschäfte folgender Maßen abzusondern:
a) in solche, wo, dem Criminal-Gerichte Anzeigen begangener
Verbrechen gemacht worden sind, ohne daß der Thäter
befannt geworden ;
b) in solche, wo dem Criminal-Gerichte Verbrecher entweder
4er
ZL
nach bloßer Beschreibung, over auch mit vem Namen und
ihrer eigentlichen Bestimmung bekannt geworden, ohne daß
man sich der Person hat versichern können ; |
c) in solche, wo die Untersuchung und Aburtheilung ganz
vollendet worden ;
d) in solche, wo die Untersuchung und Aburtheilung dur<h Tod
oder Flucht unterbrochen worden;
e) endlich in solche , wobei die Verhandlung wegen Ausfor-
schung der Theilnehmer oder Mithelfer no< fortzuseken ist.
Uebrigens müssen die Nachschlagungs-Protokolle alle Umstände,
nach welchen ein Criminal-Gericht dem andern die in den vorher-
gehenden Paragraphen angezeigte Hülfe leisten kann kurz und bündig
enthalten, und die Beziehung auf diejenigen Registraturs-Akten
andeuten, woraus die nähern Umstände erforderlichen Falles ersehen
werden können.
8 547.
In der Registratur sind die Akten in abgetheilten Bänden
aufzubehalten, und jeder Untersuchung ein Bund zu widmen. Die
übrigen, zu dem Criminal-Gerichte gehörigen Akten sind nach den
verschiedenen Gegenständen einzutheilen. Jedes in einem Bunde
enthaltene Stück ist von Außen mit der Zahl des Bundes, zu dem
es gehört, und mit der Zahl, nach welcher es einzulegen ist, zu
bezeichnen. Hat ein Aktenstü&> mehrere Beilagen, so ist jede mit
ver Zahl ves Stückes, zu dem es gehört, zu bezeichnen , auf dem
Hauptstüe aber anzumerken, wie viele Beilagen dazu gehören.
Außer den in diesem Gesetzbuche bestimmten Fällen sollen Nieman-
ven. eine Einsicht in die Akten erlaubt, noch ein Stück aus den-
selben verabfolget werden.
8 548.
Um die Nachsuchung zu erleichtern, müssen die Nachschlagungs-
Protokolle und Registraturs-Akten mit genauen Registern in alpha-
betischer Ordnung versehen sein, in welchen eben dieselbe Sache
unter verschiedenen Gesichtspunkten eingetragen sein muß, nämlich:
a) unter dem Namen des Beschuldigten oder des Verbrechers,
wobei auch die Namen, welche ein Berbrecher allenfalls
geführt, oder die sogenannten Spitznamen nicht außer Acht
u
. 9 --
zu lassen find, umd eine nähere Bezeichnung beigefügt wer-
den muß, um nicht allenfalls durch die Aehnlichkeit des
Namens zu einem Zrrthume Anlaß zu geben ;
9) unter dem Namen der Oerter, wo Berbrechen begangen
worden ;
&) unter der Benennung. des „Verbrechers selbst.
8. 549.
Das Obergericht in. Criminal-Sachen hat darauf zu sehen,
daß die Criminal-Gerichte, welche in der ihm zugetheilten Provinz
bestehen, ihre Amtspfliht durchaus genau erfüllen. Dasselbe hat,
wenn „wegen eines vorgefallenen Anstandes Anfrage geschieht, die
Belehrung zu ertheilen, und das Criminal-Gericht zu unterstützen,
wann diesem. von einer Behörde die Mitwirkung verweigert wird.
Dasselbe hat auch die Criminal-Gerichte, die sich Nachlässigkeit in
Amtsgeschäften zu Schuld kommen lassen, zur Verantwortung zu
ziehen und zu bestrafen.
8 550.
Damit das Obergericht in steter Uebersicht der ihm unter-
geordneten Criminal-Gerichte verbleibe, muß jedes Criminal-Gericht
von drei zu drei Monaten die Tabelle über alle vorgefallenen Un-
tersuchungen an das Kreisamt, zur weiteren Einbegleitung an das
Obergericht einsenden, und sich erforderlichen Fälles ausweisen
föntien, diese Tabelle drei Tage nach verflossenem Quartale zur
Einsendung aufgegeben zu haben. Diese Tabelle ist na< vem am
Ende gegenwärtigen Hauptstückes beigefügten Formulare genau und
mit aller Zuverlässigkeit abzufassen. Die Beschuldigten, über welche
die Untersuchung noc< niht durch Urtheil geendigt ist, müssen
jede8mal in die folgende Quartals-Tabelle übertragen werden.
8.551.
In 'dem Berichte, unit. welchem die Tabelle eingesendet wird,
muß das Criminal-Gericht „alle vorgekommenen Anzeigen von Ver-
brechen, wovon der Thäter nicht ergriffen ist, anführen, und bei
jedem. „anmerken, -ob und. was, um des. Thäters habhaft zu werden,
angewendet worden.
875.2:
Wenn in dem Quartale weder ein Verbrecher, noch eine An-
zeige eines Verbrechens vorgekommen wäre, muß eben dieses zur
vorgeschriebenen Zeit berichtet werden.
8 553.
Mit den Tabellen ves lezten Quartals wird von den Cri-
minal-Gerichten sowohl, als den Kreisämtern die Zunahme und
Abnahme der Verbrechen, sammt den Gründen derselben, und die
Mittel, vem Verbrechen vorzubeugen, aus 'den "boi den Untersu-
<hungen und der Aufsicht über die Bezirke aufgefallenen Betrach-
tungen anzumerken sein.
S 554.
Das Obergericht ist verpflichtet, die Tabelle und Einbeglei-
tungsberichte zu durchgehen, wenn einige Saumseligkeit wahrge-
nommen wird, das Geschäft zu betreiben, oder zur näheren Auf-
klärung umständlichen Bericht abzufordern , und bei Zeiten Rath
zu schaffen, wenn etwa das Criminal-Gericht das Geschäft nicht
in den rechten Weg geleitet hätte. Hierbei ist mit Vorsicht zu
handeln, damit nicht unnöthize Weitläufigkeit und Screiberei ent-
stehe, der Fortgang der Untersuchung nicht gehemmt, uitd dem
Gerichte nicht Akten, deren es nothwendig bedarf, abgefordert
werden.
8 555.
Aus den Quartals-Tabellen fämmtlicher Criminal-Gerichte
hat das Obergericht am Ende des Jahres eine Haupttabelle nach
dem in dem 8 550 vorgeschriebenen Formulare zu verfassen, und
solche in den nächsten dreißig Tagen des eingetretenen neuen Jahres
der obersten Justizstelle einzusenden. In dem Einbegleitungsberichte
ist mit Sorgfalt und Ueberlegung anzuführen, ob, und welche Gat-
tungen von Berbrechern in diesem Jahre gegen das vorige zuge-
nommen oder abgenommen haben, worin die vorzüglichsten Ursa-
<en dieses Unterschiedes bestehen mögen, ob die Criminal-Gerichte
ihre Pflichten erfüllen, oder, bei welchem derselben sich Gebrechen
zeigen, und was sonst für Betrachtungen auffallen , die zu einer
Verbesserung in der Zustiz-Berwaltung führen können, damit auch
7
2U
109 <=
die Hofstelle ihres Ortes von vem Ganzen gründliche Kenntniß er-
halte, und die zweckmäßigen Verfügungen zu treffen, in Stand ge-
setzt werde.
8 556.
Jedes Criminal-Gericht soll von Zeit zu Zeit , wenigstens
einmal des Jahres untersucht, die Gefängnisse besichtigt, die Ver-
hafteten ohne Beisein des Richters, über die Beförderung mit der
sie verhört, und über die Art, wie sie gehalten werden, befragt,
die Tagbücher jeder Untersuchung, die Protokolle und Registraturen
durchgesehen, vorzüglich vie Genauigkeit und Richtigkeit der einge-
sendeten Quartals-Tabellen untersucht, und das Benehmen des
Criminal-Gerichtes sowohl im Ganzen, als in den einzelnen Fällen
mit der Vorschrift des Gesetzes zusammen gehalten werden, Diese
Untersuchung ist an dem Orte, wo das Obergericht seinen Sit
hat, durch einen von demselben abgeordneten Rath vorzunehmen,
welcher seinen umständlichen Bericht darüber, mit Anführung aller
bemerkten Gebrechen und Vorschlagung der zu ihrer Verbesserung
dienlihen Mittel zu erstatten hat. Bei entfernteren Criminal-
Gerichten ist vie Untersuchung durch vas Kreisamt bei Gelegenheit
der allgemein vorgeschriebenen KreiSsvisitation vorzunehmen, jedoch
über diesen Gegenstand, ein von dem übrigen Visitations8geschäfte
abgesonderter Bericht zu erstatten, welchen die Landesstelle dem
Obergerichte mitzutheilen hat.
8 557.
Diese Untersuchungs-Berichte hat vas Obergericht in Ueber-
legung zu nehmen, soweit solche Gebrechen darin vorfommen, welche
unverzügliche Abhülfe fordern, die zwe>mäßigen Vorkehrungen zu
treffen, in Ansehung ver übrigen Gegenstäude aber sein Gutachten
an die oberste Justizstelle abzugeben und die Entschließung derselben
zu erwarten.
G SP ==
II. Abschnitt.
Von dem Verfahren bei sc<weren Polizei-Ueber-
tretungen.
1. Hauptstü>.
Von der Gerichtsbarkeit in Ansehung schwerer
Polizei-Uebertretungen.
8 276.
Die Gerichtsbarkeit in Ansehung der schweren Polizei-Ueber-
tretungen hat das Landgericht auszuüben. Sie erstre>t sich auf
den ganzen obrigfeitlihen Bezirk.
S 277.
Diese Gerichtsbarkeit begreift nebst ver unausgesekten allge-
meinen Aufmerksamkeit auf Verhinderung der Uebertretungen, ins-
besondere die Entde>ung der begangenen Uebertretungen, die Aus-
forschung der Uebertreter, und das gesezmäßige Verfahren mit dem
einer Uebertretung Beschuldigten.
S 278.
Begangene Uebertretungen zu entde>en, und die Uebertreter
auszuforschen, liegt ohne Unterschied der Person oder des Gegen-
standes derjenigen Obrigkeit ob , in deren Bezirk die Uebertretung
geschehen ist.
8 279.
Jedermann also, der sich in vem Bezirke befindet, ist ver-
bunden, auf geschehene Vorforderung der politischen Obrigkeit zu
erscheinen, derselben in Ansehung schwerer Polizei-Uebertretungen
Antwort und Auskunft zu geben, auch sonst ven dahin einschlagen-
den Anordnungen Folge zu leisten.
8 280.
Dieser Verbindlichkeit unterliegen auch Reisende. Wenn jedoch
durch die Fortsezung ihrer Reise die Untersuchung nicht erschwert,
oder gar vereitelt wird, oder wenn, da die Personen nicht unbe-
kannt sind, die Strafe an ihnen allezeit vollzogen, die gebührende
Entschädigung allezeit erhalten, over doch sicher gestellt werden kann,
sollen sie. in der Fortsezung der Reise nicht gehindert werden.
8 281.
Tritt eine der eben gedachten Bedenklichkeiten ein, so kann
der Reisende nach Verschiedenheit der Person und Umstände durch
die erforderlihen Mittel verhalten werden, sich so lange nicht zu
entfernen, bis in Absicht auf die Untersuchung alles, was noth-
wendig ist, erhoben, und in Absicht auf Strafe und Entschädigung
hinlänglihe Sicherheit geleistet worden.
8 282.
Das Verfahren mit dem Beschuldigten hat insgemein die
Obrigkeit de3 Ortes, wo derfelbe betreten wird, vorzunehmen. Doch
finden nach der Eigenschaft der Person und Uebertretung Aus-
nahmen statt, die sich entweder auf das Verfahren überhaupt be-
ziehen, oder nur auf die Aburtheilung und Bestrafung.
8 938.
Aus der Eigenschaft der Person findet eine Ausnahme statt,
bei den zu einem inländischen Militärkörper, oder zu einer Ge-
sändts<haft gehörigen Personen, in Ansehung welcher im Falle einer
begangenen schweren Polizei-Uebertretung eben dasselbe beobachtet
werden soll, was im ersten Theile 8 221 verordnet ist.
S 284.
Eine Ausnahme findet weiter statt, . wann der Beschuldigte
von Adel, eine geistliche, eine graduirte, eine irl landesfürstlichem,
oder sonst in einem öffentlichen. Amte stehende Person, ein im
Dienste der Grundes- und Ortsobrigkei t selbst angestellter Beamter
oder. wenn die Obrigkeit selbst Partei ist.
S 285.
Das Verfahren mit sol<en Personen hat, außer in den
Hauptstädten jeder Provinz, bei dem. Krei8amte-zu geschehen, welches
bei größerer Entlegenheit, oder wo es die Wichtigkeit und Umstände
erfordern, einen KreiSbeamten abzusenden hat, in mindern Fällen
aber, und in soweit. es zur Erleichterung des Untersuchten gereichen
kann, die Untersuchung: auch an die Ortsobrigkeit oder einen andern
Magistrat übertragen kann.
S 286.
Aus der Eigenschaft. der Uebertretung; hat eine Ausnahme
statt, bei geheimen Gesellschaften 8 38-50, bet- Uebertretungen
gegen die Censursvorschriften 8 57-9, bei Verleitung: ver Un-
terthanen zur Ansiedlung in fremden Staaten 8-70, bei Aufwieg-
sung der Untergebenen gegen die Obrigkeiten 8 71, und bei einem
versuchten“ Selbstmorde 8 94. In diesen: Fällen soll» vie Anzeige
sogleich an die Lanvesstelle gemacht, inzwischen aber dasjenige; was
zur Sicherstellung ver Untersuchung beitragen kaum, vorgekehrt
werden.
8S 287.
Außer den in den vorhergehenden vier Paragraphen bestimm-
ten Ausnahmen ist auch die obere Behörve, wenn Verhältnisse der
Personen, oder der Zusammenhang der Sache und Umstände es
nothwendig machen, berechtigt, die Verhandlung von der ordent-
lichen“ Behörde abzurufen und einer anvern zu übertragen.
8 288:
Mit denjenigen, welche sich''dem Verfahren durch Entfernung
entziehen, ist es auf folgende Weise zu halten: Entfernt sich der;
gegen welchen verfahren werden foll, vor der angefangenen Unter-
suchung, so soll im ver Regel ihm zur Wiedereinbringung nicht
nachgesett, sondern bloß durch Schreiben an vie politischen Obrig-
keiten das Einvernehmen gepflogen werden , damit! ver Uebertreter
nicht ungestraft bleibe. Entweicht er näch bereits angefängener
Untersuchung, so kann fowhl ihm nachgesetzt , und er, wo' er er-
griffen wird, angehalten , als dessen Anhaltung und Stellung: von
einer andern Obrigkeit verlangt werden.
8 289.
Diese Stellung kann auch bei folchen Uebertretungen verlangt
werder, wo die Erhebung ver Umstänve nicht“ anders; als an dem
bestimmten Orte“ vorgenommen werder kann.
8 290;
Die Behörde, welche die Gevichtsbärkeit bei schweren Polizei-
Uebertretungen auSübt, hat aus einem: Richter und' einem Actuar
zu bestehen.
8291.
Das Amt. eines Richters kann Niemaud- führen ,. der nicht
vievundzwanzig: Jahre zurückgelegt, und: nach einer. ordnungSmäßigen)
ACG
Prüfung aus dem Strafgeseße das Zeugniß der Fähigkeit zu dem
Richteramte erhalten hat. Der Richter sowohl , als der Actuar
sind zu ihrem Amte zu beeidigen.
,'8 292.
Die politischen Behörden über schwere Polizei-Uebertretungen
sind der Landesstelle , als ihrer oberen und diese der politischen
Hofstelle, als ver obersten Behörde untergeordnet.
D. Hauptsftüf.
Von Erforschung der s<weren Polizei-Uebertretungen
uud Erhebung des Thatbestandes.
8 293.
Wann die politische Obrigkeit durch Ruf, Anzeige, oder eigene
Entde>ung von einer schweren Polizei-Uebertretung , Vermuthung
oder Kenntniß erhält; so tritt der Fall zur Ausübung der ihr
eingeräumten Gerichtsbarkeit ein.
8 294.
Da jede politische Obrigkeit zur unausgesetzten Wachsamkeit
über sämmtliche, zur Handhabung der öffentlichen Ordnung er-
lassene Verordnungen und bestehende Anstalten von Amtswegen
verpflichtet ist, so hat sie bei allen Uebertretungen, welche auf diese
Verordnungen und Anstalten Beziehung haben, auch einen an sie
gelangenden bloßen Ruf bis zum Ursprunge zu verfolgen, um sich
von dem Grunde oder Ungrunde der Sache Ueberzeugung zu ver-
schaffen.
8 2:5.
Die Anzeige von begangenen Uebertretungen hat ins8gemein
von * denjenigen Beamten oder untern Dienern zu geschehen, die
über einen oder andern Gegenstand zu Aufsicht bestellt sind. Außer
diesen Pflichtanzeigen ist auch sonst Jedermann eine "ihm bekannt
gewordene schwere Polizei-Uebertretung anzuzeigen berechtigt.
8 296.
Die Anzeigen können sowohl mündlich als schriftlich geschehen,
immer aber darf der Anzeigende der Obrigkeit nicht unbekannt
bleiben. Eine schriftliche Anzeige muß daher den Namen, Stand,
„4
EE
und Aufenthalt des Anzeigers enthalten; do< kann der Anzeiger,
den Fall des 8 234 und 235 ausgenommen, verlangen, daß seiu
Name verschwiegen werde.
3:297.
Bei Anzeigen ohne, oder?, was eben dasselbe ist, mit unbe-
kannten Namen, kann zwar auf die angegebenen Thatumstände ge-
sehen, gegen den in einer solchen Anzeige angegebenen Thäter aber
nichts anders vorgegangen werden, als wann die Erhebung der
Thatumstände von selbst auf denselben führt.
8 298.
Auf welche Art nun immer etwas von einer begangenen
schweren Polizei-Uebertretung an die Obrigkeit gelangt, so hat
diese sogleich den Thatbestand zu erheben, alle Umstände, die zur
Aufklärung der Sache und zur Leitung in dem weiteren Verfahren
beitragen können , aufzunehmen, und dadurch die Wirklichkeit der
der geshehenen Uebertretung zu bestätigen.
8 299.
Die Erhebung des Thatbestandes muß von der Behörde ge-
schehen, welcher nach der Eigenschaft der Person oder der Ueber-
tretung das Verfahren zukommt. Jedoch ist die Obrigkeit des
Ortes, wo die That begangen worden, wenn gleich das Verfahren
an eine andere übertragen worden, verbunden, diejenigen Umstände
aufzunehmen, die durch Verschub eine Veränderung leiden würden.
S8 300.
Die Erhebung des Thatbestandes ist von der in Ansehung
der schweren Polizei-Uebertretungen bestimmten Behörde und, nach-
dem die Uebertretung entweder an einem Orte, einer Person, oder
Sache Merkmale hinterläßt, oder nicht , auf folgende Weise vor-
zunehmen.
8.301.
Veber die an einem Orte zurückgelassenen Merkmale muß
der Augenschein nothwendig an dem Orte selbst ; an Personen und
Sachen aber kann solher auch an dem gewöhnlichen Orte der
Gericht8barfeit genommen werden, in so fern durch die Ortsver-
änderung nicht etwa der Zustand der Person oder Sache im
Weseutlichen einer Veränderung ausgeseßt würde.
10,
8.3
Wo dieses bei übertragbaren Sachen zu besorgen wäre, oder
Verdacht eintrete, daß an vem, was zurückbleibt, eine absichtliche
Veränderung versucht werden möchte, muß durch Versieglung, Ver-
schließung, oder sonst eine zweckmäßige Verwahrung, "Vorsicht da-
gegen getroffen: werden.
8 203.
Sind bei einer Uebertretung“ vie Beschaffenheit des Thatbe-
standes mit Zuverlässigkeit zu bestimmen, eigene Kunst- oder Ge-
werbsfenntnisse nothwendig, so' sollen dem Augenscheine die zu-
sagenden Kunst- oder Werkverständigen zugezogen werden.
8 304.
Obgleich der Augenschein jederzeit ohne Verzug vorgenommen
werden foll jo wird dennoch die Beschleunigung desselben da zu
einer dringenderen Pflicht, deren Versäumung der schweresten Ber-
antwortlichkeit aussezen würde, wo nach: der Natur ves: Vorfalles
durc< beschleunigte Vorkehrung no< Rettung oder vo< Verrin-
gerung des Nachtheiles verschafft werden kann. In einem solchen
Falle soll, nebst ven beigezogenen Kunst- over Werkverständigen
auch, soviel geschehen kann, dafür gesorgt werden, die erforderlichen
Personen und Geräthschäften zur Hand zu haben, um die ange-
ordneten Rettungsmittel auf ver Stelle anzuwenden.
8' 30965:
Sind aber Umstände, die zur Aufklärung der That, oder zur
Entde>ung des Thäters beitragen können , Zeugnisse zu erheben,
so“ sind“ die Zeugen, dafern sie an dem Orte oder nicht weit ent-
fernt find, sogleich zu vernehmen:
8 306.
Sind Zeugen zu vernehmen, deren Aussage sich eben nicht
auf Ortsumstände bezieht ; so soll, bei einer beträchtlicheren Ent-
fernung derselben, vie Obrigkeit, wo sie sich! befinden, um ihre Ab-
hörung angegangen werden.
8 307.
Zeugnisse, vie mit Ortsumständen: in Verbindung stehen, oder
von Ortsumständen Deutlichkeit und Zuverlässigkeit erhalten. müssen,
sind stets an dem Orte selbst aufzunehmen, umd ist- nach' Anoud-
ZG
..- M“ ur
nung des 8 279 jeder, der aufgefordert wird, an dem dazu be-
stimmten Orte zu erscheinen schuldig.
8 308.
Wo eine schwere“ Polizei-Uebertretung: an sich keine Merkmahle
zurücläßt , wird die Erhebung ves Thatbestandes- zugleich mit ver
Untersuchung gegen ven Uebertreter vorgenommen, worüber die
Vorschrift im folgenden Hauptstücke ertheilt wird.
8 309.
Ueber die Erhebung des Thatbestandes muß unter Aufsicht
des Beamten, der dieselbe leitet, ein Protokoll geführt werden.
Den Eingang dieses Protokolles macht vie Ursache, welche die Er-
hebung veranlaßt hat. Hierauf: kommt die genaue Erzählung der
erhobenen Umstände in der Ordnung, wie alles aufeinder folgt.
8 310.
Die Aussage der Kunst- over Werkverständigen wird in das
Protofoll an vem Ovyte aufgenommen, wo vie Ordnung der Er-
zählung darauf leitet. Wird diese Ausfage mündlich abgelegt, so
muß sie wörtlich eingerückt, und von venen, die sie abgelegt haben,
unterschrieben werden. Wollten sie ihre Aussage schriftlich ab-
fassen, so wird davon über vie wesentlichsten Punkte in vem Pro-
tofolle ein Auszug gemacht, das Original aber angeschlossen.
S 311.
Bevor die Ausfage von den Zeugen aufgenommen wird, sind
sie zu erintern, daß sie ihrem Gewissen und der Obrigkeit
zur Wahrheit verpflichtet sind, und sich durch eine wissentliche Un-
wahrheit strafbar machen würden. Bei wichtigeren Fällen haben
die Zeugen, wenn es das Gericht für nöthig erachtet, ihre Aus-
sage durch einen Eiv zu bekräftigen. Die Zeugenaussage ist bei
jedem Punkte einzuschalten, worauf sie Beziehung hat.
8 312.
Zum Beschlusse sind auch Diejenigen, die durch die Ueber-
tretung zu Schaden gefommen , über die Gattung des . S<hadens
und den Betrag desselben zu vernehmen. Wo der Beschädigte
den Betrag des“ Schadens zu bestimmen, außer Stand“ wäre, oder
die Angabe davon übertrieben schiene, soll der "Betrag durch un-
pärteiische Schäkleute erhoben und bestinumt werden.
8'220
Den Zeugen, wie auch den Beschädigten sind ihre in das
Protokoll aufgenommenen Ausfagen vorzulesen, und von denselben zu
unterschreiben, oder von den des Schreibens Unkundigen durch ein
Handzeichen zu bekräftigen.
8 314.
Das Protokoll soll endlich nohmals nach seinem ganzen In-
halte abgelesen , und wenn dabei neue Bemerkungen vorfallen, der
Beisaß, ohne in dem Texte etwas zu ändern, nur an seinem
Orte zur Seite gestellt werden. Das hienmiit geschlossene Protokoll,
wie auch sämmtliche Beilagen sind von dem leitenden Beamten
und dem Protokollführer zu unterschreiben.
I. Hauptstü.
Von der Untersuchung des Beschuldigten und dem
Verhöre.
8.315.
Wann bei Erhebung des Thatbestandes einer schweren Polizei-
Uebertretung Umstände vorkommen, welche den rechtlichen Verdacht
auf einen Übertreter führen, so ist derselbe zur Untersuchung zu
ziehen. - Der Verdacht ist rechtlich , wenn die erhobenen Umstände
zwischen der That und einer Person einen solchen Zusammenhang
zeigen, woraus dieselbe mit Wahrscheinlichkeit al8 der Thäter be-
schuldigt werden kann.
S 316.
Die Umstände , woraus rechtlicher Verdacht entsteht, können
Beziehung haben auf die Person, die Handlungen und Reden des
Beschuldigten, auf die Zeit und ven Ort der begangenen Ueber-
tretung, auf Sachen, die entweder zur Ausführung der Ueber-
tretung gehören, oder von der Uebertretung herrühen.
8.317:
Bei der Unmöglichkeit, diese Umstände in ihrer Mannigfaltig-
keit sämmtlich aufzuführen, muß dem Ermessen der Behörde über-
lassen werden, die Umstände, welche einen rechtlichen Verdacht
872]
M 109+ ----
gründen und ihre Wichtigkeit zu beurtheilen. Folgende zwei Regeln
sind aber bei der Beurtheilung stet8 vor Augen zu haben:
8 318.
1. Umstände, die einzeln stehend minder wichtig sind, werden
wichtiger , wann mehrere derselben zusammentreffen ; wie
im Gegentheile Umstände, die schon für sich allein einen
rechtlihen Verdacht gründen würden, oft bei Gegenein-
anderhaltung mit andern eintreffenden Umständen kraftlos
werden.
3 319.
. Daß Jemand sich ehemals schon einer solchen Uebertretung
schuldig gemacht habe; daß er sonst von üblem Rufe und
Sitten ist; daß er mit dem durch die Uebertretung Be-
schädigten in Feindschaft lebt ; daß aus der Uebertretung
ihm mittelbar Vortheil over Gewinn zugegangen ist, oder
zugehen würde ; diese Umstände können für sich allein
keinen rechtlichen Verdacht gründen, sondern nur den aus
audern Umständen entstehenden rechtlihen Verdacht ver-
stärken.
3 320.
Außer dem rechtlichen Verdachte, der aus den Umständen eines
erhobenen Thatbestandes hervorkommt , ist vechtlicher , zur persön-
lihen Untersuchung zureichender Verdacht auch dann gegründet,
a) wann in dem Falle des 8 288 eine vor der Untersuchung
entwichene Person erkennt wird ;
b) wann bei Jemanden Zeichen, Werkzeuge oder Gegenstände
einer Uebertretung entde>t werden, worüber er sich nicht
sogleich zu rechtfertigen fähig ist ;
») wann gegen Jemanden eine eigenhändig geschriebene oder
von ihm eigenhändig gefertigte Urkunde vorkommt, woraus
eine begangene Uebertretung zu entnehmen ist ;
.) wann ein Mitschuldiger , ohne in dem Verhöre auf eine
bestimmte Person geleitet worden zu sein, von selbst, mit
Umständen , die sich bei der Untersuchung bewähren , eine
Aussage auf Jemanden macht ;
= 110 =
wann eine ver Obrigkeit bekännte Person von unbescholtenem
Rufe gegen Jemanden mit einer bestimmten und auf ihr
befannte Umstände sich beziehenden Anzeige auftritt. Bei
Anzeigen, vie von übel berufenen oder von ganz unbekannten
Personen kommen, ist sich nach dem 8 297 in Ansehung der
von namenlosen Personen gemachten Anzeigen zu benehmen ;
) endlich findet gegen Denjenigen, der ohne Merkmahle einer
Geistesschwäche zu zeigen, sich einer Uebertretung bei der
Obrigleit selbst schuldig gibt; und
9) umsomehr gegen Denjenigen sogleih eine Untersuchung
statt, ver bei einer wirklichen Uebertretung ergriffen wird.
8 321.
Derjenige, gegen welchen die Untersuchung geschehen soll, ist
bei der Behörde entweder vorzufordern, oder dahin zu stellen.
Insgemein sind bei der Untersuchung auf schwere Polizei-Ueber-
tretungen bekannte Personen von sonst unbescholtenem Rufe , und
welche der Entfliehung halber unverdächtig sind, bloß vorzu-
fordern.
8 322.
Diejenigen, bei denen aus ven Umständen der Person , oder
aus. der Eigenschaft der Strafe, so auf die zur Sculd gelegte
Uebertretung bestimmt ist, vermuthet werden kann, daß sie fich der
Untersuchung entziehen dürften ; ingleichen diejenigen , welche auf
die geschehene Vorforderung nicht erschienen sind , sollen durch die
Amtsviener (over die Wache) zur Behörde gestellt werden.
8 323.
-Mit einer förmlichen Verhaftung kann nur in folgenden Fällen
vorgegangen werden :
b) wann zu besorgen steht, daß die Freiheit des zu Unter-
füchenven die Untersuchung vereitelt würde ;
&) wann ein solcher betreten wird, der sei es vor der Unter-
suchung over nachdem dieselbe bereits angefangen worden,
entwichen ist ;
d) bei Uebertretungen, die öffentliches Aergerniß veränlassen ;
kf) bei Widersezung gegen einen in seinem Amte handelnden
Beamten, unteren Diener, over die Wache. Bei der Ver-
-= WW --
haftung ist jedoch stets ohne Aufsehen, und mit soviel als
möglich geshonten Rufe des zu Verhaftenden vorzugehen.
S 324.
Wann der Beschuldigte vor der Behörde erscheint, ist das
Verhör mit demselben sogleih ohne Aufschub vorzunehmen. Zu
dem Ende sollen auch die Zeugen, der Beschädigte und von
wem sonst immer eine Aufklärung in der Sache erwartet wird, so
weit es immer thunlich ist, auf eben die Zeit vorgerufen, auch
was sonst an Sachen oder Merkmahlen zur Untersuchung gehören
kann, zur Hand gehalten werden.
S 325.
Der Zweck des Verhöres ist :
a) Die. Uebertretung, wann sol<he oder die Umstände der-
selben nicht bestimmt bekannt sind, in das Klare zu seten ;
b) zu erforschen , ob und in. wie fern der zu Untersuchende
der Uebertretung schuldig sei;
8) ob er Mitschuldige und Theilnehmer habe ; endlich
4) „demjenigen, welcher durch die Uebertretung Nachtheil ge-
litten, Entschädigung zu verschaffen.
33826.
Das Verhör soll, wo möglich, bis zur Beendigung ununter-
brochen fortgeseßt, oder, wären mehrere Sitzungen erforderlich,
mit demselben, soweit Gegenstand und Umständ es immer zugeben,
ohne Zwischenarbeiten fortgefahren werden.
8 327.
Das Protokoll bei dem. Verhöre wird mit „dem Anlasse an-
gefangen, -aus welchem die Untersuchung eingeleitet wird. Ist eine
Erhebung des Thatbestandes vorausSgegangen, so sind. aus dem
Protokolle desselben, mit Beziehung auf die davon handelnden Ab-
säße die Umstände auszuheben , worauf sich der rechtliche Verdacht
gegen den Beschuldigten gründet.. Bei andern Anlässen sind die
eingetretenen Personen und Umstände genau. aufzuführen „damit
daraus die Rechtmäßigkeit des Verfahrens deutlich entnommen wer-
den möge.
- 1 -
8 328.
Das Verhör selbst ist mit der ernsten Ermahnung an den
zu Untersuchenden zu eröffnen: daß er verpflichtet sei, jede Frage
na< Wahrheit und Wissen zu beantworten, daß Unwahrheit oder
hervorleuchtende Bosheit im Schweigen oder Ausflüchte ihm Ver-
schärfung der Strafe zuziehen würden.
S8 329.
Hierauf folgen die Fragen über seinen Vor- und Geschlechts-
namen, über Alter, Geburtsort, Religion und Aeltern, ob er ver-
ehelicht sei? über Ehegenossen und Kinder, über seinen Nahrungs-
stand, seinen letzten Aufenthalt8ort, ob er schon einmal in Unter-
suchung gewesen, und endlich, aus welcher Ursache er gegenwärtig
zum Verhöre gezogen worden ?
8 331:
Wenn der in die Untersuchung gezogene Verhörte angibt, keine
Ursache zu wissen, warum er vor der Behörde stehe, ist ihm die
zur Schuld gelegte Uebertretung so weit und von dem, woraus ein
rechtliher Verdacht gegen ihn entspringt, so viel vorzuhalten als
nöthig ist, ihn in die Kenntniß der Beschuldigung zu setzen.
8 332.
Läugnet er die That, so ist er zu fragen, was er zur Ent-
fräftigung der ihm vorgehaltenen Umstände anzuführen habe, vor-
züglich aber, wie er vielleiht aus den Umständen des Orts und
der Zeit der begangenen That, die Unmöglichkeit darthun könne,
solche begangen zu haben ?
8 333.
Kann er dieses nicht, so sind die Fragen weiter fortzusetzen,
und in einer solchen Reihe an ihn zu stellen, daß die der Behörde
befannten , ihm zur Last liegenden Umstände und Beweismittel
nach und nach hervorfommen; sich wechselseitig unterstützen, bestärken
und der Verhörte dadurch sich überzeuge, wie sein ferneres Leugnen
gegen die vor Augen liegenden Beweise unnütz sein werde.
8 334.
Bei ven gegebenen Antworten ist vie Aufmerksamkeit vorzüg-
lich darauf zu richten, ob der Verhörte in den späteren Antworten
seinen früheren widerspreche. Wird ein Widerspruch wahrgenommen,
45
ü
<== 3 -==
so soll vemselben die widersprechende Stelle vorgelesen, und dann
die Frage gestellt werden: Wie er sich darüber verantworten könne ?
8 335.
Wenn unter diesen Umständen der Verhörte bei vem Leugnen
in der Hauptsache, oder doch in Ansehung eines oder mehrerer
wesentlicher Punkte beharret, sind ihm endlich die wider ihn strei-
tenden Beweise vorzulegen, die Zeugen namhaft zu machen, und
soll sodann zu seiner VUeberführung nach Vorschrift des folgenden
Hauptstückes vorgegangen werden.
8 336.
Schreitet der Verhörte sogleich Anfangs, oder in der Folge
zu einem Geständnisse, so ist seine Aussage ununterbrochen aufzu-
nehmen, und durch Zwischenfragen nur dahin zu leiten, daß daraus
die vollständige Erzählung der wirklich vollbrachten That, und aller
begleiteuden Umstände erwachse.
8 337.
Zeigt sich aus der Beschaffenheit der Uebertretung, oder der
dabei vorkommenden Umstände, daß mehrere Personen daran Theil
haben dürften; so ist ver Verhörte auch um die Theilnehmer zu
befragen, ohne jedoch in die Frage etwas einfließen zu lassen, wo-
durch mittelbar oder unmittelbar auf jemanden bestimmt gedeutet wird-
S8 338.
Läuft die Ausfage noch auf andere als diejenigen Uebertre-
tungen hinaus, worauf untersucht wird , so ist auch darüber das
Verhör fortzusehen, und sofern dabei die Erhebung eines Thatbe-
standes nothwendig wird, dieselbe nachzuholen.
8 339.
Läßt der Verhörte sich mit dem Bekenntnisse eines Verbre-
<hens, oder sol<er Umstände heraus, welche als rechtliche Anzei-
zungen zu einer Criminal-Untersuchung angesehen werden können,
so muß in der Aufnahme seiner Aussagen, ohne über diese Ver-
muthung etwas wahrnehmen zu lassen, fortgefahren, vas Aufge-
nommene aber dem Criminal-Gerichte zugesendet, und vie Anfrage
gemacht werden: Ob der Untersuchte dahin abzuliefern sei? Bis
zur Einlangung der Antwort ist die nach Umständen nothwendige
- 114 -
Vorsehung zu treffen, damit der in der Untersuchung Stehende
nicht entweiche.
S 340.
Wie von einer Seite bei der Untersuchung zur Absicht genom-
men wird, zu erheben, ob der Verhörte wirklich schuldig sei, so ist
auf der andern Seite es für die Behörde gleiche Pflicht, nebst der
S 325 bereits gegebenen Vorschrift, noc< die an den Verhörten
gestellten Fragen selbst dahin zu richten, damit alles erhoben werde,
was dem Untersuchten, ohne ihm zu Ausflüchten Gelegenheit zu
geben, zur Rechtfertigung dienen, und entweder seine gänzliche
Sculdlosigkeit oder doch seine geringere Schuld beweisen kann.
S 341.
Nebst dem, daß solcher Gestalt alles zu erheben ist, was
sowohl in Ansehung der Uebertretung und der dabei untergelau-
fenen Umstände, als der Schuld oder Schuldlosigkeit des Verhörten
zur Aufklärung dient, hat der Richter auch die Fragen auf das-
jenige zu stellen, was Mittel an Hand geben kann, dem durch die
UVebertretung Beschädigten oder Beleidigten bald möglichst zur Ent-
schädigung oder Genugthuung zu verhelfen.
S 342.
Das Verhör soll durchaus mit Anständigkeit und Gelassenheit
aufgenommen werden. Schimpfliche Benennungen oder Ausvrücke
gegen den Verhörten sind durchaus zu vermeiden. Auch muß der
dabei nothwendige Ernst nicht in ein hartes oder solches Betragen
ausarten, wodurch der Verhörte in Furcht gesezt, oder außer
Fassung gebracht werden könnte:
S 343.
Um so minder und unter strenger Verantwortung darf weder
von gewaltsamen Mitteln oder Androhung derselben, von Vorspie-
gelungen erdichteter Anzeigen und Beweismittel , no< von Ver-
heißung gelinderer Strafe oder der Straflosigkeit Gebrauch ge-
macht werden.
. 8 345.
Jede in dem Verhöre vorkommende Frage ist in dem Pro-
tofolle auf eine Spalte, mit der darauf gegebenen Antwort auf
der andern, unter einer eigenen, uach der Reihe fortlaufende nZahl
einzutragen.
8 2.26.
Dem Verhörten steht frei, seine Antwort selbst in die Feder
zu sagen, in welchem Falle solche wörtlich aufgenommen werden
muß. Gebraucht er sich dieses Befugnisses nicht, so soll die ge-
gebene Antwort immer, so viel möglich, mit seinen eigenen Worten
niedergeschrieben, und ihm sogleich vorgelesen werden mit dem
Befragen : Ob sie auf solche Art richtig eingetragen sei ? Verlangt
er eine Abänderung, so ist auch diese aufzunehmen , ohne jedoch
von dem bereits Niedergeschriebenen etwas wegzustreichen, oder
sonst zu ändern.
8 347.
Nach vem Beschlusse des Verhöres soll dem Verhörten das
Protokoll noch einmal vorgelesen, derselbe, ob er nicht etwas bei-
zusetzen habe ? befragt, hierauf das Protokoll von ihm eigenhändig,
oder mit seinem Handzeichen bestätigt, am Ende auch von denjenigen,
aus welchen die untersuchende Behörde bestand, unterschrieben werden.
8 348.
Wenn die Wichtigkeit des Gegenstandes oder die Weitläufigkeit
der Untersuchung die Beendigung in einer Sitzung nicht zugibt,
muß die Ursa<e am Ende ves Protokolles der ersten Sitzung an-
geführt, bei jeder nachfolgenden Sikung Tag und Stunde, wann
solche angefaugen und geschlossen worden, angemerkt, mit der Vor-
lesung und Unterschrift der bei jeder Sitzung geführten Theilspro-
tofolle aber es auf die vorgeschriebene Art gehalten werden.
S 349.
Für die Zwischenzeit eines auf mehrere Sitzungen sich ver-
längernden Berhöres haben diejenigen, welche nach 8 321 bloß
vorgefordert worden, anzugeloben , daß sie bis zum Ausgange der
Untersuchung sich weder entfernen, noch verborgen halten wollen,
In Ansehung derjenigen, welche na< 8 322 gestellt werden, ist
dem Ermessen der Behörde überlassen, ob und wann dieselbe nach-
dem das aufgenommene Verhör den Untersuchten mehr oder weniger
beschwert, zur Sicherstellung der weitern Untersuchung seine Ver-
haftung nöthig findet. Diese Zwischenverhaftung fam jevoch den
1“-
Verhafteten keinem Zwange, noch sonst einer Entbehrung unter-
werfen, als welche die Versicherung von seiner Person nothwen-
dig macht.
IV. Hauptftü.
Von rechtlichen Beweisen.
8 350.
Aus den durch das Verhör erhobenen Umständen soll der
rechtliche Beweis hergestellt werden: Ob der Untersuchte der ihm
zur Last gelegten Uebertretung schuldig oder nicht schuldig sei.
Auch kann das Erhobene die Schuld oder Sculdlosigkeit des Un-
tersuchten rechtlich zu beweisen, unzureichend sein.
8 351.
Der rechtlihe Beweis der Schuld ist hergestellt, dafern der
Untersuchte die Uebertretung begangen zu haben entweder gesteht,
oder der begangenen Uebertretung überwiesen wird.
S 352.
Wenn der Untersuchte,
a) vor der Behörde,
b) ohne Drohung oder Mittel,
ce) in einem Zustande, da er seiner Sinne mächtig ist,
4) nicht mit einer bloßen Bejahung, sondern in einer deut-
lichen Aussage der Uebertretung geständig ist, so hat das
Geständniß die Kraft eines rechtlichen Beweises, obgleich
die That selbst nicht bestätigt werden kann.
S 353.
Auch Umstände, welche die Uebertretung erschweren, sind für
rechtlich erwiesen anzusehen, wann der Untersuchte dieselben in
einem auf eben gesagte Art beschaffenen Geständnisse gegen sich
selbst aussagt.
S 354.
Gejteht der Untersuchte zwar die Uebertretung , nicht aber
zugleich die ihm vorgehaltenen Umstände, so ist nur die erste fin
rechtlich bewiesen zu halten, in Ansehung der letzteren aber noch
die Ueberweisung in einer der 8 356 aufgezählten BeweisSarten
nothwendig.
1
- 117 -
8 356.
Ein mit dem 8 352 geforderten Eigenschaften abgelegtes Ge-
ständniß wird durch nachheriges Leugnen oder Wiederrufen, oder
durch Angabe widersprechender Umstände nicht entkräftet, der Un-
tersuchte gäbe denn eine genugthuende Ursache seines falschen Ge-
ständnisses, oder zeigte Umstände an, die nachdem sie wahrhaft be-
funden worden, das abgelegte Geständniß nothwendig zweifelhaft
machen.
8 356.
Leugnet der Untersuchte die Uebertretung, oder die ihm vor-
gehaltenen Umstände, so kann derselbe
a) aus gegen ihn zeugenden eigenen oder andern Urkunden,
b) aus Zusammentreffen der Umstände und
ce) durc< Zeugniß rechtlich überwiesen werden.
8 357.
Zur rechtlichen Ueberweisung aus von dem Untersuchten eigen-
händig ganz geschriebenen oder von ihm unterschriebenen Urkunden
von was immer für einer Art ist erforderlich :
a) daß dem Untersuchten die Urkunde zur Einsicht vorgelegt ;
b) daß derselbe entweder die Hand für die seinige erkenne,
oder die Gewißheit seiner Hand sonst dargethan sei;
-" daß die Urkunde unmittelbar die begangene Uebertretung
selbst anzeige, oder doh solche Umstände, woraus nach ihrer
Eigenschaft und Verbindung auf die von ihm begangene
Uebertretung nothwendig gefolgert werden muß ;
d) daß endlich der Untersuchte darüber keine ihn rechtferti-
gende Erklärung geben könne.
8 358.
Urkunden, die aus Geburts-, Trauungs- oder Todten-Büchern
gezogen, oder von öffentlichen Aemtern oder auch nur von einem
zur Ausstellung solcher Urkunden berechtigten Beamten, unter Amts-
und Dienstpflicht ausgestellt sind, gelten als rechtliche Beweise des-
jenigen, was sie enthalten.
8 359.
Was in den bei dem Verhöre nach Vorschrift geführten Pro-
tofollen sich angemerkt findet, ist stets für rechtlich bewiesen zu
-- 1i8 -
halten. Wenn daher aus den verschiedenen Antworten sol<he Um-
stände hervortreten, deren Verbindung die Uebertretung des Unter-
suchten klar vor Augen legt, so ist verselbe, ob er gleich vie Schuld
leugnet, rechtlich überwiesen.
S 360.
Diejenigen Umstände, die einzeln nach 8 316--320 einen
rechtlichen Verdacht gründen stellen beim Zusammentreffen mehrerer
derselben eine rechtliche "Ueberweisung her, insofern ihre Eigenschaft
und Verbindung einen so unmittelbaren Zusammenhang zwischen
der Uebertretung und dem Untersuchten zeigt, daß dieser, nach ver-
nünftiger Beurtheilung und vem ordentlichen Lauf menschlicher
Handlungen, nicht anders als für ven Thäter gehalten werden kann.
8 361.
Bei der Ueberweisung aus dem Zusammentreffen der Umstände
ist jedoch zu beobachten, daß jeder einzelne Umstand für sich recht-
lich erwiesen sein muß, daß bloß vorübergehende Umstände für sich
allein nicht zureichen, sondern noch wenigstens mit einem Umstande
vereinigt sein müssen, der selbst bleibend, oder an bleibenden Merk-
mahlen erfennbar ist, daß endlich der Untersuchte darüber keine
Erklärung gebe, wodurch die Beweiskraft solcher Umstände ge-
s<wächt wird.
8 362.
Besonders dienen zur. Ueberweisung folgende Umstände, wenn
deren zwei oder mehrere dargethan sind, und der Untersuchte
darüber nicht allen Zweifel zu heben mag:
2a) wann er ein Werkzeug oder sonst etwas hat verfertigen
lassen, was für ihn zu seiner Beschäftigung oder zu seinem
Gewerbe keinen Gebrauch haben, aber zu der Schuld ge-
gebenen Uebertretung dienen konnte;
») wann bei ihm, oder an einem ihm allein zugänglichen Orte
sol<e Werkzeuge, oder
- in seiner Wohnung, an einem von ihm gewählten Ver-
wahrungsorte Gegenstände, die von der Vebertretung her-
rühren, oder was immer für Merkmahle derselben gefun-
den werden ;
--- 2" 1.-=-
d) wann er von der Uebertretung den unmittelbaren Gewinn
oder Vortheil gezogen ;
-) wann er außer gerichtlich Umstände erzählt, die nur einem
solchen bekannt sein können, der die Uebertretung begangen,
oder vo<h daran Theil zenommen hat;
-) wann er bei der Behörde zu seiner Verantwortung einen
oder mehrere Umstände aufführt, deren Falschheit einleuch-
tend ist, oder erhoben wird.
8 363.
Bei ver Ueberweisung durch Zeugniß muß auf die Glaub-
würdigkeit ver Person, die solches abgelegt, und zugleich auf die
Beschaffenheit der Aussage Rücksicht genommen werden.
S 364.
Das Zeugniß eines beeivigten Beamten in Ansehung eines
Gegenstandes, worüber derselbe zur Aufsicht gestellt ist, hat insofern
dasselbe nicht durch irgend einen Umstand zweifelhaft gemacht wird,
volle Glaubwürdigkeit zur Ueberweisung, wann er unter AmtsSseid be-
stätiget, daß er den Untersuchten auf der That betreten und sogleich
ermahnt over verhaftet habe.
8 365.
Zeugnisse von Kunst- oder Gewerbsverständigen haben in so
weit volle Glaubwürdigkeit, als sie auf die Kunst oder das Ge-
werbe des Zeugnißgebenden Beziehung haben.
8 366.
Zur Glaubwürdigkeit eines jeden Zeugen wird erfordert :
a) daß derselbe das achtzehnte Jahr zurücgelegt ;
») feines Verbrechens schuldig erkannt, oder darüber in Un-
tersuchung gezogen, und nur aus Abgang der Beweise ent-
lajsen worden ;
5) mit dem Beschuldigten nicht in Feindschaft lebe;
d) aus der Verurtheilung des Untersuchten keinen Vortheil,
noc< aus der Lossprechung Schaden zu erwarten habe.
8 367.
Die Erfordernisse einer zur Ueberweisung geeigneten Zeugen-
aussage sind:
a) daß sie mündlich vor der Behörde;
b) nach den vorausgegangenen S8 311 vorgeschriebenen Er-
mahnung mit dem Zusate: der Zeuge müsse seine Aus-
sage erforderlichen Falls zu beeidigen, und dem Untersuchten
in das Angesicht zu bestätigen bereit sein;
- in einem Zustande, wo der Aussagende seiner Sinne voll-
kommen mächtig ;
d) ungezwungen und ohne irgend eine Verleitung;
e) von eigenem Wissen und Kenntnisse abgelegt werde ;
f) daß sie nebst einer deutlichen und bestimmten Erzählung
der That oder des Umstandes, wovon sie die Wahrheit be-
stätigen soll;
g) auch die Person des Beschuldigten namentlich dur<- unver-
kennbare Merkmahle bezeichnet enthalte ;
hb) die Glaubwürdigkeit entgegen nicht durch Bedenklichkeiten,
die sich aus dem Inhalte äußern, oder
1) durch einen Widerspruch mit bereits erhobenen Umständen
ges<wächt werde.
3 368.
Zur rechtlichen Ueberweisung bei schweren Polizei-Uebertre-
tungen, wovon keine Merkmahle zurückgelassen sind, werden stets
zwei Zeugen erfordert, deren Ausfsagen die gleichen wesentlichen
Umstände enthalten, und darin vollkommen übereinstimmend sein
müssen.
3 „69.
Auch ein nach 8 366 glaubwürdiger Zeuge, dessen Aussage
die 8 367 vorgeschriebenen Erfordernisse vereinigt, macht die Ueber-
weisung vollständig, nachdem die That rechtlich bestätigt und der
Beschuldigte über einen nach 8 320 ihn beschwerenden Umstand,
eine rechtfertigende Erklärung zu geben, nicht vermögend ist.
8 370.
Unter eben diesen Umständen macht auch die Aussage des-
jenigen, an welchem die VUebertretung begangen, oder der dadurch
beschädigt worden , die Ueberweisung vollständig, wann demselben
aus der Verurtheilung des Beschuldigten weder Genugthuung, noch
sonst ein Vortheil zu Gutem kommt.
197
lie i 4
8 371.
Hält der Zeuge sich in dem Bezirke einer andern Behörde
auf, als woselbst die Untersuchung geführt wird, so ist diese um
Abhörung desselben anzugehen, wo ihr dann die Fragen, welche
an den Zeugen zu stellen, auch um sie in die Kenntniß des Gegen-
standes selbst zu seen, alle Umstände mitzutheilen sind, die nöthig
sein könnten, die Sache nach Beschaffenheit ver von den Zeugen
gegebenen Antworten durch weitere Fragen aufzuklären.
8 372.
Die Aussage der Zeugen, nachdem sie vorgeschriebener Weise
in das Verhörs-Protokoll aufgenommen und unterfertigt worden,
ist vem Verhörten vorzuhalten, und dafern er das gegen ihn Aus-
gesagte in wesentlichen Punkten läugnet, zur Entgegenstellung der
Zeugen zu schreiten.
8 313.
Wenn mehrere Zeugen sind, muß jeder insbesondere vorge-
rufen, und nach abermaliger Erinnerung an die Pflicht, die Wahr-
heit auszusagen, jeder den Untersuchten beschwerende Umstand Punkt
für Punkt vorgenommen werden.
8 374.
Unmittelbar über jeden von den Zeugen bekräftigten Punkt
ist der Untersuchte abzuhören: Ob er der Person des Zeugen oder
der Aussage desselben etwas entgegen zu sezen habe ? Wendet er
nichts Gegründetes ein, so ist auf diese Art die weitere Verneh-
mung über alle Punkte fortzusetzen, und die ganze Verhandlung in
das Verhörs-Protokoll aufzunehmen.
8 375.
Der Untersuchte ist berechtigt, demjenigen wovon die Behörde
zu seiner Ueberweisung rechtlichen Gebrauch macht, alles entgegen zu
stellen, was immer zum Beweise seiner Schuldlosigkeit over zur
Verminderung seiner Schuld dienen, oder zu diesem Zwecke auf
irgend eine Art beitragen kann.
En 4:
V. Hauptstüds.
Von der Aburtheilung.
8 378.
Ueber jede wegen schwerer Polizei - Uebertretungen geführte
Untersuchung muß ein Urtheil ergehen.
8 819.
Eben die Behörde, welche die Untersuchung führt, muß auch
das Urtheil sprechen.
S 380.
Der Schöpfung des Urtheiles sind jeder Zeit zwei verstän-
dige unbescholtene Männer aus der Gemeinde des Untersuchungs-
ortes beizuziehen, und ihnen in Gegenwart des Untersuchten das
in dessen Verhöre aufgenommene Protokoll bedächtlich vorzulesen,
solches auch von denselben mit zu unterschreiben.
S8 381.
Im Allgemeinen soll zum Sprechen des Urtheiles unmittelbar
nach geschlossenen Verhöre, oder wäre dieses nach Beschaffenheit
des Gegenstandes oder anderer wichtiger Hindernisse wegen nicht
thunlich, sogleich in der nächsten Zeit geschritten, die Sitzung aber
bis zur vollendeten Abstimmung nicht unterbrochen werden.
S 382.
Zum Grunde der Berathschlagung liegt das Verhörs-Pro-
tofoll, welches nach seinem ganzen Inhalte sammt den dazu gehö-
rigen Urkunden noch einmal abzulesen, und hiernach die Erwägung
auf folgende drei Fragepunkte zurückzuführen ist:
a) ob rechtlicher Beweis vorhanden sei, daß der Untersuchte
der Uebertretung schuldig ist ?
b) welche erschwerende oder mildernde Umstände dabei ein-
treten ?
0) welche Strafe in "dem Gesetze auf diese Uebertretung unter
diesen Umständen bestimmt sei?
8 383.
Zeder dieser Punkte nach der Reihe ist in genaue Erwägung
zu nehmen, und nach dem Leitfaden derselben das Protokoll zu
führen, in welchem die wesentlichen Gründe über jeden Punkt auf-
geführt werden müssen.
18
- 4... '--
3.5.2
Bewährt sich das Erste, so ist sogleich das Urtheil zu schöpfen ;
der Untersuchte werde der ihm Schuld gegebenen Uebertretung
schuldlos erkennt.
8 387.
Fällt vie Entscheivpung aus, daß der Untersuchte der Ueber-
tretung rechtlich überwiesen ist, so wird zur Erwägung der dabei
eingetretenen ersc<werenden Umstände übergegangen.
8 388.
Auf folgende erschwerende Umstände ist bereits in der Straf-
bestimmung bei verschiedenen einzelnen Uebertretungen zurücgesehen :
a) auf die Fortsezung einer Uebertretung durch längere Zeit ;
b) auf öftere Wiederholung und dieserwegen vorhergegangene
Bestrafung ;
6) auf die Größe der aus ver Uebertretung vorherzusehenden
Gefahr ;
d) auf die Schädlichkeit des wirklichen Erfolges ;
e) auf das Verhältniß zwischen dem Uebertreter und dem durch
die Uebertretung Beschädigten oder Beleidigten ;
f) wenn Jugend, oder andere ehrbare Personen verführt ;
g) verderbliche Beispiele in Familien ;
bh) oder öffentliches Aergerniß veranlaßt worden. Wo diese
Umstände in vem Geseze auch nicht besonders ausSgedrückt
sind, muß darauf dennoch Rücksicht genommen werden.
8 389.
Außer den erwähnten sind noch erschwerende Umstände :
i) wenn die Uebertretung in Vollzug zu seen, mehrere Zeit,
oder Vorbereitung nöthig war, oder größere Hindernisse bei
Seite geschafft werden mußten ;
') wenn der Shuldige der Anführer, oder sonst auf eine Art
der Urheber bei einer von mehreren begangenen Ueber-
tretungen war ;
1) wenn er mehrere Uebertretungen von verschiedener Art be-
gangen;
m) wenn er die Untersuchung durch erdichtete Umstände hin-
zuhalten oder irre zu führen gesucht hat; insbesondere
I*=:
--/ 124 --
n) bei Uebertretungen gegen die öffentliche Sittlichkeit, wenn
der Uebertreter eine Person von Erziehung und mehrerer
Bildung ist.
S 390.
Mildernde Umstände sind nach Verschiedenheit der Ueber-
tretung :
a) ein der Unmündigkeit nahendes Alter, schwächerer Ver-
stand oder' eine sehr vernachlässigte Erziehung ;
b) unbescholtener Wandel vor der Uebertretung ;
*) wenn der Uebertreter von andern verführt ;
d) aus Furcht oder Vorurtheil des Ansehens ;
e) in einer heftigen Gemüthsbewegung ;
f) durch Nothumstände veranlaßt, gehandelt ;
g) wenn er, da es in seiner Gewalt stand, die Uebertretung
zu vollenden, daraus größeren Vortheil zu ziehen, größeren
Schaden zuzufügen, es bei dem Versuche gelassen ;
b) sich nur geringeren Vortheil zugeeignet ;
i) freiwillig von Zufügung eines größeren Schadens ent-
halten ;
k) wenn er den Schaden nach seinen Kräften gut zu machen
gesucht ;
1) wenn er bei dem Verhöre aus eigenem Antriebe Umstände
entdeckt hat, deren Kenutniß in Stand setzte, einen bevor-
stehenden Schaden ganz abzuwenden oder zu vermindern-
8 391.
Die erschwerenden und mildernden Umstände müssen auf eben
die Art, wie die Uebertretüng selbit , durch rechtlichen Beweis be-
stätigt" sein. Daher hat der Richter Alles, was sich auf dieselben
und ihren Beweis bezieht, aus dem aufgenommenen Verhöre aus-
zuheben, und in gleiche Erwägung zu nehmen.
8 392.
Bei Erwägung des dritten Punktes ist dasjenige Gesetz, welches
über die untersuchte Uebertretung verfügt, zu lesen, und demselben
gemäß die Gattung und der Grad der Strafe zu erkennen.
8 393.
Hat der Untersuchte Vebertretungen verschiedener Art be-
gangen; so hat dasjenige Gesetz Anwendung, welches unter diesen
Uebertretungen die höchste Strafe bestimmt.
S 394.
Sonst ist in Beziehung auf die Gattung der Strafe sich die
Vorschrift gegenwärtig zu halten, welche hierüber in dem zweiten
Hauptstü>e des ersten Adschnittes 8 22--26 gegeben wird.
S8 395.
Der Grad der Strafe ist nach den eintretenden erschwerenden
oder mildernden Umständen zu bestimmen, und nach Maß, als die
einen oder die andere Überwiegend sind, auf eine größere oder
kleinere Strafe oder Verschärfung zu erkennen.
8 396.
In jevem Urtheile muß der Vor- und Zuname des Unter-
suchten , die ihm Schuld gegebene Uebertretung nebst Tag und
Stunde der angefangenen Untersuchung und des gefällten Urtheiles
ausgedrüt sein.
8 397.
Dem Strafurtheile ist weiter beizusetzen :
a) wenn der Verurtheilte mehrere Uebertretungen begangen-
oder dieselbe Uebertretung wiederholt, sohin shon ehedem,
und weswegen er bestraft worden , oder, wenn sonst er-
schwerende Umstände ihm zur Last fallen;
b) die Strafart, und nach ihrer Beschaffenheit, der Grad und
die Dauer derselben , mit der etwa hinzukommenden Ver-
schärfung ;
2) endlich die Bestimmung der zu leistenden Genugthunng
oder Entschädigung, daß solchergestalt weder über die Recht-
mäßigkeit ver Strafe, noch sonst bei Vollstre>ung ves Ur-
theiles irgend ein Zweifel übrig bleibt.
8 398.
Wo sich der Ersa, oder die Entschädigung unmittelbar be-
stimmen läßt, ist sogleich diese Bestimmung in das Urtheil aufzu-
nehmen. Wo der Ersatz nicht unmittelbar bestinunt werden kann,
ist in dem Urtheile überhaupt auszudrücen, daß dem Beschädigten
Ersatz oder Entschädigung gebühre, und ihm dessen Bestimmung im
Wege des Rechtes zu suchen , vorbehalten bleibe. Dieser Weg ist
4 I,
auch jedem Theile vorbehalten , der mit der umittelbar erfolgten
Bestimmung des Ersatzes oder ver Entschädigung sich nicht be-
friedigen wollte.
8 3909.
Das ausfallende Urtheil muß sogleich entworfen , wörtlich
vorgelesen, dann in das Protokoll aufgenommen, hieraus auf der
Stelle die Ausfertigung gemacht, und diese sowohl als das Pro-
tofoll selbst von dem Richter, den beigezogenen zwei Beisitzern und
dem Aktuar unterschrieben werden.
8. 408
Urtheile, die keinem weiteren Zuge unterliegen, sind dem
Verurtheilten sogleich ; diejenigen , welche die Bestätigung einer
höheren Behörde fordern, sobald sie herablangen , bekannt zu
machen.
VILL Sauptftüf.
Von Kundmachung und BVollstre>ung des Urtheiles.
8 433.
Urtheile, vie keinem fernern Zuge unterliegen, sollen ordentlich
fkundgemacht, und vollstreckt werden.
8 436.
Ein Urtheil, wodurch der Untersuchte schuldlos erfennet wird,
ist demselben sobald möglich , auch an einem Sonn- oder Feier-
tage bekannt zu machen. Dafern er verhaftet wäre, ist er auf
der Stelle in Freiheit zu seen, und ihm eine gerichtliche Abschrift
des Urtheiles zu behändigen.
S 438.
Die Vollstrefung des Urtheiles, wo kein Rekurs eintritt, oder
wenn derselbe schon erledigt ist, soll im ersten Falle sogleich nach
Verlauf der zur Anmeldung des Rekurses bestimmten Frist; im
zweiten Falle sogleich auf die Kundmachung folgen. Nur wo kör-
perliche Züchtigung zuerkannt wird , muß auf den augenblicklichen
Gesundheitsstand gesehen werden , und die Vollstre>ung bis zur
erfolgten Genesung unterbleiben.
8 439.
Gleiche Vorsicht ist auch bei schwangeren und säugenden Weibs-
19€
personen vamals zu beobachten, wann nach dem Urtheile der Sach-
verständigen von der längeren, oder zuerkannten strengen Arrest-
strafe für die Mutter over den Säugling Nachtheil zu besorgen
wäre.
8 440.
Im Allgemeinen ist ver Ort der Aburtheilung auch der
Ort ver Vollstre>ung. Jedoch wird der Landesstelle überlassen, in
ven Fällen ves 8 434, wofern die Entfernung nicht zu groß ist,
zu verordnen, daß der Verurtheilte an den Ort der begangenen
Uebertretung abgeliefert und daselbst bestraft werde.
8 441.
Ein wegen schwerer Polizei-Uebertretungen verurtheilter Flüch-
tiger fann nie durch Steckbriefe, vurch Beschreibung seiner Person
an die Kreisämter aber nur in folgenden Fällen verfolgt werden :
wegen der im 8 40 unter a), b) und 6) aufgezählten Theilnahme
an geheimen Gesellschaften; wegen Verleitung der Unterthanen
zur Ansiedlung in fremden Ländern, und bei zuerkannter Abschaf-
fung aus sämmtlichen Ländern.
8 4142.
Die zum Arreste Verurtheilten müssen während der Strafe
an einem von den Criminal - Arrestanten durchaus verschiedenen
Orte in Verhaft gehalten ; vorzüglich aber bei unmündigen Sträf-
lingen die Vorsehung getroffen werden, daß sie während ihrer Ver-
haftung stets von solchen Untersuchten oder Sträflingen abgesondert,
bleiben, deren Gemeinschaft mehr an den Sitten derselben zu ver-
derben, als die Bestrafung sie zu bessern fähig wäre.
8 443.
Ist der Arrest auf so lauge Zeit verhängt, daß durch die
Abwesenheit des Sträflings dessen Wirthschaft oder Gewerbe, oder
ver Nahrungsstand der Familie in Verfall gerathen, oder doch
beträchtlichen Nachtheil leiden dürften ; so ist von der Obrigkeit, mit
telst des Gerichtsstandes des Verhafteten die angemessene Vorkehrung
zu treffen, um einen solchen Nachtheil nac< Möglichkeit abzuhalten.
M7
SEE) ===
IX. ZHauptstüs.
Von der Leitung der Gerichtsbarkeit über schwere
Polizei-Uebertretungen und der allgemeinen
Aufsicht darüber.
8 452.
Zur Erleichterung der Leitung und Aufsicht der Gerichts-
barfeit über schwere Polizei - Uebertretung, sind die Akten in einer
besondern Registratur aufzubewahren, welche auf folgende Art ein-
zurichten ist :
1. Sind die Akten eines jeden vorgekommenen Falles in
ein Bündel zu sammeln, das von außen mit einer Num-
bezeihnet wird. Die zu einer Verhandlung gehörigen
Aktenstücke sind mit der Zahl des Bündels und der Zahl,
wornach sie in diesem einzulegen sind, zu bezeichnen.
8 453.
2. Muß ein allgemeines Nachsuchungsprotokoll geführt und
jede Verhandlung unter einer dreifachen Rubrik mit Be-
ziehung auf die Zahl des Bündels eingetragen werden,
nämlich: unter vem Namen des Untersuchten, unter dem
Namen ver Uebertretung, und unter der Benennung des
Ortes, wo die Uebertretung begangen worden.
8 454.
Nebstbei soll in der Registratur eine Jahrestabelle geführt
werden, Fworin die Uebertretungen jeder Gattungunter einer Rubrike
zusammengestellt sind, damit daraus die am meisten in Schwung
gehenden Uebertretungen und der durch Gegeneinanderhaltung mit
der Tabelle des verflossenen Jahres die Ab- und Zunahme der-
selben ersehen werden möge.
8 455.
Nach dem in den 8 292 dieses zweiten Abschnittes bestimmten
Zusammenhange hat die Landesstelle über die politischen Obrig-
keiten der Provinz, die politische Hofstelle über die gesammten
Länderstellen die Aufsicht zu führen.
8 456.
Die Kreis8ämter sind zwar in Beziehung der Gerichtsbarkeit
12:
=. 190 - >
über schwere Polizei-Uebertretungen keine besondere Behörde ; in so
fern dieselben aber nach Vorschrift dieses Gesetzes bei dem Ver-
fahren und ven Urtheilen der politischen Obrigkeiten Einsicht zu
nehmen haben, stehen die lehzteren auch zunächst unter der Auf-
sicht ves KreiSamtes ihres Bezirkes.
8 457.
Diese Aufsicht besteht in der beständigen Aufmerksamkeit , da-
mit die politischen Obrikeiten die ihnen über schwere Polizei-Ueber-
tretungen zugetheilte Gerichtsbarkeit genau nach Vorschrift des
Gesetzes verwalten. Zede unmittelbare höhere Behörde hat bei
Anfrage- über irgend einen Anstand die Belehrung zu ertheilen, die
wahrgenommenen Gebrechen zu verbessern, und die in diesem Amts-
geschäfte sich zeigenden Nachlässigkeiten entweder selbst zu bestrafen
oder in sofern ver Gegenstand höhere Ahndung und Hülfe noth-
wendig macht, darüber weitere Anzeige zu machen.
8 458.
Uebrigens ist bei Bereisungen der Kreis- oder Provinz-Refe-
renten, die Verwaltung dieser Gerichtsbarkeit, als ein wesentlicher,
und eigener Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit zu betrachten , und
dabei vorzüglich die Beschaffenheit der Arreste, die Behandlung der
Sträflinge, die Einrichtung der Registraturen zu untersuchen, über
dasjenige , was sogleich Verbesserung over Abstellung zuläßt , die
Vorkehrung auf der Stelle zu treffen, über andere beobachtete Ge-
brechen aber in dem Berichke 'die Anzeige zu machen.
8 459.
Endlich müssen bei diesen Bereisungen die in dem 8 454
anbefohlenen Tabellen in genaue Uebersicht genommen werden.
Wenn sich daraus das Ueberhandnehmen einer Uebertretung offen-
bart , soll, so viel geschehen kann, der Ursache des Uebels , nicht
weniger auch bei wahrgenommener Abnahme einer sonst herrschen-
den Uebertretung der Ursache einer so heilsamen Veränderung
nachgeforscht und alles in vem Bereisungsberichte umständlich auf-
geführt werden.
Q
Einführungs-Verordnung,
vom 7. November 1859 anläßlich der Recipirung des
österr. Strafgesebes vom Jahre 1852.
Mir Jofiann von Goffes Gnaden souverainer Fürft und Kegierer des
Bauses von und zu Liecsifenstein, Herzog zu Troppau und Jägerndorf,
Graf zu Kietberg, Großkreuz und Ekrenbailli des sowverainen
Jokanniter-Ordens etc. efc-
Um Unserem souverainen Fürstenthume, in welchem bisher
das österr. Strafgesetz über Verbrechen und schwere Polizei-Ueber-
tretungen vom 3. September 1803 in Wirksamkeit steht, die Wohl-
thal einer vollständigen Strafgesebgebung zuzuwenden, haben Wir
das österr. Strafgesezbuch vom 27. Mai 1852 für Unser Fürsten-
thum anzunehmen beschlossen, und verordnen sofort wie folgt:
Artikel 1
Vom 1. Jänner 1860 angefangen hat das österr. Strafgesetz
vom 2". Mai 1852 im Fürstenthum Liechtenstein. als alleinige
Vorschrift für die Bestrafung der darin als Verbrechen, Vergehen
und Uebertretungen bezeichneten strafbaren Handlungen in Gesetzes
fraft zu treten, und es werden hiemit alle Gesetze, Verordnungen
und Gewohnheiten, welche in Beziehung auf die Gegenstände dieses
Strafgesetzes bi8her im Fürstenthume bestanden haben, mit allei-
niger Ausnahme der für das fürstliche Contingent bestehenden
besonderen Strafbestimmungen von eben jenem Tage angefangen
außer Geltung gesetzt.
qx
Artikel I.
Das durch gegenwärtige Verordnung recipirte Strafgesetz hat
in Beziehung auf die darin als Verbrechen, Vergehen und Ueber-
tretungen erflärten strafbaren Handlungen auch dann zur Richt-
schnur zu dienen, wenn jdieselben durch Druckschriften begangen
werden.
„ Die durch ven Inhalt von Drucschriften begangenen strafbaren
Handlungen sind daher nicht als besondere Preßvergehen zu behandeln.
Wo sich das neue Strafgesez des Ausdruckes „Druckschriften
oder Druwerke“" bedient, sind darunter nicht blos Erzeugnisse der
Presse, sondern auch alle dur< Stein, Metall- oder Holzdruck,
Prägung, Abformung oder durch was immer für mechanische oder
<hemische Mittel vervielfältigten Erzeugnisse des Geistes und der
bildenden Kunst (literarische und artistische Werke) zu verstehen.
Artikel Il.
Das Verfahren hat sich hinsichtlich 'der Verbrechen fortan
nach den Borschriften des zweiten Abschnittes des 1. Theiles und
hinfichtlich der Vergehungen und Uebertretungen nach den Anord-
nungen des zweiten Abschnittes des Il. Theiles des Strafgesek-
buches vom 3. September 1803 zu richten mit der weitern Be-
stimmung, daß alle Beschlüsse über die Ablassung von dem weiteren
Verfahren bei Voruntersuchungen hinsichtlich der in den 88 58--66
des Strafgesetzes bezeichneten Verbrechen vor ihrer Ausfertigung
dem Appellations8gerichte zur Bestätigung oder angemessen erschei-
nenden Abänderung vorzulegen sind, und daß die Vorschrift der
88 433, 434 und 442 des I. Theiles des Strafgesetzbuches vom
3. September 1803, wornach die Urtheile der Strafgerichte erster
Instanz in mehreren Fällen auch wegen der Wichtigkeit der straf-
baren Handlung vor ihrer Kundmachung an das Obergericht und
in gewissen Fällen von diesem an den obersten Gerichtshof vorzu-
legen sind , in ersterer Beziehung auf alle in den 88 58--66,
68-72, 76--82, 85 lit. c., 87, :01--104, 106--121, 134
bis 142, 158--170, 190 - 196, 279-300 und 302--305 und
in Beziehung auf die weitere Vorlage an den obersten Gericht8hof
auf die in den 88 58--66, 101--103 und 106--117 des neuen
Strafgesezes bezeichnete Verbrehen und Vergehen Anwendung
finden soll.
139
Artikel IV.
Nach Maßgabe ves neuen Strafgesezes kann vom Tage seiner
Wirksamkeit angefangen nur dasjenige als Verbrechen, Vergehen
oder Uebertretung behandelt und bestraft werden, was in demselben
ausdrücklich als Verbrechen, Vergehen oder Uebertretung ex-
flärt wird.
Artikel V.
Die Behandlung und Bestrafung anderer GesetzeSübertre-
tungen, worauf das neue Strafgesetzbuch keine Beziehung hat,
findet nach den darüber bestehenden besonderen Vorschriften statt.
Artikel VL
Alle im neuen Strafgesetze vorkommenden Geldbeträge sind
in der neuen Währung zu verstehen, und ist daher jede auf eine
Bestimmung dieses Strafgesees Einfluß nehmende Werthserhebung
nach dieser Währung zu berechnen.
Die an Geld, an Waaren, Feilschaften oder Geräthen wegen
Vergehen oder Uebertretungen verwirkte Strafe verfällt jedesmal
dem laudschaftlihen Armenfonde.
Artikel VI.
Alle in vem neuen Strafgesetze vorkommenden Zeitbestimmungen
find nach dem Kalenderjahre zu berechnen.
Artikel VIL
Das neue Strafgesetz soll auf bereits anhängige Untersuchun-
zen und auf alle vor vem 1. Jänner 1860 begangenen strafbaren
Handlungen nur in so fern Anwendung finden, als dieselben durch
das neue Strafgesetz keiner strengeren Behandlung als nach dem
früher bestandenen Rechte unterliegen.
Gegeben zu Wien, am 7. November 1859.
Im Namen Sr. Durchlaucht
Franziska Fürstin von und zu Liechtenstein,
geborne Gräfin Kinsky«.
(L. S.)
Nach Ihrer Durchlaucht höchsteigenem Befehle :
Rudolf 8.-<hansky,
fürstliher Justizrath.
132
YU
Patent
vom 7. November 1859 über das äbgekürzte Straf-
verfahren in geringeren Uebertretungsfällen.
Wir Jokann von Goffes Gnaden souverainer Fürst und Kegierer des
Bauses von: und zu Liechtenstein, Herzog zu Troppau uni Jägerndorf,
Großkreuz und Ekrenbailli des souverainen Jokanniter-Ordens efc. etc-
Zur Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens in
geringeren Vebertretungsfällen verordnen Wir in Anschluß an die
österr. Gesetzgebung wie folgt:
8.4.
Das Verfahren in allen zur politischen Amtshandlung gehöri-
gen, sowie in den nachbenannten im recipirten österr. Strafgesetze
vom Jahre 1852 bezeichneten Uebertretungsfällen ist von dem Re-
gierung8amte mit dem 1. Jänner 1860 angefangen mündlich in der
Art zu pflegen, daß nur die wesentlichen Punkte der Verhandlung
in ein nach dem beigeschlossenen Formulare zu führendes Strafre-
gister eingetragen werden.
Die Uebertretungen zweiter Kategorie sind folgende :
1. Absichtlihe Verschweigung der Mitglieder einer erlaubten
Gesellschaft von Seite des Vorstehers derselben (8 299).
2. Vorschubleistung in Beziehung auf die hier aufgeführten
Uebertretungen (8 307).
3. Verlezung von Patenten und Verordnungen (8 315).
4. Beschädigung der öffentlichen Beleuchtungsanstalten (8 317).
r3. Beschädigung von Brüden, Schleußen, Dämmen 2c., sowie
der im 8 85 lit. 6 des Strafgesezes erwähnten Gegenstände (8 318).
- ) --
6. Beschädigung aufgestellter Warnungszeichen (8 319).
7. Nebst den Uebertretungen der Meldungsvorschriften (8 320
lit. a bis d); auch noc<h die übrigen im 8 320 lit. e, fk und g be-
zeichneten Uebertretungen.
8. Aufnahme von Gesellen ohne Wanderbuch (Kundschaft) von
Seite der Gewerbsleute (8 321).
9. Rückkehr eines Verwiesenen oder eines aus dem Fürsten-
thume oder einem Orte desselben Abgeschaften (88 323 und 324).
10. Unbefugtes Halten eines Preß- oder Stoßwerkes oder
einer Winkelpresse, -- unbefugte Verfertigung solcher Werke, --
unbefugte Verfertigung oder Gebrauch von Punzen, Stempeln oder
Modellen zu Nachbildungen von Münzen und unbefugte Verferti-
gung ämtlicher Siegel (88 326 bis 330).
11. Anmaßung des Charakters eines öffentlichen Beamten
oder Dieners ' ohne betrügerische Absicht und unbefugtes Tragen
von Ordenszeichen oder anderen Ehrendekorationen (88 333 und 334).
12. Die Uebertretung des Verbotes an gefährlichen Stellen
zu baden, auf dem Eise zu schleifen oder. die Eisdecke zu betreten
(8 338).
13. Unbefugte AusSübung der Arznei- over Wundarzneikunst
als Gewerbe (88 343 und 544).
14. Verkauf verbotener Arzneimittel (8 345 bis 348).
15. Falsche oder- schlechte Bereitung und Verwechslung der
Arzneien in den Apotheken (88 349 bis 353).
16. Unberechtigter Verkauf innerer oder äußerlicher Heil-
mittel (88 354 und 355).
17. Nichtanzeige „verdächtiger Todesfälle oder Krankheiten von
Seite des ärztlichen Personals (8 359).
18. Unbefugter Handel mit Gift, Unvorsichtigkeit bei vem
Giftverkaufe, Verabfolgung von Gift ohne die vorgeschriebene Be-
willigung, unterlassene Führung des Vormerkbuches über den Gift-
verkauf. Nachlässigkeit bei. Aufbewahrung und Absonderung des
Giftes, vorschriftswidrige Verwahrung oder Versendung desselben
und Berkauf unbekannter Materialwaaren (88 361 bis 368, 370
und 371).
19. Berfertigung und Ausbesserung verdächtiger Waffen, un-
13(
-» 1 *? --
terlassene Verwahrung geladener Gewehre und unvorsichtige Ab-
drüfung eines Gewehres (8 372 bis 374).
20. Unrichtige Anzeige der Zeit des Todes bei der Todten-
besichtigung (8 375).
21. Verheimlichung einer ansteckenden Krankheit von Seite
der Amme (8 379).
22. Unterlassung der Aufstellung ver vorgeschriebenen War-
nungszeichen bei einem Baue oder der Anzeige des zu besorgenden
Einsturzes eines Gebäudes (88 380, 381 und 382).
23. Fahrlässigkeit ver- Baumeister, denen ein Gerüst over Bau
einstürzt (8 383).
€). Zu frühes Beziehen neugebauter Häuser und Gewölbe
(8 386).
25. Unterlassene Anzeige eines mit der Wuth behafteten
Thieres, unbefugtes Halten schädlicher Thiere, Vernachlässigung der
Verwahrung eines mit Erlaubniß gehaltenen wilden Thieres oder
böSartiger Hausthiere, Anheten oder Reizen der Thiere (88 387
bis 392.
26. Vebertretungen ver Sanitätsvorschriften (88 394-397).
27. Verunreinigung der Brunnen, Cisternen u. s. f. (8 398).
28. Verkauf des Fleisches von nicht nach Vorschrift beschautem
Viehe (8 399).
25. Uebertretung der gegen Viehseuchen gegebenen Vorschriften
(88 400--402).
30. Verfälschung von Getränken auf eine der Gesundheit
schädliche 'Art (88 403--405).
31. Fälschung des Zinngeschirres (8 406).
32. Gesundheitsschävliche Zubereitung over Aufbewahrung zum
Genusse bestimmter Waaren (88 407 und 408).
33. Selbstverstümmelung, um fich dem Militärstande zu ent-
ziehen (8 409--410.)
34. Vorsätzliche und bei Raufhändeln vorkommende körper-
liche Beschädigungen (88 411-412).
35. Die Mißhandluugen der Dienstboten oder Lehrlingen
durch die Gesindehalter und Lehrherren (8 421).
36. Verstellung der Straßen zur Nachtzeit durch Wagen,
Fässer u. dgl., over unterlassene Aufstellung der vorgeschriebeneu
Wahrnungszeichen bei denselben (88 422-425).
37. Das Herabfallen leicht schadenbringender Gegenstände aus
Fenstern und die Unterlassung der Befestigung der dahin gestellten
oder gehängten Gegenständen (8 426.)
38. Sc<nelles und unbehutsames Reiten oder Fahren, und
Stehenlassen bespannter Wagen oder Pferde im Freien, ohne Auf-
sicht (88 427--430).
39. Der körperlichen Sicherheit gefährliche Handlungen und
Unterlassungen überhaupt. (88 431-433).
40. Alle Uebertretungen der zur Abwendung der Feuersgefahr
bestehenden Vorschriften (88 434--459).
41. Diebstähle, Veruntreuungen und Betrügereien, insoweit diese
Handlungen nach Vorschrift der 88 460-466 des Strafgesetzes
nur als Uebertretungen und nicht als Verbrechen erscheinen.
42. Uebertretung der boShaften Beschädigung fremden Eigen-
thumes (8 468).
43. Unterlassung der vorgeschriebenen Vorschriften bei Ver-
fertigung , Aufbewahrung oder Hintangabe von Hauptschlüsseln,
Dietrichen u. dgl. von Seite der Schlosser und anderer Gewerbs-
leute (88 469 und 470).
44. Ankauf verdächtiger Waaren und Unterlassung der bei
Anboten verschiedener Waaren zum Kaufe vorgeschriebenen Vor-
sichten (88 471-473).
45. Uebervortheilungen durch Uebertretung der Satzungen und
Tagesordnungen (8 478).
46. Oeffentliche Beschimpfungen over Mißhandlungen (8 496).
41. Vorwürfe über eine ausgestandene oder erlassene Strafe.
(8 497.)
48. Aufde>ung der Geheimnisse der Kranken von Seite der
Heil- und Wundärzte, Apotheker u. dgl. (498 und 499).
4). Gewerbsmäßiger Betrieb der 'Unzucht (88 509--511).
59. Uebertretung der Kuppelei (88 512-514).
54. Unterschleif zur Unzucht von Seite der Gast- und Sc<anf-
wirthe oder ihrer Dienstleute (8 515).
132?
52. Gröbliche und ein öffentliches Aergerniß verursachende
Verletzungen ver Sittlichkeit oder Schamhaftigkeit (8 516.)
Alle Uebertretungen , welche durch das Betteln, sowie durch
Verwendung oder Herleihung der Kinder zum Betteln von Seite
ver Eltern begangen werden (88 517-521).
54. Verbotene Spiele (8 522).
55. Eingealterte Trunkenheit (8 524).
56. Die im 8 525 des Strafgesetzes erwähnten Uebertretungen
gegen die öffentliche Sittlichkeit ; endlich
57. Alle Uebertretungen der in ven bestehenden besonderen
Vorschriften enthaltenen Verbote in Beziehung auf die Erzeugung,
ven Verkehr, ven Besiß , Gebrauch und das Tragen von Waffen,
insoweit dieselben nicht als Vergehen erklärt sind.
8.2.
Das Strafregister hat aus einzelnen nicht zusammengehefteten
Bögen zu bestehen, welche in besondere am Ende eines jeden Jahres
abzuschließende Faszikel zusammengelegt werden.
Ueber die im Strafregister vorkommenden Beschuldigten ist
ein alphabetisches Namensverzeichniß mit Berufung auf die fort-
laufende Zahl ves Registers anzufertigen und jährlich abzuschließen.
8 3.
Die zur Verhandlung kommenden Uebertretungen sind nach
fortlaufenden Zahlen (1. Formular) in das Register einzutragen.
Unter einer und derselben Zahl- darf nur ein Straffall ab-
geführt werden, wobei es aber gleichviel ist, ob an vemselben nur
Ein Individuum oder mehrere Personen betheiligt sind. Rur in
vem Falle, wenn dasselbe Indivivuum gleichzeitig mehrerer Ueber-
tretungen beschuldigt wurde, ist vie Verhandlung über alle Ueber-
tretungen unter Einer und verselben Zahl abzuführen.
34
Was in das Strafregister aufzunehmen ist, zeigen die Ueber-
schriften ver einzelnen Rubriken. In der fünften Rubrik sind nur
die wesentlichsten Momente aus der Aussage des Beschuldigten
anzuführen. Gesteht derselbe die ihm zur Last gelegte Uebertretung
(ZE
.- WiA)
ein, so“ istyin 'diese Rubrik bloß einzuschreiben » ',, Eingestanden.“
In die sechste Rubrik sind die entscheidenden Punkte aus den Aus-
sagen der Zeugen und Sachverständigen unter Anführung der Vor-
und Zunamen, des Alters, Standes, Gewerbes oder Beschäftigung
und des Aufenthaltsortes derselben kurz und bündig einzustellen.
In die achte Rubrik ist nicht etwa ein förmliches Erkenntniß
aufzunehmen , sondern es- ist daselbst nur: die zuerkannte.-Strafe
unter Bezeichnung der übertretenen Vorschrift anzumerken, wie
z. B. „fünf Gulden nach 8 321 - des Il. Theiles des St.-G.-B.
vom :27. Mai 1852“, oder bei erfolgter Lossprechung von der
angeschuldeten strafbaren Handlung das Wort „losgesprochen“ ein-
zutragen.
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19h: lag; 230 39230196) 'quvIS
*291113 “7uwung - aun -20%
+ 16v8 aquolnvyzao8
Sollte bei besonders verwickelten Fällen eine ausführlichere
Aufnahme nothwendig sein, so kann ausnahmsweise das Protokol-
(arverfahren in Anwendung gebracht werden ; es hat sich jedoch
dasselbe jedenfalls nur auf die Erhebung der wesentlichen Umstände
zu beschränken. Uebrigens müssen auch in diesen Fällen die zur
Verhandlung kommenden Ueber*retungen in dem Strafregister ersicht-
lich gemacht, und daher gleich bei Einleitung des Verfahrens die
vier ersten Rubriken desselben, und nach geschlossenem Berfahren
die Rubriken VII, Vll, IX und X ausgefüllt werden, so daß
also bei Einleitung eines Protokollarverfahrens nur die beiden
Rubrifen V und VI außer Anwendung kommen. In der Rubrik
KI1 ist anzumerken, daß das Protokollarverfahren eingeleitet wurde.
Insoweit durch die gegenwärtige Vorschrift keine abweichenden Be-
stimmungen angeordnet werden, find bei dem Verfahren über die
im 8 1 unter 1) bis 57) angeführten Uebertretungen die Vor-
schriften ves Abschnittes 11 des 11. Theiles des St.-G.-B. vom
3. September 1803 in Anwendung zu bringen.
Bei ver rechtlichen Beuctheilung und Bestimmung der Strafen
dieser Uebertretungen ist das allgemeine Strafgesetz vom 27. Mai
1852 zu beobachten.
Das Untersuchung8amt hat fich gegenwärtig zu halten, daß
in der Beschleunigung des Verfahrens die Grundbedingung für
die. Aufrechthaltung des Ansehens des verletzten Gesetzes und der
Wirksamkeit der verhängten Strafe liege.
Es müssen daher alle zur Sache nicht wesentlich gehörigen
Erhebungen und Vernehmungen vermieden werden, und es ist dahin
zu trachten, daß das Verfahren mit - einer einzigen Verhandlung
beendigt und sogleih am Schlusse derselben das Erkenntniß den
Beschuldigten verkündigt werde, was nach der Natur der Ueber-
tretungen in der Regel leicht ausführbar ist. Jede nicht durch
besondere Umstände gerechtfertigte Verzögerung ist an vem schuld-
tragenden Beamten angemessen zu ahnden.
>
4,"
(87 €
.- WW o-=
8 7:
Zur Verhandlung in den Uebertretungsfällen ist weder die
Beiziehung eines Protokollführers, noch die Anwesenheit von Bei-
sizern erforderlich.
8 L.
Nach Beendigung der Strafverhandlung ist ven hiebei Be-
theiligten auf Verlangen statt des Urtheiles ein Auszug aus den
Rubrifen 11, IV, VI, VII, VII und IX auszuhändigen.
8 9.
Die Berufung kann von den nach 8 415 des IL Theiles des
St.-G.-B. vom 3. September 1803 hiezu berechtigten Personen
mit aufschiebender Wirkung gegen das Erkenntniß des Regierungs-
amtes an die fürstliche Hofkanzlei ergriffen werden.
Die Berufung muß längstens binnen 24 Stunden nach der
Bekanntmachung des Erkenntnisses bei dem Regierungsamte münd-
lich oder schriftlich angemeldet, und längstens innerhalb weiterer
drei Tage ebendaselbst überreicht oder mündlich zu Protokoll ge-
geben werden.
Ein verspäteter Rekurs ist ohne Ertheilung eines Bescheides
lediglich zu den Akten zu legen und das Erkenntniß zu vollziehen.
8 10.
In Rekursfällen ist ver fürstlichen Hofkanzlei der bezügliche
Bogen ves Strafregister8 im Original mit den etwaigen dazu ge-
hörigen Akten vorzulegen.
811.
Durch die gegenwärtige Bcrordnung werden alle biSher bestan-
denen Vorschriften , welche sich auf die Gegenstände derselben be-
ziehen, außer Wirksamkeit geseßt.
Wien, am 7. November 1859.
Im Namen Sr. Durchlaucht
Franziska Fürstin von und zu Liechtenstein
geborne Gräfin Kinsky.
iL. 8.)
Nach Ihrer Durchlaucht höchsteigenem Befehle :
Franz Strafk,
fürstlicher Rath.
Kaiserlich österreichisches Patent
vom 6. Juli 1833 bezüglich ver Abänderung des 5 412
des Strafgesezbuches vom I. 1803 über den Beweis
aus vem Zusammentreffen derUmstände (Anzeigungen).
<Q.
Patent vom 6. Juli 1833.
Bei Anwendung der in vem 8 412 des ersten Theils des
Strafgesezbuches enthaltenen Vorschriften über ven Beweis aus
vem Zusammentreffen ver Umstände (Anzeigungen) haben sich
Schwierigkeiten ergeben. Wir haben Uns daher bestimmt gefunden,
in Beziehung auf die nach Kundmachung dieses Gesetzes einzulei-
tenden Criminal-Untersuchungen diesen Paragraph aufzuheben, und
an dessen Stelle folgendes festzusetzen :
81
Ein die That läugnender Untersuchter kann nur dann vurch
das Zusammentreffen der Anzeigungen für rechtlich überwiesen ge-
halten werden, wenn folgende drei Bedingungen zugleich eintreten:
I. Es muß vie That mit den Umständen, die sie zum Verbre-
<hen eignen, vollständig bewiesen sein.
11. Es müssen gegen den Beschuldigten die in den folgenden
Paragraphen bezeichneten Anzeigungen in ver daselbst festge-
sezten Zahl zusammen treffen.
1:1. Aus der Verbindung der durch die Untersuchung erhobenen
Anzeigungen, Umstände und Verhältnisse muß sich eine so
nahe und deutliche Beziehung der That auf die Person des
Beschuldigten ergeben, daß nach vem natürlichen und gewöhn-
lichen Gange der Ereignisse nicht angenommen werden kann,
es habe ein Anderer als der Beschuldigte die That, begangen.
- 146 -
Allen over doh mehreren Verbrechen gemeinschaftliche Anzei-
gungen sind:
wenn der Beschuldigte um die Zeit ver Verübung der
That eben vasselbe Werkzeug over Mittel besessen hat,
womit vas Verbrechen begangen worden ist; oder wenn er
zur Ausführung des Verbrechens dienliche Werkzeuge oder
Mittel, die ihm nach seinem Berufe oder nach seiner Be-
schäftigung überflüssig und bei Leuten seines Standes un-
gewöhnlich sind, verfertigt, angeschafft oder zu erhalten ge-
sucht hat; oder wenn bei ihm oder in seiner Wohnung
oder an einem anderen von ihm gewählten Aufbewahrungsorte
solche Werkzeuge oder Mittel gefunden werden ;
wenn der Beschuldigte einen Andern zur Verübung des
Verbrechens zu verleiten gesucht hat; over wenn er über
die Mittel ver Ausführung Rath und Erkundigung einge-
holt hat;
> wenn er die Absicht, das Verbrechen zu begehen, durch
vorausgegangene Drohungen over vurc<h schriftliche oder
mündliche Aeußerungen bestimmt zu erkennen gegeben hat ;
wenn der Beschuldigte in Gestalt, Waffen, Kleidung oder
nach andern besondern Kennzeichen genau so erscheint, wie
der Thäter von demjenigen, an dem das Verbrechen ver-
verübt worden ist, oder von einem Zeugen beschrieben wird.
Wenn der Beschuldigte Versuche, die sich auf das Ver-
brechen beziehen , gemacht, oder sich in Handlungen solcher
Art geübt hat.
Wenn der Beschuldigte an dem Orte des Verbrechens zu
der Zeit als es verübt wurde, gegenwärtig war; oder wenn
daselbst eine Sache angetroffen wird, welche derselbe um
die Zeit ver Verübung des Verbrechens besessen hat, ohne
daß in diesen beiden Fällen eine ander Ursache davon mit
Wahrscheinlichkeit hervorgeht ; over wenn er sich an dem
Orte des Verbrechens oder in dessen Nähe kurz vor oder
nac< der That vermummt. lauernd oder verste>t befunden
hat ; oder wenn er andiesem Orte und zu dieser Zeit in
Handlungen, die sich füglih nicht anders als durch das
- 147 -
Vorhaben oder. die wirkliche Verübung des Verbrechens
erklären lassen, begriffen war ;
wenn bei vem Beschuldigten, oder in seiner Wohnung,
oder an einem andern von ihm gewählten Aufbewahrungs-
orte Sachen, die der Beschädigte zur Zeit ver an ihm
verübten That besessen hat, oder Gegenstände des Ver-
brechens gefunden werden ;
wenn an ver Person oder an den Kleidungsstü>en des
Beschuldigten over an anderen ihm gehörigen over bei ihm
angetroffenen Sachen Merkmale des Verbrechens oder
der Verübung desselben over der vabei eingetretenen Gewalt
entdeckt werden ;
wenn der Beschuldigte nach der Zeit des begangenen
Verbrechens ohne andere glaubwürdige Veranlassung ent-
flohen ist, over sich verborgen gehalten hat;
10. wenn er Spuren des Verbrechens entfernt, unterdrückt oder
vertilgt hat, oder dieselben zu entfernen, zu unterdrücken
oder zu vertilgen over auf eine andere Art der obrigkeit-
lichen Nachforschung vorzubeugen bemüht gewesen ist.
8 3.
Besondere aus der eigenthümlichen Beschaffenheit einzelner
Verbrechen entstehende Anzeigungen sind:
- Bei vem Hochverrath, Aufstand oder Aufruhr.
Briefwechsel verdächtigen Inhalts oder verdächtige geheime
Zusammenkünfte mit einer Person, gegen welche ein solches
Verbrechen erwiesen, over welche vesselben rechtlich be-
inzichtigt ist, over welche zu einer von der öffentlichen
Verwaltung für staatsgefährlich erklärten Partei gehört
over Annahme geheimer aus anderer Absicht füglich nicht
erklärbarer Geschenke von einer solchen Person.
2. Auf geheimen Wege in größerer Menge angeschaffte Waffen
oder zu deren Gebrauche dienliche Erfordernisse.
B. Bei ven Verbrechen des Kindesmordes , der Weglegung
eines Kindes over der Abtreibung der Leibesfrucht entsteht
eine besondere Anzeigung aus den nach dem Ausspruche der
- 148 --
Kunstverständigen bei ver Beschuldigten entdeckten sicheren
Merkmalen oder aus dem rechtlihen Beweise einer kurz
vorhergegangenen Geburt oder Fehlgeburt, wenn ihre Leibes-
frucht vermißt wird.
- . Bei Verbrechen die aus Gewinnsucht entstehen , sind be-
sondere Anzeigungen :
Wenn der Beschuldigte, nachdem das Verbrechen begangen
worden ist, einen sein Vermögen offenbar übersteigenden
Aufwand gemacht hat.
Wenn er Sachen, die den Gegenständen des Verbrechens
gleihen und deren Werth oder Beschaffenheit seinen Ver-
hältnissen nicht angemessen ist, heimlich oder auf verdächtige
Weise oder weit unter dem wahren Werthe veräußert oder
zu veräußern gesucht hat, oder wenn die bei dem Beschul-
digten vorgefundenen oder von ihm ausgegebenen Geld-
oder Münz-Sorten in ver Menge und Beschaffenheit mit
denjenigen, welche der Gegenstand des Verbrechens waren
so auffallend übereinstimmen, daß sie mit Wahrscheinlichkeit
für eben dieselben gehalten werden können.
8 4.
Als Anzeigungen sind ferner anzusehen:
l. Ein freiwilliges mit ven im 8 399 lit. b, ec, d, e, des
ersten Theiles des Strafgesezbuches angegebenen Eigen-
schaften versehenes außergerichtliches mündliches oder schrift-
liches Geständniß.
Die mit allen Erfordernissen des 8 403 des ersten Theiles
des Strafgesezbuches versehene Aussage Eines Zeugen,
wenn sie fich unmittelbar auf die Verübung des BVer-
brehens durch den Beschuldigten bezieht und der Zeuge
zur Zeit der That das vierzehnte Jahr zurück gelegt hatte.
Die ebenso beschaffene unbeschworene Aussage zweier Zeugen,
welche zur Zeit der Verübung ves Verbrechens auch nur
das zehnte Jahr zurückgelegt hatten, wenn sie darum nicht
beeidigt worden sind, weil sie zur Zeit ihrer Abhörung
das 14 Jahr noch nicht zurückgelegt hatten oder weil sie
-- 149
sich zu dieser Zeit wegen eines Verbrechens in der Unter-
suchung oder in der Strafe befunden haben.
Die von vem Beschädigten, »der vor seinem Ableben nicht
mehr gerichtlich ver nommen oder beeivigt werden konnte,
bei herannahendem Tode abgegebene Aeußerung, welche den
von ihm deutlich erkannten Beschuldigten als Thäter be-
stimmt bezeichnet .
-. Die mit den Erfordernissen des 8 410 des ersten Theiles
ves Strafgesezbuches versehene Aussage Eines Mitschul-
digen.
3 Die eben so beschaffene Aussage mehrerer Mitschuldigen,
bei denen vie Bestätigung nach Ankündigung des Urtheiles
nicht Statt finden konnte.
8 5.
Zum rechtlichen Beweise aus dem Zusammentreffen der An-
zeigungen sind, insofern auch die übrigen im 8 1. festgesetzten Be-
dingungen eintreten , drei der in den vorhergehenden 88 2, 3, 4
bestimmten und in jedem Paragraphe durch eigene Zahlen abge-
sonderten Anzeigungen erforderlich.
Treffen mehrere unter derselben Zahl in einem Paragraphe
vorkommende Anzeigungen ein, so sind sie nur für Eine zu rechnen.
Veberhaupt kann ein einzelner Thatumstand immer nur ein-
mal in Anschlag gebracht werden und nie in verschiedenen Be?
ziehungen aufgefaßt mehrere Anzeigungen bilden.
<
Jedoch sind auch zwei der in den 88 2, 3, 4, bezeichneten
Anzeigungen unter den Bestimmungen des 8 5 zum rechtlichen
Beweise hinreichend, wenn aus der Untersuchung, unabhängig von
ven erwähnten Anzeigungen mit Rüficht auf ven Ruf , die Ver-
hältnisse , ven Lebens8wandel oder die Gemüthsbeschaffenheit des
Beschuldigten, für ihn ein besonderer Beweggrund oder eine Ge-
neigtheit vesselben zur Verübung des ihm anges<huldeten oder
eines auf ähnlicher Triebfeder beruhenden Verbrechens klar her-
vorgeht, als zum Beispiele :
a) Wenn derselbe wegen eines früheren auf ähnlicher Trieh-
feder beruhenden Verbrechens oder einer solh<en schweren
Polizei-Uebertretung entweder schon früher von der Behörde
in Untersuchung gezogen und durch das darüber erfolgte
Urtheil nicht für schuldlos erflärt worden ist oder in der
gegenwärtigen Untersuchung für schuldig erkannt wird.
Wenn er mit einer oder mehreren Personen , vie ihm als
Verbrecher bekannt sind, vertrauten und verdächtigen Um-
gang gehabt hat.
- Bei Verbrechen aus Gewinnsucht, wenn er sich über keinen
ehrbaren Nahrungsweg auszuweisen vermag.
8.1.
' Zwei der in den 88 2, 3, 4 bezeichneten Anzeigungen sind
unter den Bestimmungen des 8 5 auch in dem Falle zum recht-
lichen Beweise hinreichend, wenn das Gegentheil dessen, was
der Beschuldigte zur Entkräftung der gegen ihn vorhandenen An-
zeigungen angebracht hat, rechtlich bewiesen, mithin seine Verant-
wortung offenbar falsch ist.
8 8.
Die in den 88 2, 3, 4 bezeichneten Anzeigungen , sowie die
in dem 8 26 erwähnten Umstände müssen für sich rechtlich be-
wiesen sein und weder durch die Verantwortung ves Beschul-
digten noch durch entgegenstehende Anzeigungen oder andere Ver-
hältnisse, welche für die Schuldlosigkeit des Beschuldigten sprechen,
und von dem Richter uach der Bestimmung ves 8 414 des ersten
Theiles des Strafgesezbuches sorgfältig zu würdigen sind, entkräftei
werden oder ihre Wichtigkeit verlieren
8 9.
Außer dem 8 412 wird durch gegenwärtiges Geses an den
übrigen Bestimmungen des ersten Theils des Strafgesetzbuches
nichts geändert.
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Druck der Wagner'schen Universitäts-Buchdruckerei in Junsbrut.