LIECHTENSTEIN
POLITISCHE SCHRIFTEN
Band 57
15 (SI AS
Die liechtensteinische
Staatsordnung
Verfassungsgeschichtliche Grundlagen
und oberste Organe
‘Verlag der Liechtensteinischen Akademischen Gesellschaft
Liechtenstein
Politische Schriften
BAND 57
Herbert Wille
Die liechtensteinische
Staatsordnung
Verfassungsgeschichtliche Grundlagen
und oberste Organe
Verlag der Liechtensteinischen Akademischen Gesellschaft
Die Publikation dieses Buches wurde finanziell unterstützt von:
—- Advocatur Seeger, Frick & Partner, Schaan
— Sele, Frommelt & Partner AG, Rechtsanwälte, Vaduz
— Stiftung Fürstl. Kommerzienrat Guido Feger, Vaduz
— Walch & Schurti, Rechtsanwälte, Vaduz
sowie von weiteren Spendern, die nicht namentlich genannt werden
möchten.
Der Verlag und der Autor danken allen Spendern für die grosszügige
Unterstützung.
© 2015 Verlag der Liechtensteinischen Akademischen Gesellschaft
FL-9494 Schaan, Postfach 829
ISBN 978-3-7211-1095-1
Satz: Atelier Silvia Ruppen, Vaduz
Druck: BVD Druck+Verlag AG, 9494 Schaan
Bindung: Buchbinderei Thöny AG, 9490 Vaduz
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio-
nalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de
abrufbar.
Vorwort
Dieses Buch enthält eine systematische Darstellung des liechtensteini-
schen Staatsrechts, wobei die Verfassungsgeschichte, die die Entwick-
lung zum Verfassungsstaat nachzeichnet, und das Organisationsrecht,
das sich mit den obersten Organen befasst, im Mittelpunkt stehen. Um
den spezifischen Charakter der liechtensteinischen Staats- und Verfas-
sungsordnung erfassen und beschreiben zu können, war es notwendig,
den historischen Bezug herzustellen, um den ich mich durchgängig be-
müht habe.
Das Manuskript ist im August 2014 abgeschlossen worden. Litera-
tur, Gesetzgebung und Rechtsprechung sind bis zu diesem Zeitpunkt, im
Einzelfall auch darüber hinaus, berücksichtigt worden.
Bei der Arbeit an diesem Buch habe ich vielfältige Unterstützung
erfahren. Ich danke Herrn Dr. iur. Hugo Vogt und Herrn Dr. iur. Tobias
Michael Wille für die kritische Durchsicht des Manuskripts und für
zahlreiche weiterführende Hinweise und Anregungen. Ebenso zu Dank
verpflichtet bin ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Liech-
tenstein-Instituts und des Liechtensteinischen Landesarchivs sowie des
Parlamentsdienstes, die mir in verschiedenster Weise behilflich gewesen
sind. Dies gilt insbesondere für die Historiker PD Dr. phil. Peter Geiger
und Dr. phil. Rupert Quaderer, die ich immer wieder konsultieren
konnte. Sie machten mich auf einschlägige Quellentexte aufmerksam
und stellten sie mir bereitwillig zur Verfügung.
Eine grosse Hilfe waren mir auch Frau Ruth Allgäuer, Verwal-
tungsassistentin des Liechtenstein-Instituts, die mich mit gewohnter
Umsicht und Sachkunde bei der technischen Herstellung des Manu-
skripts und der Bereinigung der Druckvorlage unterstützt, sowie meine
Frau Madeleine, die sich korrekturlesend mit grosser Sorgfalt zu wie-
derholten Malen mit der Arbeit beschäftigt hat.
Ein ganz besonderer Dank geht an Prof. Dr. rer. publ. Andreas Kley,
Zürich, für die wohlwollende Begutachtung und seine stete Gesprächs-
und Hilfsbereitschaft, die von einem regen thematischen Interesse
zeugen.
Zu danken habe ich auch Herrn Norbert Jansen, dem Leiter des
LAG-Verlags, und Frau Silvia Ruppen vom Atelier Ruppen für die ziel-
orientierte und sorgfältige Betreuung des Werkes bei dessen drucktech-
nischer Herstellung und Herausgabe.
Nicht zuletzt gebührt mein Dank dem Liechtenstein-Institut
und seinen verantwortlichen Organen für die vertrauensvolle Zusam-
menarbeit.
Das hier vorgelegte Buch habe ich als Forschungsprojekt des
Liechtenstein-Instituts verfasst.
Herbert Wille
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Gegenstand des Buches
II. Aufbau der Arbeit
III. Art der Darstellung
IV. Thematik und Fragestellungen
1. TEIL
VERFASSUNGSGESCHICHTLICHE
GRUNDLAGEN
1. KAPITEL
VOM ABSOLUTEN ZUM KONSTITUTIONELL-
MONARCHISCHEN STAAT
1. Abschnitt
Spätabsolutistische Verfassungsphase
$1 Dienstinstruktionen vom 7. Oktober 1808
I. Neue Rechtslage
II. Zentralisierung der Verwaltung
III. Absolutistisches Herrschaftskonzept
IV. Normativer Unterbau
V. Staatspolitische Tragweite
$2 Landständische Verfassung von 1818
I. Ausgangslage
II. Landesfürst und ständische Vertretung
III. Staatsrechtliche Einordnung
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$ 10
$ 11
Abschnitt
Konstitutionelle Verfassungsbewegung
Politische Situation
I. Forderungen der Märzausschüsse
II. Monarchische Konzessionen
Verfassungsentwürfe und -projekte von 1848
I. Verfassungsentwurf von Peter Kaiser
II. Verfassungsentwurf des Verfassungsrates
Übergangsphase
I. Konstitutionelle Übergangsbestimmungen
II. Reaktionserlass
Verständigung in der Verfassungsfrage
I. Weitere Verfassungsschritte
II. Einigung mit dem Fürsten
III. Zusammenfassung und Ergebnis
Abschnitt
Monarchischer Konstitutionalismus
Begriff des Konstitutionalismus
I. Inhalt
II. Erscheinungsformen
III. Systemfrage
Konstitutionelle Verfassung von 1862
I. Verfassungsstruktur
II. Oktroyierte oder paktierte Verfassung
Der Landesfürst als Staatsoberhaupt
I. Träger der Staatsgewalt
II. Kompetenzbereiche
Der Landtag als Volks- und «Landesvertretung»
I. Allgemeines
II. Geschäftsbereiche
III. Rechtsstellung der Mitglieder des Landtages
IV. Wahl zum Landtag
V. Verhältnis zum Landesfürsten
VI. Stand der Verfassungsentwicklung
Landesfürst und Regierung
I. Fürstliche Regierung — Regierung des Fürsten
II. Verordnungsrecht des Fürsten und seiner Regierung
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III. Exekutiv- und Legislativgewalt im verfassungs-
rechtlichen Vergleich
$ 12 Landesfürst und Gerichtsbarkeit
I. Justizhoheit des Landesfürsten
II. Organisation der «Justizpflege»
III. Bundesschiedsgericht
$ 13 Konstitutionelle Praxis
I. Gesetzgebungsverfahren
II. Volksabstimmungen
III. Verhältnis von Landtag und fürstlicher Regierung
$ 14 Zentrale Verfassungsfragen
I. Souveränität
II. Legitimation
2. KAPITEL
DER KONSTITUTIONELL-MONARCHISCHE
STAAT AUF DEMOKRATISCHER UND
PARLAMENTARISCHER GRUNDLAGE
1. Abschnitt
Verfassungsrevision von 1921
$ 15 Ausgangslage
I. Änderung des Wahlrechts
II. Landesverweserfrage
$ 16 Gang der Entwicklung
I. Verfassungskompromiss
II. Verfassungsentwürfe
III. Schlossabmachungen
IV. Regierungsvorlage
V. Verfassungskommission des Landtages
VI. Landtagsbeschluss
$ 17 Art und Umfang der Verfassunggebung
I. Revision der Konstitutionellen Verfassung von 1862
II. Totalrevision
III. Vereinbarte oder paktierte Verfassung
$ 18 Verfassungshoheit und Teilung der Staatsgewalt
I. Verfassungshoheit und Souveränität
122
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10
II. Teilung der Staatsgewalt
III. Inhalt und Bedeutung
Exkurs: Verfassungsnovelle von 2003
I. Verfahrensanforderungen
II. Form
III. Bewertung
Abschnitt
Demokratisierung und Parlamentarisierung
der konstitutionellen Erbmonarchie
Landtag und Volksrechte
I. Allgemeines
II. «Demokratisierung» und «Parlamentarisierung»
der (Erb-)Monarchie
Parlamentarische Regierungsteilhabe
I. Entwicklungsgang
II. Bestellungsmodus und Verantwortlichkeit der
Regierung
III. Verfassungsnovelle von 1965
IV. Charakterisierung des Regierungssystems
V. Verfassungsnovelle von 2003
Abschnitt
Verrechtlichung der (Erb-)Monarchie
Postulat der Rechtsstaatlichkeit
I. Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck
II. Konstitutionelle Verfassung von 1862
III. Schlossabmachungen
Verfassungsstreitigkeiten
I. Ausgangspunkt
II. Konstitutionelle Verfassung von 1862
III. Verfassung von 1921
Verfassungsgerichtsbarkeit
I. Vorrang der Verfassung
II. Normativität der Verfassung
III. Sicherung der Verfassung
IV. Verfassungsstaatlichkeit und Stellung
des Landesfürsten
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224
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227
230
231
233
233
234
2. TEIL
VERFASSUNG UND HAUSGESETZ
DES FÜRSTLICHEN HAUSES
LIECHTENSTEIN
1. KAPITEL
HAUSGESETZ DES FÜRSTLICHEN HAUSES
LIECHTENSTEIN
$1
$2
$3
$4
65
66
Abschnitt
Verfassungsgeschichtliche Grundlagen
Entstehung und Begriffsgehalt
I. Entstehung und Entwicklungsprozess
II. Begriffsgehalt
Fragestellungen im Zusammenhang mit den Hausregeln
I. Rechtscharakter
II. Autonomiefrage
III. Kontroverse Staatstheorien
Rechtsnatur des Staates
I. Bedeutungswandel des Territoriums
II. Der Staat als juristische Person
Abschnitt
Staatsrecht und Hausrecht
Hausgesetzliche Regelungen
I. Allgemeines
II. Konstitutionelle Verfassung von 1862
III. Verfassung von 1921
IV. Klärungsversuche
Rechtsgrund des Hausgesetzes des Fürstlichen Hauses
I. Ausgangslage
II. Staats- und verfassungstheoretische Erwägungen
III. Fazit: Rechtsetzungsautonomie als vom Staat
abgeleitete Autonomie
Autonomes Satzungsrecht des Fürstlichen Hauses
I. Begriff und Inhalt
II. Umfang
237
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242
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268
268
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275
277
277
278
11
III. Fürstliches Haus als «autonome Familien-
gemeinschaft»
IV. Rechtsnatur des Hausgesetzes
V. Inhalts- und Verfahrensfragen
2. KAPITEL
REGELUNGSINHALTE DES HAUSGESETZES
DES FÜRSTLICHEN HAUSES
$7
$8
69
$ 10
$ 11
12
Abschnitt
Zugehörigkeit zum Fürstlichen Haus
Gegenstand der Erörterung
I. Übersicht
II. Beschränkung der Darstellung
Mitgliedschaft und Organe
I. Mitgliedschaft
II. Stellung im staatlichen Recht
IIT. Organe
IV. Stellung als Staats- und Verfassungsorgan
Abschnitt
Einschlägige Regelungen
Thronfolge, Thronverzicht und Verzicht auf
die Thronfolge
I. Thronfolge
II. Thronverzicht
III. Verzicht auf die Thronfolge
Disziplinarmassnahmen gegen den Fürsten
I. Disziplinäre Massnahmen
II. Amtsenthebung und Entmündigung des Fürsten
III. Misstrauensantrag gegen den Fürsten
Vormundschaft und Regentschaft
I. Vormundschaft
II. Regentschaft
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299
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299
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3. TEIL
DIE OBERSTEN STAATS- UND
VERFASSUNGSORGANE
1. KAPITEL
DER LANDESFÜRST
$1
$2
63
$4
65
Abschnitt
Der Landesfürst als Staatsoberhaupt
Rechtsstellung des Landesfürsten
I. Allgemeines
II. Verfassungsorgan und Rechtsbindung
III. Legitimation
IV. Fürst und Volk
Absolute Immunität
I. Begriff und Inhalt
II. Rechtsinstitut der Gegenzeichnung
Misstrauensantrag und politische Verantwortlichkeit
I. Inhalt
II. Verfahren
III. Zweck
IV. Bewertung
Abschnitt
Ausschliesslicher Kompetenzbereich des Landesfürsten —
Alleinzuständigkeiten
Notstandsverordnungs- bzw. Notverordnungsrecht
I. Herkunft und Entwicklung
II. Inhalt und Umfang
III. Abgrenzungen
IV. Verhältnis zu anderen Staatsorganen
Einberufung, Schliessung, Vertagung und Auflösung
des Landtages
I. Herkunft und Entwicklung
II. Verfassung von 1921
303
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307
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331
13
$6
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68
69
$ 10
$ 11
$ 12
$ 13
14
Regierungsentlassung und Bestellung einer
Interimsregierung
I. Alte und neue Rechtslage
II. Bestellung der Interimsregierung
Begnadigung und Niederschlagung von Strafverfahren
I. Herkunft und Entwicklung
II. Begnadigungsrecht
III. Abolitionsrecht und Ministeranklage
Andere Befugnisse
I. Volljährigkeitserklärung von Mitgliedern des
Fürstlichen Hauses
II. Bestellung des Stellvertreters des Landesfürsten und
Betrauung mit der Ausübung seiner Hoheitsrechte
III. Verleihung von Orden und Titeln
IV. Rechtlich zulässige Aufträge
V. Legitimation von unehelichen Kindern
VI. Verleihung der Staatsbürgerschaft
Abschnitt
Mitzuständigkeiten — Mitwirkungsbefugnisse
des Landesfürsten
Völkerrechtliche Vertretung
Il. Herkommen und Entwicklung
II. Formelle auswärtige Gewalt
III. Materielle auswärtige Gewalt
Richterbestellung
I. Alte Rechtslage
II. Neue Rechtslage
Bestellung und Entlassung der Mitglieder der Regierung
I. Rechtslage vor der Verfassungsrevision von 2003
II. Rechtslage nach der Verfassungsrevision von 2003
Verfassungs- und Gesetzesinitiativrecht
I. Allgemeines
II. Regierungsvorlage und Weisungsrecht
Sanktionsrecht
I. Herkunft und Entwicklung
II. Inhalt und Umfang
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369
370
371
371
374
III. Verfassung als Schranke
IV. Reformvorschläge
2. KAPITEL
DAS VOLK BZW. STIMMVOLK
$ 14
$ 15
$ 16
$ 17
$ 18
Abschnitt
Grundlegung
Allgemeines
I. Verfassungsrechtliche Stellung des Volkes
II. Die politischen Rechte des Volkes und verfassungs-
strukturelle Schranken der Monarchie
III. Ausschluss bzw. Einschränkungen der politischen
Volksrechte
IV. Rechtliche Verfahrensordnung
V. Internationales Recht
Begriffsbestimmungen
I. Staatsorgan «Volk»
II. Politische Rechte
III. Stimm- und Wahlrecht
IV. Initiative und Referendum
V. Wahl- und Abstimmungsfreiheit
Rechtscharakter der politischen Rechte
I. Inhalt und Umfang
II. (Stimm-)Volk als Mitgesetzgeber und das Sanktions-
recht des Landesfürsten
Abschnitt
Die einzelnen politischen Rechte
Wahlrecht
I. Allgemeines
II. Wahlsystem
III. Wahlrechtsgrundsätze
Initiativrecht
I. Begriff und Arten
II. Formen der Initiativbegehren
III. Gültigkeit der Initiativbegehren
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$ 19 Referendumsrecht
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$21
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16
I.
II.
IL
IV.
V.
Allgemeines
Begriff und Wesen
Ausschluss des Referendums
Verfahren
Erscheinungsformen von Referenden
Besondere Arten von Volksrechten
I. Einberufung und Auflösung des Landtages
II. Mitwirkung bei Richterwahlen bzw. Richterbestellung
III. Misstrauensantrag gegen den Landesfürsten
IV. Initiative auf Abschaffung der Monarchie
Rechtsschutz
I. Stimmrechtsbeschwerde — Eintragung im Stimmregister
II. Zurückweisung und Nichtigerklärung von Volks-
initiativen
III. Wahlbeschwerde
IV. Abstimmungsbeschwerde
V. Individualbeschwerde wegen Verletzung verfassungs-
mässig gewährleisteter Rechte
Abschnitt
Volk und Landesfürst
Landesfürst und Volksrechte
I.
II.
IL
Zweigeteilte Staatsgewalt
Landesfürst und Volk als Mitgesetzgeber
Person und Amt des Landesfürsten
Volksrechte als Grundrechte
I.
II.
IL
Problemstellung
Systembedingte Eingrenzung der Volksrechte
Unterschied zu einer demokratischen Staatsordnung
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453
454
3. KAPITEL
DER LANDTAG
Abschnitt
Geschichtliche Grundlagen und Rechtsstellung
$ 24 Geschichtliche Grundlagen
625
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627
628
629
I. Allgemeines
II. Verfassungsvergleich
Wahl zum Landtag
I. Mandatsdauer
II. Wahlsystem und Wahlbezirke
III. Wählbarkeit
IV. Wahlverfahren
V. Wahlprüfung
Rechtsstellung des Landtages
I. Landtag als Volksvertreter
II. Der Landtag als Staatsorgan
Rechtsstellung des Landesausschusses
I. Herkunft und Bedeutung
II. Zusammensetzung und Aufgabenbereich
III. Problematik und Kritik
Rechtsstellung der Abgeordneten
I. <«Milizparlamentarier»
II. Freiheit des Mandats
III. Immunität
IV. Unvereinbarkeit
V. Stellvertretung
VI. Entschädigung
VII. Amtsdauer und Mandatsperiode
VIII. Mitwirkungsrechte
Fraktionen
I. Untergliederung des Landtages — parlaments-
internes Organ
II. Bildung von Fraktionen — Regelung der Geschäfts-
ordnung
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481
481
486
486
487
17
2. Abschnitt
Organisation und Zuständigkeiten
$ 30 Organisation - Leitung und Verwaltung des Landtages
I. Allgemeines
II. Organe des Landtages
III. Parlamentsdienst
IV. Parlamentarische Kommissionen
$ 31 Parlamentarisches Verfahren
I. Sitzungsperiode
II. Sitzungen
III. Beratungen
IV. Abstimmungen und Wahlen
$ 32 Zuständigkeiten des Landtages
I. Allgemeines
II. Auf dem Gebiete der Gesetzgebung
III. Auf dem Gebiete der Exekutive
IV. Auf dem Gebiete des Justizwesens
V. Auf dem Gebiete der auswärtigen Gewalt
4. KAPITEL
DIE (KOLLEGIAL-)REGIERUNG
1.
$33
$ 34
$ 35
18
Abschnitt
Rechtsstellung, Wahl und Verantwortlichkeit
Rechtsstellung
I. Allgemeines
II. Regierung als selbständiges Staatsorgan
III. Regierung als vollziehendes und staatsleitendes Organ
Wahl
I. Bestellung und Beendigung
II. Wählbarkeit
III. Unvereinbarkeit
IV. Amtsdauer
Verantwortlichkeit gegenüber Landesfürst und Landtag
I. Allgemeines
II. Politische Verantwortlichkeit
III. Rechtliche Verantwortlichkeit
489
489
489
489
492
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505
505
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541
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542
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544
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549
549
550
552
$36
$37
$ 38
$39
$ 40
$ 41
Abschnitt
Organisation der Regierung
Geschichtliches
I. Allgemeines
II. Anfänge der Kollegialregierung
III. «Neueinführung» des Kollegialsystems
IV. Urfassung
V. Weiterentwicklung
Regierungsweise: Kollegial- und Ressortprinzip
I. Begriffsverständnis
II. Kollegialprinzip bzw. Kollegialsystem
III. Ressortprinzip bzw. Ministerialsystem
IV. Präsidialprinzip
V. Die «besondere» Stellung bzw. Sonderstellung des
Regierungschefs
Verfahren und Geschäftsverkehr
I. Vorbereitungs-, Entscheidungs- und Vollzugsverfahren
II. Geschäftsverkehr mit dem Landtag
Regierung und Landesverwaltung
I. Regierungs- und Verwaltungsreform
II. Aufbau und Gliederung der Landesverwaltung
Abschnitt
Zuständigkeiten der Regierung
Regierungs- und Verwaltungskompetenzen
I. Allgemeines
II. Regierungsbefugnisse
III. Leitung und Beaufsichtigung der Landesverwaltung
IV. Vorlagen an den Landtag
V. Vollzug der Gesetze
VI. Finanzen
VII. Aufsicht über die Gemeinden
VIII. Kundmachung aufhebender Entscheidungen des
Staatsgerichtshofes
Aussenpolitische Befugnisse
I. Allgemeines
II. Staatsverträge und Verwaltungsvereinbarungen
III. Vertretungen im Ausland
555
555
555
556
556
557
557
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559
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562
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568
568
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582
582
583
583
584
585
585
586
586
587
587
589
590
19
$ 42
Rechtsetzungs- und Rechtsprechungsbefugnisse
I. Rechtsetzungsbefugnisse
II. Rechtsprechungsbefugnisse
5. KAPITEL
DER STAATSGERICHTSHOF
$ 43
$ 44
$ 45
$ 46
$ 47
20
Abschnitt
Entstehung und verfassungsrechtlicher Status
Errichtung des Staatsgerichtshofes
I. Vorstufen
II. Geändertes Verfassungsverständnis
III. Institution zum Schutz der Verfassung
Verfassungsrechtliche Stellung
I. Allgemeines
II. Gericht
III. Staats- bzw. Verfassungsorgan
Abschnitt
Wahl und Organisation des Staatsgerichtshofes
Wahl
I. Richterauswahl- und Richterbestellungsverfahren
II. Unvereinbarkeit
III. Beendigung des Richteramtes
Organisation
I. Zusammensetzung des Spruchkörpers
II. Geschäftsordnung
III. Beratung und Beschlussfassung
IV. Nebenberufliche bzw. nebenamtliche Tätigkeit
V. «Bezüge» bzw. Entschädigungen
Abschnitt
Zuständigkeiten und Verfahren
Zuständigkeiten
I. Allgemeines
II. Einzelfragen und Eigenheiten
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590
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597
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599
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603
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613
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625
626
626
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629
629
630
648
$ 49
$ 50
$51
$52
Verfahrensarten
I. Allgemeines
II. Individualrechtsschutz — Grundrechtsschutz
III. Normenkontrollverfahren
IV. Kompetenzkonfliktverfahren
V. Wahlprüfungsverfahren
VI. Ministeranklageverfahren
VII Disziplinarverfahren
Abschnitt
Verhältnis zu anderen Staatsorganen
Staatsgerichtshof und Gesetzgeber
I. Allgemeines
II. Staatsgerichtshof als Kontrolleur des Gesetzgebers
Staatsgerichtshof und die anderen (Fach-)Gerichte
I. Ausgangslage
II. Verfassungsgerichtliche Kontrolle der Fachgerichte
III. Zusammenfassung
Abschnitt
Verhältnis zum Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte und zum EFTA-Gerichtshof
Staatsgerichtshof und Europäischer Gerichtshof für
Menschenrechte
I. Allgemeines
II. EMRK und nationale Rechtsordnung
III. Entscheidungswirkungen
Staatsgerichtshof und EFTA-Gerichtshof
I. Allgemeines
II. Verfassung und EWR-Recht
III. Gutachten des EFTA-Gerichtshofs und verfassungs-
gerichtliche Normenkontrolle
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631
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689
690
691
694
694
698
701
21
4. TEIL
ZUSAMMENFASSUNG UND
SCHLUSSBETRACHTUNG
$1 Staatsbestimmende Grundentscheidungen
I. Fürst und Volk als Träger der Staatsgewalt
II. Volk und Landtag
III. Rechtsstaatlichkeit und Verfassungsstaatlichkeit
$2 Staats- und Regierungsform
I. FEigenständige Mischform monarchischer und demo-
kratischer Strukturelemente
II. Abgrenzungen und Begriffsbestimmungen
III. Ergebnis
ANHANG
Literaturverzeichnis
Verfassungsdokumente
Sachverzeichnis
Zum Autor
22
707
710
710
715
720
724
724
726
728
731
733
770
771
776
Abkürzungsverzeichnis
a.A.
ABGB
Abs.
AEUV
a.M.
ASöR
Art.
Aufl.
AVR
BBI
BGE
BGG
Bst.
BV
BVerfG
BVerfGE
BVerfGG
B-VG
bzw.
DBA
d.h.
d.i.
Diss.
DOV
DVBI
EFTA
EG
EGMR
anderer Ansicht
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch
Absatz / Absätze
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
anderer Meinung
Archiv des öffentlichen Rechts
Artikel
Auflage
Archiv des Völkerrechts
(Schweizerisches) Bundesblatt
Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesge-
richts
(Schweizerisches) Bundesgerichtsgesetz
Buchstabe
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft
(Deutsches) Bundesverfassungsgericht
Entscheidungen des deutschen Bundesverfassungsgerichts
(Deutsches) Gesetz über das Bundesverfassungsgericht
(Österreichisches) Bundes-Verfassungsgesetz
beziehungsweise
Deutsche Bundesakte
das heisst
das ist
Dissertation
Die Öffentliche Verwaltung
Deutsches Verwaltungsblatt
Europäische Freihandelsassoziation
Europäische Gemeinschaft(en)
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
23
EGV
EMRK
ELG
EU
EuGH
EuGRZ
EvStL
EWR
EWRA
FRV
FS
GemG
GG
GGG
GOG
GOLT
GVVKG
HA
HLFL
HRG
Hrsg.
1d.E
1. V.m.
JBL
JBI
JöR
JUS
JZ
KmG
KOM
KS
KV
24
Abkürzungsverzeichnis
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
Entscheidungen der liechtensteinischen Gerichtshöfe
Erwägung
Europäische Union
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
Europäische Grundrechte-Zeitschrift
Evangelisches Staatslexikon
Europäischer Wirtschaftsraum
Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum
Fussnote
Frankfurter Reichsverfassung
Festschrift
Gemeindegesetz
(Deutsches) Grundgesetz
Gesetz über die Gerichtsgebühren (Gerichtsgebührengesetz)
Gerichtsorganisationsgesetz
Geschäftsordnung für den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
Gesetz über den Geschäftsverkehr des Landtages mit der Regierung und die
Kontrolle der Staatsverwaltung (Geschäftsverkehrs- und Verwaltungskon-
trollgesetz)
Hausarchiv der Regierenden Fürsten von Liechtenstein
Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein
Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte
Herausgeber
in der Fassung
in Verbindung mit
Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein
(Österreichische) Juristische Blätter
Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart
Juristische Schulung, Zeitschrift für Studium und Ausbildung
(Deutsche) Juristenzeitung
Kundmachungsgesetz
Europäische Kommission für Menschenrechte
Kleine Schriften
Konstitutionelle Verfassung
LES
LG
LGBl.
LJZ
LLA
LNA
LPS
LR
LtProt.
LV
LVaterland
LVG
LVolksblatt
m. a. W.
NF
NIW
NZZ
OG
OGH
ÖJz
O.N.
ParlG
PGS
RBA
RBG
Rdnr.
Rn.
RVOG
Rz.
SR
StGB
StGH
StGHG
StPO
Abkürzungsverzeichnis
Liechtensteinische Entscheidungssammlung
Landgericht
Landesgesetzblatt
Liechtensteinische Juristen-Zeitung
Liechtensteinisches Landesarchiv
Liechtensteiner Nachrichten
Liechtenstein Politische Schriften
Systematische Sammlung der liechtensteinischen Rechtsvorschriften
Landtagsprotokoll
Verfassung des Fürstentums Liechtenstein
Liechtensteiner Vaterland
Gesetz über die allgemeine Landesverwaltungspflege (Landesverwaltungs-
pflegegesetz)
Liechtensteiner Volksblatt
mit anderen Worten
Neue Folge
(Deutsche) Neue Juristische Wochenschrift
Neue Zürcher Zeitung
Obergericht
Oberster Gerichtshof
Österreichische Juristen-Zeitung
Oberrheinische Nachrichten
(Schweizerisches) Parlamentsgesetz
Politische Gesetzessammlung (Österreich)
Rheinbundakte
Richterbestellungsgesetz
Randnummer(n)
Randnummer(n)
Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz
Randziffer(n)
(Schweizerische) Systematische Sammlung des Bundesrechts
Strafgesetzbuch
Staatsgerichtshof
Gesetz über den Staatsgerichtshof
Strafprozessordnung
25
Abkürzungsverzeichnis
ÜUGA Abkommen zwischen den EFTA-Staaten zur Errichtung einer Über-
wachungsbehörde und eines Gerichtshofes
VIGG (Österreichisches) Verfassungsgerichtshofgesetz
VfSlg Amtliche Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse des österreichischen
Verfassungsgerichtshofes
VIGH (Österreichischer) Verfassungsgerichtshof
VGH Verwaltungsgerichtshof
vgl. vergleiche
VRG Gesetz über die Ausübung der politischen Volksrechte in Landesangelegen-
heiten (Volksrechtegesetz)
VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer
VwGH (Österreichischer) Verwaltungsgerichtshof
WSA Wiener Schlussakte
WVK Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge
z.B. zum Beispiel
ZBI Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht
ZP Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)
ZParl Zeitschrift für Parlamentsfragen
ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik
ZSR Zeitschrift für Schweizerisches Recht
z.T. zum Teil
Die liechtensteinischen Rechtsvorschriften, die hier nicht erwähnt sind, werden gemäss
der amtlichen Schreibweise der Systematischen Sammlung (LR) abgekürzt.
26
Amtliche Veröffentlichungen
und Internetadressen
Protokolle des liechtensteinischen Landtages
Die seit dem Jahr 1997 veröffentlichten Landtagsprotokolle sind unter <www.land
tag.li> abrufbar. Weiter zurückliegende Protokolle des Landtages sind in schriftlicher
Form nach Jahrgängen geordnet in Bänden einsehbar beim Landtagssekretariat (Regie-
rung, Landesarchiv).
Berichte und Anträge der Regierung (BuA)
Die Berichte und Anträge der Regierung an den Landtag enthalten die Anträge und
ausführlichen Begründungen der Regierung zu Gesetzesvorlagen, Finanzbeschlüssen,
Staatsverträgen, die dem Landtag zur gesetzmässigen Behandlung zugeleitet werden.
Sie sind im Internet abrufbar unter: <www.llv.li> oder <www.landtag.li>.
Entscheidungen der Gerichte
Sie sind veröffentlicht in:
— Entscheidungen der liechtensteinischen Gerichtshöfe (ELG) von 1947 bis 1978;
— Amtliche Sammlung von Entscheidungen liechtensteinischer Gerichte und Verwal-
tungsbehörden: Liechtensteinische Entscheidungssammlung (LES) ab 1980.
Sie sind auch im Internet abrufbar unter:
— <www.gerichtsentscheide.li>
— <www.stgh.li>
Landesgesetzblatt
Das Landesgesetzblatt (LGBl.) ist das massgebliche Kundmachungsorgan für sämtliche
Rechtsvorschriften nach Massgabe von Art. 3 des Kundmachungsgesetzes und wird seit
1. Januar 2013 in elektronischer Form unter <www.gesetze.li> vom Rechtsdienst der
Regierung herausgegeben.
Amtsblatt
Das Amtsblatt ist das amtliche Kundmachungsorgan des Fürstentums Liechtenstein. Es
enthält Vorschriften und allgemeine Anordnungen sowie amtliche Mitteilungen, soweit
dies gesetzlich vorgeschrieben oder von öffentlichem Interesse ist (Art. 16 KmG). Es
wird in elektronischer Form herausgegeben. Die Kundmachungen werden unter der
Adresse <www.amtsblatt.Ilv.li> zur Abfrage bereit gehalten (Art. 17 Abs. 1 KmG).
Historische Rechtsquellen
Es handelt sich um Rechtstexte, die nicht im Liechtensteinischen Landesgesetzblatt
(seit 1863) veröffentlicht worden sind, und um Gesetzesentwürfe, die für die Rechts-
entwicklung von besonderer Bedeutung sind. Sie befinden sich im Landesarchiv und
sind im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>.
27
Einleitung
I. Gegenstand des Buches
Dieses Buch setzt sich mit dem Staat, seiner Gestalt und seinen Institu-
tionen auseinander, wobei eine verfassungshistorische Analyse den Aus-
gangspunkt und die Grundlage der Untersuchung bildet. Sie zeichnet die
Entwicklungslinien von den Anfängen der Landständischen Verfassung
von 1818 über die Verfassung von 1862, in der die Monarchie konstitu-
tionell ausgestaltet wurde, bis hin zur heute geltenden Verfassung von
1921 nach.
Die Arbeit behandelt jenen Teil des Staatsrechts!, der den Aufbau
und die Tätigkeit der obersten Staatsorgane festlegt, d. h. die Organisa-
tion, die Wahl und die Zuständigkeiten der obersten Staatsorgane. Das
Justizorganisationsrecht, mit Ausnahme des Rechts, das den Staatsge-
richtshof regelt, bleibt grundsätzlich ausgeklammert.
Bei den obersten Staatsorganen handelt es sich um die Organe, die
ım Schrifttum als Verfassungsorgane bezeichnet werden, die das «spezi-
fische Wesen des Staates» ausmachen.? Sie sind von der Verfassung nicht
nur erwähnt, sondern werden von ihr in Existenz, Status und wesentli-
chen Kompetenzen konstituiert. Eine Ausnahme stellt das Fürstenhaus
dar, dessen Kompetenzen, soweit sie nicht in der Verfassung festgelegt
sind, ım Hausgesetz enthalten sind.
1 Zum Gegenstand des Staatsrechts siehe Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Eigenart
des Staatsrechts, S. 11 ff.; vgl. auch Reinhold Zippelius/Thomas Würtenberger,
Deutsches Staatsrecht, S. 43 Rz. 15.
2 Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. IT, S. 42 und 344. Vgl. beispielsweise auch Art. 1 Abs. 1
StGHG, der den Staatsgerichtshof als einen «allen übrigen Verfassungsorganen»
gegenüber selbständigen und unabhängigen Gerichtshof des öffentlichen Rechts
bezeichnet.
29
Einleitung
Neben der Organisation und der Zuständigkeit der obersten Staatsor-
gane interessieren ihre Stellung im Gefüge der Staatsgewalten, d. h. ihr
Verhältnis zueinander.
Es kann in etwa für das Werk gelten, was schon Otto Ludwig Mar-
xer 1924 in der Einleitung seiner Dissertation‘ Die Organisation der
obersten Staatsorgane in der liechtensteinischen Verfassung vom Okto-
ber 1921» ausgeführt hat: «Es ist meine Aufgabe zu zeigen, wie in unse-
rer Verfassung die Organisation durchgeführt ist - es handelt sich im
Rahmen meiner Arbeit allerdings nur um die <höchsten Staatsorgane».
Denn aus der Art und Weise, wie diese berufen, welcher Zuständigkeits-
kreis ihnen zugewiesen, vor allem aber, in welchem Verhältnis sie zu
einander stehen, kann man ersehen, welche Grundsätze oder Grundge-
danken das Wesen der Verfassung ausmachen. Kurz die Organisation
einer Verfassung erschliesst uns die staatsrechtlichen Prinzipien, die
ihren Geist beherrschen.»
II. Aufbau der Arbeit
Die Arbeit gliedert sich in vier Teile, wovon die ersten drei die Bereiche
Verfassungsgeschichte, Hausgesetz des Fürstlichen Hauses Liechten-
stein und die obersten Staatsorgane umfassen. Sie stehen für sich, ergän-
zen aber auch einander und können getrennt voneinander gelesen wer-
den. Dies trifft auch auf die einzelnen Kapitel des 3. Teils zu, die sich mit
den obersten Staatsorganen beschäftigen. Sie sind in sich weitgehend
abgeschlossen und eigenständig.
In einem abschliessenden vierten Teil werden die typusbestimmen-
den Elemente, die das Wesen und die Eigenart der liechtensteinischen
Staatsordnung ausmachen, hervorgehoben und zusammengefasst.
Die in die Breite gehende Darstellung des verfassungshistorischen
Teils erklärt sich insbesondere aus dem Umstand, dass es für das
3 Vgl. zur Gewaltenbeteiligung und Gewaltenteilung Gerard Batliner, Aktuelle Fra-
gen, S. 25 ff. Rz. 34 ff.
4 Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, S. 1.
30
Einleitung
19. Jahrhundert keine umfassende und zusammenhängende Verfas-
sungsgeschichte des Fürstentums Liechtenstein gibt.
III. Art der Darstellung
Bei dieser Art der Darstellung kommt es zwangsläufig zu thematischen
Überschneidungen und damit zu Wiederholungen und Querverweisen,
die sich auch aus den Kompetenzzuweisungen und den Verschränkun-
gen der Funktionen ergeben, die die obersten Staatsorgane ausüben. Sie
lassen sich nicht vermeiden und werden in Kauf genommen, da sie zur
Anschaulichkeit und damit auch zur Verständlichkeit der jeweils behan-
delten Verfassungsmaterie beitragen. Da die staatsorganisationsrechtli-
chen Grundlagen erstmals von Grund auf und systematisch aus verfas-
sungsgeschichtlicher und geltungszeitlicher Sicht aufgearbeitet werden,
sind die nicht entsprechend vorgebildeten Leser und Leserinnen mit die-
ser Materie wenig vertraut. Eine solche Vorgehensweise erleichtert ganz
allgemein den gegenstandsbezogenen Zugriff zu dem entsprechenden
Verfassungsbereich.
Der enge Zusammenhang zwischen Verfassungsgeschichte und gel-
tender Staats- und Verfassungsordnung bestimmt den methodischen
Blickwinkel der Untersuchung, wobei —- wie eingangs erwähnt — die
staats- bzw. verfassungsgeschichtliche Untersuchung den Ausgangs-
punkt und den Unterbau der Arbeit bildet, handelt es sich doch beim
Staats- und Verfassungsrecht um «historisch bedingtes Recht».®
IV. Thematik und Fragestellungen
«Den Werth und die Bedeutung unserer, seit der Gründung der Verfas-
sung (1862) vollzogenen politischen Entwicklung und der hieraus ent-
standenen neuen Gesetze und Organisationen können wir nur dann
5 Siehe Herbert Wille, Liechtenstein, S. 1069; vgl. auch Cyrus Beck, Der Vorbehalt
des Gesetzes der liechtensteinischen konstitutionellen Verfassung von 1862, S. 1 f.
6 Reinhold Zippelius /Thomas Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. III (Vorwort).
31
Einleitung
richtig beurtheilen, wenn wir das alte und das neue Kleid kennen und
vergleichen lernen».
1. Allgemeines
Das Fürstentum Liechtenstein hat wie jedes politische Gemeinwesen
eine Verfassung, die die grundlegende politische Ordnung rechtlich fest-
legt, so unter anderem die Bildung und Kompetenzen der staatsleitenden
Organe, die Verfahren politischer Willensbildung und Rechtsetzung.®
Die geltende Verfassung von 1921 hat auch wie jede andere Verfassung
eine Vorgeschichte. Sie ist das Ergebnis eines geschichtlichen Prozesses,
der vom monarchischen Absolutismus über den monarchischen Konsti-
tutionalismus zur konstitutionellen Monarchie auf demokratischer und
parlamentarischer Grundlage oder anders formuliert, von der altständi-
schen über die Konstitutionelle Verfassung von 1862 zur Verfassung von
1921 hinführt. Aus dieser «Gewachsenheit» der Verfassungsordnung
folgt die Funktion und Bedeutung der Verfassungsgeschichte, deren
Erkenntnisgegenstand nach Dietmar Willoweit? «diejenigen rechtlichen
Regeln und Strukturen» sind, «die das Gemeinwesen und damit die poli-
tische Ordnung prägen». Sie ist eine unerlässliche Hilfe für das Ver-
ständnis und die Interpretation der Verfassung.!® Ebenso setzt eine Ver-
ständigung über die Verfassung eine historisch verankerte Verfassungs-
kenntnis und ein entsprechendes Verfassungsbewusstsein voraus.!!
Es interessieren nicht nur die landesinternen Verfassungsschritte,
sondern auch die Verfassungsentwicklung in den Mitgliedstaaten des
Deutschen Bundes, die auch den Fortgang der konstitutionellen Verfas-
sungsbewegung ım Fürstentum Liechtenstein stark beeinflusst hat.
Davon zeugt das teils wörtlich, teils modifiziert rezipierte Verfassungs-
recht, das im Spiegel dieser ausländischen verfassungsgeschichtlichen
Vorgaben die eigenen Entwicklungslinien klarer erkennen lassen. So
diente die Verfassung von Hohenzollern-Sigmaringen von 1833 der
7 Albert Schädler, Landtag, JBL Bd. 1 (1901), S. 83.
8 Vgl. Thomas Würtenberger, An der Schwelle zum Verfassungsstaat, S. 53 f.
9 Dietmar Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 2.
10 Vgl. Werner Frotscher/ Bodo Pieroth, Verfassungsgeschichte, S. 1 Rz. 3.
11 Ewald Grothe, Neue Wege der Verfassungsgeschichte, S. 144.
32
Einleitung
Konstitutionellen Verfassung von 1862 als Vorbild.!? Diese historische
Perspektive zeigt auch die Kontinuität von Institutionen, auf die die Ver-
fassung von 1921 zurückgreift. Vergleicht man sie mit den Vorgänger-
verfassungen, insbesondere mit der Konstitutionellen Verfassung von
1862 auf legislativem, exekutivem und judikativem Gebiet, wird man
gewahr, was sich in diesen Bereichen geändert bzw. erhalten hat oder
anders gesagt, in welcher Hinsicht die beiden Verfassungsordnungen
nach wie vor übereinstimmen oder sich unterscheiden. Ein solcher
Strukturvergleich ermöglicht einerseits eine Antwort auf die Frage nach
der Stellung der obersten Organe, Landesfürst, Volk, Landtag, Regie-
rung und Staatsgerichtshof, in der Staats- und Verfassungsordnung und
andererseits auf die Frage nach dem Wesen und der Eigenart des liech-
tensteinischen Verfassungs- bzw. Staatstyps, den Art. 2 LV als «konsti-
tutionelle Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer
Grundlage» definiert.
2. Konstitutionelle Verfassung von 1862
Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 ist eine Verfassung des monar-
chischen Konstitutionalismus, den sie zur Grundlage staatlicher Herr-
schaftsorganisation und -legitimation nimmt. Sie löst die Landständische
Verfassung von 1818 ab, bei der es sich um ein vom Fürsten Johann 1.’
in souveräner Eigenmacht gegebenes Gesetz handelt, mit der er einer
Vorschrift des Deutschen Bundes nachgekommen ist.
Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 kennzeichnet ein
monarchisch dominiertes Verfassungssystem. Die Volksvertretung, der
Landtag, hat zwar Anteil an der Gesetzgebung, wird aber nicht zum
Mitinhaber der Staats- und Regierungsgewalt.
Ihr vorausgegangen sind die Konstitutionellen Übergangsbestim-
mungen vom 7. März 1849. Sie waren die Antwort des Fürsten Alois IL.!*
auf den ihm am 1. Oktober 1848 übermittelten Verfassungsentwurf des
12 Vgl. Peter Geiger, Geschichte, S. 271 und 287.
13 Zu seiner Person siehe Herbert Haupt, in: Historisches Lexikon, Bd. 1, 5. 540 f.
14 Zu seiner Person siehe Evelin Oberhammer, in: Historisches Lexikon, Bd. 1,
S. 527 ff.
33
Einleitung
ständischen Verfassungsrates. Sie stellten eine Zwischenlösung dar und
bedeuteten ein Entgegenkommen des Fürsten. Sie sollten die Zeit bis zur
endgültigen Annahme der Verfassung überbrücken. Sie traten vorläufig
an die Stelle der Landständischen Verfassung von 1818 und leiteten die
konstitutionelle Verfassungsperiode ein, die bis 1852 dauerte. Vorerst
konnten frei gewählte Volksvertreter, der sogenannte Landrat, bei den
«Finanz- sowie bei anderen zu erlassenden Gesetzen» mitwirken. Das
heisst, dass sie nur mit seiner Zustimmung Gültigkeit erlangen konnten.
Nachdem das Projekt eines gesamtdeutschen Nationalstaates gescheitert
war und im Oktober 1851 auf Bundesebene der Reaktionsausschuss
tätig wurde, nahm Fürst Alois II. diese «provisorischen Verfassungsbe-
stimmungen» im Reaktionserlass vom 20. Juli 1852 wieder zurück, da sie
sich, wie er erklärte, mit den «gegenwärtigen Verhältnissen» nicht mehr
vereinbaren liessen, sodass die Landständische Verfassung von 1818 wie-
der in Kraft trat. Die Bundespolitik, die eine Angelegenheit des Fürsten
war und die in Abstimmung mit Österreich erfolgte, war zu einem gros-
sen Teil auch Verfassungspolitik.
Neben dem Gedankengut der Paulskirchenverfassung beeinflusste
die Reaktionszeit, die sich ganz dem monarchischen Prinzip verschrieb
und die Position der Volksvertretung schwächte, in zunehmendem
Masse den konstitutionellen Verfassungsgang und begrenzte damit auch
die Reform der Monarchie. Der Verfassungsentwurf des ständischen
Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848 hatte noch die Staatsgewalt zwi-
schen Fürst und Volk geteilt. Der Landtag repräsentierte das Volk. Ihm
gebührte in der Gesetzgebung der Vorrang gegenüber dem Fürsten, dem
nur mehr ein suspensives Veto zukommt.
Die von Fürst Johann I1.!5 am 27. September 1862 sanktionierte
Konstitutionelle Verfassung, das «neue Staatsgrundgesetz», räumte zwar
der «künftigen Landesvertretung eine grössere Einflussnahme auf die
Gesetzgebung und auf die innere Verwaltung» ein, wie sich dies in der
konstitutionellen Verfassungsbewegung abgezeichnet hatte. Die Volks-
vertretung ist aber nicht oberste gesetzgebende Behörde. Es gibt keine
Verantwortlichkeit der fürstlichen Regierung bzw. des Landesverwesers
gegenüber der Volksvertretung. Der Landesverweser ist und bleibt Die-
ner des Fürsten. Bezeichnend ist denn auch die Äusserung des Landes-
15 Zuseiner Person siehe Evelin Oberhammer, in: Historisches Lexikon, Bd. 1,5. 541 ff.
34
Einleitung
verwesers Karl Haus von Hausen!®, wonach die Verfassung den Wün-
schen der Bevölkerung nur so weit nachgebe, als diese mit den Hoheits-
rechten des Fürsten und mit der Bundesakte nicht kollidierten.!
Es bleibt beim monarchisch beherrschten Verfassungssystem, das
noch voll und ganz dem monarchischen Prinzip entsprach, wie es die
Wiener Bundesakte von 1815 und die Wiener Schlussakte von 1820 ver-
ankert haben. Dass trotz dieser Einschränkungen die Konstitutionelle
Verfassung von 1862 vom Volk günstig aufgenommen wurde und die
Verfassungswirklichkeit ein etwas anderes Bild als der Normtext zeich-
net, hat damit zu tun, dass der spätabsolutistische Verfassungszustand
ein Ende fand, sich Fürst Johann II. grösstenteils aus der Innenpolitik
des Landes heraushielt und dadurch der Einfluss der Hofkanzlei in Wien
auf die Stellung des Landesverwesers abnahm. Er kooperierte mit dem
Landtag, der eine rege Gesetzgebungstätigkeit entfaltete und letztlich
den Gesetzgebungsprozess bestimmte. Das dualistische Zusammenspiel
von Fürst und Landtag im Legislativbereich funktionierte.
Eine eingehende Auseinandersetzung mit der Staatsdoktrin des
Konstitutionalismus und dessen Ausgestaltung in der Konstitutionellen
Verfassung von 1862 ist angezeigt, da die nachfolgende, heute geltende
Verfassung von 1921, mit dem monarchischen Konstitutionalismus ver-
haftet bleibt, auch wenn ihre Entstehung nach dem Ersten Weltkrieg in
eine andere historisch-politische Zeitepoche fällt, die in Deutschland
und Österreich zu einer demokratischen Verfassungsrevolution bzw.
einem verfassungspolitischen Umbruch geführt hat.!® In dieser Zusam-
menschau steht die Fort- und Weiterentwicklung der Grundstrukturen
der konstitutionellen Monarchie im Mittelpunkt des Interesses.
3. Verfassung von 1921
Mit dem Übergang vom konstitutionell-monarchischen Staat der Ver-
fassung von 1862 zur konstitutionellen Erbmonarchie auf demokrati-
16 Zu seiner Person siehe Klaus Biedermann, in: Historisches Lexikon, Bd. 1, 5. 339 f.
und Albert Schädler, Karl Freiherr Haus v. Hausen, in: JBL Bd. 6 (1906), S. 5-17.
17 Vgl. Peter Geiger, Geschichte, S. 281; siehe auch hinten S. 76 Fn. 173.
18 Vgl. Dieter Gosewinkel /Johannes Masing, Die Verfassungen in Europa, S. 54 f.
35
Einleitung
scher und parlamentarischer Grundlage stellt sich die Frage, inwieweit in
diesem neuen Verfassungsumfeld das bisherige konstitutionell-monar-
chische Staatswesen fortgeschrieben wird.
Eine Analyse und Beschreibung der Staats- und Regierungsform
der konstitutionellen Erbmonarchie auf demokratischer und parlamen-
tarischer Grundlage, wie sie in der Verfassung von 1921 ihre konkrete
Ausprägung erfahren hat, kann nicht mehr wie bei der Konstitutionellen
Verfassung von 1862 auf entsprechende Vorbilder anderer monar-
chischer Staaten zurückgreifen, wie dies zur Zeit des Deutschen Bundes
der Fall gewesen ist. Dieser Umstand erschwert eine staats- und verfas-
sungsrechtliche Untersuchung. Um das liechtensteinische Staatswesen
verstehen und erklären zu können, genügt es nicht, die staatsrechtlichen
Darstellungen aus der 1918 zu Ende gehenden Epoche des Konstitutio-
nalismus zu Rate zu ziehen, um Auslegungsprobleme zu lösen.!? Eine
moderne Literatur des konstitutionellen Staatsrechts steht nicht zur Ver-
fügung. Nach Dietmar Willoweit? ist dies eine «Folge der Kleinstaat-
situation, da es zu der hier bewahrten monarchischen Verfassungsform
keine Parallelen mehr gibt».
Die Verfassung von 1921 übernimmt monarchische Institutionen
zum Teil wörtlich aus der Konstitutionellen Verfassung von 1862, sodass
man sich fragen muss, ob sie im herkömmlichen Sinne zu verstehen
sind.?! Ein gleicher Wortlaut besagt aber noch nicht, dass der Rege-
lungsinhalt gleich geblieben ist. Denn ein gleich gebliebener Wortlaut
kann durchaus eine andere Bedeutung erlangen, wenn sich der Verfas-
19 Vgl. auch Gerard Batliner, Einleitung, in: Gerard Batliner (Hrsg.), Die liechtenstei-
nische Verfassung 1921, 5. 11 f.
20 Dietmar Willoweit, Verfassungsinterpretation im Kleinstaat, S. 193.
21 So noch Ernst Pappermann, Das Verordnungsrecht der Regierung, S. 367, der her-
vorhebt, dass in Liechtenstein die Staatsform der konstitutionellen Erbmonarchie
auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage (Art. 2 LV) gilt. Demzufolge
sei in solchen Staaten «bei der Auslegung als Interpretationsregel immer das Prinzip
der <«monarchischen Prärogative> heranzuziehen.» Demgegenüber hält Christine
Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 333 fest: «Die Auslegung der liechtensteinischen
Verfassung kann weder allein nach den für die konstitutionelle noch den für die par-
lamentarische Monarchie geltenden Grundsätzen erfolgen; weder zugunsten des
Fürsten noch zugunsten der Volksvertretung besteht eine Kompetenzvermutung.
Die liechtensteinische Verfassung ist weder der konstitutionellen noch der parla-
mentarischen Monarchie zuzuordnen.»
36
Einleitung
sungsrahmen geändert hat.” Da die Verfassung zugleich monarchisch-
konstitutionelle und parlamentarisch-demokratische Rechtsinstitute
enthält, ist es nicht leicht, diese miteinander in Einklang zu bringen,
zumal auch das Hausrecht der Fürstlichen Familie Bestandteil der Ver-
fassungsordnung ist.
Die Verfassung hält an der konstitutionellen Monarchie fest. Der
Staatsaufbau ist nach wie vor dualistisch angelegt, wobei sich das Ver-
hältnis zwischen Fürst und Volk bzw. die Stellung von Fürst und Volk
geändert hat, wie ein Blick auf Art. 2 LV zeigt. Dieser bricht mit dem
herkömmlichen monarchischen Prinzip, indem er die Staatsgewalt im
Fürsten und im Volke verankert. Eine Kompetenzvermutung zugunsten
der fürstlichen Gewalt kann nicht mehr wie bisher aus dem «Wesen der
konstitutionellen Monarchie»? abgeleitet werden.?* Vormals ging es im
Konstitutionalismus darum, die staatliche bzw. fürstliche Macht zu
begrenzen, heute — seit 1921 — geht es unter dem Aspekt der Teilung der
Staatsgewalt zwischen Fürst und Volk um die beiderseitige Mitgestal-
tung der staatlichen Macht.?»
Wenn auch die Verfassung von 1921 in manchen Bereichen an das
Gedankengut der konstitutionellen Monarchie der Konstitutionellen
Verfassung von 1862 anknüpft, ist sie doch gegenüber Neuerungen offen
und versucht, Einrichtungen von parlamentarischer und direktdemokra-
tischer Art mit der monarchischen Staatsform zu verbinden.?® In diesem
Zusammenhang stellt sich die verfassungsrechtliche Frage nach dem
Inhalt und dem Umfang der Verfassungsänderung bzw. nach der
Wesensart des liechtensteinischen Staates.
Im Schrifttum ist gelegentlich die Rede von einer «voll ausgebilde-
ten demokratischen und parlamentarischen konstitutionellen Monar-
22 So Franz-Ludwig Knemeyer, Justitiabilität von Gnadenakten, S. 122.
23 Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 72 und 81.
24 Vgl. Gerard Batliner, Parlament, S. 26 ff. Fn. 40, der sich ausführlich mit dem Ge-
setzmässigkeitsprinzip der Rechtsverordnungen und der Rechtsbindung der Ver-
waltung auseinandersetzt. Vgl. auch Andreas Schurti, Das Verordnungsrecht der Re-
gierung, S. 133 f. und ders., Verordnungsrecht — Finanzbeschlüsse, S. 246 f.; Andreas
Kley, Grundriss, S. 167-169 und S. 174-180 mit Rechtsprechungshinweisen.
25 Vgl. auch Andreas Schurti, Verordnungsrecht — Finanzbeschlüsse, S. 246 f.
26 Zur Kritik des Sanktionsvorbehalts im Zusammenhang mit den Volksrechten siehe
hinten S. 398 ff. und 452 ff.
37
Einleitung
chie»”, von der auch die Staatspraxis auszugehen scheint.?® Demgegen-
über ist nicht zu übersehen, dass einige für die Konstitutionelle Verfas-
sung von 1862 charakteristische Rechtsinstitute, wie z.B. das Gesetzes-
sanktionsrecht des Fürsten, weiterhin ihren Platz in der von der Verfas-
sung neu konstituierten rechtsstaatlichen Ordnung gefunden haben,??
sodass deren Bedeutung für das Verhältnis von Fürst und Volk bzw.
Landtag im Gesetzgebungsbereich zu ermitteln ist.
Die Verfassung, die zur gemeinsamen verbindlichen Grundlage für
alle staatliche Gewalt geworden ist, hat sich der Verfassungsgerichts-
barkeit geöffnet, die der Staatsgerichtshof in einem umfassenden Sinne
ausübt. Er ist die Instanz, die die Einhaltung der Verfassung garantiert.
Bisher setzte der Dualismus zwischen Fürst und Landtag, der der Kon-
stitutionellen Verfassung von 1862 wesenseigen war, der Verfassungsge-
richtsbarkeit, die den Vorrang der Verfassung und die Bindung an sie
voraussetzt, «systembedingte prinzipielle Schranken».? In diesem
Zusammenhang stellt sich die Frage, welche inhaltlichen Folgerungen
aus dieser staatlichen Verrechtlichung für das Verständnis der konstitu-
tionellen (Erb-)Monarchie und deren höchsten Organe zu ziehen sind
und welche grundlegende Änderungen dieser Neuausrichtung zuzu-
schreiben sind.
Zusammenfassend gesagt: Das Werk setzt sich zum Ziel, einerseits
den Staatstypus der Monarchie liechtensteinischer Prägung aus der ent-
stehungsgeschichtlichen Perspektive zu bestimmen und im Lichte der
heutigen Staats- und Verfassungsordnung zu hinterfragen und anderer-
seits das Verhältnis der einzelnen obersten Staatsorgane zueinander sys-
tematisierend zu verdeutlichen.
27 Günther Winkler, Verfassungsrecht, S. 30, 48 und 49.
28 Vgl. Günther Winkler, Verfassungsrecht, S. 10. A. A. Zoltän Tibor Pällinger, Monar-
chien, S. 7 ff., der die Demokratieverträglichkeit der Verfassung 2003 infrage stellt.
Vgl. zur Verfassungsrevision 2003 die Opinion der Venedig-Kommission vom
16. Dezember 2002, abgedruckt in: Günther Winkler, Europarat, S. 71-188.
29 Zu verweisen ist etwa auf das Sanktionsverweigerungsrecht von Gesetzen oder das
Notverordnungsrecht des Fürsten. Siehe hinten S. 319 ff. bzw. S. 371 ff.
30 Andreas Heusch, Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit, S. 75; vgl. auch Rainer
Wahl, Die Entwicklung des deutschen Verfassungsstaates, S. 83 f. Rz. 56.
38
1. TEIL
VERFASSUNGSGESCHICHTLICHE
GRUNDLAGEN
1. KAPITEL
VOM ABSOLUTEN ZUM
KONSTITUTIONELL-MONARCHISCHEN
STAAT
Einleitung
Es stellt sich die Frage, an welche historische Daten die Erörterungen
anknüpfen sollen. Unter einem verfassungsgeschichtlichen Aspekt ist
der Blick auf die Dienstinstruktionen aus dem Jahr 1808 zu richten. Sie
beinhalten «neues Verfassungsrecht»! und bedeuten einen «Umsturz»
bisherigen Rechts.? Die Zeit des Rheinbundes (1806) und des Deutschen
Bundes (1815) markieren die Anfänge einer neuen politischen Ord-
nung.? Mit dem Rheinbund werden die Souveränität und «Staatswer-
dung» des Fürstentums Liechtenstein in Verbindung gebracht,* die im
Rahmen des Deutschen Bundes gefestigt werden.” Es sind in der Rhein-
bundzeit eine Vielzahl neuer Rechtsvorschriften ergangen, die auch
weitgehend die Epoche des Deutschen Bundes beherrschen.
Die hier vorgenommene zeitliche Eingrenzung lenkt das Augen-
merk auf die Kernphase der liechtensteinischen Verfassungsgeschichte
der Neuzeit (1806-1921), in der die Grundlagen des liechtensteinischen
Verfassungsstaates gelegt worden sind, der dann unter dem Konstitutio-
nalismus zur verfassungsstaatlichen Ordnung weiter entwickelt und aus-
gebaut worden ist, sodass die Grundstrukturen der konstitutionell-
monarchischen Staatsordnung, wie sie noch in der geltenden Verfassung
von 1921 zum Vorschein kommen, in ihrer vollen Tragweite erst vor
dem Hintergrund dieser verfassungshistorischen Entwicklung verständ-
lich werden.
Die Zeit des 18. Jahrhunderts wird nicht in diese Darstellung ein-
bezogen, obwohl sie zweifellos wichtige, geistesgeschichtliche Wirkun-
1 Brigitte Mazohl-Wallnig, Sonderfall Liechtenstein, S. 11.
2 Georg Malin, Politische Geschichte, S. 49 f.
3 "Thomas Würtenberger, Ansätze und Zielsetzungen einer Verfassungsgeschichte,
S. 128. Diese Aussage gilt auch für das Fürstentum Liechtenstein. Vgl. auch Volker
Press, Das Fürstentum Liechtenstein, 5. 62 f.
4 Vgl. für Liechtenstein Georg Schmidt, Fürst Johann I., S. 387 ff.; Georg Malin, Poli-
tische Geschichte, S. 5, 51 ff., insbesondere S. 55 mit weiteren Hinweisen; ders., Die
Souveränität Liechtensteins, S. 13 ff.
5 Vgl. etwa den Fürstlichen Erlass vom 19. März 1848, abgedruckt in: LPS 8, S. 263
(im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>), wo Fürst Alois erklärt, sein Vater
und er seien immer überzeugt gewesen, dass die «so wichtige Selbständigkeit des
Landes» nur im «Verbande mit Deutschland» erhalten werden könne. So auch wie-
der in Ziffer 9 der Konstitutionellen Übergangsbestimmungen vom 7. März 1849,
abgedruckt in: LPS 8, S. 269 (im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>). Vgl.
auch Volker Press, Das Fürstentum Liechtenstein, 5. 63 f.
43
Einleitung
gen entfaltet hat, die bis in die Gegenwart spürbar geblieben sind. Sie
weist jedoch andersgeartete Strukturen und Zusammenhänge der staatli-
chen und politischen Ordnung auf, die uns heute fremd geworden sind.®
6 Vgl. Klaus Kröger, Verfassungsgeschichte, S. VIII. Aus Gründen der verfassungs-
rechtlichen Relevanz bilden aus liechtensteinischer Sicht die Rheinbundakte von
1806 den Ausgangspunkt, «da in der rheinbündischen Zeit die Grundlagen für eine
Modernisierung des Landes gelegt worden sind». So Herbert Wille, Liechtenstein,
$. 1077.
44
1. Abschnitt
Spätabsolutistische Verfassungsphase
$1 DIENSTINSTRUKTIONEN VOM
7. OKTOBER 1808
I. Neue Rechtslage
Das Fürstentum Liechtenstein ist 1806 Mitglied des Rheinbundes
geworden, der in erster Linie ein Militärbündnis war.® Es hat gegenüber
den alten Reichsauslagen ein Vielfaches an Bundeskosten verursacht. Die
neuen, für das Land extrem grossen Belastungen in einer Zeit wirt-
schaftlicher Not bedingen die Abschaffung der alten Ordnung und
effektive Verwaltungsstrukturen.? Zudem schaffen die Rheinbundakte
vom 12. Juli 1806 eine neue Rechtslage. Sie heben die «vormalige Reichs-
verfassung» auf.!° Diesen Umstand nimmt Fürst Johann I. in den Dienst-
instruktionen vom 7. Oktober 1808 für Landvogt Josef Schuppler!! zum
Anlass, den «seit undenklichen Zeiten ausgeübte(n) Landesgebrauch»
(Landammannverfassung) und «derley hergebrachten Gewohnheiten»
auf den ersten Januar 1809 ausser Kraft zu setzen. Sie sind, wie er zu ver-
stehen gibt, nicht mehr «mit dem Geist des dermaligen Zeitalters und
(der) vorgerückten Cultur, als (auch) der in benachbarten Staaten einge-
führten Verfassung» zu vereinbaren.!?
Siehe Georg Malin, Politische Geschichte, 5. 51 ff.
Reinhard Mussgnug, Der Rheinbund, S. 261.
Alois Ospelt, Wirtschaftsgeschichte, S. 76.
O0 Vgl. Brigitte Mazohl-Wallnig, Sonderfall Liechtenstein, S. 8 ff. Sie beleuchtet die
Entstehung der Souveränität Liechtensteins in ihrem historischen Kontext.
11 Abgedruckt in: LPS 8, S. 247-258; Paul Vogt, Verfassungsdokumente Liechten-
steins, S. 301-310; auch im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>.
12 Vsgl. auch Herbert Wille, Liechtenstein, S. 1081 ff.
OD N
45
Spätabsolutistische Verfassungsphase
Die Landammannverfassung, die sich etwa um 1500 herausgebildet
hatte, räumte der Bevölkerung weitgehende Mitwirkung in Verwaltung
und Rechtsprechung ein.!? Der Landammann war Vorstand des Gerichts
einer Landschaft und gleichzeitig auch der oberste Verwaltungsbeamte
seiner Landschaft. Die Institution der Landammänner und der Gerichte
wurde zwar schon im Jahre 1719 bei der Erhebung der beiden Herr-
schaften, der Grafschaft Vaduz und der Herrschaft Schellenberg, zum
Reichsfürstentum aufgehoben und die beiden Landschaften unter einem
Oberamt und sechs Ämtern zusammengelegt. «Aus blosser Gnade»
wurde jedoch 1733 eine nur noch in «geschmälerter Gestalt»!* beste-
hende Landammannverfassung für beide Landschaften «mehr formell
als materiell»!> wieder eingeführt.!®
II. Zentralisierung der Verwaltung
1. Allgemeines
Mit einer völlig zentralisierten und mit allen Kompetenzen ausgestatte-
ten Verwaltung sollte eine durchgreifende, den Anforderungen der
neuen Verhältnisse gewachsene, wirtschaftliche Reform durchgeführt
werden.!’ So umfasst die zum 1. Januar 1809 eingeführte neue Ordnung
auch die Landesverwaltung, die grundlegend umgestaltet wird. Die jahr-
hundertealten Gerichtsgemeinden werden eliminiert. Die Gerichtsin-
struktion vom 1. Januar 18108 betrachtet die Gemeinden nur noch als
staatliche Organe, die nach Weisung der Obrigkeit bestimmte Pflichten,
wie die Verwaltung des Gemeindevermögens oder die niedere Gerichts-
pflege in Streit- und Schuldsachen, zu besorgen haben.!?
13 Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 22 mit weite-
ren Hinweisen. Zur Landammannverfassung siehe Fabian Frommelt, in: Histori-
sches Lexikon, Bd. 1, S. 473 f.
14 Albert Schädler, Landtag, JBL Bd. 1 (1901), S. 88.
15 Josef Ospelt, Verfassungsgeschichte, S. 19; vgl. auch Paul Vogt, Brücken zur Ver-
gangenheit, S. 83.
16 Vgl. Gerard Batliner, Parlament, S. 169 Fn. 309.
17. Alois Ospelt, Wirtschaftsgeschichte, S. 76.
18 Im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>.
19 Alois Ospelt, Das Bürgerrecht, S. 150.
46
Dienstinstruktionen vom 7. Oktober 1808
2. Oberamt
Das Oberamt ist die einzige Verwaltungsbehörde des Landes und glie-
dert sich in ein Rentamt, ein Grundbuchamt und ein Depositenamt. Es
obliegt ihm die gesamte innere Landesverwaltung, die Rechtsprechung
in erster Instanz, die Domänenverwaltung und die Gemeindeaufsicht. Es
untersteht der Kontrolle der fürstlichen Hofkanzlei, der es zu berichten
und von der es in allen wichtigeren Angelegenheiten die Weisungen ein-
zuholen hat.?°
3. Fürstliche Hofkanzlei
Die fürstliche Hofkanzlei in Wien ist seit dem letzten Viertel des
18. Jahrhunderts das eigentliche «Verwaltungszentrum»?1 bzw. die
«oberste Zentralbehörde»2, die unmittelbar dem Fürsten zugeordnet ist.
Ihr Aufgabenbereich erstreckt sich auf alle wirtschaftlichen, gerichtli-
chen und politischen Agenden des fürstlichen Besitzes.
III. Absolutistisches Herrschaftskonzept
Im absolutistischen Herrschaftskonzept ist der Fürst auch Inhaber der
judikativen Gewalt, da er allein Träger der Staatsgewalt ist. Die Rechts-
pflege ist dem Bereich der Regierung zugeordnet. Das heisst, dass
das Oberamt in Vaduz und die Hofkanzlei in Wien die Gerichtsbehör-
den des Landes sind. Sie bilden seit der Auflösung der alten Reichsver-
fassung die einzigen zwei Gerichtsinstanzen.? Seit dem Ende des Alten
Reiches steht dessen Rechtssystem zum Schutz der Untertanen, den
der Landsbrauch gewährt hatte, nicht mehr zur Verfügung.?** Den
20 Paul Vogt, Verwaltungsstruktur und Verwaltungsreformen, S. 58; ders., Oberamt,
in: Historisches Lexikon, Bd. 2, S. 661 f.; Rupert Quaderer, Die Entwicklung der
liechtensteinischen Volksrechte, S. 19 f.
21 Volker Press, Das Fürstentum Liechtenstein, S. 50.
22 Paul Vogt, Verwaltungsstruktur und Verwaltungsreformen, S. 42.
23 Vgl. Alois Ospelt, Geschichte des Laienrichtertums, 5. 49 ff. (51).
24 Vgl. Georg Schmidt, Fürst Johann I., S. 417.
47
Spätabsolutistische Verfassungsphase
Untertanen fehlt damit ausserhalb des eigenen Herrschaftssystems eine
Rechtsinstanz.
IV. Normativer Unterbau
Die Dienstinstruktionen ordnen, wie sie zu verstehen geben, neben
anderen Gesetzen eine «den Zeitumständen und Verhältnissen des Lan-
des anpassende Jurisdiktionsnorma» an. In der Folge führt die Fürstliche
Verordnung vom 18. Februar 181225 auch die österreichische allgemeine
bürgerliche Gerichtsordnung von 1781 und das österreichische Gesetz-
buch über Verbrechen und schwere Polizeiübertretungen von 1803 ein.
Gleichzeitig treten «alle anderen bisher gültig gewesenen bürgerliche(n)
und peinliche(n) Gesetze gänzlich» ausser Kraft. Diese Massnahme
macht eine Novellierung notwendig. Der alte Landsbrauch, der als Leit-
faden für die Rechtsprechung gedient hat, besteht nicht mehr.? Vor der
Reform existierten als wichtige Gesetzesnormen lediglich der Lands-
brauch, die Polizeiordnung von 1732 und die Peinliche Gerichtsordnung
Kaiser Karls V. vom Jahre 1532.77
V. Staatspolitische Tragweite
1. Auswirkungen
Die Dienstinstruktionen, die Landvogt Joseph Schuppler als die «ganz
nach dem Sinne der oestreichschen Gesetze eingerichtete(n) neue(n)
Landesverfassung»?$ bezeichnet, bedeuten eine tiefgreifende Neugestal-
tung der staatlichen Ordnung, die «Ansätze zum modernen Staat erken-
nen» lassen.?? Sie treffen neben weitreichenden Verwaltungs- und Justiz-
25 Vgl. Einführung des österr. ABGB, der Gerichtsordnung und des Strafgesetzes vom
18. 2. 1812 (im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>).
26 Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 172.
27 Alois Ospelt, Die geschichtliche Entwicklung des Gerichtswesens, S. 234.
28 So Joseph Schuppler, Beschreibung des Fürstentums Liechtenstein, S. 249.
29 Georg Malin, Politische Geschichte, S. 58; Alois Ospelt, Die geschichtliche Ent-
wicklung des Gerichtswesens, S. 233.
48
Dienstinstruktionen vom 7. Oktober 1808
reformen auch einschneidende wirtschaftliche Massnahmen. Die Re-
form fand ohne Volk (Untertanen) statt, sodass sie auf Widerstand
stiess.”® Gewachsene Strukturen und Traditionen konnten nicht einfach
per Dekret beseitigt werden. Das Volk wollte das gute alte Recht beibe-
halten.?! Tradition und altes Herkommen hatten aber kein Gewicht. Die
Modernisierung erfolgte nach rationalen Prinzipien und zeugt von einer
absolutistisch-aufgeklärten Geisteshaltung. Fürst Johann I. orientiert
sich an josephinischen Vorbildern des späten 18. Jahrhunderts.” Er war
bestrebt, das Volk «moralisch und materiell einer besseren Kulturstufe
zuzuführen». Zu Konzessionen war er nicht bereit.?* Eine Rückkehr zu
den alten Zuständen kam nicht infrage. Sie standen einer gedeihlichen
Entwicklung des Landes im Wege. Die alte Reichsverfassung war nach
seinem Verständnis «zum Hemmschuh jeglichen Fortschritts» gewor-
den. Sein Landvogt Josef Schuppler® ging mit strenger Hand gegen
«schädliche Missbräuche» und «eingelebte üble Gewohnheiten» vor.”
30 Siehe Fabian Frommelt, Aufstand in Liechtenstein, S. 69 ff.
31 Carl von In der Maur, Die Gründung des Fürstenthums Liechtenstein, S. 179.
32 Vgl. Georg Malin, Politische Geschichte, S. 34; Volker Press, Das Haus Liechten-
stein, S. 64.
33 Karl von In der Maur, Feldmarschall Johann Fürst von Liechtenstein, S. 198.
34 So erklärt Landvogt Josef Schuppler in seiner Proklamation vom 12. Juni 1809:
«Seine Durchlaucht werden von Ihren für das Wohl des Landes gefassten Grund-
sätzen für keinen Fall abweichen und sie entweder mit militärischer Macht durch-
setzen oder ein anderes Mittel treffen, welches Euch noch empfindlicher fallen
wird.» Publiziert in: Karl von In der Maur, Feldmarschall Johann Fürst von Liech-
tenstein, S. 212 f.
35 Karl von In der Maur, Feldmarschall Johann Fürst von Liechtenstein, S. 172.
36 Kritisch zu seiner Person Peter Kaiser, Geschichte des Fürstenthums Liechtenstein,
S. 547. Dort schreibt er: «Die von Hauer getroffene Wahl wurde in der Person des
Josef Schuppler nicht verfehlt. Denn nur ein junger, rascher, unter ganz anderen Ver-
hältnissen, als die hiesigen waren, aufgewachsener Mann, dem es nie einfallen
konnte, dass auch dem Volke Rechte zustehen, dass diese untersucht werden sollten
und wenn selbe erprobt gefunden worden, ebenso wenig vom Fürsten, wenn auch
souverän, als die des Fürsten vom Volke verlezt werden dürfen, nur ein solcher
Mann konnte zum vorhabenden Zwecke taugen.» A. A. Karl von In der Maur, Feld-
marschall Johann Fürst von Liechtenstein, S. 197 ff.
37 Siehe Ziffer 13 der Dienstinstruktionen und dazu Paul Vogt, Verfassungsdokumente
Liechtensteins, S. 301-310 (auch im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>);
Karl von In der Maur, Feldmarschall Johann Fürst von Liechtenstein, S. 198; Georg
Malin, Politische Geschichte, S. 36 und 38; Josef Ospelt, Verfassungsgeschichte,
S. 20.
49
Spätabsolutistische Verfassungsphase
Das Volk kam sich entrechtet vor. Die Dienstinstruktionen führten zu
einer von oben angeordneten Umgestaltung der Verfassungsverhältnisse.
Im Schrifttum ist von einer «Revolution von oben» die Rede,” die sich
nachhaltig auf die staatliche und politische Ordnung ausgewirkt hat. Die
Dienstinstruktionen stellten eine neue Ära dar, die abrupt gegen die
Widerstände der Untertanen, die ihr altes Recht verteidigten, mit der
Vergangenheit gebrochen hat. Auch wenn sie nicht im eigentlichen Sinn
als Verfassung bezeichnet werden können, sind sie doch Ausdruck poli-
tischer Herrschaftsgewalt, die vor allem in organisatorischer Hinsicht
Entscheidungen von grundlegender Bedeutung trifft.“
2. Stellung des Fürsten
Fürst Johann I. tritt ganz im Stile des absoluten Monarchen und Lan-
desherrn auf“! und beseitigt aus eigener Machtvollkommenheit den Lan-
desgebrauch (Landammannverfassung), den «das so nöthige wie er-
spriessliche Werk der künftigen Landesverfassung» ersetzen soll. Die
Aufhebung der Landammannverfassung erscheint unter diesen Umstän-
den als Konsequenz der vom Fürsten beanspruchten Souveränität,? die
ihm ohne Einschränkung die Rheinbundakte zusicherten.® Das Alte
38 Alois Ospelt, Die Landesbeschreibung des Landvogts Josef Schuppler, Einleitung,
$. 212.
39 Georg Malin, Politische Geschichte, S. 58; siehe auch Georg Schmidt, Fürst Johann
I., S. 408 und 410, der von einer «ungeheuren» bzw. «entscheidenden» Zäsur spricht.
40 Formulierung in Anlehnung an Dieter Gosewinkel /Johannes Masing, Die Verfas-
sungen in Europa, S. 1; zum Rechtscharakter der Dienstinstruktionen siehe Herbert
Wille, Staat und Kirche, S. 34 f.; Paul Vogt, Verfassungsdokumente Liechtensteins,
Einleitung, S. 297 f.; Cyrus Beck, Der Vorbehalt des Gesetzes der liechtensteini-
schen konstitutionellen Verfassung von 1862, S. 37.
41 Vgl. Georg Malin, Politische Geschichte, S. 49 f.; Georg Schmidt, Fürst Johann T.,
S. 411.
42 Karl von In der Maur, Feldmarschall Johann Fürst von Liechtenstein, S. 172 spricht
in diesem Zusammenhang von einem «neubegründeten Verhältnis der Souveränität».
43 Siehe Art. 26 i. V. m. Art. 25 RBA; Reinhard Mussgnug, Der Rheinbund, S. 264. Vgl.
auch Brigitte Mazohl-Wallnig, Sonderfall Liechtenstein, S. 13 f., die auf den Unter-
schied zwischen der traditionalen Landeshoheit im Rahmen der Reichsverfassung
und der modernen Souveränität im Rahmen des Rheinbundes aufmerksam macht.
Es werde mit der «geteilten Souveränität» gebrochen, denn Fürst und Volk, Kaiser
50
Landständische Verfassung von 1818
Reich war aufgelöst und die Beschränkung durch die Reichsunmittel-
barkeit weggefallen.‘ Der Fürst hatte niemanden mehr über sich, sodass
er obrigkeitlich alle Macht im Staat absorbierte und in sich vereinigte.®
Als absoluter Monarch bedurfte Fürst Johann I. vorerst weder
einer juristischen Bestätigung noch einer Rechtfertigung seiner Macht in
einem Verfassungsdokument.“ Er kleidete seinen Willen in «Dienstin-
struktionen», die sein Landvogt auszuführen hatte.
$2 LANDSTÄNDISCHE VERFASSUNG VON 1818
I. Ausgangslage
1. Mitglied des Deutschen Bundes
Nachdem sich Fürst Johann I. am 7. Dezember 1813 «in aller Form»*7
vom Rheinbund getrennt hatte, schloss er sich mit seinem Fürstentum
der Koalition der Alliierten im Kampf gegen Napoleon an. Er verpflich-
tete sich gegenüber Kaiser Franz I. von Österreich in einem separaten
Vertrag, für die neuen Verbündeten ein «achtzigköpfiges» Truppenkon-
tingent*® zu stellen.“ Als «Gegenleistung» verbürgte sich Österreich für
die Souveränität Liechtensteins,®® das 1815 Mitglied des Deutschen
und Stände seien bis zum Rheinbund — zumindest idealiter — nur gemeinsam Inha-
ber von Herrschaft gewesen, und nur in ihrer wechselseitigen Bindung hätte diese
wirksam werden können.
44 Damit existierte die Reichsaufsicht nicht mehr, sodass «die erstarkten Landesherren
frei geworden (waren), den Rechtsschutz ihrer Untertanen gegen sich selbst nach
Belieben zu regeln.» So Clemens Ladenburger, Die Paulskirchenverfassung, S. 410.
45 Gerard Batliner, Parlament, S. 170 Fn. 309; vgl. auch Brigitte Mazohl-Wallnig, Son-
derfall Liechtenstein, 5. 9 ff.
46 Vgl. auch Christoph Gröpl, Staatsrecht I, S. 28 Rz. 131. Die Dienstinstruktionen
weisen teilweise einen normativen Charakter auf.
47 Georg Malin, Politische Geschichte, S. 160.
48 Volker Press, Das Fürstentum Liechtenstein, S. 63; Georg Malin, Politische
Geschichte, S. 161. Das Truppenkontingent war doppelt so gross wie dasjenige zur
Zeit des Rheinbundes. So Paul Vogt, Brücken zur Vergangenheit, S. 107.
49 Gleich lautende Verträge wurden mit Preussen und Russland abgeschlossen. Siehe
Georg Malin, Politische Geschichte, S. 161 Fn. 29.
50 Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 201 unter Bezugnahme auf Georg Malin,
Politische Geschichte, 5. 161.
51
Spätabsolutistische Verfassungsphase
Bundes wird, den die «souverainen Fürsten und freien Städte Deutsch-
lands» bilden.
2. Deutsche Bundesakte
Die bundesstaatliche Ordnung rückte die Frage nach der Verfassungs-
autonomie der Einzelstaaten in den Vordergrund. Streitig war, inwieweit
der Bund Einfluss auf die Verfassungszustände nehmen sollte. Der in
Art. 13 der Deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815 gefundene Kom-
promiss, wonach in allen Bundesstaaten eine «landständische Verfas-
sung» stattzufinden hatte, stellte aber eine «materiell wie formell unbe-
stimmte Norm» dar.” Zum einen war der Begriff «Landstände» mehr-
deutig, zum andern fehlten nähere Angaben über deren Ausgestaltung
und den Zeitpunkt, bis zu dem innerstaatlich eine solche Verfassung
angeordnet werden musste.® Unter diesen Umständen überrascht es
nicht, dass in den einzelnen Mitgliedstaaten sowohl altständische Verfas-
sungen als auch neuzeitliche, moderne Repräsentativ-Verfassungen mit
gewählten Volksvertretungen erlassen wurden. So wurden Bayern und
Baden 1818 und Württemberg 1819 zu konstitutionellen Monarchien,
während kleinere mitteldeutsche Staaten Verfassungen des altständi-
schen Typs erhielten. In Österreich und Preussen wurden bis 1848
überhaupt keine Verfassungen eingeführt.
Die Deutsche Bundesakte begründete zwar eine Pflicht, eine Ver-
fassung zu schaffen, tangierte aber den Verfassungsprozess in den Ein-
zelstaaten kaum. Sie steckte den Rahmen so weit ab, dass jeder Mit-
gliedsstaat genügend Spielraum für eine eigene Verfassungspolitik vor-
51 Vgl. Wilhelm Mössle, Die Verfassungsautonomie der Mitgliedstaaten des Deutschen
Bundes, 5. 374 ff.
52 Hans Gangl, Der deutsche Weg zum Verfassungsstaat, S. 35; vgl. auch Wolfgang
Quint, Souveränitätsbegriff, S. 465.
53 Hans Gangl, Der deutsche Weg zum Verfassungsstaat, S. 49; Klaus Kröger, Grund-
rechtsentwicklung in Deutschland, S. 13. Nach Carl Schmitt, Verfassungslehre,
5.211 ist in Art. 13 der Wiener (Deutschen) Bundesakte absichtlich der Ausdruck
«Repräsentativverfassung» durch den Ausdruck «ständische Verfassung» ersetzt
worden.
54 Heinrich August Winkler, Geschichte des Westens, S. 457.
55 Klaus Kröger, Grundrechtsentwicklung in Deutschland, S. 13.
52
Landständische Verfassung von 1818
fand, zumal eine Einigung über die Frage der Begrenzung der Verfas-
sungsautonomie nicht erzielt werden konnte. Die Bundesakte liess es
denn auch offen, auf welche Weise die einzelnen Staaten altständische
Verfassungen einführen” und wie die Landstände zusammengesetzt und
berufen sowie mit welchen Befugnissen sie ausgestattet werden sollten.”
So ist es nach Meinung der fürstlichen Hofkanzlei «mithin jedem Sou-
verainen überlassen eine Verfassung zu geben wie ihm beliebt», denn
«über die notwendigen Grundsätze solcher landständischer Verfassun-
gen» habe sich weder «die Bundesakte noch bisher der Bundestag
bestimmt ausgedrückt».5 Der Fürst könne die von ihm gewährte Ver-
fassung unbeschränkt je «nach Umständen modificiren».?
3. Österreichische Verfassungsvorbilder
Fürst Johann I. erlässt bzw. oktroyiert® die Landständische Verfassung
als «souveräner Fürst»*! am 9. November 1818. Er orientiert sich an
österreichischen Verfassungsvorbildern. So hat er «die in den k. k. öster-
reichischen deutschen Staaten bestehende landständische Verfassung in
ihrer Wesenheit zum Muster» genommen.® Sie weicht stark von der
56 Die Landständische Verfassung von 1818 ist noch eine Verfassung, die altständisch
ausgerichtet ist.
57 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 640 ff.
58 Schreiben der fürstlichen Hofkanzlei vom 8. November 1818 an den Fürsten, zitiert
nach Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 17.
59 Schreiben der fürstlichen Hofkanzlei vom 8. November 1818 an den Fürsten, zitiert
nach Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 27 und 28.
60 Wilhelm Ebel, Geschichte der Gesetzgebung, S. 83 weist darauf hin, dass die land-
ständischen Verfassungen «als vom Fürsten gnadenweise gewährt ausgegeben wur-
den — nach der vom enttäuschten Bürgertum gebrauchten Version: als oktroyiert>.
61 So die Präambel der Deutschen Bundesakte; vgl. Ernst Rudolf Huber, Dokumente,
Bd. 1,5. 84 f.
62 Abgedruckt in: LPS 8, S. 259-262 (im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>).
63 $ 1 Landständische Verfassung; zu den Verfassungsmustern siehe PGS 44, Nr. 28
und PGS 46 Nr. 86. Vgl. auch Peter Geiger, Geschichte, S. 24. Andere Staaten des
Deutschen Bundes wie Bayern (1818), Baden (1818) und Württemberg (1819) nah-
men die französische «Charte oktroy&e» von 1814 zum Vorbild. Siehe Arthur Schle-
gelmilch, Die Alternative des monarchischen Konstitutionalismus, S. 38 und zu
Österreich S. 29.
53
Spätabsolutistische Verfassungsphase
frühkonstitutionellen Verfassungsentwicklung der süddeutschen Staaten
ab, die sich volksrepräsentativen Elementen zu öffnen beginnen.“ Die
oktroyierten Verfassungen von Tirol® und Krain® räumen denn auch
den Ständen keine oder nur sehr beschränkte Befugnisse ein.“
II. Landesfürst und ständische Vertretung
1. Zusammensetzung des ständischen Landtages
Die Zusammensetzung des ständischen Landtages ist ein Abbild der da-
maligen Wirtschafts- und Sozialverhältnisse. Obwohl der Adel und die
Städte fehlen, nimmt die Landständische Verfassung eine hierarchische
Zweiteilung der Landstandschaft vor. Sie rechnet die Geistlichkeit und
den Vertreter Österreichs dem höheren Stand zu. Die Richter und Sä-
ckelmeister der Gemeinden bilden die Landmannschaft. Die Landstand-
schaft ist dem Einkammersystem vergleichbar, wie es in anderen Kleinst-
aaten des Deutschen Bundes üblich ist.® Eine Trennung in zwei Kam-
mern ist aufgrund der geringen Mitgliederzahl nicht angebracht. Land-
vogt Joseph Schuppler will die Mitgliederzahlen aus Kostengründen
möglichst niedrig halten. Er steht auch auf dem Standpunkt, dass die Be-
ratungen der Landstände eine blosse «Formalität» darstellen.®
Der geistliche Stand setzt sich aus den Besitzern geistlicher Benefi-
zien und den geistlichen Gemeinschaften zusammen. Er wählt nach eige-
nen Regeln auf Lebenszeit drei Deputierte, zwei für die obere und einen
64 So gesehen stimmt der Hinweis von Karl von In der Maur, Feldmarschall Johann
Fürst von Liechtenstein, S. 194 nicht, wonach die ständischen Verfassungen in allen
Ländern, in welchen sie eingeführt worden waren, lediglich ein «ziemlich beschei-
denes Mass politischer Rechte» gewährt haben. Albert Schädler, Landtag, JBL Bd. 1
(1901), S. 89 ist der Ansicht, dass die damals zustande gekommenen Verfassungen
«wohl in keinem Staate den gehegten Erwartungen entsprochen» haben.
65 Abgedruckt in: PGS 44, Nr. 28.
66 Abgedruckt in: PGS 46, Nr. 86.
67 Vgl. auch Ernst C. Hellbling, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsge-
schichte, S. 338.
68 Vgl. Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. V, S. 233 Fn. 178; Foroud Shirvani, Abgeordne-
tenstatus, 5. 546 f.
69 Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 23.
54
Landständische Verfassung von 1818
für die untere Landschaft.”° Darüber hinaus haben auch jene Besitzer
einer «geistlichen Pfründe», die wenigstens über ein liegendes oder der
Versteuerung unterworfenes Vermögen von 2500.- fl. (Gulden) verfü-
gen, ein «Recht auf die Landstandschaft».”!
Der Landmannschaft gehören von Verfassungs wegen die jeweiligen
Richter und Säckelmeister an, denen die unmittelbare Leitung des Ge-
meindewesens obliegt. Ein «Recht auf die Landstandschaft» haben auch
jene Untertanen, die für ihre Person an liegenden Gründen einen Steuer-
satz von 2000.- fl. (Gulden) ausweisen, «30 Jahre alt, vom unbescholte-
nen und uneigennützigen Rufe und verträglicher Gemüthsart sind». Von
diesem Recht macht jedoch weder ein Geistlicher noch ein Untertan
Gebrauch.” Der Steuersatz ist für die Untertanen zu hoch angesetzt.”
2. Verhältnis von Landesfürst und Ständen
Die Landstände haben nur die Befugnis, im Landtag Vorschläge zu
unterbreiten, die das «allgemeine Wohl» betreffen. Hiervon sind Vor-
schläge ausgenommen,”* die sich auf vermögenswerte Rechte des Fürs-
ten wie Landesregalien oder auf Angelegenheiten «im bürgerlichen, poli-
tischen und peinlichen Fache» oder auf die «äusseren Staats-Verhält-
nisse» beziehen.” Der Landesfürst behält sich das Recht der
Genehmigung oder der Verwerfung vor. Wichtige Fragen wie die Ver-
waltungsorganisation oder die Steuererhebung bleiben ihrem Zugriff
verschlossen. Sie verfügen über kein Besteuerungs- und Gesetzgebungs-
recht und können ihre Interessen gegenüber dem Landesfürsten nur in
Form von Bitten und Ratschlägen vortragen.’® Sie können auf die Fest-
legung des Budgets keinen Einfluss nehmen. Sie haben «sich nur über
70 Vsl. als Beispiel Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 31.
71 Vgl. $3 Landständische Verfassung.
72 Vsl.$ 4 Landständische Verfassung und dazu Peter Geiger, Geschichte, S. 20 Fn. 38.
73 Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 22.
74 Zu den Dominikalgefällen vgl. Winfried Klein, Die Domänenfrage im deutschen
Verfassungsrecht, S. 57 ff.
75 Vgl. $$ 13-17 Landständische Verfassung.
76 Peter Geiger, Geschichte, S. 21 f.; vgl. auch Arthur Schlegelmilch, Die Alternative
des monarchischen Konstitutionalismus, S. 29.
55
Spätabsolutistische Verfassungsphase
die Einbringlichkeit der postulirten Summen zu berathschlagen, und
dafür zu sorgen».”7
Verfassungsrechtliche Bedeutung kommt der Ständeversammlung
somit kaum zu. Sie hatte nicht nur keine politische Entscheidungsbefug-
nis. Es wird ihr nicht einmal «jenes Minimum landständischer Rechte,
zu dessen Einräumung auf dem Wiener Congress die grosse Mehrheit
der Stifter des teutschen Bundes sich bereit erklärt hatte», zugestanden.”®
Die Verfassung verschliesst sich einer dualistischen Gegenposition der
Stände. Sie sind kein Staatsorgan, sondern nach heutigen Begriffen eine
«gesellschaftliche Interessenvertretung» gegenüber dem Fürsten.” Sie
sind staatspolitisch bedeutungslos, sodass die Ständevertreter im Volks-
mund «Glasbläser» genannt werden. Sie haben nichts zu sagen. Dieser
Zustand erinnert an die Postulantenlandtage in Österreich.®
77 $ 11 Landständische Verfassung. Im Rahmen der Beratungen der bayerischen Ver-
fassung von 1818 wurden auch Stimmen laut, die den Ständen lediglich beratende
Funktion zugestehen wollten. Sie konnten sich allerdings gegen die liberalen Ver-
fassungsbefürworter nicht durchsetzen. Vgl. Thomas Würtenberger, Der Konstitu-
tionalismus des Vormärz, S. 168 f. unter Bezugnahme auf Wolfgang Quint, Souve-
ränitätsbegriff und Souveränitätspolitik, S. 491.
78 J.L. Klüber, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten,
Frankfurt 1817, 4. Aufl., Frankfurt 1840, zitiert nach Herbert Wille, Staat und Kir-
che, S.39 Fn. 3. Als Beweis der Bedeutungslosigkeit der Landstände sei an einen
Vorfall aus dem Jahre 1861 erinnert, den Peter Geiger, Geschichte, S. 256 Fn. 33
erwähnt. Danach verweigerten die Landstände auf dem Landtag vom 2. September
1861 ihre Zustimmung zum fürstlichen Steuerpostulat. Peter Geiger vermerkt unter
Bezugnahme auf Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 33 ff. und 43 ff., dass in
den ersten Jahren nach 1818 die Versuche der Landstände, mehr Rechte zu erlangen,
nie in einer solchen Vehemenz und Geschlossenheit vorgetragen wurden, sondern
nur in Form von Bitten oder in Einzelaktionen.
79 Stefan Korioth, «Monarchisches Prinzip», S. 49. Nach Wilhelm Mössle, Die Verfas-
sungsautonomie der Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes, S. 376 ging denn auch
Art. XIII BA von landständischen Verfassungen im herkömmlichen Sinne aus, «bei
denen dem Monarchen nur Vertreter der Rechte und Interessen einzelner Korpora-
tionen und Stände und nicht eine Vertretung des ganzen Volkes gegenüberstanden».
80 Vgl. Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 36. Otto Hintze, Das monarchische
Prinzip, S. 367 weist unter Bezugnahme auf Art. 57 der Wiener Schlussakte darauf
hin, dass Österreich sich «mit Recht vor modernen Volksvertretungen» gefürchtet
habe, sodass es eine «Fassung der Bundesbeschlüsse» gebraucht habe, um «seine
alten verrosteten Postulatenlandtage> aus der Zeit Maria Theresias als vereinbar mit
den Vorschriften des berühmten $ 13 der Bundesakte erscheinen» zu lassen. Aus
diesem Grunde habe man das Wort «Konstitution» vermieden und immer nur von
landständischen Verfassungen gesprochen.
56
Landständische Verfassung von 1818
Es zeigt sich in den Unruhen von 1831/32®!, dass sich die Untertanen
übergangen fühlen, weil sie vom Gesetzgebungsverfahren ausgeschlos-
sen sind. Sie reklamieren «eine bessere Repräsentation gegenüber dem
Landesherr» und «mehr Einfluss auf die politische und wirtschaftliche
Verwaltung des Landes».® Diese Begehren finden beim Fürsten kein
Gehör. Er erinnert sie im Untertanenpatent vom 29. August 1832 viel-
mehr daran, dass von ihnen «Gehorsam und Unterwürfigkeit» verlangt
werde, die sie der fürstlichen Obrigkeit schuldig seien.®
III. Staatsrechtliche Einordnung
1. Verfassungsverständnis
Die Landständische Verfassung ist ein vom Fürsten in souveräner Eigen-
macht «gegebenes Gesetz»* bzw. eine «einseitig gewährte Konzession»
der «aus dem Gottesgnadentum abgeleiteten monarchischen Gewalt»
und hat noch keinen «herausgehobenen Status»%. Er kann die Verfas-
sung jederzeit von sich aus ändern und zurücknehmen. Er kommt mit
dem Erlass einer landständischen Verfassung nicht nur einer bundes-
rechtlichen Vorschrift nach. Er knüpft damit auch an den 1808 mit den
Dienstinstruktionen geschaffenen neuen Verfassungszustand an, der den
umfassenden Herrschaftsanspruch des absoluten Fürsten widerspiegelt,
der keinen Zweifel darüber aufkommen lässt, dass die Souveränität ihm
allein zuzuschreiben ist.
Zu diesem Verfassungsverständnis des souveränitätsbewussten
Monarchen? passt auch das fürstliche Vetorecht gegenüber Deputierten
81 Ausführlich dazu Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 59-103.
82 Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 102; siehe auch Peter Geiger, Geschichte,
S. 255 ff.
83 Vgl. Präambel sowie Ziffer 1 und 12 Untertanenpatent vom 29. August 1832 (im
Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>).
84 So die Formulierung der fürstlichen Hofkanzlei in ihrem Schreiben vom 8. Novem-
ber 1818 an den Fürsten, zitiert nach Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 27.
85 Formulierung nach Stefan Korioth, «Monarchisches Prinzip», S. 49.
86 Werner Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus, S. 370.
87 Vsl. Volker Press, Das Fürstentum Liechtenstein, S. 64.
57
Spätabsolutistische Verfassungsphase
beider Stände® wie auch das Bestätigungsrecht bei der Richterbestellung
und das oberamtliche Ernennungsrecht der Säckelmeister und Ge-
schworenen.®® Erhebt das Oberamt gegen einen Deputierten Einwände,
entscheidet der Fürst über einen Ausschluss. Er erteilt ihm entspre-
chende Weisungen.
2. Primat der Monarchie
Die Landständische Verfassung belässt die Stellung des Fürsten dem
Staat und seinem Haus gegenüber unangetastet. Sie verzichtet ganz auf
eine konkrete Bezeichnung des Fürsten. Die Stellung des Landesherrn
bedarf keiner Regelung, denn es bleibt praktisch alles beim Alten. Dies
betrifft auch das Verhältnis von Fürst und Landständen und die Bezie-
hungen der Untertanen zum Staat. Eine Bindung gegenüber der ständi-
schen Vertretung, die eine erschwerte Abänderbarkeit der Verfassung
beinhaltet hätte, besteht nicht. Für konstitutionelle Vorstellungen bleibt
kein Raum. Sie hätten die landesherrliche Stellung des Fürsten beein-
trächtigt. Der Landesfürst tritt noch keines von seinen Herrschaftsrech-
ten dem Volk ab.” Die Landständische Verfassung hat so gesehen keine
wirklich staatsrechtlichen Verhältnisse geschaffen. Sie erweist sich als
eine «hohle Formsache».?! Sie hat jedenfalls noch keinen Schritt weg
vom Absolutismus und hin zum Konstitutionalismus gemacht.” Sie ist
zu jenen landständischen Verfassungen zu zählen, die am altständischen
Verfassungsmuster festhalten. Die monarchische Herrschaft dauert «als
gottgegebene, erbliche Herrschaft»” wie bisher fort.
88 Vsl. $ 6 Landständische Verfassung.
89 Vgl. $$ 7 und 8 Gemeindegesetz vom 1.8.1842 (im Internet abrufbar unter:
<www.e-archiv.li>).
90 Vgl. Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 27 ff.; Peter Geiger, Geschichte,
S. 18 ff. Die Landstände hatten praktisch keine Rechte. Siehe $$ 13, 15, 16 und 17
Landständische Verfassung.
91 Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 10.
92 Vgl. auch Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 30.
93 Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 2, S. 105.
58
Landständische Verfassung von 1818
Dem Primat der Monarchie entspricht das Staatsmodell, wie es in der
Staatsrechtslehre die sogenannte «Herrschertheorie»* vertritt.® Sie
weist dem regierenden Fürsten die Herrschaftsgewalt als eigenes, dem
Eigentum ähnliches Recht zu und deutet den Staat als Objekt fürstlicher
Eigentumsherrschaft. So ist «die Souveränität» nach Romeo Maurenbre-
cher «das reine Privatrecht (Eigentum, Patrimonium)® des Fürsten».”
Der Fürst ist kein Organ des Staates. Er steht als Herrscher ausserhalb
des staatlichen Verbandes. Diese Theorie wurde bisweilen auch zur Zeit
der konstitutionellen Monarchie bemüht, um das monarchische Prinzip
rechtlich verständlich zu machen, und zu Beginn des 20. Jahrhunderts
u. a. noch von Hermann Rehm verfochten.® Nach ihm ist der moderne
deutsche Verfassungsstaat teils Fürsten-, teils Volksstaat. Demgemäss
gibt es zwei Rechtsordnungen: «Das öffentliche Recht eines Landes zer-
fallt in zwei voneinander unabhängige Rechtsteile, in Landesstaatsrecht
und in fürstliches Hausrecht»,” und diese Zweiheit hat wiederum eine
Zweischichtigkeit in der Stellung der Bürger und der Amtsträger zur
Folge: «Der Staatsdiener ... steht in gemischtem Dienst, er hat zwei Her-
ren, den Fürsten und den Staat als korporativen Verband ... und das glei-
che gilt für die Untertanen.»!%
94 Georg Meyer / Gerhard Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, S. 16 unter
Bezugnahme auf Georg Jellinek; vgl. auch hinten S. 248 f. und 252.
95 Vgl. zu dieser Staatstheorie Henning Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person,
S. 31; Gerhard Robbers, Die Staatsrechtslehre im 19. Jahrhundert, S. 107; Herbert
Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 141 mit jeweils weiteren Literaturhinweisen.
96 Die Patrimonialtheorie fasste den Staat oder die Staatsgewalt als Eigentum des Fürs-
ten und die Verfassung als sein «rücknehmbares Geschenk» auf. Vgl. Hans Boldt,
Zwischen Patrimonialismus und Parlamentarismus, S. 84. Im Zusammenhang mit
der «Restauration der Staatswissenschaft» wird insbesondere Karl Ludwig von Hal-
ler (1768-1854) erwähnt, den Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts,
S. 144 als «Haupt» des «restaurativen Denkens» bezeichnet.
97 Romeo Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, S. 246.
98 Für Österreich weist Peter Pernthaler, Das Staatsoberhaupt, S. 102 f. darauf hin, dass
dieses «patrimoniale Staatsdenken die Verfassung Österreichs bis zum Untergang
der Monarchie beherrscht» hat, sodass an die Spitze der bekannten Sammlung der
Österreichischen Verfassungsgesetze von E. Bernatzik noch im Jahre 1911 das «pri-
vatrechtliche» Instrument der Pragmatischen Sanktion von 1719 als das eigentliche
Grundgesetz der österreichisch-ungarischen Monarchie gestellt worden sei.
99 Hermann Rehm, Modernes Fürstenrecht, S. 7. Dort heisst es auch: «Das regierende
Haus hat sein eigenes Recht an der Krone nicht vom Staate derivativ, sondern dem
Staat gegenüber originär erworben», besitzt «somit sein eigenes Recht an der Krone
gegenüber dem Staate als ein originär erworbenes Recht». Siehe auch hinten S. 249.
100 Hermann Rehm, Die überstaatliche Rechtsstellung der deutschen Dynastien, S. 27.
59
2. Abschnitt
Konstitutionelle Verfassungsbewegung
$3 POLITISCHE SITUATION
I. Forderungen der Märzausschüsse'”
Die konstitutionelle Verfassungsbewegung setzt im Vergleich zu ande-
ren Staaten des Deutschen Bundes im Fürstentum Liechtenstein spät
ein.!® Dieser Umstand erklärt sich einerseits aus der die Staatsführung
beherrschenden Stellung der Landesfürsten und ihrer auf Österreich
ausgerichteten Verfassungspolitik!® und andererseits aus der kleinbäuer-
lichen Bevölkerungsstruktur und der geographischen Lage des Landes,
das ein Randgebiet des Deutschen Bundes bildete. Es fehlte beispiels-
weise ein gebildetes Bürgertum, wie es ın der deutschen National-
versammlung anzutreffen war.!®% So kam es erst 1848 im Rahmen des
Verfassungsvorhabens der Deutschen Nationalversammlung zu Verfas-
101 Die Gemeinden wählten ihre Ausschüsse, die am 22. März 1848 einen dreiköpfigen
Landesausschuss bestellten. Sie wandten sich am 22. und 24. März 1848 an Fürst
Alois IT. und unterbreiteten ihm ihre Bitten und Wünsche. Ausführlich dazu Peter
Geiger, Geschichte, 5. 59 ff.
102 Die Konstitutionelle Verfassung vom 28. September 1862 hat die Sigmaringer Ver-
fassung von 1833 zum Vorbild, sodass sich Liechtenstein, wie Peter Geiger,
Geschichte, S. 285, schreibt, «mit beträchtlicher Verspätung» dem «süddeutschen
Konstitutionalismus» angeschlossen habe.
103 Vgl. den Fürstlichen Erlass vom 19. März 1848, abgedruckt in: LPS 8, S. 263 (im
Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>), in dem Fürst Alois II. zu verstehen
gibt, dass er sich auch fortan «möglichst den Regierungs-Grundsätzen des Kaiser-
staates anzuschliessen» gedenke.
104 Vgl. Heinrich August Winkler, Geschichte des Westens, S. 606; Jörg-Detlef Kühne,
150 Jahre Revolution von 1848/49, S. 1515, der darauf verweist, «dass das Bildung-
niveau der Paulskirchenmitglieder über jeden Zweifel erhaben ist».
60
Politische Situation
sungsentwürfen, die eine konstitutionelle Ausgestaltung des monar-
chischen Staates ins Auge fassten.
Es wurden Forderungen nach einer «freiheitlicheren Verfassung»
laut,!® die die Landständische Verfassung ersetzen sollte. Die Märzaus-
schüsse insistierten auf einer frei gewählten Volksvertretung und einer
Teilhabe des Volkes an der Gesetzgebung. Ohne Beratung und Zustim-
mung der Volksvertretung sollten keine neuen Gesetze und Abgaben
eingeführt werden dürfen. Auch wenn die Begehren vereinzelt revolu-
tionäre Züge trugen,!® die Monarchie als Staatsform wurde nicht infrage
gestellt.
Il. Monarchische Konzessionen
1. Erlass vom 19. März 1848
Fürst Alois IL!” versuchte, einer revolutionären Stimmung, die über das
benachbarte Vorarlberg von Österreich aus ins Land übergreifen konnte,
entgegenzuwirken.!® In einem Erlass vom 19. März 18481% versprach er,
soweit es die Verhältnisse des Landes erlaubten, dem Beispiel des öster-
reichischen Kaisers zu folgen, der «in den letzteren Tagen», d. h. bei
Ausbruch der Revolution in Wien am 13. März 1848 den Erlass einer
«Constitution des Vaterlandes» in Aussicht gestellt hatte.!!° Er appel-
lierte an den «geraden Sinn» und das «Ehrgefühl» der Liechtensteiner
und mahnte zu «Gehorsam und Ordnung», da sonst die «Selbständig-
keit» des Landes gefährdet sei.
In Gemeindeversammlungen und gewählten Ausschüssen konnten
die aufrührerischen Bestrebungen aufgefangen und so in geordnete
Bahnen gelenkt werden. Rektor Peter Kaiser, der «Lenker der Revolu-
105 Peter Geiger, Geschichte, S. 63 f.
106 Peter Geiger, Geschichte, S. 68.
107 Zu seiner Person siehe Evelin Oberhammer, in: Historisches Lexikon, Bd. 1, 5.527 ff.
108 Peter Geiger, Geschichte, S. 57 und 65.
109 Siehe vorne S. 60 Fn. 103.
110 Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte, S. 115.
61
Konstitutionelle Verfassungsbewegung
tion»1!!!, bemühte sich, «mässigend auf das erregte Volk ein(zu)wir-
ken».1!!2 Er sprach sich gegen jegliche Ausschreitungen aus. Im April
1848 wurde er zum Landesvertreter in die Frankfurter Paulskirche
gewählt. In der von ihm verfassten Adresse der Landesausschüsse vom
22. März 1848 an Fürst Alois II. formulierte er die Beweggründe und das
Volksbegehren wie folgt: «Die Art, wie wir bisher verwaltet und regiert
wurden, ist für unser Ländlein zu kostspielig, das Grundeigenthum zu
schwer belastet. Wir haben nur zu lange unter diesem doppelten Druck
gelitten. So ergreift auch uns die Bewegung, welche ganz Deutschland
durchzuckt und an alle Throne klopft: Auch wir wollen eine freie Ver-
fassung, Entlastung des Grundeigenthums, wir wollen in Zukunft(,) als
Bürger und nicht als Unterthanen behandelt sein [...]».1!?
2. Erlass vom 7. April 1848
Fürst Alois II. geht in seinem Erlass vom 7. April 1848114 auf das Verfas-
sungsanliegen der Ausschüsse der Gemeinden ein. Er kommt zunächst
jenen Bitten und Wünschen nach, die sich mit seinen Vorstellungen de-
cken, um «nach Möglichkeit volle Beruhigung zu geben», denn in ihrem
Forderungskatalog gab es auch Fragen, die nach seiner Meinung zuerst
«noch der Vorbereitung oder Verhandlung» bedurften. Er sichert ihnen
«rechtsverbindlich» ein «Verfassungsgesetz nach constitutionellen
Grundsätzen» zu, das aber, wie er abschliessend erklärt, erst dann in An-
griff genommen werden könne, wenn das «Verfassungswerk» für ganz
Deutschland, an dem «durch Volksvertreter zu verstärkenden Bundes-
tage» eben gearbeitet werde, beschlossen sei. Daraus spricht ein vorsich-
tiges Taktieren des Fürsten, konnte er doch unter diesem Vorwand «eine
ganze Reihe von Begehren» mit «Schweigen» übergehen.!!> Er wollte
111 Peter Geiger, Politisches Wirken Peter Kaisers, S. 32. Er stellte sich an die Spitze der
Revolutionsbewegung. Vgl. Peter Geiger, Geschichte, S. 59. Er war ab 1817 an der
Universität Freiburg im Breisgau und dort ein «begeisterter Schüler» von Karl von
Rotteck, einem Exponenten der vernunftrechtlichen Richtung in der vormärzlichen
Staatslehre. So Peter Geiger, Geschichte, S. 43 und 109.
112 Peter Geiger, Geschichte, S. 59.
113 Zitiert nach Peter Geiger, Geschichte, 5. 60 ff.
114 Abgedruckt in: LPS 10, S. 264-266 (im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>).
115 Peter Geiger, Geschichte, S. 74.
62
Politische Situation
vor allem der Verfassungsentwicklung in Österreich nicht vorgreifen. Er
zeigt zwar Bereitschaft zu einer konstitutionellen Verfassungsordnung,
macht sie aber abhängig von der deutschen und österreichischen Verfas-
sung(sentwicklung), mit der sie, wie es seiner Regierungspolitik ent-
spricht, möglichst im «Einklang» stehen sollte, und behält sie zudem der
künftigen Volksvertretung vor, die erst noch nach der neuen Verfassung
bestellt werden musste. Soweit er selber die konstitutionelle Ausrich-
tung der Verfassung konkretisiert, lässt er, was die Rechte der Volksver-
tretung betrifft, Vorsicht walten und gibt sich zurückhaltend. Er gesteht
zwar die freie Wahl der Volksvertreter zu, bindet sie allerdings an Besitz
und Bildung. Der Volksvertretung («Landtag») räumt er jedoch nur das
Recht ein, alle «neu einzuführenden Steuern» zu bewilligen, nicht auch
das Recht, «allen neu zu erlassenden Gesetzen» beizustimmen. Er ist
nicht bereit, sie an der Gesetzgebung zu beteiligen. Die Volksvertretung
bzw. der Landtag soll Gesetze nur beraten können. !!6
Diese abwartende Haltung des Fürsten trug kaum zur Beruhigung
der Bevölkerung bei, die sich an den Zugeständnissen orientierte, die die
Fürsten in anderen Staaten des Deutschen Bundes machen mussten. Es
missfiel ihr, dass sich seine Verfassungspolitik zu sehr in das «Schlepptau
der österreichischen Entwicklung» begab,!!7 die keinen Fortgang ver-
sprach. Es zeichneten sich denn auch im Lande keine Veränderungen ab,
die auf eine politische und rechtliche Neugestaltung hoffen liessen,
obwohl im Rahmen des Deutschen Bundes jedem Staat genügend Frei-
raum blieb, eine eigene Verfassungspolitik zu betreiben.!!® Aus diesem
Grund erinnerte die Versammlung der Landesausschüsse den Fürsten in
einem Schreiben vom 21. April 1848 daran, «dass, da unser Land ein
selbständiges Bundesgebiet ist, wir berechtigt zu sein glauben, auch
eigene, den Verhältnissen und Bedürfnissen des Volkes angemessene
Gesetze und Ordnungen zu haben [...], dass wir folglich nicht wieder
auf die Muster eines mächtigen Nachbarstaates angewiesen werden; wir
wollen eigene, oder allgemein deutsche, nicht österreichische Gesetze in
allen Beziehungen des öffentlichen Lebens».1!9
116 Vgl. auch Peter Geiger, Geschichte, S. 71 ff. (74).
117 Peter Geiger, Geschichte, S. 65.
118 Siehe schon vorne S. 52 f.
119 Zitiert nach Peter Geiger, Geschichte, S. 80.
63
Konstitutionelle Verfassungsbewegung
$4 VERFASSUNGSENTWÜRFE
UND -PROJEKTE VON 1848
I. Verfassungsentwurf von Peter Kaiser
Der Verfassungsentwurf von Peter Kaiser vom März 184812 beteiligt das
Volk an der «höchsten Gewalt», die Fürst und Volk innehaben. Sie bil-
den zusammen die gesetzgebende Gewalt bzw. Behörde. Anstelle des
Volkes tritt ein von ihm «frei erwählter Landrath» ($ 7). Dieser besteht
aus 24 Mitgliedern, die in den Gemeinden «frei gewählt werden» ($ 12).
Er entscheidet über die Ausgaben und Einnahmen allein und prüft den
Rechenschaftsbericht der gesamten Verwaltung, deren Beamte ihm ver-
antwortlich sind ($ 14).
Der Verfassungsentwurf rückte vom monarchischen Prinzip ab,
wonach die gesamte Staatsgewalt im Fürsten vereinigt war. Der Fürst
verkörperte nicht mehr den Staat. Das Volk sollte massgeblich an der
Staatsgewalt beteiligt werden. So sollte die gesetzgebende Gewalt bei der
Gesamtheit der Bürger und beim Fürsten liegen und von ihnen gemein-
sam ausgeübt werden.
II. Verfassungsentwurf des Verfassungsrates
1. Im Allgemeinen
Der Verfassungsrat, der seine Hauptaufgabe in der Ausarbeitung einer
freiheitlichen Verfassung sah, baute zu einem wesentlichen Teil auf dem
Verfassungsentwurf von Peter Kaiser auf, der wegen «republikanischer
Tendenzen» beim Regierungsamt!?! auf Ablehnung stiess. Der Verfas-
sungsentwurf des Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848!2 folgt denn
120 Im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>.
121 Im fürstlichen Handbillet vom 8. April 1848 wurden das «Oberamt» in «Regie-
rungsamt» und der «Landvogt» in «Landesverweser» umbenannt. Siehe Peter Gei-
ger, Geschichte, S. 72.
122 Im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>. Er wurde nach Beratung in den
Gemeindeversammlungen samt Wahlordnung am 1. Oktober 1848 dem Fürsten
übermittelt. Siehe Peter Geiger, Geschichte, S. 107.
64
Verfassungsentwürfe und -projekte von 1848
auch in den Grundsätzen dem demokratischen Staatsgedanken, wie ihn
Peter Kaiser verfochten hat. Es gibt aber auch Abweichungen, wie bei-
spielsweise die Frage der politischen Verantwortlichkeit des Landesver-
wesers, die Peter Kaiser im Sinne eines Abberufungsrechts des Landra-
tes löste, womit er ihm ein politisches Übergewicht gegenüber dem Lan-
desfürsten einräumte. Diesem Vorschlag schloss sich der Verfassungsrat
nicht an.
Es ist auch bezeichnend, wie Peter Geiger!? vermerkt, dass gerade
jene Vorschriften des Entwurfs des Verfassungsrates, die vom Projekt
Peter Kaisers stammten, vom Fürsten nicht gebilligt wurden. Landes-
verweser Johann Michael Menzinger!**, der an der Verfassungsarbeit des
Verfassungsrates beteiligt war,!?® ist entschieden der Ansicht, «der Fürst
soll auch Fürst bleiben, es sollen ihm seine Rechte, die nie zur Bedrü-
ckung des Volkes angewendet worden sind, unverkümmert belassen
seyn.»126 Über ihn kamen im Verfassungsrat auch die Verfassungsvor-
stellungen von Franz Joseph Oehri!?” zur Sprache, der sich mit Peter
Kaisers Verfassungsentwurf eingehend auseinandergesetzt und ihn kom-
mentiert hatte. Er tritt im Unterschied zu Peter Kaiser für eine «ausge-
glichenere Balance zwischen Fürst und Volk» ein. 12%
2. Im Besonderen
Nach dem Verfassungsentwurf des Verfassungsrates geht die staatliche
Gewalt nicht mehr vom Fürsten allein aus. Fürst und Volk stehen einan-
der im Staat als Staatsorgane gleichberechtigt gegenüber. So heisst es in
$ 34, dass die höchste Gewalt in Bezug auf die Gesetzgebung, Verwal-
tung und Rechtspflege beim Fürsten und Volke «vereint» sei. Der Fürst
ist oberstes Vollzugsorgan ($$ 34 und 94). Die Exekutivgewalt liegt allein
bei ihm, die er durch den von ihm ernannten Landesverweser ausüben
123 Peter Geiger, Geschichte, S. 101.
124 Zu seiner Person siehe Karl Heinz Burmeister, in: Historisches Lexikon, Bd. 2,
5.612.
125 Vgl. Peter Geiger, Geschichte, S. 105 f. und 117.
126 Zitiert nach Peter Geiger, Geschichte, S. 105.
127 Zu seiner Person siehe Roland Steinacher, in: Historisches Lexikon, Bd. 2, 5. 674.
128 Vgl. Peter Geiger, Geschichte, S. 102 ff.
65
Konstitutionelle Verfassungsbewegung
lässt ($$ 34 und 37). Der Verfassungsentwurf definiert dementsprechend
die Regierungsform als «monarchisch konstitutionelle» und bezeichnet
den Landesherrn als «konstitutionellen Fürsten» ($ 3).12?
Während der Fürst den Landesverweser, der als «Regierungsvor-
steher» fungiert und im Namen des Fürsten die «Vollziehungsgewalt»
wahrnimmt, allein («von sich selbst») bestellt, wählt er die «übrigen
Staatsbeamten» auf Vorschlag des Landrates ($ 37). Der Landesverweser
ist dem Landrat verantwortlich ($$ 34 und 96), der ihn aber nur wegen
Verletzung der Verfassung oder der Gesetze oder pflichtwidriger Ver-
ausgabung der Staatseinnahmen in den Anklagezustand versetzen
kann. Nach dem Verfassungsentwurf von Peter Kaiser sollte der Lan-
desverweser auf Vorschlag der Volksvertretung (Landrat) vom Fürsten
ernannt werden. Er sollte auch — wie übrigens alle Beamten — dem Land-
rat verantwortlich sein und auf zweimaligen Antrag abberufen werden
müssen. Dieser Vorschlag hätte eine parlamentarische Verantwortlich-
keit beinhaltet. !®
Der Landrat ist die «oberste gesetzgebende Behörde», die vom
Volk gewählt wird und seinen Anteil an der Gesetzgebung in dessen
Namen und Vertretung ausübt ($ 65). Das Recht der freien Wahl des
Landrates ist den Staatsangehörigen verfassungsmässig garantiert ($ 55).
Ohne seine Zustimmung darf kein Gesetz kundgemacht, keine Steuern
erhoben und keine Staatsanleihen aufgenommen werden ($ 91). Demzu-
folge entspricht es der Stellung des Landrates als oberster gesetzgeben-
der Behörde, dass der Fürst, der mit dem Landrat das Gesetzgebungs-
recht teilt, nur mehr über ein suspensives Veto verfügt ($ 81).!3 Es soll
allerdings nur unter erschwerten Bedingungen ausser Kraft gesetzt wer-
den können. Danach tritt ein Gesetzesvorschlag, der auch in der dritten
Beratung aufrechterhalten wird, nachdem er in zwei verschiedenen Sit-
129 Dieser Passus wurde vom Landrat bereits im revidierten Verfassungsentwurf vom
22. Dezember 1849 fallen gelassen. Siehe Peter Geiger, Geschichte, S. 173 f.
130 Peter Geiger, Geschichte, S. 99.
131 Peter Geiger, Geschichte, S. 98 f. Der liechtensteinische Vertreter in der National-
versammlung, Karl Schädler, sprach sich mit der Minderheit für ein beschränktes
Veto der Regierungen (Fürsten) gegen Beschlüsse der Volksvertretungen und
ebenso dafür aus, dass eine Landesverfassung nicht einseitig von der Regierung
(Fürsten) gegeben oder geändert werden dürfe. Siehe Peter Geiger, Geschichte,
$.145 Fn. 109. Zur Person von Karl Schädler siehe Rudolf Rheinberger, in: Histori-
sches Lexikon, Bd. 2, S. 829-831.
66
Verfassungsentwürfe und -projekte von 1848
zungen gefasst, aber vom Fürsten nicht bestätigt worden ist, in «gesetz-
liche Wirksamkeit, wenn auch die nachgesuchte Bestätigung binnen
vierzig Tagen nicht erfolgen würde», nachdem der Gesetzesbeschluss
dem Landesfürsten zur Genehmigung unterbreitet worden war ($ 81).
Ein derart restriktives Vorgehen sollte einsichtig machen, dass der
Beschluss dem Volkswillen entspricht, und sicherstellen, dass übereilte
Beschlüsse oder eine Willkürherrschaft zufälliger Majoritäten nicht
zustande kommen können.!? Dieses Verfahren gleicht dem Vorschlag
der Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1849.13 Der Land-
rat gibt sich selber eine Geschäftsordnung und wählt seinen Präsidenten
($ 77).
3. Verfassungspolitische Bedeutung
Die verfassungspolitische Bedeutung des vom Verfassungsausschuss im
Juli/August 1848 ausgearbeiteten Verfassungsentwurfs liegt darin, dass
er die Staatsgewalt zwischen Fürst und Volk teilt und eine Entwicklung
ın Gang bringt, die sich erst in der heute geltenden Verfassung von 1921
durchsetzt. Fürst und Volksvertretung verfügen nur über Teile der
Staatsgewalt, während Träger der Souveränität der Staat selber ist. Dies
entsprach der organischen Staatstheorie des deutschen Liberalismus im
19. Jahrhundert.!** Der Landrat repräsentiert zum ersten Mal das Volk.
Ihm gebührt in der Gesetzgebung gegenüber dem Fürsten der Vorrang,
dem nur mehr ein suspensives Veto zukommt. In einem revidierten Ver-
fassungsentwurf vom 22. Dezember 1849 zeigte sich der Landrat kom-
promissbereit und konzedierte dem Landesfürsten ein absolutes Geset-
zesveto, rückte also vom suspensiven Veto ab.!5
132 Vgl. Manfred Botzenhart, Die Parlamentarismusmodelle der deutschen Parteien,
S. 140.
133 Vgl. $ 101 Verfassung des Deutschen Reiches, publiziert in: Dietmar Willoweit/
Ulrike Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 575 (auch abrufbar unter
<www.e-archiv.li>).
134 Peter Geiger, Geschichte, S. 108 f.; vgl. zur Organismuslehre ausführlich Ernst-
Wolfgang Böckenförde, Der Staat als Organismus, S. 263 ff.
135 Vgl. zu den Gründen Peter Geiger, Geschichte, S. 173 f. Auch Fürst Alois II. lehnte
das suspensive Veto in den Übergangsbestimmungen ab. Siehe Peter Geiger, Revo-
lution, S. 40 und hinten S. 70.
67
Konstitutionelle Verfassungsbewegung
Dieser Verfassungsentwurf, wie er am 1. Oktober 1848 Fürst Alois II.
übergeben worden ist, wird 1860 vom Verfassungsrat mit fast unverän-
dertem Inhalt an Fürst Johann II. gesandt. Er bildet für ihn den Aus-
gangspunkt und die Grundlage der Verfassungsauseinandersetzungen,
die 1862 zur Konstitutionellen Verfassung geführt haben.!
$5 ÜBERGANGSPHASE
I. Konstitutionelle Übergangsbestimmungen!”
1. Bedrängnis des Fürsten
Fürst Alois II. hielt es aus den gleichen Gründen, wie er sie schon in sei-
nem Erlass vom 7. April 1848 ins Feld geführt hatte, nicht für ratsam, das
vom Verfassungsrat vorgelegte Verfassungswerk weiter zu verfolgen,
obwohl der Verfassungsrat auf eine Inkraftsetzung drängte und darauf
bestand, dass es mit den Frankfurter Beschlüssen übereinstimmte.!?®
Fraglich bleibt allerdings, ob eine Einigung in den systemrelevanten Ver-
fassungsfragen, wie dem Vetorecht des Fürsten gegenüber Gesetzesbe-
schlüssen des Landrates oder der parlamentarischen Verantwortlichkeit
des «Regierungs-Vorstehers» (Landesverweser) ($ 96), auf dem «Kom-
promisswege» hätte erzielt werden können.!® Sie bleiben jedenfalls von
den Übergangsbestimmungen ausgeklammert, da Fürst Alois II. gegen
sie Bedenken hegte.!* Er hatte zwar eine konstitutionelle Verfassung
zugesagt. Der Zeitpunkt war aber nach wie vor ungünstig, sodass es
nicht opportun war, sich auf eine neue Verfassungsordnung einzulassen,
bevor nicht Klarheit über die deutsche Verfassung und die Stellung des
Landes im Deutschen Bund herrschte.!*! Im November 1848 hatte er
136 Siehe hinten S. 72 ff.
137 Abpgedruckt in: LPS 8, S. 267-270 (im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>).
138 Peter Geiger, Geschichte, S. 119.
139 So Peter Geiger, Geschichte, S. 118 f.
140 Vgl. die Einleitung zu den Konstitutionellen Übergangsbestimmungen.
141 Vgl. Peter Geiger, Geschichte, S. 119 f. Die Konstitutionellen Übergangsbestim-
mungen sprechen in der Einleitung von «schwankenden Verhältnissen Deutsch-
lands» und verweisen in Ziffer 9 auf $ 1 des Verfassungsentwurfs des Verfassungs-
68
Übergangsphase
noch den Verfassungsrat angehalten, die Frankfurter Verfassung abzu-
warten. Unruhen im Volk waren infolge enttäuschter Erwartungen nicht
auszuschliessen.
2. Provisorische Wahlordnung
In dieser Bedrängnis entschloss sich Fürst Alois IL, einen Teil seiner
Zusicherungen provisorisch in Kraft zu setzen. Es handelte sich dabei
um die Vorschriften des Verfassungsentwurfes, in die der Fürst einwil-
ligte.!? So fanden Teile des Verfassungsentwurfs des Verfassungsrates,
insbesondere soweit sie die Volksvertretung und deren Teilnahme an der
staatlichen Willensbildung betrafen, Eingang in die Konstitutionellen
Übergangsbestimmungen. Fürst Alois II. erliess sie am 7. März 1849 als
«Zwischenlösung». 1!
Die Wahlordnung des Verfassungsrates ermöglichte eine freie
demokratische Wahl der Volksvertretung. Der Landrat, dem 24 Mitglie-
der und 8 Ersatzmitglieder angehörten, wurde direkt und nicht mehr
durch Wahlmänner gewählt, wie dies bei der Abgeordnetenwahl zur
Deutschen Nationalversammlung noch der Fall gewesen war. Die Wahl
des Landrates fand im Mai 1849 statt. Er kann als «erstes demokratisches
Parlament» betrachtet werden.!*#* Fürst Alois II. hat den Landtag aller-
dings nach der ersten Sitzungsperiode nicht mehr einberufen.
3. Staatspolitische Einordnung
Fürst Alois II. stellte sich dem reformerischen Ansinnen des Verfas-
sungsrates nicht grundsätzlich entgegen. Jedenfalls war er bereit, die
rates, in dem sowohl der Überzeugung des Fürsten als auch des Landes Ausdruck
verliehen wird, «dass das Fürstenthum als solches und überhaupt selbständig nur im
Deutschen Reichsverbande denkbar ist».
142 Siehe die in den Konstitutionellen Übergangsbestimmungen aufgelisteten Paragra-
phen des Verfassungsentwurfs des Verfassungsrates; vgl. auch Peter Geiger, Ge-
schichte, S. 120 f.
143 Peter Geiger, Geschichte, S. 120 ff. (122).
144 Siehe zum Landrat und Wahlrecht Peter Geiger, Geschichte, S. 158 ff. und ders., Die
liechtensteinische Volksvertretung, 5. 37 f.
69
Konstitutionelle Verfassungsbewegung
Macht zu teilen bzw. Hoheitsrechte an den Landrat abzugeben und so
das «Fürstenthum [...] schon in den Besitz der werthvollsten Güter
eines constitutionellen Staates treten» zu lassen.!*5 Das hiess, dass die
höchste Gewalt in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung
«beim Fürsten und Volke vereint» liegen sollte.!*® Die Kompetenzord-
nung in diesen Staatsbereichen bleibt allerdings der Verfassung vorbe-
halten, die letztlich erst darüber Auskunft geben könnte, ob der Fürst
nicht mehr am monarchischen Prinzip festhält bzw. ob er und inwieweit
er von ihm Abstand nimmt. Vorerst konnten frei gewählte Volksvertre-
ter, der Landrat, bei den «Finanz- sowie bei anderen zu erlassenden
Gesetzen» mitwirken. Diese konnten aber nur mit seiner Zustimmung
Gültigkeit erlangen.
Die konstitutionellen Übergangsbestimmungen stellen ein Entge-
genkommen des Fürsten dar und sollten die Zeit bis zur endgültigen
Annahme der Verfassung überbrücken. Sie traten vorläufig an die Stelle
der Landständischen Verfassung und «leiteten (vorübergehend) eine
konstitutionelle Periode ein».!*7
Der Fürst behält sich aber wesentliche Bereiche des Verfassungs-
entwurfs des Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848 vor, die das monar-
chische Prinzip infrage stellten, beispielsweise die Teilung der Staatsge-
walt («höchsten Gewalt») zwischen Fürst und Volk, die Verantwortlich-
keit des Landesverwesers gegenüber der Volksvertretung oder das
suspensive Veto in Gesetzgebungsangelegenheiten.!*® Zudem hatte die-
ses Verfassungsprovisorium nur bis zum 20. Juli 1852 Bestand, sodass
die Landständische Verfassung von 1818 wieder in Kraft trat. Der Land-
rat war lediglich auf ein Jahr gewählt worden, da man die «definitive
Verfassung» erwartete. Er trat nach Februar 1850 nicht mehr zusam-
men. 1%9
145 Vgl. die Einleitung zu den Konstitutionellen Übergangsbestimmungen.
146 So $ 34 des Verfassungsentwurfs des Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848; siehe
Peter Geiger, Geschichte, S. 108 sowie S. 116 ff. und 120 ff.
147 Peter Geiger, Geschichte, S. 123.
148 Siehe dazu die $$ 34, 64 und 81 des Verfassungsentwurfs des Verfassungsrates vom
1. Oktober 1848.
149 Peter Geiger, Die liechtensteinische Volksvertretung, S. 38.
70
Übergangsphase
II. Reaktionserlass
1. Scheitern der Paulskirchenverfassung
Nach dem Scheitern der Paulskirchenverfassung und der Revolution in
den Einzelstaaten nahm Fürst Alois II. diese «provisorischen Verfas-
sungsbestimmungen» im Reaktionserlass vom 20. Juli 1852!5° wieder
zurück, da sie sich, wie er erklärte, mit den «gegenwärtigen Verhältnis-
sen»!51 nicht vereinbaren liessen, sodass die Landständische Verfassung
«so lange Gesetzeskraft» behalte, «bis die ausdrückliche Abänderung
derselben von Uns beschlossen und dieser Beschluss als Gesetz kundge-
macht worden sein wird». Es habe sich erwiesen, gibt er als Grund an,
dass die «Verfassungsbauten jener Zeit», nämlich die die Verfassungsver-
hältnisse betreffenden Erlässe der Jahre 1848 und 1849, «kein schirmen-
des Dach bieten konnten». Nötig sei ein «wohlerwogener Bau». Damit
nahm er auf die Reaktion in den Bundesstaaten Bezug, die in den Ver-
fassungen, die eine allgemeine gesellschaftliche Repräsentation im Staat
vorsahen, eine Gefahr für den monarchischen Herrschaftsprimat
erblickten. Die als bewährt angesehene selbständige politische Bestim-
mungsmacht des Monarchen sollte nicht angetastet werden.
Auf Bundesebene wurde im Oktober 1851 der Reaktionsausschuss
tätig. Er prüfte systematisch alle Landesverfassungen, Wahl- und Presse-
gesetze auf demokratische und liberale Inhalte, die sich mit der Bundes-
akte und der Wiener Schlussakte als unvereinbar präsentierten. Zehn
Mitgliedstaaten wurden vom Bund aufgefordert, bestimmte Vorschriften
ihrer Verfassungen und Gesetze aufzuheben oder abzuändern.!52
150 Abpgedruckt in: LPS 8, S. 271 f. (im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>).
151 Siehe zu den Verfassungsverhältnissen in Österreich Edmund Bernatzik, Die öster-
reichischen Verfassungsgesetze, S. 178. Danach erlässt Kaiser Franz Joseph am
4. März 1849 eine Verfassung, setzt sie aber am 31. Dezember 1851 ausser Kraft, da
sie «in ihren Grundlagen den Verhältnissen des österreichischen Kaiserstaates» nicht
mehr angemessen und ausführbar sei. Siehe den Text bei Wilhelm Brauneder, Quel-
lenbuch zur österreichischen Verfassungsgeschichte, S. 25.
152 Vgl. Dieter Grimm, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 218 f.; Peter Geiger, Ge-
schichte, S. 182 zitiert im Zusammenhang mit dem Reaktionserlass Johann Adolf
Freiherr von Holzhausen, der am 5. August 1852 dem Fürsten berichtete, der Reak-
tionsausschuss des Bundes werde «davon gewiss nur mit voller Befriedigung Kennt-
nis nehmen». Zur Person von Freiherr von Holzhausen siehe Margret Friedrich, in:
Historisches Lexikon, Bd. 1, 5. 375.
71
Konstitutionelle Verfassungsbewegung
2. Bundespolitik als Verfassungspolitik
Fürst Alois II. wollte auch in dieser Sache im «Einklange mit der Gesetz-
gebung des deutschen Bundes, so wie in den benachbarten und stamm-
verwandten österreichischen Landen aufgestellten Grundsätzen» vorge-
hen,!® wie es bisheriger fürstlicher Rechts- und Verfassungspolitik ent-
sprach. Bundestreue schützte vor der Gefahr der Mediatisierung.!*
Österreich kannte noch keine neue gesamtstaatliche Verfassung im Sinne
des monarchisch-repräsentativen Typs.!® Für ihn war aber klar, dass eine
Verfassung im konstitutionellen Geiste, die den «Übergang zur neuen
Zeit» wies, nur aufgeschoben war. Das Zugeständnis einer konstitutio-
nellen Verfassung, d. h. einer Verfassung, die einen Ausgleich zwischen
dem monarchischen und dem konstitutionellen (volksrepräsentativen
oder demokratischen) Prinzip anstrebte, konnte nicht mehr rückgängig
gemacht werden. Er konnte und wollte aber in dieser Übergangsphase
sein Herrschaftsmonopol nicht aufgeben, !56 da das Land seinen sicheren
Platz im Deutschen Bund noch nicht gefunden hatte.
$6 VERSTÄNDIGUNG IN DER VERFASSUNGSFRAGE
I. Weitere Verfassungsschritte
1. Bittschriften des ständischen Landtags
In der Sitzung des ständischen Landtages vom 14. Oktober 1857, der im
Sinne der Landständischen Verfassung vom Fürsten nach altem Muster
153 Siehe für Österreich Allerhöchstes Patent vom 25. April 1848, Kaiserliches Patent
vom 4. März 1849 die Reichsverfassung für das Kaiserthum Österreich enthaltend
und Kaiserliches Patent vom 31. Dezember 1851, abgedruckt, in: Dieter Gosewin-
kel/Johannes Masing, Die Verfassungen in Europa, S. 1461-1487.
154 Peter Geiger, Die liechtensteinische Volksvertretung, S. 39.
155 Nach Manfred Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, S. 149
war man dort «der vom Deutschen Bund vorgeschriebenen Einführung landständi-
scher Verfassungen nur durch die Wiederherstellung bzw. Neuerrichtung einfluss-
loser altständischer Provinzvertretungen nachgekommen».
156 Er war nach Peter Geiger, Geschichte, S. 123 «noch im vollen Besitz des <pouvoir
constituanp>».
72
Verständigung in der Verfassungsfrage
zur Steuerausschreibung für das Jahr 1858 einberufen worden war,
gelangte dieser an den Fürsten mit der Bitte, die «schon oft erbetene Lan-
desverfassung» mit frei gewählter Volksvertretung und Mitbestim-
mungsrecht in allen inneren Landesfragen «ehebaldigst» ins Leben treten
zu lassen.!” Nach dem Tode Fürst Alois I1.!5® unterbreiteten die Land-
stände dieses Ansuchen auch dem neuen Fürsten Johann II1.,'®® der am
10. Januar 1859 die Landstände damit beauftragen wollte. Diese fassten
für dieses Unternehmen den Verfassungsrat aus dem Jahre 1848 ins Auge.
2. Verfassungsentwurf des Landesverwesers Menzinger
Landesverweser Johann Michael Menzinger wollte dagegen die Initiative
nicht aus der Hand geben und legte dem Fürsten selber einen Verfas-
sungsentwurf vor. Er rezipierte die Verfassung von Hohenzollern-Sig-
maringen von 183316 und passte sie den liechtensteinischen Verhältnis-
sen an. Er gestaltete ihn aus der Sicht der Volksvertretung in konservati-
vem Geiste, sodass er in dieser Hinsicht weit unter dem Stand des
Verfassungsentwurfs des Verfassungsrates und der Konstitutionellen
Übergangsbestimmungen blieb.!°1 Während der Regentschaft der Fürs-
tinmutter Franziska!® 1859/60 stagnierte das Verfassungsunternehmen.
Ausserdem griff mit Justus Timotheus Balthasar von Linde (geb. 1797,
gest. 1870)!6, dem Lehrer und Begleiter des Fürsten, eine Persönlichkeit
ins politische Geschehen ein, die als «Gegner jeder Art constitutionellen
Regimes» charakterisiert wurde.!* Er gehörte in der Frankfurter Natio-
nalversammlung der äussersten Rechten an und legte eine ausgeprägt
konservative Haltung an den Tag, die in der Verfassungsfrage den Status
quo sichern wollte. Er war der Ansicht, die Verfassungsangelegenheit
vorerst auf sich beruhen zu lassen.
157 Peter Geiger, Geschichte, S. 226.
158 Fürst Alois IT. starb am 12. November 1858.
159 Zu seiner Person siehe Evelin Oberhammer, in: Historisches Lexikon, Bd. 1,
S. 541-543.
160 Im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>.
161 Peter Geiger, Geschichte, S. 239 ff.
162 Zu ihrer Person siehe Evelin Oberhammer, in: Historisches Lexikon, Bd. 1, S. 537.
163 Zu seiner Person siehe Harald Wanger, in: Historisches Lexikon, Bd. 1, S. 565.
164 Peter Geiger, Geschichte, S. 260 Fn. 48.
73
Konstitutionelle Verfassungsbewegung
3. Verfassungsentwurf des Landesverwesers Haus von Hausen
Der seit April 1861 amtierende neue Landesverweser Karl Haus von
Hausen!65 legte einen Verfassungsentwurf vor, der sich an den österrei-
chischen Verhältnissen, insbesondere an der Landesordnung Vorarl-
bergs, orientierte. Die Landstände reagierten empört. Er vermochte in
keiner Weise einer «freien Verfassung auf konstitutioneller Basis» zu
genügen. Sie verweigerten auf dem Landtag vom 2. September 1861 ihre
Zustimmung zum fürstlichen Steuerpostulat.!®% Mit einer solchen «Pro-
vinzialverfassung» wollten sie sich nicht abfinden und betrachteten den
Entwurf lediglich als einen «Teil einer Verfassung».
4. Landständischer Ausschuss und Subkomitee
Der zur Beratung des Verfassungsentwurfs eingesetzte landständische
Ausschuss wählte ein dreiköpfiges Subkomitee, das an den Verfassungs-
entwurf des Verfassungsrates von 1848 anknüpfte. Es war sich bewusst,
dass «bei den sich zurzeit vorfindenden Kräften»! Abstriche in Kauf
genommen werden mussten. Schon der Geschäftsausschuss des Landra-
tes hatte 1849 Änderungen am Verfassungsentwurf des Verfassungsrates
hinnehmen müssen, um die Zustimmung des Fürsten Alois II. zu erhal-
ten. Um Entgegenkommen zu signalisieren, mussten an diesem revidier-
ten Verfassungsentwurf von 1849 weitere Einschränkungen vorgenom-
men werden. Im Ergebnis hiess dies, dass das Subkomitee vom
Anspruch auf «gleichwertige Mitwirkung in der Gesetzgebung» zurück-
stehen musste.!6® Die höchste Gewalt in Gesetzgebung, Verwaltung und
Rechtsprechung wurde dem Fürsten allein zugesprochen und ihm das
absolute Veto belassen. Das monarchische Prinzip blieb letztlich unan-
getastet. Eine vom Subkomitee veranlasste auswärtige Begutachtung
attestierte dem Verfassungsentwurf, dass er mit dem Recht des Deut-
165 Zu seiner Person siehe Klaus Biedermann, in: Historisches Lexikon, Bd. 1, S. 339—
340.
166 Peter Geiger, Geschichte, S. 254 ff.
167 Peter Geiger, Geschichte, S. 267.
168 Peter Geiger, Geschichte, S. 267 Fn. 80.
74
Verständigung in der Verfassungsfrage
schen Bundes übereinstimme. Dieser ausländische Experte!® fasste ihn
zwar neu, wich aber inhaltlich nicht vom Entwurf des Subkomitees ab,
sodass dieses ihn zusammen mit dem landständischen Ausschuss dem
Ständelandtag zur Annahme empfahl.!7°
II. Einigung mit dem Fürsten
Dass eine Einigung mit dem Fürsten zu noch weitergehenden Kompro-
missen zwang, war den Landständen klar. Sie rechneten mit Widerstand
vonseiten des Fürsten und seiner Berater. Zu ihnen zählte neben der
Hofkanzlei — wie bereits erwähnt — auch Justus Timotheus Balthasar von
Linde, der ein Verfechter der «monarchischen Omnipotenz» war.!7! Sie
trachteten danach, die Rechte des Fürsten zu wahren, die Befugnisse des
Landrates dementsprechend einzuschränken und die Regierung von der
Volksvertretung unabhängiger zu machen. Sie modifizierten denn auch
den Entwurf der Landstände in dieser Richtung mit Nachdruck.!?? Da
sich beide Seiten kompromissbereit zeigten, konnten die umstrittenen
Fragen bereinigt werden. Landesverweser Haus von Hausen hob in sei-
nem Bericht vom 4. September 1862 an den Fürsten abschliessend her-
vor, dass der Verfassungsentwurf einerseits sowohl die noch geltende
169 Nach Peter Geiger, Geschichte, S. 270 dürfte es sich um einen «deutschen Rechts-
gelehrten» gehandelt haben.
170 Peter Geiger, Geschichte, S. 271 stellt fest, dass dieser Entwurf über grosse Teile der
Verfassung von Hohenzollern-Sigmaringen nachgebildet ist, wie dies schon beim Ent-
wurf von Landesverweser Johann Michael Menzinger von 1859 der Fall gewesen war.
171 Peter Geiger, Geschichte, S. 280. Justus Timotheus Balthasar von Linde betrachtete
die Verfassung lediglich als eine Selbstbeschränkung des Fürsten, nicht aber als
Grundlage seiner monarchischen Herrschaft, wie er dies in einem Aufsatz von 1833,
der grosse Beachtung fand, niederschrieb. Dort heisst es: «Durch die Verfassungs-
urkunden sollten die Functionen der Staatsgewalt nicht erst neu gelegt, es sollte
nicht aus der nicht bestehenden Volkssouveränetät als einer ursprünglichen Macht-
vollkommenheit des Volkes eine höchste Gewalt einem Monarchen übertragen wer-
den; denn eine in einem Oberhaupte des Staats vereinigte gesammte Staatsgewalt
war vorhanden, um Feststellung ihrer staatsrechtlichen Bedeutung und um den
Umfang ihrer Machtvollkommenheit handelte es sich nicht, sondern nur darum, in
wiefern diese in der Ausübung bestimmter Rechte sich an die Mitwirkung der
Stände in Zukunft binden wollte.» Zitiert nach Christian Hermann Schmidt, Vor-
rang der Verfassung, S. 137.
172 Peter Geiger, Geschichte, S. 274.
75
Konstitutionelle Verfassungsbewegung
Verfassung von 1818 als auch die von Fürst Alois II. gemachten Zuge-
ständnisse berücksichtige und andererseits den Wünschen der Bevölke-
rung so weit nachkomme, als diese mit den Hoheitsrechten des Fürsten
und mit der Bundesakte nicht kollidierten.!”? Der Verfassungsentwurf
liegt mit anderen Worten ganz auf der Linie der bisherigen fürstlichen
Regierungs- und Verfassungspolitik.
III. Zusammenfassung und Ergebnis
Fürst Johann II. entledigt sich des «Versprechens»,!’* das seinerzeit Fürst
Alois IT. gegeben hat, indem er am 27. September 1862 das «neue Staats-
grundgesetz», die Konstitutionelle Verfassung, sanktioniert.!’® Sie räumt
der «künftigen Landesvertretung eine grössere Einflussnahme auf die
Gesetzgebung und auf die innere Verwaltung» ein, wie sich dies in der
konstitutionellen Verfassungsbewegung abzeichnete.
Die Verfassungsauseinandersetzungen nach 1860 liefen auf einen
Kompromiss hinaus, den der Fürst und seine Berater bestimmten.
Neben dem Gedankengut der Paulskirchenverfassung beeinflusste
die Reaktionszeit, die sich dem monarchischen Prinzip!’® verschrieb und
die Position der Volksvertretung schwächte, in zunehmendem Masse
den konstitutionellen Verfassungsgang und begrenzte damit auch die
Reform der Monarchie.
173 Peter Geiger, Geschichte, S. 281.
174 Siehe das Einführungsdekret zur Verfassung vom 26. September 1862, abgedruckt,
in: LPS 8, S. 273 (im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>). Landesverweser
Karl Freiherr Haus von Hausen erinnerte in seinem Bericht vom 4. September 1861
über den Landtag vom 2. September 1861 (HA 1962/unter 11845/62) Fürst Johann
IT. daran, dass er sich «gnädigst bewogen finden» möchte, «das fürstliche Wort Eue-
rer Durchlaucht Ahnen rücksichtlich der Zugestehung einer freien Verfassung auf
konstitutioneller Basis» einzulösen. Diesen Hinweis habe ich freundlicherweise von
Peter Geiger erhalten. Zur Person von Freiherr Karl Haus von Hausen siehe Albert
Schädler, Haus von Hausen, 5. 5 ff.
175 Siehe die Sanktionserklärung bzw. das Einführungsdekret zur Verfassung, abge-
druckt in: LPS 8, S. 273 (im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>).
176 Das monarchische Prinzip umschreibt Georg Jellinek, Regierung und Parlament,
S.6 f. wie folgt: «Das monarchische Prinzip als konstitutionelles Prinzip sprach
zuerst die französische Charte constitutionelle Ludwigs XVIII. aus, es wird 1817 in
die sogenannte Königliche Verfassung für Württemberg aufgenommen und geht
dann in sämtliche süddeutsche Verfassungen über und wird in Art. 57 der Wiener
76
3. Abschnitt
Monarchischer Konstitutionalismus
$7 BEGRIFF DES KONSTITUTIONALISMUS
Um die innere Entwicklung und die Strukturfragen des monarchischen
Konstitutionalismus erfassen zu können, wie er sich in der Konstitutio-
nellen Verfassung von 1862 äussert, drängt sich eine Begriffsklärung auf,
die zu ihr zugleich auch den Bezugsrahmen herstellt.
I.
Inhalt
Im engeren Sinn
Der Konstitutionalismus kann ganz allgemein als «Prozess der Über-
windung überkommener Herrschaftsformen»!” umschrieben werden,
der in der Zeit des Deutschen Bundes vom absoluten zum verfassungs-
mässig beschränkten Fürstenstaat überleitet!’® und zum Teil noch heute
andauert. Er umfasst im Allgemeinen die Epoche des 19. Jahrhunderts.!”?
177
178
179
Schlussakte zu einem bundesrechtlichen Satz von den weitesttragenden politischen
Konsequenzen erhoben. Einfach und selbstverständlich nämlich ist der staatsrecht-
liche Inhalt des Dogmas, das nicht anderes besagt, als dass der Monarch, der recht-
lich allein als Schöpfer der Verfassung zu gelten hat, alle staatlichen Befugnisse be-
sitzt, in deren Ausübung er sich nicht ausdrücklich beschränkt hat, daher die Ver-
mutung stets für seine Zuständigkeit spricht. Politisch hingegen ist dieses
monarchische Prinzip von erstaunlicher Vieldeutigkeit, aus dem jeder die ihm er-
wünschten Folgerungen ziehen kann.»
Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 40.
Jan Rolin, Der Ursprung des Staates, S. 148 f.
Es ist dies der verfassungsgeschichtliche Zeitabschnitt nach dem Absolutismus und
vor der Einführung eines demokratisch-parlamentarischen Regierungssystems in
77
Monarchischer Konstitutionalismus
Im deutschen Sprachgebrauch wird er der Staatsform der konstitutio-
nellen Monarchie gleichgesetzt.!®0 Es ist die Rede vom monarchischen
Konstitutionalismus, wie er sich als das «gemeineuropäische Verfas-
sungsmuster» durchgesetzt hat.!8! Dieser Staatsform war eine starke
monokratische Spitze eigen.!® Die Monarchie war aber nicht mehr abso-
lutistisch geprägt. Sie war «durch eine (schriftliche) Verfassung» in der
Weise beschränkt, «dass Monarch und Parlament in zumindest einem
der grossen Verfassungsbereiche Legislative oder Exekutive notwendig
zusammen wirken müssen, damit die Verfassung funktioniert».18
2. Im weiteren Sinn
Es gibt im europäischen Vergleich auch andere Definitionen. Vor allem
im englischen Verständnis hat der Begriff des Konstitutionalismus eine
weiter gefasste Bedeutung. Er beschäftigt sich generell mit der «Idee der
Machteinschränkung» politischer Herrschaft und markiert in der engli-
schen Verfassungsgeschichte eine Entwicklung, die vornehmlich im
17. Jahrhundert beginnt.!%
Deutschland. So Werner Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus,
S. 365.
180 Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 40 ff. mit Literatur-
hinweisen; vgl. auch Rainer Wahl, Die Entwicklung des deutschen Verfassungsstaa-
tes, S. 59 ff. Rz. 21 und 22 mit Literaturhinweisen. Nach Hans Boldt, Deutsche Ver-
fassungsgeschichte, Bd. 2, S. 194 f. versteht man unter «konstitutioneller Monar-
chie» ganz allgemein eine «verfassungsmässig beschränkte Monarchie».
181 Hans-Christof Kraus, Monarchischer Konstitutionalismus, S. 599 unter Bezug-
nahme auf Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 26 und
402 ff. So sprach etwa auch $ 3 des Verfassungsentwurfs des Verfassungsrates von
1848 von einer «monarchisch konstitutionelle(n)» Regierungsform. Siehe vorne
S. 66 und Peter Geiger, Geschichte, S. 109.
182 Nach Werner Frauendienst, Demokratisierung des deutschen Konstitutionalismus,
S. 721 wird dieser Verfassungstyp der konstitutionellen Monarchie wegen des
«Übergewichts des monarchischen Elements» von der parlamentarischen Monar-
chie englisch-belgischer Prägung unterschieden.
183 Hans-Christof Kraus, Monarchischer Konstitutionalismus, S. 600 mit Verweis auf
Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 45 und 65.
184 Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, 5. 40 ff.; Werner Heun,
Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus, S. 365 f., der meint, dass der
Begriff «Konstitutionalismus» in diesem weiten Sinne «weithin jegliche Konturen»
verliere. Vgl. auch Walter Pauly, Konstitutionalismus, Sp. 1313 ff.
78
Begriff des Konstitutionalismus
II. Erscheinungsformen
Das Verfassungsmodell des monarchischen Konstitutionalismus tritt in
unterschiedlichen Erscheinungsformen auf. Je nachdem, wie die Ein-
flusspositionen verteilt sind, handelt es sich um eine konstitutionelle
Monarchie mit dominierendem Parlament oder um eine konstitutionelle
Monarchie mit Vorrang des Monarchen oder um eine «napoleonische
Variante». 185 In dieser dualistischen oder zweipoligen Konstellation war
das Rollenverständnis von Monarch und Volksvertretung von besonde-
rer Bedeutung.!®% Von ihrem Verhalten hing es ab, ob sich ein solches
«Kompromissgefüge»!? auf Dauer halten konnte. Dieses dualistische
Kräfteverhältnis erweist sich nämlich nicht als statisch, sondern als «ver-
änderlich und entwicklungsoffen».!® Die Staatspraxis hat in den einzel-
nen europäischen Staaten eine grosse «Vielfalt» und einen «Alternati-
venreichtum» an Musterbeispielen dieser verfassungsrechtlichen Grund-
verteilung zwischen Monarchie und Volksvertretung hervorgebracht.!®
Der dualistisch geprägte monarchische Konstitutionalismus war im
19. Jahrhundert der dominierende Typ des europäischen Verfassungs-
staates.1®
III. Systemfrage
Die verfassungsmässige Aufteilung der Macht im Staat macht es not-
wendig, dass die beiden Hauptakteure, Fürst und Volksvertretung
(Landtag) kooperieren. Fehlt diese Bereitschaft, kommt das Verfas-
sungsleben zum Stillstand. Es wurde denn auch schon gesagt, dass eine
solche zweipolige Verfassungskonstruktion eine «prekäre Staatsform»
185 Hans-Christof Kraus, Monarchischer Konstitutionalismus, S. 600 mit Verweis auf
Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 65 und 66 f.; vgl. auch
Rainer Wahl, Der Konstitutionalismus als Bewegungsgeschichte, S. 576.
186 Rainer Wahl, Der Konstitutionalismus als Bewegungsgeschichte, S. 576.
187 Rainer Wahl, Der Konstitutionalismus als Bewegungsgeschichte, S. 578.
188 Rainer Wahl, Der Konstitutionalismus als Bewegungsgeschichte, S. 573.
189 Rainer Wahl, Der Konstitutionalismus als Bewegungsgeschichte, S. 576; vgl. auch
Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 386 f.
190 Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 409 und ders.,Ver-
fassungsrechtlicher Rahmen und politische Praxis, S. 69 f.
79
Monarchischer Konstitutionalismus
darstellt und der «steten Balancierung» der beiden Machtfaktoren, Fürst
und Volksvertretung, bedarf.!?l Auch wenn sie konfliktanfällig ist, muss
sie nicht zwangsläufig zum Verfassungskonflikt führen. Anerkennen die
beiden Verfassungskräfte eine solche «dualistische Machtverteilung als
Grundprinzip», bleibt das System intakt.!®
Eine andere Frage ist, ob es sich beim konstitutionellen Verfas-
sungssystem nur um eine Übergangsform zur Demokratie oder um eine
eigenständige Staatsform handelt. Dieses Problem wurde am Beispiel der
deutschen konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts erörtert,
wie sie sich vor allem in der preussischen Verfassung von 1850 ausge-
formt hatte. Die Auffassungen sind in der Lehre geteilt. Die eine sieht in
ihr eine selbständige politische Form und in sich ruhende Ordnung
neben Absolutismus und Parlamentarismus, die andere erkennt in ihr
nur einen Kompromiss und eine Übergangserscheinung zwischen diesen
beiden Arten von politischer Ordnung.!® Neuerdings wird der mittel-
europäische Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts bewusst aus die-
ser Kontroverse herausgehalten und als «lebensfähige Symbiose wech-
selseitig korrespondierender Teilsouveränitäten» interpretiert.!**
Vom monarchischen Konstitutionalismus kann solange gesprochen
werden, wie ein rechtlicher und machtpolitischer Dualismus zwischen
Monarch und Parlament zumindest im Bereich der Legislative oder Exe-
kutive noch besteht.!®
191 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie,
5.294 f.
192 Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 372; Hans-Christof
Kraus, Monarchischer Konstitutionalismus, S. 617; Rainer Wahl, Der Konstitutio-
nalismus als Bewegungsgeschichte, S. 577.
193 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monar-
chie, S. 273, wo er sich mit der These von Ernst Rudolf Huber auseinandersetzt.
Uwe Wesel, Geschichte des Rechts, S. 440 wendet ein, wenn es ein eigenständiger
Verfassungstyp gewesen wäre, hätte er eine besondere Legitimation haben müssen.
Aber das von den Fürsten in Anspruch genommene Gottesgnadentum sei eine leere
Formel gewesen, weil es eine verbindliche religiös-sakrale Weltordnung nicht mehr
gegeben habe.
194 Arthur Schlegelmilch, Die Alternative des monarchischen Konstitutionalismus,
$. 193.
195 So Martin Kirsch/ Anne G. Kosfeld /Pierangelo Schiera (Hrsg.), Der Verfassungs-
staat vor den Herausforderungen der Massengesellschaft, Vorwort, S. 17.
80
Konstitutionelle Verfassung von 1862
$8 KONSTITUTIONELLE VERFASSUNG VON 1862’
I. Verfassungsstruktur
1. Machtverteilung bzw. Gewaltenteilung
Die Konstitutionelle Verfassung bricht mit der absoluten Herrschaftsge-
walt des Fürsten. Die (Erb-)Monarchie!” ist nicht mehr absolutistisch
bzw. monistisch geprägt, wie dies noch in der Landständischen Verfas-
sung von 1818 der Fall gewesen ist.!® Die Konstitutionelle Verfassung
ist im Legislativbereich dualistisch strukturiert. So müssen Landesfürst
und Landtag notwendigerweise aufeinander zugehen, wollen sie sich
nicht gegenseitig blockieren. Sie müssen zusammenwirken, damit die
Verfassung erhalten bleibt.!®® Diese Art von Machtverteilung ist kenn-
zeichnend für den Verfassungstyp des monarchischen Konstitutionalis-
mus, der die gemeinschaftliche Ausübung der Legislativgewalt zum
Grundprinzip hat.
2. Monarchisches Prinzip
Der Landesfürst bleibt alleiniger Inhaber der Staatsgewalt. Die Verfas-
sung beharrt in $ 2 auf dem monarchischen Prinzip, wie es in Art. 57 der
Wiener Schlussakte festgelegt und allen Gliedstaaten bundesrechtlich
verbürgt und ihnen gleichzeitig verfassungsrechtlich auch zur Pflicht
gemacht worden ist.2” Danach muss «die gesammte Staats-Gewalt in
dem Oberhaupte des Staats vereinigt bleiben, und der Souverän kann
durch eine landständische Verfassung nur in der Ausübung bestimmter
196 Abpgedruckt in: LPS 8, S. 273-294 (im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>).
197 Die Erbmonarchie wird als Verfassung oder Staat definiert, in dem «das Amt des
Staatshauptes nicht nur auf Lebensdauer von einem Würdenträger besetzt, sondern
gemäss einer Thronfolgeordnung in einer Familie vererbt wird». So Adolf Merkl,
Das Kriterium von Republik und Monarchie, 5. 80 f.
198 Dazu Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 16-30.
199 Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 45, 49 ff.
200 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 655.
81
Monarchischer Konstitutionalismus
Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden».?! Es konzen-
triert die ganze staatliche Macht in der Hand des Fürsten. Er soll alleini-
ger Inhaber und einzige Quelle der Staatsgewalt bleiben.
Das monarchische Prinzip ist der «zentrale Rechtstitel»22 des
Fürsten, der ihn als Inhaber aller Staatsgewalt ausweist. Es ist nichts
anderes als ein konstitutionelles Synonym für Souveränität gewesen?®
und wendet sich gegen eine Souveränitätsteilhabe des Volkes.?* Die Ver-
mutung spricht in allen Zuständigkeitskonflikten für die Zuständigkeit
des Staatsoberhauptes,?® der alleiniger Inhaber der Staatsgewalt bleiben
soll. Das monarchische Prinzip lässt keine Teilung der Souveränität,
auch nicht der gesetzgebenden Gewalt dem Bestande nach zu.
3. Legitimationsgrundlagen
Dem Landesfürsten gegenüber tritt der Landtag, der das Volk repräsen-
tiert und durch die Wahl kraft eigenen Rechts legitimiert ist, wenngleich
wegen der starken Beschränkung des Wahlrechts und der Ernennung von
drei Abgeordneten durch den Fürsten von einer vollen demokratischen
Legitimation nicht die Rede sein kann. Deutliches Zeichen der eigenstän-
digen Legitimation war auch, dass die Abgeordneten — in klarer Abkehr
von altständischen Vorstellungen — keinen Weisungen unterworfen und
dem Gemeinwohl verpflichtet waren. Dieser Dualismus setzt sich im
Verhältnis von Fürst und seiner Regierung und Landtag fort. Dieser hatte
die Rechte des Volkes gegenüber der fürstlichen Regierung zu wahren.?®
So heisst es in $ 39, dass der Landtag das gesetzmässige Organ der Ge-
201 Zitiert nach Ernst Rudolf Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte,
Bd. 1, S. 99. Die Unterscheidung zwischen Trägerschaft und Ausübung der Staats-
gewalt hat der deutsche Konstitutionalismus aus der französischen Charte constitu-
tionelle von 1814 übernommen und unter der Bezeichnung «monarchisches Prin-
zip» zur Grundnorm der deutschen Verfassungen erhoben. Vgl. Dieter Grimm, Das
Grundgesetz in der deutschen Verfassungstradition, S. 3.
202 Rainer Wahl, Der Konstitutionalismus als Bewegungsgeschichte, S. 572 Fn. 5.
203 Hans Boldt, Verfassungskonflikt und Verfassungshistorie, S. 35.
204 Rolf Grawert, Gesetz, S. 904.
205 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 654 und Bd. III,
S. 343.
206 Stefan Korioth, «Monarchisches Prinzip», S. 51.
82
Konstitutionelle Verfassung von 1862
samtheit der Landesangehörigen und als solches berufen sei, «deren
Rechte gegenüber im Verhältnisse zur Regierung nach den Bestimmun-
gen der Verfassungsurkunde geltend zu machen und das allgemeine Wohl
des Fürsten und des Landes [...] möglichst zu befördern».
4. Bindung und Beschränkung der fürstlichen Gewalt
Auch wenn der Landtag kein Selbstversammlungs- und kein Selbstauf-
lösungsrecht hat ($ 90) und der Landesfürst nach wie vor «alle Rechte
der Staatsgewalt» in sich «vereinigt» ($ 2), ist charakteristisch, dass der
Landesfürst sich gleichwohl nicht mehr aus der verfassungsrechtlichen
Bindung zurückziehen und die Verfassung selbständig ändern bzw. auf-
heben kann. Die Verfassung ist zwar ein Zugeständnis des Fürsten, aber
ein endgültiges. Verfassungsänderungen sind nur noch mit, nicht aber
gegen den Landtag möglich ($ 121).2” Sie sind entgegen dem umfassend
bekundeten Souveränitätsanspruch nur im Verfassungsänderungsverfah-
ren unter Beteiligung des ebenfalls zur Ausübung der gesetzgebenden
Gewalt berufenen Landtages, d. h. mit dessen einhelliger Zustimmung
oder mit drei Viertel der anwesenden Mitglieder in zwei nacheinander
folgenden ordentlichen Landtagssitzungen zulässig. Aus diesem Grund
ist der Landesfürst nach Inkraftsetzung der Verfassung auch nur noch
pouvoir constitu€ (verfasste Gewalt), d. h. Verfassungsorgan.?®
Konzeptionell wirkte die Konstitutionelle Verfassung gegenüber
der fürstlichen Staatsgewalt in erster Linie als Beschränkung. So wird
denn auch die konstitutionelle Monarchie nicht nur als eine verfassungs-
mässige, sondern auch als eine von parlamentarischer Mitbestimmung
beschränkte Monarchie aufgefasst.2°®
Mit dem Übergang zur konstitutionellen Monarchie wurde auch
die patrımoniale Auffassung des Staates «als Bündelung monarchischer
Herrschaftsrechte» endgültig überwunden, da die Verfassung nicht mehr
einseitig vom Fürsten zurückgenommen werden konnte. Der Staat hat
207 Vgl. auch Stefan Korioth, «Monarchisches Prinzip», S. 41.
208 Werner Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus, S. 374. Hier zeigt
sich die Widersprüchlichkeit des Systems.
209 Stefan Korioth, «Monarchisches Prinzip», S. 51 f.
83
Monarchischer Konstitutionalismus
die Gestalt einer verfestigten Korporation, eines Organismus angenom-
men, «der nach den Regeln der Verfassung verschiedenen Mächtegrup-
pen Einfluss gibt».219
IL. Oktroyierte oder paktierte Verfassung
Die Konstitutionelle Verfassung vom 26. September 186221! greift auf die
frühkonstitutionelle Verfassungsphase zurück?!? und weist den Fürsten
als Verfassunggeber aus, der die Verfassung von 1818 jederzeit einseitig
ändern und aufheben konnte. Auch wenn im Ingress der Verfassung von
«vertragsmässiger Zustimmung» die Rede ist,?!? liegt der förmliche Gel-
tungsgrund der Verfassung in seiner Inkraftsetzung.?!* Der Fürst
erscheint als derjenige, der die Verfassung allein «geordnet» hat. Er ist als
«souveräner Fürst» der eigentliche Verfassunggeber. Sie wurde von ihm
gewährt und galt als «Ausdruck der Souveränität des Herrschers».215 Die
Landstände treten nicht als konstituierende Gewalt auf. Es handelte sich
zwar um einen vollständig überarbeiteten Verfassungsentwurf der Land-
210 Stefan Korioth, «Monarchisches Prinzip», S. 47; vgl. zur patrimonialen Staatstheo-
rie vorne S. 59 Fn. 96 und hinten S. 247 ff.
211 Zur Entstehung der Verfassung siehe Peter Geiger, Geschichte, S. 248-286 (264 ff.).
212 Peter Geiger, Die liechtensteinische Volksvertretung, S. 41.
213 Sie beruft sich auch auf das Gottesgnadentum, das die «göttliche Einsetzung» bein-
haltete bzw. aus dem sich die monarchische Gewalt herleitete. So Roman Herzog,
Allgemeine Staatslehre, S. 199 f. Siehe den Unterschied zur Verfassung für das
Königreich Württemberg von 1819, abgedruckt, in: Ernst Rudolf Huber, Doku-
mente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 187. Dort fehlt die Formulie-
rung «von Uns geordnet wurde» und die Präambel ist anders gefasst, sodass sie nach
Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 334 «der erste echte
Verfassungsvertrag des konstitutionellen Repräsentativsystems» gewesen ist.
214 Vgl. Christian Hermann Schmidt, Vorrang der Verfassung, S. 45.
215 Werner Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus, S. 373 f.; vgl. auch
Dieter Grimm, Die Zukunft der Verfassung, S. 59. Nach ihm liegt der Geltungs-
grund im Willen des Monarchen. Günther Winkler, Staatsverträge, S. 112 sieht den
Grund für das noch einigermassen zurückhaltende konstitutionelle Konzept des
Jahres 1862 darin, «dass der Fürst auf Grund seiner Vollsouveränität die Verfassung
einseitig erliess und zögerte, seine Prärogativen zu sehr zu beschneiden». Vgl. auch
Stefan Malfer, Der Konstitutionalismus in der Habsburgermonarchie, S. 18. Er weist
darauf hin, dass die Verfassungen, auch wenn sie in Wirklichkeit aufgrund inneren
und äusseren Druckes gegeben werden mussten, in formaler Hinsicht als gewährt
und als freiwillige Selbstbeschränkung hingestellt worden seien.
84
Konstitutionelle Verfassung von 1862
stände. Er wurde aber letztlich in der Fassung des Fürsten angenommen.
Peter Geiger meint denn auch, dass der Fürst allein die Verfassung gege-
ben habe. Er habe den pouvoir constituant, die verfassunggebende
Gewalt, beansprucht. Die Zustimmung der Landstände zur Verfassung
deutet er dementsprechend «weniger als Legitimation denn als ein(en)
zusätzliche(n) Gnadenbeweis gegenüber dem Volk».?!° Der Sache nach
stellt die Verfassung eine Konzession an die Landstände dar. Sie kann
auch als «Zutat eines geläuterten monarchischen Prinzips» verstanden
werden, «das den Verfassungsoktroi nicht mehr als zeitgemäss ansah».2!7
Jedenfalls versucht die Verfassung, den Fürsten nach wie vor als unein-
geschränkten Inhaber der Staatsgewalt zu verstehen.?!® Letztlich hat er
bestimmt, welche Befugnisse dem Landtag zugestanden und wie sie ihm
zugestanden wurden. So hat Fürst Alois II. schon am 7. März 1849 die
Konstitutionellen Übergangsbestimmungen erlassen und sie im Reakti-
onserlass vom 20. Juli 1852 wieder zurückgenommen. Dies waren ohne
Zweifel einseitige Akte des Fürsten. Er war noch «im vollen Besitz des
pouvoir constituant».?!? Fürst Johann II. gibt im Zusammenhang mit der
Sanktionierung der Konstitutionellen Verfassung zu verstehen, dass er
sich nun in der Lage sieht, «der künftigen Landesvertretung eine grös-
sere Einflussnahme auf die Gesetzgebung und auf die innere Verwaltung
des Fürstenthumes zuzuerkennen».
Im Schrifttum wird auch die Auffassung vertreten, dass die Kon-
stitutionelle Verfassung auf «vertragsgemässem Wege» zustande gekom-
216 Peter Geiger, Geschichte, S. 287 f.; vgl. auch S. 269 und 302 Fn. 56.
217 Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. V, S. 359.
218 $2KV 1862 lässt keinen Zweifel daran, dass alle Rechte der Staatsgewalt in der Per-
son des Landesfürsten vereinigt sind. So könnte man mit Christian Waldhoff, Ent-
stehung des Verfassungsgesetzes, S. 322 Rz. 30 sagen, dass der «äusserlich vertrag-
liche Charakter» nur mühsam die realen Machtverhältnisse kaschierte. Vgl. auch
Klaus von Beyme, Die verfassunggebende Gewalt, S. 26, der festhält, dass die
oktroyierte Verfassung als die «einzige Art der Verfassunggebung» galt, «die mit
dem monarchischen Prinzip vereinbar war». $ 2 KV 1862 unterscheidet in Anleh-
nung an Art. 57 WSA zwischen Inhaberschaft und Ausübung der Staatsgewalt. Ste-
fan Korioth, «Monarchisches Prinzip», S. 29 nennt diese Aufspaltung von Substanz
und Ausübung der Staatsgewalt eine «kryptische Staatsformel», die verschiedene
Deutungen des Verhältnisses von alten und neuen Kräften, von monarchischer und
demokratischer Legitimation, zuliess. Diese Unterscheidung wurde notwendig, um
sich gegenüber den Rechten der Volksvertretung abzugrenzen.
219 Peter Geiger, Geschichte, S. 123.
85
Monarchischer Konstitutionalismus
men sei und es sich demnach bei ihr nicht um eine einseitige Rechtsge-
währung, sondern um einen «vertragsmässigen Ausgleich»2° gehandelt
habe, sodass sie als paktierte Verfassung angesehen wird.22!
Praktisch gesehen macht es aber zwischen einer oktroyierten und
einer paktierten Verfassung keinen wesentlichen Unterschied??? da der
Landesfürst in jedem Fall den Ständen entgegenkommen und Zuge-
ständnisse machen musste, um seine Machtstellung zu sichern. So wur-
den auch einseitig gewährte bzw. oktroyierte Verfassungen nicht nur
«freiwillig» gegeben. Sie entstanden vielmehr auf «politischen Druck des
Bürgertums und hatten daher realiter durchaus den Charakter einer
Abmachung».223
$9 DER LANDESFÜRST ALS STAATSOBERHAUPT
I. Träger der Staatsgewalt
Der Landesfürst ist Staatsoberhaupt und alleiniger Träger der Staatsge-
walt, deren Ausübung allerdings an die Bestimmungen der Verfassung
gebunden ist ($ 2 KV). Innehabung und Ausübung der Staatsgewalt wer-
den auseinandergehalten. Diese Unterscheidung hat vor allem kompe-
tenzrechtliche Bedeutung. Soweit die Zuständigkeit des Landtages nicht
ausdrücklich verfassungsrechtlich begründet ist, liegt sie beim Landes-
fürsten.?* Im Zweifelsfall spricht die Vermutung der Berechtigung für
220 Diese Formulierung ist Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 144 Fn. 3 entlehnt.
221 Alexander Ignor, Monarchisches und demokratisches Prinzip, S. 478 f.; Dietmar
Willoweit, Die Stellvertretung des Landesfürsten, S. 123; ders., Deutsche Verfas-
sungsgeschichte, S. 221; Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Ver-
fassungsrecht, S. 33 f.; Wilhelm Beck, Das Recht des Fürstentums Liechtenstein,
$.22. Er verweist allein auf den Ingress der Verfassung. Nach Arno Waschkuhn,
Politisches System Liechtensteins, S. 39 ist die Konstitutionelle Verfassung «mit
Zustimmung des Landtages» zustande gekommen.
222 Nach Hartmut Maurer, Die Verfassungsgewähr im konstitutionellen Staatsrecht,
$.727 ergeben sich aus dieser Differenzierung für die Verfassungen, was ihre Exis-
tenz und ihren Inhalt betrifft, keine Unterschiede.
223 Dietrich Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 79 f.; vgl. auch Michael Kotulla, Schutz
der Verfassung, S. 169 f.; Rainer Wahl, Die Entwicklung des deutschen Verfassungs-
staates, S. 62 Rz. 24.
224 Vgl. Klaus Kröger, Verfassungsgeschichte, S. 38.
86
Der Landesfürst als Staatsoberhaupt
ihn. Aus dieser Kompetenzpräsumption folgt, dass ihm alle diejenigen
Befugnisse zustehen, welche ihm nicht ausdrücklich verweigert worden
sind. Der Landtag ist dagegen auf die ihm in der Verfassung zugewiese-
nen Zuständigkeiten beschränkt.25
Die verfassungsrechtliche Prämisse jeder konstitutionellen Monar-
chie ist, dass der Fürst für sein Handeln weder juristisch noch politisch
zur Verantwortung gezogen werden kann. Seine Regierungsakte unter-
liegen keiner Kontrolle. Er kann für sie nicht zur Rechenschaft gezogen
werden, denn seine Person ist heilig und unverletzlich ($ 2 Satz 2 KV).226
Daher bedürfen seine Anordnungen bzw. Erlasse («Gesetze und Ver-
ordnungen»)?? zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung eines «im Lande
anwesenden»?8 und «vom Fürsten bestimmten verantwortlichen Beam-
ten»? der ihn von der Verantwortung entbindet und sie selbst über-
nimmt.2% Dies ist in der Regel der Landesverweser, der «Chef der Regie-
rung» ist. Er wird in Ziffer 3 und 4 der Amtsinstruktion von 1871 als sol-
cher auch ausdrücklich genannt.23!
II. Kompetenzbereiche
Der Landesfürst ist mit den für das Staatswesen massgeblichen Kompe-
tenzen ausgestattet. Sie umfassen zentrale Bereiche eigener Entschei-
dungsgewalt und werden demgemäss auch «existenzielle Vorbehalte»
225 Vgl. Dietrich Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 88.
226 Vgl. Klaus Kröger, Verfassungsgeschichte, S. 38; Dietrich Jesch, Gesetz und Verwal-
tung, S. 92; Dieter Grimm, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 118.
227 Siehe $ 29 KV 1862.
228 Siehe $ 29 KV 1862.
229 $94 Abs. 2 Amtsinstruktion von 1862. Sie ist als Anhang zur Organisationsverord-
nung ergangen, die zusammen mit der Konstitutionellen Verfassung vom 26. Sep-
tember 1862 erlassen worden ist (im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>).
230 Rainer Wahl, Die Entwicklung des deutschen Verfassungsstaates, S. 83.
231 LGBl. 1871 Nr. 1, Ziffer 3 (im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>). Dort
heisst es: Der Landesverweser «besorgt die Geschäfte, welche ihm unmittelbar vom
Fürsten übertragen werden, namentlich die Gegenzeichnung der vom Fürsten oder
einer Regentschaft «ausgehenden Gesetze, Verordnungen und Erlässe [...]». Siehe
auch Ziffer 4.
87
Monarchischer Konstitutionalismus
genannt,?? die die monarchische Souveränität verbürgen sollen. Der
Landesfürst nimmt eine Vorrangstellung ein.23
Die Konstitutionelle Verfassung schliesst denn auch bestimmte, für
die Monarchie bedeutsame Rechte und Entscheidungen von der Mitwir-
kung des Landtages aus und sichert sie dem Landesfürsten. Insbesondere
steht ihm allein die vollziehende Gewalt zu ($$ 3 und 27 KV).
1. Exekutive
Die Exekutiv- bzw. Regierungsgewalt bleibt dem Landesfürsten vorbe-
halten ($ 24 Abs. 2, $$ 27 und 28).2* Sie liegt allein in der Hand des Fürs-
ten und wird durch «Staatsdiener» ausgeübt,?® die von ihm ernannt wer-
den und ihm persönlich verantwortlich sind ($ 27 KV). Sie sind ihm
durch ihren Eid zu Treue und Gehorsam verpflichtet, haben aber auch
die gewissenhafte Beachtung der Gesetze und der Landesverfassung zu
beschwören ($ 124 KV).
Die Exekutiv- bzw. Regierungsgewalt gehört zum «Bereich der
fürstlichen Prärogative».? Der Landesfürst regelt («normirt») die Orga-
nisation der Staatsbehörde im Verordnungswege ($ 28 KV). So hat er
gleichzeitig mit der Verfassung auch die Organisationsverordnung und
232 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. IIT, S. 16; Ernst-Wolf-
gang Böckenförde, Geschichtliche Entwicklung, S. 44; vgl. auch $ 93 Amtsinstruk-
tion von 1862, der «jene Gegenstände» aufzählt, die ihrer Natur nach «der landes-
herrlichen Verfügung zu unterstellen sind, oder welche nach ihrer Wichtigkeit und
dem Interesse des fürstlichen Hauses allein von der Entschliessung des Landesfürs-
ten abhängen, und welche zu einer unmittelbaren Verhandlung vor den Fürsten ge-
hören».
233 In Anlehnung an Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert,
5.323 f. und an Hans-Christof Kraus, Monarchischer Konstitutionalismus, S. 608.
234 Vgl. auch $$ 35 und 36 Amtsinstruktion von 1862 und Ziffer 1 und 11 Amts-
instruktion von 1871. Siehe auch Stefan Korioth, «Monarchisches Prinzip», S. 39
mit weiteren Literaturhinweisen.
235 Esist in $ 35 Amtsinstruktion von 1862 von der Ausübung der «landesherrlichen
Regierungsrechte» die Rede.
236 Friedrich Tezner, Der Kaiser, S. 13; siehe auch Ernst Pappermann, Der Amtsenthe-
bungsantrag, S. 610 mit weiteren Literaturhinweisen.
88
Der Landesfürst als Staatsoberhaupt
die Amtsinstruktion für die Staatsbehörden des souveränen Fürsten-
thums Liechtenstein erlassen.??7
Zur Exekutive zählt auch ein Verordnungsrecht, das der Zustim-
mung des Landtages nicht bedarf? Es steht formell dem Fürsten zu?
und wird für ihn durch die Regierung ausgeübt.? $ 24 Abs. 2 der Kon-
stitutionellen Verfassung?! behält ihm die zum Vollzug der Gesetze, fer-
ner die aus dem Aufsichts- und Verwaltungsrecht fliessenden Verord-
nungen, die beispielsweise auch organisationsrechtliche Fragen umfas-
sen,72 ausdrücklich vor. Daneben steht ihm ein Notverordnungsrecht
zur Seite, um in «dringenden Fällen» die «zur Sicherheit und Wohlfahrt
des Landes» gebotenen Verordnungen erlassen zu können.?®
Seine Exekutivbefugnisse erstrecken sich auch auf das Vertretungs-
recht des Staates gegenüber auswärtigen Staaten ($ 23 KV) und die aus-
schliessliche Verfügungsgewalt über das Militär ($ 38 KV).244
237 Siehe die Organisationsverordnung und die Amtsinstruktion vom 26. September
1862 (im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>); dazu auch Paul Vogt, Zur
Entstehung und Tätigkeit des Landtags, S. 193 ff.
238 Vgl. zum Verordnungsrecht Cyrus Beck, Der Vorbehalt des Gesetzes der liechten-
steinischen konstitutionellen Verfassung von 1862, S. 123 f.
239 Als Beispiele fürstlicher Verordnungen können erwähnt werden: LGBl. 1871 Nr. 1
und 1891 Nr. 5; vgl. zum fürstlichen Verordnungsrecht auch Cyrus Beck, Der Vor-
behalt des Gesetzes der liechtensteinischen konstitutionellen Verfassung von 1862,
S. 125 ff.
240 Vgl. etwa LGBl. 1864 Nr. 2; 1865 Nr. 3; 1868 Nr. 3; 1869 Nr. 3 und 1891 Nr. 4.
241 Auf diese Bestimmung geht Art. 10 LV 1921 (heute i. d. FE. LGBl. 2003 Nr. 186)
zurück.
242 Vgl. etwa als Beispiele die Amtsinstruktionen von 1862 und 1871, die Organisati-
onsfragen regeln.
243 Klaus Kröger, Verfassungsgeschichte, S. 35. Nach Georg Meyer /Gerhard
Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 676 ist das Recht, Notverord-
nungen zu erlassen, «dem Monarchen durch die meisten Verfassungen ausdrücklich
beigelegt, fast überall aber dahin beschränkt worden, dass Notverordnungen nur in
Zeiten erlassen werden dürfen, wo der Landtag nicht versammelt ist und dass sie
dem nächsten Landtage zur nachträglichen Genehmigung vorzulegen sind». Dies-
bezüglich stellt die liechtensteinische Konstitutionelle Verfassung von 1862 eine
Ausnahme dar. Zum Notverordnungsrecht nach geltendem Verfassungsrecht siehe
hinten S. 319 ff.
244 Danach steht dem Landesfürsten die ausschliessliche Verfügung über das Militär, die
Formation desselben, die Disziplinargewalt und das Recht zu, alle den Kriegsdienst
desselben betreffenden Verordnungen zu erlassen. Das Militärkontingent wurde
1868 vom Fürsten aufgelöst. Vgl. Peter Geiger, Geschichte, S. 398.
89
Monarchischer Konstitutionalismus
2. Legislative
Zu den Prärogativen des Landesfürsten gehören weitere entscheidende
staatliche Hoheitsrechte wie die Gesetzessanktion (absolutes Veto), die
Ernennung von drei Mitgliedern des Landtages ($ 55 KV)? und das
alleinige Recht zur Einberufung, Schliessung, Vertagung und Auflösung
des Landtages ($ 90 KV) sowie zur Bestätigung der Wahl des Präsi-
denten (Vorsitzenden) des Landtages und seines Stellvertreters.2*7
Der Landesfürst kann den Landtag aus erheblichen Gründen, die
der Versammlung jedes Mal mitzuteilen sind, auf drei Monate vertagen
oder auflösen ($ 90 KV). Er ist jedoch verpflichtet, regelmässig einmal im
Jahr im Zeitraume zwischen dem 15. und 31. Mai?#® den ordentlichen
Landtag einzuberufen ($ 92 KV). Die Einberufung ausserordentlicher
Landtage steht in seinem Ermessen. Er wird die «Zusammenkunft des
245 Unter den vom Fürsten ernannten Abgeordneten befanden sich auch Ausländer, die
als öffentliche Diener, z. B. als Landrichter, tätig waren. Ihnen konnte nach $ 6 des
Gesetzes vom 28. März 1864 über die Erwerbung und über den Verlust des liech-
tenstein’schen Staatsbürgerrechts, LGBl. 1864 Nr. 3, das Ehrenstaatsbürgerrecht,
d.i. das Recht zur Wahl und Wählbarkeit in den Landtag verliehen werden. Die
Verleihung geschieht durch den Fürsten auf Vorschlag des Landtages. Die Personen,
welche durch den fürstlichen Erlass vom 26. September 1862 bereits zu diesem
Rechte gelangten, behielten es für die Dauer ihrer aktiven Dienstleistung. Vgl. auch
Albert Schädler, Landtag, JBL Bd. 1 (1901), S. 94 f.; Paul Vogt, 125 Jahre Landtag,
S. 158 in Bezug auf Pfarrer Anton Gmelch, Bürger von Emsing (Bayern) und S. 163
in Bezug auf Landrichter Markus Kessler, Bürger von Trillfingen (Hohenzollern);
siehe zur Person von Markus Kessler auch Oliver Stahl, in: Historisches Lexikon,
Bd. 1,5. 433 und zur Person von Anton Gmelch Franz Näscher, in: Historisches Le-
xikon, Bd. 1, S. 301.
246 Vgl. die fürstliche Verordnung betr. Ausschreibung der Landtagswahlen und Ein-
berufung des Landtags vom 26. September 1862 (im Internet abrufbar unter:
<www.e-archiv.li>) oder die fürstlichen Verordnungen betreffend Einberufung
eines ordentlichen Landtages, LGBl. 1868 Nr. 2, betreffend Einberufung eines aus-
serordentlichen Landtages, LGBI. 1914 Nr. 6, zur Ergänzung der Amtsinstruktion,
LGBl. 1915 Nr. 7 oder zur Erlassung einer Amtsinstruktion für die fürstlich Liech-
tensteinische Gesandtschaft in Bern, LGBl. 1919 Nr. 12. In $ 94 Abs. 2 Amtsin-
struktion von 1862 heisst es: «Gesetzen und Verordnungen kömmt noch weiters die
Gegenzeichnung des betreffenden im Sinne der Landesverfassung vom Fürsten
bestimmten verantwortlichen Beamten beizufügen.»
247 $97 KV 1862 und $$ 8 ff. Geschäftsordnung für den Landtag des Fürstenthums
Liechtenstein vom 29. März 1863, LGBl. 1863 Nr. 1.
248 Änderung des Zeitraumes durch LGBl. 1901 Nr. 2. Danach hat die Einberufung des
Landtages zwischen dem 15. und 31. Oktober zu erfolgen.
90
Der Landesfürst als Staatsoberhaupt
Landtages verordnen, so oft er solches zur Erledigung wichtiger und
dringender Landesangelegenheiten nöthig erachtet» ($ 91 KV).?* Im Fall
des Regierungswechsels (z.B. Tod des Landesfürsten) ist ein ausseror-
dentlicher Landtag «nöthig» ($ 94 KV). Die Vertagung, d. h. eine Unter-
brechung der Sitzungen, kann aus erheblichen Gründen, die der Landes-
fürst der Versammlung der Abgeordneten jedes Mal mitzuteilen hat, auf
die Dauer von höchstens drei Monaten angeordnet werden. Nach Ablauf
der vom Landesfürsten festgesetzten Zeit, hat er binnen vier Monaten
den Landtag wieder einzuberufen ($$ 90 und 93 Abs. 2 KV).25 In der Re-
gel geschieht dies mit einer «landesfürstlichen Verordnung».?51 Die Auf-
lösung des Landtages bewirkt das Ende der Session. Die Folge davon
sind Neuwahlen. Sie haben binnen vier Monaten nach Auflösung stattzu-
finden ($ 93 KV). Mit dem Mittel der Auflösung kann der Landesfürst je-
derzeit Neuwahlen erzwingen. Für die Zeit, in der der Landtag nicht ver-
sammelt ist, d. h. wenn er vertagt, geschlossen oder aufgelöst wurde, be-
steht als sein «Stellvertreter» ein «Ausschuss für diejenigen Geschäfte,
welche der Mitwirkung der Landesvertretung bedürfen». Dieser soge-
nannte Landesausschuss setzt sich aus dem Präsidenten und zwei ande-
ren Mitgliedern des Landtages zusammen ($$ 106 und 110 ff. KV).
3. Judikative
Die Gerichtsbarkeit oder richterliche Gewalt wird im Namen des Lan-
desfürsten ausgeübt ($ 33 KV) bzw. geht von ihm aus, wobei sie im
Bereich des Zivil- und Strafrechts durch unabhängige Gerichte ausgeübt
249 Ein ausserordentlicher Landtag fand am 7. März 1895 statt. Er wurde mit höchstem
Handbillet des Fürsten zu einer ausserordentlichen Sitzung einberufen. Siehe Land-
tagsprotokoll 1895 und dazu Gesetz vom 14. März 1895 betreffend die hausgesetz-
lichen Bestimmungen über die Eheschliessungen der Fürsten und Prinzen des fürst-
lichen Hauses, LGBl. 1895 Nr. 1.
250 Als Beispiel siehe Albert Schädler, Landtag, JBL Bd. 4 (1904), S. 44 f. Hier ging es
darum, den Streitparteien, der fürstlichen Regierung (Landesverweser) auf der einen
und dem Landtag auf der anderen Seite Gelegenheit zu verschaffen, eine einver-
nehmliche Lösung in strittigen Verfassungsfragen zu treffen. Näheres dazu hinten
S. 130 ff.
251 Siehe $ 102 Geschäftsordnung für den Landtag und als Beispiele LGBI. 1867 Nr. 1
und LGBl. 1868 Nr. 2.
91
Monarchischer Konstitutionalismus
wird ($ 34 KV), nicht jedoch in Administrativ- und Finanzangelegenhei-
ten.22 Bei den Strafsachen übt der Landesfürst allein das Gnadenrecht
(«Gnadensachen und Strafnachlässe») aus. Es gehört zu jenen Gegen-
ständen, die allein von der Entschliessung des Landesfürsten abhängen?
und in den Verfassungen recht unterschiedlich geregelt sind.?*
$10 DER LANDTAG ALS VOLKS- UND «LANDES-
VERTRETUNG»255
I. Allgemeines
1. Vertretungsfunktion
Der Landtag ist das gesetzmässige Organ der Gesamtheit der Landesan-
gehörigen und als solches berufen, deren Rechte gegenüber dem Lan-
desfürsten bzw. seiner Regierung geltend zu machen ($ 39 KV). Er hat
die Rechte des Volkes gegenüber der monarchischen Regierung zu wah-
ren. Ohne seine Mitwirkung und Zustimmung darf kein Gesetz gege-
ben, aufgehoben, abgeändert oder authentisch erklärt werden ($ 24 KV).
Die Tätigkeit des Landtages ist denn auch «echte Teilhabe an der Aus-
übung der Staatsgewalt»,? obgleich er gemäss $ 2 der Konstitutionellen
252 Siehe $ 91 Amtsinstruktion von 1862, wonach die fürstliche Hofkanzlei in Wien Re-
cursinstanz über Entscheidungen der Landesregierung in Administrativ- und Fi-
nanzangelegenheiten ist. Sie ist aber auch zugleich Appellationsgericht über die ge-
richtlichen Urteile und Bescheide des Landgerichts. Dagegen bildet nach $ 92 das
Oberlandesgericht zu Innsbruck den obersten Gerichtshof. Vgl. auch Ziffer 3 und 4
der Verordnung betr. Organisation der obersten Verwaltungsbehörde und der Ge-
richte vom 26. September 1862 (im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>). Die
Trennung von Justiz und Verwaltung erfolgte erst in $ 34 Amtsinstruktion von
1871.
253 Siehe $ 93 Ziffer 6 Amtsinstruktion von 1862.
254 Volker Haas, Strafbegriff, Staatsverständnis und Prozessstruktur, S. 67 f.
255 Im IV. Hauptstück der Konstitutionellen Verfassung und im Begleitschreiben des
Fürsten vom 26. September 1862 wie auch in $ 95 Abs. 2 Amtsinstruktion von 1862
ist die Rede von der «Landesvertretung».
256 In Anlehnung an Stefan Korioth, «Monarchisches Prinzip», S. 51, der in diesem
Sinne die Tätigkeit der Stände in den süddeutschen Verfassungen charakterisiert.
92
Der Landtag als Volks- und «Landesvertretung»
Verfassung nicht (Mit-)Träger der Staatsgewalt ist. Der Landtag wirkt als
«beschränkender Faktor», an dessen Mitwirkung der Fürst bei der Aus-
übung bestimmter Funktionen, z. B. Legislativfunktionen, gebunden ist.
Der Landtag repräsentiert aber das Volk bzw. die «Gesamtheit der
Landesangehörigen» nicht vollumfänglich, da er sich nur aus der «wahl-
fähigen männlichen Bevölkerung» ($$ 55, 57 KV) zusammensetzt und
drei der 15 Abgeordneten der Landesfürst ernennt.?”
Diese fürstlichen Abgeordneten sind im eigentlichen Sinn keine
Volksvertreter. Sie werden vom Fürsten bestellt. Es mangelt ihnen an der
Legitimation durch das Volk, d. h. «aus eigener Wurzel in der Volks-
wahl».?8 Peter Geiger betrachtet sie dennoch «der Sache nach» als
Volksvertreter, da sie «aus der im Fürstenthume wahlfähigen männlichen
Bevölkerung stammen» ($ 55 KV) und an keine Instruktionen gebunden
sind.?9 Die Tatsache, dass sie keinen Weisungen unterworfen und dem
Allgemeinwohl («das allgemeine Wohl des Fürsten und des Landes»)?
verpflichtet sind, spricht zwar für eine eigenständige Legitimation, lässt
sie aber dennoch nicht als Abgeordnete des Volkes erscheinen.?*!
257 Bei dieser Zusammensetzung wie auch bei der Wahlmänner-Wahl ($ 56 KV 1862)
bleibt es auch nach der Änderung des $ 55 durch das Gesetz vom 19. Februar 1878
über die Abänderung des Landtags-Wahlmodus, LGBl. 1878 Nr. 2. Dort heisst es:
«Der Landtag zählt 15 Mitglieder; drei derselben werden vom Fürsten aus der wahl-
fähigen Bevölkerung des Fürstenthums ernannt, die übrigen Mitglieder hingegen
u.z. 7 durch Wahlmänner des Oberlandes und 5 durch Wahlmänner des Unterlan-
des aus dem Volke gewählt». Zur Schaffung der Wahlbezirke bzw. Wahlkreise siehe
Herbert Wille, Landtag und Wahlrecht, S. 200 ff. Das Wahlmänner-Wahlrecht wird
gemäss $ 2 des Gesetzes vom 21. Jänner 1918 betreffend die Abänderung der Land-
tagswahlordnung, LGBl. 1918 Nr. 4, durch das direkte Wahlrecht ersetzt. Siehe auch
hinten S. 103 f.
258 Vgl. etwa $ 3 Geschäftsordnung für den Landtag, wo es heisst: «Neu gewählte
Abgeordnete legitimiren sich durch Vorweisung der Wahlurkunde».
259 Peter Geiger, Die liechtensteinische Volksvertretung, S. 42 und ders., Geschichte,
5.286 ff.
260 Siehe $ 39 KV 1862.
261 Es ist in diesem Zusammenhang auch anzumerken, dass es sich bei den vom Fürs-
ten ernannten Abgeordneten auch um ausländische Personen handeln kann, denen
für die Dauer ihrer Dienstzeit im Lande das Ehrenstaatsbürgerrecht verliehen wor-
den ist. Siehe vorne S. 90 Fn. 245.
93
Monarchischer Konstitutionalismus
2. Kompetenzbereich
In seinen Zuständigkeitsbereich fallen die Mitwirkung bei der Militär-
aushebung ($ 40 KV)? und der jährliche Landesvoranschlag (Vorschlag
über sämtliche Einnahmen und Ausgaben) ($ 45 KV). Die Auferlegung
der Steuer sowie die Art der Umlegung und Verteilung aller öffentlicher
Abgaben bedürfen seiner Zustimmung bzw. seiner «Verwilligung»
($$ 43, 44 und 45 KV) wie auch die Aufnahme von Anleihen und die
Übernahme von Schuldverpflichtungen ($ 47 KV). Wichtige Staatsver-
träge setzen die Bewilligung des Landtages voraus ($ 23 Abs. 2 KV). Es
fehlen dem Landtag aber, wie dies auch heute noch zum Teil der Fall
ist,24 wichtige formelle Rechte. Er hat kein Recht zur Selbstversamm-
lung und kein Recht, sich selbst aufzulösen. Es ist auch bezeichnend für
die fürstliche Dominanz, dass die Geschäftsordnung des Landtages vom
29. März 1863 von der fürstlichen Regierung beantragt, vom Landtag
beschlossen und vom Fürsten genehmigt wurde.265 Sie kann nur im Wege
der Gesetzgebung geändert werden. Der Präsident des Landtages, der
zugleich auch Vorstand des Landesausschusses ist, und sein Stellvertre-
ter bedürfen der Bestätigung des Landesfürsten.?®
262 Siehe etwa LGBl. 1864 Nr. 1: Gesetz vom 25. Oktober 1864 wegen der Rekruten-
aushebung für das Jahr 1864 und LGBl. 1864 Nr. 7: Gesetz vom 2. Oktober 1864
über die Rekrutenaushebung für das Jahr 1865.
263 Nach $ 95 Amtsinstruktion von 1862 sind allerdings die Staatsrechnungen der fürst-
lichen Buchhaltung (in Buschowitz) zur «ziffernmässigen Prüfung» zuzusenden,
welche die Bemängelungen der fürstlichen Regierung mitzuteilen hat. Die «Final-
erledigung» hat die Hofkanzlei dem «Landtagsausschusse» (Landesausschuss
gemäss $ 113 KV 1862) bekannt zu geben. Liechtenstein ist hier eine Aussenstelle
der fürstlichen Herrschaft.
264 Art. 48 Abs. 2 und 3 LV 1921 nennt in Bezug auf die Einberufung und Auflösung
des Landtages neu neben dem Landesfürsten auch eine bestimmte Zahl von wahl-
berechtigten Landesbürgern und Gemeinden. Siehe dazu hinten S. 435 f.
265 So der Wortlaut des Ingresses. Diese Geschäftsordnung von 1863 wurde erst unter
der Verfassung von 1921 mit Gesetz vom 23. Mai 1969, LGBl. 1969 Nr. 27, aufge-
hoben. In der Folge hat der Landtag gestützt auf Art. 60 LV 1921 selber die
Geschäftsordnung vom 23. Mai 1969, LGBl. 1969 Nr. 28, erlassen. Daran schliessen
sich die Geschäftsordnung vom 11. Dezember 1996, LGBl. 1997 Nr. 61, und die
Geschäftsordnung vom 19. Dezember 2012, LGBl. 2013 Nr. 9, an.
266 Siehe $ 9 Geschäftsordnung für den Landtag von 1863.
94
Der Landtag als Volks- und «Landesvertretung»
3. Landtag als «Verwaltungsbehörde»
Der Landtag ist nicht nur (Mit-)Gesetzgeber, er ist auch bei der Aus-
übung zahlreicher Funktionen der Verwaltung bzw. in Verwaltungsan-
gelegenheiten?” beteiligt. Er kann auch auf dem Wege der Beschwerden
und Petitionen, die von einzelnen Personen oder Korporationen, wie
z.B. Gemeinden, an ihn gerichtet werden, tätig werden und sie bei der
fürstlichen Regierung oder direkt beim Landesfürsten vorbringen. Er
hat damit ein effektives Kontrollmittel in der Hand, um die fürstliche
Regierung zum Handeln zu zwingen.?8 Er hat überdies ein das ganze
Gebiet der Staats- oder Landesverwaltung umfassendes Recht der Kon-
trolle, die von ihm letztlich jedoch lediglich in Form von Vorstellungen
und Beschwerden an den Landesfürsten wahrgenommen werden kann
($$ 40 und 42 KV). Als besonderer Ausfluss dieses Rechts erscheint
namentlich auch die «Ministeranklage», die in $ 40 Bst. d der Konstitu-
tionellen Verfassung aber nur als ein «Recht des Antrages auf Anklage
wegen Verfassungs- und Gesetzesverletzungen der verantwortlichen
Staatsdiener» ausgestaltet worden ist.?°
267 Das Petitionsrecht an den Landtag ist gemäss $ 20 KV 1862 gewährleistet. Siehe zur
Staatspraxis Albert Schädler, Landtag, JBL Bd. 4 (1904), S. 53. Dieser führt zum or-
dentlichen Landtag vom 7. Mai bis 22. Juni 1896 aus: «Der Petition des Postmeisters
Wolfinger von Balzers willfahrte der Landtag, indem er die bisherige jährliche Lan-
dessubvention von 200 fl. auf 400 fl. erhöhte unter der Voraussetzung, dass die klei-
nen Wägen durch solche mit 8-10 Plätzen ersetzt werden.» Siehe auch Albert
Schädler, Landtag, JBL Bd. 3 (1903), S. 47 zum ordentlichen Landtag vom 15. Mai
bis 21. August 1880: «Die Petition des Fabrikbesitzers E. Jenny in Triesen, welcher
mit Bezugnahme auf die im Vorjahre beschlossenen Abänderungen des Gewerbe-
steuergesetzes um Ermässigung der Gewerbesteuer einkam, wurde abschlägig be-
schieden.»
268 Siehe die $$ 40 und 42 KV und die Tätigkeit des Landtages ab 1862, die Albert
Schädler im JBL unter dem Titel «Die Tätigkeit des liechtensteinischen Landtages»
darstellt. Siehe auch Albert Schädler, Landtag, JBL Bd. 1 (1901), S. 155, Landtags-
session 1868: «Gegen Schluss der Session beschäftigte sich der Landtag noch mit der
Landesrealschule. Es handelte sich zunächst um eine Abfindung des abtretenden
Reallehrers Georg Fischer. Derselbe war im Jahre 1860 unter Zusicherung der Pen-
sionsberechtigung angestellt worden. Er erklärte jedoch in einem schriftlichen
Antrage, gegen Erhalt einer Abfindungssumme auf das Pensionsrecht verzichten zu
wollen. Man einigte sich schliesslich auf eine Abfindung von 500.- fl., welche der
Landtag bewilligte.»
269 Siehe auch hinten S. 528.
95
Monarchischer Konstitutionalismus
4. Beschwerde- und Petitionsrecht
Das Beschwerde- und Petitionsrecht dient dem Landtag in der Praxis
teils zur Ausübung der Kontrolle über die Verwaltung,?” teils als ein
Mittel, um die fürstliche Regierung zur Vorlegung von Gesetzen zu ver-
anlassen. Es wird entweder gegenüber der fürstlichen Regierung in der
Form von Resolutionen oder direkt gegenüber dem Landesfürsten in der
Form der Adresse ausgeübt. Der Landtag ist gemäss $ 42 der Konstitu-
tionellen Verfassung befugt, solche Petitionen anzunehmen und sie, falls
die darin enthaltenen Beschwerden begründet erscheinen, direkt dem
Landesfürsten zur Abhilfe zu überweisen.?!
II. Geschäftsbereiche?”?
1. Wahl des Vorsitzenden
Der Landtag wählt bei seinem Zusammentritt für die Leitung seiner
Geschäfte unter dem Vorsitze des Alterspräsidenten einen Vorsitzenden
und einen Stellvertreter. Der Landesfürst hat diese Wahlen zu bestätigen
($ 97 KV).
2. Geschäftsordnung
Der Landesfürst genehmigt auch die Geschäftsordnung des Landtages,
die die Regeln der Geschäftsbehandlung enthält. Sie ist wie ein Gesetz
erlassen worden. Das heisst, dass sie den Charakter eines Gesetzes auf-
weist?® und nur im Wege der Gesetzgebung abgeändert werden kann.
270 So beispielsweise die Kontrolle über die Einnahmen und Ausgaben des Landes ge-
mäss $$ 30 und 31 KV; zur diesbezüglichen «Rechenschaftspflicht» der Regierung
siehe Paul Vogt, Regierung, in: Historisches Lexikon, Bd. 2, S. 746.
271 Vgl. hinten 530 f.
272 Informativ Paul Vogt, 125 Jahre Landtag, S. 114 ff.
273 Siehe die Präambel und $ 39 Geschäftsordnung für den Landtag von 1863.
96
Der Landtag als Volks- und «Landesvertretung»
3. Eröffnung des Landtages
Der Landtag wird entweder vom Landesfürsten in eigener Person oder
durch einen Bevollmächtigten «mit angemessener Feierlichkeit» eröffnet
($ 103 KV).?7* Die Schliessung des Landtages erfolgt ebenfalls durch
den Landesfürsten oder einen «eigenen landesherrlichen Commissär»
($ 105 KV).
4. Öffentlichkeit der Verhandlungen
Die Landtagsverhandlungen sind grundsätzlich öffentlich. Es können
ausnahmsweise geheime Sitzungen («bei verschlossenen Thüren») statt-
finden. Zum Ausschluss der Öffentlichkeit genügt ein Antrag der für die
Prüfung eines Gegenstandes bestellten Kommission. Er kann auch von
der Versammlung beschlossen oder vom Regierungs-Kommissär ver-
langt werden.?’5
5. Verhandlungsgegenstände
Die Verhandlungen im Landtage werden teils durch Vorlagen der Regie-
rung, teils durch Anträge der Mitglieder veranlasst. Die Geschäftsord-
nung sieht vor, dass diejenigen Gegenstände, welche im Plenum zur
Verhandlung kommen, vorher in einer Kommission behandelt werden
müssen.
6. Besondere Kommissionen
Der Landtag kann, so oft er es für nötig hält, zur Prüfung und Vorberei-
tung von Geschäftsgegenständen besondere Kommissionen bestellen.
Gesetzesvorschläge, selbständige Motionen einzelner Landtagsmitglieder
274 $ 10 Geschäftsordnung für den Landtag spricht von einer «landesfürstlichen Eröff-
nungsrede», der in der Regel eine «Antwortadresse» des Landtages folgt.
275 Siehe $$ 21, 22 und 23 Geschäftsordnung für den Landtag von 1863.
97
Monarchischer Konstitutionalismus
und die landesfürstlichen Beratungsgegenstände (Propositionen), die so-
genannten Regierungsvorlagen, die durch den Regierungs-Kommissär an
den Landtag gelangen, müssen ın der Regel zur Berichterstattung an eine
vorberatende (vorbereitende) Kommission überwiesen werden, die am
Beginn der neuen Landtagsperiode zusammen mit dem Landtagsbüro ge-
wählt wird.?® Er kann sie auch mit der Untersuchung und Abklärung spe-
zieller Rechts- und Sachfragen beauftragen, wie dies etwa ın der Frage der
verfassungsmässigen Zulässigkeit von Petitionen an den Landesausschuss
der Fall gewesen ist. Damit diese Kommissionen die ihnen zugewiesenen
Gegenstände erschöpfend bearbeiten können, haben sie das Recht, den
Regierungs-Kommissär zu befragen und von ihm «Aufschlüsse, Erläute-
rungen und aktenmässige Belege» zu verlangen. Der Landtag hat auch
das Recht, landesfürstliche Propositionen, selbständige Motionen und
Gesetzvorschläge abzuändern, anzunehmen oder zu verwerfen.?77
7. Immediateingaben
Der Landtag greift gelegentlich auch zu Immediateingaben an den Lan-
desfürsten, um sich über eine Gesetzesmaterie Klarheit zu verschaffen
und sich zu positionieren. Er zwingt damit den Landesfürsten, Stellung
in der Sache zu beziehen und darüber Auskunft zu geben, ob man sich
ın der Sache einigen kann, da er mit seinem Veto ein Gesetzgebungsvor-
haben blockieren kann.?78
III. Rechtsstellung der Mitglieder des Landtages
1. Eigenständiger Status
Der einzelne Abgeordnete hat das Recht, «selbständige Motionen und
Gesetzesvorschläge» in die Versammlung einzubringen. Dies unter-
276 Siehe $ 17 Geschäftsordnung für den Landtag von 1863.
277 Siehe $ 30 Geschäftsordnung für den Landtag von 1863.
278 Vgl. die Immediateingaben zur Justizrteform und zu einem «Press(e)gesetz», die
Albert Schädler, Landtag, JBL Bd. 12 (1912), S. 41 ff. erwähnt.
98
Der Landtag als Volks- und «Landesvertretung»
streicht den eigenständigen Status, der auch in der Eidesformel zum
Ausdruck kommt, wonach er nach «eigener Überzeugung» zu beraten
hat ($ 103 KV). Er darf keinerlei Instruktionen annehmen und nicht an
einen Auftrag gebunden sein. Der Abgeordnete hat für die Dauer des
Landtages Anspruch auf angemessene «Diäten» ($ 109 KV). Er bezieht
für die Teilnahme an den Landtags- und Kommissionssitzungen eine
Taggebühr aus der Landeskasse.”? Die Diäten hatten den Zweck, die
Unabhängigkeit des Mandats zu gewährleisten.?®
2. Teilnahmepflicht
Die Mitglieder des Landtages haben an den Sitzungen des Landtages und
der Kommissionen, in die sie gewählt worden sind, teilzunehmen.?$! Bei
Verhinderung bedürfen sie eines Urlaubes, den die Landtagsversamm-
lung erteilt. In besonderen dringlichen Fällen und lediglich für zwei Tage
kann ihn der Präsident gewähren.?®?
3. Disziplinargewalt
Die Landtagsmitglieder sind der Disziplin des Landtages unterstellt, der
sie durch den Präsidenten ausübt,?® welcher bei beleidigenden Äusse-
rungen oder «Abschweifungen» vom Verhandlungsgegenstande den
Ordnungsruf ergehen lässt.?* Bei Wiederholung solcher «Vergehen»
kann der Landtag mit einer Zweidrittel-Mehrheit ein Mitglied von der
Versammlung auf die Dauer des Landtages ausschliessen. Die Mitglieder
des Landtages geniessen zwar das Recht der freien Meinungsäusserung.
Die Redefreiheit findet aber bei Beleidigungen ihre Grenzen.
279 Siehe $ 38 Geschäftsordnung für den Landtag von 1863.
280 Vgl. Foroud Shirvani, Der Abgeordnetenstatus, S. 548 f.
281 Siehe $ 18 Geschäftsordnung für den Landtag von 1863.
282 Siehe $ 19 Geschäftsordnung für den Landtag von 1863.
283 Gemäss $ 16 Geschäftsordnung für den Landtag von 1863 steht ihm auch die
Sitzungspolizei zu.
284 Siehe $ 27 Geschäftsordnung für den Landtag von 1863.
99
Monarchischer Konstitutionalismus
4. Immunitätsschutz
Der Immunitätsschutz ist noch lückenhaft und unzureichend. So fehlt
eine Bestimmung, wonach die Abgeordneten für ihre Äusserungen nicht
zur Rechenschaft gezogen werden können und sie für den Inhalt ihrer
Abstimmungen nicht verantwortlich sind (sogenannte parlamentarische
Immunität bzw. Indemnität).?®5 $ 107 der Konstitutionellen Verfassung
macht die Verhaftung der Abgeordneten nur während der Dauer der Sit-
zung von der Einwilligung des Landtages abhängig. Daher konnte ein
Abgeordneter während der Zeit ausserhalb der Sitzungen, die «ordentli-
cher Weise» für den Zeitraum zwischen dem 15. und 31. Mai bzw. ab
1902 für den Zeitraum zwischen dem 15. und 31. Oktober anberaumt
wurden,?% ohne Einwilligung des Landtages verhaftet werden.?
IV. Wahl zum Landtag
1. Wahlrecht
Aktiv und passiv wahlberechtigt sind nach der Konstitutionellen Verfas-
sung von 1862 alle männlichen Landesangehörigen, die im Fürstentum
wohnen, «im Vollgenuss bürgerlicher Rechte stehen», 24 Jahre alt? sind
und «einen Beruf für sich auf eigene Rechnung betreiben» ($ 57 KV).
Vom Wahlrecht ausgeschlossen sind neben Personen, über deren Ver-
285 Vgl. Paul Vogt, Zur Entstehung und Tätigkeit des Landtags, S. 201 f.
286 Nach $ 91 KV 1862 wird der Landesfürst «die Zusammenkunft des Landtages ver-
ordnen, so oft er solches zur Erledigung wichtiger und dringender Landesangele-
genheiten nöthig erachtet».
287 Im Zusammenhang mit der Verhaftung des Abgeordneten Franz Anton Kirchthaler
ist in der Landtagssitzung vom 16. November 1868 die Frage der Einwilligung des
Landtages gemäss $ 107 KV 1862 aufgeworfen und darauf hingewiesen worden, dass
dies nur während des «Beisammenseins des Landtags» gelte, d. h. wenn der Landtag
eine Sitzung abhält, wobei in diesem Fall auch auf $ 60 KV 1862 Bezug genommen
wird. Die betreffende Akte ist im Internet abrufbar unter <https://login.
gmg.biz/earchivmanagement/projektdaten/earchiv/Media/ltp_1868_11_16.pdf>.
Zur Immunität des hohenzollern-sigmaringischen Abgeordneten vgl. Roland
Kirchherr, Die Verfassung des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen, S. 204.
288 Zum Wahlalter vor der Konstitutionellen Verfassung von 1862 siehe Peter Geiger,
Geschichte, S. 290 Fn. 10a.
100
Der Landtag als Volks- und «Landesvertretung»
mögen der Konkurs eröffnet oder das Vergleichsverfahren eingeleitet
worden ist, sich wegen strafbarer Handlungen in Untersuchung befin-
den, verurteilt oder lediglich mangels Beweisen freigesprochen worden
sind, Armenunterstützung geniessen oder bevormundet sind, auch sol-
che Personen, die «im dienstbaren Gesindeverhältnisse zu einer anderen
Person» stehen ($ 60 KV).
Dieser Ausschluss vom Wahlrecht trifft u. a. die Knechte und Die-
ner. Nicht ganz klar ist, ob auch Tagelöhner zur Kategorie von Personen
gehörten, die keinen Beruf auf eigene Rechnung ausübten.?® Die Ein-
engung auf ein Männerwahlrecht ist zur damaligen Zeit unbestritten.?®
Das Wahlrecht, das zugleich auch eine Wahlpflicht begründete ($ 87
KV), setzt jedenfalls eine «persönliche wirtschaftliche Unabhängigkeit»
bzw. wirtschaftliche Selbständigkeit voraus.??! Solche materiellen Anfor-
derungen an das Wahlrecht, wie sie auch in der deutschen Nationalver-
sammlung zur Diskussion standen, bedeuteten eine erhebliche Ein-
schränkung der Wahlrechtsallgemeinheit und -gleichheit, die zulasten
der unteren Schichten ging. Sie werden der Repräsentationsidee des
Landtags, der das «gesetzmässige Organ der Gesammtheit der Landes-
angehörigen» ist ($ 39 KV), nur bedingt gerecht. Das qualifizierte Wah-
lalter und die Verknüpfung des Wahlrechts mit dem Hausbesitz oder der
beruflichen Unabhängigkeit haben ihren Ursprung in der Lehre des
alten Liberalismus, wonach nur auf diese Weise «die Besten ausgelesen
werden könnten».??
289 Peter Geiger, Geschichte, S. 289; vgl. zum Begriff der Selbständigkeit nachfolgend
den Vorschlag der gemässigt liberalen Mehrheit des Verfassungsausschusses der
Deutschen Nationalversammlung.
290 Vgl. Jörg-Detlef Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, S. 410.
291 Peter Geiger, Die liechtensteinische Volksvertretung, S. 44. Nach Dietmar Willo-
weit, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 257 Rz. 5 konnten die einzelnen Regie-
rungen das Kriterium der wirtschaftlichen Selbständigkeit verschieden auslegen,
sodass eine gesamtdeutsche Gleichheit nicht gegeben war. So habe Preussen von der
Wahl nur ausgeschlossen, wer Unterstützung aus der Armenkasse erhalten hat,
Österreich dagegen habe «alle in einem untergeordneten Dienstverhältnis Stehen-
den» von der Wahl ausgeschlossen. Vgl. auch Jörg-Detlef Kühne, Die Reichsverfas-
sung der Paulskirche, S. 410.
292 Peter Geiger, Die liechtensteinische Volksvertretung, S. 46; vgl. beispielsweise auch
Ziffer 2 des Fürstlichen Erlasses vom 7. April 1848, die wie folgt lautet: «Die freie
Wahl der Volksvertreter wird, auf Besitz und Bildung gegründet, statt zu finden
haben».
101
Monarchischer Konstitutionalismus
Wahlrechtsbegrenzungen dieser Art stellen auch eine «soziale Entschei-
dung» dar. So schlug die gemässigt liberale Mehrheit des Verfassungs-
ausschusses der Deutschen Nationalversammlung ein an der wirtschaft-
lichen Selbständigkeit orientiertes Wahlrecht vor, wonach insbesondere
Dienstboten, Handwerksgehilfen, Fabrikarbeiter sowie Tagelöhner vom
Wahlrecht ausgeschlossen sein sollten, was soziologisch einer Ausgren-
zung des gesamten Vierten Standes gleich kam.?®
Solche sozialpolitisch einschneidende Restriktionen, die in der Ver-
fassungsnovelle vom 19. Februar 1878 fallen gelassen wurden,?* kannte
der Verfassungsentwurf des ständischen Verfassungsrates vom 1. Okto-
ber 1848 nicht. Er setzte neben einem Wahlalter von 21 und einem Wähl-
barkeitsalter von 24 Jahren lediglich voraus, dass die Staatsangehörigen,
die die politischen Rechte ausübten, «in bürgerlichen Ehren und Rech-
ten stehen» müssen.?5 Auffallend ist, dass die Konstitutionelle Verfas-
sung von 1862 gegenüber diesem Verfassungsentwurf den demokrati-
schen Charakter des Wahlrechts einengt. Dieser listet unter dem Titel
der Volksrechte ausdrücklich das Recht der freien Wahl des Landrats
und die Gleichheit aller «Liechtensteiner Staatsbürger» vor dem Gesetz
auf. Vorrechte unter ihnen gibt es nicht.?® Der Verfassungsentwurf des
ständischen Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848 ist vom Gedanken
der Wahlallgemeinheit und -gleichheit getragen.?” Die Konstitutionelle
Verfassung von 1862 erwähnt diese Rechte nicht mehr unter den «allge-
meinen Rechten und Pflichten der Landesangehörigen». Angesichts des
konservativen Trends, der sich in den Verhandlungen um die Konstitu-
tionelle Verfassung von 1862 bemerkbar machte, verwundert diese Ent-
wicklung nicht. Die Einengung des Wahlrechts ist eine Reaktion auf
demokratische Bestrebungen, die das monarchische Fundament des
Staatswesens aushöhlen konnten.
293 Vgl. Jörg-Detlef Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, S. 410.
294 LGBl. 1878 Nr. 2. Zur Begründung der Änderung siehe den Kommissionsbericht
im LLA, Landtagsakt L 3/1877.
295 Vgl. $$ 50 und 62 des Verfassungsentwurfs des ständischen Verfassungsrates vom
1. Oktober 1848.
296 Siehe $$ 47 und 55 des Verfassungsentwurfs des ständischen Verfassungsrates vom
1. Oktober 1848.
297 Die Wahl zum Landrat entbindet nach $ 63 des Verfassungsentwurfs des ständi-
schen Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848 grundsätzlich nicht von der Pflicht, ein
Gemeinde- oder Richteramt anzunehmen.
102
Der Landtag als Volks- und «Landesvertretung»
2. Wahlmodus
Die indirekte Wahl nach dem Wahlmännersystem, das zweistufig gestal-
tet ist, stellt zur Zeit der Konstitutionellen Verfassung von 1862 das gän-
gige Wahlverfahren dar. Eine Ausnahme machen die Konstitutionellen
Übergangsbestimmungen von 1849, wonach die Wahlen zum Landrat
direkt erfolgten und zwar in zwei Wahlgängen, einer ersten Nominati-
onswahl und einer zweiten eigentlichen Wahl.?® Nach der Wahlord-
nung, wie sie die Konstitutionelle Verfassung festlegte, bestimmten in
jeder Gemeinde die Wahlberechtigten zwei Wahlmänner pro 100 Ein-
wohner. Die Wahlmännerversammlung wählte darauf die zwölf Volks-
vertreter. Der Fürst ernannte drei Abgeordnete des Landtags. Auf diese
Regelung, die in anderen deutschen und österreichischen Verfassungen
auch üblich war? einigten sich in den letzten Verhandlungen Land-
stände, Fürst und sein Berater Justus Timotheus Balthasar von Linde.
Das Land bildete einen einzigen Wahlkreis. Die Gemeinden und die bei-
den Landschaften Oberland und Unterland waren in der Wahlmänner-
versammlung proportional zu ihrer Einwohnerzahl vertreten.?®
Die direkte Wahl wurde erst 1918 eingeführt, als nach einer ver-
mehrten politischen Mitsprache im Staat verlangt wurde und sich Par-
teien formierten und ihren politischen Einfluss auf das Verfassungsge-
schehen verstärkten.?! 1878 wurden aus Gründen der Wahlrechtsgleich-
heit zwei Wahlbezirke geschaffen. Die Wähler der unteren Landschaft
fühlten sich in ihrem Wahlrecht benachteiligt. Dem Oberland wurden
298 Peter Geiger, Die liechtensteinische Volksvertretung, S. 44.
299 Peter Geiger, Die liechtensteinische Volksvertretung, S. 47; zur Entwicklung der Ab-
geordnetenzahl siehe Peter Geiger, Die liechtensteinische Volksvertretung, 5.46 f.
300 Peter Geiger, Die liechtensteinische Volksvertretung, S. 44.
301 Vgl. Herbert Wille, Regierung und Parteien, 5. 61 ff.
302 Vgl. $$ 55, 87 und 98 LGBI. 1878 Nr. 2. Im Kommissionsbericht des Landtags heisst
es, dass die Antragsteller «eine den Interessen des Unterlandes entsprechende Ver-
tretung im Landtage, nämlich eine Anzahl Abgeordnete, welche proportionell zu
ihrer Bevölkerung steht», forderten. Zitiert nach Albert Schädler, Landtag, JBL
Bd. 3 (1903), S. 36. Zum Vorgang und zur Begründung siehe auch Peter Geiger, Die
liechtensteinische Volksvertretung, S. 47 f. und Herbert Wille, Landtag und Wahl-
recht, S. 200; siehe auch Rudolf Rheinberger, Dr. med. Rudolf Schädler, S. 168 ff.,
der die Errichtung der beiden Wahlkreise Oberland und Unterland im Zusammen-
hang mit den «Münzwirren» beleuchtet.
103
Monarchischer Konstitutionalismus
sieben und dem Unterland fünf Landtagsabgeordnete zugeteilt, deren
Mandatsdauer von sechs auf vier Jahre verkürzt wurde. Der Fürst berief
wie bisher zwei Abgeordnete aus dem Oberland und einen aus dem
Unterland in den Landtag.
V. Verhältnis zum Landesfürsten
1. Allgemeines
Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 schmälert die fürstliche
Gewalt, indem sie dem Landtag Mitwirkungsrechte an der fürstlichen
Gewalt einräumt. Der Landesfürst ist nicht mehr der Souverän, wie ihn
noch die Landständische Verfassung von 1818 ausgewiesen hat. Er teilt
das Gesetzgebungsrecht mit dem Landtag, der insoweit an der Aus-
übung der Staatsgewalt teilnimmt. Die Landstände waren bisher an der
Gesetzgebung nicht bzw. lediglich beratend beteiligt.
2. Initiativrecht
Landesfürst und Landtag stellen zusammen die Legislative dar. Sie haben
auch ein eigenständiges Initiativrecht. Das Recht der Initiative, d. h. das
Recht der Einbringung von Gesetzesvorschlägen, das bisher dem Lan-
desfürsten bzw. seiner Regierung vorbehalten war, weil ein Initiativrecht
des Landtages mit dem monarchischen Prinzip nicht für vereinbar gehal-
ten wurde, steht nun auch dem Landtag zu.?® Spricht sich allerdings die
eine oder andere Seite gegen einen Gesetzesentwurf aus, so kann er nicht
mehr «ohne wesentliche Änderung» demselben Landtag vorgelegt wer-
den. Das heisst, dass er erst wieder für den Landtag des kommenden Jah-
res vorgesehen werden kann. Das Initiativrecht ermöglicht dem Land-
tag, eine aktive Rolle auszuüben.?*
303 Siehe $$ 41 und 121 Abs. 2 KV 1862.
304 Die Gesetzgebungstätigkeit des Landtages nach 1862 belegt diese Aussage.
104
Der Landtag als Volks- und «Landesvertretung»
3. Sanktionsrecht
Die Legislative lässt sich zwar nicht mehr ausschliesslich mit dem Lan-
desfürsten gleichsetzen. Die Konstitutionelle Verfassung von 1862
bestimmt, dass ohne «Mitwirkung» und «Zustimmung» des Landtages
«kein Gesetz gegeben, aufgehoben, abgeändert oder authentisch erklärt
werden» kann ($ 24 Abs. 1 KV). Gesetzeskraft erhält ein Beschluss des
Landtages aber erst mit der Sanktion des Landesfürsten ($ 29 KV). Sie
räumt ihm sachlich ein Vetorecht ein.?% Ein suspensives Veto, wie es
noch im Verfassungsentwurf des ständischen Verfassungsrates von 1848
vorgesehen war, hätte die Machtbalance in der konstitutionellen Monar-
chie auch normativ zugunsten des Landtages verschoben.?7 Der Lan-
desfürst ist rechtlich nicht verpflichtet, die Sanktion zu erteilen.” Er hat
das — «formell unbeschränkte» — Recht, die Sanktion zu verweigern.?®
Eine Sanktionsverweigerung kommt jedoch in der Praxis kaum vor.?10
Der Landesfürst gilt im Sinne des monarchischen Prinzips und wie es in
der konstitutionellen Staatslehre vorherrschende Meinung war, weiter-
hin als alleiniger Gesetzgeber,?!! wogegen der Volksvertretung lediglich
die Befugnis zusteht, den Monarchen bei der Ausübung des Gesetzge-
bungsrechts zu beschränken.?!?
305 Die Sanktion ist nach allgemeiner Übereinstimmung ein gesetzgeberischer Akt bzw.
eine gesetzgeberische Tätigkeit des Monarchen. So Walter Mallmann, Die Sanktion
im Gesetzgebungsverfahren, S. 50.
306 Werner Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus, S. 370 Fn. 43 unter Be-
zugnahme auf Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, 1967, S. 347.
307 In diesem Zusammenhang gilt es allerdings anzumerken, dass sich die staatsrechtli-
che Stellung des Landrathes von derjenigen des Landtages unter der Konstitutio-
nellen Verfassung von 1862 unterscheidet. Die höchste Gewalt in Bezug auf die
Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege «beruht» nach dem Verfassungsent-
wurf von 1848 beim Fürsten und Volke vereint ($ 34). Der Fürst ist danach nicht
mehr der Gesetzgeber. Oberste gesetzgebende Behörde ist der Landrath ($ 64).
308 So Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 324.
309 Georg Meyer / Gerhard Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, S. 663.
310 Albert Schädler, Landtag, JBL Bd. 1 (1901), S. 95 erwähnt für die Zeit nach 1862 für
das 19. Jahrhundert drei Sanktionsverweigerungen. Vgl. zur Grundentlastung JBL
Bd. 1 (1901), S. 95; im Zusammenhang mit der Sanktionsverweigerung des Sanitäts-
gesetzes siehe auch Cyrus Beck, Der Vorbehalt des Gesetzes der liechtensteinischen
konstitutionellen Verfassung von 1862, S. 203.
311 So explizit $ 29 KV 1862.
312 Walter Mallmann, Die Sanktion im Gesetzgebungsverfahren, S. 114 mit Literatur-
hinweisen. Siehe auch die Eingangsformel der Gesetze, die gestützt auf $ 24 KV
105
Monarchischer Konstitutionalismus
4. Teilhabe an der Legislativgewalt
Diese parlamentarische Befugnis entpuppte sich jedoch faktisch als echte
Teilhabe an der Ausübung der Staatsgewalt.?3 Soweit die Mitwirkungs-
rechte des Landtages reichten, sind nämlich beide aufeinander angewie-
sen, sodass es insoweit zu einer Gewaltenteilung kommt.?!* Hier sind die
Befugnisse des Landtages als «Teilhabe an der Bestimmung des Staats-
willens» zu deuten, denn die Mitwirkung zieht der monarchischen
Staatsgewalt nicht nur eine Grenze. Die konstitutionelle Monarchie war
nicht einfach nur eine verfassungsmässig beschränkte Monarchie, son-
dern eine von parlamentarischer Mitbestimmung beschränkte Monar-
chie. In diesem Dualismus reduzierte sich die Bedeutung des monar-
chischen Prinzips vorrangig auf eine Zuständigkeitsvermutung zuguns-
ten des Monarchen.?15
VI. Stand der Verfassungsentwicklung
1. Fürst und Volksvertretung
Nach der Konstitutionellen Verfassung von 1862 gehört das absolute
Vetorecht des Fürsten zum unabdingbaren Attribut der Monarchie.?16
Der Landesfürst und sein Berater Justus Timotheus Balthasar von Linde
1862 etwa lautete: «[...] mit Zustimmung des Landtages verfüge(n)/verordne(n) Ich
(Wir) [...]». So LGBI. 1864 Nr. 3; LGBL. 1865 Nr. 6; LGBI. 1869 Nr. 6, 7, 8, 9 und
LGBl. 1869 Nr. 10 und 11; LGBl. 1875 Nr. 2 und 3. Es wird gelegentlich auch die
Formulierung «im Einvernehmen mit dem Landtag» (so LGBl. 1874 Nr. 11, Sani-
tätsgesetz) verwendet.
313 Vgl. Stefan Korioth, «Monarchisches Prinzip», S. 51.
314 Rechtlich die Konsequenz aus dieser Entwicklung zieht Art. 2 LV 1921, der das
Volk an der Staatsgewalt beteiligt. Vgl. dazu Art. 65 Abs. 1 LV 1921 und die ab 1922
bis heute gebrauchte Eingangsformel: «[...] dem nachstehenden vom Landtag
gefassten Beschluss erteile Ich Meine Zustimmung [...]>» (so LGBl. 1922 Nr. 16).
Gelegentlich trifft man aber nach Inkrafttreten der Verfassung von 1921 noch die
althergebrachte Eingangsformel an.
315 Stefan Korioth, «Monarchisches Prinzip», S. 51 f.
316 So auch die Auffassung des rechten Flügels der Liberalen in der Deutschen Natio-
nalversammlung. Vgl. Manfred Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus in der
Revolutionszeit, S. 94.
106
Der Landtag als Volks- und «Landesvertretung»
bestanden auf der Beibehaltung des absoluten Vetos. Nach einer bekann-
ten Formulierung von Friedrich Dahlmann?!7 wurde es für ein «Recht
der rettenden Tat» gehalten, als eine Art Notsicherung, die schon durch
ihr blosses Vorhandensein das Spannungsfeld der politischen Kräfte vor
einseitigen Übereilungen schützen würde.?!8 Der Fürst ist der alleinige
Inhaber der Staatsgewalt. Bezeichnend ist auch, dass der Landtag nicht
nur aus vom Volk gewählten Abgeordneten besteht. Drei von 15 Abge-
ordneten werden vom Fürsten aus dem Volk bestellt ($ 55 KV 1862),
sodass man den Landtag nicht schlechthin als eine Volksvertretung anse-
hen kann.?!? Der Fürst bestätigt jetzt auch die Geschäftsordnung des
Landtages wie auch dessen Präsidenten,”° nachdem der Verfassungsent-
wurf des ständischen Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848 den Erlass
der Geschäftsordnung und die Wahl des Präsidenten noch allein dem
Landtag vorbehalten hatte. Die Geschäftsordnung für den Landtag vom
29. März 1863 ist von der Regierung beantragt, vom Landtag beschlos-
sen und vom Fürsten genehmigt worden. Solche Beschränkungen offen-
baren den Widerstand von konservativer Seite, die einer Beeinträchti-
gung fürstlicher Rechte vorbeugen und eine Erweiterung der Befugnisse
des Landrates bzw. Landtages unterbinden wollte.”! Deckungsgleich
sind der Verfassungsentwurf vom 1. Oktober 1848°22? und die Konstitu-
tionelle Verfassung von 186233 in der Frage des Selbstversammlungs-
rechts des Landrates bzw. des Landtages, das sie negieren.?* Eine solche
vom Prinzip der Volkssouveränität her begründete Forderung hätte
konstitutionellen (Verfassungs-)Vorstellungen widersprochen, wie sie
die grosse Mehrheit der Mitglieder der Deutschen Nationalversamm-
317 Zu seiner Person siehe Jörg-Detlef Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche,
5.535 f.
318 In Anlehnung an Manfred Botzenhart, Die Parlamentarismusmodelle der deutschen
Parteien, S. 140.
319 Vgl. Peter Geiger, Die liechtensteinische Volksvertretung, S. 42 und vorne S. 93.
320 Vgl. die Präambel und die $$ 9 und 39 der Geschäftsordnung für den Landtag des
Fürstentums Liechtenstein, LGBl. 1863 Nr. 1 und $ 97 KV 1862.
321 Vgl. Peter Geiger, Geschichte, S. 274 f.
322 Vgl. $73 Verfassungsentwurf des ständischen Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848.
323 Vgl. $ 90 KV 1862. Auch nach Art. 48 LV 1921 existiert kein Selbstversammlungs-
recht. Ein solches steht jedoch wahlberechtigten Landesbürgern und drei (Einberu-
fung des Landtages) oder vier Gemeinden (Auflösung des Landtages) zu.
324 Vgl. $$ 39 und 79 Verfassungsentwurf des ständischen Verfassungsrates vom
1. Oktober 1848 und $ 90 KV 1862.
107
Monarchischer Konstitutionalismus
lung vertreten hatte.” Letztlich blieb es auch beim Gesetzesinitiativ-
recht des Landrates bzw. Landtages, das der Verfassungsentwurf einfor-
derte und die Konstitutionelle Verfassung von 1862 übernahm ($ 41 KV
1862), obwohl es nicht unbestritten war.?® Es wird aus der Mitwirkung
bzw. Teilhabe an der Gesetzgebung gefolgert.??” Das Gesetzgebungsver-
fahren setzte ein Einvernehmen zwischen Fürst und Landtag voraus.
Dadurch kann der Landtag gestaltend auf die politischen Entscheidun-
gen Einfluss nehmen.??®
Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 sieht von einer ständi-
schen Zusammensetzung des Landtages ab.° Dieser soll für das Volk,
die «Gesamtheit der Landesangehörigen» stehen, Repräsentant des Vol-
kes sein, das ihn wählt, wobei der Fürst ein begrenztes Ernennungsrecht
beansprucht.®° Die Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes verfügten
über einen grossen Gestaltungsspielraum, wie dies beispielsweise auch in
der Deutschen Nationalversammlung zum Ausdruck kam. Es stand
ihnen nach den Worten des Staatsrechtlers Justus Timotheus Balthasar
von Linde frei, «eine Verfassung auf der Basis der Stände oder auf der
Basis einer allgemeinen Repräsentation zu gründen». Er selber wendet
sich in den Verfassungsdiskussionen mit den Landständen entschieden
gegen den «verderblichen Parlamentarismus».? Eine Ausdehnung der
Kompetenzen der Volksvertretung kommt für ihn einer Schwächung der
325 Vgl. Manfred Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus in der Revolutionszeit, S. 653.
326 Vgl. Peter Geiger, Geschichte, S. 279, der auf die dagegen vorgebrachte Kritik von
Justus Timotheus Balthasar von Linde hinweist. Er betrachtete ein solches Initiativ-
recht «als eine Art Ironie», wenn man es an den Verhältnissen und «intellectuellen
Mitteln» des kleinen Fürstentums messe.
327 Siehe $$ 24 und 39 bis 50 KV 1862.
328 Siehe hinten S. 122 und 132.
329 Vgl. den Hinweis von Peter Geiger, Geschichte, S. 261, wonach Justus Timotheus
Balthasar von Linde an den Strukturen der Landständischen Verfassung bzw. an der
landständischen Zusammensetzung des Landtags festhalten wollte, weil sie «den
Verhältnissen des Fürstenthums und den Bedürfnissen bei der Vertretung der
Unterthanen» weiterhin entsprochen hätte.
330 Diese Forderung geht nach Peter Geiger, Die liechtensteinische Volksvertretung,
S. 42 auf den Einfluss von Justus Timotheus Balthasar von Linde zurück.
331 Jörg-Detlef Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, S. 449.
332 Vgl. Peter Geiger, Geschichte, S. 280. Streitgegenstand bildeten letztlich «unver-
söhnliche, weil gegensätzliche Legitimationsprinzipien, die Volkssouveränität ver-
sus monarchisches Prinzip». Formulierung nach Christian Hillgruber, Deutsche
Revolutionen, S. 176.
108
Der Landtag als Volks- und «Landesvertretung»
Stellung des Fürsten gleich, der mit seiner Regierung das «politische
Machtzentrum»3 bleiben muss. Das absolute Gesetzesveto und das
Recht der Landtagsauflösung ohne Angabe von Gründen werden als
dementsprechende Verfassungsinstrumente verstanden. Dazu gehört
auch — wie erwähnt — die Geschäftsordnung für den Landtag. Sie räumt
dem Vertreter der Regierung eine starke Stellung bei den Verhandlungen
des Landtags ein. Er hat das Recht, nicht nur bei allen Diskussionen
gehört zu werden, sondern auch unabhängig von der Tagesordnung Mit-
teilungen an die Versammlung machen zu können.?* Er hat also zum
Landtag «jeder Zeit» freien Zutritt. Obwohl der Fürst in der Ausübung
der Staatsgewalt verfassungsrechtlich gebunden ist und der Landtag als
Organ der Gesetzgebung einen Anteil an der legislativen Gewalt besitzt,
soll die Staatsgewalt in der Person des Fürsten vereinigt sein.
Dieser Grundauffassung widersprechen die Mitentscheidungs-
rechte des Landtags im Gesetzes-, Steuer- und Finanzwesen.?5 Dieser
hat die entscheidende Stimme beim Haushalts- und Besteuerungs-
recht. Allerdings dürfen nach $ 43 Abs. 2 KV 1862 Abgaben und Leis-
tungen, welche zur Bestreitung anerkannter und genehmigter Auslagen
des Staatshaushaltes und solche, die zur Erfüllung allgemeiner Bundes-
pflichten erforderlich und dabei «genüglich» ausgewiesen sind, nicht
verweigert werden.
2. Demokratische Legitimation
Auch wenn die Konstitutionelle Verfassung von 1862 dem Fürsten die
letzte Entscheidungsgewalt vorbehält?” und dem Landtag in Bereichen,
333 Formulierung in Anlehnung an Foroud Shirvani, Der Abgeordnetenstatus, S. 555.
334 Siehe $ 24 Geschäftsordnung für den Landtag von 1863.
335 Siehe die Aufzählung der Kompetenzen des Landtags bei Peter Geiger, Die liech-
tensteinische Volksvertretung, S. 41 f.
336 Vgl. $ 14 Verfassungsentwurf Peter Kaiser; $ 84 Verfassungsentwurf des ständischen
Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848 und $$ 30 und 40 Bst. b KV 1862. Vgl. auch
$$ 186 und 187 FRV 1849, abgedruckt in: Ernst Rudolf Huber, Dokumente zur
deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 395 (im Internet abrufbar unter: <www.
e-archiv.li>).
337 Siehe nur das absolute Vetorecht bei der Gesetzgebung oder das Notverordnungs-
recht.
109
Monarchischer Konstitutionalismus
in denen er nach dem Verfassungsentwurf des ständischen Verfassungs-
rates vom 1. Oktober 1848 «entscheidende» Befugnisse inne gehabt
hätte, nur noch Mitwirkungsrechte zugesteht,?® wird der Landtag in sei-
ner verfassungsrechtlichen Position gestärkt. Er tritt dem Fürsten «als
gesetzmässiges Organ» der Gesamtheit der Landesangehörigen gegen-
über. Sie wählen die Abgeordneten, mit Ausnahme der fürstlichen Abge-
ordneten, und beauftragen sie mit der Ausübung der politischen Rechte.
Ein auf solche Weise demokratisch ausgewiesenes Legitimationskonzept
tangiert jedoch die verfassungsrechtliche Stellung des Landesfürsten als
einer «die staatliche Einheit repräsentierende Institution» und kann sie
infrage stellen, wie die konservativen Kreise befürchteten.**! Sie mussten
einsehen, dass sich ihre Opposition gegen die Verfassungsforderungen
der Landstände in manchen Punkten nicht rechtfertigen liess, da ihnen
in der Realität des kleinen Staatswesens «nicht jene existenzielle Bedeu-
tung wie in grossen Staaten zukommen konnte». So hat Justus Timo-
theus Balthasar von Linde die nach seiner Einschätzung «relativ liberale
Verfassung» nicht «aus seinen eigenen Grundsätzen, aber doch aus den
eigentümlichen Verhältnissen des Landes» hingenommen.?* Er hat sich
auch gegen die Institution des Landesausschusses?# ausgesprochen, die
als signifikantes Beispiel für den Machtzuwachs des Landtages steht. Er
hegte Bedenken, dass sich der Landesausschuss zur «zweiten Landesre-
gierung» entwickeln könnte.?5 Der Landesausschuss hat seinen Vorgän-
338 Vgl. etwa die Verantwortlichkeit des Landesverwesers.
339 Hinzuweisen ist auf die Gegenzeichnungspflicht, die zwar nicht alle Regierungsakte
des Fürsten betrifft, sondern nur die Gesetze und Verordnungen ($ 29 KV 1862 und
$ 94 Abs. 2 Amtsinstruktion von 1862). Peter Geiger, Geschichte, S. 281 hält fest,
dass die Konstitutionelle Verfassung von 1862 im Ergebnis «trotz Kompromissen
doch zugunsten der Landstände und damit der demokratischen Tendenz» ausgefal-
len sei.
340 Formulierung nach Foroud Shirvani, Der Abgeordnetenstatus, S. 546.
341 Nach bisheriger Verfassungslage hatte der Landesfürst die Gesamtrepräsentation des
Staatswesens beansprucht, mit dem das revolutionäre Prinzip der Volkssouveränität
im Widerstreit stand. Vgl. Harm-Hinrich Brandt, Repräsentationstheorie, S. 141.
342 Peter Geiger, Geschichte, S. 280.
343 Peter Geiger, Geschichte, S. 281.
344 Siehe $$ 110 ff. KV 1862.
345 Peter Geiger, Geschichte, S. 261; vgl. auch das Gesetz vom 29. Dezember 1895 be-
treffend ergänzende Bestimmungen über den Wirkungskreis des Landesausschusses,
LGBl. 1896 Nr. 2 und Albert Schädler, Landtag, in: JBL Bd. 4 (1904), 5. 42 ff.
110
Landesfürst und Regierung
ger im Landratsausschuss des revidierten Verfassungsentwurfs von
1849.34 Er wahrt als «ständig präsentes Verfassungsorgan»?7 die Rechte
des Landtags in Zeiten, in denen dieser vertagt, geschlossen oder aufge-
löst ist. Er wurde eingesetzt, damit in diesen Zwischenzeiten «die
staatliche Herrschaft nie ohne Kontrolle blieb und dem Monarchen
immer ein Volksvertretungsorgan gegenüberstand».*? Denn während
der Vertagung, Schliessung und Auflösung einerseits und der Konstitu-
ijerung des Landtags andererseits fehlt es an einer solchen «Vertretung
der Vertretung des Volkes», wie Peter Geiger®° den Landesausschuss
bezeichnet.
$11 LANDESFÜRST UND REGIERUNG
I. Fürstliche Regierung — Regierung des Fürsten
1. Ernennung
Der Fürst ist im eigentlichen Sinn die Regierung, sodass es sich bei ihr
lediglich um eine «im Fürsten personifizierte Exekutive» handelt.?1 Die
als «Regierung» bezeichnete «Verwaltungsbehörde» nimmt an der Aus-
übung der Regierungsgewalt nur insoweit teil, als der Landesfürst sie
damit betraut. Er ernennt und entlässt die Mitglieder der Regierung. Der
Landtag hat keinen Einfluss auf die Bildung der Regierung. Dement-
sprechend gibt es weder eine Verantwortlichkeit der Regierung oder der
Regierungsmitglieder gegenüber dem Landtag noch die Möglichkeit
eines Misstrauensvotums. Der Landtag hat lediglich ein Antragsrecht auf
346 Er entstammt dem Verfassungsgut des süddeutschen Frühkonstitutionalismus, insbe-
sondere der Sigmaringer Verfassung von 1833, die in dieser Hinsicht auf die Verfas-
sung des Grossherzogtums Württemberg von 1819 zurückgeht. Abgedruckt bei Ernst
Rudolf Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 5. 187 ff.
347 Gerard Batliner, Parlament, S. 105.
348 Vgl. Peter Geiger, Die liechtensteinische Volksvertretung, S. 49 f.
349 Gerard Batliner, Parlament, S. 104; Peter Geiger, Die liechtensteinische Volksvertre-
tung, S. 50.
350 Peter Geiger, Die liechtensteinische Volksvertretung, S. 50.
351 Siehe $$ 3 und 27 KV 1862.
111
Monarchischer Konstitutionalismus
Anklage wegen Verfassungs- und Gesetzesverletzungen der «verant-
wortlichen Staatsdiener». Der «Regierungsputsch» von 191822 verdeut-
licht, dass der Landtag versucht hat, Einfluss auf die Besetzung der
Regierung zu gewinnen, wie dies während des gesamten 19. Jahrhun-
derts in anderen Staaten des Deutschen Bundes auch der Fall gewesen
ist.?3 Dies dokumentieren die Auseinandersetzungen um die Verfassung
von 1921, bei der der parlamentarische Einfluss auf die Regierung ein
zentrales Thema bildete.
2. Zusammensetzung
Die fürstliche Regierung setzt sich aus «dem Landesverweser, zwei
Landräthen und einem Secretär» zusammen.?* Die zwei Landräte spie-
len eine untergeordnete Rolle. Sie wurden kaum zur Regierungsarbeit
herangezogen.?5 Die Regierung tritt in den Verlautbarungen als «fürst-
liche Regierung» auf. So erlässt sie beispielsweise als «fürstlich (liechten-
steinische) Regierung» die Ausführungsverordnungen zu den Geset-
zen. Sie ist die «Verwaltungsbehörde» im Lande, der alle Geschäfte
zugewiesen sind, welche «auf die Ausübung der landesherrlichen Regie-
rungsrechte, auf die Landesverfassung, auf die Leitung der Unterbehör-
den und auf die Gesetzgebung sich beziehen».37
Der Fürst nimmt so gesehen auch im «internen Bereich monar-
chischer Staatsgewalt» die Zuständigkeiten nicht allein wahr,®® auch
wenn er die Mitglieder der Regierung allein ernennt, wobei der Landes-
verweser ein «bleibend angestellter Regierungsbeamter» ist. Die beiden
352 Dazu Rupert Quaderer, Der historische Hintergrund der Verfassungsdiskussion,
S. 113 ff.; Herbert Wille, Monarchie und Demokratie, S. 170 ff.
353 Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 363.
354 Siehe $ 36 Amtsinstruktion von 1862; nach Ziffer 11 Amtsinstruktion 1871 treten zu
den zwei Landräthen noch zwei Stellvertreter hinzu.
355 Peter Geiger, Die liechtensteinische Volksvertretung, S. 51; vgl. auch Paul Vogt, Der
Rechenschaftsbericht, Einleitung, S. 42.
356 Siehe z. B. LGBI. 1864 Nr. 2; 1865 Nr. 3; 1868 Nr. 6; 1869 Nr. 3.
357 Siehe $ 35 Amtsinstruktion von 1862; vgl. auch Ziffer 12 Abs. 1 Amtsinstruktion
von 1871.
358 Werner Heun, Das monarchische Prinzip und der deutsche Konstitutionalismus,
S. 46 unter Hinweis auf Axel Schulz, Die Gegenzeichnung, S. 22 ff.
112
Landesfürst und Regierung
Landräthe wählt der Fürst «auf die Dauer von 6 Jahren aus der zur Lan-
desvertretung wahlfähigen Bevölkerung des Fürstenthums».?59
3. Verantwortlichkeit
Die exekutive Gewalt zur Regierungsbildung ist vollständig auf den
Fürsten konzentriert. Die Regierung ist institutionell und personell vom
Landtag unabhängig, sodass die Verantwortlichkeit nur gegenüber dem
Fürsten besteht. Ihm obliegt nach eigenem Ermessen die Ernennung und
Entlassung der Regierung bzw. der ihm persönlich «verantwortlichen
Staatsdiener».?° Der Landtag ist auf die Mitwirkung an der Gesetzge-
bung beschränkt. Der vom ständischen Verfassungsrat dem Fürsten am
1. Oktober 1848 übermittelte Verfassungsentwurf sah noch die Verant-
wortlichkeit gegenüber dem Landtag («Landrathe») vor.3%!1 Diese
Bestimmung wurde jedoch nicht in die Verfassung übernommen.
Die Verantwortlichkeit ist insofern abgeschwächt worden, als der
Fürst ohne die Gegenzeichnung des Landesverwesers nicht verbindlich
handeln konnte ($ 29 KV)? Dieser Umstand fällt allerdings nicht ins
Gewicht, handelt es sich doch beim Landesverweser um eine Person sei-
nes Vertrauens.
Da der Fürst verfassungsrechtlich als nicht verantwortlich gilt,
übernimmt an seiner Stelle der Landesverweser «als Chef der Regierung»
die Verantwortung nicht nur für die ihm «anvertraute Amtsgewalt» und
die ihm übertragene Geschäftsleitung, sondern auch für die Geschäfts-
führung der Regierung und der ihr untergeordneten Ämter und Organe
insgesamt.? Adressat der politischen Kontrolle ist der Fürst als eigentli-
cher Inhaber der Exekutivgewalt, der eine etwaige Verletzung der Verfas-
sung oder der Gesetze sanktionieren kann. Die Entsetzung und Bestra-
fung der öffentlichen Beamten zählen denn auch gemäss $ 93 der Amtsin-
359 Siehe $ 36 Abs. 2 Amtsinstruktion von 1862 und Ziffer 12 Abs. 1 Amtsinstruktion
von 1871.
360 So$28 KV 1862.
361 Siehe die $$ 34 und 96 des Verfassungsentwurfs des ständischen Verfassungsrates
vom 1. Oktober 1848.
362 Siehe auch $ 94 Abs. 2 Amtsinstruktion von 1862.
363 Siehe $ 90 Amtsinstruktion von 1862.
113
Monarchischer Konstitutionalismus
struktion von 1862 zu den wichtigen Angelegenheiten, die zur «unmittel-
baren Behandlung vor den Fürsten gehören».
Dem Landtag kommt lediglich das Recht zu, «Staatsdiener»?
wegen «Verletzung der Verfassung, Veruntreuung öffentlicher Gelder,
Erpressung, Bestechung oder gröbliche Hintansetzung ihrer Amts-
pflichten» auf dem Beschwerdeweg unmittelbar an den Landesfürsten
heranzutragen ($ 42 KV) oder gegen sie Klage wegen Verfassungs- und
Gesetzesverletzungen zu erheben, wobei das Gerichtsverfahren verfas-
sungsrechtlich nicht näher geregelt worden ist ($ 40 Bst. d KV).365 Der
vom ständischen Verfassungsrat dem Fürsten am 1. Oktober 1848 über-
mittelte Verfassungsentwurf räumte in ähnlicher Weise dem Landtag
(<«Landrathe») das Recht ein, den Landesverweser wegen Verletzung der
Verfassung oder der Gesetze und pflichtwidrigen Verausgabung der
Staatseinnahmen in den Anklagezustand zu versetzen, wobei das Gesetz
das Nähere, insbesondere das Verfahren, zu bestimmen gehabt hätte
($ 90). Ein der Ministeranklage vergleichbares Instrument, wie es etwa ın
den Verfassungen von Bayern, Baden, Württemberg anzutreffen ist,
kennt die Konstitutionelle Verfassung nicht. Sie verstanden die Minis-
teranklage als ein Verfahren, mit dem ein etwaiges gesetzes- oder verfas-
sungswidriges Verhalten des Ministers sanktioniert werden sollte.?
Dem Landtag standen jedoch ausserhalb dieser verfassungsrechtli-
chen Regelung Kontrollmechanismen in Form von öffentlichen Missbil-
ligungen, Anfragen, Verbesserungsvorschlägen und Korrekturen an
Regierungsvorhaben zu, die er an die fürstliche Regierung richten
konnte. Er hatte auch bei der Behandlung von Petitionen die Möglich-
keit, den Landesverweser zu Missständen in der Staatsverwaltung zu
befragen. Solche Vorstösse banden die fürstliche Regierung bzw. den
Landesverweser («Regierungskommissär») zwar rechtlich nicht, übten
aber dennoch politischen Druck auf ihn aus, der ihn zwang, die in der
Versammlung des Landtages geäusserte Kritik zu beachten. Die Kom-
364 Dieser Begriff umfasst nicht nur die Regierung (Landesverweser und die beiden
Landräte), sondern auch das Landgericht, das die «unterste landesfürstliche Be-
hörde» ist ($ 1 Amtsinstruktion von 1862).
365 Dieser $ 40 Bst. d KV 1862 statuiert auch ein Recht, generell in Angelegenheiten der
«Staatsverwaltung» Anträge zu stellen und Beschwerden zu erheben, denn die
Tätigkeit des Landtages erstreckt sich auch auf Verwaltungssachen.
366 Vgl. Julia Wuttke, Die Verantwortlichkeit von Regierungsmitgliedern, S. 213.
114
Landesfürst und Regierung
missionen, die der Landtag mit der Prüfung von Regierungsvorhaben
und anderer Fragen beauftragte, hatten sich mit dem Landesverweser
(«Regierungskommissär») ins Einvernehmen zu setzen, um zu den ent-
sprechenden Informationen zu gelangen. Dieser musste den Anträgen
des Landtages bzw. seiner Kommissionen «soviel (wie) möglich» statt-
geben.?7 Nach dem Verfassungsentwurf des ständischen Verfassungsra-
tes vom 1. Oktober 1848 hatte der Landesverweser vor dem Landtag
(«Landrath») zu erscheinen und die erforderliche Auskunft zu erteilen,
wenn dieser ihn darum ersuchte ($ 98).
Auch wenn der Landtag letztlich auf ein gewisses Mass an Koope-
rationsbereitschaft auf Seite des Landesverwesers angewiesen war, diente
diese Art von Kontrolle der fürstlichen Regierung «als Mittel der Siche-
rung verfassungsmässiger Regierung». Auf diese Weise konnte der
Landtag auch ohne besondere rechtliche Sanktionen, die ihm verwehrt
waren, eine Kontrolltätigkeit über die fürstliche Regierung ausüben, die
eine Verantwortlichkeit der fürstlichen Regierung zur Konsequenz
hatte. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer eigengearteten
«konstitutionellen» (staatsrechtlichen) Verantwortlichkeit,*® die als ein
«erster Schritt zur Etablierung einer parlamentarischen Regierungskon-
trolle» aufgefasst werden konnte.?®
II. Verordnungsrecht des Fürsten und seiner Regierung
1. Abgrenzung der Verordnung gegenüber dem Gesetz
Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 ist eine Verfassung des monar-
chischen Prinzips. Danach zählt die Exekutive zum «Bereich der fürstli-
chen Prärogative». Nach der konstitutionellen Staatsrechtslehre steht
dem Landesfürsten ein selbständiges bzw. originäres Verordnungsrecht
367 Siehe $ 17 Abs. 4 Amtsinstruktion von 1862.
368 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie,
S. 286 f.; vgl. auch Cyrus Beck, Der Vorbehalt des Gesetzes der liechtensteinischen
konstitutionellen Verfassung von 1862, S. 267.
369 Vgl. Julia Wuttke, Die Verantwortlichkeit von Regierungsmitgliedern, S. 11.
115
Monarchischer Konstitutionalismus
zu.”0 Er verfügt über ein Verordnungsrecht,?! das nicht dem Gesetzes-
vorrang unterliegt.?”? Die Vermutung spricht insoweit für die Verwal-
tungskompetenz des Fürsten und seiner Regierung, als Verfassung und
Gesetze sie nicht ausdrücklich einschränken. Ist die Mitwirkung des
Landtages nicht vorgesehen bzw. seine Befugnis nicht nachgewiesen,
bleibt das Verordnungsrecht des Fürsten, das sich aus der Exekutivge-
walt ergibt, vollauf erhalten.
Dieser Umstand erhellt, dass der Begriff des Gesetzes und der
Umfang der gesetzgebenden Gewalt die politische Machtverteilung zwi-
schen Landesfürst und Landtag stark beeinflusste.” Die Abgrenzung
der selbständigen Normsetzungsbefugnis der fürstlichen Exekutive
gegenüber der Gesetzgebungsgewalt, an der der Landtag mitentschei-
dend beteiligt ist, scheint nicht zu Diskussionen geführt zu haben, da der
Landtag eine aktive Rolle bei der Gestaltung der Rechtsordnung und des
monarchischen Staates einnahm.?* Man versuchte den Zuständigkeits-
bereich der Gesetzgebungsgewalt nach sachlich-inhaltlichen Kriterien
abzugrenzen und auszufüllen.”5 Gegenstände, die für Land und Volk
von Wichtigkeit und Bedeutung waren, wurden in der Regel auf gesetz-
lichem Weg erlassen.”® Als Beispiele können Steuern und Abgaben
370 Als Beispiel kann die Amtsinstruktion von 1862 bzw. 1871 angesehen werden. Im
Übrigen vgl. Peter Geiger, Geschichte, S. 300 mit Verweis auf Gregor Steger, Fürst
und Landtag, S. 86 und Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liech-
tenstein, S. 74 ff.
371 Der Berater des Fürsten, Justus Timotheus Balthasar von Linde, tritt im Zusammen-
hang mit dem Verfassungsentwurf der Landstände vom 22. Dezember 1861 für ein
umfassendes Verordnungsrecht des Fürsten ein. So Peter Geiger, Geschichte, S. 274.
372 Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 324.
373 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 73.
374 Bei der Abgrenzung der Gesetze von den Verordnungen des Fürsten bzw. seiner
Regierung hing die Reichweite der Zustimmungskompetenz des Landtages letztlich
vom politischen Kräftespiel zwischen der fürstlichen Regierung und dem Landtag
ab. Vgl. Wilhelm Mössle, Regierungsfunktionen des Parlaments, S. 48.
375 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 385 f.
376 Vgl. zur diesbezüglichen Lehre des gemeindeutschen Staatsrechts Hasso Hofmann,
Allgemeinheit des Gesetzes, S. 31; zum liechtensteinischen Gesetzesbegriff unter
der Konstitutionellen Verfassung von 1862 siehe Cyrus Beck, Der Vorbehalt des
Gesetzes der liechtensteinischen konstitutionellen Verfassung von 1862, S. 109 ff.
und 148 ff.
116
Landesfürst und Regierung
genannt werden.?” Klare Abgrenzungskriterien gab es aber nicht, sodass
die Staatspraxis kein einheitliches Bild vermittelt.?® Was unter einem
Gesetz zu verstehen ist und wie es sich gegenüber einer Verordnung
abgrenzt, lässt sich der Konstitutionellen Verfassung nicht entnehmen.
Dies wird von ihr vorausgesetzt,”? sodass sich in der konstitutionellen
Staatsrechtslehre der materielle Gesetzesvorbehalt zu einer Streitfrage
entwickelt hat.
Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 unterstellt das ganze
Gebiet der Gesetzgebung der Mitwirkung des Landtages. Neben der
Verfassungsgesetzgebung?®® und einigen enumerativ aufgeführten Vor-
behalten?! enthält sie vor allem den allgemeinen Eingriffsvorbehalt,
wonach «ohne Mitwirkung und Zustimmung des Landtages» kein
Gesetz gegeben, aufgehoben, abgeändert oder authentisch erklärt wer-
den darf.32 Die Grenze zwischen Gesetz und Verordnung ist jedoch
insofern offen, als das Gesetz selbst sich auf die Regelung von Grund-
zügen beschränken und das Weitere den Verordnungen überlassen kann.
Dass jeder abstrakte Rechtssatz nur im Wege der Gesetzgebung erlassen
werden dürfe, ist kein Bestandteil des damals geltenden Verfassungs-
rechts. Damit unterliegen alle Gesetze und nicht nur solche, die in die
377 Siehe $ 40 Bst. b KV 1862. Landesfürst Johann II. hat die Verordnung der Regierung
vom 6. November 1919 über die Einführung einer staatlichen Maischesteuer und ei-
ner Ausfuhrtaxe für Branntwein, obwohl sie im Landesgesetzblatt (LGBl. 1919
Nr. 17) publiziert worden war, nicht genehmigt, da ihr die gesetzliche Grundlage
fehlte. In der Begründung hiess es: Es sei nicht tunlich und nicht im Sinne der Ver-
fassung, eine Steuer im Wege einer Verordnung einzuführen. Um diese Angelegen-
heit zu regeln, bedürfe es eines verfassungsmässigen Gesetzes (LLA, RE 1919/5956,
Schreiben der Gesandtschaft Wien an die Regierung vom 4. Dezember 1919. Diese
Akte habe ich freundlicherweise von Rupert Quaderer erhalten).
378 Siehe auch zur Vielfalt von Verordnungsformen Cyrus Beck, Der Vorbehalt des
Gesetzes der liechtensteinischen konstitutionellen Verfassung von 1862, S. 125 ff.
379 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 78.
380 Vgl. LGBl. 1918 Nr. 4. In der Einleitungsformel heisst es: «Mit Zustimmung des
Landtages finde Ich anzuordnen, dass an Stelle des sechsten Hauptstückes und des
$ 101 der Verfassungsurkunde vom 26. September 1862 nachstehende Bestimmun-
gen zu treten haben».
381 Vel. etwa $$ 6, 8, 17, 18, 21, 22, 49, 50 und 52 KV 1862.
382 Siehe $ 24 Abs. 1 KV 1862 und dazu $$ 54 und 55 der Verfassung Sigmaringen von
1833; vgl. heute Art. 65 Abs. 1 LV 1921.
383 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 79.
117
Monarchischer Konstitutionalismus
Freiheit und das Eigentum der Bürger eingreifen, der notwendigen Mit-
wirkung und Zustimmung des Landtages.35 Auch wenn die Freiheits-
und Eigentumsformel nicht in der Konstitutionellen Verfassung von
1862 erwähnt ist, ergibt sie sich als anerkannter Mindestinhalt der an die
Teilnahme des Landtages gebundenen Gesetzgebung. Wenn nämlich die
Gesetzgebung als solche dem Zusammenwirken von Fürst und Landtag
unterstellt ist, ist damit der Eingriffsvorbehalt implizit anerkannt.?®
Der Anteil an der Gesetzgebung umfasst zumindest diejenigen
Gesetze, die die Freiheit und das Eigentum der Bürger betreffen. Die
Konstitutionelle Verfassung von 1862 enthält zwar keine Inhaltsum-
schreibung des Gesetzes bzw. äussert sich nicht zur Frage der Kompe-
tenz des Gesetzgebers, um eine Abgrenzung zum selbständigen Verord-
nungsrecht des Fürsten ($ 24 Abs. 2 KV) vorzunehmen.
Die Praxis folgte zunächst der Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes,
nach der alle «Eingriffe in Freiheit und Eigentum der Bürger» die
Zustimmung des Landtages erforderten. Zwar war damit die Zuständig-
keit der Volksvertretung im Wesentlichen auf die persönlichen und
gesellschaftlichen Belange der Bürger beschränkt, während alle staatli-
chen und politischen Fragen, wie etwa diejenige der Staatsorganisa-
tion?97, vornehmlich Sache des Fürsten und seiner Regierung blieben.288
So ist das Organisationsrecht von der Zustimmung des Landtages aus-
384 Siehe etwa den Titel VIT $ 2 der Verfassung für Bayern 1818, der besagt: «Ohne Bey-
rath und die Zustimmung der Stände des Königreichs kann kein allgemeines neues
Gesetz, welches die Freyheit der Personen oder das Eigenthum der Staatsangehöri-
gen betrifft, erlassen, noch ein schon bestehendes abgeändert, authentisch erläutert
oder aufgehoben werden». Art. 81 Abs. 4 LVG kennt diese Freiheits- und Eigen-
tumsformel heute noch.
385 Siehe etwa die Steuerbewilligung, die $ 40 Bst. b KV 1862 ausdrücklich zu den
Gegenständen zählt, die der «Wirksamkeit des Landtages» unterliegen.
386 Dietrich Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 129; siehe auch Cyrus Beck, Der Vorbe-
halt des Gesetzes der liechtensteinischen konstitutionellen Verfassung von 1862,
S. 109 ff.
387 So erfolgte beispielsweise die Trennung der Justizpflege von der Administration in
Form einer fürstlichen Verordnung. Siehe dazu die Amtsinstruktion von 1871,
LGBl. 1871 Nr. 1.
388 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monar-
chie, S. 283 f.; aus der Sicht des Konstitutionalismus des Vormärz, auf den auch die
Konstitutionelle Verfassung von 1862 zurückgeht, siehe Thomas Würtenberger, Der
Konstitutionalismus des Vormärz, S. 169 f.
118
Landesfürst und Regierung
genommen. Es bleibt von Verfassungs wegen dem Landesfürsten vorbe-
halten. Er «normirt» die «Organisation der Staatsbehörde» im Verord-
nungswege.389
Der Landtag wird mit der Zeit gleichwohl in organisatorische Fra-
gen involviert. Auch die Unbestimmtheit und Mehrdeutigkeit der Frei-
heits- und Eigentumsklausel liessen eine zunehmende inhaltliche Aus-
dehnung des sachlichen Bereichs der Gesetzgebung in der Praxis zu, wie
darüber die Gesetzgebungstätigkeit des Landtages nach Inkrafttreten
der Konstitutionellen Verfassung von 1862 Aufschluss gibt. Wichtige
Angelegenheiten wurden generell der gemeinsamen Entscheidung von
Landesfürst und Landtag in der Form der Gesetzgebung unterstellt,
sodass die fürstliche Prärogative im Exekutivbereich (Verordnungsrecht)
bzw. das monarchische Prinzip im «Staatsleben»*! bzw. in der Verfas-
sungswirklichkeit weiter zurückgedrängt wurde und an Kraft verlor.
Insoweit spielte die Vermutung für die Verordnungskompetenz der
Regierung praktisch keine Rolle, da ihr Umfang massgebend durch das
politische Interesse des Landtages bestimmt wurde.?”?
Im Zusammenhang mit dem Militärwesen wird klar zwischen
Gesetzen und Verordnungen unterschieden. Der Fürst verfügt allein
über das Militär, die Formation desselben, die Disziplinargewalt, und es
steht ihm auch das Recht zu, «alle den Kriegsdienst desselben betreffen-
den Verordnungen zu erlassen.»?® Die Rekruten wurden denn auch auf
den Fürsten vereidigt. «Gesetzliche Bestimmungen, welche sich nicht
auf die oben erwähnten Gegenstände beziehen, sollen künftig nur mit
389 Siehe $ 28 KV 1862 und dazu die Verordnung betr. Organisation der obersten Ver-
waltungsbehörde und der Gerichte von 1862 sowie die Amtsinstruktion von 1862,
die die Staatsorganisation im Einzelnen regelt. Siehe auch die fürstliche Verordnung
vom 15. Dezember 1891 betreffend die Abgrenzung des Wirkungskreises der beiden
beim fürstlichen Landgerichte zu Vaduz angestellten richterlichen Funktionäre,
LGBl. 1891 Nr. 5, die insoweit die Amtsinstruktion von 1871 abändert. Landesver-
weser Karl Haus von Hausen liess schon am 3. April 1862 das vom Landrat bestellte
Subkomitee den Entwurf einer Amtsinstruktion (endgültiger Entwurf des Organi-
sationsgesetzes) mitberaten. Vgl. Peter Geiger, Geschichte, S. 277 Fn. 105.
390 Siehe Albert Schädler, Landtag, JBL Bde. 1 (1901), 3 (1903), 4 (1904) und in der Peri-
ode von 1901 bis 1912, in: JBL Bd. 12 (1912).
391 Dieser Begriff ist Rainer Wahl, Der Konstitutionalismus als Bewegungsgeschichte,
5.574 Fn. 11 entlehnt.
392 In Anlehnung an Wilhelm Mössle, Inhalt, Zweck und Ausmass, S. 12.
393 Siehe $ 38 Abs. 1 KV 1862.
119
Monarchischer Konstitutionalismus
landtäglicher Zustimmung getroffen werden.»?* Verordnungen erlässt
der Fürst bzw. die fürstliche Regierung, Gesetze der Fürst und der
Landtag. Auch die sogenannten Steuer- und Abgabengesetze werden
nicht zu den Gesetzen gezählt. Sie sind in der Konstitutionellen Verfas-
sung von 1862 separat geregelt. Jedenfalls rechnet sie die «Verwilligung»
von Steuern und sonstigen Landesabgaben und allgemeinen Leistungen
nicht zu den Gesetzen und ordnet sie selbständig neben der Gesetz-
gebung.?®5
2. Arten von Verordnungen
Der Landesfürst erlässt nach $ 24 Abs. 2 der Konstitutionellen Verfas-
sung 1862 ohne Mitwirkung des Landtages die einschlägigen Verord-
nungen,?%®% nämlich die Vollzugsverordnungen, die «zur Vollstreckung
und Handhabung der Gesetze» erforderlich sind, und die Aufsichts- und
Verwaltungsverordnungen,?” die die «aus dem Aufsichts- und Verwal-
tungsrechte fliessenden Einrichtungen» betreffen?® — eine Formulie-
rung, die an die «alte Oberaufsichtsgewalt» des Fürsten erinnert. Sie
werde nun, so Ernst-Wolfgang Böckenförde?®, zur «Quelle der Verwal-
tungs- und Aufsichtsverordnungen», nachdem sie ihre «ursprüngliche
Funktion mit der Ausbildung des modernen Staates eingebüsst» habe.
394 So $38 Abs. 2 KV 1862.
395 Siehe $ 40 Bst. b und $ 43 KV 1862; siehe dazu Cyrus Beck, Der Vorbehalt des Ge-
setzes der liechtensteinischen konstitutionellen Verfassung von 1862, S. 138 ff. In
der Staatspraxis wurden «trotz der Unterscheidung zwischen Gesetzgebung und
Steuerbewilligung», so Cyrus Beck, «auch in der Geltungszeit der konstitutionellen
Verfassung etwa Steuern, der Jahreshaushalt und die Aufhebung von Regalien for-
mell als Gesetze erlassen» (S. 141).
396 Vgl. etwa $$ 24 Abs. 2, 27, 28, 29 und 38 KV 1862; siehe auch Cyrus Beck, Der Vor-
behalt des Gesetzes der liechtensteinischen konstitutionellen Verfassung von 1862,
S. 125 ff. (Rechtsverordnungen), S. 127 f. (Verwaltungsverordnungen), S. 131 (Fürst-
liches Verordnungsrecht).
397 Dazu zählen u.a. interne Regelungen, die als Instruktionen an nachgeordnete Be-
hörden ergingen.
398 Daraus leitet Ernst Pappermann, Das Verordnungsrecht der Regierung, S. 365 heute
noch unter der Verfassung von 1921, deren Art. 10 Satz 1 bzw. Art. 10 Abs. 1 LV 2003
den gleichen Wortlaut hat, die dem Fürsten zustehende Organisationsgewalt ab.
399 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 74 Fn. 13.
120
Landesfürst und Regierung
Sie umfassen sowohl die selbständigen Verordnungen, die vom Fürsten
oder seiner Regierung ausgehen, als auch Verordnungen, die sich auf eine
gesetzliche Ermächtigung stützen.“®
Es gibt, wie die Staatspraxis zeigt, auch eine Vielfalt von Verord-
nungsformen*°, an denen auf irgendeine Art und Weise auch der Land-
tag beteiligt ist, so beispielsweise Verordnungen, die mit Zustimmung
des Landtages ergingen,*? die sich auf einen Landtagsbeschluss stützten,
den der Landesfürst genehmigt hatte,“ oder Verordnungen, die einver-
nehmlich mit einer Kommission, beispielsweise der Landesnotstands-
kommission, die entsprechende Beschlüsse fasste,** erlassen wurden,*°
oder Verordnungen, die über Ersuchen des Landtages ergingen.*°%
In «dringenden Fällen» kann der Fürst auch das Nötige zur Sicher-
heit und Wohlfahrt des Staates vorkehren. Bei den Notverordnungen
handelt es sich immer um Ausnahmebefugnisse des Fürsten, die an sich
unbestritten zur Gesetzgebung gerechnet werden. Das Notverord-
nungsrecht steht denn auch unter keinem Gesetzesvorbehalt, sodass es
400 Vgl. etwa die $$ 6, 8, 17, 18, 21, 22, 49, 50 und 52 KV 1862.
401 Vgl. etwa die Verordnungen zur Einberufung des ordentlichen oder ausserordentli-
chen Landtages ($ 91 KV 1862) und dazu LGBl. 1864 Nr. 5 oder LGBl. 1914 Nr. 6.
402 Vgl. LGBl. 1914 Nr. 10, die sich auf die Verordnung vom 17. Juni 1911 betreffend
Einführung von Taxen für den Automobilverkehr, LGBl. 1911 Nr. 2, bezieht, die
die fürstliche Regierung über Antrag des Landtages erlässt, weil sie finanzielle Aus-
wirkungen hatte.
403 Vgl. Verordnung vom 17. Juni 1918 betreffend die Einhebung einer Kriegsgewinn-
steuer, LGBl. 1918 Nr. 6. Sie hatte finanzielle Auswirkungen.
404 Siehe Verordnung vom 17. Juni 1918 betreffend die Einhebung einer Kriegsgewinn-
steuer, LGBl. 1918 Nr. 6.
405 Vgl. LGBl. 1918 Nr. 7 und Verordnung vom 23. Jänner 1919 betreffend die Schaf-
fung der Stelle eines Ernährungskommissärs und neuer Strafbestimmungen für die
Übertretung der auf die Lebensmittelversorgung bezüglichen Vorschriften, LGBl.
1919 Nr. 1. Dort heisst es: «In Ausführung des von der Landesnotstandskommis-
sion im Einvernehmen mit der fürstl. Regierung gefassten Beschlusses vom 21. ds.
Mits. wird verordnet wie folgt: [...]».
406 Fürstliche Verordnung vom 24. Dezember 1919 betreffend Ausgabe von Notgeld
im Fürstentum Liechtenstein, LGBl. 1920 Nr. 1: Der Landtag hat mit Beschluss
vom 25. November 1919 die fürstliche Regierung ersucht, um dem Kleingeldman-
gel abzuhelfen, Notgeld in Papier auszugeben. «Auf Grund des $ 24 der Landes-
verfassung vom 26. September 1862 finde Ich die Ausgabe dieses Notgeldes zu
gestatten und nachstehendes zu verordnen». Es handelt sich um eine Art Notver-
ordnung, die von Fürst und Landesverweser unterzeichnet ist, zu der allerdings
auch die Zustimmung des Landtages eingeholt wurde.
121
Monarchischer Konstitutionalismus
ım Ermessen des Fürsten liegt zu bestimmen, unter welchen Vorausset-
zungen ein dringender Fall gegeben ist und welche Massnahmen not-
wendigerweise zu treffen sind.“
In der Regel lautet der Titel einer Verordnung «Verordnung». Es
gibt aber auch Beispiele, die mit «Verordnung der fürstlichen Regie-
rung» betitelt sind.*® Erlässt die Regierung eine Verordnung, die auf eine
Ermächtigung oder Entschliessung des Fürsten zurückgeht, lautet sie
«Regierungsverordnung».“°
III. Exekutiv- und Legislativgewalt im verfassungs-
rechtlichen Vergleich
Wie sich die konstitutionelle (Erb-)Monarchie in der Verfassung von
1862 präsentiert und es auch dem Verfassungstyp des monarchischen
Konstitutionalismus entspricht, ist der Bereich der Exekutive monistisch
ausgerichtet, währenddem der Bereich der Legislative dualistisch struk-
turiert ist. Die Exekutivfunktionen zählen zu den ausschliesslichen
Kompetenzen des Landesfürsten.“!° In der Legislative ist ein gemeinsa-
mes Vorgehen von Landtag und Landesfürst unabdingbar“! Die Kon-
stitutionelle Verfassung von 1862 entzieht dem Fürsten auf diesem
Gebiet die Alleinzuständigkeit, auch wenn ihm ein Vetorecht zustand
und formal der Erlass des Gesetzes oblag.“!? Die Gesetzgebung bedarf
der Zustimmung des Landtages. Es steht aber dem erheblichen Einfluss
des Landesfürsten auf die Legislative, der durch sein Einberufungs-,
407 Vgl. Peter Geiger, Geschichte, S. 293; Cyrus Beck, Der Vorbehalt des Gesetzes der
liechtensteinischen konstitutionellen Verfassung von 1862, 5. 128 f.
408 Vgl. LGBl. 1917 Nr. 7.
409 Vgl. LGBl. 1878 Nr. 9 und LGBl. 1883 Nr. 6. Siehe aber auch LGBl. 1878 Nr. 5, die
als Regierungs-Verordnung betitelt ist und nicht auf einer Ermächtigung oder Ent-
schliessung des Fürsten gründet.
410 Aus dem monarchischen Prinzip folgte, dass Regierung und vollziehende Gewalt
dem Monarchen zustanden. Vgl. Stefan Korioth, «Monarchisches Prinzip», S. 39.
411 Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 329.
412 Nach Werner Heun, Das monarchische Prinzip und der deutsche Konstitutionalis-
mus, S. 46 Fn. 44 unter Bezugnahme auf Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfas-
sungsgeschichte, Bd. I, S. 347 beinhaltete dieses Sanktionsrecht «die Erteilung des
Gesetzesbefehls ebenso wie die Promulgation, also die Ausfertigung und Verkün-
dung».
122
Landesfürst und Regierung
Schliessungs-, Vertagungs- und Auflösungsrecht des Landtages“? ver-
stärkt wird, kein entsprechender Einfluss der Volksvertretung auf die
Exekutive gegenüber.
Die Zustimmung des Landtages zu Gesetzen richtet sich gegen die
ursprüngliche Hoheitsgewalt der Exekutive, die der Fürst durch seine
Regierung ausübt. Das Verordnungsrecht des Landesfürsten und seiner
Regierung wird durch die Verfassung und die Gesetze beschränkt, wobei
es sich nicht nur um Gesetze handelt, die in Freiheit und Vermögen des
Bürgers eingreifen, also nicht nur um bestimmte, sondern um alle
Gesetze. Sie unterliegen der Zustimmung bzw. Mitwirkung des Landta-
ges, “14 auch wenn es von konservativer Seite Einwände gegen den land-
ständischen Verfassungsentwurf vom 22. Dezember 1861 gab, wie sie
Justus Timotheus Balthasar von Linde dem Fürsten im Januar 1862 in
Wien vortrug. Die Rechte des Fürsten sollten besser gewahrt, die Befug-
nisse des Landtages entsprechend eingeschränkt und die Regierung
unabhängiger von der Volksvertretung gestellt werden.*!5
Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 geht von einem selbstän-
digen Verordnungsrecht der Exekutive aus. Darin unterscheidet sich
heute die Verordnungsbefugnis der Regierung. Sie besteht nicht mehr
originär, sondern gesetzesabhängig. Sie setzt das Gesetz voraus, das die
wesentlichen Fragen des zu ordnenden Rechtsverhältnisses oder
Lebenssachverhaltes regelt.*16 Alle staatlichen Gewalten, nicht nur die
Legislative, sind durch die Verfassung konstituiert,*!7 die für die Abgren-
zung und Zuordnung der verschiedenen Funktionen massgebend ist.
413 Vgl. $$ 90 ff. KV 1862.
414 Dem entspricht auch im Zusammenhang mit der Konstitutionellen Verfassung von
1862 der Vorschlag, den die Subkommission dem Ausschuss zur Gesetzgebung vor-
gelegt hat. Er lautete: «Die Wirksamkeit der Landesvertretung erstreckt sich über
die ganze Gesetzgebung, sie hat das Zustimmungsrecht in allen inneren Angelegen-
heiten des Landes». So das Referat über die Verhandlungen des Verfassungsaus-
schusses, LLA, 1862 XV/15, das mir freundlicherweise Peter Geiger zur Verfügung
gestellt hat.
415 Vgl. Peter Geiger, Geschichte, S. 274.
416 Das in Art. 92 LV 1921 festgelegte Gesetzmässigkeitsprinzip der Verwaltung ver-
drängt das bisher in diesem Bereich bestehende selbständige Verordnungsrecht des
Fürsten bzw. seiner Regierung. Vgl. zur Gesetzmässigkeit der Regierungsverord-
nungen und der Rechtsbindung der Verwaltung nach der Verfassung von 1921 Ger-
ard Batliner, Parlament, S. 30 ff. Fn. 40.
417 Vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 44.
123
Monarchischer Konstitutionalismus
Der monarchische Konstitutionalismus, wie ihn die Konstitutionelle
Verfassung von 1862 enthält, erweist sich im Verlaufe der Zeit, wie die
Staatspraxis bestätigt, als ein im gegenseitigen Verhältnis von Fürst und
Landtag flexibles System, wenn auch normativ das monarchische Ele-
ment in der Verfassung überwiegt. Dies ist die Konsequenz des Staats-
aufbaus, «der ganz von der Exekutive her geprägt und konzipiert ist».“!8
$12 LANDESFÜRST UND GERICHTSBARKEIT
I. Justizhoheit des Landesfürsten
Die Gerichtsbarkeit wird im Auftrag des Fürsten «verwaltet» bzw. aus-
geübt. Sie geht vom Fürsten aus, der die Justizhoheit innehat.“!? Sie wird
jedoch konstitutionell eingeschränkt, indem sich die Verfassung zum
Prinzip der Unabhängigkeit der Judikative bekennt. So sind die Gerichte
innerhalb der Grenzen ihrer gesetzlichen Wirksamkeit «in dem materiel-
len der Justizertheilung und in dem gerichtlichen Verfahren unabhängig
von aller Einwirkung durch die Regierung» ($ 34 KV). In der Staatspraxis
wird aber diese Verfassungsgarantie in funktioneller wie in organisato-
rischer Hinsicht nicht voll verwirklicht. Man wollte den «Besitzstand der
monarchischen Gewalt» nicht schmälern und verwehrte dem Landtag
den Zugriff auf die Justiz. Es wurde ihm nur zugestanden, Mängel und
Missbräuche in der Rechtspflege, die er selber feststellt oder die an ihn
herangetragen werden, «direct an den Landesfürsten zu bringen und auf
deren Abstellung anzutragen» ($ 42 KV). Auch von einer 1848 erhobe-
nen Forderung nach «landeseigenen Gerichten» mussten die Landstände
in ihrer überarbeiteten Verfassungseingabe vom 22. Dezember 1861 an
den Fürsten Abstand nehmen.“?! Sie mussten in den Auseinandersetzun-
418 Vgl. Wilhelm Mössle, Regierungsfunktionen des Parlaments, S. 87.
419 Der Fürst ist Inhaber der Gerichtsbarkeit. Siehe $ 33 KV 1862 und Art. 99 Abs. 1
LV 1921; nach 2003 liegt die Justizhoheit bei Fürst und Volk (Art. 95 Abs. 1 LV
2003), obwohl noch in Art. 97 Abs. 1 LV 2003 einseitig von «fürstlichen» Gerichten
die Rede ist.
420 Diese Formulierung ist Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 2,
S. 116 entlehnt.
421 Die betreffende Akte hat mir freundlicherweise Peter Geiger zur Verfügung gestellt.
124
Landesfürst und Gerichtsbarkeit
gen um die konstitutionelle Verfassung einsehen, dass der Instanzenzug
nicht hätte vollständig im Land eingerichtet werden können.“??
II. Organisation der «Justizpflege»
Das Landgericht, dem in Angelegenheiten der Justizpflege die Strafge-
richtsbarkeit in erster Instanz zukam, war die «unterste landesfürstliche
Behörde» in allen nicht ausdrücklich einer anderen Behörde vorbehal-
tenen Verwaltungs- und Justizgeschäften.*® Zu seinem Zuständigkeits-
bereich gehörten im Allgemeinen** Angelegenheiten der politischen
Verwaltung*5, der Justizpflege®%* und die Aufsicht über die Kassenver-
waltung*?7,
Verwaltung und Rechtsprechung waren demnach dem Landgericht
zugeordnet, dessen Leitung einem fürstlichen Richter oblag.#® Neben
der Justizpflege waren ihm umfangreiche Aufgaben in der politischen
und finanziellen Verwaltung zugewiesen. Dem Landesverweser stand
überdies ein Aufsichtsrecht über die Rechtsprechung zu. Er überwachte
den «gesetzmässigen und ununterbrochenen Geschäftsgang des Landge-
richtes sowohl in administrativer als judicieller und strafgerichtlicher
Beziehung».#? Die Unabsetzbarkeit der Richter und damit ihre persön-
liche wie sachliche Unabhängigkeit waren nicht gewährleistet. Das Prin-
zip der Gewaltenteilung war in Bezug auf Verwaltung und Rechtspre-
chung nur unzureichend durchgeführt.“° Die fürstliche Hofkanzlei in
422 Vgl. Peter Geiger, Geschichte, 5. 268 f.
423 Vgl. $ 1 Amtsinstruktion von 1862.
424 $7 Amtsinstruktion von 1862.
425 $$ 6 bis 28 Amtsinstruktion von 1862.
426 $$ 29 bis 31 Amtsinstruktion von 1862.
427 $$ 232 bis 34 Amtsinstruktion von 1862.
428 Vgl. $2 Amtsinstruktion von 1862. Im Jahr 1891 wurde die Anstellung eines zwei-
ten Richters notwendig, sodass der Landesfürst mit Fürstlicher Verordnung vom
10. April 1891, LGBI. 1891 Nr. 5, zur «Abgrenzung des Wirkungskreises der beiden
beim fürstlichen Landgerichte zu Vaduz angestellten richterlichen Funktionäre»
entsprechende Anordnungen traf. Sie haben nach $ 1 dieser Verordnung den Titel
«Landrichter» zu führen.
429 $$ 40 und 49 Amtsinstruktion von 1862 sowie Ziffer 10 Amtsinstruktion von 1871.
430 Peter Geiger, Geschichte, S. 299.
125
Monarchischer Konstitutionalismus
Wien war die «Recursinstanz über Entscheidungen der Landesregierung
ın Administrativ- und Finanzangelegenheiten und wirkte zugleich auch
als Appellationsgericht über die gerichtlichen Urtheile und Bescheide
des Landgerichtes».#1 Die Beamten der Hofkanzlei wurden als Diener
des Fürsten von diesem beliebig ernannt und entlassen. Die Rechtspre-
chung gilt noch als Teil der Exekutive.
Justiz und Verwaltung sind nur insoweit institutionell voneinander
getrennt, als das «Oberlandesgericht zu Innsbruck» als dritte Instanz
den obersten Gerichtshof für das Fürstentum bildet.*? Es ist nur in sei-
ner Funktion als Gericht und nicht auch als Aufsichtsbehörde über die
«Justizverwaltung» des Fürstentums tätig. Der Fürst räumt ihm in
bestimmten «Zivilfällen» das «unabhängige Erkenntniss» ein und ver-
zichtet in bestimmten Fällen auf die Berichterstattung. In diesem
Umfang bleibt die Ausübung der rechtsprechenden Gewalt Sache des
Gerichts. Der individuelle Rechtsschutz ist ein Stück weit gesichert, da
die Richter der Einflusssphäre des Fürsten entzogen sind. Der Fürst
beschränkt sich auf das Begnadigungsrecht in «Kriminalfällen». Auf
diese Weise versucht man, einerseits auf den Souveränitätsanspruch des
Fürsten und andererseits auf die Stellung des obersten Gerichtshofes als
unabhängige Gerichtsinstanz Rücksicht zu nehmen.*3 Es zeichnet sich
in diesem Vorgehen bis zu einem gewissen Grad eine Respektierung
unabhängiger Rechtsprechung ab.
Die Fürstliche Verordnung vom 30. Mai 1871 trennt die Justiz-
pflege von der Administration.** Die bisher dem Landgericht zugewie-
senen politischen Amtsgeschäfte werden der Regierung übertragen.
Gegen ihre Entscheidungen steht die Berufung an die politische Recurs-
instanz in Wien offen.*5 Das Landgericht hat sich nur mehr «mit der
431 $91 Amtsinstruktion von 1862.
432 $ 92 Amtsinstruktion von 1862 und Ziffer 46 Amtsinstruktion von 1871.
433 Vgl. Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 172 ff.; Volker Press, Das Fürsten-
tum Liechtenstein, 5. 66 f.
434 LGBl. 1871 Nr. 1 (im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>). Im Anhang ist
die entsprechend geänderte Amtsinstruktion von 1871 beigegeben. Schon der Ver-
fassungsentwurf der Landstände vom 22. Dezember 1861, den Landesverweser Karl
Haus von Hausen am 29. Dezember 1861 dem Fürsten übermittelte, sah grundsätz-
lich die Trennung von Justiz und Verwaltung sowie die Rechtsprechung durch aus-
schliesslich geprüfte Richter vor. So Peter Geiger, Geschichte, S. 272.
435 Ziffer 18 Amtsinstruktion von 1871.
126
Landesfürst und Gerichtsbarkeit
Civilrechtspflege in und ausser Streitsachen, mit dem Grundbuchswesen
und mit der Strafgerichtsbarkeit in erster Instanz zu befassen sowie bei
der Aburtheilung von Gefällsübertretungen im Sinne des österreichisch-
liechtensteinischen Zollvertrages mitzuwirken». Als zweite Instanz
wird neu das fürstliche Appellationsgericht in Wien eingerichtet, das aus
«drei geprüften Richtern» besteht, die vom Fürsten ernannt werden.”
Es übt die Oberaufsicht über das Landgericht aus und ist zugleich auch
Disziplinarbehörde.*® Das Landgericht hat ihm jährlich einen
Geschäftsbericht vorzulegen, der über den Stand der «aus den Vorjahren
verbliebenen, dann neu angefallenen, erledigten und schwebenden» Ver-
fahren Auskunft gibt.*®® Die Aufsicht über den «gesetzmässigen und
ununterbrochenen Geschäftsgang» beim Landgericht obliegt nach wie
vor dem Landesverweser.*40
Die Justizpflege wird zwar deutlicher von der Verwaltung
getrennt. Das Prinzip der Gewaltentrennung wird aber, wie dies der
konstitutionellen Staatsordnung eigen ist, nicht konsequent durchge-
führt,*! da der Fürst bei der Exekutive wie bei der Gesetzgebung ent-
scheidend beteiligt ist und ausserdem durch sein Verordnungsrecht sel-
ber Recht setzt.*?
436 Zitiert aus: Fürstliche Verordnung vom 30. Mai 1871 über die Trennung der Justiz-
pflege von der Administration, LGBl. 1871 Nr. 1.
437 Vgl. Ziffer 42 Amtsinstruktion von 1871. Nach Ziffer 43 Abs. 1 wird der Vorsit-
zende vom Fürsten «bestimmt».
438 Vgl. $ 42 Amtsinstruktion von 1871. Dort heisst es: «Dasselbe (fürstliche Appella-
tionsgericht) führt die Oberaufsicht über die Justizpflege in Liechtenstein, übt dem
Landrichter gegenüber die Disciplinargewalt und ertheilt diesem vorkommenden
Falls Urlaub.»
439 Vgl. $ 40 Amtsinstruktion von 1871.
440 Ziffer 10 Amtsinstruktion von 1871. Nach Ziffer 39 sind ihm alle an «die Oberge-
richte erstatteten Berichte des Landgerichtes» und die von diesem <«herablangenden
Erledigungen>» zur Einsicht mitzuteilen.
441 Nach Wilhelm Beck, Das Recht des Fürstentums Liechtenstein, S. 56 ist 1871 die
Gewaltentrennung «praktisch durchgeführt worden». Er konstatiert dennoch eine
«Gewaltenkonfusion» bzw. eine «Vermischung von Justiz und Verwaltung». Vgl.
etwa $ 41 Amtsinstruktion von 1871.
442 Siehe zum Verordnungsrecht vorne S. 115 ff. und Peter Geiger, Geschichte, S. 300
unter Hinweis auf Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 86 und Ernst Pappermann,
Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, 5. 74 ff.
127
Monarchischer Konstitutionalismus
III. Bundesschiedsgericht
Das Bundesschiedsgericht, dem in $ 122 der Konstitutionellen Verfas-
sung von 1862 die Kompetenz zu einer authentischen Interpretation der
Verfassung zugewiesen wurde, kann von den beiden Konfliktsparteien,
d. h. der fürstlichen Regierung und dem Landtag, nur angerufen werden,
wenn sie sich darüber vorher geeinigt haben. Ein Fall des richterlichen
Prüfungsrechts ist dies nicht.“ Die Konstitutionelle Verfassung ver-
schliesst sich noch der Verfassungsgerichtsbarkeit, die mit der Souverä-
nität des Fürsten nicht vereinbar ist. Dem steht eine gerichtliche Austra-
gung von Verfassungsstreitigkeiten zwischen Landesfürst und Landtag
entgegen. Jede Auslegungsfrage kann sich zu einem Verfassungsstreit
ausweiten, der den zwischen den «Verfassungsorganen» in der Verfas-
sung gefundenen Kompromiss infrage stellen würde.‘ Verfassungskon-
flikte, die sich aus dem Dualismus von Fürst bzw. fürstlicher Regierung
und Landtag (Volksvertretung) ergeben, sind nicht gerichtlich lösbar.
Hier setzte sich folglich durch, wer die Macht innehatte.
Das Bundesschiedsgericht ist bis zur Auflösung des Deutschen
Bundes 1866 ohne Bedeutung geblieben.“ Es wurde vonseiten Liech-
tensteins nie angerufen.*46
$13 KONSTITUTIONELLE PRAXIS“
Da es beim dualistischen Verfassungssystem des monarchischen Konsti-
tutionalismus auf die Kooperationsbereitschaft beider Akteure, Fürst
bzw. fürstliche Regierung und Landtag, ankommt, ist ein Blick auf die
politische Praxis zu werfen, um eine Aussage über die Machtverhältnisse
in der Verfassungswirklichkeit treffen zu können.
443 Werner Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus, S. 372; Herbert
Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 14 f.
444 Jörg Luther, Vorstufen europäischer Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 289 f.; siehe auch
Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 17 f. und
22 ff.
445 Dieter Grimm, Gewaltengefüge, Konfliktpotential und Reichsgericht, S. 261 f.
446 Vgl. Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 17
und Florian W. Betz, Die Austrägalinstanz, S. 84.
447 Dieser Begriff ist Dieter Grimm, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 155 entlehnt.
128
Konstitutionelle Praxis
I. Gesetzgebungsverfahren
Der Landtag hat sich aktiv in das politische Geschehen eingebracht.“ Er
nahm im Gesetzgebungsverfahren eine durchaus eigenständige Position
gegenüber der fürstlichen Regierung‘ und ihren Gesetzesvorlagen ein,
sei es, dass er ihnen zustimmte, ohne sie wesentlich zu ändern, oder sei
es, dass er einem Gesetzesentwurf in der von der vorberatenden Kom-
mission vorgeschlagenen Fassung zustimmte. Seltener sind die Fälle, in
denen er sich einem Gesetzesvorhaben nicht anschloss. Es kommt
auch vor, dass die fürstliche Regierung die Gesetzesvorlage zurück-
zieht“! oder dass der Landtag versucht, sich mit der fürstlichen Regie-
rung auf einen neuen Gesetzesentwurf zu verständigen. Dass der Lan-
desfürst ein vom Landtag beschlossenes Gesetz nicht sanktionierte, bil-
det die Ausnahme. #2
II. Volksabstimmungen
Im Vorfeld der Verfassung von 1921 wurden auch Volksabstimmungen
abgehalten, ohne dass dementsprechend die Konstitutionelle Verfassung
448 Einen informativen Überblick über die Gesetzgebungstätigkeit unter der Konstitu-
tionellen Verfassung von 1862 gibt Cyrus Beck, Der Vorbehalt des Gesetzes der liech-
tensteinischen konstitutionellen Verfassung von 1862, S. 162 ff. bzw. 215 ff., indem er
im Einzelnen nach Sachgebieten die Zuständigkeit zur Gesetzes- und Verordnungs-
gebung ermittelt. Auffallend ist, dass im Zeitraum von 1884 bis 1890 wenig Gesetze
erschienen sind. Dieser Rückgang hängt, wie Paul Vogt, Der Rechenschaftsbericht,
S. 39 erklärt, mit dem Amtsverständnis des Landesverwesers Karl von In der Maur
zusammen, der «praktisch sämtliche Bereiche des «politischen» Lebens mit einem
dichten Netz von Verordnungen, Instruktionen usw.» erfasste, sodass «die gesetzge-
berische Tätigkeit des Landtags [...] auf ein absolutes Minimum beschränkt» war.
449 Hier ist in erster Linie der Landesverweser zu nennen, da die der Regierung beige-
ordneten Landräte «bedauerlicher Weise» wie Albert Schädler, Landtag, JBL Bd. 21
(1921), S. 31 bemerkt, nur sehr selten zu Regierungssitzungen eingeladen worden
sind. Siehe auch Paul Vogt, Regierung, in: Historisches Lexikon, Bd. 2, S. 746 f.
450 Vgl. z. B. Rekrutenaushebung für die Jahre 1867 und 1868. Siehe Albert Schädler,
Landtag, JBL Bd. 2 (1902), S. 143 f.
451 Vgl. z. B. den Gesetzesentwurf über die Pensionierung der Staatsbeamten. Siehe Al-
bert Schädler, Landtag, JBL Bd. 3 (1903), S. 52.
452 So etwa das am 27. Juni 1859 beschlossene Zehentgesetz, da sich weitere Erhebun-
gen über die Zehentverhältnisse aufdrängten, oder das im Jahre 1872 von der fürst-
129
Monarchischer Konstitutionalismus
von 1862 geändert worden wäre. Sie beruhten rechtlich auf dem Einver-
ständnis von Fürst und Landtag, d. h. des Verfassungsgesetzgebers. So
wurden 1918 entgegen dem monarchischen Prinzip Volksabstimmungen
über die Erhöhung der Zahl der zu wählenden Abgeordneten von 12 auf
17 und über die Herabsetzung des Grossjährigkeits- und aktiven Wahl-
fähigkeitsalters vom 24. auf das 21. Lebensjahr durchgeführt, die beide
negativ ausfielen. Die Durchführung dieser Volksabstimmungen wurde
auf Vorschlag der Verfassungskommission vom Landtag gutgeheissen
und vom Fürsten genehmigt.*3
III. Verhältnis von Landtag und fürstlicher Regierung
Der Landtag kann auch in Administrativangelegenheiten zum Mit- und
Gegenspieler der fürstlichen Regierung werden, sodass Kompetenzstrei-
tigkeiten nicht ausgeschlossen sind,** da, wie einem Bericht der Finanz-
kommission des Landtages vom 19. Juli 1895%5 zu entnehmen ist, selbst
die «beste Regierung» Neigung zeigt, die «eigene Macht zu stärken und
das Vordringen der Macht der Volksvertretung etwas zurückzuhalten».
Ein solches Verhalten sei «eine natürliche Erscheinung» und habe auch
«wenig Bedenkliches an sich, wenn jede Seite ihre Rechte zu wahren be-
strebt ist.» Gemeint ist das gegenseitige Verhältnis zwischen Landtag und
fürstlicher Regierung (Landesverweser), wenn es sich um Sachbereiche
lichen Regierung vorgelegte Sanitätsgesetz und das ebenfalls im Jahre 1872 von der
fürstlichen Regierung vorgeschlagene und vom Landtag wesentlich geänderte Ex-
propriationsgesetz. Siehe Albert Schädler, Landtag, JBL Bd. 1 (1901), S. 95; Bd. 3
(1903), S. 13 £. und 85.
453 Vgl. Albert Schädler, Landtag, JBL Bd. 21 (1921), S. 43 f.
454 Zur «Beilegung von Meinungsverschiedenheiten (im Jahr 1895), welche sich über
verfassungsrechtliche Fragen zwischen dem fürstlichen Landesverweser Friedrich
Stellwag von Carion und dem Landesausschusse bezw. dem Landtage ergeben
hatten», siehe Albert Schädler, Landtag, JBL Bd. 4 (1904), S. 42 ff. Siehe auch Paul
Vogt, Zur Entstehung und Tätigkeit des Landtags, S. 204 f. und zum Verhältnis von
Landtag, Fürst und Regierung auch Peter Geiger, Die liechtensteinische Volksver-
tretung, 5. 50 ff.
455 Bericht und Anträge der Finanzkommission über die Verfassungsfragen, die «die
Rechte 1. des Landesausschusses und 2. des Landtages» berühren, S. 3 ff. Siehe den in
Druckschrift verfassten Bericht, LLA, Landtagsakten. In der Sache aufschlussreich
der Landtags-Bericht über die 3. Sitzung vom 30. Juli 1895, als Beilage zum LVolks-
blatt Nr. 34 vom 23. August 1895 und Nr. 35 vom 30. August 1895 erschienen.
130
Konstitutionelle Praxis
handelt, in denen sich beide für zuständig halten. Es ging etwa, um Bei-
spiele zu nennen, einerseits um das Petitionsrecht an den Landesaus-
schuss, an den zwei Gemeinden gelangt waren, und andererseits um das
Recht des Landtages, selber im amtlichen Blatte («L. Volksblatt») über
die öffentlichen Landtagsverhandlungen zu berichten. Landesverweser
Friedrich Stellwag von Carion bestritt ein Petitionsrecht an den Landes-
ausschuss. Ein solches existiere nicht. Er nahm auch für die Regierung die
offizielle Berichterstattung über die Landtagsverhandlungen im amtli-
chen Blatte in Anspruch, die dazu einzig und allein befugt sei, und sprach
dem Landtagsplenum und dem Landtagsbüro die Berechtigung ab. Zur
Diskussion stand mit anderen Worten die verfassungsrechtliche Stellung
des Landesausschusses bzw. des Landtages. Eine Entscheidungsinstanz,
wie sie in $ 122 KV 1862 vorgesehen ist und während des Deutschen
Bundes das Bundesschiedsgericht darstellte, gibt es nicht mehr.*5
Eine Einigung in diesen Fragen kam unter der Vermittlung des vor-
maligen Landesverwesers Karl von In der Maur zustande.“7 Albert
Schädler zeichnet in einer Rückschau am Ende des 19. Jahrhunderts ein
positives Bild von der Landtagsarbeit bzw. der Zusammenarbeit zwi-
schen dem Landtag und der fürstlichen Regierung.*® Er betont die Rolle
456 Siehe das Votum des Abgeordneten Dr. Wilhelm Schlegel in der Landtagssitzung
vom 30. Juli 1895, in: Beilage zu LVolksblatt Nr. 35 vom 30. August 1895. Zu seiner
Person siehe Rudolf Rheinberger, in: Historisches Lexikon, Bd. 2, S. 850.
457 In der Erklärung des Landtages heisst es: «Mit der Annahme des von der Regierung
vorgelegten Gesetzes über den Wirkungskreis des Landesausschusses erklärt der
Landtag zugleich, dass darin die gesetzliche Festlegung der bis zum Jahre 1894 ge-
pflogenen Übung erblickt und daher seine in dem Beschlusse vom 30. Juli d.J. ausge-
sprochenen Beschwerden betreffend die Kompetenzen des Landesausschusses als
behoben betrachtet. Nachdem ferner die fürstl. Regierung die offizielle Erklärung
abgegeben hat, dass nunmehr die Veröffentlichung der Landtagsberichte in der bis
Ende 1894 durch das Landtagsbüro geübten Weise erfolgen könne und dass ausser-
dem dem Landtage zu jeder Zeit das Recht zustehe, die Protokolle der öffentlichen
Landtagssitzungen auch im amtlichen Blatte zu verlautbaren, sind die ebenfalls am
30. Juli vom Landtage vorgebrachten Beschwerden als erledigt anzusehen.» Vgl. Al-
bert Schädler, Landtag, JBL Bd. 4 (1904), S. 45 und zur Verfassungsänderung das Ge-
setz vom 29. Dezember 1895 betreffend ergänzende Bestimmungen über den Wir-
kungskreis des Landesausschusses, LGBl. 1896 Nr. 2. Danach können, «insolange
der Landtag nicht versammelt ist», auch an den Landesausschuss «in dringenden und
wichtigen Fällen und unter der Voraussetzung, dass der gesetzliche Wirkungskreis
der fürstlichen Behörden nicht umgangen wird», Petitionen gerichtet werden.
458 Albert Schädler, Landtag, JBL Bd. 4 (1904), S. 45.
131
Monarchischer Konstitutionalismus
des Landtages im konstitutionellen Verfassungssystem, das die «Mitar-
beit des Landtages» ermöglicht habe. Dieser habe sich als «Vertreter des
Volkes» zum Nutzen des Landes «als besonders wertvoll bewährt», was
schon daraus hervorgehe, «dass eine Reihe gerade volkswirtschaftlich
wichtiger Gesetze seiner Initiative entstammte».“5°
Über die Mitsprache bei der Gesetzgebung gewann der Landtag
vermehrt Einfluss auf die Staatstätigkeit und damit auch gleichzeitig eine
verstärkte Kontrolle über die fürstliche Regierung.
$14 ZENTRALE VERFASSUNGSFRAGEN
I. Souveränität
1. Problemlage
Die Aufteilung der gesetzgebenden Gewalt zwischen Fürst und Landtag
stand in deutlichem Widerspruch zum Souveränitätsbegriff, wie ıhn Art.
57 der Wiener Schlussakte vom 15. Mai 1820 verstand und $ 2 der Kon-
stitutionellen Verfassung von 1862 ausgeführt hat. Sie halten an der sou-
veränen Machtvollkommenheit des Fürsten fest, obwohl er im Legisla-
tivbereich auf die Zustimmung des Landtages angewiesen war und die
Verfassung ohne die Zustimmung des Landtages nicht mehr geändert
werden konnte. Er sollte als Souverän weiterhin alle Staatsgewalt auf
sich vereinigen. Dem entsprach auch, dass der Person des Fürsten Hei-
ligkeit und Unverletzlichkeit zuerkannt wurde. Er sollte niemandem
ausser Gott gegenüber verantwortlich und keinem weltlichen Richter
unterworfen sein.*®©® Der dabei ins Spiel gebrachte Formelkompromiss
von der ungeteilten Innehabung und gebundener Ausübung der Staats-
gewalt durch den Fürsten‘! konnte an der gegebenen Verfassungslage
459 Albert Schädler, Landtag, JBL Bd. 4 (1904), S. 93 f. Unter der Konstitutionellen Ver-
fassung von 1862 haben sich die ökonomischen Verhältnisse stark verbessert. Siehe
Peter Geiger, Geschichte, S. 310 ff.
460 Volker Haas, Strafbegriff, Staatsverständnis und Prozessstruktur, S. 72.
461 In diesem Sinne auch das Gutachten von Justus Timotheus Balthasar von Linde vom
12. September 1861, dem nach Josef Ospelt, Verfassungsgeschichte, S. 36 zu ent-
132
Zentrale Verfassungsfragen
nichts ändern.“ Sie versuchte, die Einheit der Staatsgewalt aufrechtzu-
erhalten und die Teilhabe der Volksvertretung an der Gesetzgebung, die
nach der Lehre von Jean Bodin die Kernkompetenz der Souveränität
ausmachte, nicht als Gewaltenteilung erscheinen zu lassen. Fest stand,
dass der Fürst durch die verfassungsrechtliche Selbstbindung bereits
einen Teil seiner ursprünglichen Souveränität als pouvoir constituant
eingebüsst hatte.‘ Unerheblich war in diesem Zusammenhang, dass
dem Fürsten das alleinige Sanktionsrecht zustand und ein Beschluss des
Landtages ohne Sanktion nicht zum Gesetz wurde, denn der Fürst
konnte — wie gesagt — ebenso wenig wie der Landtag allein ein Gesetz
geben, ändern oder aufheben. Das Zusammenwirken beider Staatsor-
gane war unbedingt erforderlich.** Dem Landtag stand es denn auch
frei, auf eine Gesetzesvorlage der fürstlichen Regierung einzutreten.
Demnach steht die Herrschaftsgewalt nicht mehr in vollem Umfang
dem Fürsten zu. Solange man aber vom Dogma der alleinigen Souveräni-
tät bzw. Unteilbarkeit der Souveränität des Fürsten*®5 nicht abrückte,
konnte das monarchische Prinzip mit dem realen Verfassungsrecht nicht
in Einklang gebracht werden.*® Eine Teilung der Souveränität zwischen
Monarch und Volksvertretung kam aber nicht in Betracht, da sie mit der
Souveränitätslehre von Jean Bodin, wonach sie als die höchste und abso-
lute, ungebundene und unteilbare Gewalt innerhalb des Staates verstan-
den und im damaligen Staatsrecht auch gelehrt wurde, nicht vereinbar
war. Die rechtliche Einheit des Staates konnte nur in der Einheitlichkeit
nehmen ist, «dass nach den deutschen Bundesgesetzen die höchste Staatsgewalt in
der Person des Monarchen ungeteilt erhalten bleiben müsse und nur durch land-
ständische Mitwirkung in der Ausübung eingeschränkt werden dürfe.»
462 Dieser verfassungsrechtliche Formelkompromiss konnte jedenfalls nicht verbergen,
dass der Fürst unter den Geltungsbedingungen der Konstitutionellen Verfassung
von 1862 nicht mehr der alleinige Herr des Gesetzgebungsverfahren war. Vgl. Die-
ter Wyduckel, Ius Publicum, S. 233. Nach Stefan Korioth, «Monarchisches Prin-
zip», S. 29 gab die Unterscheidung zwischen monarchischer Innehabung der Staats-
gewalt und möglichen Bindungen bei ihrer Ausübung der zeitgenössischen Staats-
rechtslehre und gibt der Verfassungsgeschichtsschreibung noch immer Anlass zu
kontroversen Deutungen.
463 Volker Haas, Strafbegriff, Staatsverständnis und Prozessstruktur, S. 72.
464 Dietrich Jesch, Gesetz und Verwaltung, 5. 87 f.
465 Dietrich Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 82.
466 Henning Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 36.
133
Monarchischer Konstitutionalismus
der Staatsgewalt gedacht werden. Diese Einheit verkörperte bislang der
Monarch mit der ihm allein zustehenden Souveränität.“
Dieses dualistische Verfassungssystem der konstitutionellen
Monarchie mit dem Landesfürsten auf der einen und dem Landtag auf
der anderen Seite beruht nämlich auf zwei «konkurrierenden Legitima-
tionsgrundlagen»*®, dem monarchischen Prinzip bzw. der Fürstensou-
veränität und der Volkssouveränität, die unterschiedliche politische
Machtansprüche symbolisieren. Es hatte politischen Kompromiss-
charakter, da es sich weder ganz zur Fürstensouveränität wie im monar-
chischen Absolutismus der Landständischen Verfassung von 1818 noch
zur Souveränität des Volkes bekannte. Die Frage nach dem Inhaber oder
Träger der Souveränität‘® bzw. der verfassunggebenden Gewalt blieb
ungeklärt und in der Schwebe.*7°
2. Lösungsversuch
Die Lösung des Souveränitätsproblems wird in der Konzeption der
Souveränität als «Staatssouveränität»”! gefunden. Mit Hilfe der Orga-
nismustheorie und der Lehre vom Staat als juristischer Person gelingt es,
die Souveränität auf eine abstrakte Ebene zu heben und dem Staat als
Bezugspunkt zuzuweisen.”? Die führende deutsche Staatsrechtslehre
übertrug die Souveränität auf den Staat selbst, der als rechtliche Persön-
lichkeit”? betrachtet wurde. Die Souveränität wurde zu einer Eigen-
schaft der Staatsgewalt. Sie sollte Quelle aller öffentlichen Macht sein.**
467 Henning Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 53 f.
468 Werner Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus, S. 380 Fn. 103.
469 Unter Souveränität versteht man die höchste, unabgeleitete staatliche Herrschafts-
gewalt, die ihrerseits keiner weiteren, fremden Bindung unterliegt. So Utz Schliesky,
Souveränität und Legitimität, S. 57 mit weiteren Hinweisen.
470 Christian Hermann Schmidt, Vorrang der Verfassung, S. 16.
471 Utz Schliesky, Souveränität und Legitimität, S. 98.
472 Utz Schliesky, Souveränität und Legitimität, S. 98 f.
473 Die Lehre von der rechtlichen Persönlichkeit des konstitutionell-monarchischen
Staates ist nach Josef Lukas, Rechtliche Stellung des Parlamentes, S. 35 nicht ohne
Gegnerschaft geblieben, «wenn auch die Mehrzahl der publicistischen Autoren sich
zu ihr bekannten».
474 Volker Haas, Strafbegriff, Staatsverständnis und Prozessstruktur, S. 76 weist darauf
hin, dass der Souveränitätsbegriff «eigentlich der Ebene der pouvoir constituant an-
134
Zentrale Verfassungsfragen
Fürst und Volksvertretung wurden gleichermassen zu Organen des Staa-
tes erklärt. Der Fürst galt nicht mehr als souverän im Sinne der alten Lehre
von der Herrschersouveränität, sondern als «Repräsentant» des Staates
oder der Staatsgewalt. Er steht im Staat, nicht über dem Staat. Er ist Be-
standteil des Staates. Fürst und Volksvertretung werden dem Staat unter-
stellt.”5 Der Gefahr der Gleichstellung wich man aus, indem man die Or-
ganstellung des Monarchen als eines «Staatsoberhauptes» heraushob und
ihn als «Träger» der Staatsgewalt bezeichnete,*® ihm Organsouveränität
zusprach. Damit qualifizierte man ihn als «höchstes Staatsorgan».*77
Auf diese Weise konnte das Dogma von der ausschliesslichen und
unteilbaren Souveränität erhalten bleiben, da die Souveränität des Staa-
tes einheitlich und ungeschmälert war und logisch unbezweifelbar alle
Staatsgewalt vom Staat ausgeht.”® Die Einheitlichkeit der Staatsgewalt
kam in einer Mehrheit von Organen zum Ausdruck. Es konnte so auch
die Gewaltenteilungslehre angenommen werden.”? Der Terminus
«Staatssouveränität» diente dem Zweck, das Zugeständnis einer geteilten
Souveränität zu vermeiden.*8°
In der Unterscheidung zwischen «Organsouveränität» und
«Staatssouveränität» spiegelt sich die verfassungsgeschichtliche Ablö-
sung des Fürstenabsolutismus.*! Das auf das Land bezogene Herr-
schaftsrecht hatte sich zur organschaftlichen Befugnis im Staat gewan-
delt, während der Staat Träger der Souveränität wurde.
Die Qualifizierung des Staates als «juristische Person», also die
Erfassung des Staates als eigene Persönlichkeit, geht auf Albrechts These
von der juristischen Staatspersönlichkeit zurück.“ Sie bedeutete den
gehört». Mit der Übertragung der Souveränität auf den Staat werde die Legitimi-
tätsproblematik weitgehend ausgeblendet.
475 Siehe als Beispiel den Verfassungsentwurf des Verfassungsrates vom 1. Oktober
1848 und dazu Peter Geiger, Geschichte, S. 105 ff. (108 f.).
476 Hans Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 195.
477 Vgl. Dietrich Jesch, Gesetz und Verwaltung, 5. 87 f.
478 Dietrich Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 176 f.
479 Vgl. Georg Meyer / Gerhard Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, S. 18 f.
480 Volker Haas, Strafbegriff, Staatsverständnis und Prozessstruktur, S. 78 Fn. 63.
481 Görg Haverkate, Verfassungslehre, S. 27.
482 Dazu hält Henning Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 39 ff. (54) fest:
«Indem Albrecht die Souveränität weder dem Monarchen noch dem Volk zuschrieb,
sondern einem von diesen Subjekten verschiedenen, Monarch und Volk aber umfas-
senden, höheren Corpus zum Träger der Souveränität erklärte, durchbrach er den
gordischen Knoten des Verfassungsdualismus. Die Staatssouveränität bedeutete die
135
Monarchischer Konstitutionalismus
«folgenreichsten geistigen Angriff auf die monarchische Verfassungs-
form»*, weil sich mit ihr der Herrscher vom Inhaber des Staates zu des-
sen Organ wandelte, vom Souverän in den Amtswalter, die Herrschaft
ihren persönlichen Charakter verlor und sachliche Züge annahm, die
öffentliche und die private Sphäre unterscheidbar wurden.***
Die Lehre von der Rechtspersönlichkeit des Staates, die sich im
19. Jahrhundert durchsetzte,*® richtete sich einerseits gegen die Fürsten-
souveränität und andererseits gegen die Volkssouveränität.*% Sie stellt
eine Kompromissformel dar, die einen möglichen Souveränitätskonflikt
zwischen Fürst und Volksvertretung zu vermeiden sucht.“ Damit wird
die Machtfrage jedenfalls vorübergehend offen gehalten.*8
II. Legitimation“®
1. Problemlage
Die Wiener Schlussakte vom 15. Mai 1820 deutete die 1815 geschaffene
Ordnung als «Verwirklichung des Erbprinzips». Sie legten für die Staa-
Wahl eines dritten Weges, einer rechtstechnischen Zauberformel, welche die Staats-
gewalt jeder juristischen Auseinandersetzung entzog». Manfred Friedrich, Ge-
schichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, S. 216 Fn. 19 und S. 218 bemerkt
zum modernen juristischen Staatspersönlichkeitsbegriff allerdings, dass die noch bis
in neueste Zeit Albrechts Maurenbrecher-Rezension zugeschriebene «epochema-
chende» Wirkung ins Reich der historischen Legende gehöre.
483 Georg-Christoph Unruh, Die Legitimation der hoheitlichen Gewalt, S. 451.
484 So Josef Isensee, Staat und Verfassung, S. 84 Rz. 163.
485 Sie avancierte nach Henning Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 17 f.
gegen Ende des 19. Jahrhunderts zur zentralen Prämisse des Staatsrechts und prägte
als Grundbegriff das gesamte staatliche Organisationsrecht. Christoph Schönber-
ger, Vom repräsentativen Parlamentarismus zur plebiszitären Präsidialdemokratie,
S.371 f. weist darauf hin, dass die Verselbständigung des «Staates» in Deutschland
vor 1918 auf einem eigentümlichen Amalgam von traditionell-monarchischer und
bürokratischer Legitimität beruht habe und ihren staatsrechtlichen Ausdruck in der
Vorstellung vom Staat als juristische Person mit dem Monarchen als dem zentralen
Staatsorgan und «Träger der Staatsgewalt» gefunden habe.
486 Jan Rolin, Der Ursprung des Staates, S. 258.
487 Vgl. auch Henning Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 54.
488 Paul Kirchhof, Der Staat als Organisationsform politischer Herrschaft, S. 639.
489 Zum Begriff der Legitimität und Legitimation siehe Utz Schliesky, Souveränität und
Legitimität, S. 150 ff.
136
Zentrale Verfassungsfragen
ten des Deutschen Bundes in Art. 57 verbindlich fest, dass dem «Grund-
begriffe» der Souveränität des Fürsten entsprechend «die gesammte
Staats-Gewalt in dem Oberhaupte des Staats vereinigt bleiben» und der
Souverän «durch eine landständische Verfassung nur in der Ausübung
bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden»
konnte.“ Trotz dieser Abwehrhaltung gelingt es nicht, die Legitimation
des Monarchen theoretisch abzusichern. Traditionelle Legitimationsvor-
stellungen wie das Gottesgnadentum vermochten die widersprüchliche
Stellung des konstitutionellen Fürsten, der souverän und zugleich an das
positive Verfassungsrecht gebunden sein soll, nicht plausibel zu
machen.“*?!
Das monarchische Prinzip konnte keine originäre und vom Volk
nachvollziehbare Legitimität mehr begründen,*” auch wenn die Konsti-
tutionelle Verfassung von 1862 in ihrer Eingangsformel*® auf ältere
Legitimationsweisen wie das Gottesgnadentum** zurückgreift, um die
souveräne Gewalt des Fürsten rechtlich abzustützen. Ein solcher Legiti-
mierungsversuch monarchischer Gewalt stiess allerdings schon damals
auf Kritik.“ Das Prädikat der Heiligkeit konnte mit juristischen Mitteln
490 Abgedruckt in: Ernst Rudolf Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsge-
schichte, Bd. 1, S. 99.
491 Hans Boldt, Monarchie im 19. Jahrhundert, S. 207.
492 "Thomas Würtenberger, Legitimität, Legalität, S. 734.
493 Dort heisst es: «Wir Johann II. von Gottes Gnaden souveräner Fürst zu Liechten-
stein [...]».
494 Danach hat der Fürst seine Gewalt von Gott und nicht vom Volk. So Wolfgang Rein-
hard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 427. Auf dieser Grundlage wird das Konzept
der Gewaltenteilung zurückgewiesen. Stefan Korioth, «Monarchisches Prinzip»,
S. 49. Nach Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der deutsche Typ der konstitutionellen
Monarchie, S. 301 f. war das Gottesgnadentum, das zur Begründung des monar-
chischen Prinzips dienen sollte, leer laufend und selbst nur eine politische Funktion.
Es hätte seinen Sinn nur als Teil einer verbindlichen, religiös-sakralen Weltordnung
entfalten können. Er verweist dabei auf Otto Brunner, der dem monarchischen Prin-
zip eine Legitimitätsbegründung abspricht. Es sei der Ausdruck für die Stabilisie-
rung einer gegebenen Machtlage, entbehre aber seinerseits einer geistigen Sinnbe-
gründung. Das Gottesgnadentum als Rechtfertigung des monarchischen Prinzips
habe nur im Rahmen einer religiös-sakralen Weltordnung eine tiefere Wirkung ent-
falten können. Eine solchermassen fundierte Ordnung sei aber im 19. Jahrhundert
zugunsten einer rational begründeten Herrschaftsordnung aufgegeben worden. So
auch Thomas Würtenberger, Die Legitimität staatlicher Herrschaft, S. 239.
495 Vgl. Edmund Bernatzik, Republik und Monarchie, S. 5, der vermerkt, dass «uns ein
juristisches Kriterium der göttlichen Gnade fehlt».
137
Monarchischer Konstitutionalismus
nicht erklärt werden und wurde deshalb teils als Pleonasmus zur Unver-
letzlichkeit, teils als eine allgemeine Verweisung auf das monarchische
Prinzip oder den Grundsatz der Legitimität betrachtet.“ Sie wurden
zuvor schon im Verfassungsentwurf des ständischen Verfassungsrates
vom 1. Oktober 1848 infrage gestellt, in dem die Idee der Volkssouverä-
nität Fuss fassen konnte. Er verlieh der Volksvertretung ein Überge-
wicht, wie es der parlamentarisch-liberalen Bewegung in Deutschland
entsprach,*”7 deren politisches Ideal die parlamentarische Monarchie
war.“8 Der Verfassungsentwurf lehnte dementsprechend das monar-
chische Prinzip ab. Es fehlten eine Präambel und ein Hinweis auf das
Gottesgnadentum sowie die verfassunggebende Gewalt des Fürsten. Die
Verfassung sollte offensichtlich vom Volk und vom Fürsten ausgehen
und das absolute Veto des Fürsten gegen Gesetzesbeschlüsse entfallen.
Die Dominanz der Volksvertretung äusserte sich darin, dass die ganze
Staatsverwaltung «unter Aufsicht und Leitung des Landrathes als obers-
ter gesetzgebenden Behörde» stand.“
2. Gottesgnadentum und Erbprinzip>®
Nach der Konzeption des Gottesgnadentums eignet dem Monarchen
eine besondere Heiligkeit. Durch Gottes Gnade verbürgt er die allge-
meine Wohlfahrt des Gemeinwesens, er verteidigt die Ordnung und die
politische Stabilität des Landes gegen alle unheilvollen Mächte. Zu die-
ser uralten Theorie des göttlichen Ursprungs des Königtums kam in der
frühen Neuzeit als Ergänzung das Erblichkeitsprinzip hinzu.5%
49% Georg-Christoph Unruh, Die Legitimation der hoheitlichen Gewalt, S. 450.
497 Carl von Rotteck war einer der bedeutendsten Vertreter und Lehrer von Peter Kai-
ser gewesen. Siehe Peter Geiger, Geschichte, S. 43; Dieter Langewiesche, Peter Kai-
ser als Politiker, S. 49 f.
498 Ernst-Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. II, S. 398.
499 So Peter Geiger, Geschichte, S. 108 f. und 110 f.
500 Das Gottesgnadentum und das Erbprinzip gelten nach Martin Kirsch, Monarch und
Parlament im 19. Jahrhundert, 5. 47 ff. als «traditionale Prinzipien». Werner Heun,
Das monarchische Prinzip und der deutsche Konstitutionalismus, S. 54 macht
darauf aufmerksam, dass das monarchische Prinzip «eine unklare Verbindung mit
dem Gedanken der Erblegitimität> eingegangen sel.
501 Gunter Zimmermann, Religionsgeschichtliche Grundlagen, S. 397.
138
Zentrale Verfassungsfragen
Die Stellung des Monarchen beruht auf der Erbmonarchie mit einer
Thronfolgeordnung und ihren a priori von Gottes Gnaden gegebenen
Hoheitsrechten.? Quelle und Urgrund dieser Einrichtung ist eine
«göttlich legitimierte Weltordnung», in welcher der Fürst und seine
Familie sakral legitimiert, d. h. als Beauftragte oder Repräsentanten des
allmächtigen göttlichen Willens erscheinen und auftreten können.
Es war schwierig, die Fürstensouveränität rechtlich aus dem Got-
tesgnadentum zu begründen,” zumal sich die Verfassung von 1862 sel-
ber als «konstitutionelle» Verfassung verstand und die konstitutionelle
Monarchie in der zeitgenössischen Staatsrechtslehre als «verfassungs-
mässig beschränkte Monarchie» bezeichnet wurde.”5 So hat sich der
Landesfürst in der Konstitutionellen Verfassung von 1862 selbst
beschränkt, indem er dem Landtag unwiderruflich das Recht der Mit-
wirkung bei der Gesetzgebung zugestanden hat. Damit hat er ein Stück
seiner Gewalt nicht nur der Ausübung, sondern auch der Substanz nach
aus der Hand gegeben.5% Vor diesem Hintergrund gerät die Konstitutio-
nelle Verfassung, die den Landesfürsten als einzigen Träger der souverä-
nen Staatsgewalt ausweist, mit sich selber in Widerspruch.
Die Erbmonarchie aus dem Gottesgnadentum zu rechtfertigen,
überzeugte nicht mehr wirklich.” Diese traditionelle Begründung des
Herrschaftsanspruchs erfolgte seit der Jahrhundertmitte nur noch in his-
torischer Absicht. Erwähnungen wie «von Gottes Gnaden Fürst» blei-
ben zwar als formelhafte Wendungen erhalten. Die Lehre von der Staats-
502 Auch die Erbfolge war nach Walter Hamel, Deutsches Staatsrecht, Bd. II, S. 19,
«Gottes Wille».
503 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die verfassunggebende Gewalt, S. 12 f.
504 Edmund Bernatzik, Republik und Monarchie, S. 5 wendet ein, dass ein «juristisches
Kriterium» der göttlichen Gnade fehle, und es stehe nichts im Wege, dass sich auch
eine Republik auf die göttliche Gnade berufen könne, wie es ja auch zu geschehen
pflege, sodass er glaube, diese Ansicht, wonach der Monarch allein von Gottes Gna-
den berufen sei, übergehen zu können.
505 Hans Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 194.
506 Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 34.
507 Hans Boldt, Monarchie im 19. Jahrhundert, S. 207. In Anlehnung an Hasso Hof-
mann, Das Problem der cäsaristischen Legitimität, S. 88 ist daran zu erinnern, dass
die Erblegitimität zeitgenössisch gesehen im Gegensatz zur Volkssouveränität stand
und der Überzeugung entsprang, «dass Gott den — jeweils angestammten — Fürsten
die Souveränität als ihr erbliches, eigenes Recht gemacht habe».
139
Monarchischer Konstitutionalismus
souveränität entzog aber jedem Anklang an ein fürstliches Gottesgna-
dentum die rechtliche Grundlage.5% Die Souveränität lag beim Staat. Der
Fürst war ausführendes Organ. Er erscheint in dieser Konstruktion als
in den Staat und dessen Recht eingebunden, als Teil des Staates oder als
«Staatsorgan».5° Die Gottesgnadenformel galt nur noch als ein pietät-
voll zu wertendes Überbleibsel der monarchischen Tradition, als ein
dem Monarchen zustehendes Ehrenrecht. «Rechte am Thron» liessen
sich jedenfalls nach Auffassung der Staatsrechtslehre zu Beginn des 20.
Jahrhunderts aus der Gottesgnadenformel nicht mehr herleiten. Auch
soweit man den fürstlichen Familien ein vom Staat unabhängiges Recht
an der Krone zugestand, brachte man es in keinerlei kausalen Zusam-
menhang zur Gottesgnadenformel.5!! Die Thronbesteigung eines Fürs-
ten entspringt vielmehr seiner Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, das
die verfassungsmässige Herrschaft in einem Staat ausübt.
Die Gottesgnadenformel als Legitimationsbegründung entfaltet
eine «staunenswerte Beharrungskraft»,52? wenn man einen Blick auf die
Auseinandersetzungen um die Verfassung von 1921 wirft. So möchte
z.B. der Verfassungsentwurf des Prinzen Karl von Liechtenstein von
1920 das monarchische Prinzip fortschreiben, wenn er auf $ 2 der Kon-
stitutionellen Verfassung von 1862 rekurriert.>? Die Gottesgnadenfor-
mel ist auch nach der Revision von 2003 im Ingress der geltenden Ver-
fassung von 1921 erhalten geblieben,5!* obwohl sie als verfassungsrecht-
liche Legitimationsbegründung nicht mehr nachvollziehbar ist. Ihr liegt
die Vorstellung zugrunde, wonach der Landesfürst «die Staatsgewalt als
508 Henning Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 56; siehe auch Peter Gei-
ger, Geschichte, S. 109.
509 Hans Boldt, Monarchie im 19. Jahrhundert, S. 208; vgl. auch Pierre Raton, Liech-
tenstein, S. 44, der aus $ 123 KV 1862 folgert, dass der Fürst nicht über der Verfas-
sung stehe. Er sei gehalten, bevor er die Erbhuldigung entgegennehme, schriftlich zu
versprechen, dass er gemäss der Verfassung und den Gesetzen regieren werde. Die
Herrschaft des Gesetzes ersetze den Grundsatz der Monarchie von Gottes Gnaden.
510 Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 277, 526 ff.
511 Hermann Rehm, Modernes Fürstenrecht, 5. 7 ff.
512 Formulierung in Anlehnung an Werner Heun, Die Struktur des deutschen Konsti-
tutionalismus, S. 380.
513 Siehe dazu Herbert Wille, Regierung und Parteien, S. 92 ff. und 105 ff.
514 Vgl. zum Einfluss der katholischen (Landes-)Kirche Herbert Wille, Monarchie und
Demokratie als Kontroversfragen, 5. 166 ff.
140
Zentrale Verfassungsfragen
geheiligte Person oder kraft eines unmittelbaren göttlichen Auftrages
innehat».515 Das Gottesgnadentum war — wie ausgeführt — schon im
19. Jahrhundert nicht mehr Teil einer religiös-sakralen Weltordnung, die
aber Voraussetzung einer solchen religiösen Legitimationsbegründung
wäre.>16
515 Hasso Hofmann, Das Problem der cäsaristischen Legitimität, S. 90 f. Er meint: «Wo
immer derartige Vorstellungen im Selbstverständnis der Herrschenden noch kulti-
viert wurden und bei den Beherrschten ein gläubiges Echo fanden — und beides ist
wohl in grösserem Umfang der Fall gewesen, als man heute gemeinhin anzunehmen
geneigt ist —, da kann das doch nicht mehr einfach als Spiegelung der objektiv wirk-
samen Ordnungsprinzipien genommen werden.»
516 Vgl. Thomas Würtenberger, Die Legitimität staatlicher Herrschaft, S. 239.
141
2. KAPITEL
DER KONSTITUTIONELL-
MONARCHISCHE STAAT AUF
DEMOKRATISCHER UND
PARLAMENTARISCHER GRUNDLAGE
Einleitung
Es stellt sich die Frage, inwieweit im Gefolge des Übergangs zur konsti-
tutionellen Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer
Grundlage in der Verfassung von 1921 Strukturelemente des monar-
chischen Konstitutionalismus der Konstitutionellen Verfassung von
1862 erhalten geblieben sind bzw. inwieweit sich der Charakter des
liechtensteinischen Staatswesens verändert hat.
Mit Blick auf die im Rahmen der Verfassungsauseinandersetzungen
von oppositioneller Seite erhobene Forderung nach einer «demokrati-
schen» Monarchie oder nach einer «parlamentarischen» Monarchie bzw.
Regierung! ist der Frage nachzugehen, inwieweit es zu einer Demokra-
tisierung und Parlamentarisierung der Verfassungsordnung und zu einer
rechts- und verfassungsstaatlichen Ausgestaltung der konstitutionellen
Erbmonarchie gekommen ist.
1 Rupert Quaderer, Der historische Hintergrund der Verfassungsdiskussion,
$.125 ff.; Herbert Wille, Regierung und Parteien, S. 80 ff., 95 f., 99 ff.; ders., Land-
tag und Wahlrecht, S. 118 ff.; ders., Monarchie und Demokratie, S. 170 ff., 180 ff.
145
1. Abschnitt
Verfassungsrevision von 1921
$15 AUSGANGSLAGE
I. Änderung des Wahlrechts
Dem «im Zuge der Zeit liegenden demokratischen Geiste»? entspre-
chend drängen im Landtag die oppositionellen Kräfte? auf eine Demo-
kratisierung und Parlamentarisierung der Monarchie. Sie verlangen
einen Ausbau der Volksrechte und mehr Einfluss auf die Landespolitik.
Diesem Anliegen kam die Einführung des direkten Wahlrechts auf Lan-
des- und Gemeindeebene entgegen. Die Landtagswahlordnung trat am
21. Januar 1918 in Kraft.“ Sie ersetzt das VI. Hauptstück der Konstitu-
tionellen Verfassung von 1862. Auf die in den Oberrheinischen Nach-
richten im April und Mai 1917 geäusserte Kritik am Wahlmänner-Wahl-
system reagierte Landesverweser Leopold von Imhof® in der Landtags-
sitzung vom 30. Oktober 1917 mit der Anregung, die direkte und
geheime Wahl der Landtagsabgeordneten einzuführen. Die landesfürst-
liche Einwilligung hatte er vorsorglich eingeholt. Der Abgeordnete Wil-
helm Beck® anerkannte «dankend» in der Landtagssitzung vom
2 Formulierung von Albert Schädler, Landtag, JBL Bd. 21 (1921), S. 8; so auch Wil-
helm Beck in seiner Rede im Landtag vom 14. Oktober 1918; siehe dazu Herbert
Wille, Landtag und Wahlrecht, S. 119.
3 Vgl. O.N. Nr. 35 vom 19. Dezember 1914 (Beilage zu Nr. 35 der O.N.) und O.N.
Nr. 4 vom 26. Januar 1918 (Rede von Dr. Wilhelm Beck in der Landtagssitzung vom
27. Dezember 1917), auch zitiert bei Herbert Wille, Monarchie und Demokratie,
$. 179 Fn. 94.
4 LGBl. 1918 Nr. 4.
Zu seiner Person siehe Rupert Quaderer, in: Historisches Lexikon, Bd. 1, S. 385.
6 Zu seiner Person siehe Wolfgang Vogt, Wilhelm Beck, S. 17 ff. und Gerda Liepold-
Schneider, in: Historisches Lexikon, Bd. 1, 5. 82 f.
nm
146
Ausgangslage
27. Dezember 1917, dass der Anstoss zur Einführung des neuen Wahl-
rechts vom Landesfürsten ausgegangen ist.” In der Folge wurden politi-
sche Gruppierungen aktiv, die sich nach und nach zu Parteien formier-
ten, wie sich dies in den Volksabstimmungen vom 2. März 1919 über die
Erhöhung der Zahl der Volksabgeordneten und über die Herabsetzung
des Wahlalters manifestierte,® die neben dem Landtag zum Forum der
politischen Auseinandersetzung wurden. Waren sich Landesfürst und
Landtag einig, konnten auch Volksabstimmungen durchgeführt werden,
auch wenn die Konstitutionelle Verfassung von 1862 diese direktdemo-
kratische Einrichtung nicht kannte.
II. Landesverweserfrage
1. Vollzugsausschuss
Der Umstand, dass der Landtag am 7. November 1918 einen Vollzugs-
ausschuss? wählte,!®° den der Landesfürst, dem das alleinige Recht der
Regierungsernennung zustand,!! nicht genehmigte und an dessen Stelle
Prinz Karl von Liechtenstein!? mit der «Übernahme der Stelle des Lan-
desverwesers» betraute, rückte in der Verfassungsfrage zwangsläufig die
Institution der Regierung bzw. das Regierungssystem, das umstritten
war, in den Vordergrund. Es ist daher kein Zufall, dass diese Frage die
7 Herbert Wille, Monarchie und Demokratie, S. 179 Fn. 94; Rupert Quaderer-Vogt,
Bewegte Zeiten, Bd. 2, S. 31 f.; Helga Michalsky, Die Entstehung der liechtensteini-
schen Parteien, 5. 242 ff.
8 Herbert Wille, Regierung und Parteien, S. 61 ff.; Rupert Quaderer-Vogt, Bewegte
Zeiten, Bd. 2, S. 54 ff. und 172 ff.; Helga Michalsky, Die Entstehung der liechten-
steinischen Parteien, S. 225 ff.
9 Gerard Batliner, Parlament, S. 171 Fn. 312 bezeichnet diesen Vorgang als «revolu-
tionäres Zwischenspiel».
10 Herbert Wille, Regierung und Parteien, S. 80 ff.; ders., Monarchie und Demokratie,
S. 170 ff; Rupert Quaderer, Der historische Hintergrund der Verfassungsdiskus-
sion, S. 113 ff; Rupert Quaderer-Vogt, Der 7. November 1918, S. 189 ff.; ders., Das
Kriegsende 1918, S. 18 f.; ders., Bewegte Zeiten, Bd. 2, 5. 76 ff.
11 Die Wahl des Vollzugsausschusses stellt staatsrechtlich einen revolutionären Akt,
einen Rechtsbruch, dar, da sie in einer nicht der Verfassungsordnung entsprechen-
den Weise ($ 27 KV 1862) zustande gekommen ist.
12 Zu seiner Person siehe Harald Wanger, in: Historisches Lexikon, Bd. 1, S. 547 f.
147
Verfassungsrevision von 1921
Verfassungsauseinandersetzung beherrscht, geht es doch in diesem
Punkt um eine heikle Machtfrage zwischen Landesfürst und Volk bzw.
Landtag, die sich unter dem Motto «Liechtenstein den Liechtensteinern»
zugespitzt hatte, wenn man bedenkt, dass die bisherigen Landesverwe-
ser österreichischer Herkunft waren.!? Die Landesverweserfrage ist so
gesehen der paradigmatische Auslöser für eine grundlegende Umgestal-
tung des Regierungssystems.
2. Vorstoss im Landtag
Fürst und Landtag sind herausgefordert, den Weg zu einer Verfassungs-
änderung frei zu machen und sich in der Frage zu einigen, wie die Regie-
rung zu bestellen und abzuberufen ist.!* Das hiess für den Fürsten, zur
Parlamentarisierung der Regierung Position zu beziehen. Wilhelm Beck
hatte schon in der Landtagssitzung vom 14. Oktober 1918'5 erklärt, es
gehe ein «demokratischer Zug» durch die Welt, der auch vor den Schran-
ken Liechtensteins nicht Halt mache. Es habe bereits ein in diesem
Geiste gehaltenes, direktes und gleiches Wahlrecht erhalten, sodass als
«Krönung» nun auch eine «demokratische oder, wie es heute heisse, par-
lamentarische Regierung» dazu gehöre. Er verweist in diesem Zusam-
menhang auf das Beispiel von Deutschland, das sich «in Jüngster Zeit
unter den Erfahrungen des Krieges auf den Boden einer parlamentari-
schen Regierung gestellt» habe und nennt es ein «vorbildliches Land»,
dem man folgen dürfe. In der Landtagssitzung vom 24. Oktober 1918!%
stellen vier Abgeordnete der Volkspartei, unter ihnen auch Wilhelm
Beck, den Antrag auf «Einführung einer parlamentarischen (Volksmit-)
13 Siehe Ziffer 8 des Parteiprogramms der Christlich-sozialen Volkspartei in: O.N. Nr.
25 vom 27. März 1920, wo es unter dem Titel «Verfassungspolitik» heisst: «Die Re-
gierung hat aus Landesbürgern zu bestehen [...]>. Zitiert aus Herbert Wille, Regie-
rung und Parteien, S. 102.
14 Die Reformbedürftigkeit des Regierungssystems war unter den beiden Parteien
unbestritten. Vgl. Herbert Wille, Regierung und Parteien, S. 100.
15 LLA, Landtagsakt F 4/1918, zitiert aus Herbert Wille, Landtag und Wahlrecht,
S.119; vgl. auch ders., Regierung und Parteien, S. 102.
16 LLA, Landtagsakten 1918, L 3, zitiert aus Rupert Quaderer, Der historische Hin-
tergrund der Verfassungsdiskussion, S. 114; vgl. auch Rupert Quaderer-Vogt,
Bewegte Zeiten, Bd. 2, S. 73 f.; Herbert Wille, Regierung und Parteien, S. 100 f.
148
Gang der Entwicklung
Regierung», wonach die Bestellung der beiden Landräte (Regierungs-
räte) und ihre Stellvertreter nur im ausdrücklichen Einvernehmen mit
dem Landtage und aus Personen zu erfolgen hat, die dessen Vertrauen
geniessen. Sie haben von der Regierung zurückzutreten, wenn sie dieses
Vertrauen nicht mehr besitzen. Wilhelm Beck ist der Ansicht, dass zum
direkten Wahlrecht eine parlamentarische Regierung gehört.” Für ihn
und seine Volkspartei stand fest, dass sie sich nicht mehr von der Forde-
rung nach einer parlamentarischen Regierung abbringen lassen werden,
einem Standpunkt, «den auch das Volk in seiner grossen Mehrheit» teile.
$16 GANG DER ENTWICKLUNG
I. Verfassungskompromiss
1. Inhalt
Der Landtag beschliesst am 10. Dezember 1918 ein 9-Punkte-Pro-
gramm, auf das er sich mit Landesverweser Prinz Karl von Liechtenstein
geeinigt hatte.!® Der Landesfürst sanktioniert diesen Landtagsbeschluss,
sodass er verbindlich wurde. Er befasst sich vornehmlich mit der Frage
der Regierungsbestellung. Danach hat die Regierung aus einem vom
Landesfürsten im Einvernehmen mit dem Landtage zu ernennenden
Landesverweser und zwei durch den Landtag zu wählenden Regie-
rungsräten zu bestehen. Als Landesverweser soll in erster Linie ein
Liechtensteiner eingesetzt werden. Der Landtag ist berechtigt, beim
Landesfürsten die Enthebung des betreffenden Regierungsfunktionärs
zu beantragen, wenn ein Mitglied der Regierung durch die Amtsführung
das Vertrauen des Volkes und des Landtages verliert. Die Wahl des Land-
tages soll grundsätzlich in der bisherigen Art erfolgen, doch wird der
Regierung, soweit es um die drei vom Landesfürsten zu ernennenden
17 Rupert Quaderer, Der historische Hintergrund der Verfassungsdiskussion, S. 113.
Zum Antragsrecht der Abgeordneten siehe $ 41 KV 1862 und $$ 12 und 25 der Ge-
schäftsordnung für den Landtag von 1863.
18 Vgl. Rupert Quaderer, Der historische Hintergrund der Verfassungsdiskussion,
S.115 f., der den vollständigen Wortlaut des Landtagsbeschlusses wiedergibt; Her-
bert Wille, Regierung und Parteien, S. 103.
149
Verfassungsrevision von 1921
Abgeordneten geht, ein Vorschlagsrecht zugestanden, wozu es eines kol-
legialen Beschlusses bedarf. Die politischen und gerichtlichen Instanzen
sind mit Ausnahme des Obersten Gerichtshofes in das Land zu verlegen.
Dieser Landtagsbeschluss beinhaltet u. a. eine Änderung des Regie-
rungssystems und zugleich auch der Verfassung, wie das Beispiel der
darauf folgenden Regierungsbestellung zeigt. Der Landtag hat nämlich
Prinz Karl von Liechtenstein, nachdem er am 13. Dezember 1918 vom
Landesfürsten zum Landesverweser ernannt worden war, in der Land-
tagssitzung vom 17. Dezember 1918 das Vertrauen ausgesprochen und in
der gleichen Landtagssitzung die zwei Regierungsräte gewählt.!? Die
bisherige ausschliessliche Exekutivgewalt des Landesfürsten wird in
zweifacher Hinsicht eingeschränkt. Er ist bei der Ernennung des Lan-
desverwesers an die Zustimmung des Landtages gebunden.?° Die Regie-
rungsräte bestimmt der Landtag allein. Landtagspräsident Albert Schäd-
ler hielt denn auch fest, «erst jetzt, wo der Fürst das Prärogativ (Ernen-
nungsrecht) dem Landtag abgetreten hat, können wir rechtmässig
Regierungsräte wählen».?!
2. Auswirkungen
Damit war vorerst die Regierungskrise beseitigt, beendet war sie noch
nicht. Sie entzündete sich erneut, als es um die Nominierung von Josef
Peer? zum Landesverweser ging.? Die Weichen in Richtung «Parlamen-
19 Vgl. Rupert Quaderer, Der historische Hintergrund der Verfassungsdiskussion,
$.117; Herbert Wille, Regierung und Parteien, S. 85.
20 Dies betrifft sowohl die Person als auch die Landeszugehörigkeit des Landesver-
wesers.
21 Herbert Wille, Regierung und Parteien, S. 85. Bei den beiden (nebenamtlichen) Re-
gierungsräten handelte es sich um Franz Josef Marxer und Wilhelm Beck. Damit wa-
ren, wie Rupert Quaderer, Der historische Hintergrund der Verfassungsdiskussion,
S. 117 feststellt, «immerhin zwei Mitglieder des provisorischen Vollzugsausschusses
vom 7. November 1918 als Regierungsmitglieder bestätigt worden.» Zur Person von
Franz Josef Marxer siehe Donat Büchel, in: Historisches Lexikon, Bd. 2, 5. 587.
22 Zu seiner Person siehe Rupert Quaderer, in: Historisches Lexikon, Bd. 2, S. 696 f.
und Rupert Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2, S. 184 f.; siehe auch Friedrich
Wilhelm Kremzow, Rechtsanwälte, 5. 53 ff.
23 Siehe Herbert Wille, Regierung und Parteien, S. 85 ff.
150
Gang der Entwicklung
tarisierung» der Regierung sind gestellt. Der Landtag hat eine Mitspra-
che bei der Bestellung des Landesverwesers. Die Wahl der beiden Regie-
rungsräte ist seine Angelegenheit geworden. Sie gehört nicht mehr zum
exklusiven Machtbereich des Fürsten.
Der Fürst hat seine Reformbereitschaft unter Beweis gestellt. Sie
hängt allerdings mit der politischen Lage im Lande zusammen und ist zu
einem grossen Teil von ihr bestimmt, wie man dem Bericht der Fürstli-
chen Hofkanzlei vom 26. April 1919 an das Staatssekretariat des Äusse-
ren in Wien entnehmen kann. Dort heisst es: «Im Herbste 1918 trat als
unvermeidliche Folge der in Österreich-Ungarn und Deutschland
erfolgten politischen Umwälzungen auch im Fürstentum Liechtenstein
eine Strömung zu Tage, welche auf eine demokratischere Gestaltung der
Verfassung und mancher bestehender Einrichtungen gerichtet war. Seine
Durchlaucht, der regierende Fürst begegnete diesen Wünschen mit
«weitgehendstem Wohlwollen» und entsandte seinen Neffen, den Prin-
zen Karl von und zu Liechtenstein zwecks Einleitung entsprechender
Verhandlungen in das Fürstentum [...].»?*
Es scheint auch, dass Landesfürst und Landesverweser, in dessen
Vertretung Josef Ospelt,? sich bei der Frage der Nachfolge des Prinzen
Karl von Liechtenstein im Frühjahr 19202 nicht mehr an den sanktio-
nierten Landtagsbeschluss vom 10. Dezember 1918 gehalten haben,
wonach der Landesverweser vom Landesfürsten einvernehmlich mit
dem Landtag bestellt wird. Sie rückten nämlich von der vereinbarten
Verfassungsänderung ab und vertraten einen anderen Standpunkt, wenn
es in der Kundmachung der fürstlichen Regierung vom 30. April 192077
zur Protestresolution von Anton Walser, die dieser als Obmann der
Christlich-sozialen Volkspartei dem Landesfürsten unterbreitet hatte,
24 LLA, SF Präs. 1919/Zl. 17, zitiert aus Herbert Wille, Monarchie und Demokratie,
S$.172.
25 Zu seiner Person siehe Rupert Quaderer, in: Historisches Lexikon, Bd. 2, 5. 682 f.
26 Der Landesfürst hatte Dr. Josef Peer, Hofrat beim Verwaltungsgerichtshof in Wien,
ehemaliger Bürgermeister der Stadt Feldkirch, als Landesverweser vorgesehen. Zu
den Auseinandersetzungen in der sogenannten «Peerfrage» siehe Rupert Quaderer,
Der historische Hintergrund der Verfassungsdiskussion, S. 121 ff.; ders., Feldkirchs
Bürgermeister Josef Peer, S. 7 ff. (insbesondere S. 9 ff.) und Herbert Wille, Regie-
rung und Parteien, S. 86 ff.
27 O.N. Nr. 35 vom 1. Mai 1920.
151
Verfassungsrevision von 1921
heisst, «[...] dass sich dieselbe in der mitgeteilten Form mehrfach als
befremdend und inhaltlich als Versuch eines Eingriffes in das dem Lan-
desfürsten nach $ 27 der derzeit geltenden Verfassung zustehende Recht
der Ernennung der Staatsdiener erweist». Eine solche Haltung verkennt,
dass sich Fürst und Landtag bereits auf eine entsprechende Verfassungs-
änderung geeinigt hatten, sodass es in der Landesverweserfrage nicht
mehr darum gehen kann, ob man dem Fürsten sein «gutes verfassungs-
mässiges Recht», den Landesverweser zu ernennen, nehmen wolle oder
nicht.? Der Fürst hat schon von diesem alleinigen Recht Abstand
genommen und teilt es mit dem Landtag.
II. Verfassungsentwürfe
1. Verfassungsausschuss
Der Landtag setzte am 17. Dezember 1918 einen Verfassungsausschuss
ein, der sich allerdings über den Weg, den die Verfassungsrevision ein-
schlagen sollte, nicht einigen konnte? und untätig blieb. Umstritten war
das Ausmass der Verfassungsänderung, ob die bestehende Konstitutio-
nelle Verfassung von 1862 lediglich überarbeitet oder ob eine neue Ver-
fassung geschaffen werden sollte. Die Vorgehensweise bestimmte auch
den Inhalt, der im Landtagsbeschluss vom 10. Dezember 1918 nur zu
einem geringen Teil angesprochen worden war, da er lediglich die zu
jener Zeit drängenden Fragen, die politisch gelöst werden mussten,
berührte und keineswegs die Themenbreite einer Verfassung abdeckte.
Er stellte denn auch nicht mehr als einen Verfassungskompromiss dar.
Prinz Karl von Liechtenstein verfasste eine Novelle, worin «die wich-
tigsten Bestimmungen der Verfassung geändert werden sollten», wäh-
28 LVolksblatt vom 24. April 1920, zitiert aus Herbert Wille, Regierung und Parteien,
S. 87.
29 Albert Schädler, Landtag, JBL Bd. 21 (1921), S. 43, bemerkt, dass «die zum Aus-
bau unserer Verfassung vom Landtag gewählte Kommission [...] trotz wiederhol-
ten Bemühungen zu keinem gedeihlichen Ziele» habe gelangen können, «weil der
Führer der «Volkspartei (Wilhelm Beck) meist grundsätzlichen Widerstand» geleis-
tet habe.
152
Gang der Entwicklung
rend Wilhelm Beck mit seinem Entwurf, den er im Februar 1919
der Regierung übermittelt hatte, eine Totalrevision der Verfassung
anstrebte.?!
2. Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck
Nach diesem Verfassungsentwurf soll das Fürstentum Liechtenstein eine
souveräne demokratische Monarchie auf parlamentarischer Grundlage
bilden (Art. 1) und die Staatsgewalt auf dem Landesfürsten und dem
Volke beruhen (Art. 3). Formal fällt auf, dass der Verfassungsentwurf die
Rechte und Pflichten des Volkes im III. Hauptstück vor denjenigen des
Landesfürsten im IV. Hauptstück regelt.
Der Landesfürst ist das Staatsoberhaupt und übt sein Recht an der
Staatsgewalt gemäss der Verfassung aus (Art. 29). Er bleibt im Besitze
des Sanktionsrechts, das er im Lichte der Verfassung auszuüben hat. Es
bedarf zu seiner Gültigkeit der Gegenzeichnung eines Regierungsmit-
gliedes, «das dadurch die Verantwortung übernimmt» (Art. 31). Der
Landtag ist das verfassungsmässige Organ der Gesamtheit der Landes-
angehörigen, das die Interessen des Landes und des Volkes nach den
Bestimmungen der Verfassung wahrzunehmen hat (Art. 35). Der Verfas-
sungsentwurf schränkt das Notverordnungsrecht des Landesfürsten
wirksam ein, indem er «jede solche Massregel» der nachträglichen
Zustimmung des Landtages unterstellt. Wird sie verweigert, ist die
Anordnung aufzuheben (Art. 32 Abs. 2).
Der Verfassungsentwurf gesteht auch dem Volk neben dem Land-
tag und dem Landesfürsten ein Gesetzesinitiativrecht zu. So können 400
wahlfähige Bürger einen Gesetzesvorschlag in den Landtag einbringen,
den dieser in seiner nächsten Sitzung zu behandeln hat. Die näheren Vor-
schriften überlässt er dem Gesetzgeber (Art. 50).
Der Landammann wird auf Vorschlag des Landtages vom Landes-
fürsten ernannt. Alle Regierungsmitglieder sind aus Landesbürgern zu
bestellen (Art. 60). Es wird parlamentarisch regiert und es hat daher ein
30 Publiziert in O.N. Nr. 47 vom 12. Juni 1920 bis Nr. 52 vom 30. Juni 1920.
31 Herbert Wille, Regierung und Parteien, S. 92 f.; vgl. auch Rupert Quaderer, Der his-
torische Hintergrund der Verfassungsdiskussion, 5. 125 f.
153
Verfassungsrevision von 1921
Regierungsmitglied von seiner Stelle zurückzutreten, wenn es das Ver-
trauen der Volksvertretung nicht mehr besitzt (Art. 62).
Die gesamte Landesverwaltung hat sich «innert den Schranken der
Verfassung und Gesetze zu bewegen» (Art. 66). Als Rechtsmittelinstanz
in Verwaltungssachen fungiert die Verwaltungsbeschwerdeinstanz, die
ihren Sitz in Vaduz hat (Art. 70). Der Staatsgerichtshof beurteilt u. a.
staatsrechtliche Beschwerden über Verletzung verfassungsmässig garan-
tierter Rechte der Bürger, Gemeinden und Korporationen (Art. 79).
3. Verfassungsentwurf von Prinz Karl von Liechtenstein®
Der Verfassungsentwurf übernimmt textgleich zahlreiche Bestimmun-
gen der Konstitutionellen Verfassung von 1862. Der Landesfürst bleibt
alleiniger Träger der Staatsgewalt.?* Die Kernbestimmung lautet nach
wie vor: «Der Landesfürst ist Oberhaupt des Staates, vereinigt in sich
alle Rechte der Staatsgewalt und übt sie unter den in gegenwärtiger Ver-
fassungsurkunde festgesetzten Bestimmungen aus» ($ 2). Auch die
«Regierungsgewalt» liegt nach wie vor «in der Hand des Fürsten» ($ 30).
Es steht ihm wie bisher das Notverordnungs- und Sanktionsrecht zu,
das auch auf Verordnungen ausgedehnt wird ($$ 25 und 27 sowie 32). Es
bleibt damit das monarchische Prinzip gewahrt. Es sollte in dieser Hin-
sicht ein Kontinuitätsbruch vermieden und an der grundsätzlich unan-
tastbaren und «vor» der Verfassung liegenden monarchischen Staatsge-
walt festgehalten werden.
Die Regierung besteht aus dem Landesverweser als Vorsitzendem,
zwei Regierungsräten und zwei Stellvertretern. Der Landesverweser
wird vom Fürsten ernannt. Ist er Ausländer, ist das Einvernehmen des
Landtages erforderlich. Die zwei Regierungsräte und ihre zwei Stellver-
treter werden vom Landtage aus der Mitte der stimmberechtigten Bevöl-
kerung auf die Dauer einer Legislaturperiode gewählt, wobei auf die bei-
32 Vgl. zur Verfassungsreform und Verfassungsgerichtsbarkeit Herbert Wille, Nor-
menkontrolle, S. 36 ff.; ders., Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 18 ff.
33 Hier wird auf den zweiten Entwurf Bezug genommen, der die (ursprüngliche) Fas-
sung überarbeitet hat. Siehe dazu Rupert Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2,
$. 234 Fn. 744.
34 Vgl. Herbert Wille, Landtag und Wahlrecht, S. 123.
154
Gang der Entwicklung
den Landschaften Rücksicht zu nehmen ist. Ihre Wahl bedarf der Bestä-
tigung des Landesfürsten ($ 71). Der Verfassungsentwurf bezeichnet
denn auch die Regierung als «seine Regierung» ($ 33).
Dem Volk räumt der Verfassungsentwurf Rechte in Form des Refe-
rendums und der Initiative ein, die in konservativen Kreisen auf Skepsis
stossen.” Das Liechtensteiner Volksblatt kommentiert diese direkt-
demokratischen Einrichtungen zurückhaltend und meint: «Es sollte also
in die neue Verfassung das Referendum, der Volksbeschluss aufgenom-
men werden [...]. Es ist verständlich, dass das Referendum jeweils nur
mit Einwilligung des Landesfürsten erfolgen soll».2
Vorgesehen sind die Volksabstimmung bzw. das Referendum gegen
«alle Gesetze”, die nicht dringlicher Natur sind» ($ 32). Eine Volksab-
stimmung können auch der Landesfürst, seine Regierung und der Land-
tag «ergehen» lassen ($ 33). Das Initiativrecht bzw. das Recht des Volks-
begehrens «umfasst das Verlangen auf Erlass oder Aufhebung eines
Gesetzes oder auf Abänderung eines Gesetzes oder auf Abänderung ein-
zelner Teile der Verfassung oder der ganzen Verfassung». Solche Begeh-
ren können als einfache Anregung oder als ausgearbeiteter Entwurf
gestellt werden, wobei sie begründet werden müssen ($ 34).
Der Verfassungsentwurf konzediert in $ 40 dem Landtag bzw. zwei
Dritteln seiner Mitglieder, neben dem Landesfürsten einen «ausseror-
dentlichen Landtag» einzuberufen, wenn sie es «zur Erledigung drin-
gender Landesangelegenheiten» für nötig halten, nachdem sich der
«ordentliche Landtag» nur «zweimal im Jahre und zwar im Frühling und
im Herbste» versammelt ($ 39).
35 $$31 bis 35 des IV. Hauptstückes: Rechte des gesamten Volkes. Siehe Herbert Wille,
Regierung und Parteien, S. 106 Fn. 193; siehe auch Rupert Quaderer-Vogt, Bewegte
Zeiten, Bd. 2, S. 234 und 236.
36 LVolksblatt Nr. 77 vom 27. September 1919, zitiert aus Herbert Wille, Regierung
und Parteien, S. 106. Das Liechtensteiner Volksblatt meint mit diesem Hinweis die
Sanktion des Landesfürsten. Es heisst denn auch in $ 32 des Verfassungsentwurfs im
Zusammenhang mit dem Referendumsrecht, dass «die Sanktion des Landesfürsten,
welche zur Giltigkeit aller Gesetze und Verordnungen vorgesehen ist, in diesen Fäl-
len erst nach Ablauf dieser Frist (21 Tage) von der Regierung einzuholen» ist.
37 Wenn man $ 27, der die Sanktion für die Gültigkeit eines Gesetzes voraussetzt, in
Verbindung zu $ 32 bringt, kann es sich bei dem hier verwendeten Begriff des Geset-
zes nur um einen Beschluss des Landtages handeln, da ja die Sanktion des Landes-
fürsten erst nach Ablauf der Referendumsfrist von der Regierung einzuholen ist.
155
Verfassungsrevision von 1921
4. Staatsrechtliche Bewertung
Die beiden Verfassungsvorschläge gehen von unterschiedlichen Verfas-
sungsvorstellungen aus und verfolgen ungleiche Ziele, die beim politi-
schen Gegner auf Ablehnung stossen.® Der Entwurf von Wilhelm Beck
postuliert eine «demokratische Monarchie auf parlamentarischer
Grundlage», wobei die Staatsgewalt zwischen Fürst und Volk geteilt
wird. Er stellt eine Totalrevision? bzw. Weiterentwicklung des konstitu-
tionellen Systems der Verfassung von 1862 dar, indem er vom monar-
chischen Konstitutionalismus abrückt und zur parlamentarischen
Monarchie übergeht. Diese Aussage muss allerdings relativiert werden,
soweit er ein einvernehmliches Vorgehen zwischen Fürst und Landtag
bei der Bestellung des Landammannes festlegt und in diesem Rahmen
dem monarchischen Konstitutionalismus verhaftet bleibt, nicht aber was
seine Entlassung sowie die Wahl und die Entlassung der anderen Regie-
rungsmitglieder betrifft, für die ausschliesslich der Landtag zuständig ist.
Was die Entlassung der Regierung und damit auch des Landammannes
angeht, ist sie insgesamt nur vom Vertrauen des Landtages abhängig. Die
Teilung der Staatsgewalt zwischen Fürst und Volk erinnert an $ 34 des
Verfassungsentwurfs des ständischen Verfassungsrates vom 1. Oktober
1848. Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 weist den Fürsten als
alleinigen Inhaber der Staatsgewalt aus und hält so gesehen am monar-
chischen Prinzip fest, auch wenn es zur Fiktion geworden ist” und in
der Verfassungsrealität nicht mehr voll zum Tragen kommt.
Auffallend ist auch, dass sich der Verfassungsentwurf rechts- und
verfassungsstaatlichen Forderungen verpflichtet weiss und infolgedessen
grossen Wert auf rechtsstaatliche Einrichtungen legt, wie sie insbeson-
dere in der Verwaltungsbeschwerdeinstanz ($ 70) und im Staatsgerichts-
hof ($ 79) zu sehen sind.
Der Verfassungsentwurf von Prinz Karl von Liechtenstein beharrt
grundsätzlich auf dem bisherigen Verfassungstyp des monarchischen
38 Vgl. Herbert Wille, Regierung und Parteien, S. 106 f.
39 So auch die Auffassung von Prinz Eduard von Liechtenstein; siehe Rupert Quade-
rer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2, S. 248.
40 Vgl. auch Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, S. 3.
156
Gang der Entwicklung
Konstitutionalismus, der dem Fürsten eine Sonderstellung gegenüber
dem Volk bzw. dem Landtag einräumt. Die Konstitutionelle Verfassung
von 1862 soll nur punktuell geändert bzw. teilrevidiert werden, bei-
spielsweise demokratische Elemente, wie direktdemokratische Ein-
richtungen, aufnehmen, die er aber ausdrücklich unter den Vorbehalt
des fürstlichen Sanktionsrechts stellt. Der Landesfürst und seine Regie-
rung sowie der Landtag selber sollen auch berechtigt sein, eine Volksab-
stimmung gegen einen Gesetzesbeschluss des Landtages anordnen zu
können.
Der Verfassungsentwurf befürwortet eine «starke Monarchie». Das
Volk soll zwar mehr Rechte erhalten.“ Es geht ihm aber nicht um eine
Teilung der Staatsgewalt. Er konzediert dem Landesfürsten neben dem
Sanktionsrecht auch das Recht, einen Landtagsbeschluss einer Volksab-
stimmung unterstellen zu können.
Aus dieser Gegenüberstellung folgt, dass der Verfassungsentwurf
von Wilhelm Beck grundsätzlich ein parlamentarisches Regierungssys-
tem anstrebt und eine Totalrevision voraussetzt, währendem der Ver-
fassungsentwurf von Prinz Karl von Liechtenstein den bisherigen
monarchischen Konstitutionalismus fortschreibt und sich aus materiel-
ler Sicht lediglich auf eine Partialrevision beschränkt.
II. Schlossabmachungen
1. Verhandlungsteilnehmer und «Entschliessung» des Fürsten
Die Schlossabmachungen vom 11. und 13. September 1920 beauftragen
die Regierung «dem Landtag ehestens eine Verfassungsrevisionsvorlage
zur Schlussfassung vorzulegen». Sie sind zwischen Vertretern der
Christlich-sozialen Volkspartei und Vertretern des Fürsten ausgehandelt
worden und vom Fürsten als «Entschliessung» ergangen. Sie enthalten in
41 Rupert Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2, S. 237 bezeichnet die Zugeständnisse
an direktdemokratischen Rechten als einen «Versuch, einen Kompromiss zu den
Forderungen der Volkspartei einzugehen.» Dieser Verfassungsentwurf wurde in der
Folge nicht mehr aufgegriffen (S. 237 f.).
42 Zum Bedeutungsgehalt des Begriffs siehe hinten S. 194 ff.
157
Verfassungsrevision von 1921
zehn Punkten die «zukünftigen Richtlinien der neuen Verfassung»* und
stellen einen Kompromiss zwischen dem Landtagsbeschluss vom
10. Dezember 1918 und den Forderungen der Christlich-sozialen Volks-
partei dar, wie sie insbesondere im Verfassungsentwurf von Wilhelm
Beck formuliert worden sind.
2. Inhalt
a) Monarchie und Staatsgewalt
Das Fürstentum ist eine konstitutionelle Monarchie auf demokratischer
und parlamentarischer Grundlage: Die Staatsgewalt ist im Fürsten und
ım Volk verankert und wird von beiden nach Massgabe der Bestimmun-
gen der Verfassung ausgeübt (Ziffer 1).
b) Regierung
Die dem Fürsten und dem Landtag verantwortliche Kollegialregierung
besteht aus dem Landammann als Vorsitzendem und zwei Regierungs-
räten mit ebenso vielen Stellvertretern. Der Landammann und sein Stell-
vertreter werden vom Fürsten einvernehmlich mit dem Landtage über
dessen Vorschlag ernannt. Die Regierungsräte und ihre Stellvertreter
werden vom Landtage unter Berücksichtigung beider Landschaften
gewählt. Wenn ein Mitglied der Regierung durch seine Amtsführung das
Vertrauen des Volkes und des Landtages verliert, so ist der Landtag
berechtigt, beim Landesfürsten die Enthebung des betreffenden Regie-
rungsfunktionärs zu beantragen (Ziffer 3).
c) Staatsverwaltung, Verwaltungsrechtspflege
und Staatsgerichtshof
Die gesamte Staatsverwaltung ist nach den Grundsätzen des Rechtsstaa-
tes unter Einführung eines Verwaltungspflegeverfahrens und Wahrung
43 O.N. Nr. 81 vom 9. Oktober 1920, zitiert aus Herbert Wille, Regierung und Par-
teien, S. 109; vgl. auch Rupert Quaderer, Der historische Hintergrund der Verfas-
sungsdiskussion, S. 127 ff. und Rupert Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2, 5. 256
ff. Die Schlossabmachungen sind auch in: Die Schlossabmachungen vom September
1920, hrsg. von der Vaterländischen Union, Vaduz 1996, 5. 187 ff. abgedruckt.
158
Gang der Entwicklung
des Instanzenzuges zu ordnen. Im Wege eines besonderen Gesetzes ist
ein Staatsgerichtshof als Gerichtshof des öffentlichen Rechts zum Schutz
der staatsbürgerlichen Rechte, zur Entscheidung von Kompetenzkon-
flikten und als Disziplinargerichtshof für öffentliche Angestellte zu
errichten. Zur Kompetenz des Staatsgerichtshofes gehören weiters: Prü-
fung der Verfassungsmässigkeit von Gesetzen, Entscheidungen über
Klagen auf Haftung des Staates für Verschulden seiner Beamten und
über Klage des Landtages auf Entlassung von Regierungsmitgliedern
oder von nicht richterlichen Beamten wegen behaupteter Pflichtverlet-
zung (Ziffer 4).
d) Landtag
Der Landtag hat zukünftig nur mehr aus den vom Volk gewählten Abge-
ordneten zu bestehen. Die Institution der drei vom Fürsten ernannten
Abgeordneten, wie sie der Landtagsbeschluss vom 10. Dezember 1918
fortführte, wird aufgegeben. Der Landtag ist je nach Bedarf, jedenfalls
aber über begründetes schriftliches Verlangen von wenigstens 300 wahl-
berechtigten Landesbürgern oder über Gemeindeversammlungsbe-
schlüsse von mindestens drei Gemeinden einzuberufen. Wird die Land-
tagswahlordnung geändert, ist das Proportionalwahlrecht einzuführen
und die Zahl der Abgeordneten im Verhältnis zur Bevölkerungszahl
festzulegen (Ziffer 6).
e) Grund- und Volksrechte
Die Grundrechte sind in der Verfassung «eingehendst» und in vollkom-
men zeitgemässer Weise festzulegen. Das Recht des Referendums und
der Initiative ist mit Fixierung der Stimmenzahl einzuführen und zu
regeln. Verfassungsreferendum und -initiative erfordern wenigstens 500
wahlberechtigte Stimmen oder Gemeindeversammlungsbeschlüsse von
mindestens vier Gemeinden: In allen übrigen Fällen genügt die in Zif-
fer 6 fixierte Untergrenze (Ziffer 7).
3. Verständigung und Reaktion der Fortschrittlichen
Bürgerpartei
Der Fürst liess sich in die Pflicht nehmen. Er verständigte sich nach
zähen Verhandlungen mit der Christlich-sozialen Volkspartei auf dieses
159
Verfassungsrevision von 1921
Grundlagenpapier,* nach dem der «Leiter der Regierungsgeschäfte»*,
Josef Peer, die Regierungsvorlage ausarbeiten sollte.
Die Fortschrittliche Bürgerpartei, die an den Beratungen nicht
beteiligt war, erachtete diese Abmachungen zwischen Fürst und Vertre-
tern der Volkspartei für sich nicht als bindend und kündigte an, im
Landtag Korrekturen zu beantragen. Aus diesem Grund habe der Land-
tag, so meinte Landtagspräsident Friedrich Walser*, freie Hand, strittige
Artikel durch Mehrheitsbeschluss abzuändern, auch wenn der Fürst
bereits seine Vorsanktion erteilt habe.“
4. Ergebnis
a) Konstitutionelle Monarchie
Aus der «demokratischen» Monarchie auf «parlamentarischer Grund-
lage», wie es der Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck vorschlägt, wird
eine «konstitutionelle» Monarchie. Damit wird bewusst an den monar-
chischen Konstitutionalismus der Verfassung von 1862 angeknüpft. Man
bleibt zwar in deren Tradition, weicht aber von ihr ab. Der monar-
chische Konstitutionalismus wird abgeschwächt und auf eine demokra-
tische und parlamentarische Grundlage gestellt. Die Rechte des Volkes
und Landtages werden ausgebaut. Man bezieht sie stärker als bisher in
das konstitutionelle Verfassungssystem ein und verzichtet auf das
Ernennungsrecht von Abgeordneten durch den Fürsten.*®
44 Es handelt sich bei dem ausgehandelten Kompromiss wohl um mehr als nur um
Zugeständnisse «aus Pietät», die die Volkspartei den Vertretern des Fürsten gegen-
über machen musste. Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staats-
organe, S. 3 bezieht sich auf Wilhelm Beck, der sich dahingehend geäussert habe, die
«Idee der Volkssouveränität» habe «hier und dort aus Pietät einen Compromiss»
schliessen müssen.
45 Vgl. die Kundmachung und Rupert Quaderer, Der historische Hintergrund der Ver-
fassungsdiskussion, S. 130 f.
46 Zu seiner Person siehe Donat Büchel, in: Historisches Lexikon, Bd. 2, S. 1039.
47 Rupert Quaderer, Der historische Hintergrund der Verfassungsdiskussion, S. 133
und Rupert Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2, S. 267.
48 Der Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck von 1919 sah in Art. 36 noch vor, dass
drei Mitglieder des Landtages «auf Vorschlag des Regierungskollegiums aus der
wahlfähigen Bevölkerung des Fürstentums unter Berücksichtigung der beiden
Landschaften und der Minderheiten vom Landesfürsten ernannt» werden. Zitiert
nach O.N. Nr. 49 vom 19. Juni 1920.
160
Gang der Entwicklung
Die Staatsgewalt zwischen Fürst und Volk wird geteilt, wobei für sie als
Entscheidungsträger die Verfassung bestimmend ist, die ihre Zuständig-
keit festlegt und begrenzt, heisst es doch, die Staatsgewalt werde von bei-
den nach Massgabe der Bestimmungen der Verfassung ausgeübt. Inso-
weit es um die Teilung der Staatsgewalt geht, stimmen die Schlossabma-
chungen mit dem Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck überein.
Soweit es um die Kennzeichnung der Monarchie als Staats- und Regie-
rungsform geht, unterscheiden sie sich, wie dies an der staatsrechtlichen
Stellung des Landesfürsten und Volkes bzw. Landtages deutlich wird.
Die Schlossabmachungen bleiben grundsätzlich beim bisherigen
System des monarchischen Konstitutionalismus bzw. der konstitutionel-
len Monarchie mit Vorrang des Fürsten, während der Verfassungsent-
wurf von Wilhelm Beck eine demokratische oder parlamentarische
Monarchie mit Vorrang des Volkes bzw. des Landtages postuliert, wie
dies insbesondere bei der Organisation der Regierung zum Ausdruck
kommt. Sie stimmen aber darin überein, dass das monarchische Prinzip
aufgegeben und damit die Zuständigkeitsvermutung zugunsten des
Fürsten im Konfliktfalle fallen gelassen wird.
b) Eine der konstitutionellen Monarchie angepasste Regierungsform
Gegenüber dem Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck fällt auf, dass die
Schlossabmachungen gewichtige Abstriche an der Forderung nach einer
parlamentarischen Regierung vornehmen. Sie halten sich an den Land-
tagsbeschluss vom 10. Dezember 1918* und setzen ihn um. Der Verfas-
sungsentwurf von Prinz Karl von Liechtenstein war nicht Gegenstand
der Beratung und spielte in der Verfassungsdiskussion keine Rolle.
Nach dem Vorschlag von Wilhelm Beck lag die Entlassung der
Regierungsmitglieder noch ganz in der Kompetenz des Landtages, nicht
aber die Bestellung des Landammanns, der auf Vorschlag des Landtages
vom Landesfürsten ernannt werden sollte. Insoweit waren Landesfürst
und Landtag am Verfahren beteiligt, sodass eine parlamentarische Aus-
gestaltung der Regierung bei der Bestellung des Landammanns® nicht
49 Siehe Ziffern 1 und 3.
50 Die übrigen zwei Regierungsräte und ihre Stellvertreter wählt nach Art. 60 Abs. 3
des Verfassungsentwurfs von Wilhelm Beck ausschliesslich der Landtag aus der
wahlfähigen Bevölkerung des Fürstentums. Publiziert in: O.N. Nr. 50 vom 23. Juni
161
Verfassungsrevision von 1921
voll verwirklicht ist, wenn man mit Martin Kirsch>! davon ausgeht, dass
erst dann von einem parlamentarischen Regierungssystem gesprochen
werden kann, wenn der Landtag allein über die Regierung bestimmt. Die
Regierungsmitglieder sollten hingegen ausschliesslich vom Vertrauen
des Landtages abhängig sein. Verlieren sie sein Vertrauen, haben sie von
ihrer Stelle zurückzutreten.
Eine vergleichbare Regelung ist bei den Schlossabmachungen nicht
vorgesehen, die in dieser Hinsicht nicht vom Landtagsbeschluss vom
10. Dezember 1918 abrücken, dem der Landesfürst seine «Vorsanktion»
erteilt hatte. Er war bereit, seine Alleinzuständigkeit aufzugeben und
den Landtag in das Regierungssystem einzubinden, nicht aber in einer
Art und Weise, die den monarchischen Konstitutionalismus infrage stel-
len würde. Die Exekutivgewalt sollte in diesem Sinn zwischen Fürst und
Landtag geteilt werden, wie es bisher im Legislativbereich auch der Fall
gewesen ist. Es handelt sich um das dualistische Entscheidungsmuster
mit Vorrang des Fürsten,” das hier übernommen werden sollte. Konnte
der Landtag nach dem Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck den
Regierungsmitgliedern noch allein das Vertrauen entziehen, sodass sie
von ihrer Stelle zurückzutreten hatten, räumen ihm die Schlossabma-
chungen nur mehr ein Antragsrecht ein. Danach kann der Landtag beim
Landesfürsten die Enthebung eines Regierungsmitgliedes vom Amte
beantragen, wenn es wegen seiner Amtsführung das Vertrauen des Vol-
kes und des Landtages verliert. Die Ernennung und Entlassung der
Regierungsmitglieder soll allein dem Landesfürsten zustehen, wie dies
schon bisher der Fall gewesen ist.
1920. So auch Ziffer 1 des vom Fürsten sanktionierten Landtagsbeschlusses vom
10. Dezember 1918.
51 Vgl. Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 172 f., der aus-
führt, dass erst bei einer alleinigen Bestimmung der Regierung durch das Parlament
von einem parlamentarischen System gesprochen werden sollte. Anderer Ansicht ist
offensichtlich Art. 62 i. V. m. Art. 60 des Verfassungsentwurfs von Wilhelm Beck.
Zum unterschiedlichen Verständnis dieses Begriffs in den Landeszeitungen siehe
Herbert Wille, Landtag und Wahlrecht, S. 128 ff.
52 In diesem Sinne auch Hans Nawiasky, Rechtsgutachten, S. 21, wenn er mit Bezug
auf das Antragsrecht des Landtages vermerkt: «Das war also ein den bekannten
Mustern der parlamentarischen Regierung möglichst weitgehend nachgebildetes
System; nur ist die Stellung des Landesfürsten stärker gewahrt, besonders durch die
Einschaltung seiner Bestimmung bei der Entlassung der Regierung.»
162
Gang der Entwicklung
Der Landtag soll aber bei der Bestellung und Entlassung der Regie-
rungsmitglieder ein Mitspracherecht erhalten.
Im Ergebnis wiederholen die Schlossabmachungen in dieser Bezie-
hung den Landtagsbeschluss vom 10. Dezember 1918, sodass es nicht zu
einer formell-rechtlichen Ausformung des parlamentarischen Systems
gekommen ist.
c) Verfassungsgerichtsbarkeit
Der Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck kannte in Art. 79 zwar die
Verfassungsbeschwerde, die sogenannte «staatsrechtliche Beschwerde»,
mit der eine Verletzung verfassungsmässig garantierter Rechte beim
Staatsgerichtshof geltend gemacht werden konnte, statuierte aber noch
nicht ein richterliches Prüfungsrecht von Gesetzen, wie dies die Schloss-
abmachungen in Ziffer 4 festlegen.
Man verständigte sich auf eine Verfassungsgerichtsbarkeit, der sich
bisher der monarchische Konstitutionalismus der Verfassung von 1862
verschloss und anerkannte damit den Vorrang der Verfassung vor dem
Gesetz. Dementsprechend erfolgen Verfassungsänderungen in einem
gegenüber Gesetzen herausgehobenen, besonderen Verfassungsände-
rungsverfahren.
IV. Regierungsvorlage
1. Umsetzung der Schlossabmachungen
Josef Peer, der vom Fürsten als «Leiter der Regierung» mit der Ausar-
beitung einer neuen Verfassung betraut wurde, hält sich an die Vorgaben
der Schlossabmachungen®* und gestaltet dementsprechend die Regie-
rungsvorlage aus. Er bleibt allerdings, was den Landtag und die Regie-
rung betrifft, insoweit der Tradition der Konstitutionellen Verfassung
53 Vgl. Art. 104 und 111 LV 1921.
54 Vgl. seine Äusserungen im Schreiben vom 7. Dezember 1920 an Kabinettsrat Josef
Martin, LLA, Präsidialakt 1920 Z. 211, zitiert aus Herbert Wille, Landtag und Wahl-
recht, S. 124; siehe auch Rupert Quaderer, Feldkirchs Bürgermeister Josef Peer,
S.12 ff.
163
Verfassungsrevision von 1921
von 1862 verhaftet, als er die Wahl des Präsidenten des Landtages und
seines Stellvertreters und die Wahl der beiden Regierungsräte und ihrer
Stellvertreter der «landesherrlichen Bestätigung» ($ 52) bzw. der Bestä-
tigung durch den Landesfürsten vorbehält ($ 79 Abs. 2 RV). Er setzt
aber auch neue Akzente, wie dies das Beispiel des Staatsgerichtshofes
veranschaulicht. Er sieht in ihm einen Konfliktlösungsmechanismus für
den Fall von Verfassungsstreitigkeiten.”
a) Staatsform und Staatsgewalt
Danach ist das Fürstentum eine konstitutionelle Erbmonarchie auf
demokratischer und parlamentarischer Grundlage; die Staatsgewalt ist
ım Fürsten und im Volke verankert und wird von beiden nach Massgabe
der Bestimmungen dieser Verfassung ausgeübt ($ 2).
b) Landesfürst
Der Landesfürst ist das Oberhaupt des Staates und übt sein Recht an der
Staatsgewalt in Gemässheit der Bestimmungen dieser Verfassung und
der übrigen Gesetze aus ($ 7). Jedes Gesetz bedarf zur Gültigkeit der
Sanktion durch den Landesfürsten ($ 9). Es steht ihm «in dringenden
Fällen» ein Notverordnungsrecht zu ($ 10). Er hat das Recht, den Land-
tag einzuberufen, zu vertagen, zu schliessen und aufzulösen ($ 48). Die
Wahl des Präsidenten des Landtages und seines Stellvertreters wie auch
die Wahl der beiden Regierungsräte und ihrer Stellvertreter benötigen
die Bestätigung durch den Landesfürsten ($ 52 bzw. $ 79 Abs. 2).
55 Josef Peer erklärte in diesem Zusammenhang, dass er neben den im September ver-
einbarten Richtlinien auch an «bewährten bestehenden Einrichtungen und Bestim-
mungen» festgehalten habe. Siehe Rupert Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2,
$. 275.
56 Solche Einschränkungen des Wahlrechts des Landtages kannten die Schlossabma-
chungen nicht. In Bezug auf die beiden Regierungsräte und ihrer Stellvertreter fin-
det sich in $ 71 Abs. 4 des Verfassungsentwurfs von Prinz Karl von Liechtenstein
eine gleiche Vorschrift. Ihre Wahl durch den Landtag bedurfte der Bestätigung des
Landesfürsten. Josef Peer begründete diese Bestätigung damit, «dass die Minister <in
allen parlamentarisch regierten Staaten [...] vom Staatsoberhaupt bestätigt? wür-
den». Siehe Rupert Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2, S. 271. Zur Haltung der
Verfassungskommission in dieser Frage siehe hinten S. 168 f.
57 Vel. auch hinten S. 224 f.
58 Vgl. die zum Teil kritischen Anmerkungen von Otto Ludwig Marxer, Die Organi-
sation der obersten Staatsorgane, 5. 91 ff.
164
Gang der Entwicklung
c) Landtag
Der Landtag ist das gesetzmässige Organ der Gesamtheit der Landesan-
gehörigen und als solches berufen, nach den Bestimmungen dieser Ver-
fassung die Rechte und Interessen des Volkes im Verhältnis zur Regie-
rung wahrzunehmen und geltend zu machen und das Wohl des fürstli-
chen Hauses und des Landes mit treuer Anhänglichkeit an die in dieser
Verfassung niedergelegten Grundsätze möglichst zu fördern ($ 45). Zu
seinem Wirkungskreis gehört u. a. die verfassungsmässige «Mitwirkung
an der Gesetzgebung» ($ 62). Ihm steht das Recht der Kontrolle über die
gesamte Staatsverwaltung zu ($ 63).
d) Volksrechte
da) Initiativrecht
Das Recht der Initiative in der Gesetzgebung, d. h. zur Einbringung von
Gesetzesvorschlägen, steht «in der Form von Regierungsvorlagen» dem
Landesfürsten,® dem Landtag und den wahlberechtigten Landesbürgern
zu, wobei wenigstens 300 wahlberechtigte Landesbürger oder wenigs-
tens drei Gemeinden in Form übereinstimmender Gemeindeversamm-
lungsbeschlüsse unter Vorlage eines ausgearbeiteten Gesetzesentwurfes
das Begehren um Erlassung, Abänderung oder Aufhebung eines Geset-
zes stellen können. Ein die Verfassung betreffendes Initiativbegehren
kann nur von wenigstens 500 wahlberechtigten Landesbürgern oder
wenigstens vier Gemeinden gestellt werden ($ 64).
db) Referendumsrecht
Jedes vom Landtag beschlossene, von ihm nicht als dringlich erklärte
Gesetz unterliegt der Volksabstimmung, wenn innerhalb 30 Tagen nach
amtlicher Verlautbarung des Landtagsbeschlusses wenigstens 300 wahl-
berechtigte Landesbürger oder wenigstens drei Gemeinden in der ın $ 64
vorgesehenen Weise ein darauf gerichtetes Begehren stellen. Handelt es
59 Diese Formulierung lehnt sich an $ 39 KV 1862 an und unterscheidet sich von Art.
35 des Verfassungsentwurfs von Wilhelm Beck darin, dass der Landtag als Reprä-
sentant des Volkes dessen Interessen und diejenigen des Landes wahrzunehmen und
nicht auch die Förderung des Wohls des fürstlichen Hauses zur Aufgabe hat. Siehe
auch hinten S. 716 zu Art. 45 Abs. 1 LV 1921.
60 Zum Verordnungsrecht der Regierung siehe $ 92.
165
Verfassungsrevision von 1921
sich um die Verfassung im Ganzen oder um Teile derselben, so ist hiezu
das Verlangen von wenigstens 500 wahlberechtigten Landesbürgern
oder von wenigstens vier Gemeinden erforderlich ($ 66).
e) Regierung
Die Regierung besteht aus dem Landammann und zwei Regierungsräten
und ebenso vielen Stellvertretern für den Verhinderungsfall. Der Land-
ammann und sein Stellvertreter werden vom Landesfürsten einvernehm-
lich mit dem Landtag über dessen Vorschlag aus der wahlfähigen Bevöl-
kerung des Fürstentums ernannt. Beide müssen gebürtige Liechtenstei-
ner sein. Die beiden Regierungsräte und ihre Stellvertreter werden vom
Landtag aus der wahlfähigen Bevölkerung des Fürstentums unter gleich-
mässiger Berücksichtigung beider Landschaften gewählt; ihre Wahl
unterliegt der Bestätigung durch den Landesfürsten. Die regelmässige
Amtsdauer der Regierung fällt mit jener des Landtages zusammen. Bis
zur Bestellung einer neuen Regierung hat die bisherige die Geschäfte
verantwortlich weiterzuführen ($ 79). Wenn ein Mitglied der Regierung
durch seine Amtsführung das Vertrauen des Volkes und des Landtages
verliert, so kann der Landtag, unbeschadet seines Rechtes auf Erhebung
der Klage vor dem Staatsgerichtshofe, beim Landesfürsten die Enthe-
bung des betreffenden Funktionärs beantragen ($ 80).
2. Massgebliche Ergänzungen
a) Einberufung des Landtages
Zu den Volksrechten zählt neben dem Initiativ- und Referendumsrecht
auch das Einberufungsrecht des Landtages. In Anlehnung an den Ver-
fassungsentwurf von Wilhelm Beck*! räumt Josef Peer in $ 48 Abs. 2 die-
ses Recht 300 stimmberechtigten Landesbürgern oder drei Gemeinden
ein, die entsprechende Gemeindeversammlungsbeschlüsse fassen, wobei
das schriftliche Verlangen auf Einberufung des Landtages im Unter-
schied zum Einberufungsrecht des Landesfürsten zu begründen ist.
61 Siehe Art. 38 Abs. 2, publiziert in: O.N. Nr. 49 vom 19. Juni 1920.
166
Gang der Entwicklung
b) Staatsgerichtshof und Normenkontrolle
Josef Peer dehnt den Bereich der Normenkontrolle in der Weise aus,
dass sie nicht nur die Prüfung der Verfassungsmässigkeit der Gesetze,
sondern auch die Prüfung der Gesetzmässigkeit der Regierungsverord-
nungen umfasst. Er sieht in Anlehnung an $ 122 der Konstitutionellen
Verfassung von 1862 vor, dass der Staatsgerichtshof über die Auslegung
von Verfassungszweifeln entscheidet, wenn sie nicht durch Überein-
kunft zwischen der «Regierung (Fürst) und Landtag», den «gesetzge-
benden Faktoren», beseitigt werden können.“ Es ist anzunehmen, dass
Josef Peer, der mit dem konstitutionell-monarchischen Staatsrecht ver-
traut war, um die Anfälligkeit und Brüchigkeit dieses dualistischen Ver-
fassungssystems wusste, sodass er die Streitigkeiten über Auslegungsfra-
gen der Verfassung, die die Kompetenzen und Befugnisse der Gesetzge-
bungsorgane berühren können, verfassungsgerichtlich regeln wollte.®
V. Verfassungskommission des Landtages
Die Verfassungskommission, die mehrheitlich aus Vertretern der Fort-
schrittlichen Bürgerpartei zusammengesetzt war, ging grundsätzlich mit
der Regierungsvorlage einig.“ Sie befürchtete aber, die Regierung, insbe-
sondere der Regierungschef, könnte unter das «Diktat» des Landtages
bzw. der Parteien geraten. Die konservativen Kräfte aus dem Umkreis
der Bürgerpartei begegneten nämlich der Parteibildung mit Skepsis und
Argwohn. Sie sahen in den Parteien eine Gefahr für die politische Einig-
keit, die sie für das kleine Land als lebensnotwendig erachteten.®
62 Vgl. kritisch Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane,
S. 84 ff.; vgl. auch Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liech-
tenstein, S. 31 ff.
63 Vgl. Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 30 f.
64 Rupert Quaderer, Der historische Hintergrund der Verfassungsdiskussion, S. 133
und Rupert Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2, S. 276 ff. Der Landtag kann aber
nach der zutreffenden Ansicht von Josef Peer nicht daran gehindert werden,
Beschlüsse zu fassen, die von den Schlossabmachungen abweichen (S. 279 und 280).
65 Vgl. Herbert Wille, Monarchie und Demokratie, 5. 163 ff.
167
Verfassungsrevision von 1921
1. Amtsdauerbeschränkung der Regierung
Die Verfassungskommission votierte generell gegen eine Amtsdauerbe-
schränkung des Regierungschefs und wandte sich damit, wie sie zu ver-
stehen gab, gegen den «starren Parlamentarismus»,® der auf die liech-
tensteinischen Verhältnisse nicht passe. Er sei mit «unruhigen Begleiter-
scheinungen» verbunden, da alle vier Jahre mit einem Wechsel des
Regierungschefs gerechnet werden müsse. Dies sei der Fall, wenn man
die Amtszeit des Regierungschefs mit derjenigen des Landtages ver-
knüpfe, wie dies die Regierungsvorlage in $ 79 vorsah.” Sie sprach sich
für eine zeitlich unbegrenzte Amtsdauer des Regierungschefs aus und
änderte dementsprechend die Regierungsvorlage, wobei sie die Amts-
dauerbeschränkung der Regierungsräte, die sich an derjenigen des Land-
tages orientierte, bestehen liess.
Dieser Beschluss der Verfassungskommission fand aber keine
Mehrheit im Landtag, der sich in der Sitzung vom 24. August 1921 für
einen Mittelweg entschied und die Amtsdauer des Regierungschefs und
seines Stellvertreters auf sechs Jahre festsetzte und diejenige der Regie-
rungsräte und ihrer Stellvertreter mit der Amtsdauer des Landtages ver-
band, wie dies schon die Regierungsvorlage und die Verfassungskom-
mission vorgeschlagen hatten.
Diese Diskussion über die Amtsdauerbeschränkung zeigt auch,
welche politische Bedeutung dem Regierungschef innerhalb der Regie-
rung beigemessen wird, die an diejenige des Landesverwesers in der
bisherigen Regierung des Fürsten erinnert. Seine hervorgehobene Stel-
lung unterstreicht, dass die Bestellung einvernehmlich zwischen Fürst
und Landtag erfolgen soll. Sein Regierungsamt liess es nicht zu, dass er
wie die Regierungsräte gleichzeitig auch dem Landtag angehören
konnte.® Es war das Bestreben der konservativen Kräfte, den Regie-
66 Hans Nawiasky, Rechtsgutachten, S. 21.
67 Vgl. Herbert Wille, Regierung und Parteien, S. 112 ff.
68 Nach dem Bericht über die Beschlüsse der Verfassungskommission gefasst in den
Sitzungen vom 15. und 18. März 1921 (Berichterstatter Dr. Eugen Nipp), S. 4, in:
LLA, RE Verfassungsakt 1921/963, müssen die Regierungsräte «nicht Abgeordnete
sein, sie können es aber sein». Siehe heute Art. 46 Abs. 4 LV in der Fassung LGBl.
1997 Nr. 46, wonach die Mitglieder der Regierung nicht gleichzeitig auch Mitglie-
der des Landtages sein können.
168
Gang der Entwicklung
rungschef möglichst dem Einflussbereich des Landtages bzw. der Par-
teien zu entziehen.®
2. Bezeichnung «Regierungschef»
Anstelle des Namens «Landammann» schlägt die Verfassungskommis-
sion «Regierungschef» vor, da der Name «Landammann» weder der
Stellung des Regierungschefs noch der Landesgeschichte entspreche.
Die Funktionen der alten Landammänner seien «mehr richterlicher
Natur» gewesen.’° Dieses Argument schätzt allerdings die Stellung des
Landammanns nicht richtig ein, da unter der Landammannverfassung
die Justiz zur Verwaltung gehörte und eine Trennung erst 1871 einge-
führt worden ist.
3. Staats- und Regierungsform
Die Verfassungskommission ergänzt den für die Staats- und Regierungs-
form zentralen $ 2 der Regierungsvorlage um den Hinweis auf die $$ 79
(Mitwirkung des Landtages bei der Bestellung der Regierung) und 80
(Antragsrecht des Landtages auf Amtsenthebung der Regierungsmitglie-
der). Damit soll der Bedeutungsgehalt der «parlamentarischen Grund-
lage» präzisiert werden, auf die unter anderem die konstitutionelle
Monarchie gestellt wird. Man war auch der Auffassung, dass aus diesen
Bestimmungen der «parlamentarische Charakter» der Regierung ersicht-
lich werde. Einer solchen Einschätzung widersprechen allerdings die
Korrekturen, die die Verfassungskommission am Parlamentarismus vor-
genommen hat. Sie beinhalten einen «Abbau der parlamentarisch-demo-
kratischen Stellung» des Regierungschefs.” Auch wenn man sich dies in
den konservativen Kreisen nicht eingestehen wollte, pflichtet das Liech-
tensteiner Volksblatt im Nachhinein dieser Ansicht indirekt bei, wenn es
69 Herbert Wille, Regierung und Parteien, S. 114.
70 Bericht über die Beschlüsse der Verfassungskommission, S. 4; siehe auch Herbert
Wille, Regierung und Parteien, S. 114.
71 Hans Nawiasky, Rechtsgutachten, S. 21 f.
169
Verfassungsrevision von 1921
schreibt, dass die «Schöpfer und Berater der Verfassung»”? für eine «sta-
bile Regierung» eingetreten seien und sich gegen «das Labile eines parla-
mentarischen Systems» gewandt hätten.”
4. Volksrechte
Die für die Einberufung des Landtages geforderte Mindestzahl von 300
wahlberechtigten Landesbürgern wird auf 500 erhöht. Ebenso wird die
Mindestzahl von wahlberechtigten Landsbürgern bei Initiativ- und
Referendumsbegehren auf Gesetzesebene von 300 auf 500 und bei Ini-
tiativ- und Referendumsbegehren auf Verfassungsebene von 500 auf 700
wahlberechtigte Landesbürger angehoben. Lösen Initiativbegehren auf
Erlassung eines Gesetzes einmalige, im Finanzgesetz nicht vorgesehene
oder länger andauernde Belastungen für das Land aus, so sind sie mit
einem Bedeckungsvorschlage zu versehen. Man wollte auf diese Weise
«oberflächlichen Treibereien» vorbeugen bzw. «schädlicher Populari-
tätshascherei» entgegenwirken.”*
5. Ergebnis
Die Änderungen sind insgesamt in konservativem Geist gehalten, wenn-
gleich die Verfassungskommission auch Bestimmungen aus der konsti-
tutionell-monarchischen Epoche der Verfassung von 1862, wie die «lan-
desherrliche» Bestätigung der Wahl des Präsidenten des Landtages und
seines Stellvertreters, die die Regierungsvorlage noch vorgesehen hatte,
aus «demokratischen Gründen» fallen lässt.75 Sie hätte den Landtag in
seiner Eigenständigkeit und seinem Selbstverständnis als Repräsentanten
des Volkes eingeschränkt. Dagegen hält die Verfassungskommission an
72 Gemeint sind damit in erster Linie die Abgeordneten der Fortschrittlichen Bürger-
partei, die im Landtag die Mehrheit stellten.
73 LVolksblatt Nr. 48 vom 5. Juni 1926, «Der monarchische Gedanke»; zitiert aus:
Herbert Wille, Landtag und Wahlrecht, S. 129 f.
74 Bericht über die Beschlüsse der Verfassungskommission, S. 4.
75 Zu $52 der Regierungsvorlage siehe Bericht über die Beschlüsse der Verfassungskom-
mission, S. 2 und 4; siehe auch Rupert Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2, 5. 277.
170
Gang der Entwicklung
der Bestimmung des $ 79 Abs. 2 der Regierungsvorlage fest, wonach der
Landesfürst die Wahl der beiden Regierungsräte und ihrer Stellvertreter
durch den Landtag zu bestätigen hat.
VI. Landtagsbeschluss
1. Beschlussfassung
Der Landtag nahm die Verfassung in seiner Sitzung vom 24. August
1921 einstimmig an. Zuvor lehnte er einen Antrag des Abgeordneten
Wilhelm Beck ab, wonach Notstandsmassnahmen, die der Fürst verord-
net, der nachträglichen Zustimmung des Landtages bedürfen.’® Schon in
seinem Verfassungsentwurf setzte Wilhelm Beck dem Notverordnungs-
recht des Fürsten Schranken. Danach bedingt «jede solche Massregel»
die nachträgliche Zustimmung des Landtages.” Sein Zusatz zu Art. 48
Abs. 1, der verlangte, dass der Landesfürst eine Vertagung, Schliessung
und Auflösung des Landtages nur vor versammeltem Landtag ausspre-
chen könne, wurde einstimmig angenommen.’® Ein Selbstversamm-
lungs- oder Schliessungsrecht des Landtages wurde gar nicht in Betracht
gezogen.’? Man blieb in den Strukturen des monarchischen Konstitutio-
nalismus der Verfassung von 1862.
2. Sanktion des Landtagsbeschlusses
Fürst Johann II. sanktionierte den Landtagsbeschluss am 2. Oktober
1921. In einem Schreiben vom 2. Oktober 1921, das der Verfassung bei-
76 Es betrifft dies das sogenannte Notverordnungsrecht in Art. 10 LV 1921. Vgl. Ru-
pert Quaderer, Der historische Hintergrund der Verfassungsdiskussion, S. 135 und
Rupert Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2, S. 291.
77 Vgl. Art. 32 Abs. 2 Verfassungsentwurf Wilhelm Beck; siehe auch vorne S. 153.
78 Vgl. Rupert Quaderer, Der historische Hintergrund der Verfassungsdiskussion,
S$.135. Josef Peer lehnte sich noch in $ 48 Abs. 1 der Regierungsvorlage an $ 90 der
Konstitutionellen Verfassung von 1862 an und übernahm dessen Wortlaut.
79 Der Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck gesteht in Art. 38 Abs. 2 fünf Abgeord-
neten oder 400 wahlfähigen Bürgern ein Vorschlagsrecht auf Einberufung des Land-
tages zu. Publiziert in: O.N. Nr. 49 vom 19. Juni 1920.
171
Verfassungsrevision von 1921
geheftet ist, heisst es, dass er dem Beschluss des Landtages vom
24. August 1921 seine «landesherrliche Sanktion» erteilt habe.®
$17 ART UND UMFANG DER VERFASSUNGGEBUNG
I. Revision der Konstitutionellen Verfassung von 1862
1. Besonderes Verfahren
Änderungen der Verfassung unterliegen einem besonderen Verfassungs-
änderungsverfahren, das in $ 121 KV 1862 festgesetzt ist. Auf Seite des
Landtages ist Stimmeneinhelligkeit der anwesenden Mitglieder oder eine
auf zwei nacheinander folgenden (ordentlichen) Landtagssitzungen sich
aussprechende Stimmenmehrheit von drei Vierteln derselben vorge-
schrieben. Die Verfassung ist 1921 in diesem Revisionsverfahren, an dem
der Landesfürst und der Landtag beteiligt sind, zustande gekommen.
Die der Verfassungsrevision vorgezogenen Änderungen der Konstitu-
tionellen Verfassung von 1862 haben ebenfalls diesen Verfahrensmodus
eingehalten.$!
2. Neuschaffung und Änderung
Die Neuschaffung einer Verfassung und die Änderung einer bestehenden
Verfassung sind nicht verschiedenen Instanzen zugeordnet, sodass die
verfassunggebende Gewalt und das Recht zur Verfassungsrevision bei
denselben Verfassungsorganen, Fürst und Landtag, liegen. Ein verfas-
sunggeberischer Akt kann auch dann stattfinden, wenn bereits eine Ver-
80 LLA, RE Verfassungsakt 1921.
81 Vgl. etwa das Gesetz vom 21. Jänner 1918 betreffend die Abänderung der Land-
tagswahlordnung (Einführung des direkten Wahlrechts), LGBl. 1918 Nr. 4, die das
sechste Hauptstück der Konstitutionellen Verfassung ($$ 55 bis 88) ersetzt hat, oder
den Landtagsbeschluss vom 10. Dezember 1918, dem Fürst Johann IT. die Vorsank-
tion erteilt hat. Siehe Rupert Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2, S. 117. Diese
Akte, die die Verfassungsrevision von 1921 vorbereitet haben, sind in gegenseitigem
Einverständnis zwischen Fürst und Landtag zustande gekommen. Vgl. auch Albert
Schädler, Landtag, JBL Bd. 21 (1921), 5. 43 f.
172
Art und Umfang der Verfassunggebung
fassung existiert, also bei noch intakter bisheriger Verfassung, wie es
1921 bei der Konstitutionellen Verfassung von 1862 der Fall gewesen ist.
II. Totalrevision
Die Verfassungslage beantwortet die vorgängig in der Diskussion aufge-
tretene Frage, ob eine Totalrevision oder nur eine Partialrevision in die
Wege zu leiten sei.® Gemessen am Inhalt und Umfang der Veränderung
gegenüber der Konstitutionellen Verfassung von 1862 stellt die Verfas-
sung von 1921 mehr als nur eine Partial- oder Teilrevision dar. Dies
macht schon die Entstehungsgeschichte deutlich. Hinreichend Auf-
schluss gibt ein Strukturvergleich des neuen mit dem alten Verfassungs-
recht in formeller und materieller Hinsicht.®
Unterscheidet man zwischen formeller und materieller Verfas-
sungsrevision,® so werden bei der formellen Totalrevision sämtliche
Artikel der alten Verfassung durch eine neue Verfassung ersetzt, wobei
unwesentlich ist, ob die neuen Artikel inhaltlich zum Teil mit denen der
82 Christian Winterhoff, Verfassung — Verfassunggebung, S. 193.
83 Konservative und monarchistische Kreise bevorzugten anfänglich eine Partialrevi-
sion. Vgl. Eduard von Liechtenstein, Liechtensteins Weg, S. 87; Herbert Wille,
Regierung und Parteien, S. 92 f. Zum Begriff der «Verfassungsrevision» siehe Gerd
Roellecke, Identität und Variabilität der Verfassung, S. 472 Rz. 39. Er versteht sie als
«umfängliche Verfassungsänderungen nach einem breit angelegten Reformkon-
zept».
84 Die O.N. Nr. 72 vom 22. September 1920 berichten zu den Schlossabmachungen
unter dem Titel «Zur Entwirrung der Landeskrise», dass es nach langen Bemühun-
gen gelungen sei, gemeinsame Richtlinien für eine «Total-Verfassungsrevision» fest-
zulegen. Siehe auch Rupert Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2, S. 327.
85 Die schweizerische Staatsrechtslehre unterscheidet zwischen materieller und for-
meller Totalrevision. Von formeller Totalrevision spricht man, wenn die alte Verfas-
sung durch eine neue ersetzt wird, m. a. W. alle Artikel der alten Verfassung in die
Reform einbezogen werden. Eine Totalrevision in materieller Hinsicht liegt vor,
wenn die Verfassung in ihren Grundzügen geändert wird, wobei sie zwangsläufig
mit einer formellen Totalrevision verbunden ist. Unter einer formellen Partial- oder
Teilrevision versteht man eine Änderung von einzelnen Bestimmungen der Verfas-
sung. Wenn eine Vorschrift der Verfassung ohne formelle Anpassung durch eine
andere, neue Vorschrift inhaltlich geändert wird, ist von einer materiellen Partial-
oder Teilrevision die Rede. Vgl. zum Ganzen Yvo Hangartner, Vorbemerkungen zu
Art. 192-195 BV, S. 2856 ff. Rz. 17 ff. mit weiteren Literaturhinweisen. Aus liech-
tensteinischer Sicht siehe Martin Batliner, Politische Volksrechte, 5. 147 ff.
173
Verfassungsrevision von 1921
alten Verfassung identisch sind. Eine materielle Totalrevision ist durch
die Änderung eines oder mehrerer Grundprinzipien der Verfassung
gekennzeichnet.® Die Änderungen, die die Verfassung von 1921 vor-
nimmt, sind zum Teil inhaltlich so tiefgreifend, dass sie einer Neuaus-
richtung gleichkommen. Sie stellen mit ihrer Teilung der Staatsgewalt
zwischen Fürst und Volk den Staat auf eine neue Grundlage, indem sie
deren Kompetenzen abschliessend festlegen und zum Schutz der Verfas-
sung eine starke, rechtswahrende Verfassungsgerichtsbarkeit schaffen.
Die neue Verfassungsordnung ist so gesehen mit der bisherigen weder
formell- noch materiellrechtlich identisch, sodass eine Totalrevision vor-
liegt.”
Der Entwurf von Prinz Karl von Liechtenstein stellt im Vergleich
dazu eine Partialrevision dar. Er hält am bisherigen monarchischen Kon-
stitutionalismus fest. Er schränkt zwar die grundsätzlich «vor» der Ver-
fassung liegende monarchische Staatsgewalt weiter ein, modifiziert sie
aber nur im Sinne einer Selbstbeschränkung des Fürsten. Der Entwurf
möchte es offenbar nicht zu einem Kontinuitätsbruch kommen lassen.
III. Vereinbarte oder paktierte Verfassung
Die Idee der Verfassungsschöpfung durch Verfassungsvereinbarung ent-
stammt dem Konstitutionalismus. Es handelt sich bei der Verfassung
von 1921 insoweit um eine vereinbarte Verfassung,%® als sie im Vorfeld
des eigentlichen bzw. verfassungsmässigen Verfahrens zwischen ver-
86 So Christian Winterhoff, Verfassung — Verfassunggebung, S. 311.
87 Vsl. Christian Winterhoff, Verfassung — Verfassunggebung, S. 186 f.; a. A. Günther
Winkler, Verfassungsrecht, S. 34, auch wenn er grundlegende Änderungen gegen-
über der Konstitutionellen Verfassung von 1862 nicht in Abrede stellt (S. 30). Die
Grenzen zwischen einer Totalrevision, die unter die Kategorie der Verfassungsän-
derung einzureihen ist, und der Verfassunggebung sind bisweilen fliessend. So
Christian Waldhoff, Entstehung des Verfassungsgesetzes, S. 328 f. Rz. 44; vgl. auch
Matthias Herdegen, Grenzen der Verfassungsgebung, S. 352 Rz. 13. Nach Wolfram
Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 148 hat die Verfas-
sung von 1921 mit der Errichtung der Verfassungsgerichtsbarkeit die Grundlagen
des Staates im Wesentlichen neu konstituiert.
88 Vgl. nur Dietmar Willoweit, Verfassungsinterpretation im Kleinstaat, S. 200; Chris-
tine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 141 mit weiteren Literaturhinweisen.
174
Verfassungshoheit und Teilung der Staatsgewalt
schiedenen Verfassungskräften ausgehandelt und im Wege der Verfas-
sungsrevision® zustande gekommen ist. Zu einer Verfassungsänderung
bzw. zur Totalrevision der Konstitutionellen Verfassung von 1862
bedurfte es in jedem Fall einer Willensübereinstimmung von Landesfürst
und Landtag. Sie sind die beiden Legislativorgane und mit der entspre-
chenden verfassungsrechtlichen Kompetenz ausgestattet.
Aus diesem strukturellen Dualismus des Entstehungsaktes der Ver-
fassung von 1921, der verfahrensmässig in der Konstitutionellen Verfas-
sung von 1862 vorbestimmt ist, ergibt sich notwendigerweise, dass die
beiden Verfassungsorgane zusammen wirken müssen, um die Verfassung
umzugestalten,” sodass nicht auf die Vertragstheorie zurückgegriffen
werden muss. Im Schrifttum ist aufgrund der Vorgeschichte der Verfas-
sung von 1921 von einem «demokratischen Grundvertrag» zwischen
Fürst und Volk bzw. Landtag die Rede, der in den sogenannten Schloss-
abmachungen gesehen wird, die eine Einigung zwischen Fürst und den
Vertretern der Volkspartei darstellt, sodass nicht von einem «demokrati-
schen Grundvertrag» bzw. einem «staatsrechtlichen Vertrag» zwischen
Fürst und Volk bzw. Landtag gesprochen werden kann.*!
$18 VERFASSUNGSHOHEIT UND TEILUNG
DER STAATSGEWALT
I. Verfassungshoheit und Souveränität
1. Verfassungshoheit
Die Verfassungshoheit haben Fürst und Landtag inne. Bei ihnen handelt
es sich um besondere Organe der verfassten Gewalt, die zur Vornahme
von Verfassungsänderungen ermächtigt sind. Sie bilden die «verfas-
sungsändernde Gewalt», die gleichzeitig konstituierte und über die Ver-
89 Siehe $ 121 Abs. 2 KV 1862.
90 Vel. Ernst Rudolf Huber, Das Kaiserreich, S. 137 f.
91 Vgl. Günther Winkler, Verfassungsrecht in Liechtenstein, S. 29. Die Bürgerpartei
gab zu verstehen, dass sie sich an diese Abmachung nicht gebunden fühle und im
Landtag bzw. dessen Verfassungskommission noch Änderungsvorschläge machen
werde. Die Schlossabmachungen konnten also den Landtag nicht verpflichten.
175
Verfassungsrevision von 1921
fassung verfügende Gewalt, d. h. «pouvoir constituant constitue> oder
«verfasste verfassunggebende Gewalt» ist.”
2. Souveränität
Die Eingangsformel der Verfassung von 1921, die inhaltlich unverändert
aus der Konstitutionellen Verfassung von 1862 übernommen wird,
erweckt zwar den Eindruck, als habe der Landesfürst «mit Zustimmung
des Landtages» die Verfassung «geändert». Sie sei das Werk des souverä-
nen Fürsten. Ungeachtet des Entstehungsprozesses, der den Landtag
ebenfalls als Verfassunggeber ausweist, beruft sie sich nämlich auf die
Gottesgnadenformel, obwohl die Staatsgewalt, die bisher in der Hand
des Fürsten konzentriert war, zwischen Fürst und Volk geteilt wird. Der
Fürst ist nicht mehr der Souverän. Er ist durch die Selbstbindung an die
Konstitutionelle Verfassung von 1862 wie das Volk bzw. der Landtag ein
Staats- oder Verfassungsorgan (pouvoir constitu€) geworden.” Auch
wenn er sich unter der Verfassungsordnung von 1862 immer noch als
Inhaber der Staatsgewalt verstand und mit dem monarchischen Prinzip
die souveräne Vollgewalt beanspruchte, was offensichtlich schon bisher
nicht mehr mit der Verfassungswirklichkeit übereingestimmt hatte,
konnte die Verfassung von 1921 ohne Mitwirkung des Landtages nicht
geschaffen werden. Seine Zustimmung war für die Entstehung der Ver-
fassung konstitutiv. Der Gottesgnadenformel kommt keine tragende
Bedeutung mehr zu.® Bei den Gesetzen, die im Nachgang zur Verfas-
sung 1921 ergangen sind, gibt die Einleitungsformel klar zu erkennen,
92 Vgl. Christian Winterhoff, Verfassung — Verfassunggebung, S. 213 f.; vgl. auch Burk-
hard Schöbener, Allgemeine Staatslehre, S. 163 Rz. 45.
93 Vgl. Werner Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus, S. 374.
94 Zu weit gehend Andreas Schurti, Das Verordnungsrecht der Regierung, S. 109 ff.,
wenn er sich «angesichts der revolutionären Ereignisse» fragt, «ob sich nicht das
Volk zum alleinigen Inhaber der verfassungsgebenden Gewalt aufgeschwungen»
habe. Er nimmt dabei Bezug auf Dieter J. Niedermann, Liechtenstein und die
Schweiz, S. 29, der die heutige Verfassung weniger auf einen Willensakt des Fürsten
als auf den Beschluss des Landtags vom 24. August 1921 zurückführt.
95 Vgl. Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 32
unter Bezugnahme auf Dietmar Willoweit, Die Stellvertretung des Landesfürsten,
$. 123, 130.
176
Verfassungshoheit und Teilung der Staatsgewalt
dass sie der Landtag beschliesst und der Landesfürst einem diesbezügli-
chen Beschluss des Landtages zustimmt.
IL.
1.
Teilung der Staatsgewalt
Herkunft und Entstehung
Der zweite Halbsatz in Art. 2 LV, wonach die Staatsgewalt im Fürsten
und im Volke verankert ist, hat verschiedene textliche Vorbilder. Der
Verfassungsentwurf des ständischen Verfassungsrates vom 1. Oktober
1848 sieht die «höchste Gewalt in Bezug auf Gesetzgebung, Verwaltung
u. Rechtspflege beim Fürsten und Volke vereint» ($ 34).” Wilhelm Beck
formuliert in seinem Verfassungsentwurf vom Februar 1919°, dass die
Staatsgewalt auf dem Landesfürsten und dem Volke beruht. Die Schloss-
abmachungen vom September 1920 halten in der Folge fest, dass die
Staatsgewalt «im Fürsten und ım Volk verankert» werden soll. Die
96
97
98
Art. 66 Abs. 1 LV 1921 geht von einem Beschluss des Landtages (Art. 58 Abs. 1 LV
1921) aus, dem die Sanktion des Landesfürsten (Art. 65 Abs. 1 LV 1921) zugrunde
liegt. Das heisst, dass sich die Sanktion an diesen Beschluss des Landtages an-
schliesst. Unter diesem Aspekt ist die Formulierung in Art. 65 Abs. 1 LV 1921 zu
ungenau, wenn sie von einer «Zustimmung des Landtages» spricht. Sie folgt damit
dem Wortlaut des $ 24 Abs. 1 KV 1862. Diese Verfassung bzw. der Gesetzgebungs-
akt ist von der fürstlichen Exekutive her geprägt gewesen, wie dies bei der Verfas-
sung von 1921 nicht mehr der Fall ist. Siehe zu den Einleitungsformeln von Geset-
zen nach der Verfassung 1921 Herbert Wille, Landtag und Wahlrecht, S. 126 ff. und
128 Fn. 22. Die heute gängige Eingangsformel hat richtigerweise den Beschluss des
Landtages zum Ausgangspunkt und lautet demnach: «Dem nachstehenden vom
Landtag gefassten Beschluss erteile Ich Meine Zustimmung». Siehe zur Kritik auch
hinten 5. 718 f.
Nach Albrecht Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, S. 705 bedeutet dies
für die «innere Souveränität», dass kraft der Souveränität die Staatsgewalt nach
innen die rechtlich höchste Gewalt ist, die über allen anderen steht. Vor dem Hin-
tergrund der damals als Einheit gedachten Staatsgewalt wurden Fürst und Volk als
«zweieinheitlicher Träger der Staatsgewalt» verstanden. So Jörg-Detlef Kühne, Aus-
sprache, S. 177; siehe auch Hans Boldt, Von der konstitutionellen Monarchie zur
parlamentarischen Demokratie, S. 179. Nach Gerard Batliner, Parlament, S. 20 Fn.
27 handelt es sich nicht um die Teilung der Staatsgewalt, «sondern um geteilte oder
gemeinsame Kompetenzausübung innerhalb der einen Staatsgewalt». Vgl. auch
Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 294.
Art. 3 Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck.
177
Verfassungsrevision von 1921
Regierungsvorlage und dann auch die Verfassung von 1921 übernehmen
diesen Wortlaut. Sie ziehen rechtlich die Konsequenz aus der Tatsache,
dass der Landtag bereits nach bisherigem Recht an der Legislativgewalt
beteiligt ist und er insoweit zusammen mit dem Fürsten die Staatsgewalt
ausübt.” Die Regierungsvorlage wendet sich daher bewusst von der
«blossen Fiktion»!® ab, wonach die gesamte Staatsgewalt dem Fürsten
zusteht. !°!
2. Keine Antwort auf die Souveränitätsfrage
Die Verfassung legt sich in der Frage nach der Souveränität nicht fest.
Nach Art. 2 ist die Staatsgewalt im Fürsten und im Volke verankert. Mit
diesen Worten lässt sie die «heikle Frage, woher die Staatsgewalt kommt,
von wo sie ausgeht, unbeantwortet, zumindest in einer gewissen
Schwebe».1 Auf diese Weise konnte der Verfassunggeber einer Antwort
auf die bisher ungeklärte Souveränitätsfrage ausweichen, ohne für die
eine oder andere Seite Stellung nehmen zu müssen, da mit dem monar-
chischen Prinzip und der demokratischen Volkssouveränität zwei gegen-
sätzliche Legitimationsprinzipien in Konkurrenz zueinander standen.!®
Eine nicht nur formal, sondern auch substanziell gewaltenteilende Ver-
fassung, wie sie sich im Vorfeld der Verfassung von 1921 abzeichnete,
99 Vgl. Henning Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 36.
100 Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, S. 3.
101 Die Beschränkung der Staatsgewalt durch das Mitspracherecht des Landtages
bedeutete nicht deren Teilung. Dies wollte ja gerade das monarchische Prinzip, wie
es in $ 2 der Konstitutionellen Verfassung von 1862 festgeschrieben wurde, verhin-
dern. Vgl. Wilhelm Mössle, Regierungsfunktionen, S. 41.
102 Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 43: Er
lehnt zu Recht die oft in der Öffentlichkeit verwendete Formel von den zwei «Sou-
veränen» ab (S. 57). Kritisch auch Norbert Haas, Ein Land wie Heimat, S. 31 ff.
Peter Häberle, Monarchische Strukturen, S. 369 meint, dass diese Verankerung der
Staatsgewalt im Fürsten und im Volk die «textliche Basis für die Lehre von den «zwei
Souveränem»>» bilde, «die der amtierende Fürst (Hans) Adam II. jüngst in seiner
Thronrede vom Herbst 1992 bekräftigt» habe.
103 Werner Heun, Das monarchische Prinzip und der deutsche Konstitutionalismus,
$.53. Nach Karl Doehring, Allgemeine Staatslehre, S. 90 Rz. 212 ist in der deut-
schen Staatstheorie nie endgültig und allgemeinverbindlich geklärt worden, wer in
der konstitutionellen Monarchie als der Souverän angesehen wurde.
178
Verfassungshoheit und Teilung der Staatsgewalt
setzte aber voraus, dass kein Verfassungsorgan den Vollbesitz der politi-
schen Macht für sich beanspruchen konnte und sie zwischen den beiden
politischen Grundgewalten, Fürst und Volk, geteilt werden musste. !%
3. "Träger der Verfassunggebung
Die Verfassung von 1921 knüpft zwar an das bisherige konstitutionell-
monarchische Verfassungsrecht an, ordnet es aber grundlegend neu,
indem sie neben dem Landesfürsten als alleinigem Träger der Staatsge-
walt auch das Volk zum (Mit-)Träger erklärt.!® Die Staatsgewalt wird
mit anderen Worten zwischen ihnen geteilt und von ihnen gemeinsam
ausgeübt. Sie werden im Grunde bereits von der Konstitutionellen Ver-
fassung von 1862, die sie zur Verfassungsänderung ermächtigt, als künf-
tige Träger der Verfassunggebung ausgewiesen.!® Sie treten denn auch,
wie die Entstehungsgeschichte illustriert, als Träger der Verfassungge-
bung auf, sodass die Verfassung von 1921 mehr ist als nur ein Akt der
Selbstbeschränkung monarchischer Staatsgewalt, wie dies für die
Konstitutionellen Verfassung von 1862 kennzeichnend gewesen ist.!”
Es geht auch in der neuen Verfassung nicht mehr nur darum, die monar-
chische Staatsgewalt zu begrenzen, sondern sie zwischen Fürst und
Volk aufzuteilen. Wilhelm Beck!® betont die «ganz andere Stellung
104 Es ist allerdings nicht zu übersehen, wie der Europarat kritisch konstatiert, dass die
Staatsoberhauptfunktionen des Fürsten zu weitreichend sind (auch im Vergleich zu
den Befugnissen europäischer Monarchen). Vgl. Michael Elicker, Gedanken zum
Ende der Monarchie, 5. 221 f.; Peter Häberle, Monarchische Strukturen, 5. 376.
105 Im Referat von Wilhelm Beck zum Gesetz betreffend die Ausübung der politischen
Volksrechte in Landesangelegenheiten, eingelangt am 8. August 1922, LLA, Land-
tagsakten 1922/L 4 (diese Akte habe ich freundlicherweise von Rupert Quaderer
erhalten), S. 1 heisst es: «Das Volk ist nach Art. 2 der Verfassung zum Mitträger und
Mitinhaber der Staatsgewalt (Souveränität) geworden.»
106 Vgl. Hartmut Maurer, Entstehung und Grundlagen der Reichverfassung, S. 29 ff.
zur Präambel der Reichsverfassung vom 16. 4. 1871.
107 Diese steht auf dem Boden des monarchischen Prinzips, sodass sie als freiwillige
Selbstbeschränkung des Fürsten erscheint, dessen Herrschaftsrecht vor der Verfas-
sung liegt und nicht von dieser begründet wird. Vgl. zur konstitutionellen Verfas-
sunggebung Christian Hermann Schmidt, Vorrang der Verfassung, S. 46.
108 Vgl. Wilhelm Beck, Referat zum Gesetz betreffend die Ausübung der politischen
Volksrechte in Landesangelegenheiten, S. 2; siehe Fn. 105.
179
Verfassungsrevision von 1921
des Volkes», die er «in seinem tätigen Einfluss auf das gesamte Staatsle-
ben» sieht.
Vom Landtag als (Mit-)Gesetzgeber, der schon bisher neben dem
Fürsten in die zentrale Funktion der Gesetzgebung eingebunden ist, war
der Schritt zur «Innehabung» und Teilung der Staatsgewalt in Art. 2 der
Verfassung von 1921 nicht mehr weit,!® zumal man nach einer Lösung
in der Mitte dieser beiden Pole, der Fürsten- und der Volksherrschaft,
suchte und sich darauf verständigen konnte.
III. Inhalt und Bedeutung
1. Staatsgewalt und Souveränität
Bedeutung gewinnt die Frage nach dem Träger der Staatsgewalt, wenn
man ihn mit dem Begriff «Souverän» in Beziehung setzt und darunter
den alleinigen Träger der Staatsgewalt versteht. $ 2 der Konstitutionellen
Verfassung 1862 erblickte ihn noch in der Person des Landesfürsten,
obwohl dieser in der Gesetzgebung schon damals an die Mitwirkung
und Zustimmung des Landtages gebunden war, wie es für den monar-
chischen Konstitutionalismus charakteristisch ist. Weder der Fürst noch
der Landtag sind in der Lage, einseitig Gesetze zu erlassen. Die Aus-
übung der Staatsgewalt war insofern zwischen ihnen aufgeteilt. Diese
Teilung stand in deutlichem Widerspruch zu dem Souveränitätsbegriff
der Konstitutionellen Verfassung von 1862, die ihn uneingeschränkt mit
dem Fürsten verband.!!° $ 2 der Konstitutionellen Verfassung von 1862,
der den Fürsten als Souverän und alleinigen Träger der Staatsgewalt aus-
weist, entsprach daher nicht mehr dem realen Verfassungszustand.!!!
109 So weist Roman Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 198 darauf hin, dass sich in der
(bisherigen) konstitutionellen Monarchie <jedenfalls der Formel nach, der Monarch
und das Volk in die Eigenschaft als Träger der Staatsgewalt teilten». Da die Staats-
gewalt geteilt wird, ist damit der Sache nach auch die Souveränität geteilt. Vgl. Utz
Schliesky, Souveränität und Legitimität, S. 96.
110 Siehe Hans Boldt, Verfassungskonflikt und Verfassungshistorie, S. 86; Henning
Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 36.
111 Vgl. auch Art. 57 WSA und Hans Boldt, Verfassungskonflikt und Verfassungshisto-
rie, S. 86.
180
Verfassungshoheit und Teilung der Staatsgewalt
Eine solche absolutistische Souveränitätsvorstellung ist in der Verfas-
sung von 1921 nicht mehr zu rechtfertigen, auch wenn sie in der Einlei-
tungsformel nach wie vor Platz findet.!!? Sie stellt die Monarchie in die
religiöse Kontinuität des Gottesgnadentums, das bisher zur Begründung
des monarchischen Prinzips herangezogen wurde, und bleibt auf diese
Weise ein Stück weit in enger Abhängigkeit von ihrer Vorgängerver-
fassung. Die Vorstellung, dass der Fürst Träger der Staatsgewalt ist, als
«geheiligte Person»!!? oder kraft eines unmittelbaren göttlichen Auftrags
handelt, ist als Legitimationsbegründung weder denkbar!!* noch mit
der Verfassung vereinbar, da sie eine Teilung der Staatsgewalt zwischen
Fürst und Volk vorgenommen hat und nach ihr alle staatliche Gewalt,
also auch der Fürst, an die Verfassung gebunden ist, sie mit anderen
Worten zu halten hat.!!l5 Der Fürst steht nicht über und ausserhalb der
Verfassung.
Dieser legitimatorische Rückbezug auf die Konstitutionelle Verfas-
sung von 1862 dürfte verschiedene Gründe haben und erklärt sich ins-
besondere aus den damaligen Zeitumständen, die ein «republikanisches»
Ansinnen im Gefolge des Ersten Weltkrieges befürchten liessen, da
Deutschland und Österreich zu Republiken umgestaltet wurden. !!®
112 Zu weitgehend ist die Kritik von Peter Häberle, Monarchische Strukturen, S. 376,
der als «Zwischenergebnis» festhält: «Die inhaltlich älteste, der absoluten Monar-
chie vergleichweise nahe, sich als <«konstitutionelle Erbmonarchie> deutende Verfas-
sung ist die von Liechtenstein (1921).>»
113 So die ursprüngliche Fassung von Art. 7 Abs. 2 LV 1921, geändert durch die Ver-
fassungsrevision von 2003, LGBl. 2003 Nr. 186.
114 Nach Thomas Würtenberger, Die Legitimität staatlicher Herrschaft, S. 239 konnte
das Gottesgnadentum als Rechtfertigung des monarchischen Prinzips nur im Rah-
men einer religiös-sakralen Weltordnung eine tiefere Wirkung entfalten. Eine sol-
chermassen fundierte Ordnung war aber im 19. Jahrhundert zugunsten einer ratio-
nal begründeten Herrschaftsordnung aufgegeben worden.
115 So ausdrücklich Art. 2 2. Satz LV 1921: «[...] und wird von beiden (Fürst und Volk)
nach Massgabe der Bestimmungen dieser Verfassung ausgeübt». Die Verfassung von
1921 ist im Unterschied zur Konstitutionellen Verfassung von 1862 ($ 119) auch
«allgemein» verbindlich (Art. 111 Abs. 1) geworden. Darauf macht Gerard Batliner,
Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 21 f. aufmerksam.
116 Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 98 f.
181
Verfassungsrevision von 1921
2. Verfassung als konstitutive Grundlage
a) Gemeinsame verbindliche Basis
Die Teilung der Staatsgewalt zwischen Fürst und Volk ist so gesehen eine
Absage sowohl an die Fürsten- als auch an die Volkssouveränität. Die
Verfassung gründet demnach weder auf der Fürsten- noch auf der Volks-
souveränität. Ein solches Konzept verlangt, dass die Kompetenzen bzw.
Zuständigkeiten in der Verfassung festgelegt werden.!!7 Sie verankert
und konstituiert denn auch in Art. 2 nicht nur die Staatsgewalt im Fürs-
ten und im Volk, sondern bindet sie bei deren Ausübung auch an die
Bestimmungen der Verfassung.!!® Sie wird dadurch für Fürst und Volk
bzw. Landtag zur gemeinsamen verbindlichen Basis. Das heisst, dass
ihnen die Staatsgewalt nur so zusteht, wie die Verfassung sie ihnen
zuordnet und damit auch begrenzt.!!? Ausgeschlossen sind damit Legiti-
mationsvorstellungen vorkonstitutioneller oder transzendentaler Prove-
nienz, wie beispielsweise das Gottesgnadentum.!2°
b) Verfassung als «verbindlicher Kompromiss»
und Vorrang der Verfassung
Die Verfassung ist der «höherrangige verbindliche Grundkonsens», auf
den sich beide Seiten einigen.!?! Das Charakteristische an dieser Lösung
ist, dass die Verfassung selber der «verbindliche Kompromiss» ist. Das
bedeutet, dass im Konfliktfall nicht jeweils ein Kompromiss zwischen
Landesfürst und Landtag gefunden werden muss, wie dies unter dem
Regime der Konstitutionellen Verfassung von 1862 der Fall gewesen ist.
Auf dieser Basis konnte auch zur Streiterledigung eine unabhängige Ver-
117 Vgl. beispielsweise die Formulierung bei Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht,
S. 179, wonach es bei diesem besonderen Verfassungssystem nicht den rechtsstaatli-
chen Grundsätzen widerspreche, «wenn dem Fürst als Träger der Staatsgewalt
durch die Verfassung die Kompetenz verliehen wird.»
118 Vöel. für den Landesfürsten Art. 7 Abs. 1 LV, für den Landtag Art. 45 Abs. 1 LV und
für die Regierung Art. 78 LV.
119 Günther Winkler, Staatsverträge, S. 113; vgl. zu der Aufteilung der Kompetenzen
zwischen Landesfürst und Volk Hans Nawiasky, Rechtsgutachten, S. 3 f.; zu den
Befugnissen des Fürsten Günther Winkler, Verfassungsrecht, S. 32 f.
120 Formulierung in Anlehnung an Horst Dreier, Grundlagen, S. 62 Rz. 108.
121 Vgl. Werner Heun, Das monarchische Prinzip und der deutsche Konstitutionalis-
mus, S. 55.
182
Verfassungshoheit und Teilung der Staatsgewalt
fassungsgerichtsbarkeit installiert werden.!? Nach Art. 112 der Verfas-
sung von 1921123 entscheidet der Staatsgerichtshof.!?* Eine solche Insti-
tution bedingt, dass die Verfassung die normative Grundlage jedweder
staatlichen Gewalt ist!?® und nicht nur organisierendes und begrenzen-
des Element der staatlichen Herrschaftsausübung.!?* Sie hat im Kon-
fliktfall auch Vorrang gegenüber anderen Rechtsnormen. Dem ent-
spricht, dass verfassungsändernde und gesetzgebende Gewalt sich von-
einander abheben.!?”7 Dafür kennzeichnend ist die erschwerte
Abänderbarkeit der Verfassung.
Die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit verträgt sich weder
mit dem monarchischen Prinzip noch mit einer dualistischen Legitima-
tionsordnung, wie sie der Konstitutionellen Verfassung von 1862 eigen
war. Sie setzt eine Verfassung voraus, die für Fürst und Volk als Träger
der Staatsgewalt die gemeinsame Legitimationsgrundlage bildet. Die
Prüfung der Verfassungsmässigkeit von Gesetzen und Regierungsver-
ordnungen!?8 verlangt, dass der Verfassung ihnen gegenüber ein norma-
tiv höherer Rang zukommt. Dabei ist eine inhaltliche Kontrolle nur
möglich, sofern die Verfassung auch materielle Massstäbe zur Verfügung
hält. Neben diesem Vorrang der Verfassung setzt eine Normenkontrolle
Gewaltenteilung voraus. Die prüfende Instanz muss von derjenigen,
deren Akte kontrolliert werden sollen, funktionell wie organisatorisch
verschieden sein.!??
Diese neue Verfassungslage erklärt, warum es im konstitutionell-
monarchischen System der Verfassung von 1862 eine solche unabhän-
gige Einrichtung wie den Staatsgerichtshof nicht geben konnte, die ver-
bindlich entschied. $ 122 sah bei Verfassungszweifeln lediglich eine Ent-
122 Im Verfassungsstaat gibt es denn auch nach Gerard Batliner, Einführung in das
liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 56, keinen Souverän mehr.
123 Aufgehoben durch LGBl. 2003 Nr. 186.
124 Vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 26 f.
und 99 f.; Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 25 f. und 30 ff.
125 Vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 57.
126 Vgl. Rainer Wahl, Die Entwicklung des deutschen Verfassungsstaates, S. 90 Rz. 64.
127 Vgl. Art. 64 und 66 sowie 112 Abs. 2 LV.
128 Siehe Art. 104 Abs. 2 LV 1921.
129 Vgl. Christoph Gusy, Richterliches Prüfungsrecht, S. 9; für Liechtenstein insbeson-
dere Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein,
S. 22 ff., ders., Normenkontrolle, S. 61 f.
183
Verfassungsrevision von 1921
scheidung des Bundesschiedsgerichts vor, das nur aufgrund einer verein-
barten Anrufung beider Seiten, des Landtags und der monarchischen
Exekutive, tätig werden konnte.
c) Keine Zuständigkeitsvermutung des Fürsten
Dass die Verfassung die Grundlage für alle staatliche Gewalt ist, trifft
auch auf die staatliche Grundorganisation zu. Die obersten staatlichen
Organe und ihr Verhältnis zueinander werden erst durch die Verfassung
konstituiert. Es gibt keine Rechtstitel «vor» und «ausserhalb» der Ver-
fassung, die zu rechtmässigem Handeln staatlicher Organe ermächtigen
könnten. Auch der Fürst muss seine Position und seine Kompetenzen
auf die Verfassung stützen. Er leitet sie von ihr ab. Er übt die Rechte an
der Staatsgewalt, die er mit dem Volk (Landtag) teilt, «in Gemässheit
der Bestimmungen dieser Verfassung» aus. Seine Macht liegt damit nicht
mehr vor oder ausserhalb einer lediglich «herrschaftsmodifizierenden>»
Verfassung, wie das für die Konstitutionellen Verfassung von 1862 kenn-
zeichnend gewesen ist. Sie ist nur noch verfassungsmässig abgeleitete
Macht, also Macht, die eben in der Verfassung ihre Begründung finden
muss. Es gibt demnach auch keine Kompetenz- bzw. Zuständigkeits-
vermutung zugunsten des Fürsten (praesumptio pro rege) mehr. !?2
3. Ausübung der Staatsgewalt
Die Staatsgewalt, die sich Fürst und Volk teilen, ist in der Verfassung
funktionell und organisatorisch geteilt. Sie wird durch besondere
Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Recht-
130 Der Landtag hat schon bisher seine Befugnisse aus der Konstitutionellen Verfassung
von 1862 abgeleitet.
131 In Anlehnung an Christian Hermann Schmidt, Vorrang der Verfassung, S. 16 f.; ähn-
lich Günther Winkler, Verfassungsrecht, S. 66 f., wenn er schreibt: «Der Fürst steht
seither (Verfassung von 1921) nicht mehr über dem Staat, sondern unter Bindung an
die Verfassung, mit dem Volk und gleich diesem im Staat». Vgl. auch Gerard Batlı-
ner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 22 f.
132 A.A. Günther Winkler, Staatsverträge, S. 113; ders., Verfassungsrecht, S. 35 f., wo er
ausführt: «Für die Befugnisse des Fürsten von Liechtenstein als Staatsoberhaupt gilt
also das Prinzip: was nicht ausdrücklich eingeschränkt ist, gilt gemäss den gewohn-
heitsrechtlich überkommenen regelhaften Gepflogenheiten.>»
184
Exkurs: Verfassungsnovelle von 2003
sprechung ausgeübt. Der Staatsgerichtshof verweist in seiner Rechtspre-
chung auf Art. 2 und 7 LV, die den Grundsatz der Gewaltenteilung ent-
halten, den er einen «zentralen Grundsatz des Rechtsstaates» nennt.!®
$19 EXKURS: VERFASSUNGSNOVELLE VON 2003
Die Verfassungsnovelle steht insoweit mit der Frage der Verfassungsho-
heit bzw. des Verfassunggebers in einem sachlichen Zusammenhang, als
sie ein Verfahren zur Abschaffung der Monarchie zum Gegenstand
hat,!* an dem Fürst und Volk in unterschiedlicher Weise beteiligt sind.
I. Verfahrensanforderungen
Wenigstens 1500 (wahlberechtigte) Landesbürger!® haben das Recht,
eine Initiative auf Abschaffung der Monarchie zu ergreifen. Nimmt sie
das Stimmvolk an, hat der Landtag eine neue Verfassung auf republika-
nischer Grundlage auszuarbeiten und diese frühestens nach einem Jahr
und spätestens nach zwei Jahren einer Volksabstimmung zu unterziehen.
Auch dem Landesfürsten steht das Recht zu, für die gleiche Volksab-
stimmung eine neue Verfassung vorzulegen. 13
Dieses Verfahren zur Abschaffung der Monarchie ändert aber, so-
lange es nicht in Gang gesetzt wird und ein entsprechendes Ergebnis zei-
tigt, nichts an der bisherigen Verfassungslage, wie sie seit 1921 besteht.
Il. Form
Es handelt sich um eine Initiative in Form einer allgemeinen Anregung,
wobei als Begehren nur die Abschaffung der Erbmonarchie zulässig ist.
133 StGH 2000/28, Entscheidung vom 17. Juli 2002, LES 5/2003, S. 243 (248 Erw. 2.1).
134 Siehe zu diesem Sachbereich auch hinten S. 186 f. und S. 441 ff.
135 Es kann sich nach Art. 113 Abs. 1 LV 2003 bei den Landesbürgern nur um wahl-
bzw. stimmberechtigte Landesbürger handeln. Siehe Art. 113 Abs. 2 IV und dazu
Anna Gamper, Autochthoner versus europäischer Konstitutionalismus, S. 267.
136 Vgl. eingehender zu diesem Verfahren Anna Gamper, Autochthoner versus euro-
päischer Konstitutionalismus, 5. 268 ff.
185
Verfassungsrevision von 1921
Sie beinhaltet eine Totalrevision der Verfassung,!” d. h. die Einführung
einer «neuen Verfassung auf republikanischer Grundlage». Sie unter-
scheidet sich wesentlich vom allgemeinen Verfassungsänderungsverfah-
ren, das gemäss Art. 112 Abs. 2 LV ein Einvernehmen zwischen Fürst
und Landtag bzw. Volk voraussetzt. Dieses entfällt im Falle der
Annahme der Volksinitiative. So gesehen impliziert dieses Monarchieab-
schaffungsverfahren den Übergang der heute bestehenden konstitutio-
nellen Erbmonarchie zu einer ausschliesslich demokratisch begründeten
Staats- und Verfassungsordnung.! Wird ein entsprechender Verfas-
sungsvorschlag in einer Volksabstimmung angenommen, unterliegt er
nicht mehr der Sanktion des Landesfürsten.
III. Bewertung
Die Verfassungsinitiative zur Abschaffung der Monarchie, wie sie nach
Art. 113 LV 2003 abweichend vom bisherigen Verfassungsänderungsver-
fahren festgelegt ist,” wird in zweifacher Hinsicht eingeschränkt. Sie
kann nur von 1500 stimmberechtigten Personen und nicht auch vom
Landtag lanciert werden. Sie ist auch in ihrer inhaltlichen Ausrichtung
eingegrenzt, da sie ausschliesslich die Ablösung der bestehenden Erb-
monarchie und als Alternative die Einführung einer Republik anvisiert.
Es steht in diesem Verfahren dem Stimmvolk nicht ein Recht zu,
das mit demjenigen des Landesfürsten vergleichbar ist, eine Verfassungs-
initiative zu ergreifen, die eine anders gestaltete Monarchie zum Gegen-
stand hat, die von der bisherigen konstitutionellen Erbmonarchie
abrückt. Dies ist nach wie vor nur im Verfassungsänderungsverfahren
137 Ren6€ Rhinow, Rechtsgutachten, S. 91.
138 Es bedeutet nach Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 343 «ein demokratiepoli-
tisches Signal», da es «die Grundlegung der Verfassung von Liechtenstein im Willen
des Volkes» bestätige.
139 Ungewöhnlich ist die Verortung dieser Bestimmung im XI. Hauptstück der Verfas-
sung, das den Titel «Die Verfassungsgewähr» trägt, deren Inhalt es ist, zukünftig die
Verfassungsgeltung zu wahren und zu sichern und nicht, sie abzuschaffen. Vgl.
Gerd Roellecke, Identität und Variabilität der Verfassung, S. 487 Rz. 71, der sich mit
dem Ewigkeitsanspruch der Verfassungen auseinandersetzt.
186
Exkurs: Verfassungsnovelle von 2003
nach Art. 112 Abs. 2 LV möglich, das die Sanktion des Landesfürsten
voraussetzt.
Dem Stimmvolk bleibt es verwehrt, eigenberechtigt zur Frage
«welche Monarchie» Stellung zu beziehen. Es kann sich nur zur beste-
henden oder zu der vom Landesfürsten bestimmten Monarchie äussern.
Es ist kaum anzunehmen, dass sich der Landesfürst in seiner Verfas-
sungsvorlage für einen Staat «auf republikanischer Grundlage» aus-
spricht.!%0
Aus der Sicht des Stimmvolks ist diese im Vorhinein gegebene Ein-
engung des Gestaltungsspielraums demokratiepolitisch unbefriedigend.
140 In diesem Sinne auch Anna Gamper, Autochthoner versus europäischer Konstitu-
tionalismus, S. 268.
187
2. Abschnitt
Demokratisierung und Parlamentarisierung
der konstitutionellen Erbmonarchie
$20 LANDTAG UND VOLKSRECHTE
I. Allgemeines
Wilhelm Beck erklärte in der Landtagssitzung vom 14. Oktober 1918, es
gehe ein «demokratischer Zug» durch die Welt, der auch vor den Schran-
ken Liechtensteins nicht Halt mache.!*! Zum Begriff «demokratisch»
bemerkten die Oberrheinischen Nachrichten,!® «kann doch wohl allge-
mein gesprochen nur heissen, dass eben der Einfluss des Volkes an Stelle
einiger im gesamten Staatsleben einen ganz anderen Ausdruck in
Zukunft zu bekommen hat, als dies bisher der Fall gewesen ist. An Stelle
einer scheinbaren konstitutionellen Verfassung hat eine wirkliche zu tre-
ten, und diese selber ist vom Grundsatz der Volksherrschaft neben jener
des monarchischen Prinzips! vollständig zu durchtränken. Das Volk
selbst und seine Vertreter sollen als Scheinfaktoren im Staatsleben zu sol-
chen der Wirklichkeit emporgeführt werden.»!+
Die Idee der rechtlichen Bindung politischer Herrschaft und der
Legitimierung der Staatsgewalt und Gesetzgebung durch das Volk hängt
aufs engste mit der Einführung und dem Ausbau der Volksrechte und
der Entstehung und Stärkung des Parlaments!* als Volksvertretung
141 Herbert Wille, Landtag und Wahlrecht, S. 119.
142 ON. Nr. 81 vom 9. Oktober 1920 unter dem Titel «Demokratische Erscheinun-
gen», zitiert nach Herbert Wille, Landtag und Wahlrecht, S. 120.
143 Hier ist offensichtlich das «monarchische Prinzip» nicht im Sinne von $ 2 KV 1862
(Fürst als souveränes Staatsoberhaupt) gemeint.
144 Vgl. die Teilung der Staatsgewalt in Art. 2 LV 1921.
145 Zu Verwendung dieses Begriffs aus liechtensteinischer Sicht siehe Gerard Batliner,
Parlament, S. 13 Fn. 1.
188
Landtag und Volksrechte
zusammen, !* wie dies ein Verfassungsvergleich belegen und veranschau-
lichen kann. Die Landständische Verfassung von 1818 räumt den Land-
ständen noch keine politischen Rechte ein. Sie bleiben auf eine «Bera-
tungsfunktion» beschränkt. Es wurde ihnen eine Verfassung auferlegt,
nach der für sie das «fürstliche Wort» bestimmend war.!” Auch von
eigentlichen Wahlen zum Stände-Landtag kann nicht die Rede sein. Die
Landständische Verfassung von 1818 verschliesst sich einer dualistischen
Gegenposition der Stände. Sie sind staatspolitisch bedeutungslos. Es fin-
det auch nur insoweit ein Wahlverfahren statt, als die stimmberechtigten
Gemeindebürger dem Oberamt drei zum Richteramt bzw. zum Amt des
Säckelmeisters wahlfähige Bürger vorschlagen können. Wer Richter und
Säckelmeister in der Gemeinde und damit Mitglied in der Landmann-
schaft wird, bestimmt das Oberamt. Die stimmberechtigten Gemeinde-
bürger haben so gesehen kein Wahlrecht. Es reduziert sich auf ein Vor-
schlagsrecht.!48
Erst in den Verfassungsentwürfen von 1848 und in deren Folge in
den Konstitutionellen Übergangsbestimmungen vom 7. März 1849
nimmt der Parlamentarismus konkrete Gestalt an. Der Landrat wird zu
einer vom Volk gewählten Institution der Verfassung, die in der Funk-
tion des Mitgesetzgebers neben den Fürsten tritt. Diese Entwicklung
wurde durch den Reaktionserlass des Fürsten vom 20. Juli 1852 unter-
brochen und in der Konstitutionellen Verfassung von 1862 nicht mehr
im gleichen Ausmass umgesetzt. Sie bleibt hinter den Verfassungserwar-
tungen von 1848 zurück, wenn man die Stellung der Volksvertretung,
insbesondere ihr Verhältnis zum Fürsten, wie auch die Ausgestaltung
der politischen Rechte, vornehmlich des Wahlrechts, in Betracht zieht.
Gleichwohl war der durch die Verfassungsbestrebungen von 1848 einge-
leitete Prozess politischer Partizipation nicht mehr aufzuhalten.
146 Peter Badura, Die parlamentarische Demokratie, S. 509 f. Rz. 20.
147 So schrieb die Hofkanzlei in Wien am 28. April 1819 an das Oberamt in Vaduz, dass
die Stände so wenig wie jene in Österreich berechtigt seien, über die postulierte
Summe eine detaillierte Rechnungsvorlage zu verlangen, «sondern ihnen das fürstl.
Wort diesfalls genügen» müsse. Zitiert nach Rupert Quaderer, Politische Ge-
schichte, S. 34.
148 Herbert Wille, Liechtenstein, S. 1085.
189
Demokratisierung und Parlamentarisierung der konstitutionellen Erbmonarchie
II. «Demokratisierung» und «Parlamentarisierung»
der (Erb-)Monarchie
1. Unterschied zur Konstitutionellen Verfassung von 1862
Soweit die «Demokratisierung» und «Parlamentarisierung» der (Erb-)
Monarchie mit der Stellung des Landtages und Volkes zusammenhängt,
geht es grundsätzlich um die Frage der Teilhabe an der staatlichen
Gewalt, wie sie dem Landtag als «Organ der Gesamtheit der Landesan-
gehörigen» und Mitgesetzgeber im V. Hauptstück der Verfassung von
1921 konzediert werden.!*? Das Volk ist im Unterschied zur Konstitu-
tionellen Verfassung von 1862 neben dem Landesfürsten zum anderen
Träger der Staatsgewalt geworden. Es stehen dem Fürsten nur die Befug-
nisse zu, die ihm die Verfassung von 1921 gewährt. Dazu zählen aber
nach wie vor eine Anzahl von Vorrechten, so etwa das absolute Geset-
zesveto oder das Notverordnungsrecht. Der Fürst hat nicht eine den
anderen Staatsorganen, Landtag und Regierung, vergleichbare Stellung
im Staat inne. Er tritt kraft Erbrecht in sein Fürstenamt und ist als Staats-
oberhaupt niemandem verantwortlich.
Neben dem Wahlrecht zum Landtag sind insbesondere die direkt-
demokratischen Einrichtungen der Initiative und des Referendums auf
Verfassungs- und Gesetzesebene zu erwähnen, die neu in die Verfassung
von 1921 aufgenommen worden sind.!® So vertritt nach Art. 66 Abs. 6
LV, wenn der Landtag einen Gesetzesentwurf, der ihm im Wege der
Volksinitiative zugegangen ist, ablehnt, die Annahme des Entwurfes
durch die wahlberechtigten Landesangehörigen den sonst zur Annahme
eines Gesetzes erforderlichen Beschluss des Landtages. Die Eingangs-
formel des Gesetzes hat dann nicht zu lauten «dem nachstehenden vom
Landtag gefassten Beschluss», sondern «dem in der Volksabstimmung
vom [...] angenommenen Gesetz oder Verfassungsgesetz erteile Ich
Meine Zustimmung». !5!
Das Staatsorgan «Volk» bilden jene liechtensteinischen Staatsbür-
ger männlichen Geschlechts, welche das 24. Lebensjahr vollendet und
149 Vel. Art. 45 bis 70 LV 1921.
150 Vgl. Art. 64 und 66 LV 1921.
151 Vgl. etwa LGBl. 1989 Nr. 64.
190
Landtag und Volksrechte
seit einem halben Jahr im Land «ständigen Wohnsitz» haben und nicht
vom Wahlrecht ausgeschlossen sind.!52
Die Gesamtheit der Wahl- und Stimmberechtigten sind die Aktiv-
bürgerschaft. Juristisch vertritt die Aktivbürgerschaft das ganze Volk.15
2. Landtag
Der Landtag besteht nunmehr ausschliesslich aus volksgewählten Abge-
ordneten, wie dies in den Schlossabmachungen festgelegt wurde. Von
der Institution der fürstlichen Abgeordneten, an der der zum Verfas-
sungsgesetz gewordene Landtagsbeschluss vom 10. Dezember 1918
noch festhielt,!» wurde abgesehen. Sie war mit der Forderung nach
einem Ausbau der Volksrechte, die neben Volksabgeordneten auch ple-
biszitäre Einrichtungen wie Referendum und Initiative auf Gesetzes-
und Verfassungsebene umfasste, nicht zu vereinbaren. Der Fürst konnte
aus dem dynastischen Prinzip keinen Anspruch mehr herleiten, um auf
die Wahl zum Landtag durch die Ernennung von fürstlichen Abgeord-
neten rechtlich und politisch Einfluss zu nehmen. Der demokratische
Legitimitätsgedanke war zu stark geworden.
Der Landtag ist in seinem personellen Bestand ein Organ des Staa-
tes, das vom Volk in einem Wahlakt bestellt wird, der ihn auch als des-
sen Repräsentationsorgan legitimiert. In den Fällen, in denen der Land-
tag allein, also ohne Volk, entscheidet, sei es, dass er allein zuständig ist
(z.B. Vorschlag zur Ernennung von Regierungsmitgliedern), sei es, dass
über einen Landtagsbeschluss (Gesetzesbeschluss, Finanzbeschluss) eine
Volksabstimmung nicht stattfindet, weil eine solche weder vom Landtag
von sich aus angeordnet noch vom Volk im Wege eines Referendumsbe-
gehrens verlangt wird, entscheidet der Landtag anstelle des Volkes als
152 Siehe $ 2 des Gesetzes vom 21. Jänner 1918 betreffend die Abänderung der Land-
tagswahlordnung, LGBl. 1918 Nr. 4. Nach Art. 29 Abs. 2 i.d.F. LGBl. 2000 Nr. 55
sind es jene Landesangehörigen, die das 18. Lebensjahr vollendet, im Lande ordent-
lichen Wohnsitz haben und nicht im Wahl- und Stimmrecht eingestellt sind. 1984
wurden die politischen Volksrechte den demokratischen Anforderungen entspre-
chend auf die Frauen ausgedehnt. 1939 wurde das Majorzsystem durch das Propor-
tionalwahlsystem abgelöst.
153 Vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 45.
154 Er erhielt die Vorsanktion des Landesfürsten.
191
Demokratisierung und Parlamentarisierung der konstitutionellen Erbmonarchie
Staatsorgan. Der vom Landtag geformte Wille ist nach der Staatslehre
unmittelbar als Wille des Volkes zu betrachten.!55
Die Legislaturperiode des Landtags dauert vier Jahre. Sie endet
vorzeitig bei Auflösung. Landesfürst und Volk können den Landtag vor
Ablauf der vierjährigen Mandatsdauer auflösen (Art. 48 Abs. 1 und 3
LV). Ein Selbstauflösungsrecht steht dem Landtag wie bisher nicht zu.
Die Landtagsauflösung stellt einen Akt dar, der zu begründen und an
Verfahrensgarantien geknüpft ist. Eine Volksabstimmung setzt ein
«begründetes, schriftliches Verlangen» wahlberechtigter Landesbürger
voraus (Art. 48 Abs. 2 und 3 LV). Der Landesfürst hat die «erheblichen
Gründe» dem Landtag mitzuteilen bzw. vor versammeltem Landtag aus-
zusprechen (Art. 48 Abs. 1 LV).!56
3. Das Volk und seine direktdemokratischen Rechte
a) Initiativrecht
Das Recht der Initiative in der Gesetzgebung steht dem Volk in Form
der Volks- oder Gemeindeinitiative oder durch den Landtag zu.!” Auch
Landtagsabgeordnete haben das Recht, ausgearbeitete Gesetzes- oder
Verfassungsinitiativen dem Landtag vorzulegen (Art. 64 Abs. 1 Bst. b
LV 1921).
Verfassungs- und Gesetzesinitiativen können gemäss Art. 64 Abs. 2
LV 1921 sowohl von einer bestimmten Anzahl von wahlberechtigten
Personen als auch durch das Zusammenwirken mehrerer Gemeinden
veranlasst werden. Eine Gesetzesinitiative erforderte die Unterschriften
von 400 (heute: 1000) wahlberechtigten Landesbürgern und Landesbür-
gerinnen oder überstimmende Gemeindeversammlungsbeschlüsse von
drei Gemeinden. Eine Verfassungsinitiative verlangte 600 (heute: 1500)
Unterschriften oder vier Gemeindeversammlungsbeschlüsse.!>8
155 Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 44 f. un-
ter Bezugnahme auf Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 546.
156 Der fürstliche Auflösungsakt bedarf zur Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den
verantwortlichen Regierungschef. Siehe Gerard Batliner, Einführung in das liechten-
steinische Verfassungsrecht, S. 47; Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 232 f.
157 Vgl. Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 210 ff.
158 Siehe LGBl. 1984 Nr. 27; zu den Formerfordernissen und zum Verfahren siehe Hil-
mar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 214 ff.
192
Landtag und Volksrechte
b) Referendumsrecht
Zu den direktdemokratischen Einrichtungen gehört auch das Referen-
dum!®%, das den stimm- und wahlberechtigten Landesbürgern ein «Recht
der Nachentscheidung»!® über Gesetzes- und Finanzbeschlüsse des
Landtags einräumt, sofern dieser die Beschlüsse nicht als dringlich
erklärt.
Seit 1992! unterliegt auch ein Beschluss des Landtags, der die
Zustimmung zu einem Staatsvertrag beinhaltet, dem Referendum.
Unterschriftenzahl und Verfahren sind dieselben wie bei der Volksinitia-
tive. Die Referendumsfrist beträgt jedoch nur 30 Tage ab Kundmachung
des referendumspflichtigen Erlasses, während sich die Frist für die
Unterschriftensammlung bei der Volksinitiative auf sechs Wochen
erstreckt. Entzieht der Landtag einen Gesetzes- oder Finanzbeschluss
durch Dringlicherklärung dem Referendum, können sich die wahlbe-
rechtigten Landesbürger und Landesbürgerinnen mit einer Volksinitia-
tive zur Wehr setzen. !6? Voraussetzung ist allerdings, dass der entspre-
chende Erlass des Landtags Gegenstand einer Volksinitiative sein
kann.!® Der Landtag kann auch von sich aus einen Gesetzes- oder
Finanzbeschluss oder einen Beschluss, der die Zustimmung zu einem
Staatsvertrag enthält, dem Referendum unterstellen.
4. Ergebnis
Der Trend der Parlamentarisierung des Regierungssystems hält an und
verstärkt sich. Die Entwicklung geht in Richtung direkter Demokratie
und führt zu einer Verbindung von repräsentativer und unmittelbarer
Demokratie in der Ausprägung eines Initiativ- und Referendumsrechts
des Volkes. Das repräsentative Organ ist der Landtag, dessen Beschlüsse
159 Siehe Art. 66 LV 1921; zum Begriff siehe Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzge-
bung, S. 220 Fn. 69.
160 Gerard Batliner, Parlament, S. 23.
161 LGBl. 1992 Nr. 27.
162 Vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 24;
Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 223.
163 Zum Ausschluss bzw. zu den Einschränkungen des Initiativ- und Referendums-
rechts siehe Herbert Wille, Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum,
$.139 ff; vgl. auch Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 223.
193
Demokratisierung und Parlamentarisierung der konstitutionellen Erbmonarchie
insoweit als Entscheidungen des Volkes gelten, als dieses nicht selbst
tätig wird bzw. die Beschlüsse des Landtags bestehen lässt.
Art. 2 LV spricht Formen der direkten und parlamentarischen
Demokratie an, die als Substrat der konstitutionellen Erbmonarchie zur
Seite gestellt werden. Diese ist weder eine demokratische noch eine par-
lamentarische Monarchie.!* Volk und Landtag können weder allein
Gesetze erlassen, noch können sie allein in Staatsverträge einwilligen.
Gesetze bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Sanktion, Staatsverträge der
Ratifikation durch den Fürsten. Die Kompetenzen werden vielmehr
zwischen Fürst, Volk und Landtag aufgeteilt, wie dies ein Stück weit
schon bisher dem konstitutionell-monarchischen Verfassungssystem
entsprach, das im Gesetzgebungsverfahren dem konstitutionellen Prin-
zip des Einvernehmens von Fürst und Volksvertretung verpflichtet war.
Dabei sticht vor allem die «Kumulierung solcher Kompetenzaufteilun-
gen» ins Auge: «Vetorecht des Fürsten (Sanktion), Vetorecht des Volkes
(Referendum), Normenkontrolle durch den Staatsgerichtshof»,!®5 die
dementsprechend eine einseitige Zentrierung der Macht zu vermeiden
sucht. Damit ist aber zur verfassungsrechtlichen Ausgestaltung der
Befugnisse der einzelnen Staatsorgane noch nichts gesagt.!°
$21 PARLAMENTARISCHE REGIERUNGSTEILHABE
I. Entwicklungsgang
1. Allgemeines
a) Ausgangssituation
Die Verfassung von 1921 spricht in Art. 2 von einer konstitutionellen
Erbmonarchie «auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage»,
164 Zusammenfassend hinten S. 727 ff.; a. A. Günther Winkler, Verfassungsrecht, S. 30 f.
Vgl. zur verfassungsrechtlichen Stellung des Fürsten im Vergleich zu anderen Mo-
narchen von Europaratsstaaten Michael Elicker, Gedanken zum Ende der Monar-
chie, S. 221 f.
165 Gerard Batliner, Parlament, S. 21 Fn. 28.
166 Siehe etwa zur Einschränkung der politischen Rechte des Volkes hinten S. 453 ff.
194
Parlamentarische Regierungsteilhabe
wobei sie sich auf die Art. 79 und 80 bezieht, die den Bestand, d. h. die
Bestellung und Abberufung der Regierung bzw. einzelner Regierungs-
mitglieder regeln. Den Materialien lässt sich nur entnehmen, dass diese
Verweisung der näheren Umschreibung des Regierungssystems dienen
soll.!°7 Wie schon aus der Entstehungsgeschichte hervorgeht, ist es nicht
zu einer eigentlichen Parlamentarisierung der Regierung gekommen.!®
Es sind in der Zeit davor zwar Bestrebungen im Gange, die auf eine Par-
lamentarisierung der Regierung bzw. des Landesverwesers hindeuten.
Im Verfassungsentwurf des ständischen Verfassungsrates vom 1. Okto-
ber 1848 sind Ansätze in dieser Richtung zu erkennen. Er sieht eine Ver-
antwortlichkeit in der Form einer Anklage vor.!® So ist nach $$ 34 und
96 der Landesverweser als Regierungsvorsteher dem Landrat verant-
wortlich, der ihn «wegen Verletzung der Verfassung oder der Gesetze
und pflichtwidrigen Verausgabung der Staatseinnahmen>» in den Ankla-
gezustand versetzen kann ($ 90). Eine solche Klage gehörte damals noch
in die Kategorie rechtsstaatlicher Sicherungen des konstitutionellen
Staates, da sie einen Rechtsverstoss voraussetzte.!”° Eine weitergehende
Verantwortlichkeit gegenüber dem Landrat wurde nicht in Betracht
gezogen. Der Verfassungsentwurf teilt denn auch dem Fürsten die aus-
schliessliche Kompetenz über die Exekutive zu.!7!
Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 sieht in der Folge auch
von einer Justizförmigen Verantwortlichkeit des Landesverwesers bzw.
der Regierung ab und gesteht dem Landtag lediglich eine Beschwerde
zu, die er «unmittelbar» an den Landesfürsten richten kann.!7? Die Exe-
kutive war sein ausschliesslicher Zuständigkeitsbereich.!”?
167 So der Bericht über die Beschlüsse der Verfassungskommission, zitiert nach Herbert
Wille, Regierung und Parteien, S. 113; ders., Landtag und Wahlrecht, S. 126; Rupert
Quaderer, Der historische Hintergrund der Verfassungsdiskussion, S. 133.
168 Nach Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 79
handelt es sich beim liechtensteinischen Regierungssystem um «kein reines parla-
mentarisches System».
169 Nach Dieter Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 260 Rz. 13 strebte die
Mehrheit in der Paulskirche eine «parlamentarische Regierung», also die Abhängig-
keit des Ministeriums von der Parlamentsmehrheit, an.
170 Jörg-Detlef Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, S. 461.
171 Siehe $ 37. Danach wählt der Fürst «den Landesverweser von sich selbst».
172 Siehe $ 42 KV 1862 und dazu Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 14 f.
173 Siehe $$ 27 und 28 KV 1862.
195
Demokratisierung und Parlamentarisierung der konstitutionellen Erbmonarchie
b) Begriffsbildung
Der Begriff der parlamentarischen Regierung im Sinne einer «mit der
Mehrheit der Volksvertretung gebildeten, von ihrem Vertrauen abhängi-
gen und nicht nur hinsichtlich der Gesetzmässigkeit, sondern auch in
Hinblick auf die allgemeine Ausrichtung der Verwaltung» kontrollierten
Regierung setzte sich in den deutschen Staaten erst nach 1840 durch.
Vorher wird dieses Wort «eher als wahrer, echter, aufrichtiger Konstitu-
tionalismus verstanden» und ist noch nicht «auf einen spezifischen
Bedeutungsgehalt festgelegt».!7* Es hat sich in diesem Zusammenhang
dann auch für die parlamentarische Verantwortlichkeit im Verlaufe des
19. Jahrhunderts der Terminus «politische» Verantwortlichkeit einge-
bürgert.!75
2. Forderung nach einer Parlamentarisierung der Regierung
Die Forderung nach einer «Demokratisierung» bzw. «Parlamentarisie-
rung» der Regierung wurde während des Ersten Weltkrieges unüberhör-
bar und rückte nach der Wahl eines Vollzugsausschusses, die der Land-
tag am 7. November 1918 vornahm,!7® ins Zentrum der Verfassungsdis-
kussion. Dieser Vorgang unterstreicht, dass der Landtag versucht,
Einfluss auf die Bestellung und Abberufung der Regierung zu gewinnen.
Er reklamiert für sich nicht nur einen Anteil an der Gesetzgebung, son-
dern viel weiter gehend auch einen Anteil an der Regierungsgewalt, die
bis anhin völlig im Machtbereich der Regierung lag. Die Institution der
Regierung in ihrer damaligen Ausgestaltung ist nicht mehr tragfähig. Sie
lässt sich ohne das Volk nicht mehr legitimieren. Da der Landtag noch
nicht Mitinhaber der Regierungsgewalt ist, musste der Landesfürst bei
der Auswahl seiner Regierung bzw. des Landesverwesers keine Rück-
sicht auf den Landtag nehmen. Er bestätigte denn auch den Vollzugs-
ausschuss nicht und betraute an seiner Stelle Prinz Karl von Liechten-
174 Manfred Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus in der Revolutionszeit, S. 54.
175 Klaus Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit, S. 16.
176 Zum Vorgang und zur Begründung des Initiativantrages vom 14. Oktober 1918
betreffend die Einführung einer parlamentarischen (Volksmit-)Regierung siehe
Herbert Wille, Monarchie und Demokratie, S. 170 ff; Rupert Quaderer-Vogt,
Bewegte Zeiten, Bd. 2, 5. 76 ff.; siehe auch vorne S. 147 f.
196
Parlamentarische Regierungsteilhabe
stein mit der «Übernahme der Stelle des Landesverwesers».!77 Aus die-
sem Grund ist es auch kein Zufall, dass das Ausmass der Parlamentari-
sierung der Regierung die Verfassungsauseinandersetzung beherrscht,
geht es doch in diesem Punkt um eine essenzielle Machtfrage.!78
3. Parlamentarische Regierung
a) Vorschlag von Wilhelm Beck
Wilhelm Beck versteht unter einer parlamentarisch geformten Regierung
in seinem Verfassungsentwurf von Mitte Januar 1919,!”? dass «ein Regie-
rungsmitglied von seiner Stelle zurückzutreten (hat), wenn es das Ver-
trauen der Volksvertretung nicht mehr besitzt», wobei die Regierung aus
dem Landammann als Vorsitzendem, der auf Vorschlag des Landtages
vom Landesfürsten ernannt wird, und zwei Regierungsräten und deren
Stellvertreter besteht, die vom Landtag gewählt werden.!® Sie sind dem
Landesfürsten und dem Landtag verantwortlich. Verlieren sie das Ver-
trauen der Volksvertretung, sind sie zum Rücktritt verpflichtet. Die Re-
gierung sollte, wie er schon bei der Eröffnung des Landtages am 14. Ok-
tober 1918 erklärt hatte, «vollkommen auf den Boden des Parlamentaris-
mus gestellt werden». Zum direkten Wahlrecht, das am 21. Januar 1918
eingeführt worden war, !?! gehöre im Sinne einer «konsequenten Fortfüh-
rung des Ausbaus der Volksrechte» eine parlamentarische Regierung.
Das hätte bedeutet, dass die Regierung in ihrem Bestand und folglich
auch in ihrer Tätigkeit vom Vertrauen des Landtages abhängig ist.!%
177 Siehe Herbert Wille, Monarchie und Demokratie, S. 170 ff.; Rupert Quaderer, Der
historische Hintergrund der Verfassungsdiskussion, S. 113 ff. und Rupert Quaderer-
Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2, S. 117.
178 Dies betrifft die politische Gewichtsverteilung zwischen Volk bzw. Landtag und
Fürst bzw. Exekutive und dazu das berühmte Diktum von F. Lassale, zitiert nach
Werner Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus, S. 382 Fn. 114:
«Verfassungsfragen sind ursprünglich nicht Rechtsfragen, sondern Machtfragen.>»
179 Vgl. Art. 62 und Herbert Wille, Monarchie und Demokratie, S. 181 f.
180 Siehe Art. 60 und Herbert Wille, Regierung und Parteien, S. 104 Fn. 184.
181 Gesetz vom 21. Jänner 1918 betreffend die Abänderung der Landtagswahlordnung,
LGBl. 1918 Nr. 4.
182 Vgl. Rupert Quaderer, Der historische Hintergrund der Verfassungsdiskussion,
$.113 ff.; Herbert Wille, Monarchie und Demokratie, S. 170 ff.
197
Demokratisierung und Parlamentarisierung der konstitutionellen Erbmonarchie
b) Ablehnung
Die Vorstellung einer «parlamentarischen Regierung» bzw. eines demo-
kratisch-parlamentarischen Regierungssystems, wie sie von Wilhelm
Beck, dem Exponenten der Christlich-sozialen Volkspartei, vertreten
wurde, !® konnte sich jedoch in den Schlossabmachungen vom Septem-
ber 1920 nicht durchsetzen und fand auch bei der Mehrheit des Landtags
keine Zustimmung. Die konservativen Verfassungskräfte votierten für
eine vorsichtige Weiterentwicklung der bisherigen Verfassungsordnung
des monarchischen Konstitutionalismus und lehnten ein parlamentari-
sches Regierungssystem ab.!* Es kam für sie nur insoweit eine Parla-
mentarisierung der Regierung infrage, als mit ihr die bestehende konsti-
tutionell-monarchische Verfassungsordnung nicht aufgegeben wurde
und dem Landesfürsten eine entscheidende Mitsprache bei der Bestel-
lung und Abberufung der Regierung erhalten blieb.
II. Bestellungsmodus und Verantwortlichkeit der Regierung
1. Bestellungsmodus der Regierung
a) Bestellung und Zusammensetzung
Der Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck legt in Art. 60 fest, dass die
Regierung aus dem Landammann als Vorsitzendem, der auf Vorschlag
183 Gemeint ist damit nach O.N. Nr. 3 vom 18. Januar 1919 eine Demokratie «im Rah-
men der Monarchie». Postuliert wird ein demokratischer Ausbau der Verfassung,
«durch die alle Teile der Bevölkerung in gerechtem Verhältnis zur Gesetzgebung,
Verwaltung und Rechtsprechung herangezogen werden.» Dies bedeutet für Wil-
helm Beck einen Schritt hin zum «demokratischen Rechtsstaat». In seinem Verfas-
sungsentwurf konkretisiert er die «demokratische Monarchie» in den Art. 3 (Tei-
lung der Staatsgewalt), 26 (Stimm- und Wahlberechtigung in allen Landes- und Ge-
meindeangelegenheiten; Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen), Art. 35 ff.
(Wahl zum Landtag), Art. 50 (Initiativrecht auf Gesetzesebene), Art. 59, 60 und 62
(Regierungsbestellung und Regierungsverantwortlichkeit).
184 Vgl. «Politisches Programm» der Fortschrittlichen Bürgerpartei unter Ziffer I, ver-
öffentlicht im LVolksblatt vom 4. Januar 1919 Nr. 1. Es beginnt mit einem Bekennt-
nis zur «unentwegte(n) Treue zu Fürst und Fürstenhaus» und belässt es bei der kon-
stitutionellen Monarchie, die in der neuen Verfassung besser auszubauen sei. In
LVolksblatt Nr. 95 vom 29. November 1919 ist die Rede von einer «besser auszu-
bauenden konstitutionellen Monarchie».
198
Parlamentarische Regierungsteilhabe
des Landtages vom Landesfürsten ernannt wird, und zwei Regierungs-
räten besteht, die vom Landtag «aus der wahlfähigen Bevölkerung» des
Oberlandes bzw. des Unterlandes gewählt werden. Dieses Regierungs-
kollegium bestimmt einen der beiden Regierungsräte zum Stellvertreter
des Landammanns, der Landtag wählt die Stellvertreter der Regierungs-
räte. Regierungsmitglieder können nur Landesbürger sein.!® Die
Schlossabmachungen folgen in Ziffer 3 diesem Muster, heben noch
eigens hervor, dass der Fürst den Landammann und seinen Stellvertreter
«einvernehmlich» mit dem Landtag «über dessen Vorschlag» ernennt,
und dass für dieses Amt nur «gebürtige»1% Liechtensteiner infrage kom-
men. Die zwei Regierungsräte und ihre Stellvertreter wählt der Landtag,
wobei er beide Landschaften (Oberland und Unterland) zu berücksich-
tigen hat. In Abweichung davon bindet die Regierungsvorlage diese
Wahl der Regierungsräte in $ 79 Abs. 2 an die Bestätigung durch den
Landesfürsten und präzisiert, dass sie vom Landtag «aus der wahlfähigen
Bevölkerung unter gleichmässiger Berücksichtigung beider Landschaf-
ten gewählt» werden. Auch als Landammann und als Stellvertreter des
Landammanns kommen nur Personen in Betracht, die dem Kreis «der
wahlfähigen Bevölkerung des Fürstentums» angehören. Den Bestel-
lungsmodus des Landammanns und seines Stellvertreters ändert die
185 Zur Nationalitätsfrage siehe Rupert Quaderer, Der historische Hintergrund der
Verfassungsdiskussion, S. 122 ff. und Rupert Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2,
S. 205 f. und 215.
186 Die Bestellung der Regierung mit Liechtensteinern war ein Postulat der Volkspartei.
So hielt der Vorsitzende des Vollzugsausschusses, Dr. Martin Ritter, in einer Erklä-
rung vor dem Landtag am 12. November 1918 u.a. fest: «Bisher stand die Regierung,
richtiger der jeweilige einem fremden Staate angehörige und ihm ausserdem durch
Diensteid verpflichtete Landesverweser, der allein, wenn auch verfassungswidrig, so
doch tatsächlich die Regierung darstellte und ausübte, auf dem Standpunkte, dass er
als vom Fürsten eingesetztes Vollzugsorgan über dem Landtag und somit über dem
Willen des Volkes stehe und wurde der Wille des Landtages bzw. Volkes nur insoweit
beachtet, als es dem jeweiligen Landesverweser bzw. der ihm übergeordneten Kanz-
lei in Wien, deren Weisungen er befolgen musste, genehm war.» Zitiert nach Herbert
Wille, Landtag und Wahlrecht, S. 89. Der Begriff «gebürtiger Liechtensteiner>» stellt
beim Erwerb der Staatsangehörigkeit auf die Geburt ab und schliesst einen Erwerb
auf dem Wege der Aufnahme und der Verleihung durch den Landesfürsten aus. Siehe
Gesetz vom 28. März 1864 über die Erwerbung und über den Verlust des liechten-
stein’schen Staatsbürgerrechts, LGBl. 1864 Nr. 3. Zur Person von Martin Ritter siehe
Rupert Quaderer, in: Historisches Lexikon, Bd. 2, S. 773.
199
Demokratisierung und Parlamentarisierung der konstitutionellen Erbmonarchie
Regierungsvorlage hingegen nicht. Die Verfassungskommission engt ihn
auf den Ernennungsakt ein, ohne festzuhalten, wer für die Selektion des
Regierungschefs!? zuständig ist. Sie legt den Akzent auf eine einver-
nehmliche Vorgehensweise bzw. Ernennung. Danach werden der Regie-
rungschef und sein Stellvertreter vom Landesfürsten im Einvernehmen
mit dem Landtag ernannt.!® Den Wahlmodus der Regierungsräte behält
sie bei. Der Verfassungstext schliesst sich der Version der Regierungs-
vorlage an.
b) Amtsdauer des Regierungschefs
Einen Streitpunkt bildete die Amtsdauer des Regierungschefs. An dieser
Frage werden die Auswirkungen einer Parlamentarisierung problemati-
siert. Die Verfassungskommission des Landtages konnte der in der
Regierungsvorlage vorgesehenen Amtsdauer des Regierungschefs inso-
weit nicht beipflichten, als sie mit jener des Landtages zusammenfiel, wie
dies auch bei den beiden Regierungsräten der Fall war. Sie erachtete
einen solchen Vorschlag für unangemessen!®? und befürchtete eine Insta-
bilität der Regierung. Die Parlamentarisierung ging ihr in dieser Hin-
sicht zu weit, sodass sie die Verfassungskommission einschränkte. Die
Amtsdauer des Regierungschefs wurde demzufolge in der Kommissi-
onsvorlage zeitlich nicht begrenzt und insoweit dem Einflussbereich des
Landtages entzogen. Dadurch hat die Stellung des Regierungschefs an
parlamentarisch-demokratischer Kraft eingebüsst. !®
Die Amtsdauer des Regierungschefs und seines Stellvertreters
wurde schliesslich in der Landtagssitzung vom 24. August 1921, in der
die Regierungsvorlage behandelt und verabschiedet wurde, auf sechs
Jahre festgesetzt, während die der zwei Regierungsräte und ihrer Stell-
vertreter mit jener des Landtags gekoppelt wurde.
187 Anstelle des Begriffs «Landammann» setzt die Verfassungskommission den Begriff
«Regierungschef». Zur Begründung dieser Namensänderung siehe den Bericht über
die Beschlüsse der Verfassungskommission, S. 4.
188 Vsl. zu $ 79 den Bericht über die Beschlüsse der Verfassungskommission, S. 3.
189 Nach Hans Nawiasky, Rechtsgutachten, S. 21 sah die Verfassungskommission in
ihm eine «Überspannung des parlamentarischen Systems».
190 Hans Nawiasky, Rechtsgutachten, S. 22.
200
Parlamentarische Regierungsteilhabe
2. Verantwortlichkeit der Regierung
a) Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck
Wilhelm Beck unterscheidet in seinem Verfassungsentwurf von 1919
zwischen der politischen bzw. parlamentarischen und der rechtlichen
bzw. staatsgerichtlichen Verantwortlichkeit der Regierung.
aa) Politische Verantwortlichkeit
Die Regierung ist dem Landesfürsten und dem Landtag verantwortlich
(Art. 59). Da «parlamentarisch regiert» wird, hat «ein Regierungsmit-
glied von seiner Stelle zurückzutreten, wenn es das Vertrauen der Volks-
vertretung nicht mehr besitzt» (Art. 62 Abs. 1). Bei diesem Vorschlag
fällt auf, dass er auf die Verantwortlichkeit gegenüber dem Landesfürs-
ten nicht Bezug nimmt bzw. sie ausschliesst, obwohl sie in grundsätzli-
cher Weise erwähnt, aber nicht konkretisiert wird. Lässt man aus diesem
Vorgehen eine mögliche Unausgewogenheit ausser Betracht, könnte
man es für konsequent halten, denn aus dem System der parlamentari-
schen Regierungsweise folgt, dass der Landtag allein über die Entlassung
der Regierung bzw. eines Regierungsmitgliedes bestimmt.
ab) Staatsrechtliche Verantwortlichkeit
Die staatsrechtliche Verantwortlichkeit besteht darin, dass der Staatsge-
richtshof «die Verantwortlichkeit der Regierungsmitglieder und Beam-
ten, allenfalls Anklagen des Landtagsvertreters gegen die Regierung»
beurteilt (Art. 79 Abs. 2). Gegenstand der Verantwortlichkeit sind
Amtshandlungen, die Verfassung und Gesetze verletzen. Die Regie-
rungsmitglieder werden in diesem Zusammenhang den Beamten gleich
gehalten.!?! Die Anklage setzt ein Verschulden voraus. Ein solcher Kon-
nex besteht bei der politischen Verantwortlichkeit nicht.
191 Vgl. Art. 48 Abs. 1 Bst. f des Verfassungsentwurfs von Wilhelm Beck, wonach dem
Landtag das Recht des Antrags auf Anklage wegen Verfassungs- und Gesetzesver-
letzung der «verantwortlichen Staatsdiener» vor dem Staatsgerichtshof zukommt.
201
Demokratisierung und Parlamentarisierung der konstitutionellen Erbmonarchie
b) Ausformung der politischen und rechtlichen Verantwortlichkeit
ba) Schlossabmachungen und Regierungsvorlage
Die Schlossabmachungen übernehmen in Ziffer 3 und 4 und die Regie-
rungsvorlage in den $$ 80 und 104!” diese beiden Formen der Verant-
wortlichkeit und passen sie dem Regierungssystem an, wie es in anderen
konstitutionellen Monarchien des 19. Jahrhunderts verwirklicht war. Sie
verstehen demgemäss die politische Verantwortlichkeit im Sinne einer
dienstbezogenen Verantwortlichkeit, die mit der Amtsführung eines
Regierungsmitglieds in Verbindung steht, wobei dem Landtag im Unter-
schied zum Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck lediglich das Recht
zusteht, im Fall des Vertrauensverlustes beim Landesfürsten «die Enthe-
bung des betreffenden Funktionärs (zu) beantragen». Das Institut der
Ministerverantwortlichkeit war nämlich nicht nur eine Begleiterschei-
nung, es wurde allgemein als «Schlussstein des Konstitutionalismus»
betrachtet.!® Der Landtag hatte bis anhin nur das Recht, Anfragen zu
stellen, Meinungen und Wünsche zu äussern, das Recht zu kritisieren
und auf Verbesserungen zu dringen sowie das Recht, Mängel und Miss-
bräuche zu beanstanden. Dabei handelte es sich nicht um durchsetzbare
Rechte.!* Der Landtag begann aber gegen Ende des 19. Jahrhunderts,
Misstrauensvoten abzugeben, obwohl diese Möglichkeit verfassungs-
rechtlich nicht normiert war. Die Misstrauensvoten übten zumindest
einen moralischen Druck aus.!® So gesehen stellt dieses Institut eine ver-
spätete Aufarbeitung einer Verfassungslage dar, wie sie bereits in ande-
ren konstitutionellen Monarchien galt. Die Regierung stand staatsrecht-
lich noch in keiner Beziehung zum Landtag. Die «verantwortlichen
192 Vgl. auch $ 62 Bst. g der Regierungsvorlage, der die Erhebung der Anklage gegen
Mitglieder der Regierung wegen Verletzung der Verfassung oder sonstiger Gesetze
vor dem Staatsgerichtshof zur «vorzugsweisen» Zuständigkeit des Staatsgerichts-
hofs zählt.
193 Petra Popp, Ministerverantwortlichkeit und Ministeranklage, S. 1; vgl. auch Chris-
tine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 52 mit weiteren Hinweisen.
194 Siehe $ 42 KV 1862.
195 Vgl. Albert Schädler, Landtag, in: JBL Bd. 4 (1904), S. 42 ff. zur Beilegung von Mei-
nungsverschiedenheiten zwischen dem Landtag und dem Landesverweser Friedrich
Stellwag von Carion.
202
Parlamentarische Regierungsteilhabe
Staatsdiener» wurden vom Fürsten ernannt und entlassen. Sie übten die
«in seiner Hand liegende Regierungsgewalt» aus.!1%
bb) Politische Verantwortlichkeit
Die Änderungen, die die Schlossabmachungen und die Regierungsvor-
lage angebracht haben, betreffen bei der politischen Verantwortlichkeit
einerseits die Stellung des Landtags und andererseits das Objekt der Ver-
antwortlichkeit. Sie ist auf Amtshandlungen ausgerichtet. Im konstitu-
tionellen Staatsrecht waren Personen, die ein öffentliches Amt innehat-
ten, so etwa Staatsbeamte und Regierungsmitglieder, für die pflichtge-
mässe Ausübung des Amtes verantwortlich.!?”
Der Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck statuierte eine parla-
mentarische bzw. politische Verantwortlichkeit der Regierung bzw. der
Regierungsmitglieder, wonach ein Regierungsmitglied zurückzutreten
hat, wenn es das Vertrauen des Landtages nicht mehr besitzt. Von diesem
Vorschlag weichen die Schlossabmachungen und die Regierungsvorlage
ab. Der Vertrauensentzug wird auf ein Antragsrecht des Landtages an
den Landesfürsten reduziert, wenn das Regierungsmitglied durch seine
Amtsführung das Vertrauen des Volkes und des Landtages verliert.
Eine parlamentarische bzw. politische Verantwortlichkeit der
Regierung bzw. der Regierungsmitglieder hätte sich erst mit der Einfüh-
rung des parlamentarischen Regierungssystems voll entfalten können.!°®
bc) Rechtliche oder staatsrechtliche Verantwortlichkeit
An der rechtlichen bzw. staatsrechtlichen Verantwortlichkeit hat sich
inhaltlich gegenüber dem Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck nichts
geändert. Schlossabmachungen und Regierungsvorlage folgen seinem
Vorschlag, wonach der Staatsgerichtshof über Klagen des Landtages auf
Entlassung der Mitglieder und Beamten der Regierung wegen Verfas-
sungs- und Gesetzesverletzungen zu entscheiden hat.
196 So$27 KV 1862.
197 Vgl. Klaus Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit, S. 12 f. zur Institution der Mi-
nisterverantwortlichkeit aus rechtshistorischer Sicht, die vom Gedanken der sub-
jektiven Zurechenbarkeit ausgeht.
198 Petra Popp, Ministerverantwortlichkeit und Ministeranklage, S. 45.
203
Demokratisierung und Parlamentarisierung der konstitutionellen Erbmonarchie
3. Zusammenfassung
a) Verantwortlichkeit der Regierung
Die Verantwortlichkeit der Regierung bzw. der Regierungsmitglieder
wird in den Formen der politischen und der staatsgerichtlichen Verant-
wortlichkeit nach dem Muster der Schlossabmachungen und der Regie-
rungsvorlage in der Verfassung von 1921 festgelegt.!®® Das heisst, dass
die politische Verantwortlichkeit im Sinne einer dienstbezogenen Ver-
antwortlichkeit, die mit der Amtsführung eines Regierungsmitglieds in
Verbindung steht, verstanden wird, wobei der Landtag lediglich berech-
tigt ist, die «Enthebung des betreffenden Funktionärs» beim Landes-
fürsten zu beantragen, wenn dieser durch seine Amtsführung das «Ver-
trauen des Volkes»? und des Landtages verliert.?!
Das inzwischen aufgehobene?? Gesetz vom 5. November 1925
über den Staatsgerichtshof legt in Ausführung der Art. 62 Bst. g und
Art. 104 der Verfassung 1921 die rechtliche Verantwortlichkeit fest,
wobei der Staatsgerichtshof als Ministeranklage- und als Disziplinarge-
richtshof eingesetzt ist.?® Die Ministeranklage des Landtags richtet sich
gegen die Mitglieder der Regierung wegen Verletzung der Verfassung
und sonstiger Gesetze und setzt voraus, dass «diese Verletzung in Aus-
übung der Amtstätigkeit absichtlich oder grobfahrlässig erfolgt ist»
199 Siehe Art. 80 LV 1921, geändert durch LGBl. 1965 Nr. 22, und Art. 104 Abs. 2 LV
1921, geändert durch LGBl. 1964 Nr. 10. Vgl. auch das inzwischen aufgehobene Ge-
setz vom 7. Mai 1931 über das Disziplinarverfahren gegen Mitglieder der Regierung,
LGBl. 1931 Nr. 6 und die Art. 28 bis 34 des Gesetzes vom 27. November 2003 über
den Staatsgerichtshof (StGHG), LGBl. 2004 Nr. 32. Im Zusammenhang mit der
staatsrechtlichen Verantwortlichkeit ist anzumerken, dass der Landesfürst aufgrund
seines generellen Niederschlagungsrechts (Art. 12 Abs. 1 LV) ohne Antrag des
Landtags ein vom Landtag beschlossenes Ministeranklageverfahren niederschlagen
kann. Vgl. dazu hinten S. 350 ff. und S. 662 f.
200 Siehe zur Kritik der Volkspartei Rupert Quaderer, Der historische Hintergrund der
Verfassungsdiskussion, S. 119. Dieser Passus wurde durch LGBl. 1965 Nr. 22 auf-
gehoben.
201 Ziffer 3 der Schlossabmachungen und $ 80 der Regierungsvorlage.
202 Aufgehoben durch Art. 59 Bst. a des Gesetzes vom 27. November 2003 über den
Staatsgerichtshof (StGHG), LGBI. 2004 Nr. 32.
203 Art. 14 StGHG, LGBl. 1925 Nr. 8; vgl. auch die Kritik hinten S. 658 f.
204
Parlamentarische Regierungsteilhabe
(Art. 44 Abs. 1).2% Liegt eine solche Amtspflichtverletzung vor, kann der
Staatsgerichtshof «den Schuldigen, wenn er sich noch im Amte befindet,
des Amtes verlustig erklären» (Art. 50 Abs. 2).2®5 Das Disziplinarverfah-
ren ist im Gesetz vom 7. Mai 1931 über das Disziplinarverfahren gegen
Mitglieder der Regierung geregelt,?% das in der Zwischenzeit aufgeho-
ben worden ist.2” Es kommt bei pflichtwidrigem Verhalten der Regie-
rung als Kollegialbehörde oder von einzelnen Mitgliedern der Regierung
zum Zuge, das sich als leicht fahrlässig erweist. Das Recht, ein solches
Verfahren beim Staatsgerichtshof zu beantragen, steht ebenfalls dem
Landtag zu. Dabei sind Art. 44 Abs. 2 und 3 und Art. 45 bis 52 des
Gesetzes über den Staatsgerichtshof sinngemäss anzuwenden. Welche
Sanktionen mit dem Disziplinarverfahren verbunden sind, lässt sich die-
ser Rechtslage nicht mit Bestimmtheit entnehmen.?® Ausgeschlossen ist
jedenfalls eine Amtsenthebung, die die Folge eines Ministeranklagever-
fahrens sein kann.
b) Organisation der Regierung
Die Regierung wird institutionell in der Weise organisiert und ausgestal-
tet, dass der Regierungschef und sein Stellvertreter vom Landesfürsten
einvernehmlich mit dem Landtag über dessen Vorschlag ernannt, die
zwei Regierungsräte und seine Stellvertreter vom Landtag gewählt wer-
den, wobei ihre Wahl der Bestätigung durch den Landesfürsten unter-
liegt. Dieses Modell beinhaltet zwar eine Parlamentarisierung der Regie-
rung, bleibt aber den Formen des Regierungssystems der dualistisch
geprägten konstitutionellen Monarchie verhaftet, die ein Zusammenwir-
ken von Fürst und Volksvertretung beinhaltet.
204 Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 299 bemerkt, dass
diese Bestimmung (Art. 44 Abs. 1) insoweit nicht mit Art. 58 Abs. 1 LV überein-
stimme, als sie für einen Beschluss des Landtages die Zustimmung von zwei Drit-
teln aller Abgeordneter vorschreibe.
205 Vgl. Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 299 f.
206 LGBl 1931 Nr. 6 1. V.m. Art. 53 SEGHG, LGBl. 1925 Nr. 5; siehe vorstehend S. 204
Fn. 199.
207 Siehe vorstehend S. 204 Fn. 202.
208 Vgl. Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 300.
205
Demokratisierung und Parlamentarisierung der konstitutionellen Erbmonarchie
c) Nationalitätsfrage
Mit der Frage der Parlamentarisierung der Regierung hängt in einem
gewissen Sinne auch die Nationalitätsvorschrift zusammen, wonach der
Regierungschef bzw. die Regierungsmitglieder «gebürtige» Liechtenstei-
ner sein müssen.?® Sie richtete sich gegen die einseitige fürstliche Ernen-
nung von österreichischen Staatsbürgern zu Landesverwesern, wie dies
unter der Konstitutionellen Verfassung von 1862 die Regel gewesen ist.
Diese Nationalitätsvorschrift bedeutete so gesehen einen Machtverlust
des Landesfürsten.
III. Verfassungsnovelle von 1965
1. Bestellungsverfahren der Regierung
1965 wurde das Bestellungsverfahren und die Zusammensetzung der
Regierung derart geändert, dass sie fünf Mitglieder zählt, die auf die glei-
che Weise vom Landesfürsten einvernehmlich mit dem Landtag auf des-
sen Vorschlag ernannt werden.?!° Demnach werden auch die Regie-
rungsräte, die bisher der Landtag gewählt hatte, dem Einvernehmen
zwischen Landesfürst und Landtag unterstellt. Die Amtsdauer ist für die
Regierungsmitglieder generell an jene des Landtages gekoppelt worden
und beträgt vier Jahre. Es wird nicht mehr zwischen der Amtsdauer des
Regierungschefs und jener der anderen Regierungsmitglieder unter-
schieden. Insoweit ist die Parlamentarisierung der Regierung ausgedehnt
worden, als auch der Regierungschef an die Amtsdauer des Landtages
gebunden wird, wie dies 1921 die Regierungsvorlage festgesetzt hatte.
Dagegen bedeutet die Ernennung der Regierungsräte durch den Fürsten,
dass der monarchische Einfluss verstärkt wurde.?!! Die bisherige Bestä-
tigung des Fürsten setzte eine Wahl der Regierungsräte durch den Land-
tag voraus. Die Wahl und die Bestätigung der Wahl sind formell-recht-
lich nicht gleich zu gewichten, auch wenn faktisch in beiden Fällen ein
209 Siehe Art. 79 Abs. 1 und 2 LV 1921. Der Begriff «gebürtig» wurde durch Verfas-
sungsgesetz vom 16. März 2003, LGBl. 2003 Nr. 186, fallen gelassen.
210 LGBl. 1965 Nr. 22.
211 Vgl. Herbert Wille, Regierung und Parteien, S. 117 f.
206
Parlamentarische Regierungsteilhabe
Einvernehmen zwischen Landtag und Fürst vorherrschen muss. Den
eigentlichen Wahlakt nimmt aber der Landtag vor. Der Fürst bestätigt
lediglich die vollzogene Wahl. Neu hat der Landtag nur mehr ein Vor-
schlagsrecht. Die Regierungsmitglieder, d. h. Regierungschef und Regie-
rungsräte, werden vom Landesfürsten ernannt.
2. Textänderungen
In Art. 80 der Verfassungsnovelle von 1965 ist eine textliche Änderung
vorgenommen worden, die inhaltlich aber keine Auswirkungen hatte. Es
sind die Worte «des Volkes und» eliminiert worden. Bisher konnte der
Landtag die Amtsenthebung beim Landesfürsten nur beantragen, wenn
ein Mitglied der Regierung durch seine Amtsführung das Vertrauen des
Volkes und des Landtages verloren hatte.2? Es fehlte aber ein entspre-
chendes verfassungsrechtliches Verfahren, um den Vertrauensverlust sei-
tens des Volkes zu ermitteln.
Im Übrigen sind terminologisch die Begriffe «Funktionärs» durch
«Regierungsmitgliedes» und im Zusammenhang mit dem Hinweis auf
das Recht des Landtags auf Erhebung «der Klage vor dem Staatsge-
richtshofe» die «Klage» durch «Anklage» und die Worte «Rechtes»
durch «Rechts» sowie «Staatsgerichtshofes» durch «Staatsgerichtshofs»
ersetzt worden. Zuvor wurde schon 1964 in Art. 104 Abs. 2 LV 192123
die Textpassage «und entscheidet über Klagen des Landtages auf Entlas-
sung oder Schadenersatzpflicht der Mitglieder und Beamten der Regie-
rung wegen behaupteter Pflichtverletzungen» aus Redundanzgründen
gestrichen.214
212 Zur Kritik dieser Regelung siehe Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obers-
ten Staatsorgane, 5. 77 f.
213 Verfassungsgesetz vom 28. Dezember 1963, LGBl. 1964 Nr. 10.
214 Das Gutachten von Dietrich Schindler, Rechtliche Meinungsäusserung, S. 17, auf
das sich der BuA der Regierung vom 8. November 1963 über die Erlassung eines
Verfassungsgesetzes betreffend die Abänderung der Verfassung vom 5. Oktober
1921 stützt, hält dafür, «dass auf die Anführung von Klagen des Landtages auf Ent-
lassung der Mitglieder oder Beamten der Regierung wohl verzichtet werden kann,
da schwer einzusehen ist, was für eine Bedeutung eine derartige Klage neben der
schon bestehenden disziplinarischen Verantwortlichkeit haben kann.» Damit nimmt
er Bezug auf Art. 104 Abs. 2 LV 1921.
207
Demokratisierung und Parlamentarisierung der konstitutionellen Erbmonarchie
IV. Charakterisierung des Regierungssystems
1. Fragestellung
Das Ausmass der Parlamentarisierung der Regierung lässt sich an ihrer
Stellung ablesen, die sie in der Verfassungsordnung von 1921 einnimmt.
Die Regelung ihres Verhältnisses zu Landesfürst und Landtag gibt Auf-
schluss über die Regierungsform und mithin über die Weiterentwicklung
des monarchisch-konstitutionellen Verfassungsrechts, dem eine Parla-
mentarisierung der Regierung noch fremd war. Das monarchische Prin-
zip, das der Konstitutionellen Verfassung von 1862 zugrunde lag, ver-
schloss sich einer Mitsprache der Volksvertretung an der Regierungsge-
walt, die allein der Fürst innehatte. Inwieweit die Verfassung in der
Ausgestaltung der Novelle von 1965215 das Regierungssystem der kon-
stitutionellen Erbmonarchie parlamentarisiert, ist in Hinsicht auf die
Bestellung und Abberufung bzw. die politische Verantwortlichkeit der
Regierung und der einzelnen Regierungsmitglieder zu prüfen.
In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass der
Regierung neu eine «eigene Entscheidungsmacht» zukommt, denn ohne
diese könnte nicht von Verantwortung gesprochen werden.216
2. Verfassungslage von 1921
a) Einvernehmliche Entlassung bzw. Abberufung
Die Verfassungslage vermittelt unverkennbar ein Bild, wonach die in
Art. 79 und 80 der Verfassung von 1921 getroffene Regelung mit Blick
auf die Genese dieser Bestimmungen und den für die Verfassungsord-
nung richtunggebenden Art. 2 den Schluss zulässt, dass ein einvernehm-
liches Zusammenwirken nicht nur für die Bestellung, sondern auch für
die Entlassung der Regierung oder eines Regierungsmitgliedes gelten
215 LGBl. 1965 Nr. 10.
216 Vgl. Christoph Brüning, Der informierte Abgeordnete, S. 515 unter Bezugnahme
auf Peter Badura, Die parlamentarische Verantwortlichkeit der Minister, S. 574.
Zum «selbständigen Regierungsrecht» der Kollegialregierung siehe nur Dietmar
Willoweit, Verfassungsinterpretation im Kleinstaat, S. 204 ff.
208
Parlamentarische Regierungsteilhabe
muss.?!7 Der Landesfürst ist nicht befugt, die Regierung?!® gegen den Wil-
len des Landtages zu entlassen. Der Landesfürst ist aber auch nicht ver-
pflichtet, einem vom Landtag gestellten Amtsenthebungsantrag zu ent-
sprechen. Es steht ıhm frei, über einen Amtsenthebungsantrag des Land-
tages zu entscheiden. Solange der Fürst einem solchen Ansuchen nicht
stattgibt, bleibt die Regierung bzw. das entsprechende Regierungsmit-
glied im Amt. Es kann nicht zur Entlassung kommen. Das Gleiche gilt
auch für den Fall, dass der Landtag keinen Amtsenthebungsantrag
stellt.2!? Der Fürst kann nicht von sich aus die Regierung bzw. ein Regie-
rungsmitglied entlassen. Dies entspricht denn auch der Staatspraxis.22°
Das heisst, dass die Regierung ihr Amt nicht bereits dann verlieren kann,
wenn allein der Landesfürst oder allein der Landtag ihr das Vertrauen
entzieht. Sie kann ihr Amt vielmehr erst dann verlieren, wenn Landes-
fürst und Landtag, die die Regierung einvernehmlich für eine Amtsdauer
von vier Jahren bestellt haben, sie auf gleiche Weise, d. h. im gegenseitigen
Einverständnis, abberufen.?! In dieser Verfahrensweise wird eine «Be-
217 So die herrschende Meinung; siehe Dietmar Willoweit, Fürstenamt und Verfas-
sungsordnung, S. 509 f.; Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Ver-
fassungsrecht, S. 80; Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 309 ff. (316), die
sich ausführlich mit den unterschiedlichen Lehrmeinungen auseinandersetzt; Her-
bert Wille, Der parlamentarische Charakter der Regierung, S. 11 ff. A. A. sind etwa
Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 120 ff. (122 f.);
ders., Der Amtsenthebungsantrag, S. 620 Fn. 35; Hans Nawiasky, Rechtsgutachten,
S. 5; Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 70; Günther Winkler, Der Europarat und
die Verfassungsautonomie seiner Mitgliedstaaten, S. 76 f.; ders., Verfassungsrecht,
S.35, 112 f.
218 Das staatsrechtliche Schrifttum geht davon aus, dass nicht nur der Vertrauensverlust
eines einzelnen Mitgliedes der Regierung, sondern auch der Gesamtregierung
Gegenstand des Verfahrens sein kann. Vgl. Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht,
S. 308 mit weiteren Hinweisen.
219 Das heisst aber nicht, dass der Landesfürst ohne entsprechenden Amtsenthebungs-
antrag des Landtags die Regierung oder ein Regierungsmitglied abberufen kann. Er
kann eine solche Entlassung nur im Einvernehmen mit dem Landtag vornehmen.
Vgl. Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 316.
220 Vgl. die bei Herbert Wille, Der parlamentarische Charakter der Regierung, S. 10 f.
erwähnten Beispiele; vgl. auch Arno Waschkuhn, Das Spannungsverhältnis von
Recht und Politik, S. 251, der sich auf ein Interview von Fürst Hans-Adam II. mit
dem LVolksblatt vom 7. November 1992 bezieht.
221 Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 315. Die politisch-faktische Seite einer
solchen Regelung ist eine andere Frage. Eine Regierung, die das Vertrauen des Fürs-
ten oder des Landtags verloren hat, wird ihre Aufgabe wohl nicht mehr erfüllen
209
Demokratisierung und Parlamentarisierung der konstitutionellen Erbmonarchie
schränkung der Verantwortlichkeit» der Regierung erblickt, die aus Grün-
den der Stabilität der Regierung vom Verfassunggeber gewollt sei.222
b) Förmliche Entlassung bzw. Abberufung
Einsichtig und unbestritten ist, dass die förmliche Entlassung der Regie-
rung oder eines Regierungsmitgliedes dem Fürsten obliegt, auch wenn
dies in Art. 80 der Verfassung von 1921 nicht ausdrücklich gesagt
wird.223 Tritt der Fall ein, dass ein Regierungsmitglied beim Fürsten ein
entsprechendes Rücktrittsgesuch einreicht, hat er es formell des Amtes
zu entheben.2*
3. Ergebnis
Wie schon die Entstehungsgeschichte darlegt, ist nicht von einem parla-
mentarischen Regierungssystem?? auszugehen. Eine solche Regierungs-
form ist nämlich erst dann anzunehmen, ?*® wenn der Landtag allein über
die Regierung bestimmen, d. h. die Kontrolle über die Bestellung, Ent-
lassung und damit auch über die Amtsführung der Regierung bzw. der
Mitglieder der Regierung ausüben kann, sodass es für die «Amtsexis-
tenz» der Regierung nicht auf das Vertrauen des Landesfürsten
ankommt.
In der Debatte über die Revision der Verfassung von 1921 war die
«Parlamentarisierung» der Regierung, die ausschliesslich zum Kompe-
tenzbereich des Landesfürsten gehörte, eine der zentralen Fragen.?
können. So Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung S. 298 f.;
vgl. auch Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 316.
222 Vgl. Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 181 f.
223 Vgl. Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 309 Fn. 418; Günther Winkler, Ver-
fassungsreform, S. 234.
224 Vgl. Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 316.
225 Zur Vieldeutigkeit des Begriffs des parlamentarischen Regierungssystems siehe
Herbert Wille, Monarchie und Demokratie, S. 181 f. und ders., Landtag und Wahl-
recht, 5. 128 f.
226 Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 54 und 65; vgl. auch
Arthur Schlegelmilch, Die Alternative des monarchischen Konstitutionalismus,
$.145; Peter Badura, Die parlamentarische Demokratie, S. 506.
227 Herbert Wille, Der parlamentarische Charakter der Regierung, S. 3 ff.
210
Parlamentarische Regierungsteilhabe
Über den Inhalt und den Umfang der Parlamentarisierung herrschte
allerdings keine Klarheit. Setzt man den Begriff «parlamentarisch» in
Art. 2 in Verbindung mit Art. 79 und 80 der Verfassung 1921, so lässt
sich aus den damals angestellten Erwägungen der Schluss ziehen, dass
man es nicht mit dem herkömmlichen Verständnis einer parlamentari-
schen Regierung zu tun hat, wonach die Regierung in ihrem personalen
Bestand vom Landtag bzw. von der Landtagsmehrheit abhängig ist. Die
einvernehmliche Ernennung und Abberufung der Regierung und Regie-
rungsmitglieder als Staatsakte des Fürsten und des Landtages sind viel-
mehr als Instrumente zu betrachten, die im Sinne der damaligen konser-
vativen Verfassungskräfte als Barrieren gegen eine zu weit reichende
«Parlamentarisierung» der Regierung gedacht sind. Der Verfassunggeber
hat sich insoweit an der parlamentarischen Idee orientiert, als er ein
Regierungssystem gewählt hat, das zwar mit dem hergebrachten konsti-
tutionell-monarchischen Verfassungskonstrukt nicht bricht, aber die
monarchische Gewalt so beschränkt, dass beide Staatsorgane, Fürst und
Landtag, sowohl bei der Bestellung als auch bei der Amtsenthebung der
Regierung oder eines Regierungsmitgliedes zusammen wirken müssen,
damit sie rechtswirksam werden können. Der Landtag stellt in diesem
Kontext einen mitentscheidenden Faktor dar. Stellt man diesen Umstand
in Rücksicht, kann man in einem eingeengten Sinne von einer Parlamen-
tarisierung der Regierung sprechen.228
Diese strukturelle Änderung, wonach der Landtag bei der Bestel-
lung und Entlassung der Regierung ein Mitwirkungs- bzw. ein Mitent-
scheidungsrecht erhalten hat, beinhaltet aber noch nicht ein parlamenta-
risches Regierungssystem.2° Der Landtag kann über die Regierung nicht
allein bestimmen. Diese Einschränkung trifft auch auf den Landesfürs-
ten zu. Solange die Regierung sowohl auf das Vertrauen des Landtages
als auch des Landesfürsten angewiesen ist, also eines «doppelten» Ver-
trauens bedarf, verbleibt sie in den Formen des monarchischen Konsti-
tutionalismus. So gehört die Regierungsbestellung und -entlassung, wie
sie in den Art. 79 und 80 der Verfassung von 1921 geregelt ist, noch dem
dualistischen Entscheidungsmuster des monarchischen Konstitutiona-
228 Vgl. zu den Formen der Parlamentarisierung der Regierung Rainer Wahl, Die Be-
wegung im labilen Dualismus des Konstitutionalismus, S. 110 f.
229 A. A. Andreas Schurti, Verordnungsrecht der Regierung, S. 129 f.
211
Demokratisierung und Parlamentarisierung der konstitutionellen Erbmonarchie
lismus an.? Es kann weder der Landtag gegen den Willen des Fürsten
noch der Fürst gegen den Willen des Landtags eine Regierung bzw. ein
Regierungsmitglied einsetzen oder entlassen. Solange der Landesfürst
über eine «effektive Entscheidungsmacht» verfügt,2?! kann nicht von
einer parlamentarischen Regierungsform gesprochen werden.
Die konstitutionell-monarchische Gewaltenteilung zwischen Lan-
desfürst und Volksvertretung ist in dieser Ausprägung eine Variante von
mehreren Gestaltungsmöglichkeiten des monarchischen Konstitutiona-
lismus, der, was das Kräfteverhältnis zwischen Monarch und Parlament
anlangt, in den jeweiligen Verfassungen der konstitutionellen Verfas-
sungsphase unterschiedlich verwirklicht worden ist. Die Auseinander-
setzung um die Kontrolle der Regierung zog sich durch das ganze
19. Jahrhundert hin. Dem Kreis der konstitutionell-monarchischen Ver-
fassungen, die im Exekutivbereich noch keine Gewaltenteilung kennen,
ist zwar die Verfassung von 1862 zuzuordnen, nicht aber diejenige von
1921, die sich in dieser Hinsicht der Volksbeteiligung in Form einer Mit-
bestimmung des Landtages geöffnet hat.
V. Verfassungsnovelle von 2003
1. Allgemeines
Neu geregelt wird das Ausscheiden der Regierung bei Vertrauensverlust
auf Seite des Landesfürsten und des Landtages. Nicht berührt wird das
Verfahren der Bestellung bzw. Einsetzung der Regierung. Der Regie-
rungschef und die Regierungsräte werden nach wie vor vom Landes-
fürsten einvernehmlich mit dem Landtage auf dessen Vorschlag
ernannt.?? Die Verfassungsrevision lässt mit anderen Worten den Bestel-
lungsmodus der Regierung unverändert, fasst aber in Art. 80 LV die
Amtsenthebung bzw. -entlassung gänzlich neu, die je nachdem, ob es
sich um die Regierung als Ganzes (Kollegialregierung) oder um ein ein-
230 Vgl. Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 172.
231 Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 172 f.
232 Siehe Art. 79 Abs. 2 LV 1965.
212
Parlamentarische Regierungsteilhabe
zelnes Regierungsmitglied handelt, unterschiedlich geregelt wird. Das
bisherige Amtsenthebungsverfahren entfällt.
2. Entlassungsverfahren
Das Entlassungsverfahren wird insoweit geändert, als es zwischen der
Entlassung der Regierung als «institutioneller Einheit» und dem einzel-
nen Regierungsmitglied unterscheidet.
a) Einzelmitglied der (Kollegial-)Regierung
Verliert ein einzelnes Regierungsmitglied das Vertrauen des Landesfürs-
ten oder des Landtages, so kann es zu seiner Entlassung nur kommen,
wenn sich Landesfürst und Landtag darüber einig sind und das Regie-
rungsmitglied einvernehmlich abberufen, d. h. im gegenseitigen Einver-
ständnis eine «Entscheidung über den Verlust der Befugnis zur Aus-
übung seines Amtes» treffen.?® Insoweit stimmt diese Regelung mit dem
bisherigen Amtsenthebungsverfahren überein, das einen Konsens zwi-
schen Landesfürst und Landtag voraussetzte.?*
b) Gesamtregierung bzw. Kollegialregierung
Von einem einvernehmlichen Vorgehen weicht das Amtsenthebungsver-
fahren ab, wenn es insgesamt um die Regierung als Kollegialregierung geht.
Sie verliert die Befugnis zur Ausübung ihres Amtes bereits dann, wenn der
Landesfürst oder der Landtag ihr das Vertrauen entziehen.?5 Von einem
Entlassungsverfahren im Konsens wird in diesem Fall abgesehen.2% Inso-
weit unterscheidet es sich grundlegend von der bisherigen Regelung.
233 Siehe Art. 80 Abs. 2 LV 2003. Diesem einvernehmlichen Vorgehen bei der Entlas-
sung eines einzelnen Regierungsmitgliedes liegt wohl der Gedanke der Stabilität der
Regierung zugrunde, die in ihrer Zusammensetzung geschwächt werden könnte,
wenn einerseits der Landesfürst und andererseits der Landtag je für sich ein Regie-
rungsmitglied entlassen könnte.
234 A.A. Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 254, der durch den Einbezug des
Landtages eine Einschränkung der bisherigen Befugnisse des Fürsten erblickt. Die
Verantwortlichkeit der Regierung werde gegenüber dem Landtag erweitert.
235 Siehe Art. 80 Abs. 1 LV 2003.
236 Zur Kritik siehe Gerard Batliner / Andreas Kley/ Herbert Wille, Memorandum, Zif-
fern 39 ff. und die Replik von Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 246 ff.
213
Demokratisierung und Parlamentarisierung der konstitutionellen Erbmonarchie
3. Verfahrensrechtliche und inhaltliche Änderungen
a) Entlassungsverfahren
Die bisherige Regelung hat nachstehende verfassungsrechtliche Ände-
rung erfahren: Die Befugnis zur Ausübung des Amtes erlischt für die
Kollegialregierung, wenn sie das Vertrauen des Landesfürsten oder des
Landtages verliert,?” währenddem ein einzelnes Regierungsmitglied in
einem solchen Fall nicht ipso iure die Befugnis zur Ausübung seines
Amtes verliert. Landesfürst und Landtag haben einvernehmlich eine ent-
sprechende Entscheidung zu treffen. Bis zur Ernennung des neuen
Regierungsmitgliedes hat sein Stellvertreter die Amtsgeschäfte fortzu-
führen. Die Verfassung stellt in Art. 80 gegenüber der alten Fassung klar,
dass sowohl das einzelne Regierungsmitglied als auch die Regierung als
Ganzes (Kollegialregierung) in der Verantwortung gegenüber Landes-
fürst und Landtag stehen. In seiner Stammfassung und auch in der 1965
geänderten Fassung hat er sich im Wortlaut nur auf das einzelne Mitglied
der Regierung?® und nicht auch auf die Gesamtregierung (Kollegialre-
gierung) bezogen. Dennoch war in der Lehre? unbestritten, dass auch
eine Verantwortlichkeit der Kollegialregierung als solcher bestand, von
der Art. 78 Abs. 1 LV von Anfang an ausging, der von einer «dem Lan-
desfürsten und dem Landtag verantwortliche(n) Kollegialregierung»
spricht. Würde man ihr eine Verantwortlichkeit absprechen, würden
237 Diese Bestimmung geht auf eine Auffassung zurück, die die Landtagskommission
anlässlich der Novellierung von Art. 80 LV in ihrem Kommissionsbericht (Land-
tagsprotokoll 1964 IT) vertreten hat (siehe Stellungnahme der Regierung vom
26. November 2002, Nr. 135/2002, S. 41 ff.), wonach die Regierung bzw. jedes ein-
zelne Regierungsmitglied während der gesamten Amtsdauer vom Vertrauen des
Landesfürsten und des Landtages getragen sein muss. Wenn auch nur ein Teil, der
Landesfürst oder der Landtag, das Vertrauen entzieht, hat eine Amtsenthebung
stattzufinden. Siehe Landtagsprotokoll 1964 IT, S. 566 ff. (567). Vgl. auch Walter
Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 297 ff.; a. A. Christine
Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 316 f. und Gerard Batliner, Aktuelle Fragen,
5.36 ff.; zur Verfassungsänderung 1965 siehe auch Herbert Wille, Der parlamentari-
sche Charakter der Regierung, 5. 9 ff.
238 Nach Meinhard Schröder, Bildung, Bestand und parlamentarische Verantwortung,
S. 1153 Rz. 53 entspricht dieser «individuelle Grundcharakter» dem kontinental-
europäischen Ursprung der Ministerverantwortlichkeit.
239 Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 308 mit weiteren Hinweisen.
214
Parlamentarische Regierungsteilhabe
Entscheidungsbefugnis?® und Entscheidungsverantwortung voneinan-
der getrennt.
b) Interimistische Regierung
Verliert die Regierung das Vertrauen des Landesfürsten oder des Land-
tages, kann sie die Amtsgeschäfte nicht mehr weiterführen. Um eine
regierungslose Zeit zu vermeiden, bestellt der Landesfürst «eine Über-
gangsregierung zur interimistischen Besorgung der gesamten Landesver-
waltung», wobei er auch Mitglieder der alten Regierung in die Über-
gangsregierung berufen kann. Diese hat sich vor Ablauf von vier Mona-
ten im Landtag einer Vertrauensabstimmung zu stellen, «sofern nicht
vorher vom Landesfürsten einvernehmlich mit dem Landtage auf dessen
Vorschlag eine neue Regierung ernannt wurde». Rechtsstellung und
Befugnisse einer solchen interimistischen Regierung des Fürsten unter-
scheiden sich nicht von denjenigen der bisherigen bzw. einer auf ordent-
liche Weise bestellten Kollegialregierung. Dafür steht der Hinweis auf
Art. 79 Abs. 1 LV. Es fehlt ihr jedoch die Legitimation des Landtages
bzw. der Volksvertretung. Um diesen Mangel zu beheben, hat sie binnen
vier Monaten das Vertrauen des Landtages einzuholen. Erhält sie sein
Vertrauen nicht, kommt es zur Landtagsauflösung und Neuwahlen.?!
c) Der politische Charakter der Verantwortlichkeit
Die Regierung oder das einzelne Regierungsmitglied ist dem Landes-
fürsten und dem Landtag politisch verantwortlich. Die politische Ver-
antwortlichkeit wird auch als «Rechenschafts- und Einstandspflicht»
beschrieben??? und reicht bis zum politischen Vertrauensentzug,?3 der
unmittelbar die Befugnis zur Ausübung des Amtes erlöschen lässt. Ihr
Gegenstand ist politisch bestimmt und die von der Regierung oder den
240 Siehe Art. 89 und 90 IV.
241 Vgl. Gerard Batliner, Diskussionsbeitrag, S. 51 ff. Rz. 86, 87 und 88.
242 Vgl. zur Rechenschafts- und Einstandspflicht Christine Weber, Gegenzeichnungs-
recht, S. 301 ff., die sich u.a. auf Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle
über die Regierung, S. 120 ff. bezieht.
243 Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 64 f. mit
weiteren Literaturhinweisen.
215
Demokratisierung und Parlamentarisierung der konstitutionellen Erbmonarchie
einzelnen Regierungsmitgliedern zu verantwortende Tätigkeit nach
politischen Massstäben zu bewerten.?*#
War die Regierung oder das einzelne Regierungsmitglied bisher
dem Landesfürsten und dem Landtag für die Amtsführung verantwort-
lich, können es fortan die verschiedensten Gründe sein, die das Ver-
trauen zerstören.?® Das Misstrauensvotum ist an keine materiellen Kri-
terien gebunden. Erwähnt werden staatspolitische Gründe.?*® Wegen
deren Vielfalt sei das Misstrauensvotum in den Verfassungen der Mit-
gliedstaaten des Europarates regelmässig weder begründungspflichtig
noch auf die Amtspflichtverletzung oder auf irgendeinen anderen Tatbe-
stand eingeschränkt.?” Die Verantwortlichkeit hat weder etwas mit per-
sönlicher Schuld im Sinne von Vorsatz oder Fahrlässigkeit zu tun noch
will Art. 80 an ein Fehlverhalten zivil- oder strafrechtliche Folgen knüp-
fen. Die Anklage vor dem Staatsgerichtshof wegen Verletzung der Ver-
fassung oder sonstiger Gesetze, wenn diese Verletzung in Ausübung der
Amtstätigkeit absichtlich oder grob fahrlässig erfolgt ist,? bleibt dem
Landtag vorbehalten.?*? Davon unterscheidet sich die politische Verant-
wortung grundlegend. Sie bildet die Kehrseite des politischen Vertrau-
ens.? Ihrem Umfang nach deckt sie sich mit der gesamten Amtsführung
des jeweiligen Entscheidungsträgers bzw. Regierungsmitgliedes. Die
Verantwortlichkeit bezieht sich ohne Rücksicht auf die persönliche
Zurechenbarkeit auf alle Vorkommnisse des Zuständigkeitsbereichs des
244 Vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 64;
Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 296.
245 Vgl. Gerard Batliner, Diskussionsbeitrag, S. 51 Rz. 85, der die Befürchtung äussert,
dass mit der Streichung der Worte «durch seine Amtsführung» in Zukunft auch
jeder private bzw. irgendein Anlass von Vertrauensverlust genüge, um zum Rück-
tritt gezwungen zu werden.
246 Nach Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 256 ist das Misstrauensvotum ein
«Mittel der staatspolitischen Kontrolle».
247 Vgl. Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 248.
248 Siehe Art. 28 Abs. 1 SEGHG.
249 Vegl. Art. 62 Bst. g LV, wo es heisst, dass die Erhebung der Anklage gegen Mitglie-
der der Regierung wegen Verletzung der Verfassung oder sonstiger Gesetze vor dem
Staatsgerichtshof zur Wirksamkeit des Landtages gehört. Bisher enthielt Art. 80 LV
nur einen entsprechenden Vorbehalt, ohne dass die Anklageerhebung im Kompe-
tenzkatalog des Landtages aufgeführt war.
250 Johannes Masing, Politische Verantwortlichkeit und rechtliche Verantwortlichkeit,
S. 37.
216
Parlamentarische Regierungsteilhabe
einzelnen Regierungsmitglieds,?! der aber wiederum gegenüber dem
Zuständigkeitsbereich der Gesamtregierung abzugrenzen ist.22 Die
Trennlinie gibt die Zuständigkeit vor. In Bereichen, in denen ein Regie-
rungsmitglied zuständig ist, ist es auch verantwortlich. Das gilt auch für
die Kollegialregierung. Ist sie zuständig, gibt es kein einzelnes zuständi-
ges Regierungsmitglied.?
Die Verantwortlichkeit der Regierung und ihrer Mitglieder ist als
Rechtsinstitut erstmals in Art. 80 der Verfassung von 1921 festgeschrie-
ben worden.?* Es ist an die Stelle des persönlichen Regiments des Fürs-
ten getreten? wie es noch unter der Konstitutionellen Verfassung von
1862 galt. Der Landtag wird an der Exekutivgewalt des Fürsten beteiligt.
Es steht ihm ein Mitbestimmungsrecht zu, das in der Parlamentarisierung
der Regierung zum Ausdruck kommt. Sie schliesst dementsprechend
eine parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung ein, die aber in
der Konsequenz nicht so weit geht, dass der Landtag die Regierung allein
entlassen kann. Die Entlassung aus dem Amt setzt wie die Regierungsbe-
stellung ein einvernehmliches Vorgehen von Fürst und Landtag voraus,
m. a. W. wie dies dem Regierungssystem entspricht, zu dem sich die par-
lamentarische Verantwortlichkeit als Gegenstück erweist.
Die in Art. 80 Abs. 1 neu festgelegte Regelung, wonach die Befug-
nis zur Ausübung des Amtes erlischt, wenn die Regierung das Vertrauen
des Landesfürsten oder des Landtages verliert, erinnert einerseits an das
251 Vgl. Meinhard Schröder, Bildung, Bestand und parlamentarische Verantwortung,
S.1155 Rz. 57. Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. IT, S. 318 ff. nimmt eine Zurechenbar-
keit zu jedem einzelnen Regierungsmitglied an. Gegen diese Auffassung spricht, so
Meinhard Schröder, «dass das Erfordernis der persönlichen Zurechenbarkeit, wenn
es in concreto nicht erfüllt ist, zu bedenklichen Verantwortungslücken führen
müsste und darüber hinaus auf die Kabinettsverantwortlichkeit (für Liechtenstein:
Regierungsverantwortlichkeit) schwer übertragbar ist.» Er schlägt daher vor, die
persönliche Zurechenbarkeit nur bei der Geltendmachung der Einstandspflicht zu
berücksichtigen.
252 Vel. Art. 83, 89, 90, 91 und 92 LV.
253 Vgl. Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. II, S. 319.
254 Vgl. auch Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 300.
255 Aus der Sicht der Ministerverantwortlichkeit kann die Gegenzeichnung von Akten
des Landesfürsten, beispielsweise von Gesetzen und Verordnungen ($ 94 Amtsin-
struktion von 1862), durch den Landesverweser kaum als Beschränkung des Lan-
desfürsten in der Ausübung der Staatsgewalt betrachtet werden, da der Landesver-
weser sein Beamter war, den er nach seinem Willen ernennen und entlassen konnte.
217
Demokratisierung und Parlamentarisierung der konstitutionellen Erbmonarchie
Regierungsverständnis der Konstitutionellen Verfassung von 1862 und
weist andererseits Züge einer verstärkten Parlamentarisierung der Regie-
rung auf. Sie geht jedenfalls nicht mehr von der Konstellation des dop-
pelten Vertrauens aus, das die Regierung als Institution ım dualistischen
Verfassungssystem stabilisiert.?® Sie gerät in eine uneingeschränkte
Abhängigkeit sowohl vom Landesfürst als auch vom Landtag. Ob sich
dieser Rechtszustand als tragfähig erweist, ist eine Frage der jeweiligen
politischen Verhältnisse bzw. des Verhaltens der beiden Akteure, Lan-
desfürst und Landtag. Unter dem Blickwinkel der Parlamentarisierung
der Regierung knüpft diese Regelung bis zu einem gewissen Grad an die
Stellung des Landesfürsten an, die er im Exekutivbereich nach der Kon-
stitutionellen Verfassung von 1862 eingenommen hat, als die Regierung
allein auf sein Vertrauen angewiesen war und er sie nach seinem eigenen
Willen entlassen konnte.?” Sie blendet insoweit die seit 1921 veränderte
Position des Landtages im Exekutivbereich aus, die ihm eine Mitsprache
sowohl bei der Bestellung als auch bei der Amtsenthebung der Regie-
rung eingeräumt hat.
d) Begründung der unterschiedlichen Regelung
Dass der Vertrauensentzug bei einem einzelnen Regierungsmitglied
anders geregelt ist als bei der Gesamtregierung, erklärt sich wohl aus
256 Kritisch Gerard Batliner, Diskussionsbeitrag, S. 50 Rz. 84; siehe auch Herbert Wille,
Der parlamentarische Charakter der Regierung, S. 17.
257 Bernd-Christian Funk, Rechtsgutachten, S. 29 weist darauf hin, dass diese Regelung,
wonach die Regierung bei Verlust des Vertrauens des Fürsten ihre Befugnis zur
Ausübung des Amtes verliert, «zu einer starken Aufwertung der Machtfülle des
Staatsoberhauptes (führt), welches als Einzelorgan nicht an die Regeln und Hemm-
nisse der Willensbildung eines parlamentarischen Entscheidungsprozesses gebun-
den ist». Jochen Abr. Frowein, Rechtsgutachten zu den Verfassungsvorschlägen des
Fürstenhauses, S. 11 hält eine «Gleichstellung des Vertrauens des Landesfürsten und
des Landtages in die Regierung» aus der Sicht einer «demokratischen Verfassungs-
lehre schlechthin (als) verfehlt». Dabei stellt er in diesem Zusammenhang unter aus-
drücklicher Bezugnahme auf das englische, belgische und spanische Verfassungs-
recht fest: «Alle monarchischen Verfassungen Europas, die nach wie vor dem
Monarchen eine nicht unerhebliche Einflussnahme auf die Regierungsbildung
ermöglichen, enthalten, soweit sie insofern ausdrückliche Bestimmungen kennen,
nur Regelungen über das Vertrauen des demokratisch gewählten Parlaments für die
Regierung. Sie legen dann normalerweise fest, dass eine Regierung vom Monarchen
entlassen wird, wenn sie das Vertrauen des Parlaments verliert» (S. 7 f.). Kritisch
auch Rene Rhinow, Rechtsgutachten, S. 75 ff.
218
Parlamentarische Regierungsteilhabe
Gründen der Objektivität, die bei einem gemeinsamen Vorgehen von
Fürst und Landtag eher anzunehmen ist bzw. gewahrt bleibt als bei
einem einseitigen Vertrauensentzug. Auf diese Weise ist das Regierungs-
mitglied, bei dem es sich auch um den Regierungschef handeln kann,
nicht einem von ihnen allein ausgesetzt.?® Eine solche Regelung vermei-
det auch, wenn Landesfürst und Landtag die Entscheidung einvernehm-
lich treffen müssen, dass sich der Vertrauensentzug nicht zu einer par-
teipolitischen Frage auswächst.
4. Ergebnis bzw. Schlussfolgerungen mit Blick
auf das Regierungssystem
Solange der Landesfürst aus eigener Kompetenz eine vom Vertrauen des
Landtags getragene Regierung entlassen kann, ist das parlamentarische
System nicht verwirklicht, weil er sich gegen einen (Mehrheits-)
Beschluss des Landtages stellen kann.?® Der Umstand, dass auch dem
Landtag das gleiche Recht zusteht, ist strukturell gesehen nicht relevant,
da das dualistische Verfassungssystem des monarchischen Konstitutio-
nalismus erhalten bleibt. Beide Entscheidungsträger, Fürst und Landtag,
beeinflussen und lenken das politische Geschehen, und nicht nur einer
von beiden.2® Der Parlamentarismus, wie er nach bisherigem Regie-
rungssystem in der Verständigungslösung zum Tragen gekommen ist,
wird im Fall der Gesamtregierung bzw. der Kollegialregierung zurück-
gedrängt, da sie einseitig vom Landesfürsten entlassen werden kann,
obwohl der Landtag bei ihrer Einsetzung mitbestimmend gewesen ist.
Man könnte in dieser Beziehung auch von einer «Entparlamentarisie-
rung» der Regierung sprechen.?! Gleichzeitig verstärkt diese Regelung
258 Die einschlägigen Regierungs- und Landtagsakten geben darüber keinen Aufschluss.
259 Vgl. Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 54. Siehe auch
Christoph Brüning, Der informierte Abgeordnete, S. 514, nach dem ein parlamen-
tarisches Regierungssystem bedeuten würde, dass die Regierung in ihrem Bestand
vom Vertrauen des Landtages bzw. dessen Mehrheit abhängig ist.
260 So Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 54.
261 In diesem Zusammenhang ist auch die interimistische Bestellung einer Übergangs-
regierung durch den Landesfürsten nach Art. 80 Abs. 1 LV 2003 zu sehen, die er
allein für die Zeit bis zum Antritt der neuen Regierung einsetzt.
219
Demokratisierung und Parlamentarisierung der konstitutionellen Erbmonarchie
das monarchische Element, da die Regierung in eine einseitige Abhän-
gigkeit vom Landesfürsten gerät. Sie erinnert denn auch an das monisti-
sche, auf den Landesfürsten ausgerichtete Regierungssystem der Konsti-
tutionellen Verfassung von 1862 und bedeutet aus der Sicht des Parla-
mentarismus entwicklungsgeschichtlich einen Rückschritt.?®
Ein gemischtes Regierungssystem mit einer solchen ausgeweiteten
Abhängigkeit der Regierung, wonach Fürst und Landtag je für sich die
Regierung entlassen können, erweist sich als «wesensmässig instabil».26
In dieser Erscheinungsform schwächt es auch die Stellung der Regierung
in der Verfassungsordnung. Dazu kommt, dass der politische
Vertrauensverlust nicht mehr an die Amtsführung der Regierung oder
des einzelnen Regierungsmitgliedes gebunden ist,?* wie dies in Art. 80
der Verfassung 1921 festgehalten und im Konstitutionalismus noch
die Regel gewesen ist.25 Man kann hierin auch bis zu einem gewissen
Grad eine inhaltliche Abwendung vom bisherigen Konstitutionalismus
erblicken.
262 Was die rechtliche Verantwortlichkeit eines Regierungsmitgliedes betrifft, steht dem
Landtag zwar das Recht zu, Anklage vor dem Staatsgerichtshof zu erheben (Art. 62
Bst. g LV), die sich als sogenannte «Ministeranklage» nach Art. 28 ff. SSGHG, LGBl.
2004 Nr. 32, richtet. Der Landesfürst kann aber ein eingeleitetes Verfahren nieder-
schlagen. Art. 13 Abs. 1 LV räumt ihm ein solches Niederschlagungsrecht, auch
Abolitionsrecht genannt, ein, das ihm ermöglicht, auf ein Ministeranklageverfahren
Einfluss zu nehmen. Eine solche Befugnis steht «in dieser weitreichenden Form an-
deren europäischen Monarchen nicht mehr (zu)». So Christine Weber, Gegenzeich-
nungsrecht, S. 177 ff. mit Hinweisen auf die im Schrifttum geäusserte Kritik. Eine
Beschränkung dieses Abolitionsrechts in dem Sinne, dass es nur auf Antrag des
Landtages ausgeübt werden kann, enthielt die Regierungsvorlage, die Gegenstand
der Beratung im Landtag bildete, nicht. Der Hinweis von Ernst Pappermann, Die
Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 127 Fn. 23 auf Art. 33 Abs. 3 eines Ent-
wurfs von 1919, bei dem es sich um den Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck han-
delte, ist nicht zutreffend, da dieser kein Abolitionsrecht des Landesfürsten kannte.
263 Formulierung in Anlehnung an Werner Heun, Das monarchische Prinzip und der
deutsche Konstitutionalismus, S. 56.
264 Die Amtsführung spielt dagegen bei der staatsgerichtlichen Verantwortlichkeit der
Regierungsmitglieder nach wie vor eine Rolle. Art. 28 Abs. 1 SEGHG 2003 schreibt
vor, dass der Staatsgerichtshof über Anklagen des Landtags gegen Mitglieder der
Regierung wegen Verletzung der Verfassung oder sonstiger Gesetze entscheidet,
wenn diese Verletzung «in Ausübung der Amtstätigkeit» absichtlich oder grob fahr-
lässig erfolgt ist. Vgl. hinten S. 528 f.
265 Vgl. Petra Popp, Ministerverantwortlichkeit und Ministeranklage, S. 31.
220
Parlamentarische Regierungsteilhabe
Die Regelung über die Bildung, den Bestand und die Entlassung der
Regierung entspricht nicht der Regierungsform, die die Verfassungs-
lehre?%6 als «parlamentarisches Regierungssystem» bezeichnet, da dem
Landesfürsten bei der Bildung und Entlassung der Regierung eine mass-
gebliche Mitsprache zukommt. So gesehen ist die parlamentarische
Grundlage in Art. 2 LV eingeschränkt und in dem Sinne zu verstehen,
dass dem Landtag neben dem Landesfürsten bei der Bestellung und
Entlassung der Regierung ein Eigenanteil an politischer Entscheidungs-
kompetenz zusteht. Darin zeigt sich auch das dualistisch geprägte
Verfassungsgefüge,wie es für die konstitutionelle Monarchie kennzeich-
nend ist.
266 Vgl. Klaus von Beyme, Die parlamentarischen Regierungssysteme, S. 40 ff.; Hans-
Peter Schneider, Das parlamentarische Regierungssystem, S. 539 f. Rz. 3 ff.
221
3. Abschnitt
Verrechtlichung der (Erb-)Monarchie
$22 POSTULAT DER RECHTSSTAATLICHKEIT
I. Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck
Nach den Vorstellungen von Wilhelm Beck muss sich die gesamte Lan-
desverwaltung an Rechtsgrundsätzen orientieren. Der Einzelne ist nicht
nur ein der Verwaltungsbehörde Unterworfener, ihr Untertan, Objekt
der Verwaltungstätigkeit, sondern vielmehr ein «Untertan des Gesetzes»
und hat der Verwaltung gegenüber subjektive Rechte und «anerkannte
rechtlich geschützte Interessen». Wie es dem «Geist des Rechtsstaates»
entspricht, hat sich die Verwaltung «innert der Schranken der Verfassung
und Gesetze zu bewegen».2” Sie untersteht dem Recht und damit der
verwaltungsbehördlichen bzw. verwaltungsgerichtlichen Kontrolle.268
Der Einzelne bedarf des individuellen Rechtsschutzes, der ihm der Ver-
fassungsentwurf in Form der «staatsrechtlichen Beschwerde» garan-
tiert.?°
267 Vgl. Art. 66 Abs. 2 und 3 Verfassungsentwurf, in: O.N. Nr. 50 vom 23. Juni 1920.
So auch der Bericht und die Begründung von Dr. Wilhelm Beck zum Gesetzesent-
wurf über die allgemeine Landesverwaltungspflege, in: O.N. Nr. 29 vom 12. April
1922, wo es heisst, dass die neue Verfassung den «Geist des Rechtsstaates» erkennen
lasse. «An Stelle des Grundsatzes des Polizeistaates» sei der «Grundsatz des Rechts-
staates» getreten.
268 Vgl. Art. 66 und 70 Verfassungsentwurf, in: O.N. Nr. 50 vom 23. Juni 1920.
269 Vgl. Art. 79 Abs. 2 Verfassungsentwurf, in: O.N. Nr. 51 vom 26. Juni 1920; vgl. zur
Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit Peter Sprenger, Die Verwaltungsge-
richtsbarkeit, S. 344 ff; zur Entstehungsgeschichte des Beschwerderechts Tobias
Michael Wille, Beschwerderecht, S. 507 ff.; zum «Rechtsstaat als Verfassungsvor-
gabe» Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 37 ff.
222
Postulat der Rechtsstaatlichkeit
II. Konstitutionelle Verfassung von 1862
Der Streit um den Schutz grundrechtlicher Freiheit musste unter der
Konstitutionellen Verfassung von 1862 anlässlich der Gesetzgebung aus-
getragen werden. Der Landtag soll für den Schutz bürgen. Grundrechte
in der Verfassung erschöpften sich damit in einer programmatisch-
appellativen Funktion. Zu konkretisieren waren sie durch die Politik.?
Die Grundrechte waren keine naturrechtlichen oder vorstaatlichen, son-
dern vom Staat bzw. vom Fürsten den Bürgern gewährte Rechte.?! Sie
stellen kein unmittelbar geltendes Recht dar und konnten vom Einzel-
nen nicht eingeklagt werden.?? Es gab kein Verfassungsgericht, das die
Geltung der Verfassung auch in Konfliktfällen durchgesetzt hätte. Die
Grundrechte verstanden sich als Staatsbürgerrechte. Sie sind textlich als
Rechte und Pflichten der Staatsbürger und nicht als Menschenrechte
ausgewiesen.?3 Sie hatten nur eine begrenzte Wirkung und bildeten
keine rechtlichen Schranken für die Gesetzgebung.?*
II. Schlossabmachungen
Die Schlossabmachungen vom 11./13. September 1920 nehmen diese
rechts- und verfassungsstaatlichen Anliegen auf.?75 Sie finden Eingang in
die Regierungsvorlage, die den verfassungsgerichtlichen Schutz noch
ausbaut, und schliesslich in die Verfassung von 1921.77 Der individuelle
Rechtsschutz wird gestärkt und zum Schutze der Verfassung ein Staats-
gerichtshof mit weitreichenden Normenkontrollbefugnissen errichtet.?77
Die nähere Ausgestaltung erfolgt im Gesetz vom 21. April 1922 über die
270 Vgl. Thomas Würtenberger, Von der Aufklärung zum Vormärz, S. 89.
271 Vgl. Thomas Würtenberger, Von der Aufklärung zum Vormärz, S. 64.
272 Vgl. Thomas Würtenberger, Von der Aufklärung zum Vormärz, S. 61.
273 Sie werden im Zweiten Hauptstück der Konstitutionellen Verfassung von 1862 als
Rechte der «Landesangehörigen» bezeichnet.
274 Vgl. Werner Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus, S. 378.
275 Siehe Ziffer 4 der Schlossabmachungen.
276 Vgl. Art. 92 und 104 LV 1921.
277 Zur Entstehungsgeschichte siehe Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im
Fürstentum Liechtenstein, 5. 14 ff.
223
Verrechtlichung der (Erb-)Monarchie
allgemeine Landesverwaltungspflege?’® und im Gesetz vom 5. Novem-
ber 1925 über den Staatsgerichtshof.?”?
$23 VERFASSUNGSSTRETTIGKEITEN
I. Ausgangspunkt
1. Bundesschiedsgericht und Verfassungsgerichtsbarkeit
Die Regierungsvorlage entlehnt in $ 112 der Konstitutionellen Verfas-
sung von 1862 die Bestimmung über die Bundesschiedsgerichtsbarkeit
($ 122) und passt sie den veränderten Verfassungsverhältnissen an.?® Sie
war nicht Gegenstand der Schlossabmachungen. Josef Peer, der die
Regierungsvorlage ausgearbeitet hatte, war bestrebt, möglichst alle staat-
liche Gewalt der gerichtlichen Kontrolle zu unterstellen, was noch in
Lehre und Praxis der konstitutionellen Ära des 19. Jahrhunderts und
auch in der Konstitutionellen Verfassung von 1862 nicht möglich gewe-
sen war. Die Verfassungsgerichtsbarkeit sollte sich demnach auch auf die
Auslegung der Verfassung erstrecken, sodass der Staatsgerichtshof zu
entscheiden hat, «wenn über die Auslegung einzelner Bestimmungen der
Verfassung Zweifel entsteht», der nicht durch «Übereinkunft zwischen
der Regierung?! und dem Landtag beseitigt werden kann».22
Josef Peer war sich bei der Ausarbeitung der Verfassung wohl
bewusst, dass es in einem dualen Verfassungssystem zu Konflikten zwi-
278 LGBl. 1922 Nr. 24. Im Bericht und in der Begründung des Gesetzesentwurfes über
die allgemeine Landesverwaltungspflege betont Dr. Wilhelm Beck, dass nach der
neuen Verfassung (Art. 92) bestimmt werde, dass die Verwaltungsbehörden (Regie-
rung) «unter den Gesetzen stehen und Verwaltungstätigkeiten nur innert den
Schranken der Gesetze vorgenommen werden dürfen, auch hinsichtlich des freien
Ermessens (gesetzmässige Verwaltung)».
279 LGBl. 1925 Nr. 8 (aufgehoben und ersetzt durch LGBl. 2004 Nr. 32).
280 Zum Bundesschiedsgericht siehe Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im
Fürstentum Liechtenstein, 5. 15 ff.
281 Zum Verständnis des Begriffs «Regierung» siehe Gerard Batliner, Schichten, S. 292
Fn. 26; Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, 5. 85.
282 Siehe Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 23.
Art. 112 LV 1921 ist durch LGBl. 2003 Nr. 186 aufgehoben worden.
224
Verfassungsstreitigkeiten
schen Fürst und Volksvertretung kommen kann. So lässt denn auch das
IX. Hauptstück der Verfassung von 1921, die von der «Verfassungsge-
währ» handelt, die Absicht erkennen, nicht nur alle Staatsorgane und
Bürger an die Verfassung zu binden (Art. 111 Abs. 1)23, sondern auch
eine Institution einzurichten, die mögliche Verfassungskonflikte beilegt
oder verhindert. Sie sollten nicht politisch, sondern rechtlich bzw.
gerichtlich gelöst werden.?* Es lag daher nahe, den Staatsgerichtshof als
Streitinstanz vorzusehen, der Verfassungskonflikte bei «Zweifeln über
die Auslegung einzelner Bestimmungen der Verfassung» entscheidet.285
2. Neues Verfassungsverständnis
Wie sich schon in der Einigung vom Dezember 1918 zwischen Fürst und
Landtag?% und in den Verfassungsverhandlungen vom September 1920
abzeichnete, haben sich Fürst und Landtag auf eine Verfassung als
gemeinsame Grundlage geeinigt. Die Verfassung ist der «höherrangige
verbindliche Grundkonsens»??, mit dem sich beide Seiten, Fürst und
Landtag, identifizieren. Das Charakteristische an diesem Vorgang ist,
dass die Verfassung im Unterschied zur Konstitutionellen Verfassung
von 1862 selber der verbindliche Kompromiss ist. Auf dieser Basis
konnte auch eine unabhängige Verfassungsgerichtsbarkeit eingerichtet
werden, wonach, wie sich dies aus Art. 112 LV 1921 ergibt, der Staatsge-
richtshof verbindlich entscheidet,?®8 wenn eine der beiden Seiten,
«Regierung (Fürst) und Landtag», ihn anruft.
283 Neu: Art. 112 Abs. 1; geändert durch LGBl. 2003 Nr. 186.
284 Vgl. auch Hans Boldt, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 227 f.
285 Siehe Art. 112 LV 1921.
286 Vgl. Rupert Quaderer, Der historische Hintergrund der Verfassungsdiskussion,
S.115 f.
287 Werner Heun, Das monarchische Prinzip und der deutsche Konstitutionalismus,
S. 55; vgl. auch Rainer Wahl, Der Konstitutionalismus als Bewegungsgeschichte,
S. 580 f.
288 Vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 26 f.
und 99 f.; ders., Schichten, S. 291 ff.; Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit und
duale Staatsordnung, S. 111 ff.; ders., Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum
Liechtenstein, S. 30 ff.
225
Verrechtlichung der (Erb-)Monarchie
II. Konstitutionelle Verfassung von 1862
1. Entwicklungsgeschichte
Das Institut der Verfassungsstreitigkeit geht in seinen Anfängen auf die
erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück und entwickelte sich auf ein-
zelstaatlicher Ebene, da eine effektive Bundesschiedsgerichtsbarkeit
fehlte. Der Streit zwischen Fürst bzw. seiner Regierung und Volksver-
tretung über die Auslegung der Verfassung bezeichnete man als Verfas-
sungsstreit. Er beinhaltete die Frage der Abgrenzung der verschiedenen
Kompetenzen und entpuppte sich in der Sache als «ein Konflikt zweier
letztlich miteinander unvereinbarer Souveränitätsansprüche».?®
2. Ungelöste Machtfrage
Das Problem, welches Staatsorgan letztverbindlich entscheidet, der
Fürst bzw. seine Regierung oder die Volksvertretung, blieb im monar-
chischen Konstitutionalismus ungelöst und umstritten. Inhaltliche Ver-
fassungsfragen verwandelten sich demzufolge in Kompetenzfragen.
«Kompetenz aber ist das rechtliche Wort für Macht.»2%
Unter der Konstitutionellen Verfassung von 1862 war die Ent-
scheidung von Verfassungsstreitigkeiten nichts anderes als eine politi-
sche Machtfrage, weil es noch keinen unabhängigen Gerichtshof für die
Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten gab.?! Jede Auslegungs-
frage hätte zu einem Streit um eine Verfassungsinterpretation zwischen
dem Fürsten und dem Landtag werden können. Einerseits war es noch
die Souveränität des Fürsten (monarchisches Prinzip), die unangreifbare
Stellung des Fürsten, die einer Verfassungsgerichtsbarkeit im Wege
stand,?? auch wenn er sich durch die Verfassung selbst beschränkt hatte.
Andererseits übernahm der Landtag ein Stück weit die Funktion der
Bewahrung der Rechte des Volkes. Er war das «gesetzmässige Organ der
289 Rainer Grote, Der Verfassungsstreit, S. 75.
290 Josef Isensee, Wechsel, Wandel und Dauer der Staatsformen, S. 81.
291 Manfred Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, 5. 247.
292 Vgl. Hinnerk Wissmann, Verfassungsrechtsprechung im Übergang, S. 191.
226
Verfassungsstreitigkeiten
Gesammtheit der Landesangehörigen und als solches berufen, deren
Rechte gegenüber im Verhältnisse zur Regierung» (Fürsten) geltend zu
machen.?® Man hatte Bedenken und hielt sich auch zurück, «hochpoli-
tische» Entscheidungen in die Hand von Richtern zu legen,?* die im
«Auftrage des Fürsten» ihr Amt «verwalteten».?
3. Bedeutungsloses Verfassungsrecht
Aus diesen Gründen kam denn auch das nach $ 122 der Konstitutionel-
len Verfassung von 1862 vorgesehene Bundesschiedsgericht nie zum
Zuge. So bleibt das Institut der Verfassungsstreitigkeit in der Praxis ohne
nennenswerte Auswirkungen und $ 122 der Konstitutionellen Verfas-
sung von 1862 totes Recht.
III. Verfassung von 1921
1. Duale Verfassungsstruktur und mögliche Verfassungskonflikte
Die Erfahrungen des konstitutionell-monarchischen Staatsrechts des
19. Jahrhunderts lehrten, dass es zwischen «Regierung (Fürst) und
Landtag» zu Verfassungskonflikten kommen konnte und dass sie durch
den Staatsgerichtshof entschieden werden sollten. Es ist diese dualisti-
sche Struktur der Verfassung, die zum Staatsgerichtshof als streitent-
scheidender Instanz geführt hat. Neutral kann nur ein von seiner Funk-
tion her dazu verpflichtetes Gericht sein, wie es der Staatsgerichtshof
darstellt. Das während der Zugehörigkeit zum Deutschen Bund in $ 122
KV 1862 vorgesehene Verfahren für Streitigkeiten aus dem Verfassungs-
recht vor dem Bundesschiedsgericht erinnert daran, dass die Verfas-
sungsgerichtsbarkeit als eine Funktion zu begreifen ist, die dazu dient,
gesellschaftlich befriedend und ausgleichend zu wirken, schiedsrichter-
293 Siehe $ 39 KV 1862.
294 Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Bundesverfassungsgericht, S. 2 Rz. 1.
295 Vgl. $33 KV 1862.
227
Verrechtlichung der (Erb-)Monarchie
lich schlichtend tätig zu sein.?® Es geht aber nach Art. 112 LV 1921 um
mehr als um die blosse schiedsrichterliche Beilegung eines konkreten
Streits. Dieser bildet vielmehr nur den Anlass für eine Klärung einer abs-
trakten verfassungsrechtlichen Zweifelsfrage. Gegenstand und Ziel des
Verfahrens ist die Auslegung des streitig gewordenen objektiven Verfas-
sungsrechts. Die vom Staatsgerichtshof gefundene Auslegung soll allge-
mein verbindlich sein, sodass ihm «verfassungsfortgestaltende Macht»
zukommt.?” Denn die Entscheidung des Staatsgerichtshofs soll die
Streitteile nicht nur im Anlassfall, sondern auch in der weiteren Verfas-
sungspraxis binden. Damit überträgt die Verfassung dem Staatsgerichts-
hof eine an sich legislative Aufgabe mit der Absicht, den Verfassungs-
streit zu entpolitisieren, indem er ihn verrechtlicht.?®® Otto Ludwig Mar-
xer?9 Zussert sich denn auch kritisch. Er ist der Meinung, dass
Verfassungskonflikte «politisch» zu lösen sind und nicht rechtlich bzw.
gerichtlich. Er bezeichnet eine solche Regelung als eine «ganz eigentüm-
liche Competenz». Er plädiert für einen politischen Entscheid, den das
Volk als Schiedsrichter zu treffen habe, denn hier sei dem Staatsgerichts-
hof eine Aufgabe zugewiesen worden, die eigentlich über den «natürli-
chen Kreis eines Gerichtes» bzw. über die «Aufgaben der Rechtspre-
chung» hinausgehe, sodass er in das «der Gesetzgebung ausdrücklich
vorbehaltene Gebiet» eingreife. Der Staatsgerichtshof habe «rechtsbil-
dende Kraft», da er «in einzelnen Fällen durch seine «Entscheidungem
zum mindesten formell, allgemein verbindliche Rechtssätze aufstellen»
könne.
Diese Argumentation übersieht, dass der Staatsgerichtshof auch als
Normenkontrolleur rechtsdogmatisch in einem «systemimmanenten
Spannungsverhältnis» zum Gesetzgeber steht, sodass er ihm gegen-
296 Vgl. Hans Boldt, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 254.
297 Formulierung in Anlehnung an Klaus Rennert, Historisches zur Bindungswirkung
und Gesetzeskraft, S. 530.
298 Klaus Rennert, Historisches zur Bindungswirkung und Gesetzeskraft, S. 539 f,;
Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 30 f. mit
weiteren Hinweisen.
299 Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, S. 84 ff.
300 Vgl. Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 32.
301 Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 51 unter
Bezugnahme auf Martin Hiesel, Verfassungsgesetzgeber und Verfassungsgerichts-
hof, S. 3.
228
Verfassungsstreitigkeiten
über eine Position der Zurückhaltung einnimmt. Sie äussert sich in der
Formel, dass sich der Staatsgerichtshof nicht «an die Stelle des Gesetz-
gebers» setzen könne und dürfe.?? Hinzuweisen ist auch auf die geän-
derte Bedeutung des Instituts der Verfassungsstreitigkeit. Der Staatsge-
richtshof entscheidet als konfliktneutraler Dritter in sachlicher und
organisatorischer Unabhängigkeit auf der Grundlage der Verfassung. Es
geht nicht mehr um eine Machtfrage, wie dies unter der Konstitutionel-
len Verfassung von 1862 noch der Fall gewesen ist. Die Verfassungsfra-
gen, mit denen er sich gemäss Art. 112 LV 1921 zu befassen hat, sind
dementsprechend Rechtsfragen. Im Vordergrund stehen namentlich
Kompetenzstreitigkeiten. Die Verfassung von 1921 nimmt zwar eine
Kompetenzverteilung zwischen Fürst und Landtag vor, definiert aber
wesentliche Funktionen als Mitbestimmungszuständigkeiten?® und lässt
ım entscheidenden Fall die Frage offen, sodass «hierüber der Staatsge-
richtshof zu entscheiden» hat.
2. (Verfassungs-)Gerichtliche Entscheidung
Art. 112 der Verfassung von 1921 beinhaltet daher mehr als nur eine
Nachführung von schon bestehendem Verfassungsrecht. Es werden der
staatlichen Gewalt und mithin auch der fürstlichen Gewalt von Verfas-
sungs wegen Grenzen im Wege der Verfassungsgerichtsbarkeit gezogen.
Verfassungsstreitigkeiten mit dem anderen Träger der Staatsgewalt sollen
nicht durch einen Schiedsspruch oder gar durch einen Machtspruch des
Fürsten bereinigt werden, sondern durch den Staatsgerichtshof in Form
einer (verfassungs-)gerichtlichen Entscheidung.?* Dazu bedurfte es
eines von den beiden Trägern der Staatsgewalt, Fürst und Volk bzw.
Landtag, unabhängigen Kontrollmechanismus, für den auch rechtsstaat-
liche Überlegungen sprachen, wie sie im Vorfeld der Verfassung von
1921 postuliert worden sind.” Wird unter diesen Voraussetzungen
302 Vgl. zum Thema «Staatsgerichtshof und Gesetzgeber» Herbert Wille, Verfassungs-
gerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 49 ff. und hinten S. 665 ff.
303 Siehe hinten S. 358 ff.
304 Vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 26 f.
und 99.
305 Vgl. Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 23 f.
229
Verrechtlichung der (Erb-)Monarchie
dem Staatsgerichtshof eine «positionelle Überlegenheit» zugedacht,
kann sich auch ein System des Konstitutionalismus mit Verfassungsge-
richtsbarkeit herausbilden.?%
3. Organstreit
Der Verfassungsstreit stellt sich in der dualen Staatsordnung nicht nur
als Streit über die Auslegung der Verfassung, sondern auch als Organ-
streit dar,3” tangiert er doch zugleich auch die beteiligten Staatsorgane,
«Regierung (Fürst) und Landtag» in ihrer verfassungsrechtlichen
Zuständigkeit und Funktion.?® Er bleibt auf den Dualismus von Fürst
und Volksvertretung fixiert. Dass es zu einer gerichtlichen Streitent-
scheidungsinstanz in Gestalt des Staatsgerichtshofs gekommen ist,
beweist, dass sich die Verfassung vom monarchischen Prinzip trennt, das
unter der Konstitutionellen Verfassung von 1862 für die fürstliche Herr-
schaft stand, die sich einer Verfassungsgerichtsbarkeit widersetzte.
$24 VERFASSUNGSGERICHTSBARKEIT
Die für einen Verfassungsstaat massgeblichen Merkmale sind die Nor-
mativität der Verfassung, der Vorrang der Verfassung vor allem übrigen
Recht sowie die Vorsorge zur Einhaltung dieser Regelungen durch ein
unabhängiges Verfassungsgericht.”? Die Normqualität, die eine Verfas-
sung beansprucht, hängt nach den Worten von Josef Isensee}° im
Wesentlichen davon ab, welches Organ im Falle des Auslegungsstreits
das Recht des «letzten Wortes» hat. Dieses Organ ist weder der Fürst
noch der Landtag, sondern ein unabhängiges Gericht, der Staatsge-
306 In Anlehnung an Hans Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 269.
307 Vgl. Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit und duale Staatsordnung, S. 114 f.
308 Vgl. auch Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht,
$. 99.
309 Rainer Wahl, Elemente der Verfassungsstaatlichkeit, S. 1042; vgl. für Liechtenstein
Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 10.
310 Josef Isensee, Die Staatlichkeit der Verfassung, S. 253 Rz. 89.
230
Verfassungsgerichtsbarkeit
richtshof, der institutionell einen Sonderstatus geniesst?!! und dadurch
den einzigartigen Charakter des Verfassungsrechts unterstreicht.?!2
I. Vorrang der Verfassung
Im Verfassungsstaat kommt der Verfassung höchster Rang in der Nor-
menordnung zu. Jede einfachgesetzliche Norm muss sich an der Verfas-
sung messen lassen.
1. Konstitutionelle Verfassung von 1862 und Verfassung
von 1921 im Vergleich
Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 kennt keinen Vorrang ihrer
Normen vor den einfachgesetzlichen Vorschriften. Sie hat zwar zu ihrem
Schutz ein erschwertes Änderungsverfahren in $ 121 festgelegt, das eine
Einstimmigkeit bzw. eine qualifizierte Mehrheit auf Seite des Landtages
vorschreibt, sodass man in diesem Verfahren eine Höherrangigkeit der
Verfassung gegenüber einfachen Gesetzen hätte annehmen können.?!*
Der Vorrang der Verfassung ist aber weder gegenüber den politischen
Gewalten noch gegenüber dem einfachen Gesetz anerkannt worden. Es
fehlten auf institutioneller Ebene die Überprüfungsinstanzen,?!5 um den
Gehalt des Verfassungsrechts, sei es verfahrensmässig, sei es materiell, zu
rekonstruieren bzw. um das Verfassungsrecht gegenüber dem einfachen
Gesetz durchzusetzen.
Demgegenüber geht die Verfassung von 1921 vom Gedanken der
Suprematie der Verfassung aus, die die Staatsgewalten, Legislative, Exe-
311 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 45 ff.
312 Siehe Näheres zum Staatsgerichtshof S. 603 ff.
313 "Thomas Würtenberger, An der Schwelle zum Verfassungsstaat, S. 78; zum Begriff
«Verfassungsstaat» siehe auch Gunnar Folke Schuppert/ Christian Bumke, Konsti-
tutionalismus, 5. 24 f.
314 Vgl. Christian Hermann Schmidt, Vorrang der Verfassung, S. 14; Alexander Ross-
nagel, Verfassungsänderung und Verfassungswandel, S. 551.
315 Das Oberlandesgericht für Tirol und Vorarlberg als 3. Instanz war für «Civil- und
Strafsachen» zuständig. Siehe LGBl. 1884 Nr. 8.
316 Vgl. Christoph Möllers, Der Methodenstreit, S. 405.
231
Verrechtlichung der (Erb-)Monarchie
kutive und Judikative mit einbezieht. Sie sind durch die Verfassung ein-
gesetzt, legitimiert und agieren innerhalb der von ihr vorgegebenen
Grenzen. Der Verfassung kommt insofern in der Rechtsordnung ganz
allgemein höchste Autorität zu. Sie ist umfassender rechtlicher Massstab
für jede Form staatlichen Handelns.?!7 Es muss sich an der Verfassung
selbst messen lassen.
2. Nachrang des Gesetzgebers
Vorrang der Verfassung bedeutet Nachrang des Gesetzgebers. Dieser
Nachrang wird daran deutlich, dass ein mit der Verfassungsordnung
nicht in Übereinstimmung stehendes (einfaches) Gesetz verfassungswid-
rig ist und vom Staatsgerichtshof in einem Normenkontrollverfahren
aufgehoben werden kann. Die Höherrangigkeit der Verfassung gegen-
über einem einfachen Gesetz ist denn auch eine notwendige Vorausset-
zung der Verfassungsgerichtsbarkeit.?!8
3. Justizielle Kontrolle
Die Verfassungsgerichtsbarkeit komplettiert den zentralen Gedanken
des Vorrangs der Verfassung, indem sie eine entsprechende gerichtliche
Kontrolle von Verstössen gegen diese einrichtet,?!? wie dies in Art. 104
LV 1921 geschehen ist. So ist im Wege eines besonderen Gesetzes ein
Staatsgerichtshof als Gerichtshof des öffentlichen Rechts zum Schutze
der verfassungsmässig gewährleisteten Rechte geschaffen worden. In
seine Zuständigkeit fallen auch die Prüfung der Verfassungsmässigkeit
von Gesetzen und die Verfassungs- und Gesetzmässigkeit der Regie-
rungsverordnungen.??!
317 Christian Hermann Schmidt, Vorrang der Verfassung, S. 14.
318 Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 24 f.
319 Horst Dreier, Grundlagen, S. 20 f. Rz. 23.
320 Siehe LGBl. 1925 Nr. 8 und dazu Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im
Fürstentum Liechtenstein, 5. 33 ff.
321 Der im Jahr 2003 geänderte Art. 104 Abs. 2 LV 1921 umfasst neu auch die Prüfung
der Verfassungsmässigkeit von Staatsverträgen.
232
Verfassungsgerichtsbarkeit
II. Normativität der Verfassung
1. Allgemeinverbindlichkeit
Die hohe Bedeutung der Verfassung kommt aber nicht nur darin zum
Ausdruck, dass sie gleichsam die Spitze der innerstaatlichen Normenpy-
ramide (Stufenbau der Rechtsordnung) markiert, sondern auch in ihrer
Normativität. Sie ist «allgemein verbindlich»,*? bindet also auch den
Gesetzgeber, Fürst und Volk bzw. Landtag, und markiert so verfas-
sungshistorisch und verfassungsdogmatisch einen bedeutsamen Unter-
schied zur Konstitutionellen Verfassung von 1862, die bisher nur für
«alle Landesbürger verbindlich» war.??
2. Verfassungsgebundenes Staatshandeln
Staatliches Handeln legitimiert sich aus der Verfassung, d. h. aus der
Übereinstimmung mit der Verfassung. Sie verlangt verfassungsgebunde-
nes Handeln aller staatlichen Gewalten. Es gibt so gesehen nur «verfas-
sungslegitimierte Akteure».
IN. Sicherung der Verfassung
1. Normenkontrollbefugnis
Es liegt in der Kompetenz des modernen Rechtsstaats, dass auch die Ver-
fassung für ihre Geltung und Beobachtung einer Sicherung bedarf.?25
Verfassungsgerichtsbarkeit ist eine spezifische Form der Verfassungssi-
cherung, die im Staatsgerichtshof institutionalisiert ist. Die Befugnis des
Staatsgerichtshofes, die Verfassungsmässigkeit der Gesetze und die Ver-
322 Siehe Art. 111 LV 1921 bzw. neu: Art. 112 Abs. 1 LV 2003.
323 Siehe $ 119 KV 1862. Fürst Johann II. seinerseits verspricht in der Schlusserklärung,
die Bestimmungen dieses Landesgrundgesetzes «genau» zu erfüllen und es gegen
alle Eingriffe und Verletzungen «kräftigst» zu schützen.
324 Klaus Joachim Grigoleit, Bundesverfassungsgericht, S. 6.
325 Christoph Gusy, Richterliches Prüfungsrecht, S. 10.
233
Verrechtlichung der (Erb-)Monarchie
fassungs- und Gesetzmässigkeit der Regierungsverordnungen zu prüfen,
stellt den Kern jeder Verfassungssicherung dar.
2. Gewaltenteilung
Normenkontrolle setzt Gewaltenteilung voraus. Die prüfende Instanz
muss von derjenigen, deren Akte kontrolliert werden sollen, funktionell
wie organisatorisch verschieden sein. Erst die Trennung der Gerichte von
den sonstigen Staatsgewalten ermöglicht daher eine verbindliche Prüfung
der Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit dem jeweiligen Verfassungsrecht.?®*
IV. Verfassungsstaatlichkeit und Stellung des Landesfürsten
1. Keine Funktion als «Hüter der Verfassung»
Die Verfassung von 1921 hebt sich durch die Verfassungsgerichtsbarkeit
vom monarchischen Konstitutionalismus der Verfassung von 1862 ab. In
der konstitutionellen Monarchie der Verfassung von 1862 kam dem
Fürsten als Staatsoberhaupt die Stellung und Funktion eines «Hüters der
Verfassung» zu. Ihm wurde das Recht der Prüfung der Gesetze auf ihre
Übereinstimmung mit der Verfassung zuerkannt; hatte er sie ausgefertigt
und verkündet, wurde die Verfassungsmässigkeit der Gesetze unwider-
leglich vermutet. Der Fürst ist heute nicht mehr der «Hüter der Verfas-
sung». Der Staatsgerichtshof hat das «letzte Wort» über Inhalt und Gel-
tung der Verfassung.??7
2. Verfassungsgebundenes Staatsorgan
Es ist gerade die Stellung des Landesfürsten, an der die Auswirkungen
der Verfassung von 1921 manifest werden. Der Fürst verliert seine sou-
326 Christoph Gusy, Richterliches Prüfungsrecht, S. 9.
327 In Anlehnung an Ernst-Wolfgang Böckenförde, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 10.
Siehe hinten S. 602, 606.
234
Verfassungsgerichtsbarkeit
veräne Position und wird zum verfassungsgebundenen Staatsorgan. Die
Verfassung teilt ihm die Befugnisse zu. Er besitzt kein eigenes Recht auf
Herrschaft.?® Sie regelt die Kompetenzordnung. Er muss seine Position
und seine Kompetenzen auf die Verfassung stützen.?? Er übt die Rechte
an der Staatsgewalt, die er mit dem Volk bzw. Landtag teilt, «in Gemäss-
heit der Bestimmungen dieser Verfassung» aus. Seine Macht liegt damit
nicht mehr vor oder ausserhalb einer lediglich «herrschaftsmodifizieren-
den» Verfassung wie 1862, sondern sie ist nur noch verfassungsmässig
abgeleitete Macht, also Macht, die eben in der Verfassung ihre Begrün-
dung finden muss.30
Die Verfassung von 1921 behält zwar den dualen Staatsaufbau bei,
wie er der Staatsdoktrin des Konstitutionalismus eigen war. Dem Lan-
desfürsten kommt auch ein signifikantes Eigengewicht zu, das sich in
einem Überhang von Rechten im Verhältnis zu den Rechten des Volkes
bzw. Landtages äussert. Er ist aber nicht mehr ein aus sich selbst heraus
legitimierter Herrschaftsträger, wie dies unter der Konstitutionellen Ver-
fassung von 1862 noch der Fall gewesen ist, auch wenn die Einleitungs-
formel der Verfassung von 1921 diesen Anschein erweckt.
3. Ergebnis
Die Rolle des Fürsten bzw. der Monarchie muss unter der Prämisse der
Verfassungs- und Rechtsstaatlichkeit anders als noch im monarchischen
Konstitutionalismus der Konstitutionellen Verfassung von 1862 gesehen
werden.??2 Als Verfassungsorgan unterliegen seine staatlichen Akte der
328 Vgl. auch Edwin Loebenstein, Die Stellvertretung des Landesfürsten, S. 78.
329 Dies folgt aus dem «Prinzip eines kompetenzverteilenden Verfassungsstaates». In
Anlehnung an Martin Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 117.
330 Christian Hermann Schmidt, Vorrang der Verfassung, S. 16 f. Auch Peter Perntha-
ler, Das Staatsoberhaupt, S. 186 betont, dass unabhängig vom Grad der Demokrati-
sierung einer Monarchie die legitimierende Funktion des Monarchen im konstitu-
tionellen Staatswesen gerade nicht auf seiner vorrechtlichen und vorstaatlichen per-
sönlichen Machtstellung, sondern auf seiner verfassungsmässig zumindest
anerkannten Autorität beruhe.
331 Formulierung in Anlehnung an Dieter Gosewinkel /Johannes Masing, Die Verfas-
sungen in Europa (Einführung), S. 31.
332 Siehe insbesondere Art. 2 und 7 Abs. 1 LV 1921.
235
Verrechtlichung der (Erb-)Monarchie
Verfassung. Sie können wegen Verletzung der Verfassung mit Indivi-
dualbeschwerde beim Staatsgerichtshof als Verfassungsgerichtshof ange-
fochten werden. Es gilt der Vorrang der Verfassung, die sich als legiti-
mierende Grundlage der Staatstätigkeit präsentiert und extrakonstitu-
tionelle Befugnisse ausschliesst. Die Volksvertretung, der Landtag,
begegnet in der Verfassung zwar einem Landesfürsten, der nach wie vor
mit substanziellen Befugnissen ausgestattet ist. Sie sind aber in ihrem
Inhalt und Umfang nicht mehr mit denen vergleichbar, die ihm unter der
Konstitutionellen Verfassung von 1862 als alleinigem Inhaber der Staats-
gewalt die «Fülle der Staatsgewalt» sicherten.
236
2. TEIL
VERFASSUNG UND HAUSGESETZ
DES FÜRSTLICHEN HAUSES
LIECHTENSTEIN
1. KAPITEL
HAUSGESETZ DES FÜRSTLICHEN
HAUSES LIECHTENSTEIN
Einleitung
Gegenstand der Untersuchung ist das Verhältnis von Staats- bzw. Ver-
fassungsrecht und Hausrecht, wie es heute im Hausgesetz des Fürstli-
chen Hauses Liechtenstein in Erscheinung tritt.! Dieses Thema ist bis
anhin nur spärlich zum Gegenstand eingehender staats- und verfas-
sungsrechtlicher Überlegungen gemacht worden.? Die Regierung hat in
ihrer Interpellationsbeantwortung vom 29. August 1995? zum Verhältnis
des Hausgesetzes und der Verfassung und zu verschiedenen Fragen, die
sich aus Art. 3 LV 1921 ergeben, Stellung bezogen. Georg Schmid* hat
eine staatsrechtliche Untersuchung angemahnt, die er für dringlich hält.
Um diesen Fragenkomplex zu beantworten, wird auf den histori-
schen Entwicklungsgang bzw. den Wandlungsprozess des monar-
chischen Staatswesens Bezug genommen, wie er sich ım Konstitutiona-
lismus des 19. Jahrhunderts vollzogen hat. Neben diesem verfassungs-
historischen Bezug bilden auch staats- und verfassungstheoretische
Erwägungen die Grundlage, die Problemstellungen auf dem Hinter-
grund der Verfassung von 1921 sichtbar machen. Es wird versucht, in
diesem Kontext das Hausgesetz des Fürstlichen Hauses in das geltende
Staats- und Verfassungssystem einzuordnen, das auf verfassungs- und
rechtsstaatlichen Grundlagen beruht.
1 LGBl. 1993 Nr. 100. Im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten der Verfassung von
1921 veröffentlichten die Oberrheinischen Nachrichten in ihren Ausgaben Nr. 87
vom 12. November 1921 und Nr. 88 vom 16. November 1921 unter dem Titel «Das
liechtensteinische Thronfolgerecht» den Familienvertrag «als Grundlage des Thron-
folgerechts, wie er durch das österreichische Gesetz vom 12. Januar 1893 als Gesetz
für Österreich verbindlich erklärt worden ist». Zur Frage, «warum diese Rechte
nicht in der Verfassung festgelegt (worden) sind», wird nicht Stellung bezogen.
2 Vgl. Wilfried Marxer, Das Hausgesetz des Fürstenhauses, S. 76, der angesichts der
«vielschichtigen Problematik» die Auseinandersetzung mit dem Hausgesetz des
Fürstlichen Hauses für «hochgradig ungenügend» hält. Er weist auch darauf hin,
dass die veröffentlichten Arbeitspapiere der Verfassungskommission des Landtages
aus dem Jahre 2002 belegen, dass in Hinsicht auf hausrechtliche Fragen eine grosse
Unsicherheit geherrscht hat (S. 68).
3 Siehe die Interpellationsbeantwortung betreffend das Hausgesetz des Fürstlichen
Hauses Liechtenstein, BuA Nr. 61/1995 der Regierung vom 29. August 1995; vgl.
auch die Stellungnahme der Regierung vom 26. November 2002 an den Landtag, Nr.
135/2003, zu den anlässlich der ersten Lesung der Regierungsvorlage betreffend die
Abänderung der Verfassung aufgeworfenen Fragen.
4 Georg Schmid, Das Hausrecht der Fürsten von Liechtenstein, S. 116 Fn. 258.
241
1. Abschnitt
Verfassungsgeschichtliche Grundlagen
$1 ENTSTEHUNG UND BEGRIFFSGEHALT
I. Entstehung und Entwicklungsprozess
Um einen Überblick über die Hausgesetzgebung des Fürstlichen Hauses
zu erhalten, wird diese Rechtsmaterie anhand der Entstehung und des
Entwicklungsprozesses kurz zusammengefasst und den thematisch wei-
tergehenden verfassungsrechtlichen Erläuterungen vorangestellt.
1. Privatrecht des Fürsten
Im Verlaufe des 14. Jahrhunderts formieren sich einzelne Familien des
hohen Adels zu Korporationen im privatrechtlichen Sinne.” Die hausge-
setzlichen Regeln, die sie kraft ihrer Autonomie festlegen, umfassen ins-
besondere die Erbfolge (Primogenitur, Ausschluss der Töchter), die Ehe
(Verbot standeswidriger Heiraten) und die Unveräusserlichkeit des
Familiengutes.® Sie werden als das Privatrecht des Fürsten betrachtet.
5 Vgl. Franz Xaver Baumann, Hausgesetz und Staatsgesetz, S. 3; Hans Peters, Die Sat-
zungsgewalt innerstaatlicher Verbände, S. 271. Otto Gierke, Deutsches Privatrecht,
Bd. 1, S. 148, zitiert nach Wilhelm Reidelhuber, Hausrecht und Staatsrecht, S. 4,
schreibt: «Im Sinne der Begründung einer festen und dauernden Familieneinheit
schlossen sich die einzelnen hochadeligen Familien als körperschaftlich verfasste
Häuser zusammen und setzten sich teils durch einseitige Verfügung des Familien-
haupts, teils durch Vereinbarung sämtlicher Familienglieder ein besonderes Fami-
lien- und Güterrecht». Zur Geschichte des Hauses Liechtenstein siehe Volker Press,
Das Haus Liechtenstein, S. 15-85.
6 Vgl. Adalbert Erler, Hausgesetze, S. 2026; vgl. auch Robert Martin Mizia, Der
Rechtsbegriff der Autonomie, S. 36 Fn. 13, der sich auf Adalbert Erler bezieht.
242
Entstehung und Begriffsgehalt
Von daher stammt auch der Name Privatfürstenrecht, wobei es sich bei
diesen dynastischen Haus- und Erbfolgeregeln zur Zeit der Entstehung
des absoluten Staates nicht um «Recht» im zeitgenössischen Sinne
gehandelt hat, sondern um «Normen kraft Ordnungsgebotes und
Einung».” Im Schrifttum ist von Hausrecht oder Privatfürstenrecht die
Rede.® Zum Patrimonium der regierenden Familie gehört auch die Lan-
deshoheit, das Eigentum an Land und Leuten. Sie wird wie das Stamm-
gut vererbt und beruht wie dieses auf einem Privatrechtstitel, sodass die
Bezeichnung «Privatfürstenrecht» zur Zeit des Patrimonialstaates? noch
zutreffend ist.
2. Öffentliches Recht
Im 18. Jahrhundert gewinnt neben dem Privatinteresse des Fürsten auch
der staatliche Aspekt Einfluss auf die Hausgesetzgebung. Aus dem
Bedürfnis heraus, die Herrschaftsstrukturen nicht allein auf die Person
des Monarchen auszurichten, entwickelt sich ein eigenes Rechtsgebiet
des öffentlichen Rechts (ius publicum).!® Es wird vom Privatrecht (ius
privatum) kategorisch getrennt.!! Es setzt sich die Erkenntnis durch,
dass das Fürstenrecht auch öffentliches Recht enthält. In der Folge wer-
Jürgen Weitzel, Die Hausnormen deutscher Dynastien, S. 43.
8 Vgl. Hermann Rehm, Modernes Fürstenrecht, S. 4 f.; Dietmar Willoweit, Privat-
fürstenrecht, Sp. 1966 ff.; Georg Schmid, Das Hausrecht der Fürsten von Liechten-
stein, 5. 8 ff.
9 Die patrimoniale Staatsauffassung verstand die Landeshoheit als Eigentum der
fürstlichen Familie. Nach Wilhelm Reidelhuber, Hausrecht und Staatsrecht, S. 9 f.
wurde sie als dingliches Recht wie das Eigentum betrachtet. Sie war Patrimonium
der fürstlichen Familie und als solches ursprünglich in Bezug auf den Übergang von
Todes wegen denselben erbrechtlichen Grundsätzen unterworfen wie das Privatei-
gentum an Grund und Boden. Als Teil des Nachlasses fiel die Herrschaft über Land
und Leute den Erben nach denselben Grundsätzen zu, nach denen sonst Lehn-,
Stamm- oder Allodialgüter sich vererbten. Bei mehreren Erben wurde das Land
geteilt, bis schliesslich durch die Einführung der Primogeniturordnung die Teilun-
gen unterblieben. Im übrigen Europa zeigt sich der Typus des Staatseigentümers in
abgeschwächter Form: Der Monarch ist danach bloss Obereigentümer des Grund
und Bodens, während Einzelnen und Verbänden das Nutzungseigentum zusteht.
Siehe auch Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 49.
10 So Christoph Möllers, Staat, Sp. 2277.
11 Henning Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 26.
243
Verfassungsgeschichtliche Grundlagen
den in den Verfassungen gewisse Grundsätze, die bisher allein durch
Hausgesetz geregelt sind, zu Bestandteilen der Verfassung.!?
II. Begriffsgehalt
1. Begriff «Hausgesetz»
Der Begriff «Hausgesetz» scheint als amtliche Bezeichnung einer fürst-
lichen Hausregel erstmals 1803 in Württemberg auf. Er wird in der Folge
auch in einschlägigen Normtexten und ım Schrifttum verwendet. Aus-
schliessliche Geltung hat er bekanntlich bis heute nicht erlangt.'* Wäh-
rend des alten Deutschen Reiches wird das Hausrecht nicht kodifiziert.
Man begnügt sich — wie in den ältesten Zeiten — mit Einzelbestimmun-
gen in Haus-, Ehe- und Erbverträgen oder letztwilligen Verfügungen, !*
wie dies auch beim Hausrecht der Fürsten von Liechtenstein der Fall
gewesen Ist. 5
2. Hausgesetzliche Regeln
Hausgesetzliche Regeln — Hausgesetze und Familienverträge — bestehen
als «eigenständige Rechtsmaterie» auch nach 1806, der Auflösung des
alten Deutschen Reiches, fort.!® Es werden solche auch neu errichtet. Ein
Beispiel dafür ist der Familienvertrag vom 1. August 1842, der «in Aus-
übung Unserer Souveränitätsrechte» die bisherigen «Familienstatute>»
des Fürstlichen Hauses!” anerkennt und fortführt, wobei er unter ande-
12 Franz Xaver Baumann, Hausgesetz und Staatsgesetz, S. 40.
13 Vgl. Jürgen Weitzel, Die Hausnormen deutscher Dynastien, S. 35; Hermann Rehm,
Modernes Fürstenrecht, 5. 86.
14 Franz Xaver Baumann, Hausgesetz und Staatsgesetz, S. 5.
15 Näheres dazu bei Georg Schmid, Das Hausrecht der Fürsten von Liechtenstein,
S.1 ff., der im Anhang (S. 122) die wichtigsten hausrechtlichen Urkunden im Wort-
laut wiedergibt. Siehe auch Wilfried Marxer, Das Hausgesetz des Fürstenhauses,
S. 5 ff. und Herbert Hofmeister, Pro conservanda familiae, S. 46 ff.
16 Vgl. Franz Xaver Baumann, Hausgesetz und Staatsgesetz, S. 5.
17 Durch die Primogeniturordnung wurde das Territorium unter Ausschluss erbrecht-
licher Ansprüche nachgeborener Söhne als Ganzes einem Herrschaftsnachfolger
244
Entstehung und Begriffsgehalt
rem zusätzlich zur agnatischen subsidiär auch die kognatische Thron-
folge berücksichtigt, diese allerdings «erst nach dem völligen Abgang des
Mannesstammes».18
3. Deutsche Bundesakte und Autonomie
Obwohl viele Landesherren ihre Reichsunmittelbarkeit und Landesho-
heit verloren haben, sind sie nicht den übrigen Staatsbürgern gleich-
gestellt worden. Vielmehr soll auch nach Auffassung der nunmehr sou-
veränen Monarchen die Einheit des hochadeligen Geburtsstandes ohne
Rücksicht auf die weitere Teilhabe an der Regierung gesichert werden.!?
So räumt Art. XIV der Bundesakte vom 8. Juni 1815 die Autonomie
nicht nur den souveränen, sondern auch den mediatisierten Häusern des
ehemaligen reichsständischen Adels ein. Sie wird völkerrechtlich statu-
iert und ihnen ausdrücklich und fortan gewährleistet.2
4. Ende des Privatfürstenrechts
Das Privatfürstenrecht hat sich bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts
halten können. So hat beispielsweise die Verfassung Österreichs bis zum
Untergang der Monarchie am patrimonialen Fürstenrecht festgehalten,
wonach der Monarch noch Rechte hatte, die der Staat nicht antasten
konnte. Noch im Jahre 1911 wird das «privatrechtliche» Instrument der
Pragmatischen Sanktion von 1719 als das eigentliche Grundgesetz der
österreichisch-ungarischen Monarchie bezeichnet und an die Spitze der
zugeordnet und damit in seiner Einheitlichkeit erhalten. So Burkhard Schöbener,
Allgemeine Staatslehre, S. 57 Rz. 82.
18 Georg Schmid, Das Hausrecht der Fürsten von Liechtenstein, S. 106 ff. (108). Er
weist auf S. 111 darauf hin, dass der Familienvertrag mit Gesetz vom 12. Januar
1893, Reichsgesetzblatt 14 auch von Österreich genehmigt worden ist, nachdem es
die Familienfideikommisse und die damit verbundenen Beschränkungen einem Par-
lamentsbeschluss unterstellt hatte.
19 Dietmar Willoweit, Privatfürstenrecht, Sp. 1969.
20 Vgl. Winfried Haug, Autonomie im öffentlichen Recht, S. 15; Hans Peters, Die Sat-
zungsgewalt innerstaatlicher Verbände, S. 271.
245
Verfassungsgeschichtliche Grundlagen
bekannten Sammlung der Österreichischen Verfassungsgesetze von
Edmund Bernatzik gestellt.2?! Es wird im Schrifttum denn auch darauf
hingewiesen, dass die konstitutionelle Monarchie in Österreich von 1848
bis 1918 stets «unter dem Schatten eines zeitweise offenen Absolutis-
mus», in späteren Zeiten unter dem Schatten des von Friedrich Tezner
sogenannten «subsidiären Absolutismus» gestanden hat.?
$2 FRAGESTELLUNGEN IM ZUSAMMENHANG
MIT DEN HAUSREGELN
I. Rechtscharakter
Die Rechts- und Staatswissenschaft sah sich mit der Frage konfrontiert,
die Rechtsnatur der überkommenen und der neu geschaffenen Haus-
und Erbfolgeregelungen zu bestimmen. Man fasste die Hausnormen als
Rechtsnormen auf. Nur der Form nach hätten sich die Fürsten des
Rechtsgeschäftes (Testament, Vertrag) bedient,? da die hausrechtlichen
Bestimmungen sowohl als Ausdruck rechtsgeschäftlichen Wirkens als
auch als Ergebnis einer vom Staat eingeräumten besonderen Rechtset-
zungsbefugnis verstanden werden konnten.?* Die Auffassung vom nor-
mativen Charakter der Hausregeln war und blieb herrschend, auch wenn
eine begriffliche Klärung der Autonomiefrage nicht gelang und eine adä-
quate Einbindung in das aktuelle System der Rechtsquellen im Sinne
einer rechtstheoretischen Begründung nicht realisiert werden konnte.
II. Autonomiefrage
Umstritten war die Frage, ob die Befugnis des hohen Adels zur Hausge-
setzgebung aus der Gesetzgebungshoheit des Familienchefs bzw. Fami-
21 Dort heisst es: «[...] ist noch gegenwärtig die Grundlage, auf welcher die wichtigs-
ten öffentlich-rechtlichen Institutionen der Monarchie ruhen». Siehe Peter Perntha-
ler, Das Staatsoberhaupt, S. 102 f.; siehe dort auch S. 103 bis 112.
22 Gerald Stourzh, Qualifizierte Mehrheitsentscheidungen, S. 47.
23 Vgl. Jürgen Weitzel, Die Hausnormen deutscher Dynastien, S. 36.
24 Vgl. Robert Martin Mizia, Der Rechtsbegriff der Autonomie, S. 217.
246
Fragestellungen im Zusammenhang mit den Hausregeln
lienoberhauptes als Landesherr («Regierer»)® oder aus der Familienau-
tonomie des hochadeligen Hauses folgte.2 Die Gesetzgebungshoheit
war mit der Landeshoheit verbunden. Diese Thematik wurde wesentlich
bestimmt von der Frage nach ihrer Abgrenzung gegenüber der prinzi-
piell umfassenden Gesetzgebungsbefugnis des modernen Staates.” Die
Hausgesetze wiesen eine Nähe zur Privatautonomie und gleichzeitig
auch zum Staats- und Verfassungsrecht auf, was eine begriffliche Berei-
nigung erschwerte.? Man konstatierte zwar, dass zwischen einfacher
Privatautonomie und besonderer Adelsautonomie unterschieden wer-
den musste, konnte aber die Distanz, die sich zwischen den Hausgeset-
zen und Familienverträgen der hochadeligen Familien und der staatli-
chen Gesetzgebung auftat, nicht überbrücken.?® Zudem liess sich die
Adelsautonomie nur als «Ergebnis Jahrhunderte langer Verfassungsent-
wicklung» rechtfertigen.?
III. Kontroverse Staatstheorien
1. Staatsrechtliche Theorie
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich die sogenannte «staats-
rechtliche» Theorie durch, wonach das fürstliche Hausrecht in jeder
Beziehung dem Staatsrecht unterliegt, auch wenn es nach wie vor Stim-
men gab, die legitimistische Positionen verfochten, die patrimonialstaat-
lichen Vorstellungen verhaftet blieben? und die Dynastie über den Staat
25 So die Präambel der Landständischen Verfassung von 1818 bzw. im Vorspann zur
Konstitutionellen Verfassung von 1862.
26 Vgl. Winfried Haug, Autonomie im öffentlichen Recht, S. 13.
27 Vgl. Robert Martin Mizia, Der Rechtsbegriff der Autonomie, S. 146.
28 Vgl. Winfried Haug, Autonomie im öffentlichen Recht, S. 12.
29 Vgl. Robert Martin Mizia, Der Rechtsbegriff der Autonomie, S. 163 und Winfried
Haug, Autonomie im öffentlichen Recht, S. 14.
30 Robert Martin Mizia, Der Rechtsbegriff der Autonomie, S. 163; vgl. auch den ers-
ten Satz der Präambel des Hausgesetzes des Fürstlichen Hauses Liechtenstein,
LGBl. 1993 Nr. 100. Im Fürstentum Liechtenstein gab es keine Adelsgesellschaft.
31 So Wilhelm Reidelhuber, Hausrecht und Staatsrecht, S. 10.
32 Vgl. Anna Bartels-Ishikawa, Der Lippische Thronfolgestreit, S. 99. In den Achtzi-
gerjahren des 19. Jahrhunderts setzt eine «patrimoniale Renaissance» ein. Promi-
nente Vertreter dieser Richtung sind Max von Seydel und Hermann Rehm. Georg
247
Verfassungsgeschichtliche Grundlagen
stellten. Sie geht vom Prinzip der Staatssouveränität aus und betrachtet
den Staat als juristische Persönlichkeit, wobei der Fürst sein höchstes
Organ ist. Dem Staat kommt selbst Persönlichkeit zu, sodass die
Rechte der Staatsgewalt nicht mehr Rechte des Fürsten, sondern Rechte
dieser Staatspersönlichkeit sind. Träger der Staatsgewalt ist allein der
Staat. Der Monarch ist ein Glied im Staat. Er steht nicht über dem Staate
und übt nicht eigenes Recht am Staate aus, sondern ist nur ein Organ des
Staates und übt nur Recht im Staate aus.® Diese Lehre hat zur Konse-
quenz, dass die Stellung des Fürsten ausschliesslich auf staatlichem
Recht beruht, das seine Stellung im Staat beherrscht und demnach auch
die Thronfolge erfasst. Das Hausgesetz hat folglich als Grundlage des
Thronfolgerechts neben dem staatlichen Recht keine selbständige
Bedeutung mehr.?®
2. Legitimistische Theorie
Die «legitimistische» Staatstheorie erachtet dagegen die Hausgesetzge-
bung als eine vom Landesrecht unabhängige selbständige Rechtsquelle.
Diese Unabhängigkeit folge aus dem in den Staatsverfassungen enthalte-
nen Grundsatz, dass dem Herrscher und seinem Haus ein eigenes Recht
an der Herrschaft im Staat zustehe. Aufgrund dieses Rechts sei die Fami-
lienautonomie erhalten geblieben, sodass die Familie Hausgesetze erlas-
sen könne. Sie führt dieses eigene Recht an der Herrschaft im Staat auf
den Umstand zurück, dass «die heutige deutsche Verfassungsmonarchie
Jellinek setzte sich dagegen in seiner Schrift «Kampf des alten mit dem neuen Recht»
1907 zur Wehr. Vgl. Hans Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 297. Dietmar
Willoweit, Diskussionsbeitrag, merkt kritisch zum Buch «Modernes Fürstenrecht
von Hermann Rehm aus dem Jahre 1904 an: «Es war damals keineswegs modern.
Rehm war vielmehr der Meinung, die fürstliche Gewalt sei etwas Vorstaatliches,
Vorkonstitutionelles, das den Fürsten niemand gegeben habe, weil sie es seit unvor-
denklicher Zeit besitzen. Er musste diese Position später revidieren, weil die ganze
Staatsrechtslehre in Mitteleuropa einen anderen Weg ging: die Jellineksche Organ-
lehre setzte sich durch, man begriff den Monarchen als Staatsorgan.»
33 Vgl. Anna Bartels-Ishikawa, Der Lippische Thronfolgestreit, S. 58 Fn. 276.
34 Siehe Anna Bartels-Ishikawa, Der Lippische Thronfolgestreit, S. 80.
35 Franz Xaver Baumann, Hausgesetz und Staatsgesetz, S. 6. Auf ihn nimmt auch Gre-
gor Steger, Fürst und Landtag, S. 52 f. Bezug.
36 Vgl. Franz Xaver Baumann, Hausgesetz und Staatsgesetz, 5. 7.
248
Rechtsnatur des Staates
[...] halb Patrimonial-, halb Verfassungsstaat» ist.” Dieser teilweise
patrimonialistische Charakter des Staates folge aus der Bezeichnung des
Fürsten als «Fürst von Gottes Gnaden», wie er in allen deutschen Ver-
fassungen genannt werde. Diese Formel halte rechtlich fest, dass der
Fürst seine Stellung weder vom Staat, noch vom Volk, noch von der Ver-
fassung empfangen habe, sondern im Verhältnis zu diesen ein eigenes
Recht auf seine Stellung besitze und zwar in zweifachem Sinne: einmal
in dem Sinne, dass ihm die Herrschaft nicht nur als fremde, sondern im
eigenen Namen zustehe und weiter in dem Sinne, dass er dieses Recht
«originär, aus eigener Macht erworben» habe.
3. Verhältnis von Staatsrecht und Hausrecht
Dieser Meinungsstreit in der Staatsrechtswissenschaft rückt das Verhält-
nis von Staatsrecht und Hausrecht in den Blickpunkt, das eng mit der
Frage der Rechtsnatur des Staates verknüpft ist. So bemerkte schon
Georg Jellinek, dass die «richtige Lösung» dieses Problems von der
Erkenntnis abhänge, die man vom Wesen des Staates besitze.”
$3 RECHTSNATUR DES STAATES
I. Bedeutungswandel des Territoriums
Im Jahre 1806, nachdem «das Fürstenthum Liechtenstein mit voller Sou-
verainität in den Rheinbund aufgenommen» worden war, gewann
neben dem Staatsgedanken auch das Territorium zusehends eigenen
Rechtscharakter. Es definierte sich nicht mehr vorrangig durch die Per-
son des Herrschers, sondern als eigenständiges Gebilde. Carl von In der
Maur“ stellt fest, dass das Fürstentum eine «Veränderung seiner staats-
37 Siehe Wilhelm Reidelhuber, Hausrecht und Staatsrecht, S. 59.
38 Anna Bartels-Ishikawa, Der Lippische Thronfolgestreit, S. 74.
39 Zitiert nach Anna Bartels-Ishikawa, Der Lippische Thronfolgestreit, S. 53.
40 So letzter Satz der Präambel zum Familienvertrag von 1842; siehe Georg Schmid,
Das Hausrecht der Fürsten von Liechtenstein, S. 161.
41 Carl von In der Maur, Die Gründung des Fürstenthums Liechtenstein, S. 32.
249
Verfassungsgeschichtliche Grundlagen
rechtlichen Stellung» erfahren hat: «[...] losgelöst von dem bisherigen
Reichsverbande, wurde es, gleich den anderen süddeutschen Staaten,
welche Napoleon im <Rheinbunde> vereinigt hatte, ein souveräner
Staat.» Rechtlich wurde es weitgehend unabhängig vom jeweiligen Inha-
ber der Herrschaftsgewalt gedacht.
Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 erklärt denn auch in $ 1
die Landschaften Vaduz und Schellenberg zu einem unteilbaren und
unveräusserlichen Ganzen.“ Die Unteilbarkeit des Staatsgebietes ist zu
einem Verfassungsgrundsatz geworden. Demnach gehört das so
umschriebene Territorium des Fürstentums Liechtenstein zum Staat und
ist nicht mehr eine Angelegenheit der Hausgesetzgebung bzw. des Fürs-
tenhauses, wie dies bis anhin der Fall gewesen ist. Es wird aus der Ver-
fügungsmacht des Fürsten und seines Hauses entlassen.“ Dieser Vor-
gang, den Georg Schmid einen «revolutionären» Akt nennt, zeichnet
sich schon im Familienvertrag von 1842 ab. Die dort erfolgten Sukzessi-
onsregelungen (Thronfolge) haben nicht mehr den Charakter einer rein
hausinternen Abmachung, auch wenn sie sich vorrangig an das «regie-
rende Fürstenhaus» richten. Sie legen in ihrer Wirkung die «Herr-
schaftsbedingungen» für das gesamte Territorium des Fürstentums fest
und erfassen so gesehen den «staatlichen Gesamtverband». Dadurch
erhält diese privatrechtliche Regelungsform einen öffentlich-rechtlichen
Charakter.“ Es sollen nämlich nach den Worten des Familienvertrages
die «Verhältnisse» des souveränen Fürstentums «bleibend» geordnet
werden.“ Die «Regierer» des Fürstlichen Hauses werden ausdrücklich
verpflichtet, die «Integrität des Fürstenthums Liechtenstein (zumindest)
in jenem ganzen Umfange» des bisherigen souveränen «Besitzthums»
aufrechtzuerhalten,*6 wie dies als «Verfassungsgebot» dann auch in $ 1
42 So auch Art. 1 LV 1921; geändert durch die Verfassungsrevision von 2003; siehe
dazu Art. 1 und 4 LV 2003 und zum Austrittsrecht der Gemeinden Rene Rhinow,
Rechtsgutachten, S. 33 ff.; Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 296 ff.
43 Das Fürstentum Liechtenstein konnte als souveräner Staat kein Fideikommiss mehr
sein. Siehe Georg Schmid, Das Hausrecht der Fürsten von Liechtenstein, S. 111.
44 Vgl. Heinz Mohnhaupt, Verfassung, S. 59.
45 So die Präambel des Familienvertrages; siehe Georg Schmid, Das Hausrecht der
Fürsten von Liechtenstein, S. 160.
46 Ziffern IV und VI des Familienvertrages; siehe Georg Schmid, Das Hausrecht der
Fürsten von Liechtenstein, S. 162.
250
Rechtsnatur des Staates
der Konstitutionellen Verfassung von 1862 verfassungsrechtlich veran-
kert wird.“
Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 hat der Haugesetzge-
bung sozusagen die Verfügungsmacht über das Gebiet des Fürstentums
entzogen, sodass die Gebietsgarantie des Familienvertrages von 1842
hinfällig geworden ist. Georg Schmid konstatiert, dass der Staat sich
von seinem «Souverän» emanzipiert habe und selber souverän, vom
regierenden Monarchen und seinem Haus unabhängig, mit anderen
Worten ein «Staat der Staatspersönlichkeit», eine Gebietskörperschaft,
der Monarch ein Organ des Staates geworden ist.“?
Diese mit der staatsrechtlichen Verfassunggebung einhergehenden,
tiefgreifenden Veränderungen, wonach sich das auf das Land bezogene
Herrschaftsrecht zur organschaftlichen Befugnis im Staat gewandelt
hatte, während der Staat Träger der Souveränität wurde,” hat die Kon-
stitutionelle Verfassung von 1862 zu verhüllen versucht, indem sie den
Fürsten nach wie vor als den Souverän betrachtete, obwohl er dies
staatsrechtlich nicht mehr war. Georg Schmid“! erblickt in der Konstitu-
tionellen Verfassung von 1862 eine «grundlegende Wende» von der
«absolutistisch-patrimonialen Staatsauffassung zur konstitutionellen».
47 Vgl. Heinz Mohnhaupt, Verfassung, S. 60.
48 Georg Schmid, Das Hausrecht der Fürsten von Liechtenstein, S. 113 f. unter Hin-
weis auf Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 49.
49 Eine erbrechtliche Verfügung über den Staat im Sinne der Patrimonialstaatslehre
war damit unmöglich geworden. So Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen
Rechts, Bd. 2, 5. 108 f.
50 Vgl. Winfried Klein, Die Domänenfrage im deutschen Verfassungsrecht, S. 46.
51 Georg Schmid, Das Hausrecht der Fürsten von Liechtenstein, S. 113. Vor diesem
Hintergrund sind allerdings seine Schlussfolgerungen in Bezug auf das Hausgesetz
nicht folgerichtig, wenn er von der autonomen Regelungskompetenz des Landes-
fürsten und seines Hauses spricht (S. 114). Er beruft sich dabei auf Hermann Rehm,
Modernes Fürstenrecht, S. 24, der zu den «Legitimisten» zählte und vor allem aus
historischer Sicht zur Auffassung gelangte, dass das fürstliche Hausrecht, soweit es
Hausrecht regierender fürstlicher Familien ist, sich seine Natur als selbständige,
vom deutschen Einzelstaatsrecht unabhängige Rechtsquelle bewahrt habe.
251
Verfassungsgeschichtliche Grundlagen
II. Der Staat als Juristische Person
1. Allgemeines
Dass man heute dem Staat eine eigene Rechtspersönlichkeit zuerkennt,
erscheint nahezu selbstverständlich.”? Das ist aber unter der Landständi-
schen Verfassung von 1818 nicht der Fall. In dieser spätabsolutistischen
Verfassungsphase war nicht der Staat, sondern der Landesfürst als
Rechtsperson anerkannt. Landesfürst und Staat waren gleichsam iden-
tisch. Man könnte auch davon sprechen, dass er den Staat «personali-
siert» hat. Es galt denn auch nach der bis in das 19. Jahrhundert vertre-
tenen Patrimonialtheorie® das Staatsgebiet als Eigentum des Landes-
herrn und gegebenenfalls als ererbtes Vermögen der Familie des
Landesherrn. Der Fürst hatte sozusagen das Obereigentum an dem
Staatsgebiet, wobei die Einwohner in zivilrechtlichem Sinne als Zugehör
zu Grund und Boden betrachtet wurden. Die monarchische Gewalt ist
die gottgegebene, erbliche Herrschaft, gewissermassen «Eigengut» des
Fürsten selbst. Er ist Patrimonialherr.”
2. Konstitutionelle Übergangsbestimmungen von 1849
Noch bis zu den Konstitutionellen Übergangsbestimmungen von 1849
liess die Realität der absolutistischen Fürstenherrschaft keinen Zweifel
daran aufkommen, dass die Souveränität dem Landesfürsten zuzuschrei-
ben ist. Da in der konstitutionellen Monarchie Volksvertretung und
52 Ulrich Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 1.
53 Siehe 1806 zur Souveränität. Der Fürst war der Souverän.
54 Karl Doehring, Allgemeine Staatslehre, S. 42 Rz. 89.
55 Burchard Graf von Westerholt, Patrimonialismus und Konstitutionalismus, 5. 15
bezeichnet Karl Ludwig von Haller als «Vater des Patrimonialismus». Zu seiner
Rechts- und Staatstheorie siehe S. 35 ff. In den 1890er-Jahren zeigen sich in der
deutschen Staatsrechtslehre zunehmend «neopatrimoniale Strömungen». So Jens
Kersten, Georg Jellinek, S. 39. Siehe auch vorne S. 247 f. Fn. 32.
56 Vgl. Karl Doehring, Allgemeine Staatslehre, S. 32 Rz. 65.
57 Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 2, S. 105.
58 Siehe auch die $$ 34 und 64 des Verfassungsentwurfs des ständischen Verfassungs-
rates vom 1. Oktober 1848.
252
Rechtsnatur des Staates
Monarch sich als Teilhaber der Staatsmacht gegenüberstanden, war der
Dualismus unumgänglich geworden. In der Folge behalf man sich mit
der Formel, die zwischen der Substanz der staatlichen Gewalt, die dem
Fürsten als dem Oberhaupt des Staates zukommen sollte, und der Aus-
übung dieser souveränen und ungeteilten Gewalt durch die verfassungs-
mässig zuständigen Organe unterschied, um die zu schaffende konstitu-
tionelle Ordnung «mit den Forderungen der Fürstensouveränität in Ein-
klang zu bringen».
3. Konstitutionelle Verfassung von 1862
Es war nicht mehr zu übersehen, dass die deutschen Landesfürsten
unbeschadet ihrer Souveränitätsstellung in bestimmten Fällen in nicht
mehr einseitig aufkündbarer Weise an die Mitwirkung von Ständever-
sammlungen oder Parlamenten gebunden waren. So konnte der Landes-
fürst die Konstitutionelle Verfassung von 1862 weder einseitig abändern
noch selbst wieder aufheben.“ Souveränität besagte demnach nur noch
«höchste» Gewalt, d. h. die anderen Gewalten legitimierende und grund-
sätzlich zuständige, aber nicht mehr in jedem Fall zur Alleinentschei-
dung berechtigende Machtvollkommenheit. Diese Bindung des Souve-
räns an die Mitentscheidung anderer Faktoren, z. B. auch an die gegen-
zeichnenden Minister — für Liechtenstein: der Landesverweser —, lässt
sich geradezu als das wesentliche Merkmal des Konstitutionalismus und
der in ihm herrschenden Souveränitätsvorstellung bezeichnen.®! Diese
Feststellung trifft auch auf die Konstitutionelle Verfassung von 1862 zu,
die das Verhältnis zwischen Landesfürst und Land erstmals staatsrecht-
lich ausgestaltet. Sie bekennt sich zwar in $ 2 nach wie vor zum monar-
chischen Prinzip, wonach der Landesfürst als Oberhaupt des Staates in
sich alle Rechte der Staatsgewalt vereinigt. Dem Fürsten tritt aber der
Landtag als «gesetzmässiges Organ der Gesamtheit der Landesangehöri-
gen», also als Repräsentant des Volkes,® gegenüber, der an der Aus-
59 Hans Gangl, Der Deutsche Weg zum Verfassungsstaat, S. 35.
60 So$121 KV 1862; siehe schon vorne S. 83 und 132.
61 Hans Boldt, Verfassungskonflikt und Verfassungshistorie, S. 75 ff. (86).
62 Zur Einschränkung der Repräsentation (drei fürstliche Abgeordnete) siehe vorne S. 93.
253
Verfassungsgeschichtliche Grundlagen
übung der Souveränitätsrechte, insbesondere der Gesetzgebung, betei-
ligt ist. Weder der Landesfürst noch der Landtag kann einseitig Gesetze
erlassen.® Die Ausübung der Staatsgewalt ist insofern zwischen Landes-
fürst und Landtag aufgeteilt.“ Diese Fraktionierung stand in deutlichem
Widerspruch zum Souveränitätsbegriff, der von der Unteilbarkeit der
Souveränität ausging, wie dies auch für die Staatsgewalt betont wurde.
Auch wenn man an der Vorstellung von der Unteilbarkeit der Sou-
veränität festhielt, war das monarchische Prinzip mit dem «realen» Ver-
fassungsrecht nicht zu vereinbaren,® denn das auf das Land bezogene
Herrschaftsrecht des Fürsten hatte sich in Wirklichkeit zur organschaft-
lichen Befugnis im Staat gewandelt, während der Staat Träger der Sou-
veränität wurde.® Diese Antinomie zwischen seiner theoretischen All-
macht und den praktisch beschränkten Kompetenzen ist ein Merkmal
dieses konstitutionellen Systems.” Bei dieser Ambivalenz des Verfas-
sungsrechts liess sich die Souveränität, wollte man das Absolutheits-
dogma nicht aufgeben, weder im Sinne des monarchischen Prinzips dem
Monarchen noch auf der Grundlage ursprünglicher Volkssouveränität
der Volksvertretung zusprechen. Diesen Widerspruch rechtstheoretisch
aufzulösen, ist der deutschen Staatslehre zunächst nicht gelungen, sodass
der Monarch letztlich Träger der Souveränität blieb.
Die Staatsgewalt wurde aus der «höchsten, allumfassenden
Gewalt», der Souveränität des Fürsten, abgeleitet, die noch bis zur Kon-
stitutionellen Verfassung von 1862 im Fürsten personifiziert blieb. Es
entsprach der absolutistischen Denkweise der Bodin’schen Lehre, dass
sie unteilbar war und nur einem Herrschaftssubjekt zustehen konnte.
63 Siehe $$ 24 und 40 KV 1862; vgl. auch Art. 65 und 62 LV 1921 sowie Titel VII $ 2
der bayerischen Verfassung, $$ 64, 65 der badischen Verfassung und $$ 85, 124 der
württembergischen Verfassung, in: Ernst Rudolf Huber, Dokumente zur deutschen
Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 5. 166 bzw. S. 181 bzw. S. 197, 201.
64 So dann ausdrücklich in Art. 2 LV 1921. Die gesetzgebende Gewalt wird gemein-
schaftlich durch den Landesfürsten und durch den Landtag ausgeübt. Zu jedem
Gesetz ist die Übereinstimmung des Landesfürsten und des Landtages erforderlich.
65 Henning Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 36.
66 Winfried Klein, Die Domänenfrage im deutschen Verfassungsrecht, S. 46.
67 Peter Pernthaler, Das Staatsoberhaupt, S. 107 f.
68 Henning Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 37; so auch $ 2 KV 1862;
siehe auch vorne S. 132 ff.
254
Rechtsnatur des Staates
4. Verfassung von 1921
Die Verfassung 1921 ist von diesem Konzept der einheitlichen, auf den
Fürsten ausgerichteten Souveränität abgerückt, indem sie die Staatsge-
walt zwischen Fürst und Volk aufteilte, die sie mit anderen Worten
gemeinschaftlich innehaben. Während die Staatsgewalt unter der Kon-
stitutionellen Verfassung von 1862 im dynastischen Recht ihren
Ursprung hat und durch sie beschränkt wurde, gründet sie nun 1921 in
der konstitutionellen (Erb-)Monarchie auf demokratischer und parla-
mentarischen Grundlage in der von Fürst und Volk getragenen Verfas-
sung.“ Diese geht mit anderen Worten von einer geteilten Souveränität
aus.”° Sie spricht dies denn auch in Abkehr von der Konstitutionellen
Verfassung von 1862 in Art. 2 offen aus und stellt so den Staat auf eine
neue Grundlage.’! Diese Neuausrichtung des Staates bzw. die Teilung
der Staatsgewalt auf zwei unterschiedlich legitimierte Träger hat aller-
dings Auswirkungen auf die Institution des Staatsoberhauptes bzw. die
staatsrechtliche Stellung des Landesfürsten, der zwar Oberhaupt des
Staates bleibt, aber nicht mehr alle Rechte der Staatsgewalt in sich verei-
nigt, sondern nurmehr neben dem Volk bzw. Landtag sein Recht an der
Staatsgewalt in «Gemässheit» der Bestimmungen der Verfassung und der
übrigen Gesetze ausübt.”? Das heisst, dass die Verfassung, die die Staats-
gewalt begründet, für beide, Fürst und Volk, die gemeinsame Grundlage
geworden ist. Sie lässt keinen Raum für eigenes Recht. Das gilt auch für
das Fürstenhaus.”” Aus der Konstruktion des Staates als eigener Rechts-
persönlichkeit folgt die Organschaft des Landesfürsten. Nach Edwin
Loebenstein’* kann eine konstitutionelle Monarchie das Staatsoberhaupt
69 In Anlehnung an eine Formulierung von Otto Kimminich, Das Staatsoberhaupt,
S. 44, 111.
70 Nicht zutreffend ist, von einer «Doppelsouveränität» zu sprechen, wie dies im Bei-
trag «Liechtenstein» im Staatslexikon der Görresgesellschaft, 5. Aufl., Freiburg i. Br.
1929, S. 1008 geschehen ist.
71 Vgl. Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, S. 3, der
meint, dass die Verfassung auf der «Idee der Volkssouveränität» beruht. Er sieht sich
in dieser Ansicht durch das Urteil des Landtagspräsidenten Wilhelm Beck bestätigt.
Diese Ansicht trifft wohl nicht zu.
72 Siehe Art. 7 Abs. 1 LV 1921 und vorne S. 182 ff.
73 Siehe Art. 3 LV 1921.
74 Edwin Loebenstein, Die Stellvertretung des Landesfürsten, S. 81.
255
Verfassungsgeschichtliche Grundlagen
nur als ein Organ des Staates begreifen. «Alles andere würde einen
Rückfall in den patrimonialen Staat bedeuten.» Seine Befugnisse als
Staatsoberhaupt werden in der Verfassung zu «rechtlich abgeschlossen
normierte(n) Organfunktionen».75
Das Fürstentum Liechtenstein ist somit ein Staat, in dem alle
Organe ihre Kompetenzen aus der Verfassung ableiten, so auch der
Fürst. «Er ist also nicht ein princeps legibus solutus, er ist vielmehr ein
Organ des Staates und steht nicht über dem Staat.»7°
75 In Anlehnung an Peter Pernthaler, Das Staatsoberhaupt, S. 107 f.
76 Edwin Loebenstein, Die Stellvertretung des Landesfürsten, S. 78. Zur Organstel-
lung des Fürsten siehe auch Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten
Staatsorgane, S. 1 f., der auf Art. 69 (richtig: 64) LV verweist.
256
2. Abschnitt
Staatsrecht und Hausrecht
$4 HAUSGESETZLICHE REGELUNGEN
I. Allgemeines
Dass sich das Staatsrecht vom Privatrecht abgelöst hat, war für die Ent-
wicklung staatlicher Rechtspersönlichkeit von zentraler Bedeutung.”
Das Staatsrecht setzte sich gegenüber dem Privatrecht und damit auch
gegenüber dem Privatfürstenrecht durch. Es wurden Hausgesetze ın
staatlicher Gesetzesform geschaffen.’® Da die Hausgesetze mit dem
neueren Staatsrecht schwer zu vereinbaren waren, weil sie tief in das Ver-
fassungsgefüge eingriffen, wurden sie im 19. Jahrhundert von der
Genehmigung des Staates abhängig gemacht. Die Hausgesetze der deut-
schen regierenden Häuser wurden oft in die Staatsverfassungen aufge-
nommen, so insbesondere die Normen über die Thronfolge,”? wie es zur
Zeit der Entstehung der Konstitutionellen Verfassung von 1862 der
Staatsrechtslehre entsprach. Danach sind die staatsrelevanten Materien
des Hausrechts dem formellen Verfassungsrecht zuzuordnen.® Die erb-
liche Thronfolge stellte nunmehr eine öffentlich-rechtliche Form der
Amtssukzession bzw. des Anspruchs auf die höchste Organstellung im
Staate und nicht mehr einen privatrechtlichen Anspruch dar. Ein
77 Vgl. Winfried Klein, Die Domänenfrage im deutschen Verfassungsrecht, S. 50.
78 Vgl. Winfried Klein, Die Domänenfrage im deutschen Verfassungsrecht, S. 44.
79 Vgl. Adalbert Erler, Hausgesetze, S. 2027; vgl. auch die Verfassungsurkunden für
das Königreich Bayern 1818 und für das Königreich Württemberg 1819, publiziert,
in: Hans Rudolf Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1,
S. 156 ff. bzw. 188 ff.; vgl. auch die $$ 40 bis 46 des Verfassungsentwurfs des ständi-
schen Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848.
80 Vgl. Cyrus Beck, Der Vorbehalt des Gesetzes der liechtensteinischen konstitutio-
nellen Verfassung von 1862, S. 157 f. mit weiteren Hinweisen.
257
Staatsrecht und Hausrecht
Anspruch aber, der im modernen Staate wurzelt, kann natürlich auch
dessen Gesetzgebungsmacht nicht entrückt sein.$!
II. Konstitutionelle Verfassung von 1862
1. Kompetenz der Hausautonomie
Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 ordnet die Thronfolge nicht
selbst. Sie verweist in $ 3% auf die Hausgesetze, in denen die Thronfolge,
die Stellvertretung und vorkommendenfalls die Vormundschaft geregelt
sind. Sie zählte zu jener Kategorie von Staaten, die die hausgesetzlichen
Bestimmungen in der Kompetenz der Hausautonomie des Fürstenhau-
ses Liechtenstein belassen hat.® Sie unterscheidet sich von denjenigen
Staaten, wie beispielsweise die Königreiche Bayern und Württemberg,
die schon in der frühkonstitutionellen Verfassungsphase das gesamte,
ehemals von der Autonomie der regierenden Familie ausgebildete
Thronfolgerecht ganz auf den Staat übernommen haben,** d. h. zum Ver-
fassungsrecht umgebildet haben, sodass es nur im verfassungsgesetzli-
chen Verfahren geändert werden konnte.® Mit einer derartigen Verfas-
sungsregelung vergleichbar ist der Verfassungsentwurf des ständischen
Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848, der das Hausrecht, insbesondere
die thronfolgerechtlichen Bestimmungen, in den Verfassungstext aufge-
nommen und ins Verfassungsrecht transferiert hat.% In diesem Sinne
81 So Wilhelm Reidelhuber, Hausrecht und Staatsrecht, S. 20.
82 Es heisst dort: «nach Massgabe der Hausgesetze» ist die Regierung erblich im Fürs-
tenhause Liechtenstein (Thronfolge). Sie sind auch massgebend für die Volljährig-
keit des Landesfürsten und des Erbprinzen wie auch für die Vormundschaft.
83 Georg Meyer / Gerhard Anschütz; Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, S. 287 f.
84 Vgl. auch Dieter Gosewinkel/Johannes Masing, Die Verfassungen in Europa: Nor-
wegen (S. 699 ff.), Niederlande (S. 865 ff.), Belgien (S. 1305 ff.) und Luxemburg
(S. 1323 ff).
85 Vgl. aus heutiger Sicht Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 267 f. Fn. 271
und Günther Winkler, Verfassungsrecht, S. 11.
86 Vsl. die $$ 40 bis 46 des Verfassungsentwurfs des ständischen Verfassungsrates vom
1. Oktober 1848; vgl. auch Cyrus Beck, Der Vorbehalt des Gesetzes der liechten-
steinischen konstitutionellen Verfassung von 1862, S. 158. In diese Richtung weisen
auch der Verfassungsvorschlag der Landtagskommission von 2000 und der Verfas-
sungsvorschlag der Freien Liste von 1996. Beide sind einschlägig publiziert, in: Wil-
fried Marxer, Das Hausgesetz des Fürstenhauses, S. 42-44.
258
Hausgesetzliche Regelungen
waren auch die Verfassungsentwürfe der Landstände von 1861 gestaltet,
die das staatsrelevante Hausrecht als mitwirkungsbedürftiges Verfas-
sungsrecht betrachteten, wie dies damals einer weit verbreiteten Rechts-
auffassung entsprach. Davon sieht die Konstitutionelle Verfassung von
1862 ab, nachdem sich dieses Begehren der Landstände in den Verfas-
sungsverhandlungen mit Fürst Johann II. und seinen Beratern nicht hat
durchsetzen können, sodass das fürstliche Hausrecht nicht integral in
der Verfassung festgeschrieben und dem Landtag kein diesbezügliches
Mitwirkungsrecht zugestanden wurde.” Der Fürst hielt an seinem Sou-
veränitätsanspruch fest, wie er ın $ 2 der Konstitutionellen Verfassung
von 1862 umgesetzt worden ist.
Soweit sie auf die Hausgesetze Bezug nimmt, macht sie die betref-
fenden hausrechtlichen Bestimmungen wegen ihrer Bedeutung zwar
zum Gegenstand der Verfassung, nimmt sie aber von der Mitwirkung des
Landtages aus. Es sind dies das Thronfolgerecht, die Volljährigkeit des
Landesfürsten und des Erbprinzen sowie die Vormundschaft. Sie über-
lässt es den Hausgesetzen, diese Materien zu ordnen. Es gilt aber für sie
insoweit der Vorrang des Gesetzes, als sie die «konstitutionelle Klausel»
tangieren.% In welchem Umfang dem Landtag allerdings eine Mitsprache
zustand, blieb offen und streitig. Als gesichert galt, dass eine Änderung
der Konstitutionellen Verfassung von 1862 bzw. deren $ 3 der Zustim-
mung des Landtages bedurfte, sodass es in der Zuständigkeit des Verfas-
sunggebers lag, die Hausgesetzmaterie zu bestimmen bzw. sie der Haus-
gesetzgebung des Fürstenhauses zu entziehen und sie selber zu regeln.®
Dass die Thronfolge, Volljährigkeit und Vormundschaft nicht in der
Verfassung geregelt wurden, erklärt sich - abgesehen von der mit der
«Erbmonarchie» verbundenen Fürstensouveränität — auch daraus, dass be-
reits Hausgesetze bestanden haben, in denen die Thronfolge geregelt war.?!
87 Siehe Cyrus Beck, Der Vorbehalt des Gesetzes der liechtensteinischen konstitutio-
nellen Verfassung von 1862, S. 158 f.; siehe auch Georg Schmid, Hausrecht, S. 114.
Zum Verfassungskompromiss siehe vorne S. 74 ff.
88 Siehe $ 24 Abs. 1 KV 1862; so Cyrus Beck, Der Vorbehalt des Gesetzes der liech-
tensteinischen konstitutionellen Verfassung von 1862, S. 159.
89 Siehe $ 121 KV 1862.
90 Vgl. Wilhelm Reidelhuber, Hausrecht und Staatsrecht, S. 33.
91 Siehe den Familienvertrag vom 12. März 1718, auf den Carl von In der Maur, Die
Gründung des Fürstenthums Liechtenstein, S. 14 f. verweist und den Familienver-
trag vom 1. August 1842, publiziert in: Georg Schmid, Das Hausrecht der Fürsten
259
Staatsrecht und Hausrecht
2. Staatspraxis
Es wurden unter der Konstitutionellen Verfassung von 1862 gegen Ende
des 19. Jahrhunderts hausrechtliche Angelegenheiten, die eine staats-
rechtliche Relevanz aufwiesen, wie dies beim Gesetz vom 14. März 1895
betreffend die hausgesetzlichen Bestimmungen über die Eheschliessun-
gen der Fürsten und Prinzen des fürstlichen Hauses der Fall war, dem
Landtag zur Zustimmung vorgelegt,” die von ihm auch einstimmig
gegeben wurde.
Aus dem Ingress des Gesetzes, das von der Regierung im Auftrag
des Landesfürsten im Landtag eingebracht worden ist, ergibt sich, dass
Fürst Johann II. beschlossen hat, «in Ausführung der zwischen den
Agnaten Unseres fürstlichen Hauses vereinbarten Bestimmungen über
die Vermählung der Fürsten und Prinzen Unseres Hauses», ein «diesem
Zwecke dienendes Familiengesetz zu errichten.» Es soll durch die Auf-
nahme in das Landesgesetzblatt verbindliche Kraft erhalten. Aus diesem
Grund kleidete man den Familienvertrag vom 11. September 1893 in die
Form eines Gesetzes. Mit der Zustimmung des Landtages wurde er zum
formellen Gesetz und damit für den Staat rechtsverbindlich.?
Das Gesetz beinhaltet zweifelsohne staatsrelevantes Hausrecht, das
für eine Zustimmung des Landtages spricht, weil u. a. die Vorschriften
über die Bewilligung von Ehen der Mitglieder des Hauses und die Defi-
nition der Standesgemässheit im Zusammenhang mit der erblichen
Thronfolge stehen. Damit wurde aber, wie Cyrus Beck® dies nennt, eine
von Liechtenstein, S. 160 ff. Vgl. auch Friedrich F. G. Kleinwaechter, Die neueste
Rechtsentwicklung, S. 366 f. und Cyrus Beck, Der Vorbehalt des Gesetzes der liech-
tensteinischen konstitutionellen Verfassung von 1862, S. 155 f.
92 Siehe LGBl. 1895 Nr. 1. Dieses Familiengesetz wurde nach erfolgter Zustimmung
des Landtages im Jahre 1902 mit Gesetz vom 10. Dezember 1902, LGBl. 1902 Nr. 2,
sistiert bzw. ausser Kraft gesetzt. Zur Begründung siehe Albert Schädler, Landtag,
JBL Bd. 4 (1904), S. 41 und JBL Bd. 12 (1912), S. 16. Siehe auch Cyrus Beck, Der
Vorbehalt des Gesetzes der liechtensteinischen konstitutionellen Verfassung von
1862, 5. 159 ff.
93 Vgl. Albert Schädler, Landtag, JBL Bd. 4 (1904), S. 40. Die einhellige Zustimmung
des Landtages erhielten auch weitere einschlägige Gesetze, wie sie Wilfried Marxer,
Das Hausgesetz des Fürstenhauses, S. 10 f. auflistet.
94 Siehe Art. 5, LGBl. 1895 Nr. 1.
95 Cyrus Beck, Der Vorbehalt des Gesetzes der liechtensteinischen konstitutionellen
Verfassung von 1862, S. 162. Er hält dazu fest: «Ob Fürst Johann II. nach Jahrzehn-
260
Hausgesetzliche Regelungen
«mithin vorbehaltsfreie Materie durch Präokkupierung zu Gesetzes-
recht gemacht», da gemäss $ 3 der Konstitutionellen Verfassung von
1862 der Erlass dieses materiellen Verfassungsrechts dem Fürsten allein
zugekommen wäre. Die Verfassung verwehrte es aber den Fürsten nicht,
dem Landtag Materien zu unterbreiten, die ausschliesslich in seiner
Kompetenz lagen.
Die Entstehungsgeschichte weist den Fürsten als eigentlichen
Gesetzgeber aus, der in seiner Eigenschaft als Familien- und Staatsober-
haupt auftritt.” Darauf deutet einerseits der Ingress des Gesetzes hin,
der die Zustimmung des Landtages nicht erwähnt. Andererseits beruft
sich der Familienvertrag von 1893, der den gesetzgeberischen Anlass bil-
det, ausdrücklich auf die Familienautonomie. Auch die Art und Weise,
wie es zu diesem Gesetz gekommen ist, verdeutlicht, dass der Landtag
seiner mitentscheidenden Position im Gesetzgebungsverfahren kaum
gerecht werden konnte, auch wenn verfassungsrechtlich der Landesfürst
als Gesetzgeber galt. Es heisst denn auch im Einberufungsdekret vom
7. März 1895, dass die fürstliche Regierung «dem löblichen Landtag ein
Hausgesetz betreffend die Bestimmungen über die Vermählungen der
Fürsten und Prinzen des hochfürstlichen Hauses zur gefälligen schleu-
nigen Beratung und Zustimmungserklärung» übermittle.® In der aus-
serordentlichen Landtagssitzung vom 7. März 1895,” die eigens vom
Fürsten einberufen wurde, sind die entsprechenden Verfahrensvorschrif-
ten zwar eingehalten worden,!® die Beratung dieses «von Sr. Durch-
laucht intendierten Gesetzes» erschöpfte sich aber gewissermassen in
ten seine Verfassung anders auslegte oder etwa dem Landtag wohlwollend das
Hausgesetz vorlegte, sei dahingestellt. Jedenfalls kann auch auf dem Feld der Haus-
gesetze die stetige und ausgeprägte Kompromissbedürftigkeit des konstitutionellen
Systems erkannt werden.»
9% So Cyrus Beck, Der Vorbehalt des Gesetzes der liechtensteinischen konstitutionel-
len Verfassung von 1862, S. 161.
97 Siehe den Ingress des Gesetzes, LGBl. 1895 Nr. 1, der wie folgt beginnt: «Wir
Johann II. von Gottes Gnaden souveräner Fürst und Regierer des Hauses von und
zu Liechtenstein [...]».
98 Siehe das Einberufungsdekret vom 7. März 1895 zur ausserordentlichen Landtags-
sitzung vom 7. März 1895, LLA, Landtagsprotokolle 1895.
99 Siehe das Protokoll der ausserordentlichen Landtagssitzung vom 7. März 1895,
LLA, Landtagsprotokolle 1895.
100 Der Zustimmung des Landtages ging gemäss $ 17 Geschäftsordnung, LGBl. 1863
Nr. 1, eine «Commissionelle Berathung» voraus.
261
Staatsrecht und Hausrecht
einer Kenntnisnahme der fürstlichen Regierungsvorlage.!°! Der Landtag
befindet sich in diesem Gesetzgebungsverfahren gegenüber dem Lan-
desfürsten in einer inferioren Stellung, die ihn nicht in einer Funktion als
«Mitgesetzgeber» erscheinen lässt.
Auch nach Inkrafttreten der Verfassung von 1921 ist eine Ergän-
zung des Familienvertrages dem Landtag übermittelt und als Gesetz im
Landesgesetzblatt publiziert worden,!® das entsprechend der Verfas-
sung!® im «Einvernehmen» mit dem Landtag erlassen worden ist.
III. Verfassung von 1921
1. Entstehungsgeschichte
a) Verfassungsberatungen des Landtages
Die organisatorischen und vermögensrechtlichen Verhältnisse bzw. das
Hausgesetz des Fürstlichen Hauses Liechtenstein kamen in den Verfas-
sungsberatungen des Landtages nicht zur Sprache. Art. 3 der Verfassung
von 1921 knüpft an $ 3 der Konstitutionellen Verfassung von 1862 an. Er
übernimmt zum grossen Teil dessen Wortlaut und folgt damit ihrem Bei-
spiel, wonach diese Rechtsmaterie ebenfalls den Hausgesetzen überlas-
sen bleibt. Das heisst, dass das Hausrecht des Fürstlichen Hauses in den
staatsrelevanten Bereichen der Thronfolge, Volljährigkeit und Vormund-
schaft wie bisher nicht in der Verfassung umgesetzt,!* aber als ein
Bestandteil der Verfassung betrachtet wird. Im Übrigen wird das Ver-
hältnis zwischen Hausrecht und Verfassung nicht näher thematisiert.!®
101 Vgl. auch Georg Schmid, Hausrecht, S. 115 Fn. 254a, der meint, dass es lediglich da-
rum gegangen sei, die Interessierten, insbesondere «den Landtag in geeigneter Form
in Kenntnis zu setzen».
102 Vgl. Gesetz vom 8. Februar 1926 betreffend die Abänderung des fürstlichen Fami-
lienvertrages vom 1. August 1842, LGBl. 1926 Nr. 3.
103 Siehe Art. 65 LV 1921.
104 Vgl. auch Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 277, der von einer «inhaltsglei-
chen» Fortführung spricht und sie für eine «formale Erneuerung» hält.
105 Siehe dazu im Folgenden.
262
Hausgesetzliche Regelungen
b) Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck
Der Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck bindet das Hausrecht in die
Verfassung ein. Es bildet einen Teil der staatlichen Rechtsordnung. Es
heisst dort in Art. 29 Abs. 3 im Zusammenhang mit der staatsrechtlichen
Stellung des Landesfürsten, dass die Regierungsrechte «nach Massgabe
der Hausgesetze und der Verfassung» im Fürstlichen Hause Liechten-
stein erblich sind. Man war sich damals der Problematik von Hausrecht
und Staatsrecht durchaus bewusst. So äusserte sich Wilhelm Beck schon
19121% zum Familienvertrag von 1842, dass manche seiner Bestimmun-
gen «vor der Verfassung kaum mehr gültig» seien. Er beruft sich dabei
u. a. auf $ 24 der Konstitutionellen Verfassung von 1862, wonach ohne
Mitwirkung und Zustimmung des Landtages kein Gesetz gegeben, auf-
gehoben, abgeändert oder authentisch erklärt werden darf. Er verweist in
diesem Zusammenhang auch darauf, dass der Familienvertrag die «öster-
reichische gesetzliche Genehmigung» wegen der Sonderstellung, die das
Fürstenhaus in Österreich einnehme, erhalten habe. Sie sei aber «im
liechtensteinischen Staatsrecht nicht anerkannt», da Liechtenstein nicht
«wie andere monarchische Staaten» einen «einheimischen Adel» be-
sitze.1” Diese Äusserungen, die nicht näher begründet werden, zeigen,
dass die hausrechtlichen Regeln zum Verfassungsbestand gezählt werden,
auch wenn deren Ausführung der Fürstlichen Familie überlassen bleibt.
c) Diskussionsstand
Nach Inkrafttreten der Verfassung von 1921 stellte sich im Zusammen-
hang mit der Änderung des Familienvertrages des Fürstlichen Hauses
vom 1. August 1842 für die Regierung erneut die Frage,!® wie sie sich
zum verfassungsrechtlichen Vorgehen verhalten sollte bzw. ob das
106 Wilhelm Beck, Das Recht des Fürstentums Liechtenstein, 5. 23.
107 Wilhelm Beck, Das Recht des Fürstentums Liechtenstein, S. 24. In Österreich, wo
der Landesfürst und das Fürstenhaus damals ihren Lebensmittelpunkt hatten,
wurde ihr Familienvertrag (Hausnormen; hausrechtliche Bestimmungen) mit
Gesetz vom 12. Januar 1893 anerkannt. Siehe Gregor Steger, Fürst und Landtag,
S. 45 f.; Wilfried Marxer, Das Hausgesetz des Fürstenhauses, S. 8; vgl. auch Herbert
Hofmeister, Pro conservanda familiae, S. 61.
108 Die Kabinettskanzlei übermittelte am 23. Dezember 1925 Regierungschef Gustav
Schädler eine Änderung im zweiten Absatz des Annexes II zum Familienvertrag des
Fürstlichen Hauses vom 1. August 1842, wonach es dem «Regierer Unseres fürstli-
chen Hauses» überlassen bleibt, den Rang und Titel des betreffenden Familienmit-
263
Staatsrecht und Hausrecht
Hausrecht familienintern bzw. von den stimmberechtigten Mitgliedern
des Fürstlichen Hauses einseitig geordnet werden kann oder ob es zu
einer Änderung der Mitwirkung des Landtags im Sinne von Art. 65 der
Verfassung von 1921 bedarf.!® Bisher wurden hausrechtliche Änderun-
gen dem Landtag zur Zustimmung vorgelegt. !!9
Der liechtensteinische Gesandte Emil Beck!!! nahm in einem
Schreiben vom 19. Januar 1926 Stellung zu dieser Thematik. Er äusserte
sich nicht abschliessend, da dieser Sachbereich ein «eingehenderes Stu-
dium» erfordern würde. Das Verhältnis zwischen Fürstenhaus und Land
betreffe ein «äusserst schwieriges Problem», das die Frage aufwerfe,
wessen Zustimmung für die Änderung der Hausgesetze nötig sei, damit
sie rechtsverbindlich sei. Er erwähnte verschiedene Theorien,!!? die zu
gliedes, seiner Gemahlin und ihrer Deszendenz zu bestimmen. Gleichzeitig verfügte
Fürst Johann II, diese Ergänzung des Familienvertrages im Landesgesetzblatt zu
veröffentlichen.
109 Zu den Lehrmeinungen siehe Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 267 f. mit
weiteren Hinweisen; vgl. auch Wilfried Marxer, Das Hausgesetz des Fürstenhauses,
S. 11 unter Bezugnahme auf BuA Nr. 135/2002 der Regierung vom 26. November
2002, 5. 12 f.
110 Vgl. Georg Schmid, Das Hausrecht der Fürsten von Liechtenstein, S. 167 ff.; Wil-
fried Marxer, Das Hausgesetz des Fürstenhauses, S. 10 f. unter Hinweis auf die
Interpellationsbeantwortung der Regierung, BuA Nr. 61/1995, S. 11 f.; Christine
Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 271 Fn. 285. Gerard Batliner, Diskussionsbeitrag,
S. 80 Rz. 135, weist darauf hin, dass sämtliche hausgesetzlichen Regelungen der
Materien im Sinne von Art. 3 LV ununterbrochen seit 1862 mit Ausnahme des
Hausgesetzes, LGBI. 1993 Nr. 100, die einhellige Zustimmung des Landtages erhal-
ten haben. Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 287 bezeichnet sie als «hetero-
gene Landtagsbeschlüsse» und misst ihnen keine verbindliche Aussagekraft über das
grundsätzliche Verhältnis von fürstlichem Hausrecht und staatlichem Gesetzesrecht
bei. Die Oberrheinischen Nachrichten vom 12. November 1921 Nr. 87 und vom
16. November 1921 Nr. 88 bringen unter dem Titel «Das liechtensteinische Thron-
folgerecht» im Nachhinein die einschlägigen Bestimmungen im Wortlaut, ohne sie
zu kommentieren. In O.N. Nr. 88 heisst es: «Mancher Liechtensteiner hat sich
gefragt, warum diese Rechte nicht in der Verfassung festgelegt sind, damit diese voll-
ständig ist und damit hinsichtlich der Thronfolge nicht ausländische Einflüsse sich
geltend machen. Diese Frage ist keine müssige. Im nachfolgenden soll zu ihr Stel-
lung genommen werden.» Diesem Hinweis auf das Thronfolgerecht ist zu entneh-
men, dass die Verfassung die Hausgesetze anerkennt.
111 Zu seiner Person siehe Rupert Quaderer, in: Historisches Lexikon, Bd. 1, 5. 78 f.
112 Franz Hauke, Kaiserliches und königliches Haus, S. 6 f. vertrat 1907 aus österrei-
chischer Sicht folgenden Standpunkt: «Wird in Übereinstimmung mit der modernen
Staatsauffassung das Wesen des Staates durch die Annahme seiner Rechtspersönlich-
264
Hausgesetzliche Regelungen
diesem Problemkreis in der Literatur vertreten werden, und nahm Bezug
auf solche Staaten, die die Hausgesetze ausdrücklich oder stillschwei-
gend zum Inhalt der Verfassung erklärt hatten. Er liess offen, welche die-
ser Auffassungen für das Land die richtige sei. Es dürfte der Umstand
entscheidende Bedeutung haben, ob in Art. 3 der Verfassung die Haus-
gesetze in ihrem vollen Umfange oder nur hinsichtlich der speziell
genannten Punkte, d. h. der Thronfolge, Volljährigkeit des Landesfürs-
ten und des Erbprinzen und gegebenenfalls deren Vormundschaft, zum
Verfassungsinhalt gemacht werden sollten oder ob diese Gesetze und
deren Änderung ganz der Dynastie vorbehalten werden sollten. «Prima
vista» scheine ihm, «dass gemäss Art. 3 der Verfassung die Mitwirkung
der gesetzgebenden Organe mindestens für die dort speziell erwähnten
Punkte notwendig wäre.»!!* Er empfahl, die Ergänzung des Familien-
vertrages «im gegenseitigen Einvernehmen zwischen dem Fürstenhaus
und den gesetzgebenden Organen des Landes» zu lösen.!!*
Emil Beck und Regierungschef Gustav Schädler!!5 präferierten die
Rechtsansicht, dass jede Änderung des Hausgesetzes der Mitwirkung
des Landtages bedürfe, wie es im vorliegenden Fall geschehen ist.
keit erklärt, so bietet die Verhältnisbestimmung zwischen Hausrecht u. Staatsrecht
keine Schwierigkeit. Soweit daher die hausrechtlichen Bestimmungen Anordnungen
enthalten, welche sich von spezifisch staatsrechtlicher, die Untertanen verpflichten-
der Wirkung erweisen, wäre eine Änderung derselben rechtlich nur durch einen Akt
der Verfassungsgesetzgebung zulässig. Dagegen ist der Inhalt des Hausrechtes, wel-
cher sich lediglich auf vermögens- u. familienrechtliche Angelegenheiten bezieht,
nach wie vor der Möglichkeit autonomer Rechtssatzung überlassen geblieben.»
113 Regierungschef Gustav Schädler teilt am 26. Jänner 1926 der Kabinettskanzlei in
Wien mit: «Damit dieses fürstliche Handschreiben durch die Verlautbarung im Lan-
desgesetzblatte unzweifelhaft Gesetzeskraft erlangt, ist nach unserem Dafürhalten
die Behandlung als Gesetzesentwurf im Landtag erforderlich.» Der Landtag
stimmte ihm am 27. Januar 1926 einstimmig zu (LGBl. 1926 Nr. 3), wobei er auch
beschloss, «es solle das Hausgesetz des Fürstlichen Hauses zur Gänze im Landes-
gesetzblatt abgedruckt werden, nachdem bisher keine Möglichkeit besteht, das
Hausgesetz in der liechtensteinischen Gesetzessammlung zu finden.» Siehe das
Schreiben von Regierungschef Gustav Schädler vom 15. Februar 1926 an die Kabi-
nettskanzlei, in: LLA, RE 1926/526 ad 366. Nach Friedrich F. G. Kleinwaechter,
Neueste Rechtsentwicklung, S. 367 f. widerspricht es dem Wesen des Verfassungs-
staates, wenn so grundlegende Verfassungsfragen (Thronfolgeordnung, Volljährig-
keit und Vormundschaft) ohne Mitwirkung sämtlicher sonst verfassungsmässig
berufener Faktoren geregelt werden können.
114 LLA, RE 1926/366.
115 Zu seiner Person siehe Rupert Quaderer, in: Historisches Lexikon, Bd. 2, S. 828 f.
265
Staatsrecht und Hausrecht
2. Ergebnis
Die Frage, ob der Erlass oder die Änderung des Hausrechts des Fürstli-
chen Hauses dem von der Verfassung vorgegebenen Verfahren und der
Mitwirkung des staatlichen Gesetzgebers unterliegen, ist aufgrund der
Staatspraxis noch nicht abschliessend beantwortet.
Was die verfassungsrechtliche Regelung angeht, so ist festzustellen,
dass 1921 das Hausrecht der Fürstlichen Familie, namentlich auch staats-
relevante Materien wie die Thronfolge, Volljährigkeit und Vormund-
schaft von Fürst und Erbprinz nicht im Wortlaut in die Verfassung inte-
griert worden ist.!!° Demgegenüber wurde 1984 die Stellvertretung des
Landesfürsten «bei längerer Abwesenheit vom Lande» in der Verfassung
geordnet.!!7 Auch die 2003 erfolgte Neufassung der Stellvertretung des
Landesfürsten in Art. 13bis und die Regelung des Misstrauensantrages
gegen den Landesfürsten in Art. 13ter LV schliesst sich diesem Vorgehen
an. Sie wurden nicht als eine dem Hausgesetz vorbehaltene Frage, son-
dern als eine «Angelegenheit des staatlichen Rechts» angesehen, !!® sodass
116 Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 267 weist darauf hin, dass der Wortlaut
des Art. 3 LV nicht erkennen lasse, dass das autonome Hausrecht in einen Teil der
Verfassung hätte umgewandelt werden sollen. Edwin Loebenstein, Die Stellvertre-
tung des Landesfürsten, S. 82 meint, dass dem Hausgesetz der Charakter einer au-
tonomen Rechtsbildung zuzuerkennen sei. Diese Wirkung sei durch die Änderung
der Verfassung nicht verloren gegangen. Das Hausgesetz sei vielmehr in seiner Gül-
tigkeit bekräftigt worden. Siehe auch den Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck,
O.N. Nr. 48 vom 16. Juni 1920. Dieser enthält in Art. 29 Abs. 3 und 4 die Bestim-
mungen: Die Regierungsrechte sind erblich im fürstlichen Hause Liechtenstein nach
Massgabe der Hausgesetze und dieser Verfassung (Abs. 3). Nach den Hausgesetzen
wird die Grossjährigkeit des Landesfürsten und des Erbprinzen sowie allenfalls die
Vormundschaft geordnet (Abs. 4). Wilhelm Becks Verfassungsentwurf anerkennt
also die Hausgesetze, bindet sie aber an die Verfassung, die die Grundlage bildet. Es
fällt auf, wie Wilfried Marxer, Das Hausgesetz des Fürstenhauses, S. 61 bemerkt,
dass damals bei der Entstehung der Verfassung von 1921 von der hausrechtlichen
Materie («Hausgesetzthematik») kaum Notiz genommen worden ist.
117 Siehe Art. 13 Abs. 2 LV 1921.
118 Edwin Loebenstein, Die Stellvertretung des Landesfürsten, S. 84; zur Regelung im
Hausrecht siehe Georg Schmid, Das Hausrecht der Fürsten von Liechtenstein, S. 52.
Es sollten die staatsrelevanten Materien des Hausgesetzes wie beispielsweise die
Thronfolge in der Verfassung geregelt werden. Der Verfassungsentwurf des ständi-
schen Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848 regelt im Unterschied zur KV 1862
und LV 1921 das Hausrecht bzw. die den Fürsten betreffenden Bestimmungen
(«konstitutionelle Fürstenwürde») in den $$ 40-46. Siehe schon vorne S. 258 f. Er
266
Hausgesetzliche Regelungen
sie verfassungsrechtlich festgelegt wurden.!!? In diesem Fall bedarf eine
Änderung im Unterschied zu den im Hausgesetz des Fürstlichen Hau-
ses geregelten staatsrelevanten Materien der Mitwirkung des Verfas-
sungsgesetzgebers. Unter dem Gesichtspunkt der staatsrechtlichen Rele-
vanz ist allerdings zwischen dieser verfassungsrechtlichen Stellvertre-
tungsregelung und den in Art. 3 LV dem Hausgesetz vorbehaltenen
Sachverhalten kein nennenswerter Unterschied auszumachen. Es sind
offensichtlich rechts- und verfassungsstaatliche Gründe, die für die Mit-
wirkung des Verfassungsgesetzgebers sprechen, von der diese jüngere
Staatspraxis ausgeht.
Hinreichende Anhaltspunkte zur Frage, wem die Ordnungskom-
petenz zusteht, wenn es um das Hausrecht des Fürstlichen Hauses bzw.
um die in Art. 3 LV aufgezählten hausrechtlichen Materien geht,” ver-
mitteln weder die Entstehungsgeschichte noch die Staatspraxis. Regelt
die staatsrechtlich gewichtigen Gegenstände bzw. das Hausrecht in vol-
lem Umfang das Fürstliche Haus allein und aus eigenem Recht, wie es
insistiert,!?! oder bedarf eine solche Regelung allgemein oder nur in den
überlässt mit anderen Worten diese staatsrelevanten Bestimmungen nicht der Haus-
gesetzgebung.
119 Siehe LGBl. 1984 Nr. 28 und dazu BuA Nr. 22/84 der Regierung vom 5. Juni 1984,
publiziert, in: Landtagsprotokolle 1984 Bd. IT, Beilagen zur öffentlichen Landtags-
sitzung vom 28. Juni 1984. Dort heisst es: «Damit wird die Errichtung der Stellver-
tretung als ein staatspolitisches Ereignis von grosser Tragweite definiert und gleich-
zeitig abgesetzt von der Regelung der erblichen Thronfolge, wie sie unter Hinweis
auf die Hausgesetze in Art. 3 geordnet ist.» Auch der Misstrauensantrag gegen den
Landesfürsten in Art. 13ter LV ist als eine Angelegenheit der Verfassung betrachtet
worden.
120 Art. 3 LV wurde im Rahmen der Verfassungsrevision von 2003 in der Hinsicht prä-
zisiert, dass das Fürstenhaus die hausgesetzlichen Bestimmungen, namentlich die
erbliche Thronfolge, die Volljährigkeit des Landesfürsten und des Erbprinzen sowie
vorkommendenfalls die Vormundschaft, in der Form eines Hausgesetzes festlegt.
Bereits vorgängig hat das Fürstenhaus 1993 sein Hausgesetz erlassen. Zur Kritik an
dessen Entstehung siehe Andreas Kley, Grundriss, S. 43 f.; Gerard Batliner, Der
konditionierte Verfassungsstaat, S. 408 f.
121 Vgl. den Bericht der Landtagskommission vom 20. November 2000 zur Erarbeitung
von Vorschlägen über eine Revision der Verfassung des Fürstentums Liechtenstein
vom 5. Oktober 1921 (Beilagen zum LtProt. 2000 Bd. III), S. 9 zu Art. 3 LV. Die
Kommission wollte diese Vorschrift «in einer heutigen rechtsstaatlichen Vorstellun-
gen entsprechenden Art und Weise» formulieren. «Es soll klar gesagt werden, wer
berechtigt ist, ein Hausgesetz zu erlassen und was zur Gültigkeit der allgemein ver-
bindlichen Teile eines Hausgesetzes nötig ist.»
267
Staatsrecht und Hausrecht
von Art. 3 LV bestimmten Fällen der Mitwirkung der für die Verfas-
sungsgesetzgebung zuständigen Staatsorgane. Wie es sich damit aus ver-
fassungsrechtlicher Sicht verhält, ist umstritten. Im Schrifttum finden
sich einander widersprechende Lehrmeinungen.!??
IV. Klärungsversuche
Zu klären sind demnach der Rechtsgrund und der Rechtscharakter des
Hausgesetzes des Fürstlichen Hauses sowie die Beschaffenheit der
Hausautonomie des Fürstlichen Hauses. Es sind mit anderen Worten aus
den Veränderungen im Staats- und Verfassungsverständnis, wie sie sich
schon in der Konstitutionellen Verfassung von 1862 abgezeichnet und in
der Verfassung von 1921 vollzogen haben, die rechtlichen Folgerungen
in Bezug auf das Hausgesetz des Fürstlichen Hauses zu ziehen. Im Zen-
trum dieses Staats- und Verfassungswandels steht demnach die Rechts-
und Verfassungsstaatlichkeit, die die Basis der nachstehenden Überle-
gungen bildet. !?
$5 RECHTSGRUND DES HAUSGESETZES
DES FÜRSTLICHEN HAUSES
I. Ausgangslage
Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 bewirkte — wie dargestellt —
einen «Verstaatlichungsprozess», den die Verfassung von 1921 noch wei-
ter ausbaute. Im Rahmen dieser Entwicklung vollzog sich auch ein Wan-
del in der Auffassung der Autonomiefrage in dem Sinne, dass sie als eine
vom Staate delegierte Satzungsgewalt verstanden wurde.!?*
122 Dazu im Folgenden.
123 Auf rechtsstaatliche Erwägungen hat sich auch die Verfassungskommission des
Landtages in ihrem Bericht vom 20. November 2000 zur Erarbeitung von Vorschlä-
gen über eine Revision der Verfassung des Fürstentums Liechtenstein vom 5. Okto-
ber 1921, S. 9 zu Art. 3 LV (Hausgesetz) gestützt.
124 Vgl. Hans Peters, Die Satzungsgewalt innerstaatlicher Verbände, S. 271.
268
Rechtsgrund des Hausgesetzes des Fürstlichen Hauses
Es ist denn auch entwicklungsgeschichtlich gesehen die Verfassung, die
im Zuge des Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts die Autonomie
des Hausrechts zum Gegenstand macht. Der Status des Hausgesetzes als
eigene Rechtsquelle gründet sich, was jene Regelungen betrifft, die in
$ 3 KV 1862 erwähnt sind, nämlich die Erblichkeit der Regierung
(Thronfolge), die Volljährigkeit des Landesfürsten und des Erbprinzen
sowie eine allfällige Vormundschaft, dementsprechend auf die Verfas-
sung von 1921 und nicht auf «überkommenes Fürstenrecht».125
Das Fürstliche Haus kann sich nicht aus eigenem Recht ein Haus-
gesetz geben. Dieses gilt nicht für sich und aus sich selbst, sondern erst
aufgrund der Verfassung, die ihr dieses Recht einräumt bzw. diese Mög-
lichkeit zum Erlass eines Hausgesetzes für die staatliche Rechtsordnung
eröffnet.
II. Staats- und verfassungstheoretische Erwägungen
1. Staat und Staatsgewalt
a) Staat als oberste Autorität
Es ist ein Postulat des neuzeitlichen Staatsbegriffs, dass dem Staat die
oberste Autorität über alles Recht in seinem Territorium zukommt. Der
Staat kann bei seinem Handeln in seinem Territorium nicht einer recht-
lichen Bindung unterliegen, die auf eine ausserstaatliche bzw. ausserver-
fassungsrechtliche Norm bzw. Rechtsquelle zurückzuführen wäre, wie
es das Hausgesetz in seiner Präambel vorgibt. Eine solche Bindung
würde bedeuten, dass dem Staat die innere Souveränität fehlt, eine
Eigenschaft, auf die er um der Autorität seiner Rechtsordnung willen
nicht verzichten kann. Das Hausgesetz muss daher, wie jeder sonstige
rechtserhebliche Vorgang innerhalb des staatlichen Territoriums, nach
der staatlichen Rechtsordnung beurteilt werden.!?7
125 A. A. Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 278 ff., 282 ff.
126 Sie beruft sich auf den traditionellen Legitimitätsgrund der früheren dynastischen
Herrschaft (Eigengesetzgebung), um den Geltungs- und Gestaltungsanspruch des
Fürstlichen Hauses zu rechtfertigen. Vgl. LGBl. 1993 Nr. 100.
127 Formulierung in Anlehnung an Dietrich Pirson, Der Kirchenvertrag als Gestal-
tungsform der Rechtsbeziehungen, S. 181.
269
Staatsrecht und Hausrecht
b) Staatsgewalt als höchste Gewalt
Die souveräne Staatsgewalt, die sich Fürst und Volk teilen, ist nach innen
die rechtlich höchste Gewalt. «Aus der Einzigkeit der Staatsgewalt als
Souveränitätskennzeichen wird das Kriterium der Einheitlichkeit der
Staatsgewalt abgeleitet, das zugleich Unteilbarkeit und Unveräusserlich-
keit der Staatsgewalt bedeutet. Da die Souveränität als rechtliche Kate-
gorie begriffen wird, bedeutet Einheitlichkeit der Staatsgewalt auch eine
Einheit der Rechtsordnung, die Ergebnis der einzigen und einheitlichen
Rechtsetzungsbefugnis als Souveränitäts-Kernkompetenz ist, und die
Unmöglichkeit weiterer hoheitlicher, der Staatsgewalt gegenüber eigen-
ständiger Regelungsbefugnisse».!?® Aus der «rechtlichen Einheit der
Staatsgewalt» folgt, «dass es im Staatsgebiet keine hoheitlichen Rege-
Ilungsbefugnisse gibt, die der Staatsgewalt gegenüber eigenständig
waren». 129
Es gibt ausserhalb der staatlichen Rechtsordnung keine eigenstän-
digen hoheitlichen Regelungsbefugnisse, auf die sich das Fürstenhaus
berufen könnte.!® Die Verfassung anerkennt kein vorfindliches, trans-
zendental oder originär zur Machtausübung legitimiertes Herrschafts-
subjekt.!?! Wer das Recht beansprucht, aus sich heraus Recht zu setzen,
geht davon aus, dass es ein Recht gibt, das ihm dieses Recht verleiht.!??
Als Begründung seiner Rechtsetzungsautonomie kann dem Fürstenhaus
weder die Tradition noch göttliches Recht dienen.!® Das Hausgesetz ist
128 Utz Schliesky, Souveränität und Legitimität, S. 146.
129 Reinhold Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 63. Die moderne Staats- und Rechts-
theorie geht von der Vorstellung aus, dass Staat und Staatsgewalt eine Einheit bilden,
wobei diese Einheit auch als notwendige Voraussetzung für die Rechtseinheit ange-
sehen wird. Vgl. etwa Josef Isensee, Staat und Verfassung, S. 60 f. Rdnr. 105 f.; Hen-
ning Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 167; Ernst-Wolfgang Böcken-
förde, Begriff und Probleme des Verfassungsstaates, S. 136.
130 Vgl. Reinhold Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 63.
131 So Dieter Grimm, Entstehungs- und Wirkungsbedingungen des modernen Konsti-
tutionalismus, S. 61, der sich hier auf die Gegenwartslage der Verfassung bezieht.
132 So Thomas Fleiner / Lidija R. Basta Fleiner, Allgemeine Staatslehre, S. 325.
133 Solche «Begründungsversuche» werden zu Recht zurückgewiesen; so von den
Abgeordneten Paul Vogt und Dr. Peter Wolff in der Landtagsdebatte vom 31. Okto-
ber 1995, die sich mit dem Hausgesetz beschäftigte (Landtagsprotokolle 1995
Bd. III, S. 1638 ff.). Dr. Peter Wolff kritisierte, dass das Fürstenhaus «mit der
Begründung auf eine Art Gewohnheitsrecht auf ein Von-altersher-immer-so-gewe-
sen-sein (versuche), an der Tatsache des Verfassungsstaates des 20. Jahrhunderts vor-
beizureden>» (S. 1643).
270
Rechtsgrund des Hausgesetzes des Fürstlichen Hauses
demnach kein «ausserverfassungsgesetzliches Regelungsgefüge», das der
«autonomen Willensbildung des Fürstenhauses» unterliegt.!*
2. Überholte Staats- und Rechtsvorstellungen
Die historisch begründete Rechtsstellung des Fürstlichen Hauses, die auf
das Herrschaftsrecht der Dynastie über Land und Leute zurückgeht und
als Regierungsrecht im Fürsten manifest wurde,!® kann nicht mehr als
Grundlage herangezogen werden, da sich zwischenzeitlich der Fürst
im Rechts- und Verfassungsstaat zum Staatsorgan gewandelt hat. Man
hätte es auch mit zwei Rechtsordnungen zu tun, die im Staate neben-
einander bestehen. Es würde das Hausrecht als eigene Rechtsquelle
neben der Verfassung bestehen, !® was dem Prinzip der Einheit der staat-
lichen Rechtsordnung!” bzw. der rechtlichen Einheit der Verfassung!
widerspricht.
Die Vorstellung eines dem Fürstenhaus zustehenden eigenen
Rechts gründet auf vorstaatlichem Recht, das so heute nicht mehr
besteht. Das Fürstliche Haus Liechtenstein versteht sich als «eine auf der
Grundlage der bisherigen hausgesetzlichen Regelungen und auf der
Stufe der Verfassung des Fürstentums gebildete und organisierte auto-
nome Familiengemeinschaft»,!® die sich laut Präambel ihres Hausgeset-
zes vom 26. Oktober 1993 «seit Jahrhunderten ein eigenes Gesetz gege-
134 Günther Winkler, Verfassungsrecht, S. 72 f.; ders., Verfassungsreform, S. 279 spricht
von einer «verfassungsähnlichen Rechtsquelle besonderer Art» und auf S. 285 be-
zeichnet er die Regelungen des Hausgesetzes als «eigenständiges autonomes Sat-
zungsrecht des Fürstenhauses». Das Hausgesetz sei «eine ausserhalb der Landesver-
fassungsgesetzgebung stehende und von dieser unzweifelhaft vorausgesetzte origi-
näre Rechtsquelle besonderer Art». Karl Kohlegger, Die Justiz des Fürstentums
Liechtenstein, S. 55 spricht von einer infolge der Ausgliederung aus der Landesver-
fassung «exemten Sondermaterie>».
135 Vgl. Franz Hauke, Kaiserliches und königliches Haus, S. 7.
136 So aber Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 267 f.; vgl. auch Günther Wink-
ler, Verfassungsreform, S. 286. Er bezeichnet das Hausgesetz als «Rechtsquelle sui
generis».
137 Auf die Einheit der Rechtsordnung nimmt auch BuA Nr. 135/2002 der Regierung
vom 26. November 2002, S. 8 Bezug.
138 So eine Formulierung von Günther Winkler, Stellungnahme, S. 5.
139 Siehe Art. 1 HG.
271
Staatsrecht und Hausrecht
ben» hat und sich so das fürstliche Hausrecht seine Natur als selbstän-
dige unabhängige Rechtsquelle bewahrt hat.!*° Diese Sichtweise erinnert
noch an die Lehre von dem eigenen Recht des Monarchen auf die Herr-
schaft, die sich auf das «alte naturrechtliche und patriımoniale» Gedan-
kengut stützt, nach dem Gott allein der «Ursprung der monarchischen
Gewalt» ist.!*! Sowohl die patrimoniale Staatstheorie, die ursprünglich
vom Eigentum des Fürsten am Boden, später von der sogenannten «Sou-
veränität» ausging,! als auch die Herrschertheorie!®, die dem Fürsten
ausserhalb und oberhalb des «Staates» eine Stellung zuweist, die er als
eigene aus eigenem Recht innehat, und von einem solchen Standort aus
von aussen und von oben auf den Staat einwirken lässt,!*#* halten vor der
Verfassung nicht mehr stand.
3. Staat und Organe
Aus dem Konstitutionalismus der Verfassung von 1921 ergibt sich, dass
alle Organe ım Staat ihre Kompetenzen aus der Verfassung ableiten, so
auch der Fürst und das Fürstenhaus. Weder der Fürst noch das Fürsten-
haus besitzen ein eigenes Recht auf Herrschaft, sondern nur ein solches
aufgrund der Verfassung.!® Sie haben keine anderen und weiteren Kom-
petenzen als jene, die ihnen die Verfassung zuweist.!*6 Es gibt auch keine
verborgenen Kompetenzen oder ausser- und vorkonstitutionelle
Bestimmungen oder verfassungsrechtliches Gewohnheitsrecht.!*
Der Fürst ist nicht mehr der Souverän, der die Verfassung gewährt,
wie dies noch unter der Konstitutionellen Verfassung von 1862 der Fall
140 Vgl. Präambel und Art. 1 Abs. 1 und Art. 18 Abs. 2 und 3 HG; in diesem Sinne auch
Hermann Rehm, Modernes Fürstenrecht, 5. 24.
141 Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 472 f.
142 Peter Pernthaler, Das Staatsoberhaupt, S. 101.
143 Der Begriff «Herrschertheorie» geht nach Georg Meyer / Gerhard Anschütz, Lehr-
buch des deutschen Staatsrechts, S. 16 auf Georg Jellinek zurück.
144 Vgl. Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 141 f. mit weiteren Hinweisen.
145 Edwin Loebenstein, Die Stellvertretung des Landesfürsten, S. 78.
146 Vgl. die Interpellationsbeantwortung BuA Nr. 61/1995 der Regierung vom
29. August 1993, $. 10.
147 Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 43 f. und
unter Bezugnahme auf ihn die Interpellationsbeantwortung BuA Nr. 61/1995 der
Regierung vom 29. August 1993, S. 10.
272
Rechtsgrund des Hausgesetzes des Fürstlichen Hauses
gewesen ist. Er leitete damals seine Herrschaft nicht wie heute aus der
Verfassung her,!# auch wenn das monarchische Prinzip schon brüchig
geworden war.
Wie heute die monarchische Organstellung «Ausfluss staatlichen
Rechts» bzw. des staatlichen Verfassungsrechts ist!*®° und wie heute die
Monarchie selbst nichts anderes als eine staatliche Einrichtung ist, so
kann auch das Recht des Fürsten bzw. des Fürstenhauses seine Grund-
lage nur im staatlichen Recht, d. h. in der Verfassung haben.!5
4. Vorrang der Verfassung und Rechtsstaatsprinzip
a) Vorrang der Verfassung
Die Verfassung nimmt heute im Unterschied zur Konstitutionellen Ver-
fassung von 1862 innerhalb der staatlichen Normenhierarchie den
148 Die Präambel der Konstitutionellen Verfassung von 1862 lautet: «Wir Johann II.
von Gottes Gnaden souveräner Fürst ... thun hiermit kund, dass von Uns die Ver-
fassung ... geordnet wurde»; ähnliche Einleitungsformel in der Verfassung von
1921; siehe dazu Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungs-
recht, S. 43. Wilhelm Beck, Das Recht des Fürstentums Liechtenstein, S. 24 kriti-
sierte denn auch, dass Liechtenstein 1862 «wohl zu den Verfassungsstaaten (d.i. je-
nen, die eine Verfassung haben), nicht aber zu den Rechtsstaaten (d. h. jenen, wo die
ganze Verwaltung unter den Gesetzen steht und an diese gebunden ist)» gehöre.
149 So etwa Rudolf Smend, Die preussische Verfassungsurkunde, S. 20. Er führt dort
aus, dass der moderne Staat über sich nicht mehr eine über der innerstaatlichen ste-
henden Rechtsordnung anerkennt. So sei auch das «Monarchenrecht selbst, aus
Rechten am Staate als Objekt, die sie ursprünglich waren, nunmehr vom Staate als
höherem Subjekt abgeleitete Rechte geworden».
150 Dies ist auch der Grund dafür, dass das Fürstentum Liechtenstein bei internationalen
Abkommen einen Vorbehalt zu Bestimmungen des Hausgesetzes anbringt, um ver-
tragliche Verpflichtungen nicht zu verletzen. Vgl. beispielsweise den Vorbehalt zu
Art. 1 des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der
Frau, LGBl. 1996 Nr. 164, der wie folgt lautet: «Im Licht der Definition, wie in Art.
1 des Übereinkommens enthalten, behält sich Liechtenstein die Anwendung aller mit
dem Übereinkommen übernommenen Verpflichtungen in Bezug auf Art. 3 der Lan-
desverfassung vor.» Vorgängig der Eintretensdebatte beantragte die Regierung die-
sen Vorbehalt und rechtfertigte ihn damit, dass er insbesondere im Hinblick auf die
männliche Thronfolge des Fürstlichen Hauses notwendig ist. Kritik an diesem Vor-
behalt übte der Abgeordnete Dr. Peter Wolff, weil er sich ausdrücklich nicht nur auf
die Thronfolge beschränkt, sondern sich «einfach nur pauschal auf Art. 3 der Lan-
desverfassung bezieht». Siehe Landtagsprotokolle 1995 Bd. III, S. 1615 und 1622 f.
273
Staatsrecht und Hausrecht
höchsten Rang ein.!! Sie ist die «ranghöchste Rechtsquelle».!*? Vorrang
der Verfassung bedeutet demnach normativer Höchstrang in Verbin-
dung mit uneingeschränkter Rechtsverbindlichkeit der Verfassung.!® Er
gilt auch gegenüber dem Hausgesetz des Fürstlichen Hauses.!5*
Der Vorrang der Verfassung hat in Art. 104 und 105 LV seinen Ort
und seine Institution, die dem Staatsgerichtshof die Kompetenz zur
Normenkontrolle einräumen. Jeder legislative Akt kann auf seine Ver-
fassungskonformität überprüft werden, vorausgesetzt, es gibt einen
Beschwerdeführer. !55
b) Rechtsstaatsprinzip
Das verfassungsstaatliche Axiom des Primats der Verfassung ist in der
Verfassung selber konsequent als Rechtsstaatsprinzip umgesetzt. Die
Verfassung bindet gemäss Art. 2 und Art. 92 Abs. 4 LV alle staatlichen
Gewalten, auch den Gesetzgeber, an ihre eigenen, insofern höherrangi-
gen Vorgaben.!56 Verfassungsrecht kann nicht durch einfache Gesetze,
sondern nur in einem besonderen Verfahren unter den qualifizierten Be-
dingungen des Art. 112 Abs. 2 LV!” aufgehoben und abgeändert werden.
Das Rechtsstaatsprinzip!®® durchdringt die gesamte Verfassungs-
ordnung.!5 Es gibt keine hausgesetzlichen Bestimmungen, die ausser-
151 Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 stand im Rang nicht über dem einfachen
Gesetz. Der Vorrang der Verfassung stiess im deutschen Konstitutionalismus an
«systematische Grenzen». Er wurde auch vom überwiegenden Teil der Lehre nicht
anerkannt. Vgl. Christian Hermann Schmidt, Vorrang der Verfassung, S. 137 und
229 bzw. S. 204 und 220; siehe auch Ernst-Wolfgang Böckenförde, Geschichtliche
Entwicklung, S. 35 f.
152 Dagmar Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 187. Die Verfassung ist als ranghöchste
Rechtsquelle auch ein Element der Einheit der Rechtsordnung in dem Sinne, dass
alle Rechtsnormen mit ihr übereinstimmen müssen. Es besteht auch für alle staatli-
chen Gewalten eine Bindung an die Verfassung. Zur Einheit der Rechtsordnung
siehe Gunnar Folke Schuppert/ Christian Bumke, Konstitutionalisierung, 5. 72 f.
153 Vgl. Anne Peters, Elemente, S. 58.
154 Das Hausgesetz stellt sich sogar in Art. 18 Abs. 2 über die Verfassung, wonach diese
das Hausgesetz weder verändern noch aufheben kann.
155 Vgl. Hans Vorländer, Die Suprematie der Verfassung, S. 375.
156 So die Spruchpraxis des Staatsgerichtshofs.
157 1.d.F. LGBl. 2003 Nr. 186.
158 Zum Rechtsstaat aus deutscher Sicht, Andreas von Arnauld, Rechtsstaat, S. 709 ff.
Rz. 12 ff.
159 Gerard Batliner, Aktuelle Fragen, S. 15 Rz. 16; vgl. auch Wolfram Höfling, Zur Ver-
fassungsbindung des Landesfürsten, S. 22 f.
274
Rechtsgrund des Hausgesetzes des Fürstlichen Hauses
halb der Verfassung stehen.!®° Die Rechtsbindung der Verfassung ist
umfassend in dem Sinn, dass weder extrakonstitutionelle Kräfte Herr-
schaft ausüben noch bindende Entscheidungen aus extrakonstitutionel-
len Verfahren hervorgehen können.!*!
I. Fazit: Rechtsetzungsautonomie als vom Staat
abgeleitete Autonomie
1. Ermächtigung der Verfassung
Die vom Fürstlichen Haus beanspruchte Rechtsetzungsautonomie
besteht nur im Rahmen der Verfassung, die den Umfang der Zuständig-
keit bestimmt. Sie stützt sich auf die entsprechende Ermächtigung in der
Verfassung, wonach das Fürstliche Haus seine hausrechtlichen Angele-
genheiten, namentlich die erbliche Thronfolge, die Volljährigkeit des
Landesfürsten und des Erbprinzen sowie vorkommendenfalls die Vor-
mundschaft in der Form eines Hausgesetzes ordnen kann.!®
Die Autonomie ist von der Verfassung gewährt, von der sie abge-
leitet wird und auf der sie beruht. Dies ergibt sich daraus, dass sich die
Verfassung von 1921 gegenüber der Konstitutionellen Verfassung von
1862 insoweit grundlegend geändert hat, als sie konstitutiv geworden ist
und die allgemein verbindliche staatliche Grundnorm darstellt.!® Ihr
Verhältnis zum Hausgesetz ist ein anderes, als es noch unter der Konsti-
tutionellen Verfassung von 1862 gewesen ist. Das Hausgesetz des Fürst-
lichen Hauses ist nur so weit autonom, als es die Verfassung zulässt.
160 Vgl. Gerard Batliner, Aktuelle Fragen, S. 20 Rz. 26; ders., Einführung in das liech-
tensteinische Verfassungsrecht, S. 21 f.; Wolfram Höfling, Zur Verfassungsbindung
des Landesfürsten, S. 22 f.
161 Vgl. Dieter Grimm, Ursprung und Wandel, S. 25 Rz. 58, der dies zum Merkmal
einer Verfassung erklärt.
162 Siehe Art. 3 LV 2003; zum Begriff der autonomen Satzung und ihrer Rechtsgrund-
lage siehe Ulrich Häfelin/Georg Müller /Felix Uhlmann, Allgemeines Verwal-
tungsrecht, S. 35 Rz. 157 ff.
163 Dies trifft auf die Konstitutionelle Verfassung von 1862 noch nicht zu (siehe $ 119).
Der Landesfürst hält in einer separaten Erklärung fest, dass er die Verfassung genau
erfüllen und schützen wolle.
275
Staatsrecht und Hausrecht
Eine andere Ansicht vertritt die Regierung in ihrer Stellungnahme vom
26. November 2002,1* wenn sie Art. 3 LV als «verfassungsrechtliche
Anerkennung des seit zwei Jahrhunderten regierenden Fürstenhauses
Liechtenstein als Inhaber des Thrones» versteht. Bezüglich der Regelung
der erblichen Thronfolge, der Volljährigkeit und der Vormundschaft
werde auf die Hausgesetze «als eine ausserhalb der staatlichen Gesetzge-
bung stehende Rechtsquelle» verwiesen. Damit anerkenne der Staat die
Autonomie des Fürstenhauses, diese staatsrelevanten Materien mittels
Hausgesetz zu ordnen. Auch die Regelung der Mitgliedschaft im Fürs-
tenhause Liechtenstein, die Schaffung einer Organisation und schliess-
lich die Festlegung der Kompetenz zur Erlassung und Abänderung der
Hausgesetze lägen im Autonomiebereich des Fürstenhauses.!®
Diese Position bedeutet, dass das Fürstliche Haus sich aus eigenem
Recht ein von ihm bestimmtes Hausgesetz geben kann, bei dem es sich um
«eine ausserhalb der Landesverfassung stehende und von dieser unzwei-
felhaft vorausgesetzte originäre Rechtsquelle besonderer Art» handelt.1%
2. Aus der Verfassung abgeleitete Autonomie
Die Gegenthese, die hier vertreten wird, lautet, dass das Hausrecht des
Fürstlichen Hauses nicht für sich und aus sich selbst gilt, sondern erst
aufgrund der Verfassung, die ihm dieses Recht einräumt bzw. diese Mög-
lichkeit zum Erlass eines Hausgesetzes für die staatliche Rechtsordnung
eröffnet. !°7
164 BuA Nr. 135/2002, $. 7.
165 In diesem Sinne auch Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 277 ff., wenn er u.a.
ausführt: «Infolge der historischen Identität des Staates Liechtenstein seit seiner
Entstehung und der rechtlich kontinuierlichen Entstehung der Verfassung von 1921
aus der Verfassung des Jahres 1862 wird der dadurch überkommene Rechtsbestand
der Hausgesetze über das Jahr 1921 hinaus verfassungsrechtlich ausdrücklich als
fortdauernd verbindlich bekräftigt.» Und weiter: «Die Regelung des Art. 3 LV bil-
det in diesem Sinn den äusseren Rahmen für die Zuständigkeit des Fürstenhauses,
bestimmte und damit begrenzte verfassungsrelevante Materien der Hausgesetze mit
Verbindlichkeit auch für die Verfassung autonom zu ordnen» (S. 277).
166 Vgl. Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 285.
167 Vgl. auch Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 55, der der Ansicht ist, dass vom
Standpunkt des Staates aus das Hausgesetz in Bezug auf die in Art. 3 LV aufgezähl-
ten Materien als eigene Rechtsquelle «formell verschwunden» sei.
276
Autonomes Satzungsrecht des Fürstlichen Hauses
Die Verfassung kann autonomes Recht institutionell gewährleisten. Es
ist aber theoretisch immer denkbar, diese Rechtsetzungsautonomie
durch Verfassungsänderung bzw. durch ein verfassungsänderndes
Gesetz aufzuheben. Es steht mit anderen Worten in der alleinigen
Zuständigkeit des Verfassungsgesetzgebers, die Materie des Hausgeset-
zes ganz oder teilweise an sich zu ziehen.!°® Wäre dem nicht so, würde
der normative Gehalt der Verfassung nicht im Rechtswillen des Trägers
der verfassunggebenden Gewalt — Fürst und Volk bzw. Landtag — seinen
letzten Ursprung haben, sondern in der politischen Entscheidung einer
anderen Institution als derjenigen des Staates, wie beispielsweise eines
Organs des Fürstenhauses, das nicht am Verfassungsgebungsprozess
teilnimmt, der kompetenz- und verfahrensrechtlich bestimmt ist.!®® Die
Verfassung lässt es aber nicht zu, dass ausserhalb des für die Verfas-
sungsänderung vorgesehenen Verfahrens dem Verfassungsrecht neue
sachliche Gehalte zugefügt werden.!7°
$6 AUTONOMES SATZUNGSRECHT
DES FÜRSTLICHEN HAUSES
I. Begriff und Inhalt
Die Autonomie bzw. Selbständigkeit des Fürstlichen Hauses ist staats-
bzw. verfassungsbezogen zu verstehen, da sie ihm von Verfassungs
wegen zusteht. Sie beinhaltet im Allgemeinen die Zuständigkeit zur
168 Die Verfassung überlässt das Hausrecht des Fürstlichen Hauses nach einer Formu-
lierung von Georg Meyer/Gerhard Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staats-
rechts, S. 288 der «konkurrierenden Zuständigkeit von Haus- und Staats- bzw. Ver-
fassungsgesetzgebung». So auch Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obers-
ten Staatsorgane, S. 4 f., wenn er festhält, dass die autonome Gesetzgebung des
Hauses natürlich jederzeit durch die Verfassungsgesetzgebung ausgeschaltet werden
könnte. Vgl. auch Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 291.
169 Siehe Art. 65 IV. Das Argument der «dualen Struktur der Landesverfassung», wie
es die Regierung in BuA Nr. 35/2002, S. 7 und Günther Winkler, Verfassungsreform,
S. 291 verwenden, ist in diesem Zusammenhang, in dem es um das Verhältnis von
Hausrecht und Staatsrecht geht, nicht einsichtig. Eine duale Struktur weist die
Staatsordnung auf, die auf den zwei Trägern der Staatsgewalt Fürst und Volk beruht.
170 Formulierung in Anlehnung an Dietrich Pirson, Der Kirchenvertrag, S. 191 f.
277
Staatsrecht und Hausrecht
Selbstorganisation, d. h. zur Schaffung und Einrichtung von Organen
und deren Ausstattung und Kompetenzen.!’! Das Fürstliche Haus kann
eigene Regelungen, beispielsweise über die Mitgliedschaft und Organi-
sation,!7 erlassen, sie anwenden und vollziehen und auch durch entspre-
chende Instanzen im Konfliktfall über die Anwendung des eigenen
Rechts entscheiden.!’3 Unter der Rechtsetzungsautonomie ist demnach
eine dem Fürstlichen Haus von der Verfassung eingeräumte Rechtset-
zungsbefugnis oder Satzungsgewalt zu verstehen.!’* Es legt das Hausge-
setz nicht aus eigenem Recht fest, sondern als staatliches Organ, das
gemäss Verfassung dazu ermächtigt ist.
II. Umfang
Zum Autonomiebereich zählt im Sinne von Art. 3 LV auch das Recht,
die dort genannten staatsrelevanten Materien mittels Hausgesetz zu ord-
nen.!75 Dies gilt allerdings nicht uneingeschränkt. Die Verfassung setzt
dem Hausgesetz auch Schranken. Hausrecht und staatliches Recht ste-
hen nicht beziehungslos einander gegenüber. Soweit solche Regelungen
staatsrelevante Materien beinhalten, die in Art. 3 LV genannt werden,!7®
sind sie Bestandteil der Verfassung und unterliegen, um für den staatli-
chen Bereich Geltung erlangen zu können, dem von der Verfassung vor-
gegebenen Verfahren und der Mitwirkung der für die Verfassungsge-
setzgebung zuständigen Staatsorgane.!”” Abgesehen davon folgt aus der
verfassungsrechtlich delegierten Autonomie, dass die vom Fürstlichen
171 Vgl. allgemein zur Selbstorganisation Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons
Aargau, S. 359 Ziffern 5 und 6.
172 Siehe BuA Nr. 135/2002 der Regierung vom 26. November 2002, S. 7.
173 Vgl. Matthias Papenfuss, Autonomie, S. 23.
174 Vgl. Klaus Friedrich Arndt, Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie, S. 15.
Das Hausgesetz stellt für Günther Winkler, Verfassungsrecht, S. 72 f. ein «ausser-
verfassungsgesetzliches Regelungsgefüge» dar, «das der autonomen Willensbildung
des Fürstenhauses unterliegt».
175 Vgl. BuA Nr. 135/2002 der Regierung vom 26. November 2002, $. 7.
176 Es gibt auch staatsrelevante Gegenstände, die nicht in Art. 3 LV aufgezählt werden.
Dazu hinten S. 281 f.
177 Dies gilt auch für staatsrelevante Bereiche, die nicht in Art. 3 LV genannt werden.
Siehe dazu hinten S. 282.
278
Autonomes Satzungsrecht des Fürstlichen Hauses
Haus getroffenen Regelungen grundsätzlich auch in der staatlichen
Rechtsordnung Wirksamkeit entfalten.
Das Hausgesetz hat, soweit es um Rechtsvorschriften geht, die sich
in ihrer Reichweite staatsbezogen auswirken und nicht nur als familiäre
Angelegenheiten zu betrachten sind, die Verfassung zu beachten und
kann sich nicht über sie hinwegsetzen bzw. sie ausser Kraft setzen. So
kann es nicht für sich selbst festlegen, dass es über der Verfassung
steht.!78 Insofern sind die verfassungsändernden Vorschriften in Art. 18
Abs. 2 HG aus staats- und verfassungsrechtlicher Sicht irrelevant und
unwirksam.!7°
Das Hausrecht des Fürstlichen Hauses bleibt demnach in die Ver-
fassung bzw. den Staat eingebunden. Aus diesem Grund handelt es sich
nicht um eine uneingeschränkte Selbständigkeit, wie sich dies auch aus
Art. 3 LV ergibt. Im anderen Fall würde sie in die Souveränität überge-
hen und wäre ausserhalb der staatlichen Souveränität bzw. der staatli-
chen Rechtsordnung anzusiedeln.180
Die Zuständigkeit des Fürstlichen Hauses ist auch insoweit einge-
schränkt, als die Verfassung selber Hausgesetzmaterien regelt, wie dies
bei den Bestimmungen über die Stellvertretung des Landesfürsten in
178 Dazu kritisch Gerard Batliner, Diskussionsbeitrag, S. 85 Rz. 145. Nach ihm eignet
sich das Hausgesetz in Art. 18 Abs. 2 Satz 1 nicht nur die Zuständigkeit an, über die
eigenen Grundlagen (Art. 3) hinwegzuschreiten, wie z. B. im Falle der Fürstenab-
setzung, sondern erhebt sich in seiner Totalität über die Verfassung und die Verfas-
sunggeber und entzieht diesen die Zuständigkeit, das Hausgesetz «verändern oder
aufheben» zu können, und beansprucht, im Landesgesetzblatt veröffentlicht zu
werden (Art. 18 Abs. 4 HG).
179 Vgl. auch BuA Nr. 135/2002 der Regierung vom 26. November 2002, S. 11, wo sie
ausführt: «Art. 18 Abs. 2 des Hausgesetzes ist für den Verfassungsgeber nicht ver-
bindlich. Im Hausgesetz kann keine allgemeinverbindliche Bestimmung betreffend
die Einschränkung der Abänderung der Verfassung aufgenommen werden, da die
Verfassung keine entsprechende Kompetenz zugunsten des Hausgesetzes festlegt.»
Siehe dazu auch Gerard Batliner, Memorandum, S. 8 f. Es heisst dort u. a.: «Obwohl
der Rang des HG im Stufenbau der staatlichen Rechtsordnung eine Verfassungs-
frage ist, erhebt sich das HG autonom in den Rang der staatlichen Verfassung (Art. 1
Abs. 1 HG). Und noch weiter: gleich einer quasi fremden, völlig autonomen Paral-
lelverfassung untersagt das HG der staatlichen Verfassung, das HG zu verändern
oder aufzuheben (Art. 18 Abs. 2 HG).»
180 Vgl. Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 359 Rz. 2. Vgl. auch die
staats- und verfassungstheoretischen Überlegungen, wie sie vorne S. 269 ff. darge-
legt worden sind.
279
Staatsrecht und Hausrecht
Art. 13bis und über den Misstrauensantrag gegen den Landesfürsten in
Art. 13ter der Fall ist.
III. Fürstliches Haus als «autonome Familiengemeinschaft»
Das Fürstliche Haus versteht sich nach Art. 1 seines Hausgesetzes!?! als
«eine auf der Grundlage der bisherigen hausgesetzlichen Regelungen
und auf der Stufe der Verfassung des Fürstentums gebildete und organı-
sierte autonome Familiengemeinschaft». Das Recht der Autonomie, die
ihr die Verfassung in Art. 3 einräumt, bildet eine öffentlich-rechtliche
Befugnis, ein Hausrecht zu schaffen, das Rechtswirksamkeit auch für
den staatlichen Bereich erzeugt. Mit diesem Autonomierecht hängt auch
die öffentlich-rechtliche Stellung des Fürstlichen Hauses zusammen, das
demzufolge als eine selbständige Körperschaft des öffentlichen Rechts
betrachtet werden kann.
Das Fürstliche Haus ist nicht nur ein «Rechtsetzungsorgan» inner-
halb des Familienverbandes.!® Es kommt ihm aufgrund von Art. 3 LV,
nach dem das Fürstliche Haus die erbliche Thronfolge, die Volljährigkeit
des Landesfürsten und des Erbprinzen sowie vorkommendenfalls die
Vormundschaft in der Form eines Hausgesetzes ordnet, auch die Quali-
tät eines «verfassungsunmittelbaren Staatsorgans» zu.18
IV. Rechtsnatur des Hausgesetzes
1. Allgemeines
Das Hausgesetz des Fürstlichen Hauses wird ım Schrifttum zumeist als
autonomes Satzungsrecht bzw. als korporative Familiensatzung um-
181 LGBl. 1993 Nr. 100.
182 So BuA Nr. 135/2002 der Regierung vom 22. November 2002, S. 9.
183 So Gerard Batliner, Diskussionsbeitrag, S. 83 Rz. 140. Auf eine solche hervorgeho-
bene staatliche Stellung weist auch Art. 45 Abs. 1 LV hin, wenn es dort heisst, dass
der Landtag berufen sei, «das Wohl des Fürstlichen Hauses ... möglichst zu för-
dern». Zu dieser Aufgabe des Landtages siehe die Kritik hinten S. 716.
280
Autonomes Satzungsrecht des Fürstlichen Hauses
schrieben,!* wobei zwischen den hausrechtlichen Materien, wie sie in
Art. 3 LV aufgezählt werden und als sogenannte staatsrelevante Hausge-
setzmaterien gelten, die im Wege der Verfassungsgesetzgebung zu erlas-
sen sind, und den anderen, staatlich nicht relevanten Regelungsinhalten
des Hausgesetzes unterschieden wird, die nicht näher definiert sind und
zum Teil als sogenanntes Sonderprivatrecht angesehen werden,!® das
sich das Fürstliche Haus selber gibt bzw. keiner gesetzgeberischen
Zustimmung bedarf.
2. Die anderen, staatlich nicht relevanten Hausgesetzmaterien
Bei diesen Rechtsmaterien handelt es sich, so wird argumentiert, um
hausinterne Angelegenheiten, sodass sie sich nur an die Personen wen-
den, die der fürstlichen Familiengemeinschaft angehören. Aus diesem
Grund entfalte das Hausgesetz des Fürstlichen Hauses grundsätzlich
nur Rechtswirkungen für seine Mitglieder und nicht auch für die Allge-
meinheit.!® Hausrechtliche Bestimmungen, die nicht Art. 3 LV ausfüh-
ren, könnten keine staatsrechtlichen, allgemeinverbindlichen Wirkungen
erzeugen.!? Damit ist zugleich auch die Frage der staatlichen Rechtsver-
bindlichkeit angesprochen.
Diese Sicht scheint zu eng, wenn man, abgesehen von den in Art. 3
LV erwähnten Bereichen, jene Rechtsvorschriften des Hausgesetzes in
Betracht zieht, die zwar zu den eigenbestimmten Angelegenheiten des
Fürstlichen Hauses zählen, jedoch nicht ohne Aussenwirkung bleiben
und für den Staat rechtswirksam werden, sodass die von ihm getroffenen
184 Vgl. BuA Nr. 135/2002 der Regierung vom 22. November 2002, S. 5, 8 und 15; so
auch Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 278; vgl. auch die Vorschläge im Be-
richt der Landtagskommission zur Abänderung der Verfassung vom 20. November
2000 zu Art. 3 LV (LtProt. 2000 Bd. III).
185 Siehe Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 291.
186 Vgl. Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 321 f., der das
Hausgesetz des Fürstlichen Hauses als «autonome Satzung über Ehren-, Familien-
und Vermögensrechte» umschreibt, «die nur Rechtswirkungen innerhalb der Mit-
glieder der Familie hat.»
187 Vgl. BuA Nr. 61/1995 der Regierung vom 29. August 1995, S. 14 f.; BuA Nr.
135/2002 der Regierung vom 22. November 2002, S. 9 f.; Günther Winkler, Verfas-
sungsreform, S. 293 f.
281
Staatsrecht und Hausrecht
Entscheidungen nicht ohne staatlichen Vollzug realisiert werden kön-
nen, wie z. B. die Wiedereinsetzung in die liechtensteinische Staatsbür-
gerschaft oder die Namensgebung bzw. der Namensentzug durch den
Landesfürsten. 188
Solche Regelungen bzw. Akte stellen inhaltlich nicht nur eine famı-
lieninterne Angelegenheit dar und finden daher insoweit ihre Schranken
an Gesetz und Verfassung, an die sie sich zu halten haben. Die Mitglie-
der des Fürstlichen Hauses sind in ihrer Persönlichkeit verfassungs-
rechtlich geschützt.!®®
Wenn das Hausgesetz des Fürstlichen Hauses neben den in Art. 3
genannten staatsrelevanten Bereichen, die zu ihrer staatlichen Rechts-
wirksamkeit dem Verfahren der Verfassungsgesetzgebung unterliegen,
auch Regelungsinhalte umfasst, die sich über den familieninternen
Gehalt hinaus auf die staatliche Rechtssphäre erstrecken, so stellt sich die
Frage ihres «formellen Zustandekommens», das für die staatliche
Rechtsverbindlichkeit von verfassungsrechtlichem Belang ist. Sie kön-
nen nicht allein der «autonomen Regelung» des Fürstlichen Hauses
überlassen bleiben.!® Sie bedürfen vielmehr auch der Zustimmung des
staatlichen Gesetzgebers.
3. Die staatsrelevanten Gegenstände
Die Rechtsnormen, die gemäss Art. 3 LV staatlich bedeutsame Gegen-
stände beinhalten, «entspringen» nach einer Lehrmeinung, die u. a. auch
die Regierung vertritt, ebenfalls der Autonomie des Fürstlichen Hauses.
Auch sie bedürfen zu ihrer Rechtsgültigkeit der staatlichen Zustimmung
in Form der Verfassungsgesetzgebung. Ein solches Vorgehen wird einer-
seits mit Art. 65 LV, der die Voraussetzungen für die Gültigkeit eines
188 Siehe Art. 3 Abs. 3 und Art. 5 Abs. 2 und 4 HG und weitere Hinweise bei Gerard
Batliner, Diskussionsbeitrag, S. 85 ff. Rz. 147 ff.
189 Der Auffassung der Regierung, die sie in BuA Nr. 135/2002 vom 22. November
2002, S. 10 vertritt, kann nicht beigepflichtet werden, wonach hausgesetzliche Rege-
lungen, die der Verfassung bzw. der EMRK nicht entsprechen, nur innerhalb des
Fürstlichen Hauses gelten und daher für die einzelnen Mitglieder nur solange wirk-
sam sind, als sie freiwillig der fürstlichen Familiengemeinschaft angehören. In die-
sem Sinne argumentiert auch Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 296.
190 A.A.BuA Nr. 61/1995 der Regierung vom 29. August 1995, S. 11, 14 und 15.
282
Autonomes Satzungsrecht des Fürstlichen Hauses
Gesetzes festlegt, und andererseits mit der «Dualität» der Staatsordnung
begründet,!?! die jedoch hier im Zusammenhang mit der Hausgesetzge-
bung des Fürstlichen Hauses nicht von Belang ist, da damit die Staatsge-
walt angesprochen wird, die zwischen Fürst und Volk geteilt ist und
näherhin ihr gegenseitiges Verhältnis als Gesetzgeber bestimmt. Das
Fürstliche Haus nimmt aber nicht an der staatlichen Gesetzgebung teil.
Es ist wohl einsichtig, dass Fürst und Fürstliches Haus einander begriff-
lich nicht gleichzusetzen sind.
Dass das Hausgesetz des Fürstlichen Hauses, soweit es staatsrele-
vante Materien im Sinne des Art. 3 LV umsetzt, zu seiner Rechtsgültig-
keit der Zustimmung des Verfassungsgesetzgebers bedarf, dürfte in der
neueren Literatur grundsätzlich unbestritten sein, da es insoweit zum
materiellen Bestandteil der Verfassung gezählt wird, sodass auch die Vor-
schriften des Art. 65 LV zu beachten sind. Zu diesem Ergebnis kommt je-
denfalls auch die Lehrmeinung, der die Regierung ın ihren Stellungnah-
men folgt, wonach aufgrund von Art. 65 LV Rechtsnormen, die dem Au-
tonomiebereich des Fürstlichen Hauses entstammen und staatsrelevante
Materien zum Inhalt haben, «der Zustimmung des Landtages bedürfen,
um allgemeinverbindliche Wirkung entfalten zu können»!” bzw. «zu ih-
rem Zustandekommen auch der Landtag mit der in Art. 111 Abs. 2 LV
(heute: Art. 112 Abs. 2) für Verfassungsänderungen geforderten qualifi-
zierten Mehrheit mitgewirkt hat».!”® Danach werden die staatsrelevanten
Hausgesetzmaterien erst mit der Zustimmung des Verfassungsgesetzge-
bers «Bestandteil der Verfassung im materiellen Sinn».!*% Erfolgt diese
nicht, bleiben sie im staatlichen Bereich «schwebend unwirksam». !®
191 Siehe BuA Nr. 135/2002 der Regierung vom 22. November 2002, S. 5; vgl. auch
Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 291.
192 BuA Nr. 135/2002 der Regierung vom 22. November 2002, S. 14.
193 Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 294.
194 In BuA Nr. 135/2002 vom 22. November 2002, S. 14 geht die Regierung in Anleh-
nung an Georg Schmid, Das Hausrecht der Fürsten von Liechtenstein, und Otto
Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane in Liechtenstein, da-
von aus, «dass es für eine Revision des Hausgesetzes in Bezug auf die in Art. 3 der
Verfassung genannten Gegenstände keiner Mitwirkung staatlicher Organe bedarf»,
was allerdings «nichts über die Wirksamkeit der Hausgesetze im staatlichen Be-
reich» aussage.
195 So BuA Nr. 135/2002 der Regierung vom 22. November 2002, S. 15. Vgl. auch
Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 283, der von hausrechtlicher Verbindlich-
keit spricht.
283
Staatsrecht und Hausrecht
Nach dem hier vertretenen Standpunkt kommen sie gar nicht zustande,
da die Verfassung die Grundlage für das Hausgesetz bildet, sodass die
für den Staat wesentlichen Regelungsmaterien des Hausgesetzes nicht
ohne den entsprechenden staatlichen Akt zustande kommen bzw.
rechtswirksam werden können.
Auch das Problem der Einheit der Rechtsordnung! stellt sich bei
dieser Sichtweise nicht, wenn der Rechtsgrund des Hausgesetzes in
Art. 3 LV gesehen wird und dieses nicht zu einer autonomen Rechts-
quelle ausserhalb der Verfassung erklärt wird, da es die Verfassung ein-
zuhalten hat.
V. Inhalts- und Verfahrensfragen
1. Allgemeines
Änderungen hausrechtlicher Regelungen, die im Zusammenhang mit
Art. 3 LV stehen, erfolgen im Wege der Verfassungsgesetzgebung.!”
Walter Kieber!® lässt es offen, ob sich Änderungen dieser Art nach den
Regeln der einfachen Gesetzgebung zu richten haben oder zumindest
der Zustimmung des Landtages durch Gesetz bedürfen.
2. Verfassungslage
Beide Wege erweisen sich als problematisch, wenn man die bisherige
Staatspraxis in den Blick nimmt. Sie lässt nämlich erkennen, dass es nicht
zu einem eigentlichen Verfassungs- bzw. Gesetzgebungsverfahren
gekommen ist. Die vom Fürstlichen Haus vorgenommenen Änderungen
des Hausgesetzes, die Regelungsmaterien im Sinne von Art. 3 LV zum
Inhalt hatten, sind nicht Gegenstand eines staatlichen Gesetzgebungs-
verfahrens gewesen.
19 Siehe BuA Nr. 135/2002 der Regierung vom 22. November 2002, 5. 7 ff.
197 Siehe dazu Art. 112 Abs. 2 i. V. m. Art. 65 LV; vgl. auch Günther Winkler, Verfas-
sungsreform, S. 291 f.
198 Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 322 Fn. 14.
284
Autonomes Satzungsrecht des Fürstlichen Hauses
Verfahrensrechtlich gefragt bzw. zuständig ist der Verfassungsgesetzge-
ber, Fürst und Landtag bzw. Stimmvolk, wobei für den Landtag Art. 112
Abs. 2 LV massgebend ist, wonach er einen entsprechenden Beschluss
mit qualifizierter Mehrheit zu fassen hat. Entsprechende Beschlüsse des
Landtages bestehen jedoch lediglich in einer Zustimmung oder Ableh-
nung, da sie an den autonom vom Fürstlichen Haus vorgenommenen
Regelungen keine Änderungen anbringen können. Landtagsbeschlüssen
dieser Art fehlt es aber in der Verfassung an einer entsprechenden posi-
tivrechtlichen Verfahrensvorschrift.
So kann man etwa nicht von einem Gesetzgebungsakt sprechen,
wie es gemeinhin referiert wird.!® Die Zustimmung des Landtages kann
nicht der «Mitwirkung» im Sinne der Art. 62, 65 und 112 Abs. 2 LV
gleichgesetzt werden.?® Ihr stehen Art und Inhalt des Zustimmungsver-
fahrens entgegen.?% Der Landtag kann — wie ausgeführt — an den Inhal-
ten des Hausgesetzes, die den staatlichen Rechtsbereich tangieren, keine
Änderungen vornehmen, wie es auch die Verfassungskommission des
Landtages in ihren Erläuterungen zu der von ihr vorgeschlagenen Ver-
fassungsrevision annımmt.?? Der Landtag könne ihnen nur pauschal
zustimmen oder sie ablehnen, wie dies im Übrigen auch bei den Staats-
verträgen der Fall ist. Es gehört aber gerade wesentlich zum Gesetzge-
bungsverfahren, dass der Landtag in der Sache selbst entscheidet und
beschliesst. Daraus ergibt sich, dass die «duale Staatsordnung»?®, für die
199 Vgl. BuA Nr. 135/2002 der Regierung vom 26. November 2002, S. 14, in dem sie Be-
zug auf Art. 65 LV nimmt.
200 A. A. wohl Walter Kieber, Expos6€, S. 5, wenn er das Zustimmungsverfahren des
Landtages auf Art. 62 LV stützt und dies damit begründet, dass hier seine Kompe-
tenzen demonstrativ aufgezählt würden.
201 In einem anderen Zusammenhang auch der Abgeordnete Dr. Peter Wolff in der
Landtagsdebatte vom 31. Oktober 1995, Landtagsprotokolle 1995 Bd. III, S. 1644,
wenn er u. a. ausführt: «Ich bin nicht der Meinung, dass mit dem Begriff «Hausge-
setz» in Art. 3 der Verfassung derselbe Typ von Vorschrift gemeint ist wie das was in
Art. 65 als Gesetz, das nicht ohne Mitwirkung des Landtages gegeben werden darf,
umschrieben wird.»
202 Vgl. Bericht der Landtagskommission vom 20. November 2000 zur Erarbeitung von
Vorschlägen über eine Revision der Verfassung, Anhang 8, Kommentar zu Art. 3
(LtProt. 2000 Bd. III). In diesem Sinne äussert sich auch die Regierung in ihrem
BuA Nr. 135/2002 vom 26. November 2002, 5. 14.
203 Vgl. BuA Nr. 135/2002 der Regierung vom 26. November 2002, $. 5, 14 und 15.
Siehe auch vorne S. 283 Fn. 191.
285
Staatsrecht und Hausrecht
das Gesetzgebungsverfahren steht,“ kein stichhaltiges Argument ist.
Auch die Staatsverträge können nicht als Beispiel herangezogen wer-
den,265 für die Art. 8 Abs. 2 LV vorschreibt, dass sie zu ihrer Gültigkeit
der Zustimmung des Landtages bedürfen. Diese Vorschrift bezieht sich
ausschliesslich auf Staatsverträge, sodass sich das Vorgehen bei der
Behandlung von staatsrelevanten Materien des Hausgesetzes nicht auf
sie stützen kann.
3. Notwendigkeit einer Verfassungsänderung
Die Verfassungskommission des Landtages hat eine Lösung auf Verfas-
sungsebene angestrebt, indem sie die staatswesentlichen Materien in
Art. 3 LV abschliessend aufzählt und ihre Regelung im Hausgesetz inso-
weit als allgemein verbindlich erklärt, als sie zu ihrer Gültigkeit die
Zustimmung des Landtages, die Gegenzeichnung des Regierungschefs
sowie die Kundmachung im Landesgesetzblatt benötigt.?® Sie hat damit
die für den Staat grundlegenden Regelungsmaterien im Hausrecht des
Fürstlichen Hauses genau bestimmt und für deren «Gültigkeit» und All-
gemeinverbindlichkeit in verfahrensrechtlicher Hinsicht die entspre-
chenden verfassungsrechtlichen Grundlagen geschaffen. Sie beschränkt
sich dabei im Wesentlichen auf die Frage des Umfangs dieser staatsrele-
vanten Hausmaterien und deren Zustandekommen im staatlichen
Recht?” und bleibt insoweit im Rahmen der bisherigen Regelungsart,
204 Die Regelungsautonomie des Fürstlichen Hauses ist an sich keine Frage der «dua-
len Staatsordnung», sondern eine solche der Verfassung.
205 Vgl. etwa Walter Kieber, Expos6€, S. 4 f.
206 Es handelt sich um einen «Kompromissvorschlag», wie dem Schreiben des Präsi-
denten der Verfassungskommission vom 20. November 2000, S. 9 zu entnehmen ist,
da Art. 3 LV zu denjenigen Verfassungsbestimmungen zählt, bei denen «es bisher
keine Einigung mit S. D. dem Landesfürsten gab.» Siehe den Bericht der Landtags-
kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen über eine Revision der Verfassung
des Fürstentums Liechtenstein vom 5. Oktober 1921, der auch den Vorschlag der
Verfassungskommission zu Art. 3 LV enthält.
207 Die Verfassungskommission des Landtages bemühte sich «um eine rechtsstaatlich
einwandfreie Lösung», setzte sich aber letztlich nicht durch. Siehe ihren Kommen-
tar zu Art. 3 LV in ihrem Bericht vom 31. Oktober 1996 (LtProt. 1996 Bd. IV) so-
wie ihren Bericht vom 20. November 2000 (LtProt. 2000 Bd. III), S. 9. In diesem
letztgenannten Bericht heisst es dort, der Landesfürst sei der Auffassung, «dass es
allein
286
Autonomes Satzungsrecht des Fürstlichen Hauses
wonach die staatsrelevanten Hausmaterien im Hausgesetz des Fürstli-
chen Hauses ihre nähere Ausführung erfahren. Zu bezweifeln ist, ob die
staatsrelevanten Bereiche des Hausgesetzes abschliessend in der Verfas-
sung festgelegt werden können. Man müsste sich zuerst darüber im Kla-
ren und einig sein, wie sie inhaltlich zu definieren sind.?°®
Vorzuziehen ist aus verfassungs- und rechtsstaatlichen Gründen
jedenfalls eine Regelung der Hausgesetzmaterien, soweit sie für den
Staat wesentlich sind, in der Verfassung selbst, wie dies schon der stän-
dische Verfassungsrat in seinem Verfassungsentwurf vom 1. Oktober
1848 in Ansätzen versucht hat. ?® Er überantwortet die aus seiner Sicht
für den Staat wesentlichen Bereiche dem Gesetzgeber, Fürst und Land-
rath, der «seinen Antheil an der Gesetzgebung im Nahmen und in Ver-
tretung des Volkes» ausübt.2!°
Nicht thematisiert werden bisher und in der besonderen Kritik ste-
hen solche Hausgesetzmaterien, die sich materiell über die in Art. 3 LV
erwähnten Bereiche hinaus erstrecken und auf diese Weise die Verfas-
sung und Rechtsordnung durchbrechen.?!! Dies trifft auch auf die ande-
ren als die in Art. 3 LV genannten Gegenstände des Hausgesetzes zu,
soweit sie sich nicht nur mit Fragen der Privatautonomie befassen bzw.
über den familieninternen Bereich hinausgehen und auf die staatliche
Rechtsordnung einwirken.2!2
Sache der fürstlichen Familie sei, wer befugt sei, ein Hausgesetz zu erlassen und was
in einem Hausgesetz mit allgemein verbindlicher Wirkung geregelt werden könne
und sieht das fürstliche Hausgesetz nicht als eine im Stufenbau der Rechtsordnung
unterhalb der Verfassung stehende Rechtsvorschrift, sondern als eine unabhängig
und auf gleichberechtigter Stufe neben der Verfassung stehende Norm. Dies ist aber
nach Auffassung der Kommission weder mit den heutigen Auffassungen von
Rechtsstaatlichkeit noch mit dem Völkerrecht vereinbar.»
208 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Problematik der anderen, staatlich nicht
relevanten Hausgesetzmaterien vorne S. 281 f.
209 Siehe $$ 40-46 Verfassungsentwurf (im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>).
210 Siehe $ 65 Verfassungsentwurf und vorne S. 258 f.
211 Vgl. Gerard Batliner, Diskussionsbeitrag, S. 83 ff. Rz. 141 ff. In Bezug auf Art. 14
Abs. 2 HG (Absetzung des Fürsten durch den Familienrat) heisst es in BuA Nr.
61/1995 der Regierung vom 29. August 1995, S. 19, dass sich diese Bestimmung
nicht auf die Verfassung stützen lasse. Ein in staatsrechtlicher Hinsicht derart be-
deutungsvoller Akt sollte nicht allein der Entscheidung des Familienrates überlas-
sen bleiben bzw. auf «staatsrechtlicher Basis» festgelegt sein. In diesem Sinne auch
Friedrich F. G. Kleinwaechter, Die neueste Rechtsentwicklung, S. 368.
212 Siehe vorne S. 282.
287
Staatsrecht und Hausrecht
Wie sich aus den vorstehenden Erwägungen unschwer ergibt, ist das
1993 vom Fürstlichen Haus Liechtenstein erlassene Hausgesetz nicht
rechtsgültig zustande gekommen,?!? sodass sich schon aus diesem Grund
eine verfassungsrechtliche Aufarbeitung des Verhältnisses von Staats-
recht und Hausrecht des Fürstlichen Hauses aufdrängt, dessen Gehalt
und Umfang sich bis anhin als kaum fassbar erwiesen haben. Gefordert
ist der Verfassungsgesetzgeber.?!*
213 Vgl. Andreas Kley, Grundriss, S. 44; ders., Staatsgerichtshof und übrige Rechtspre-
chungsorgane, S. 52 f.; a. A. BuA Nr. 135/2002 der Regierung vom 22. November
2002, $. 5 f.; so auch Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 286; vgl. auch Gerard
Batliner, Diskussionsbeitrag, S. 80 Rz. 135. Er bemerkt, dass das 1993 veröffent-
lichte Hausgesetz, das in den staatsrelevanten Bereichen nichtig und unbeachtlich
sei, offensichtlich mit der vorgesehenen Verfassungsrevision «in unsere Rechtsord-
nung eingebracht und saniert werden» soll.
214 Vgl. zur abweisenden Haltung des Landesfürsten Wilfried Marxer, Das Hausgesetz
des Fürstenhauses, S. 48 und Gerard Batliner, Diskussionsbeitrag, S. 81 Rz. 137.
288
2. KAPITEL
REGELUNGSINHALTE DES
HAUSGESETZES DES FÜRSTLICHEN
HAUSES
1. Abschnitt
Zugehörigkeit zum Fürstlichen Haus
$7 GEGENSTAND DER ERÖRTERUNG
I. Übersicht
Neben den in Art. 3 LV genannten Bereichen der erblichen Thronfolge,
der Volljährigkeit des Landesfürsten und des Erbprinzen und der Vor-
mundschaft sowie der in Art. 13bis und 13ter LV geregelten Stellvertre-
tung des Fürsten bzw. des Misstrauensantrages gegen den Fürsten
befasst sich das Hausgesetz weitergehend auch mit Sonderregelungen
für die Mitglieder des Fürstlichen Hauses, nämlich in Form von eigenen
personen- und familienrechtlichen Bestimmungen, dem sogenannten
«Sonderprivatrecht»!, das aber nicht gegen die Verfassung und die Euro-
päische Menschenrechtskonvention verstossen darf.?
II. Beschränkung der Darstellung
Das Hausgesetz des Fürstlichen Hauses Liechtenstein wird im Folgen-
den dargestellt, soweit es mit dem Fürsten als Staatsoberhaupt in Ver-
bindung steht.
1 Begriff in Anlehnung an BuA Nr. 135/2002 der Regierung vom 26. November 2002,
S. 14 und Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 291, wobei die Bezüge zum
Staatsrecht nicht zu übersehen sind.
2 Aus privatrechtlicher Sicht statuiert $ 879 ABGB die Nichtigkeit, wenn beispiels-
weise das Hausgesetz gegen zwingende Normen des Privatrechts verstossen würde.
3 Vgl. auch die kritischen Anmerkung von Gerard Batliner, Memorandum, 5. 8 f. Zif-
fern 22 ff. zu den Alleinzuständigkeiten des Fürstenhauses.
291
Zugehörigkeit zum Fürstlichen Haus
$8 MITGLIEDSCHAFT UND ORGANE
I. Mitgliedschaft
Die Mitgliedschaft ist für die Thronfolge, die Thronfähigkeit, von staats-
rechtlicher Bedeutung, mit der wiederum die Volljährigkeit und Vor-
mundschaft in Zusammenhang stehen.
Die Mitglieder des Fürstlichen Hauses sind in den Matriken ver-
zeichnet, die das Sekretariat des Fürsten führt. Sie sind «familienöffent-
lich». Auskünfte an aussenstehende Personen sind nach Bescheinigung
eines rechtlichen Interesses nur mit Genehmigung des Fürsten zulässig
(Art. 4 HG).
1. Kraft Geburt oder Eheschliessung
Die Mitgliedschaft wird kraft Geburt oder Eheschliessung erworben
(Art. 1 Abs. 2 und 3 HG). Sie beruht «im übrigen» auf Freiwilligkeit
(Art. 1 Abs. 4 HG). Stimm- und wahlberechtigt sind alle männlichen,
nach dem Hausgesetz volljährigen, voll handlungsfähigen und thronfol-
geberechtigten Familienmitglieder (Art. 9 Abs. 1 und 2 HG).
2. Staatsbürgerschaft
Die Mitglieder des Fürstenhauses sind nach Massgabe des Gesetzes vom
1. September 1919 liechtensteinische Staatsbürger (Art. 3 Abs. 1 HG).
4 In Anbetracht der Entscheidungskompetenzen des Fürstlichen Hauses zu Recht
kritisch Wilfried Marxer, Das Hausgesetz des Fürstenhauses, S. 59 f. Die Intranspa-
renz ist nicht unproblematisch, wenn man z. B. Art. 1 Abs. 4 und Art. 5 Abs. 3 HG
ins Auge fasst.
5 Siehe zur Mitgliedschaft und Stimm- und Wahlberechtigung Wilfried Marxer, Das
Hausgesetz des Fürstenhauses, S. 59 f.
6 LGBl. 1919 Nr. 10. Siehe in diesem Zusammenhang auch den Vorschlag der Verfas-
sungskommission des Landtages vom 29. Juni 1998 zu Art. 3 LV, in: Anhang 1a des
Berichts der Landtagskommission vom 20. November 2000 zur Erarbeitung von
Vorschlägen über eine Revision der Verfassung des Fürstentums Liechtenstein vom
292
Mitgliedschaft und Organe
Problematisch erweist sich aus verfassungsrechtlicher Sicht die Wieder-
einsetzung in die liechtensteinische Staatsbürgerschaft durch den Fürs-
ten. Auch die Wiedereinsetzung nach erfolgtem Verzicht ist eine Frage,
die der Gesetzgeber zu regeln hat.” Der Fürst und der nächsterbfolge-
berechtigte Agnat dürfen keine fremde Staatsbürgerschaft annehmen
(Art. 3 Abs. 2 HG).
3. Volljährigkeit
Die Volljährigkeit bestimmt sich nach staatlichem Recht.® Für Angele-
genheiten des Hauses sind die männlichen Mitglieder von der Vollen-
dung des achtzehnten Lebensjahres an volljährig (Art. 6 Abs. 1 HG).
Der Fürst kann aus wichtigen Gründen, insbesondere im Fall einer
Thronfolge, Regentschaft oder Stellvertretung einzelne Mitglieder des
Fürstlichen Hauses schon vor dem Eintritt der gesetzlichen Volljährig-
keit als volljährig erklären (Art. 6 Abs. 2 HG).
II. Stellung im staatlichen Recht
Die liechtensteinische Rechtsordnung räumt den Mitgliedern des Fürst-
lichen Hauses keine besondere Stellung ein. Eine Ausnahme bildet der
Fürst als Staatsoberhaupt, dem ein besonderer strafrechtlicher Schutz
5. Oktober 1921 (LtProt. 2000 Bd. III), wonach in einem Abs. 4 «sämtliche von Fürst
Johann I. von Liechtenstein (1760 bis 1836) abstammenden Mitglieder des Fürsten-
hauses liechtensteinische Staatsbürger (sind). Die jeweilige Fürstin und Erbprinzes-
sin erwerben mit der Eheschliessung die liechtensteinische Staatsangehörigkeit.» Im
Kommentar der Verfassungskommission heisst es, dass «die bisher formalrechtlich
etwas unorthodox im Landesgesetzblatt 1919 Nr. 10 geregelte Vorschrift betreffend
die liechtensteinische Staatsbürgerschaft der Mitglieder des Fürstenhauses in un-
zweideutiger Art in der Verfassung selbst niedergelegt werden» soll.
7 Eine entsprechende Grundlage im Gesetz fehlt, das allerdings noch auf die Konsti-
tutionelle Verfassung von 1862 zurückgeht.
8 Vgl. Art. 12 PGR.
293
Zugehörigkeit zum Fürstlichen Haus
zukommt.? Auch der Name des Fürstenhauses ist gesetzlich unter straf-
rechtlichen Schutz gestellt.!°
Die Mitglieder der Fürstlichen Familie geniessen vereinzelt Son-
derrechte. So müssen sie beispielsweise ın strafgerichtlichen Verfahren
nicht persönlich bei Gericht erscheinen!! oder dürfen in zivilgerichtli-
chen Verfahren nicht als Zeugen vor Gericht geladen werden.!? Sie sind
von der Gerichtsgebührenpflicht ausgenommen.‘
Der Landesfürst und der Erbprinz sind von allen öffentlichen Ab-
gaben befreit. Auch die fürstliche Domäne und die Stiftungen, die gemäss
statutarischer Zweckbestimmung dem Landesfürsten zur Erfüllung sei-
ner Obliegenheiten dienen, entrichten keine öffentlichen Abgaben.!*
III. Organe
Organe des Fürstenhauses sind gemäss Hausgesetz der Fürst, der Fami-
lienrat und die Gesamtheit der stimmberechtigten Mitglieder des Hauses.
1. Fürst
Der Fürst vereinigt in sich die Funktion des Staatsoberhauptes, des
Regierers des Fürstlichen Hauses und des Vorsitzenden in den Fürstli-
9 So sind nach Strafgesetzbuch, LGBl. 1988 Nr. 37, strafbare Handlungen gegen die
Ehre von Amtes wegen zu verfolgen, wenn sie gegen den Landesfürsten, den Land-
tag, die Regierung oder eine andere öffentliche Behörde gerichtet sind ($ 117 Abs. 1).
Nach $ 249 StGB ist, wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch gefährliche Dro-
hung den Landesfürsten abzusetzen oder durch eines dieser Mittel zu nötigen oder
zu hindern, seine Befugnisse überhaupt oder in einem bestimmten Sinne auszuüben,
mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen.
10 Siehe Gesetz vom 4. Dezember 1962 zum Schutze des Namens des Fürstenhauses,
LGBl. 1963 Nr. 2.
11 Siehe $ 110 StPO. Danach werden die Mitglieder des fürstlichen Hauses in ihrer
Wohnung vernommen.
12 Siehe $ 328 Abs. 3 ZPO. Das Gericht hat von den Mitgliedern des Fürstenhauses
eine schriftliche Erklärung abzuverlangen, wenn deren Vernehmung notwendig ist.
13 Vgl. Art. 10 Bst. c GGG, LGBl. 1974 Nr. 42.
14 Vgl. Gesetz vom 17. Dezember 1981 über die Befreiung des Landesfürsten und des
Erbprinzen von den Abgabenpflichten, LGBl. 1982 Nr. 26; Art. 4 Abs. 1 Bst. a SteG,
LGBl. 2010 Nr. 340.
294
Mitgliedschaft und Organe
chen Stiftungen (Art. 12 Abs. 4 HG). Diese drei Funktionen können
voneinander nicht getrennt werden. Davon ausgenommen sind die Fälle
der Regentschaft und der Stellvertretung (Art. 17 Abs. 5 HG).
Die Rechte, die ihm als Staatsoberhaupt zustehen, bestimmt die
Verfassung (Art. 12 Abs. 5 HG).
Der Fürst bildet in Angelegenheiten des Fürstlichen Hauses die
erste Entscheidungsinstanz.’®
2. Familienrat
Der Familienrat besteht aus drei Mitgliedern und ebenso vielen Ersatz-
mitgliedern. Er wird auf fünf Jahre gewählt (Art. 10 HG). Er spielt
staatsrechtlich eine wichtige Rolle bei Disziplinarmassnahmen gegen
den Fürsten,!® bei dessen Amtsenthebung und Entmündigung (Art. 15
HG) sowie beim Misstrauensantrag (Art. 16 HG).
Der Familienrat ist die Berufungsinstanz gegen Entscheidungen, die
der Fürst im Rahmen des Hausgesetzes gefällt hat (Art. 11 Abs. 3 HG).
3. Gesamtheit der stimmberechtigten Mitglieder
Die Gesamtheit der stimmberechtigten Mitglieder des Fürstlichen Hau-
ses bildet die oberste Entscheidungs- und Rechtsmittelinstanz innerhalb
der Familie (Art. 9 Abs. 5 HG).
15 Siehe zu disziplinären Massnahmen gegen Mitglieder des Fürstlichen Hauses Art. 8
HG.
16 Der Familienrat ist gemäss Art. 14 Abs. 1 HG «zum disziplinären Einschreiten
gegen den Fürsten berechtigt und verpflichtet», wenn dieser «durch sein Verhalten
dem Ansehen, der Ehre oder der Wohlfahrt des Fürstlichen Hauses oder des Fürs-
tentums Liechtenstein» schadet. Gerard Batliner, Diskussionsbeitrag, S. 84 Rz. 143
moniert, dass ein solches Disziplinarverfahren rechtsstaatlichen Anforderungen
nicht genügt.
17 Dazu ausführlicher Wilfried Marxer, Das Hausgesetz des Fürstenhauses, S. 50 f.
295
Zugehörigkeit zum Fürstlichen Haus
IV. Stellung als Staats- und Verfassungsorgan
Soweit sich das Hausgesetz mit disziplinarischen Massnahmen gegen
den Fürsten (Art. 14 HG), der Amtsenthebung und Entmündigung des
Fürsten (Art. 15 HG), dem Misstrauensantrag gegen den Fürsten
(Art. 16 HG ı. V. m. Art. 13ter LV) sowie der Regentschaft (Art. 17 HG)
befasst, erhalten der Familienrat und die Gesamtheit der stimmberech-
tigten Mitglieder des Fürstlichen Hauses die Stellung eines Staats- und
Verfassungsorgans,!® wie dies insgesamt auch auf das Fürstliche Haus
zutrifft, das gemäss Art. 3 LV ein Hausgesetz mit verbindlicher Wirkung
für den Staat erlassen und ändern kann.!?
18 Dazu kritisch Gerard Batliner, Diskussionsbeitrag, S. 84 Rz. 143 und S. 89 Rz. 154;
vgl. auch Gerard Batliner/ Andreas Kley/Herbert Wille, Memorandum, S. 18, Zif-
fer 67; A. A. BuA Nr. 135/2002 der Regierung vom 22. November 2002, $S. 16; Gün-
ther Winkler, Verfassungsreform, S. 293 f.
19 Vel. Gerard Batliner, Diskussionsbeitrag, S. 83 Rz. 140; Wilfried Marxer, Das Haus-
gesetz des Fürstenhauses, S. 55, der meint: «Selbst wenn man aus formalen Gründen
das Fürstenhaus nicht als Verfassungsorgan bezeichnen will, wird man kaum umhin
kommen, faktisch von einem Verfassungsorgan zu sprechen. Wer befugt ist, ein
Staatsoberhaupt abzusetzen, kann dies im Rechtsstaat nur aus einer Organstellung
heraus machen.»
296
2. Abschnitt
Einschlägige Regelungen
$9 THRONFOLGE, THRONVERZICHT UND
VERZICHT AUF DIE THRONFOLGE
I. Thronfolge
Im Fall der Thronerledigung rückt der Thronfolger von selbst unmittel-
bar in die monarchische Stellung ein. Die Übernahme des Thrones stellt
keinen «Willensakt» des Nachfolgers dar und erfolgt in der Regel mit
dem Tode des Fürsten.?
Die Thronfolge bestimmt sich nach dem Grundsatz der Primogeni-
tur. Danach ist stets der Erstgeborene der ältesten Linie zur Thronfolge
berufen. Die Thronfolge kann nur antreten, wer stimm- und wahlberech-
tigt ist. Die weiblichen Mitglieder des Fürstlichen Hauses sind demnach
von der Thronfolge ausgeschlossen.?! Insoweit ist die Mitgliedschaft für
die Thronfolge von Belang, die ihrerseits wieder mit der Volljährigkeit
und Vormundschaft in Zusammenhang steht (Art. 12 HG).
Il. Thronverzicht
Der Fürst kann auf den Thron verzichten. Verzichtet er, so hat er dies
ausdrücklich gegenüber dem Erbprinzen oder Thronfolger, dem Fami-
20 Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 122; Gerard Batliner, Übernahme des Thrones,
S. 113 und ders., Schichten, S. 290. Art. 17 Abs. 2 HG nennt allerdings Fälle, in de-
nen die Thronfolge nicht co ipso erfolgt. Wurde nämlich der Fürst rechtskräftig
nach Art. 14 HG abgesetzt oder nach Art. 15 HG seines Amtes enthoben oder ent-
mündigt, werden «seine Rechte und Pflichten <bis zum Eintritt der Thronfolge von
einem Regenten ausgeübt».
21 Vgl. Gerard Batliner, Memorandum, 5. 8 Ziff. 23.
297
Einschlägige Regelungen
lienrat und dem Regierungschef zu erklären. Der Thronverzicht ist
unwiderruflich und im Landesgesetzblatt zu veröffentlichen (Art. 13
HG).2 Er gilt nur für die Person des Verzichtenden.??
III. Verzicht auf die Thronfolge
Es ist jedem Prinzen freigestellt, nach dem Eintritt seiner Volljährigkeit
auf die Thronfolge durch ausdrückliche und schriftliche Erklärung
gegenüber dem Fürsten und dem Familienrat zu verzichten.
Auch dieser Verzicht ist wie derjenige des Fürsten unwiderruflich
und gilt nur für die Person des Verzichtenden.?* Die Thronfolge der
übrigen Mitglieder des Fürstlichen Hauses wird dadurch nicht berührt.
Der Verzicht hat aber, was den Rang und das Vortrittsrecht anbelangt,
Auswirkungen auf die Nachkommen, die nach dem Verzicht geboren
werden (Art. 13 HG).
$ 10 DISZIPLINARMASSNAHMEN
GEGEN DEN FÜRSTEN
I. Disziplinire Massnahmen
Der Familienrat ist berechtigt und verpflichtet, disziplinär gegen den
Fürsten vorzugehen, wenn er durch sein Verhalten dem Ansehen, der
Ehre oder der Wohlfahrt des Fürstlichen Hauses oder des Fürstentums
Liechtenstein schadet.? Als Disziplinarstrafe kann nur die Verwarnung
oder die Absetzung verhängt werden. Erwächst das Disziplinarerkennt-
22 Siehe Art. 3 Bst. i Kundmachungsgesetz, LGBl. 1985 Nr. 41.
23 Siehe Patricia M. Schiess Rütimann, Die politische Verantwortung des Landesfürs-
ten, S. 841 ff.
24 Dadurch wird ein kollektiver Verzicht auf die Thronfolge ausgeschlossen. Siehe
Patricia M. Schiess Rütimann, Die politische Verantwortung des Landesfürsten,
S. 842.
25 Es stehen dem Familienrat eine «breite Palette an Disziplinierungsmassnahmen>» zu,
nämlich: Verwarnung, Aufforderung zum Thronverzicht, Entmündigung, Amtsent-
hebung und Absetzung. So Wilfried Marxer, Das Hausgesetz des Fürstenhauses,
S.51.
298
Vormundschaft und Regentschaft
nis in Rechtskraft, ist es allen Mitgliedern des Fürstenhauses und dem
Regierungschef zuzustellen. Lautet es auf Absetzung des Fürsten, so ist
es ausserdem im Landesgesetzblatt zu veröffentlichen (Art. 14 HG).2
II. Amtsenthebung und Entmündigung des Fürsten
Der Familienrat hat den Fürsten aus bestimmten Gründen zum Thron-
verzicht aufzufordern, so beispielsweise wenn er wegen eines schweren
körperlichen oder seelischen Leidens dauernd unfähig ist, seinen Rech-
ten und Pflichten nachzukommen. Leistet der Fürst dieser Aufforderung
keine Folge, so hat der Familienrat gegen ihn ein Amtsenthebungs- oder
ein Entmündigungsverfahren einzuleiten (Art. 15 HG).
III. Misstrauensantrag gegen den Fürsten
Wird der «begründete Misstrauensantrag», den wenigstens 1500 stimm-
berechtigte Bürger und Bürgerinnen im Landtag eingebracht haben, in
einer Volksabstimmung angenommen und dem Landesfürsten zur
Behandlung nach dem Hausgesetz mitgeteilt? so hat der Familienrat ein
Antragsrecht an die Gesamtheit der stimmberechtigten Mitglieder des
Fürstlichen Hauses, die entscheiden (Art. 16 HG).
$11 VORMUNDSCHAFT UND REGENTSCHAFT
I. Vormundschaft
In den Fällen, in denen für einen liechtensteinischen Staatsangehörigen
ein Vormund oder ein Beistand zu bestellen ist, ist auch für ein Mitglied
26 Siehe Art. 3 Bst. i Kundmachungsgesetz, LGBl. 1985 Nr. 41.
27 Kritisch Gerard Batliner, Memorandum, 5. 8 Ziffer 23, der zu bedenken gibt, dass das
Fürstenhaus auf Eigeninitiative den Fürsten bindend für den Staat absetzen kann.
28 Es handelt sich dabei um nicht mehr als ein «Petitionsrecht». Siehe dazu hinten
S. 317 £. und S. 439.
299
Einschlägige Regelungen
des Fürstlichen Hauses ein Vormund oder ein Beistand zu bestellen.??
Dasselbe gilt sinngemäss auch für den Fall, dass für den Fürsten, die
Fürstin oder eines ihrer Kinder ein Vormund oder ein Beistand zu
bestellen ist. Dabei entscheidet aber anstelle des Fürsten der Familienrat
(Art. 17 Abs. 1 HG).
II. Regentschaft
1. Begriff
Unter einer Regentschaft versteht man «die selbständige Ausübung der
monarchischen Befugnisse kraft eigenen Rechts anstelle des regierungs-
unfähigen Monarchen». Sie unterscheidet sich von der Regierungsstell-
vertretung. Bei der Regentschaft geht der Regierungswille auf den
Regenten über, währenddem dieser bei der Stellvertretung beim Monar-
chen verbleibt.?
2. Errichtung der Regentschaft
a) Gründe für den Eintritt
Als eigentlicher Grund zur Errichtung einer Regentschaft wird die
Regierungsunfähigkeit des Fürsten erachtet. Sie wird bis zum Mündig-
keitstermin vermutet. Die Minderjährigkeit des Fürsten stellt einen
rechtlichen Unfähigkeitsgrund dar und führt in aller Regel zur Regent-
schaft. Daneben gibt es noch andere Gründe, die die Regierungsunfä-
higkeit zur Folge haben.
b) Die zur Regentschaft berufene Person
Wurde der Fürst rechtskräftig seines Amtes enthoben oder entmündigt,
werden seine Rechte und Pflichten bis zum Eintritt der Thronfolge von
29 Siehe zur Vormundschaft und Beistandschaft die $$ 187 ff. ABGB (Von der Vor-
mundschaft) und $$ 269 ff. ABGB (Von der Sachwalterschaft, der Kuratel und der
Vorsorgevollmacht).
30 Georg Schmid, Die Stellvertretung des Monarchen, S. 16 und 17 und weitergehend
zur Regentschaft S. 18-38.
300
Vormundschaft und Regentschaft
einem Regenten ausgeübt. Die Regentschaft erlangt das nach der Thron-
folgeordnung nächstberufene stimmberechtigte Mitglied des Fürstlichen
Hauses. Solange der Fürst minderjährig ist oder ein anderes minderjäh-
riges Mitglied des Fürstlichen Hauses in der Thronfolge vor dem Regen-
ten steht, hat der Familienrat das Recht, den Regenten beim Vorliegen
schwerwiegender Gründe abzusetzen (Art. 17 Abs. 2 HG).
Der Regent kann nicht zum Vormund oder Beistand des minder-
jährigen Fürsten oder des minderjährigen Erbprinzen bestellt werden
(Art. 17 Abs. 4 HG).
3. Mitregentschaft
Dem Fürsten steht es frei, das nach der Thronfolgeordnung nächstberu-
fene stimmberechtigte Mitglied des Fürstlichen Hauses als Regenten
oder Stellvertreter einzusetzen. Diese Regentschaft oder Stellvertretung
kann sich auf alle drei in Art. 12 HG erwähnten Funktionen oder aber
auf Teile davon erstrecken, nämlich auf die Funktion des Staatsober-
hauptes, des Regierers des Fürstlichen Hauses und des Vorsitzenden der
Fürstlichen Stiftungen (Art. 17 Abs. 5 HG).
4. Kundmachung
Der Eintritt, die Beendigung oder Veränderung der Regentschaft ist
nach Rechtskraft allen Mitgliedern des Fürstlichen Hauses sowie dem
Regierungschef bekannt zu geben und im Landesgesetzblatt zu veröf-
fentlichen (Art. 17 Abs. 3 HG).
31 Da die Regentschaft in Art. 17 HG im Zusammenhang mit der Vormundschaft ge-
regelt wird, dürfte sie von der Sache her auch unter Art. 3 LV fallen, obwohl dort
nur von der Vormundschaft die Rede ist.
32 Siehe Art. 3 Bst. i Kundmachungsgesetz, LGBl. 1985 Nr. 41.
301
3. TEIL
DIE OBERSTEN STAATS- UND
VERFASSUNGSORGANE
1. KAPITEL
DER LANDESFÜRST
1. Abschnitt
Der Landesfürst als Staatsoberhaupt
$1 RECHTSSTELLUNG DES LANDESFÜRSTEN
I. Allgemeines
Der Landesfürst hat wie in $ 2 KV 1862 die «Funktion des Staatsober-
hauptes»! inne.2? Der Begriff des Staatsoberhauptes ist aber nicht gleich-
bedeutend geblieben, da ihn die Konstitutionelle Verfassung in Anleh-
nung an Art. 57 der Wiener Schlussakte im Sinn des monarchischen
Prinzips verstanden und ihn so mit der Souveränität des Landesfürsten
in Verbindung gebracht hat.? Er vereinigte dementsprechend «alle
Rechte der Staatsgewalt in sich». Der Begriff des Staatsoberhauptes hat
in der Verfassung von 1921 diese volle «kompetenzielle Qualität»* ein-
gebüsst. Der Landesfürst ist nicht mehr in seiner Eigenschaft als Inhaber
der gesamten Staatsgewalt Staatsoberhaupt. Die Staatsgewalt ist zwi-
schen Fürst und Volk geteilt.” Die Demokratisierung und Parlamentari-
sierung des konstitutionell-monarchischen Staates schmälert seine Kom-
petenzen als Staatsoberhaupt. Er stellt nicht mehr wie bisher zugleich die
Regierung dar. Ihm gebührt nicht mehr allein die Regierungsgewalt. Die
Regierung ist ein eigenständiges Staats- und Verfassungsorgan gewor-
den.® Das heisst, dass dem Landesfürsten weder ein Selbstregierungs-
So Art. 7 Abs. 2 Satz 2 LV.
Siehe Art. 7 Abs. 1 LV.
Vgl. Wilhelm Henke, Die Bundesrepublik ohne Staatsoberhaupt, S. 725.
Formulierung in Anlehnung an Martin Nettesheim, Amt und Stellung des Bundes-
präsidenten, S. 1039 Rz. 12.
Siehe Art. 2 IV.
Vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 63;
vgl. für Deutschland Martin Nettesheim, Amt und Stellung des Bundespräsidenten,
S. 1032. Siehe auch hinten S. 541 f.
SUN SS
Dun
307
Der Landesfürst als Staatsoberhaupt
recht noch eine politische Richtlinienkompetenz zukommt.’ Die Regie-
rungsgewalt übt die Regierung aus, die sowohl dem Landesfürsten als
auch dem Landtag verantwortlich ist.® Der Landesfürst hat aber nach
wie vor entscheidenden Anteil an der Staatsgewalt, sodass seine Stellung
im Staat mit guten Gründen als höchstrangig bezeichnet werden darf,?
auch wenn «rechtstechnisch» an der Staatsgewalt «das Volk und der
Fürst als oberste Staatsorgane gleichrangig beteiligt sind». !°
II. Verfassungsorgan und Rechtsbindung
Der Landesfürst schöpft als Staatsoberhaupt wie jedes andere Staatsor-
gan seine Kompetenzen aus der Verfassung. Nach seiner Stellung in der
Verfassung ist er als «Oberhaupt des Staates» das höchste verfassungsun-
mittelbare Staatsorgan.!! Er verfügt über keine Hoheitsgewalt, die aus ei-
ner anderen Quelle als der Verfassung stammt.!? Auch das Amt des
Staatsoberhauptes ist ein von der Verfassung eingesetztes und von ihr ab-
hängiges Amt. Damit verknüpft ist die unbedingte Rechtsbindung des
Fürsten. Das Legalitätsprinzip gilt auch für den Fürsten, der bei der
Wahrnehmung seiner Kompetenzen an Recht und Gesetz gebunden ist.!?
Die Verfassung ist Massstab und Grenze für staatliches Handeln,
denn die Staatsgewalt wird vom Fürsten und vom Volk «nach Massgabe
der Bestimmungen der Verfassung ausgeübt». Es gibt also kein eigenes
Recht des Fürsten, ausser er leite es von der Verfassung ab. Man spricht
7 Dietmar Willoweit, Verfassungsinterpretation im Kleinstaat, S. 206.
8 Siehe Art. 79 und 80 LV.
9 Siehe etwa zu seinen Kompetenzen das Sanktionsrecht oder das Notverordnungs-
recht. Hinzuweisen ist etwa auch auf die Befugnisse, den Landtag zu eröffnen, zu
vertagen, zu schliessen und aufzulösen, die Regierung zu ernennen und abzuberu-
fen, Richter zu ernennen. Man könnte in Anlehnung an Christoph Gröpl, Staats-
recht I, S. 314 den Landesfürsten auch als das «zentrale Entscheidungsorgan der
Staatsleitung» bezeichnen.
10 So Günther Winkler, Verfassungsrecht, S. 66.
11 Vgl. Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 150.
12 Nach Edwin Loebenstein, Ausgewählte Besonderheiten, S. 12 Rz. 5.2 ist der Lan-
desfürst als Staatsoberhaupt «zur Gänze in die Verfassungsordnung integriert».
13 Vgl. auch Gerard Batliner, Aktuelle Fragen, S. 20 ff. Rz. 26 ff.; Wolfram Höfling,
Zur Verfassungsbindung des Landesfürsten, S. 22 f.; ders., Adressaten der Grund-
rechte, S. 48 ff.
308
Rechtsstellung des Landesfürsten
dann von Kompetenzen, die ihm die Verfassung zuweist. Es gibt auch
keine vermuteten Kompetenzen des Fürsten, denn die Verfassung regelt
den Staat. Der Landesfürst hat sich wie jedes andere Staatsorgan an die
Verfassung zu halten.!* Gäbe es ausserhalb der Verfassung noch Rechte
oder Kompetenzen, stünde er ausserhalb der Verfassung. Er übt im Rah-
men seines Zuständigkeitsbereichs auch nicht ein eigenes Recht am Staat
als «Beherrscher» desselben aus, sondern vielmehr ein Recht des Staates
als Organ desselben.
III. Legitimation
Der Landesfürst gelangt in sein Amt aufgrund der in der Verfassung ver-
ankerten erblichen Thronfolge, die durch das Hausgesetz des Fürstli-
chen Hauses geordnet wird.!® Das heisst, dass sich seine Legitimation
aus der erblichen Thronfolge ableitet, wie sie das Hausgesetz des Fürst-
lichen Hauses festlegt.!7
Die Einwilligung von Fürst und Landtag in die Verfassung von
1921, die sie gemeinsam als Verfassunggeber geschaffen haben, hat zur
«rechtliche(n) Konsequenz», dass sie «wechselseitig den Legitimations-
anspruch der anderen Seite» anerkennen.!s Das Amt des Fürsten ist
14 Zur Pflicht des Landesfürsten, seine Funktionen als Staatsoberhaupt zu erfüllen,
siehe Patricia M. Schiess Rütimann, Die politische Verantwortlichkeit des Landes-
fürsten, S. 840 f. und 844.
15 Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 52; Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht,
S. 151 mit weiteren Literaturhinweisen; siehe auch schon Georg Meyer / Gerhard
Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, S. 271 und 273 Fn. 11; siehe auch
Günther Winkler, Verfassungsrecht, S. 66 f. Nach ihm steht der Fürst aufgrund des
vertraglichen Konsenses des Jahres 1921 «nicht mehr über dem Staat, sondern unter
Bindung an die Verfassung, mit dem Volk und gleich diesem im Staat».
16 Art. 3 LV. Die Übernahme des Thrones durch den Nachfolger ist kein «Willensakt».
Sie erfolgt «von selbst unmittelbar (ipso iure)» mit dem Tode des Fürsten. Siehe
Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 122 und Gerard Batliner, Übernahme des
Thrones, S. 113 ff. sowie ders., Aktuelle Fragen, S. 43 Rz. 78. Differenzierender
vorne S. 297 Fn. 20.
17 VSl. auch Gerard Batliner, Aktuelle Fragen, S. 43 Rz. 78.
18 Dietmar Willoweit, Fürstenamt und Verfassungsordnung, S. 507. A. A. Günther
Winkler, Verfassungsreform, S. 199 f., der dort festhält, dass der Fürst «aufgrund der
demokratisch-parlamentarischen Verfassung im Erbweg eine Anwartschaft auf das
Amt als Staatsoberhaupt» erwirbt. «Durch den Eid auf die Verfassung erwirbt er das
309
Der Landesfürst als Staatsoberhaupt
Bestandteil der Verfassungsordnung, die für beide, Fürst und Landtag
bzw. Volk, die gemeinsame verbindliche Grundlage bildet.!?
IV. Fürst und Volk
Der Fürst zählt als eigenes Staatsorgan nicht zum Staatsorgan Stimm-
volk.20 Dies folgt aus dem dualistisch geformten Verfassungssystem, das
auf der zwischen Fürst und Volk geteilten Staatsgewalt aufbaut. Der
Fürst ist ein Verfassungsorgan mit eigenen Aufgaben und Befugnissen,
die sich von denjenigen des Volkes unterscheiden. Dass er als Staats-
oberhaupt nicht zugleich auch Mitglied des Landtages, der Regierung
oder eines Gerichtes sein kann, ergibt sich auch aus dem Grundsatz der
Gewaltenteilung, wie er in der Verfassung festgelegt ist.
$2 ABSOLUTE IMMUNITÄT
I. Begriff und Inhalt
Der Landesfürst ist rechtlich nicht verantwortlich und untersteht auch
nicht der Gerichtsbarkeit.?! Er geniesst demnach innerstaatlich absolute
Immunität. Der Landesfürst kann als Person weder von einem Zivilge-
richt noch von einem Strafgericht noch von einer Verwaltungsbehörde,
also von keiner staatlichen Behörde rechtlich belangt oder von einer sol-
chen zur Verantwortung gezogen werden.? Er ist mit anderen Worten
Amt des Staatsoberhauptes und damit auch alle Rechte aus dem Amt. Er ist daher
gleich diesen durch die Verfassung demokratisch legitimiert.»
19 Siehe vorne S. 182 ff.
20 Siehe dazu die Ausführungen hinten S. 449 ff.
21 Art.7 Abs. 2 Satz 1 LV 2003; bisher: Art. 7 Abs. 2 LV 1921 mit folgendem Wortlaut:
«Seine Person ist geheiligt und unverletzlich». Dieser Wortlaut ist fast textgleich
dem $ 2 Abs. 2 KV 1862 entnommen worden. Die Verfassungsänderung findet ihren
Grund darin, dass der Ausdruck «geheiligt» rechtlich nicht von Bedeutung ist und
«unverletzlich» soviel besagt wie unverantwortlich. Siehe schon Georg Meyer / Ger-
hard Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, S. 275; vgl. auch Christine
Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 151.
22 Vgl. Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 169 ff.
310
Absolute Immunität
politisch und staatsrechtlich nicht verantwortlich. Dies gilt auch für
jenes Mitglied des Fürstenhauses, welches für den Fürsten die Funktion
des Staatsoberhauptes ausübt.? Daran ändert auch der neu geschaffene
Art. 13ter LV 2003 nichts? da die politische Verantwortlichkeit des
Fürsten nicht vom Stimmvolk eingefordert werden kann. Über einen
Misstrauensantrag, der in einer Volksabstimmung angenommen worden
ist, entscheidet über Antrag des Familienrates die Gesamtheit der stimm-
berechtigten Mitglieder des Fürstlichen Hauses.2 Die Begründung pri-
vatrechtlicher Rechte und Pflichten im Rahmen zivilrechtlicher Rechts-
geschäfte ist dagegen nicht ausgeschlossen.? So sind beispielsweise ver-
mögensrechtliche Streitigkeiten vor den ordentlichen Gerichten
auszutragen. Die Klage richtet sich in der Regel formell nicht gegen den
Landesfürsten, sondern gegen die fürstlichen Domänenbehörden.?7
II. Rechtsinstitut der Gegenzeichnung
1. Allgemeines
Das aus verfassungs- und rechtsstaatlicher Sicht notwendige Korrelat
zur Nichtverantwortlichkeit des Fürsten bildet das Rechtsinstitut der
Gegenzeichnung,?® das erstmals seine Ausprägung ın $ 29 der Konstitu-
23 Vgl. Art. 7 Abs. 21. V. m. Art. 13bis LV.
24 Es soll sich bei dieser Bestimmung auch um eine «unausgesprochene Bedachtnahme
auf die in Art. 13ter neu geplante politische Verantwortlichkeit der Person des Fürs-
ten gegenüber dem Volk» handeln. So Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 170.
25 Siehe Art. 16 HG.
26 Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 151 mit Verweis auf Gregor Steger,
Fürst und Landtag, S. 58 ff.; vgl. auch Georg Meyer / Gerhard Anschütz, Lehrbuch
des deutschen Staatsrechts, S. 275.
27 Art. 99 LV 2003, vormals Art. 100 LV; vgl. Gerard Batliner, Aktuelle Fragen, S. 45
Rz. 84 mit Verweis auf Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 59 ff. und Otto Lud-
wig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, S. 5. Danach haben die
fürstlichen Domänenbehörden für vermögensrechtliche Angelegenheiten des Fürs-
ten gerichtlich einzustehen. Vgl. auch Georg Meyer / Gerhard Anschütz, Lehrbuch
des deutschen Staatsrechts, S. 276.
28 Das Gegenzeichnungsrecht wird als der «rettende Ausweg» des Konstitutionalis-
mus bezeichnet. Es geht darum, die Entscheidungszuständigkeit und Nichtverant-
wortlichkeit des Monarchen zu bewahren und zugleich aber auch um eine im Ver-
311
Der Landesfürst als Staatsoberhaupt
tionellen Verfassung von 1862 erhalten hat.” Im Unterschied zu heute
war damals der Fürst frei in seinem Recht, die Regierung zu ernennen
und zu entlassen. Die Gegenzeichnung der Akte des Fürsten begrün-
dete dessen politische Verantwortlichkeit. So sind neben den Gesetzen
auch die Erlasse und Verordnungen, die vom Fürsten ausgehen, zu
ihrer Gültigkeit vom Regierungschef gegenzuzeichnen.? Dieser über-
nimmt die Verantwortung für diese Akte im Innenverhältnis zum Fürs-
ten, rechtlich im Sinne gerichtlicher Verantwortlichkeit für die Recht-
mässigkeit der Akte (Ministeranklage)® und politisch gegenüber dem
Landtag (Volk). Gerard Batliner charakterisiert die Gegenzeichnungs-
kompetenz als «ein negatives Kontrollinstrument des Regierungschefs»
fassungsstaat unverzichtbare Verantwortlichkeit für Akte des Monarchen zu be-
gründen. So Klaus Schlaich, Funktionen des Bundespräsidenten, S. 568 Rz. 61; vgl.
auch Michael Nierhaus, Grundgesetz, Art. 58, S. 1312 f. Rz. 2. Roman Herzog, All-
gemeine Staatslehre, S. 282 vermerkt, dass die Gegenzeichnung ihre Entstehung dem
konstitutionellen Verfassungsdenken verdankt. Nach Hans v. Frisch, Die Verant-
wortlichkeit der Monarchen, S. 106 bildet «die Unverantwortlichkeit der Staats-
häupter und die das notwendige Korrelat darstellende Verantwortlichkeit der Mi-
nister» den «Schlussstein des Konstitutionalismus». Vgl. auch Friedrich Greve, Mi-
nisterverantwortlichkeit, S. 42.
29 Siehe $ 94 Abs. 2 Amtsinstruktion von 1862 und Ziffer 3 Amtsinstruktion von 1871,
auf deren Wortlaut Art. 85 LV zurückgeht.
30 Dieser Umstand hätte es dem Fürsten ermöglicht, einen Landesverweser, der sich
ihm widersetzte, abzuberufen und ihn durch einen anderen zu ersetzen, der ihm
gefügig war.
31 Vgl. z. B. die Kundmachung vom 24. Dezember 1921, LGBl. 1922 Nr. 1, in der
Prinz Franz von Fürst Johann IT. mit der Ausübung des ihm auf dem Gebiete der
Vertretung des Fürstentums nach aussen zustehenden Hoheitsrechte betraut wurde.
Zur Person von Prinz Franz von Liechtenstein siehe Marija Wakounig, in: Histori-
sches Lexikon, Bd. 1, S. 532 f.
32 Vgl. Art. 65 und 85 LV. Das entsprach auch der damaligen Rechtslehre. Siehe Axel
Schulz, Die Gegenzeichnung, S. 28 und 54.
33 Vgl. Art. 62 Bst. g i. V. m. Art. 28 ff. SSGHG. Danach kann der Landtag gegen ein
Mitglied der Regierung Anklage wegen Verletzung der Verfassung oder sonstiger
Gesetze vor dem Staatsgerichtshof erheben. Sollte ein Regierungschef wegen der
Gegenzeichnung eines fürstlichen Aktes strafrechtlich zur Verantwortung gezogen
werden, räumt die Verfassung dem Fürsten in Art. 12 Abs. 1 LV das Recht ein, das
Strafverfahren niederzuschlagen (Abolitionsrecht). So Gerard Batliner/ Andreas
Kley/Herbert Wille, Memorandum, S. 8 Ziffer 24; in diesem Sinne auch Christine
Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 177 ff. mit weiteren Hinweisen; vgl. auch Tobias
Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 227 f.
34 Vgl. Klaus Schlaich, Die Funktionen des Bundespräsidenten, S. 568.
312
Absolute Immunität
gegenüber dem Landesfürsten. Sie stellt ihn den anderen Staatsorganen
direkt gegenüber und macht ihn etwa bei Gesetzen zum «Mitgesetz-
geber» und bei Staatsverträgen zum «Mitbeschlussorgan».
2. Funktion und Anwendungsbereich
In der Literatur und Praxis ist allerdings die Funktion der Gegenzeich-
nung ebenso unklar wie der Anwendungsbereich umstritten ist. Es steht
beispielsweise nicht fest, welche Staatsakte des Fürsten zum Kreis der
gegenzeichnungsbedürftigen Erlasse und Verordnungen zählen.? Unbe-
stritten ist, dass das Gegenzeichnungsrecht alle Akte des Fürsten erfasst,
die er hoheitlich, d. h. in seiner Funktion als Staatsoberhaupt setzt.” Ihm
unterliegen zumindest die schriftlichen, nach aussen wirkenden rechtli-
chen Entscheidungen, d. h. Hoheitsakte, die für die Allgemeinheit und
die Behörden «Rechtsfolgen» zeitigen.? Ausgenommen davon sind
35 Gerard Batliner, Aktuelle Fragen, S. 48 Rz. 90. Er äussert sich ausführlich zum Ge-
genzeichnungsrecht und seinen Schwächen im Rechtsschutzsystem wie auch im po-
litischen System (S. 44 ff., insbesondere S. 47 f. Rz. 88 f.).
36 Vgl. zu den nichtschriftlichen Akten des Fürsten bzw. zur Gegenzeichnungsbe-
dürftigkeit von Unterlassungen und von Reden oder sonstigen nichtschriftlichen
Äusserungen des Fürsten Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 274 ff. mit
weiteren Hinweisen auf die in der liechtensteinischen Literatur vertretenen Rechts-
ansichten; vgl. auch Gerard Batliner, Aktuelle Fragen, S. 48 Rz. 89; ders., Memo-
randum, S. 2 und 9 ff.; Günther Winkler, Begnadigung und Gegenzeichnung,
S. 55 ff., der die «Staatsakte» des Fürsten aufzählt und gleichzeitig anführt, «ob sie
nur vom Fürsten zu unterschreiben sind und ob sie auch der Gegenzeichnung des
Regierungschefs unterliegen, sofern sie schriftlich ergehen».
37 Vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 89 f.;
ders., Schichten, S. 291 und Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 218. Zur
Sanktion als Akt der Gesetzgebung siehe hinten S. 374 ff.
38 In Anlehnung an Edwin Loebenstein, Die Stellvertretung des Landesfürsten, S. 110.
Vgl. Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 210 ff., die unter Bezugnahme auf
Edwin Loebenstein auf die Rechtsqualität des jeweiligen fürstlichen Aktes abstellt.
Demnach umfasst das Gegenzeichnungsrecht «alle durch den Fürsten vorgenom-
menen schriftlichen, auf verbindliche Rechtswirkung gerichteten Hoheitsakte».
Siehe auch Georg Meyer / Gerhard Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts,
S. 277. Nach ihm erstreckt sich das Erfordernis der Kontrasignatur «ohne Aus-
nahme auf alle Regierungsakte, d. h. alle Akte des Monarchen, welche von ihm in
Ausübung der Staatsgewalt vorgenommen werden — sofern sie, was nicht schlecht-
hin notwendig ist, in schriftlicher Form ergehen». Günther Winkler, Begnadigung
313
Der Landesfürst als Staatsoberhaupt
Akte, die er in seiner Eigenschaft als «Regierer» des Fürstlichen Hauses
vornimmt.
3. Kontrolle der Organhandlungen des Fürsten
Nicht eine Frage der Immunität und von ihr zu trennen bzw. zu unter-
scheiden ist die Frage nach der verfassungsrechtlichen Bindung und der
verfassungsgerichtlichen Kontrolle von Organhandlungen des Landes-
fürsten. Die absolute Immunität schützt ihn vor persönlicher gerichtli-
cher und anderer Verfolgung, ändert aber nichts an der uneingeschränk-
ten Einbindung des Fürsten sowohl in die liechtensteinische als auch in
die internationale Rechtsordnung.“ Nach Art. 15 SEGHG sind staatliche
Akte des Landesfürsten beim Staatsgerichtshof anfechtbar.“!
und Gegenzeichnung, 5. 59 f. ist der Ansicht, dass formfreie Staatsakte des Landes-
fürsten und faktische Amtshandlungen «kraft ihrer Rechtsnatur» nicht der Gegen-
zeichnung unterliegen. Das gelte auch «für mündliche Erklärungen, für Glück-
wunschadressen und für Staatshandlungen der persönlichen Repräsentation».
39 Siehe Art. 12 Abs. 4 HG; vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische
Verfassungsrecht, S. 90 und Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 210.
40 Siehe Urteil des EGMR i. S. Wille gegen das Fürstentum Liechtenstein vom
28. Oktober 1999 (Grosse Kammer), in: LJZ 2000, S. 105 ff.
41 Der Hinweis von Wolfram Höfling, Adressaten der Grundrechte, S. 48 Rz. 12 auf
die «weitverbreitete Rechtsauffassung», wonach «staatliche Akte des Fürsten nicht
beim Staatsgerichtshof anfechtbar» sind, betrifft die Rechtslage, wie sie unter dem
Staatsgerichtshofgesetz von 1925, LGBl. 1925 Nr. 8, bestanden hat. In der Zwi-
schenzeit ist es vom Staatsgerichtshofgesetz von 2003, LGBI. 2004 Nr. 32, aufgeho-
ben worden, sodass die Zweifel an der Grundrechtsbindung des Fürsten beseitigt
sind und sich ein Rückgriff auf die Menschenrechtskonvention und die Rechtspre-
chung des EGMR erübrigt. Nach Art. 15 StGHG entscheidet der Staatsgerichtshof
über Beschwerden, soweit der Beschwerdeführer behauptet, durch eine enderledi-
gende letztinstanzliche Entscheidung oder Verfügung der öffentlichen Gewalt in
einem seiner verfassungsmässig gewährleisteten Rechten oder in einem seiner durch
internationale Übereinkommen garantierten Rechte, für die der Gesetzgeber ein
Individualbeschwerderecht ausdrücklich anerkannt hat, verletzt zu sein. Vgl. zur
Anfechtbarkeit staatlicher Hoheitsakte des Landesfürsten BuA Nr. 45/2003 der
Regierung vom 12. August 2003, S. 40; Stephan Breitenmoser, Rechtsgutachten zur
Frage der Konsequenzen des Urteils des EGMR, S. 46 f.
314
Misstranensantrag und politische Verantwortlichkeit
$3 MISSTRAUENSANTRAG UND POLTTISCHE
VERANTWORTLICHKEIT
I. Inhalt
Mindestens 1500 stimmberechtigte Landesbürger und Landesbürgerin-
nen können nach Art. 13ter LV einen «begründeten» Misstrauensantrag
gegen den Landesfürsten beim Landtag einreichen, der an seiner nächs-
ten Sitzung eine Empfehlung abzugeben und eine Volksabstimmung
anzusetzen hat. Wird der Misstrauensantrag angenommen, ist er dem
Landesfürsten zur Behandlung nach dem Hausgesetz mitzuteilen. Die
gemäss Hausgesetz, d. h. die von der Gesamtheit der stimmberechtigten
Mitglieder des Fürstlichen Hauses getroffene Entscheidung hat der Lan-
desfürst binnen sechs Monaten dem Landtag bekannt zu geben. Erfolgt
innerhalb dieser Frist keine Mitteilung, gilt der Misstrauensantrag «ohne
weiteres» als abgelehnt.®
II. Verfahren
Verfahrensmässig kommen je nachdem disziplinäre Massnahmen wie die
Verwarnung und die Absetzung‘ oder die Amtsenthebung und Ent-
mündigung*® in Betracht. Der Misstrauensantrag kann auch abgelehnt
werden,“ sodass es nicht zu einem solchen Verfahren kommt. Es kann
auch auf ihn nicht eingetreten werden. In diesem Fall gilt er als abgelehnt
und muss folglich nicht begründet werden.“
42 Dabei handelt es sich, wie Gerard Batliner, Diskussionsbeitrag, S. 18 Rz. 26 kritisch
vermerkt, um «1500 nicht-geheime, von der zuständigen Wohnsitzgemeinde amt-
lich bescheinigte Unterschriften mit Namen, Vornamen, Adressen», die es braucht,
um einen Misstrauensantrag gegen den Fürsten zu initiieren. Nach Rene Rhinow,
Rechtsgutachten, S. 89 ist das zentrale Erfordernis eines geheimen Verfahrens nicht
gewährleistet.
43 Siehe Art. 16 Abs. 1 Bst. b HG.
44 Siehe Art. 14 HG.
45 Siehe Art. 15 HG.
46 Diese Verfahrensmöglichkeit ist zwar nicht explizit im Hausgesetz erwähnt, ergibt
sich jedoch aus der Verfahrenslogik.
47 Siehe Art. 16 Abs. 1 Bst. b HG i. V. m. Abs. 2, nach dem die getroffene Entschei-
dung oder sonstige Erledigung zu begründen ist.
315
Der Landesfürst als Staatsoberhaupt
Entscheidungszuständig ist allein die Gesamtheit der stimmberechtigten
Mitglieder des Fürstlichen Hauses, die nach freiem Ermessen verfährt.“®
Dem Familienrat steht in diesem Verfahren nur ein Antragsrecht zu, das
er binnen zwei Monaten bei sonstigem Verlust auszuüben hat.“ Ein Ent-
scheidungsrecht kommt ihm nur dann zu, wenn er selber ein entspre-
chendes Verfahren gegen den Fürsten einzuleiten hat.
Der Misstrauensantrag muss «begründet» sein, um ihn überprüfen
zu können. Er kann ein Verfahren auslösen, das nach den hausinternen
Regeln des Fürstlichen Hauses abläuft®! und die Absetzung des Fürsten
zur rechtlichen Konsequenz haben kann.”
III. Zweck
Die Intention dieser Regelung geht dahin, den Landesfürsten mit seinen
Kompetenzen und Befugnissen als Staatsoberhaupt einer in Demokra-
tien für Staatsoberhäupter üblichen politischen Kontrolle zu unterstel-
len. So wird denn auch dieser Misstrauensantrag als eine «besondere Art
48 Unter dieser Voraussetzung geht es entschieden zu weit, dem Misstrauensantrag ei-
nen «demokratiepolitischen Wert» zuzuschreiben und in ihm eine «erhebliche Stär-
kung des demokratischen Prinzips der Landesverfassung» zu erblicken. So aber
Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 312 f. und 321. A. A. die Verfassungskom-
mission des Landtages, der das Misstrauensvotum gegen den Fürsten nicht geeignet
erscheint, «die Demokratisierung des Staates zu stärken». Siehe das Schreiben an
den Landesfürsten vom 1. Juli 1998, S. 2 in: Anhang 1 des Berichts der Landtags-
kommission vom 20. November 2000 zur Erarbeitung von Vorschlägen über eine
Revision der Verfassung des Fürstentums Liechtenstein vom 5. Oktober 1921
(LtProt. 2000 Bd. IT). Rene Rhinow, Rechtsgutachten, S. 89 sieht in diesem «Peti-
tionsrecht» des Volkes keine «Stärkung der Demokratie». Er weist darauf hin, dass
der Fürst nicht zurücktreten muss, obwohl ihm das Volk das Misstrauen ausge-
sprochen hat (S. 86). Zur Kritik siehe auch Zoltän Tibor Pällinger, Monarchien, S. 9.
49 Vgl. Art. 16 Abs. 1 Bst. a HG.
50 Vgl. Art. 14 und 15 HG.
51 Zur Kritik des Verfahrens siehe Gerard Batliner, Diskussionsbeitrag, S. 18 f.; Rene
Rhinow, Rechtsgutachten, 5. 85 ff.
52 In der Interpellationsbeantwortung der Regierung vom 29. August 1995, Nr. 61/
1995, S. 19 zu Frage 19 (Art. 14 Abs. 2 HG) heisst es: «Die Absetzung des Landes-
fürsten ist staatsrechtlich ein derart bedeutungsvoller Akt, dass er nicht allein der
Entscheidung des Familienrates überlassen werden soll. Eine derartige Regelung
sollte auf staatsrechtlicher Basis und nicht allein in der autonomen Satzung des
Fürstenhauses festgelegt sein.» Siehe auch vorne S. 287 Fn. 211.
316
Misstranensantrag und politische Verantwortlichkeit
von politischer Kontrolle» über die Person des Landesfürsten als Staats-
oberhaupt oder gar als ein «sprechender Ausdruck» für die politische
Verantwortlichkeit der Person des Fürsten gedeutet. Der Landesfürst
soll «als einer der beiden souveränen Träger der Staatsgewalt» dem Volk
auch politisch verantwortlich sein.
Nach dem dieser Regelung zugedachten Sinn soll sie «einer forma-
len staatsrechtlichen Sanktionierung einer begründeten staatspolitischen
Kritik des Volkes am Verhalten des Fürsten als Staatsoberhaupt die-
nen».
IV. Bewertung
Diese verfassungsrechtliche Einschätzung erweckt den Eindruck, als ob
das Stimmvolk politisch die Verantwortlichkeit des Fürsten einfordern
könnte. Sie verkennt den Rechtscharakter des Antragsrechts, das gemäss
Art. 13ter LV nicht zu einer Entscheidung durch das Stimmvolk führt.
Es lässt sich in seiner rechtlichen Qualität mit den Vorstellungen, Peti-
tionen und Beschwerden von Einzelnen wegen Mängeln und Missbräu-
chen in der Landesverwaltung oder der Rechtspflege an den Landtag
vergleichen, wie sie dem monarchischen Konstitutionalismus der Verfas-
sung von 1862 eigen waren. Der Landtag konnte sie nach $ 42 KV 1862
direkt an den Landesfürsten richten, wobei der Landtag von der Erledi-
gung der Beschwerden oder vom Ergebnis der Untersuchung «jeder-
zeit» unterrichtet wurde.
Der Misstrauensantrag kann als politisches Kontrollmittel verstan-
den werden, das eine Missbilligung der Amtsführung des regierenden
53 Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 181.
54 Kritisch zum Misstrauensantrag des Volkes unter dem Aspekt der indirekten demo-
kratischen Legitimation des regierenden Fürsten und der Institution der Monarchie
Gerard Batliner, Aktuelle Fragen, S. 106 ff. Rz. 206 ff., der diese indirekte Legiti-
mation, die mit der Einführung eines Misstrauensantrages bewirkt werden soll, als
«ein(en) Irrtum und eine Selbsttäuschung» bezeichnet, da unter «demokratischer
Legitimation durch das Volk (Aktivbürgerschaft)» ein aktiver Akt, eine Wahl, zu
verstehen ist.
55 Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 308.
56 Diese Bestimmung ist in anderer Form in Art. 63 Abs. 2 LV aufgenommen worden.
Siehe Näheres dazu hinten S. 530 ff.
317
Der Landesfürst als Staatsoberhaupt
Fürsten zum Inhalt hat und einer Petition vergleichbar ist.” Er erzeugt
«keine rechtlich verbindliche Wirkung».
Über den Misstrauensantrag des Stimmvolkes, der begründet sein
muss, entscheiden die stimmberechtigten Mitglieder des Fürstlichen
Hauses, sodass er im Grunde zu einer familienpolitischen Angelegenheit
wird. Er lässt das dem Fürstlichen Haus im Hausgesetz vorbehaltene
Disziplinarrecht bzw. die diszipliniären Massnahmen gegen den Fürsten
unberührt. Die stimmberechtigten Mitglieder des Fürstlichen Hauses
bestimmen, ob ein anderes Mitglied des Fürstenhauses in das Amt des
Staatsoberhauptes nachrücken soll.® Der Landesfürst teilt die von ihnen
getroffene Entscheidung dem Landtag mit. Landtag und Stimmvolk
bleiben von der Entscheidung ausgeklammert, sodass die Volksinitiative
einer Petition an die stimmberechtigten Mitglieder des Fürstenhauses
gleichkommt.*!
57 Ren6& Rhinow, Rechtsgutachten, S. 87 spricht auch von einer «Konsultativabstim-
mung». Vgl. zur Petition an den Landtag und den Landesausschuss Thomas All-
gäuer, Die Parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 123 ff.
58 Ren€ Rhinow, Rechtsgutachten, S. 87.
59 Was unter dem Begriff der «Begründung» zu verstehen ist, bleibt unklar.
60 Siehe auch die Kritik bei Zoltän Tibor Pällinger, Monarchien, S. 8 f., der auf die Sys-
temwidrigkeit des Verfahrens aufmerksam macht. Der Misstrauensantrag stellt nach
ihm keinen systemadäquaten Konfliktlösungsmechanismus im Einzelfall dar, da das
Entscheidungsrecht nicht bei einer staatlichen, demokratisch legitimierten Instanz
liegt.
61 Von einer verstärkten «demokratische(n) Einbindung des Fürsten als Staatsober-
haupt in das demokratische Prinzip», wie dies Günther Winkler, Der Europarat und
die Verfassungsautonomie seiner Mitgliedstaaten, S. 182, sieht, kann keine Rede
sein. So auch ders., Verfassungsrecht, S. 77 f. Siehe dagegen die Kritik bei Gerard
Batliner, Diskussionsbeitrag, S. 18 f. Rz. 25-30.
318
2. Abschnitt
Ausschliesslicher Kompetenzbereich des
Landesfürsten —- Alleinzuständigkeiten
Der Landesfürst nimmt bei der Ausübung der Staatsgewalt einerseits
Alleinzuständigkeiten wahr und teilt sie andererseits in funktionaler und
gewaltenteiliger Verschränkung mit anderen Staats- und Verfassungs-
organen.
Es handelt sich hier um diejenigen hoheitlichen Akte, die vom
Fürsten selbst ausgehen und — abgesehen von der Gegenzeichnung —
nicht der Mitwirkung anderer Staatsorgane bedürfen.®
$4 NOTSTANDSVERORDNUNGS-
BZW. NOTVERORDNUNGSRECHT
I. Herkunft und Entwicklung
1. Verfassung von 1921
Das Notstands- bzw. Notverordnungsrecht ist in den Schlossverhand-
lungen und -abmachungen kein Thema. Der Verfassungsentwurf von
Wilhelm Beck greift hingegen dieses Notstandsrecht des Fürsten in
Art. 32 Abs. 2 auf, der folgenden Wortlaut hat: «In dringenden Fällen
hat der Landesfürst durch die Regierung das zur Sicherstellung und
Wohlfahrt des Staates Notwendige vorzukehren; jede solche Massregel
bedingt aber die nachträgliche Zustimmung des Landtages; wird dieselbe
verweigert, so ist die Anordnung aufzuheben.» Diese Einschränkung bil-
dete zur damaligen Zeit die Regel. Wie Georg Meyer/Gerhard Anschütz
62 Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 230; vgl. auch Gerard Batliner, Memo-
randum, S. 2 und 9 ff. Ziffer 25 ff.
319
Ausschliesslicher Kompetenzbereich des Landesfürsten — Alleinzuständigkeiten
in ihrem Lehrbuch des deutschen Staatsrechts von 1919%° festhalten,
wird in den meisten Verfassungen den Monarchen das Recht, Notver-
ordnungen zu erlassen, eingeräumt, das «fast überall aber dahin
beschränkt worden (ist), dass Notverordnungen nur in Zeiten erlassen
werden dürfen, wo der Landtag nicht versammelt ist** und dass sie dem
nächsten Landtage zur nachträglichen Genehmigung vorzulegen sind».
Die Regierungsvorlage und in der Folge die Verfassung überneh-
men praktisch unverändert den Wortlaut von $ 24 Abs. 2 KV 1862.
Danach wird «in dringenden Fällen» der Landesfürst «das Nötige zur
Sicherheit und Wohlfahrt des Staates vorkehren». Der Antrag von Wil-
helm Beck wurde in der Landtagssitzung vom 24. August 1921 abge-
lehnt, der darauf insistierte, dass eine solche Massnahme der nachträgli-
chen Zustimmung des Landtages bedarf.®
Dieser Text stammt aus dem Frühkonstitutionalismus.® Klaus
Stern” hält ihn für eine «Blankovollmacht». Das Notstandsverord-
nungsrecht widerspiegelt die «starke» Stellung des Fürsten, wie sie
damals von der Landtagsmehrheit vertreten wurde.
2. Verfassungsrevision von 2003
Das Notrecht ist in der Verfassungsrevision von 2003, soweit es in Form
von Notverordnungen ergeht, auf sechs Monate befristet worden. Im
63 Georg Meyer / Gerhard Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, S. 677.
64 Für diese Zeit besteht nach Art. 71 ff. LV 1921 anstelle des Landtages der Landes-
ausschuss.
65 Wilhelm Beck schlug zu $ 10 der Regierungsvorlage (Notverordnungsrecht) vor,
dass eine solche Massnahme der nachträglichen Zustimmung des Landtages bedarf.
Diesen Änderungsantrag lehnte der Landtag mit 8 zu 7 Stimmen ab. Siehe Rupert
Quaderer, Der historische Hintergrund der Verfassungsdiskussion, S. 135. Auch die
Verfassungskommission des Landtages sah in ihrem Abänderungsvorschlag vom
29. Juni/1. Juli 1998 vor, dass Notverordnungen zur «Stärkung der Demokratie und
des Rechtsstaates» neben anderen Verbesserungen der Zustimmung durch den
Landtag oder gegebenenfalls durch den Landesausschuss bedürfen. Siehe die Neu-
fassung von Art. 10 in Anhang 8 des Berichts der Landtagskommission vom
20. November 2000 zur Erarbeitung von Vorschlägen über eine Revision der Ver-
fassung des Fürstentums Liechtenstein vom 5. Oktober 1921 (LtProt. 2000 Bd. III).
66 Vgl. Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 131.
67 Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. IT, S. 1304.
320
Notstandsverordnungs- bzw. Notverordnungsrecht
Übrigen ist es zusammen mit einigen Beschränkungen, die aber auf die
umfangreichen Notstandsbefugnisse des Fürsten keinen grossen Ein-
fluss haben, beibehalten worden.® Es wird zwar klargestellt, dass die
Verfassung nicht als Ganzes im Wege des Notverordnungsrechts ausser
Kraft gesetzt oder eine neue Verfassung eingeführt werden kann.“ Es
können jedoch Bestimmungen oder Teile der Verfassung vorübergehend
suspendiert werden. Davon können Institutionen wie der Landtag, die
Regierung, die Gerichte, die Verfassungsgerichtsbarkeit sowie Grund-
rechte betroffen sein, so beispielsweise die Meinungs- und Pressefreiheit,
die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit.”” Ausgenommen sind not-
standsfeste Grundrechte. Als notstandsfest gelten nur das Recht eines
jeden Menschen auf Leben, das Verbot der Folter und der unmenschli-
chen Behandlung, das Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit sowie
die Regel «Keine Strafe ohne Gesetz», wie sie auch in Art. 15 EMRK
garantiert sind./! Überdies können Notverordnungen Art. 3, 10, 13 und
113 der Verfassung sowie das Hausgesetz nicht einschränken.”? Soweit
sich die Restriktionen im neuen Art. 10 Abs. 2 LV auf notstandsfeste
Grundrechte beziehen, fallen sie nicht ins Gewicht, da diese bereits bis-
her durch die EMRK gewährleistet sind.”
68 Vgl. auch Art. 8 Abs. 2 des Verfassungsentwurfs von Fürst Hans-Adam II. von Liech-
tenstein, abgedruckt, in: ders., Der Staat im dritten Jahrtausend, S. 204 (Anhang), der
den gleichen Wortlaut hat wie Art. 10 Abs. 1 letzter Satz und Abs. 2 LV 2003.
69 Zu der bisher vertretenen gegenteiligen Meinung siehe Ernst Pappermann, Die
Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 133 mit Literaturhinweisen.
70 Kritik gegen die weitreichende Notrechtskompetenz des Landesfürsten haben
schon Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, S. 16 und
Pierre Raton, Liechtenstein, S. 129 vorgebracht. Siehe dazu Ernst Pappermann, Die
Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 135 f.; vgl. auch Christine Weber,
Gegenzeichnungsrecht, S. 164 ff.
71 Vgl. Gerard Batliner, Die liechtensteinische Rechtsordnung, S. 143 f.
72 Völ. Art. 10 Abs. 2, eingeführt durch LGBl. 2003 Nr. 186. Zu früheren Änderungs-
vorschlägen siehe Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein,
S. 140 f.; Gerard Batliner, Parlament, S. 34 f.; ders., Diskussionsbeitrag, S. 70 Rz. 121;
Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 64.
73 Art. 15 EMRK geht davon aus, dass im «Falle eines Krieges oder eines anderen öf-
fentlichen Notstandes, der das Leben der Nation bedroht» und «in dem (sachlichen
und zeitlichen) Umfang, den die Lage unbedingt erfordert», gewisse (aber nicht alle)
Grundrechte der Konvention teilweise ausser Kraft gesetzt werden dürfen. So Ger-
ard Batliner, Parlament, S. 35; vgl. auch Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 206.
321
Ausschliesslicher Kompetenzbereich des Landesfürsten — Alleinzuständigkeiten
Der Landesfürst ist nach wie vor befugt, den Notstandsfall selber zu
bestimmen und während dessen sechsmonatiger Dauer Entscheidungen
ohne Landtag und Volk als alleiniger Inhaber der Notstandsgewalt zu
treffen.’*
3. Lehre und Praxis
In der Lehre wird die Frage aufgeworfen, ob das Notstandsverord-
nungsrecht des Fürsten durch die Regierung ausgeübt werden muss.”
Die Staatspraxis ist uneinheitlich.” Es haben sich sowohl der Landes-
fürst” als auch die Regierung auf die Notstandskompetenz gestützt. Die
wohl herrschende Meinung schreibt sie dem Fürsten selbst zu.’® Dafür
spricht der Normtext der Verfassung, der im Wortlaut auf $ 24 S. 3 der
Konstitutionellen Verfassung von 1862 zurückgeht und im Landesfürs-
ten seinen festen Bezugspunkt hat, sodass sich diese Bestimmung inner-
74 Arno Waschkuhn, Politisches System Liechtensteins, S. 122 war 1994 noch mit
Blick auf den seinerzeitigen Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck, der die nach-
trägliche Zustimmung des Landtages vorsah, der Ansicht, dass Fürst Hans-Adam II.
gegenüber einem solchen Vorschlag wahrscheinlich keine Bedenken hätte und eine
Verfassungsänderung in diesem Sinne sanktionieren würde. Er verweist darauf, dass
die Zustimmung oder Aufhebung der Anordnung des Fürsten auch mit einer Volks-
abstimmung verbunden werden könnte. Ein solches Vorgehen entspräche der Kon-
zeption des Fürsten, die er für eine europäische Verfassung entwickelt habe. Siehe
dazu jedoch vorne S. 320 Fn. 65. Vgl. auch den Verfassungsänderungsvorschlag von
Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 141.
75 Vgl. Andreas Kley, Grundriss, S. 198 mit Literaturhinweisen. So steht nach Hans
Nawiasky, Rechtsgutachten, S. 7 das Notstandsverordnungsrecht der Regierung zu.
Ebenso Wilfried Hoop, Die Auswärtige Gewalt, S. 147. Andere weisen den Fürsten
als Träger des Notstandsverordnungsrechts aus. Siehe Christine Weber, Gegen-
zeichnungsrecht, S. 163 mit weiteren Hinweisen.
76 Vgl. nur Andreas Schurti, Das Verordnungsrecht der Regierung, S. 73 f.
77 Vsl. die Notverordnungen vom 18. Februar 1943, LGBl. 1943 Nr. 4; vom 13. Juli
1982, LGBl. 1982 Nr. 49 und vom 10. August 1990, LGBl. 1990 Nr. 47; zur Kritik
an den beiden letztgenannten Notverordnungen siehe Martin Batliner, Politische
Volksrechte, S. 18 Fn. 17 und Arno Waschkuhn, Politisches System Liechtensteins,
S. 122 f.
78 So Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 77 und an
ihn anschliessend Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 163 unter Bezug-
nahme auf Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 77; Gerard Batliner, Parlament,
S. 32 ff.; Michael Ritter, Beamtenrecht, S. 67 Fn. 52.
322
Notstandsverordnungs- bzw. Notverordnungsrecht
halb des Art. 10 Abs. 1 LV klar von der anderen, vorangehenden Vor-
schrift abhebt, die dem Landesfürsten ein Verordnungsrecht einräumt,
das er unter Bezugnahme auf Art. 92 LV im Wege der Regierung ausübt.
Aus dieser Zusammenschau von Wortlaut, Geschichte und Systematik
ergibt sich, dass das Notstandsverordnungsrecht dem Landesfürsten
zuzusprechen ist.”
II. Inhalt und Umfang
Art. 10 LV gestaltet sowohl in der Urfassung von 1921 als auch in der
revidierten Fassung von 2003 das Notverordnungsrecht offen im Tatbe-
stand («in dringenden Fällen»), in den Zielen («zur Sicherheit und Wohl-
fahrt») und in den Mitteln («das Nötige»).% Das Notstandsrecht wird
nicht näher geregelt.
Ein Notstand liegt vor, wenn der Bestand des Staates oder andere
elementare öffentliche Interessen bedroht sind und die ordentliche
Rechtsordnung nicht in der Lage ist, rechtzeitig und angemessen zu rea-
gieren.$! Solche Notlagen können Fälle von Katastrophen, wie Erdbe-
ben, Überschwemmungen, Epidemien und von wirtschaftlichen oder
politischen Krisen grössten Ausmasses darstellen.®
79 Zu dieser Verfassungsauslegung siehe Christian Hillgruber, Verfassungsinterpreta-
tion, S. 522 ff. Rz. 37 ff.; vgl. für Liechtenstein Tobias Michael Wille, Verfassungs-
und Grundrechtsauslegung, S. 161 ff. (173 f.).
80 Gerard Batliner / Andreas Kley/ Herbert Wille, Memorandum, 5. 7. Vgl. auch Ernst
Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 132.
81 So die Begriffsumschreibung bei Andreas Schurti, Das Verordnungsrecht der Regie-
rung, S. 244 mit weiteren Literaturhinweisen; ähnlich auch Walter Haller / Alfred
Kölz/Thomas Gächter, Allgemeines Staatsrecht, S. 127 Rz. 422. Danach liegt ein
Staatsnotstand vor, «wenn die Existenz des Staates oder die staatliche Aufgabener-
füllung durch schwerwiegende Gefahren bedroht wird, deren Abwehr mit dem
ordentlichen Instrumentarium des Rechts nicht möglich ist». Nach Günther Wink-
ler, Verfassungsreform, S. 203 kommen Notverordnungen nur dann infrage, «wenn
die Formen normalen staatsrechtlichen Handelns versagen, etwa weil der Anlass ein
nicht vorhersehbarer, ungewöhnlicher Ausnahmezustand von einer anhaltenden
unmittelbaren Wirkung ist, ferner weil der Landtag handlungsunfähig geworden ist
oder nicht zusammentreten kann und dennoch rasches Handeln geboten erscheint.»
82 Vesl. die Aufzählung von Notsituationen bei Ernst Pappermann, Die Regierung des
Fürstentums Liechtenstein, S. 132.
323
Ausschliesslicher Kompetenzbereich des Landesfürsten — Alleinzuständigkeiten
Ob eine solche Notsituation gegeben ist, entscheidet der Landesfürst
nach freiem Ermessen. Er legt fest, ob und wann und in welchem
Umfang er vom Notstandsrecht Gebrauch machen will. Er hat die
«Kompetenzkompetenz», d. h. «die Kompetenz, den Inhalt seiner Kom-
petenz in starkem Mass allein und endgültig zu definieren und zu
bestimmen» (sogenannte Selbstermächtigung).® Genauso weitreichend
sind die Notstandsmassnahmen, die der Landesfürst ergreifen kann. Das
Notstandsrecht («in dringenden Fällen») ist so weit gefasst, dass es sich
sowohl auf Gesetzgebungs- als auch auf andere Fälle des Notstandes
erstreckt.# Die Rechtswirkung der getroffenen Anordnungen hängt
nicht von der Zustimmung des Landtages ab, wie dies in den konstitu-
tionellen Verfassungen üblich war.® Der Landesfürst kann den Landtag
einseitig auflösen und auch die Regierung jederzeit entlassen. Nach
Ablauf der sechsmonatigen Frist kann er erneut Notverordnungen erlas-
sen. Er nimmt so gesehen die Stellung eines «Ersatzgesetzgebers» ein.%
Als Mittel können Einzelmassnahmen, wie Verfügungen gegenüber
einzelnen Personen oder die Auflösung des Landtages oder generelle
Anordnungen infrage kommen, die in Form der Notverordnung erge-
hen.” Sie benötigen die Gegenzeichnung des Regierungschefs. Ist aller-
dings ein Regierungsmitglied nicht mehr vorhanden, das zur Ausübung
des Amtes befugt ist, kann der Landesfürst eine Notverordnung auch
ohne Gegenzeichnung erlassen. Dies ist beispielsweise dann der Fall,
wenn die Regierung durch Vertrauensentzug des Landesfürsten ihr Amt
83 Nach Rene Rhinow, Rechtsgutachten, S. 57 wird, soweit eine Regelung des Not-
standes in der Verfassung erfolgt, verlangt, dass das mit der besonderen Notstands-
kompetenz ausgestattete Organ nicht selber über das Vorliegen eines Staatsnotstan-
des entscheiden kann. Kritisch auch Gerard Batliner / Andreas Kley/Herbert Wille,
Memorandum, 5. 8 f.
84 Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 132.
85 Vgl. Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 164 f.
86 Formulierung in Anlehnung an Markus Gehrlein, Bundespräsident, S. 281, der sie
im Zusammenhang mit dem «berühmt berüchtigten» Notverordnungsrecht des
Reichspräsidenten unter der Weimarer Verfassung von 1919 (Art. 48) verwendet.
87 Günther Winkler, Verfassungsrecht, S. 81 bezeichnet das Notverordnungsrecht als
eine «ausserordentliche staatsrechtliche Handlungsform für Notfälle».
88 Wird der Regierungschef wegen der Gegenzeichnung einer Notstandsverordnung
strafrechtlich zur Verantwortung gezogen, hat der Fürst aufgrund von Art. 12
Abs. 1 LV die Kompetenz, das Verfahren niederzuschlagen. Siehe dazu Ernst
Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 125 ff.
324
Notstandsverordnungs- bzw. Notverordnungsrecht
verliert. Notverordnungen stehen auf der Stufe von formellen Gesetzen
und können diese aufheben oder abändern.®
Die Notstandsmassnahmen haben sich aber im Rahmen des «Nöti-
gen» zu halten, was nichts anderes heisst, als dass sie verhältnismässig
sein müssen.” Der Landesfürst darf nur das «Nötige» vorkehren, «d. h.
er muss den Grundsatz der Verhältnismässigkeit beachten und darf von
der Verfassung und den Gesetzen nur so weit abweichen, wie das unbe-
dingt zur Behebung der Notlage erforderlich ist.»?!
III. Abgrenzungen
Das Notstandsverordnungsrecht ist gegenüber dem einfachgesetzlichen
Polizeirecht abzugrenzen, wie es in Art. 137 LVG®, in Art. 2 Abs. 1 Bst.
a und b sowie Abs. 2, Art. 22 ff. PoIlG oder in Art. 52 Abs. 4 GemG anzu-
treffen ist.” Die Polizeigeneralklausel deckt nur «kleine» und überschau-
bare Notstände* und ersetzt im Notfall nur die fehlende formell-gesetz-
liche Grundlage.® Im Zweiten Weltkrieg sind mit Verfassungsgesetzen
ausserordentliche Vollmachten auf die Regierung übertragen worden.
Dabei handelte es sich um extrakonstitutionelles Staatsnotrecht.®
89 Vgl. StGH 1980/7, Entscheidung vom 10. November 1980, LES 1982, S. 1 (2) und
dazu Andreas Kley, Grundriss, S. 48 und 201 und Herbert Wille, Normenkontrolle,
S. 216 f.
90 Vgl. auch Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 202.
91 Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 134 mit weite-
ren Literaturhinweisen.
92 Art. 137 LVG behandelt die Fälle der «Landsnöte» und «Landsrettung», auf die
nach Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 79 «das Staatsnotrecht in Form der Not-
verordnung» nicht zur Anwendung gelangt, «weil eben durch besondere gesetzliche
Bestimmung der Regierung die Mittel zur Abwehr von Gefahren in die Hand gege-
ben sind.»
93 Vgl. auch das inzwischen aufgehobene Gesetz vom 8. Mai 1991 über Massnahmen
im Wirtschaftsverkehr, LGBl. 1991 Nr. 41, aufgehoben durch Art. 16 des Gesetzes
vom 10. Dezember 2008 über die Durchsetzung internationaler Sanktionen (ISG),
LGBl. 2009 Nr. 41.
94 Andreas Kley, Grundriss, S. 198.
95 Andreas Kley, Grundriss, S. 200 unter Hinweis auf SIGH 1986/11, LES 1988, S. 45
(48).
9% Vgl. Andreas Kley, Grundriss, S. 198 und 200; zum Gesetz vom 30. Mai 1933 betref-
fend die Erteilung besonderer Vollmachten an die Regierung (Ermächtigungsge-
325
Ausschliesslicher Kompetenzbereich des Landesfürsten — Alleinzuständigkeiten
Nach Andreas Schurti” bleibt das Polizeirecht an das ordentliche Recht
gebunden, während das Notrecht eine «ausserordentliche Rechtsord-
nung auf Verfassungs-, Gesetzes und Verordnungsstufe darstellt», da es
nicht wie dieses «elementare Interessen des Staates oder gar dessen
Bestand» schützt. Das Polizeirecht zielt auf den Schutz der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung, d. h. die polizeilichen Schutzgüter.® Unter die-
sem Aspekt ist beispielsweise die Fürstliche (Not-)Verordnung vom 13.
Juli 1982 dem Polizeirecht und nicht dem Notstandsrecht zuzuordnen.”
Das Notrecht unterscheidet sich auch vom Dringlichkeitsrecht,
wonach der Landtag bei zeitlicher Dringlichkeit und sachlicher Not-
wendigkeit ein Gesetz oder einen Finanzbeschluss als dringlich erklären,
d. h. dem Referendumsrecht der Stimmbürger und Stimmbürgerinnen
entziehen kann.!® In diesem Zusammenhang ist das öffentliche Interesse
bestimmend. Demgegenüber wendet das Notrecht Gefahren ab, die die
Existenz des Staates bedrohen. In der Lehre und Praxis werden das
Staatsnotrecht und das Dringlichkeitsrecht vermengt.!°!
IV. Verhältnis zu anderen Staatsorganen
Der Fürst hat im Falle des Notstandes umfangreiche Vollmachten. So ist
er befugt, die entsprechenden administrativen, legislativen und judikati-
setz), LGBI. 1933 Nr. 8; siehe Andreas Schurti, Das Verordnungsrecht der Regie-
rung, S. 250 f.
97 Andreas Schurti, Das Verordnungsrecht der Regierung, S. 244 f.
98 Zu den polizeilichen Schutzgütern und zur Polizeigeneralklausel siehe Herbert
Wille, Verwaltungsrecht, S. 465 ff. bzw. S. 536 ff.
99 So zu Recht Andreas Schurti, Das Verordnungsrecht der Regierung, S. 245 Fn. 2.
100 Vgl. Andreas Schurti, Das Verordnungsrecht der Regierung, S. 245 ff. und S. 153 f.;
Gerard Batliner, Parlament, 5. 23 f.
101 Vgl. Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 132; Chri-
stine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 248 f., die die Notverordnungen in Bezug
auf die Inkraftsetzung des schweizerischen Betäubungsmittelgesetzes, LGBI. 1982
Nr. 49, und die Verhängung von Boykottmassnahmen gegen den Irak, LGBl. 1990
Nr. 47, als Fälle des «Gesetzgebungsnotstandes» bezeichnet, den sie dem Staatsnot-
stand gleichsetzt, obwohl die Existenz des Fürstentums Liechtenstein nicht bedroht
gewesen ist. Rene Rhinow, Rechtsgutachten, S. 64 weist daher darauf hin, dass ein
solcher «Gesetzgebungsnotstand» nicht mit einem Staatsnotstand zu vergleichen ist.
Dazu steht das Dringlichkeitsrecht zur Verfügung, sodass das verfassungsrechtlich
vorgesehene Gesetzgebungsverfahren einzuhalten ist.
326
Notstandsverordnungs- bzw. Notverordnungsrecht
ven Massnahmen zu ergreifen und Entscheidungen anstelle anderer
Staatsorgane zu treffen oder deren Entscheidungen aufzuheben. Diese
Vollmachten tangieren das Gewaltenteilungsgefüge der Verfassung. Der
Fürst hat also das Recht, die gesamte Gewaltenteilung für eine Zeit von
sechs Monaten ausser Kraft zu setzen. Die Bedeutung dieser Notrechts-
kompetenz besteht nicht in seiner konkreten Anwendung in der Praxis,
sondern in der mittelbaren Wirkung auf das Verhältnis zu den anderen
Staatsorganen. Der Fürst als alleiniger Inhaber der Notstandsgewalt
erhält mit dieser Ermächtigung eine «Sondersouveränität».!% Eine derart
weitreichende Notrechtskompetenz entfaltet über den Ausnahmezu-
stand hinaus eine besondere Wirkung im «normalen» Verfassungsleben.
Die Befugnisse der anderen Staatsorgane stehen unter dem «diskretionä-
ren Suspendierungsvorbehalt» des Fürsten.!®
Aufgaben, die sonst dem (gemeinsamen) Gesetzgeber obliegen,
werden im Notstandsfall vom Landesfürsten allein wahrgenommen. Das
Notverordnungsrecht beinhaltet eine Kompetenzverlagerung im Bereich
der Legislative, innerhalb der Gesetzgebungsorgane, Fürst und Landtag
(Volk) bzw. eine Kompetenzverschiebung zugunsten des Fürsten.
Solche Notverordnungen des Fürsten können Gegenstand der
Normenkontrolle durch den Staatsgerichtshof sein oder sie können im
Wege des Individualantrags beim Staatsgerichtshof angefochten wer-
den,!% sofern die einschlägigen Bestimmungen bzw. das Gesetz vom
27. November 2003 über den Staatsgerichtshof im Rahmen der Not-
standsmassnahmen nicht ausser Kraft gesetzt worden sind. Insoweit
könnte der Staatsgerichtshof auch prüfen, ob der Grundsatz der Ver-
hältnismässigkeit eingehalten worden ist.!® Krasse Verstösse gegen den
Verhältnismässigkeitsgrundsatz verletzen nämlich das Willkürverbot.!%
102 Formulierung in Anlehnung an Markus C. Kerber, Ausnahmezustand, S. 545.
103 Vgl. Markus C. Kerber, Ausnahmezustand, S. 545. Dem Einwand von Günther
Winkler, Verfassungsreform, S. 204, 206 und 210, es gehe nur um eine Ermächtigung
für eine Ausnahmesituation und habe im Verfassungsalltag geringe Bedeutung,
widerspricht die Verfassungswirklichkeit. Siehe das «Fallbeispiel», das Gerard Bat-
liner, Aktuelle Fragen, S. 54 f. Rz. 103 f. erwähnt.
104 Vgl. SIGHG Art. 15 Abs. 3 und Art. 18 und 19; siehe dazu Tobias Michael Wille,
Verfassungsprozessrecht, S. 199 f.
105 Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 134 bringt
diesbezüglich unter der alten Rechtslage (LGBl. 1925 Nr. 8) noch Zweifel an.
106 Vgl. Hugo Vogt, Das Willkürverbot und der Gleichheitsgrundsatz, S. 214.
327
Ausschliesslicher Kompetenzbereich des Landesfürsten — Alleinzuständigkeiten
$5 EINBERUFUNG, SCHLIESSUNG, VERTAGUNG
UND AUFLÖSUNG DES LANDTAGES
I. Herkunft und Entwicklung
1. Allgemeines
Die Institute der Einberufung, Schliessung, Vertagung und Auflösung
des Landtages gehen auf die Konstitutionelle Verfassung von 1862
zurück.!” Sie haben allerdings einen Bedeutungswandel erfahren, der
mit der veränderten Stellung des Fürsten und den Rechten des Volkes
zusammenhängt.
2. Landständische Verfassung von 1818
Zur Landständischen Verfassung von 1818 lassen sich kaum Bezugs-
punkte herstellen.!® Ihr Ständelandtag entstammt noch der Zeit der
absoluten Fürstenherrschaft. Er beruht nicht auf dem Eigenrecht der
Mitglieder. Die Landstände verbleiben vielmehr noch ganz im Einfluss-
bereich des souveränen Fürsten, der sie einberuft und die Dauer ihrer
Verhandlungen bestimmt, d. h. er vertagt und schliesst sie. Sie haben
dementsprechend keine Rechte. Es obliegt dem Fürsten, zur «ordentli-
chen Versammlung der Stände» auf das Ende eines jeden Jahres «einen
Landtag aus(zu)schreiben», dessen Sitzung der «landesfürstliche Com-
missarius» eröffnet und schliesst. Dieser nimmt zugleich auch den Vor-
sitz ein und leitet die Geschäfte. Er kann auch, «wenn es nöthig seyn
sollte», während der ordentlichen bzw. laufenden Landtagsperiode die
Stände zu einer ausserordentlichen Versammlung einberufen.!® Wie es
dem absoluten Herrschaftssystem entspricht, ist es den Ständen unter-
sagt, sich eigenmächtig, d. h. ohne vorhergegangene Einladung zu ver-
sammeln oder die Sitzung zu verlängern.!!° Der Fürst ist unter dem
107 Vgl. $$ 90, 91 und 101 KV 1862.
108 Das Selbstversammlungsverbot des Landtages erinnert an diese Verfassungsphase.
109 Vgl. $ 9 Landständische Verfassung von 1818.
110 Vgl. $ 10 Landständische Verfassung von 1818.
328
Einberufung, Schliessung, Vertagung und Auflösung des Landtages
Regime der Landständischen Verfassung von 1818 auch nicht gehalten,
die Landstände einzuberufen, wie das Beispiel aus der Revolutions- und
Reaktionszeit (1847 bis 1857) zeigt, in der eine Einberufung unterblie-
ben ist. Die prekäre Haushaltslage veranlasste 1857 den Fürsten, für das
Jahr 1858 wieder eine Steuer auszuschreiben, sodass er zu diesem Zweck
wie bisher die Landstände nach den Vorgaben der Landständischen Ver-
fassung von 1818 einberufen hat.!!!
3. Konstitutionelle Verfassung von 1862
Auch die Konstitutionelle Verfassung von 1862 behält dem Fürsten
allein das Recht vor, sowohl den ordentlichen als auch den ausseror-
dentlichen Landtag einzuberufen, ihn zu schliessen und aus erheblichen
Gründen, die der Versammlung jedes Mal mitzuteilen sind, auf drei
Monate zu vertagen oder aufzulösen ($ 90).
Diese Rechte hat ihm zuvor schon der Verfassungsentwurf des Ver-
fassungsrates vom 1. Oktober 1848 in $ 39 zugestanden. Auffallend ist
dabei, dass der Fürst die Auflösung und Vertagung nicht zu rechtferti-
gen hat. Der Landrath versammelt sich ordentlich alle Jahre Anfang
März, ausserordentlich, sooft er vom Fürsten dazu (ein)berufen wird
($ 73). Eine Vertagung des Landrathes kann längstens auf vierzig Tage
stattfinden. Die Ausschreibungen zur neuen Wahl müssen spätestens
vierzig Tage nach geschehener Auflösung erfolgen ($ 74).
Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 verlängert die Fristen. So
sind nach erfolgter Auflösung des Landtages innerhalb von vier Mona-
ten eine neue Wahl anzuordnen und die neu gewählten Landtagsmit-
glieder wieder einzuberufen. Die gleiche Frist gilt auch im Falle der Ver-
tagung des Landtages ($ 93). Ein ausserordentlicher Landtag ist bei
Regierungswechsel binnen dreissig Tagen nach «eingetretener Regie-
rungsveränderung» anzuberaumen und binnen sechzig Tagen, wenn der
Landtag vorher aufgelöst worden ist, sodass die Wahlen dementspre-
chend zu «beschleunigen» sind ($ 94). Dem Landtag steht weder ein Selbst-
versammlungs- noch ein Selbstauflösungsrecht zu. Er kann seine Rechte
nur «in der gesetzlich constituirten Versammlung» ausüben ($ 96).
111 Vgl. Peter Geiger, Geschichte, S. 177 ff. und S. 225 f.
329
Ausschliesslicher Kompetenzbereich des Landesfürsten — Alleinzuständigkeiten
Die Verknüpfung des Auflösungs- und Vertagungsrechts des Fürsten
mit der befristeten, obligatorischen Wiedereinberufung bzw. Wiederver-
sammlung des Landtages innerhalb einer bestimmten Frist ist ein «mar-
kantes Indiz für eine Fortentwicklung vom absolutistischen zum kon-
stitutionellen System».!!? Die Geschäftsordnung des Landtages vom
29. März 1863!!3 bleibt unter der Dominanz des monarchischen Prin-
zips. Sie ist zwar vom Landtag beschlossen, aber auf Antrag der fürstli-
chen Regierung von Fürst Johann II. genehmigt worden. !!*
Das Auflösungsrecht des Fürsten ist an keine verfassungsrechtli-
chen Schranken gebunden. Ob «erhebliche Gründe» im Sinne von $ 90
der Konstitutionellen Verfassung von 1862 einen solchen Akt rechtferti-
gen, bestimmt der Fürst. Er definiert mit anderen Worten im Wesentli-
chen die Bedingungen selbst. Das Gegenzeichnungsrecht des Landesver-
wesers kann nicht als Interorgankontrolle betrachtet werden, da der Lan-
desverweser ein Beamter des Fürsten ist, sodass sie so gesehen verfas-
sungspolitisch eine Einheit bilden.!!5 Im Übrigen ist eine Gegenzeich-
nungspflicht des Landesverwesers nur bei Gesetzen und Verordnungen
vorgeschrieben. !!° Der Landesfürst verordnet zwar die Zusammenkunft,
nicht aber die Auflösung des Landtages.!!7 Im Konstitutionalismus bildet
das landesherrliche Parlamentsauflösungsrecht, das nicht an Vorausset-
zungen gebunden ist, ein wichtiges und wirksames Mittel zur Diszipli-
nierung der Volksvertretung, wenn sich diese der monarchischen Regie-
rung widersetzte.!!8 Das Recht des Landtages, sich zu versammeln, ist
dem «Souveränitäts- und Staatsgewaltsvorbehalt»!!? des Fürsten unterge-
ordnet, insoweit die Konstitutionelle Verfassung von 1862 nicht Fristen
setzt, die ihn zur Einberufung des Landtages verpflichten.!? Eine solche
Regelung schränkt die Stellung des Landtages als «(Mit-)Gesetzgeber»
gegenüber dem Landesfürsten ein. Die Konstitutionelle Verfassung von
1862 weist ihn in $ 2 als den souveränen Träger der Staatsgewalt aus. Er
112 Vgl. Dieter C. Umbach, Parlamentsauflösung, S. 21.
113 LGBl 1863 Nr. 1.
114 Vgl. die Einleitungsformel zu LGBl. 1863 Nr. 1.
115 Vgl. Dieter C. Umbach, Parlamentsauflösung, S. 505.
116 Siehe $ 94 Abs. 2 Amtsinstruktion von 1862.
117 Vgl. zur Einberufung $ 91 KV 1862.
118 So Georg Hermes, Art. 68 GG, S. 1277 Rz. 1.
119 Formulierung in Anlehnung an Dieter C. Umbach, Parlamentsauflösung, S. 109.
120 Vgl. $$ 92, 93 und 94 KV 1862.
330
Einberufung, Schliessung, Vertagung und Auflösung des Landtages
bedarf demzufolge für seine Befugnisse auch keines ausdrücklichen
Rechtstitels. Sie werden denn auch in der Konstitutionellen Verfassung
von 1862 nur im Zusammenhang mit dem Landtag erwähnt.!?!
II. Verfassung von 1921
1. Inhalt und Umfang
a) Allgemeines
Die Verfassung von 1921 verankert die Staatsgewalt in Fürst und Volk.
Der Fürst vereinigt in sich nicht mehr die gesamte Staatsgewalt. Er teilt
sie als Staatsorgan mit dem Volk, dessen Repräsentativorgan der Land-
tag ist, der auf diese Weise zum Mit-Träger der gesetzgebenden Gewalt
wird. Zu dessen Schutz hat beispielsweise schon die Konstitutionelle
Verfassung von 1862 in $ 93 vorgeschrieben, dass der Landesfürst nach
erfolgter Auflösung eine neue Wahl und eine Wiedereinberufung der neu
gewählten Landtagsmitglieder anzuordnen hat. Das Gleiche gilt auch bei
der Vertagung des Landtages. Diese Vorschrift verhindert, dass der
Landtag als (Mit-)Gesetzgeber ausgeschaltet wird, da er seine Rechte nur
wahrnehmen kann, wenn er gesetzmässig versammelt ist. Dies setzt wie-
derum eine Einberufung voraus. !22
Nachdem auch das Volk Träger der Staatsgewalt ist und die konsti-
tutionelle Erbmonarchie auf eine demokratische und parlamentarische
Grundlage gestellt worden ist, ist es nur konsequent, wenn die Einberu-
fungs- und Auflösungskompetenz auch auf das Volk übertragen wird.
Als Vorrechte, die der Fürst bisher aus dem monarchischen Prinzip
ableitete, verbleiben ihm das Recht, den Landtag zu vertagen, aufzulösen
und zu schliessen, wobei die Schliessung des Landtages in der Praxis
lediglich einem formellen Akt gleichkommt.!?
121 Siehe Siebentes Hauptstück. Vom Landtage ($$ 89-109); anders noch $ 39 des Ver-
fassungsentwurfs des ständischen Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848, der unter
dem Titel II «Der Fürst und seine Rechte» aufgeführt wird. Er ordnet das Recht,
den Landrath «ordentlich oder ausserordentlich zu berufen, zu schliessen, zu verta-
gen und gänzlich aufzulösen», dem Fürsten zu.
122 Zur Ausschaltung des Landtages von der Gesetzgebungstätigkeit siehe Ernst Pap-
permann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 128 ff.
123 Vgl. Gerard Batliner, Parlament, S. 111.
331
Ausschliesslicher Kompetenzbereich des Landesfürsten — Alleinzuständigkeiten
Zählte das Einberufungs- und Auflösungsrecht unter der Konstitutio-
nellen Verfassung von 1862 noch zu den Allein-Kompetenzen des Fürs-
ten, so muss er diese Rechte nach der Verfassung von 1921 mit dem Volk
teilen, das neben ihm zum Einberufungs- und Auflösungsorgan gewor-
den ist. Dies wertet die Stellung des Volkes und diejenige des Landtages
auf, der als (Mit-)Gesetzgeber erst aktiv werden kann, wenn er versam-
melt ist, d. h. «gesetzlich konstituiert» ist. Diese Konstituierung hängt —
wie schon erwähnt — von der Einberufung ab, zu der nun auch das
Stimmvolk berechtigt ist.
So gesehen beginnt die Mandatsperiode nicht schon mit der erfolg-
ten Landtagswahl, sondern erst im Zeitpunkt der Versammlung. !?*
b) Begriffsbestimmungen
Die Auflösung des Landtages beinhaltet die vorzeitige Beendigung der
Mandatsdauer bzw. Legislaturperiode, die den Zeitraum vom Wahltag
bis zum nächsten Wahltag, der vier Jahre dauert, absteckt. Sie gliedert
sich in Sitzungsperioden (Sessionen), die mit der Eröffnung des Landta-
ges beginnen und mit der Schliessung endigen. Die Auflösung ist von der
Vertagung und der Schliessung des Landtages zu unterscheiden. Die
Vertagung unterbricht die Sitzungen (Tagungen)! und verschiebt sie
innerhalb der Sitzungsperiode auf einen anderen Termin bzw. setzt die
Verhandlungen des Landtages innerhalb der Sitzungsperiode aus, wäh-
rend die Mandatsdauer bzw. Legislaturperiode fortbesteht. Die Schlies-
sung beendet die Sitzungsperiode des Landtages, hat aber auf die Man-
datsdauer bzw. Legislaturperiode keinen Einfluss. Die Mandatsdauer
bzw. Legislaturperiode erstreckt sich bis zu ihrem gesetzlich bestimmten
Ende, sofern der Landtag nicht vorher aufgelöst wird. 126
124 Vgl. Gerard Batliner, Parlament, S. 99, der vermerkt, dass die «Anfangs- und End-
punkte der Mandatsdauer» nicht völlig geklärt sind. Vgl. auch Roger Beck, Landtag,
S. 156 f.
125 Der Landtag tritt innerhalb der Sitzungsperioden zu Sitzungen zusammen, die,
abgesehen von der Eröffnungssitzung, gemäss Art. 49 Abs. 2 LV und Art. 18 Abs. 1
GOLT der Landtagspräsident in Absprache mit dem Landtagspräsidium anordnet.
126 In Anlehnung an Enno Starke, Parlamentsauflösung, S. 1; vgl. auch Gerard Batliner,
Parlament, S. 99 ff.
332
Einberufung, Schliessung, Vertagung und Auflösung des Landtages
2. Die einzelnen Rechtsinstitute
a) Einberufung
Der Landesfürst beruft zu Beginn der jährlichen Sitzungsperiode den
Landtag ein.!? Diese Einberufung, die auch Ladung zur Eröffnungssit-
zung genannt wird,!?® erfolgt in der Regel??? mit landesfürstlicher Ver-
ordnung.!® Eine ausserordentliche Einberufung findet auf begründetes,
schriftliches Verlangen von wenigstens 1000 Stimmberechtigten oder auf
Gemeindeversammlungsbeschluss von mindestens drei Gemeinden
statt.!? In diesem Fall beruft der Landtagspräsident den Landtag ein.!??
Soweit es die Umstände erfordern, ist auch der Landesausschuss
berechtigt und verpflichtet, beim Fürsten die Einberufung des Landtages
zu beantragen. !3
b) Schliessung
Der Landesfürst schliesst den Landtag.!* Er bevollmächtigt damit in der
Staatspraxis den Regierungschef.!® Die Schliessung des Landtages ist vor
versammeltem Landtag vorzunehmen. Sie beendet die Sitzungsperiode.
c) Vertagung und Auflösung
Der Landesfürst ist berechtigt, den Landtag «aus erheblichen Grün-
den»13%, die er der Versammlung jedes Mal mitzuteilen hat, zu vertagen
und aufzulösen.!” Das heisst, dass er die Vertagung und Auflösung nur
127 Siehe Art. 49 Abs. 1 LV.
128 Vgl. Gerard Batliner, Parlament, S. 100.
129 Siehe zur ausserordentlichen Einberufung Art. 48 Abs. 2 LV und Art. 87 VRG sowie
Art. 4 GOLT.
130 Siehe 49 Abs. 1 LV; vgl. auch Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 231 f.
131 Siehe Art. 48 Abs. 2 LV und Art. 87 VRG.
132 Siehe Art. 87 Abs. 3 VRG und Art. 4 GOLT.
133 Siehe Art. 74 Bst. f LV.
134 Siehe Art. 48 Abs. 1 LV. Dieses Recht steht ihm allein zu.
135 Siehe Art. 55 LV und dazu Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 83 und 88; Chris-
tine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 232.
136 Siehe Gerard Batliner, Parlament, S. 172 f.; ders., Einführung in das liechtensteini-
sche Verfassungsrecht, S. 47 Fn. 73; Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kon-
trolle über die Regierung, S. 62; Roger Beck, Landtag, S. 211 f.
137 Nach Gerard Batliner, Parlament, S.101 Fn. 211, werden die Landtagsauflösungen
durch den Fürsten in der Realität nicht selten durch die Selbstblockade des Land-
333
Ausschliesslicher Kompetenzbereich des Landesfürsten — Alleinzuständigkeiten
vor versammeltem Landtag aussprechen kann.!® Dadurch erhält dieser
die Möglichkeit, Stellung zu beziehen. Wird der Landtag im Wege einer
Volksabstimmung aufgelöst, erklärt die Regierung den Landtag als auf-
gelöst.!? Der Landtag kann sich nicht selbst auflösen.
Eine Vertagung, die der Landesfürst auf höchstens drei Monate
anordnen kann, bewirkt, dass die Sitzungsperiode unterbrochen, nicht
aber beendigt wird,!*° sodass der Landtag nach seinem Wiederzusam-
mentreten seine Arbeit fortsetzen kann.!#! Ist die Vertagungsfrist abge-
laufen, hat der Landesfürst innerhalb eines Monats den Landtag mit
fürstlicher Verordnung wieder einzuberufen.!*?
Im Falle der Auflösung des Landtags durch den Landesfürsten
muss binnen sechs Wochen eine neue Wahl festgesetzt werden, wobei
sodann die neu gewählten Mitglieder des Landtages innerhalb von vier-
zehn Tagen einzuberufen sind.!% Die Folge der Auflösung ist der Ein-
tritt von Neuwahlen. Sie zieht zugleich auch den Schluss der Sitzungs-
periode und der Mandatsdauer nach sich.!**
tags veranlasst, indem in Ausnahme- oder Notfällen eine Fraktion die weitere Mit-
arbeit im Landtag durch Absenz verweigert und diesen auf diese Weise — entgegen
der Präsenzpflicht gemäss Art. 53 LV — beschlussunfähig macht (Zweidrittel-Quo-
rum gemäss Art. 58 Abs. 1 LV). Vgl. zu bisher erfolgten Landtagsauflösungen Arno
Waschkuhn, Politisches System Liechtensteins, S. 133 ff.
138 Siehe Art. 48 Abs. 1 LV.
139 Vgl. Art. 48 Abs. 1 und 3 sowie Art. 86 Abs. 5 VRG. Es ist im Zusammenhang mit
Art. 86 VRG auch von «Abberufung des Landtages» die Rede. Siehe auch Martin
Batliner, Politische Volksrechte, 5. 127 f.
140 Das heisst, dass der Landtag konstituiert bleibt und auf begründetes, schriftliches
Verlangen von 1000 Stimmberechtigten oder von drei Gemeinden in Form überein-
stimmender Gemeindeversammlungsbeschlüsse vom Landtagspräsidenten bzw. von
der Regierung sofort einzuberufen ist. Siehe Art. 48 Abs. 2 IV, Art. 87 Abs. 1 und 5
VRG sowie Art. 4 GOLT. Hier zeigt sich, wie Gerard Batliner, Parlament, S. 101
Fn. 213 bemerkt, «ein systembedingtes Übergewicht des Volkes gegenüber dem
Fürsten, weil der Landtag die Vertretung des Volkes ist».
141 Gerard Batliner, Parlament, S. 101.
142 Siehe Art. 49 Abs. 3 LV. Gemäss Art. 87 Abs. 5 VRG hat der Präsident bzw. die
Regierung den Landtag, der vom Landesfürsten vertagt worden ist, auf begründetes
schriftliches Begehren von wenigstens 1000 Stimmberechtigten oder aufgrund über-
einstimmender Gemeindeversammlungsbeschlüsse von mindestens drei Gemeinden
sofort wieder einzuberufen. Vgl. Gerard Batliner, Parlament, S. 101 Fn. 213.
143 Siehe Art. 50 LV.
144 Vgl. Gerard Batliner, Parlament, S. 100.
334
Einberufung, Schliessung, Vertagung und Auflösung des Landtages
3. Bewertung
Durch das Recht, den Landtag aufzulösen, hat der Fürst neben der Ver-
zögerungsfunktion die Möglichkeit, eine augenblickliche Volksstim-
mung auszunutzen und eine für ihn günstige Zusammensetzung des
Landtags herbeizuführen. Der erhebliche Grund, der dafür angegeben
wird, muss nicht einmal zutreffen. Es genügt, wenn der Fürst diesen
behauptet.!#5
Die Landtagsauflösung stellt so gesehen in der Hand des Fürsten
ein wirksames «Repressionsinstrument» dar.!*46 Die Auflösung beendigt
die Legislaturperiode. Der Landtag ist nicht mehr in der Lage, rechtlich
wirksame Aktivitäten zu entfalten.
Die Vertagung und Schliessung sind typische konstitutionelle Ver-
fassungselemente, wie sie noch in der Verfassung 1921 dem Fürsten vor-
behalten bleiben. Dem Volk steht nur die Einberufung und Auflösung
zu. Es kann im Wege einer Volksabstimmung den Landtag einberufen
oder auflösen. !*7
Im Unterschied zur Einberufung und Schliessung, die in der
Rechtsform einer landesfürstlichen Verordnung ergehen und vom
Regierungschef gegengezeichnet werden, enthält die Verfassung keine
Formvorschriften bzw. näheren Angaben zur Art und Weise, wie die
Auflösung und Vertagung vor sich zu gehen haben. Da es sich um
hoheitliche Akte handelt, wird in der Literatur unter Bezugnahme auf
Art. 85 und 86 LV überwiegend die Meinung vertreten, dass der Aus-
spruch über die Auflösung und Vertagung des Landtages zu ihrer Gül-
tigkeit der Gegenzeichnung durch den verantwortlichen Regierungschef
bedarf.!4® Die Gegenzeichnungspflicht schützt aus konstitutioneller
145 So Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 129.
146 Nach Enno Starke, Parlamentsauflösung, S.7 kann das Auflösungsrecht «die
Gestalt einer Waffe in der Hand der Regierung (im vorliegenden Fall des Landes-
fürsten) im Kampf um die Behauptung der innerstaatlichen Macht annehmen».
Siehe Georg Hermes, Art. 68 GG, S. 1277 Rz. 1.
147 Vel. Art. 48 Abs. 2 und 3 LV.
148 Vgl. Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 233 mit Hinweis auf Gerard Batli-
ner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 47; Gregor Steger,
Fürst und Landtag, S. 88, Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über
die Regierung, S. 36 Fn. 23; a. A. Günther Winkler, Begnadigung und Gegenzeich-
nung, S. 56 f.
335
Ausschliesslicher Kompetenzbereich des Landesfürsten — Alleinzuständigkeiten
Sicht auch den Landtag als Institution und schränkt das Auflösungsrecht
des Fürsten ein. Dieser Standpunkt entsprach der Lehre und Praxis des
Staatsrechts des monarchischen Konstitutionalismus.!*® Die Vertagung
und Auflösung des Landtages hatten ihren Rechtsgrund im monar-
chischen Prinzip. !°° Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 hat denn
auch die Gegenzeichnung nur für Gesetze und Verordnungen vorgese-
hen. Einzig die Einberufung des Landtages ist in die Rechtsform der
Verordnung zu kleiden, nicht aber die Vertagung und Auflösung, sodass
eine Gegenzeichnung entfällt.!51! Diese beiden Rechtsinstitute spielten in
der damaligen Staatspraxis kaum eine Rolle.!52
Die Stellung des Landtages in der Verfassung von 1921 ist nur mehr
beschränkt mit derjenigen in der Konstitutionellen Verfassung von 1862
vergleichbar. Das parlamentarische Element wird aufgewertet und ver-
stärkt, wie dies auch Art. 2 LV 1921 zu entnehmen ist.
Es wäre wohl mit dem neu definierten Zusammenwirken von Lan-
desfürst und Volk bzw. Landtag kaum zu vereinbaren, wenn man Akte
wie die Vertagung und Auflösung des Landtages, «die von zentraler Be-
deutung für den Staat und das Staatsleben sind und einschneidende Mass-
nahmen enthalten können», vom Gegenzeichnungserfordernis ausneh-
men würde.!® Der Regierungschef übernimmt mit der Gegenzeichnung
die politische Verantwortung gegenüber dem Landtag. Diese Auffassung
setzte sich im deutschen Staatsrecht schon 1911 durch.!** Die Konstitu-
tionelle Verfassung von 1862 kannte aber noch keine politische Verant-
wortlichkeit der Regierung bzw. des Landesverwesers gegenüber dem
Landtag. Sie bzw. der Landesverweser waren existenziell auf den Landes-
149 Vgl. Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 233.
150 So Dieter C. Umbach, Parlamentsauflösung, S. 90.
151 Siehe $ 94 Abs. 2 Amtsinstruktion von 1862.
152 Siehe als Beispiele die Vertagung des Landtages in der Zeit vom 19. August bis
25. Oktober 1895 und dazu Albert Schädler, Landtag, in: JBL Bd. 4 (1904), S. 42-45.
Zu einer Auflösung des Landtages ist es im Zusammenhang mit dem Münzgesetz
am 18. Januar 1877 und im Zusammenhang mit der Wahlordnung am 19. Februar
1878 gekommen. Vgl. dazu Albert Schädler, Landtag, in: JBL Bd. 3 (1903), S. 29-31
und 3337.
153 Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 237 f. unter Bezugnahme auf Hans von
Frisch, Die Verantwortlichkeit von Monarchen, S. 355, der diese Position für die
ausgehende konstitutionelle Monarchie vertrat.
154 Siehe Michael Elicker, Gedanken zum Ende der Monarchie, S. 211.
336
Regierungsentlassung und Bestellung einer Interimsregierung
fürsten ausgerichtet, d. h. ausschliesslich von seinem Vertrauen abhän-
gig.!55 Das Verhältnis der Regierung zum Landtag und von diesem zum
Landesfürsten ist demnach anders einzuordnen als noch unter der Kon-
stitutionellen Verfassung von 1862. Dies betrifft auch die Gegenzeich-
nung der Vertagung und Auflösung, die an Bedeutung gewonnen hat.
Sowohl die Vertagung als auch die Auflösung sind gegenzeich-
nungsbedürftige Akte des Landesfürsten und ergehen in der Regel mit
fürstlicher Verordnung.!5
$6 REGIERUNGSENTLASSUNG UND BESTELLUNG
EINER INTERIMSREGIERUNG
Die Amtsenthebung bzw. Entlassung der Kollegialregierung (Gesamt-
Regierung) gehört ebenfalls zum Bereich der Alleinzuständigkeiten des
Landesfürsten, sodass sie hier in den Grundzügen erörtert wird.!57
I. Alte und neue Rechtslage
1. Verfassung von 1921 1. d. F. von 1965
Nach Art. 80 LV konnte ein Regierungsmitglied oder die Regierung nur
auf Antrag des Landtages vom Fürsten, also im Einvernehmen mit dem
Landtag, des Amtes enthoben werden. Hatte ein Regierungsmitglied
oder die Regierung aufgrund der Amtsführung das Vertrauen des Land-
tages verloren, konnte dieser beim Landesfürsten die Amtsenthebung
beantragen.
155 So auch wieder gemäss Art. 80 Abs. 1 LV 2003.
156 Siehe Edwin Loebenstein, Ausgewählte Besonderheiten, S. 7 und Christine Weber,
Gegenzeichnungsrecht, S. 232 ff. (238) mit weiteren Literaturhinweisen; zur Land-
tagsauflösung im Zusammenhang mit dem Ultimatum des Fürsten vom 27. 10. 1992
siehe Gerard Batliner, Aktuelle Fragen, S. 55 Rz. 104.
157 Sie ist schon in einem allgemeineren Zusammenhang vorne S. 212 ff. thematisiert
worden.
337
Ausschliesslicher Kompetenzbereich des Landesfürsten — Alleinzuständigkeiten
2. Verfassungsrevision 2003
Die Verfassungsrevision von 2003 behandelt die Entlassung der Regie-
rung und des einzelnen Regierungsmitgliedes gesondert.
Nach Art. 80 Abs. 1 LV kann die (Kollegial-)Regierung je einseitig
vom Landesfürsten oder vom Landtag entlassen werden. Einschränkun-
gen dieses Entlassungsrechts, die mit der Amtsführung in Verbindung
stehen, sieht die Verfassung nicht mehr vor. Es genügt die Mitteilung,
dass sie das Vertrauen des Landesfürsten oder des Landtages verloren
hat. Es handelt sich um einen politischen Entscheid. Der Landtag hat
darüber allerdings einen Beschluss zu fassen.!5® Die Mitteilung bzw. der
Beschluss bewirkt unmittelbar, dass die Befugnis zur Ausübung des
Amtes ipso iure erlischt.
Verliert ein Mitglied der Regierung nach Art. 80 Abs. 2 LV 2003 das
Vertrauen des Landesfürsten oder des Landtages, erfolgt keine einseitige
Entlassung. In diesem Fall ist die Entscheidung über den Verlust der
Befugnis zur Ausübung des Amtes zwischen Landesfürst und Landtag
einvernehmlich zu treffen.
3. Kritik
Die dem Fürsten und dem Landtag eingeräumte Kompetenz zur alleini-
gen Entlassung der Regierung macht das Regierungssystem labil. Die
Regierung gerät in eine je einseitige Abhängigkeit von Fürst und Land-
tag, die ihre Eigenständigkeit als Staats- und Verfassungsorgan gefähr-
det. 159
158 Vgl. Art. 58 Abs. 1 LV, wonach es zu einem gültigen Beschluss des Landtages der
Anwesenheit von wenigstens zwei Drittel der gesetzlichen Zahl der Abgeordneten
und der absoluten Stimmenmehrheit unter den anwesenden Mitgliedern bedarf.
159 Vgl. Gerard Batliner / Andreas Kley/Herbert Wille, Memorandum, S. 12 Ziffer 40.
338
Regierungsentlassung und Bestellung einer Interimsregierung
II. Bestellung der Interimsregierung
1. Folge der Regierungsentlassung
Die Regierungsentlassung hat zur Folge, dass der Landesfürst für die
Zeit bis zum Antritt der neuen Regierung eine Übergangsregierung
bestellt, die «interimistisch» die gesamte Landesverwaltung besorgt.
Art. 79 Abs. 6 LV kommt in diesem Fall nicht zur Anwendung,!®
wonach die bisherige Regierung bis zur Ernennung einer neuen Regie-
rung die Amtsgeschäfte weiterführt. Diese Regelung gilt nur für die
reguläre Beendigung ihrer Amtsdauer, die vier Jahre beträgt.
2. Regierung des Landesfürsten
Bei dieser Übergangsregierung handelt es sich um eine Regierung, die
allein der Landesfürst bestellt.!*! Dieser kann in sie auch Mitglieder der
alten Regierung berufen. Die Übergangsregierung hat sich vor Ablauf
von vier Monaten einer Vertrauensabstimmung im Landtag zu stellen,
sofern nicht schon vorher der Landesfürst einvernehmlich mit dem
Landtag auf dessen Vorschlag eine neue Regierung ernannt hat. Erhält
die Übergangsregierung nicht das Vertrauen des Landtages oder wird die
von ihm vorgeschlagene Regierung vom Landesfürsten nicht ernannt,
kommt keine neue Regierung zustande. Die Folge wird sein, dass der
Landesfürst den Landtag auflöst und Notstandsmassnahmen trifft, die
darin bestehen, dass er die Geschäfte des Landtages und der Regierung
selber ausführt.
Spricht hingegen der Landtag der vom Fürsten eingesetzten Über-
gangsregierung das Vertrauen aus, so ist sie für vier Jahre bestellt.!®? Das
160 Siehe Art. 79 Abs. 6 und Art. 80 Abs. 1 IV.
161 Dieser Verfahrensvorgang erinnert an die Ernennung der Regierung unter der Kon-
stitutionellen Verfassung von 1862, als die Regierungsgewalt noch allein beim Lan-
desfürsten lag. Vgl. $$ 27 und 28 KV 1862 und $ 36 Amtsinstruktion von 1862.
Allerdings besteht ein Unterschied in der Frage der Verantwortlichkeit, die nach LV
1921 auch gegenüber dem Landtag besteht.
162 Vgl. den Kommentar zu Art. 80 des Initiativtextes und BuA Nr. 88/2002 der Regie-
rung vom 1. Oktober 2002, 5. 22 f.
339
Ausschliesslicher Kompetenzbereich des Landesfürsten — Alleinzuständigkeiten
Gleiche gilt, wenn der Landesfürst die vom Landtag vorgeschlagene
Regierung ernennt. Das heisst, dass sich ihre Amtsdauer unter Umstän-
den nicht mit der Legislaturperiode des Landtages deckt, sodass ihr par-
lamentarischer Charakter fraglich wird.!®
$7 BEGNADIGUNG UND NIEDERSCHLAGUNG
VON STRAFVERFAHREN
I. Herkunft und Entwicklung
1. Allgemeines
Gnade zu gewähren, war im Mittelalter Sache des Monarchen, der den
Herrschaftsauftrag von Gott erhalten hatte. Die monarchische Gnaden-
macht ist von Gott abgeleitete Macht.!** Als Richter hatte er, wie es noch
unter dem Regime des Absolutismus der Fall war, die Möglichkeit,
Gnade walten zu lassen.!® In dieser Zeit kommt es aber verschiedentlich
zu Beschränkungen des bis dahin weitgehend ungebundenen landes-
herrlichen Begnadigungsrechts, das neben der Begnadigung eines bereits
abgeurteilten Verbrechers auch die Abolition, d. h. die Niederschlagung
eines bereits eingeleiteten Strafverfahrens umfasste. Nach einem öster-
reichischen Gesetz über Verbrechen und deren Bestrafung aus dem Jahre
1787 soll der Landesherr die Begnadigung nicht willkürlich und nur
unter Beachtung der Grenzen der ihm eingeräumten Befugnisse aus-
üben. Ausserdem soll sie auf bereits abgeurteilte Rechtsbrecher be-
schränkt werden. !6%
163 Zu möglichen Szenarien und zur Kritik siehe Gerard Batliner/ Andreas Kley/Her-
bert Wille, Memorandum, 5. 13 f. Ziffern 47, 48 und 49.
164 Hermann Huba, Gnade im Rechtsstaat, S. 119; vgl. zu den historischen Wurzeln des
Gnadenrechts auch Hans R. Klecatsky, Gnadenrecht, S. 445 ff.
165 Hermann Huba, Gnade im Rechtsstaat, S. 118.
166 Andreas Bauer, Gnade, Sp. 429.
340
Begnadigung und Niederschlagung von Strafverfahren
2. Konstitutionelle Verfassung von 1862
Die konstitutionellen Verfassungen des 19. Jahrhunderts anerkennen das
Begnadigungsrecht des Monarchen,!” engen es aber häufig ein. So hebt
beispielsweise die bayerische Verfassung von 1818 das Recht zur Nie-
derschlagung von Verfahren, die noch nicht beendet sind, auf. Die Kon-
stitutionelle Verfassung von 1862 erwähnt im Unterschied zum Verfas-
sungsentwurf des ständischen Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848,
der das «Begnadigungs- und Strafmilderungsrecht» in $ 36 noch aus-
drücklich dem Fürsten zuweist, das Begnadigungsrecht nicht.!® Dieses
Recht zählt aber fraglos zum Exekutivbereich des Landesfürsten, wie
dies die gleichzeitig mit ihr erlassene Amtsinstruktion von 1862 fest-
hält.!6? Sie unterstellt Gnadensachen und Strafnachlässe, die «mittelst
Bericht durch die fürstliche Hofkanzlei in Wien an den Landesfürsten zu
leiten» sind, der landesherrlichen Verfügung.!7° Diese ist den «Erlässen»
zuzuordnen, wie sie ın $ 29 der Konstitutionellen Verfassung von 1862
genannt sind. Danach bedürfen alle Gesetze und Verordnungen sowie
alle Erlasse, welche vom Fürsten oder einer Regentschaft ausgehen, zu
ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung eines im Lande anwesenden ver-
antwortlichen Beamten, d. h. des Landesverwesers. Diese Verantwort-
167 Vgl. für Österreich Hans R. Klecatsky, Die staatsrechtlichen Wurzeln des Gnaden-
rechts, S. 447 f., der das Gnadenrecht mit der religiös legitimierten Herrschaft des
Monarchen in Verbindung bringt.
168 Demgegenüber erwähnt die Verfassung von Hohenzollern-Sigmaringen von 1833
das Recht der Begnadigung und Abolition in $ 60. Danach steht dem Landesherrn
«das Recht der Begnadigung und Abolition mit Ausnahme der im Tit. XII $ 195
bestimmten Fälle zu; derselbe wird aber bei Ausübung dieser Rechte darauf Rück-
sicht nehmen, dass dem Ansehen und der Wirksamkeit der Strafgeseze nicht zu nahe
getreten werde». Die in $ 195 erwähnten «bestimmten Fälle» betreffen die Staats-
diener. So heisst es dort: «Untersuchungen gegen Staatsdiener wegen Verfassungs-
verlezungen oder Dienstverbrechen, welche entweder auf die an den Landesfürsten
gebrachte Beschwerde oder auf gerichtliche Klage verfügt worden, können nicht
niedergeschlagen, und das Begnadigungsrecht nie dahin ausgedehnt werden, dass
ein durch gerichtliches Erkenntnis in die Entfernung vom Amte verurtheilter Staats-
diener in seiner bisherigen Stelle gelassen, oder in einem andern Staatsdienste wie-
der angestellt würde, es wäre denn, dass in Rücksicht auf Wiederanstellung das
gerichtliche Erkenntnis einen ausdrücklichen Vorbehalt zu Gunsten des Verurtheil-
ten enthielte.» Im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>.
169 Siehe $ 93 Ziffer 6 Amtsinstruktion von 1862.
170 Vöel. für das Abolitionsrecht $ 2 der Strafprozessordnung vom 31. Dezember 1913,
LGBl. 1914 Nr. 3.
341
Ausschliesslicher Kompetenzbereich des Landesfürsten — Alleinzuständigkeiten
lichkeit bezieht sich aber nur auf den Landesfürsten, der ihn ernannt hat.
Der Konstitutionellen Verfassung von 1862 ist nämlich eine Verantwort-
lichkeit des Landesverwesers gegenüber der Volksvertretung sowohl in
politischer als auch in staatsrechtlicher Hinsicht fremd, da er lediglich
ein Beamter des Fürsten und als solcher nicht auch dem Landtag verant-
wortlich ist. Der Fürst konnte einen nicht gefügigen fürstlichen Beam-
ten bzw. den fürstlichen Landesverweser jederzeit entlassen.
3. Verfassung von 1921
Die Verfassung von 1921 regelt das Gnadenrecht als Begnadigungs- und
als Abolitionsrecht in Art. 12 Abs. 1. Dem Landesfürsten steht «das
Recht der Begnadigung, der Milderung und Umwandlung rechtskräftig
zuerkannter Strafen und die Niederschlagung eingeleiteter Untersu-
chungen» zu, wobei er gemäss Abs. 2 das Recht der Begnadigung und
Strafmilderung zugunsten von Regierungsmitgliedern, die wegen ihrer
Amtshandlungen verurteilt worden sind, nur auf Antrag des Landtages
ausüben kann. Dieses Vorgehen wie auch das Gnaden- und Abolitions-
recht nach Art. 12 Abs. 1 LV entspricht inhaltlich dem Verfassungsent-
wurf von Wilhelm Beck aus dem Jahre 1919, der dieses Recht in Art. 33
verankert. Das Abolitionsrecht ist im Rahmen der Strafprozessordnung
auszuüben, wie sie seit 1914 in Kraft steht,!’! auf die der Verfassungsent-
wurf in Art. 33 Abs. 2 ausdrücklich Bezug nimmt. Nichts anderes gilt
für das Abolitionsrecht nach Art. 12 Abs. 1 LV, der den verfahrensrecht-
lichen Teil der einfachgesetzlichen Regelung, d. h. der Strafprozessord-
nung, überlässt. Diese räumt in $ 2 dem Landesfürsten ein unbegrenztes
Abolitionsrecht ein. Daran hat auch die derzeit geltende Strafprozess-
ordnung vom 18. Oktober 1988 nichts geändert, die diese Regelung
inhaltsgleich in $ 2 Abs. 6 übernimmt.
Das Begnadigungsrecht des Landesfürsten erstreckt sich grund-
sätzlich nicht nur auf Tatbestände des Strafgesetzbuches, sondern auch
171 Gesetz vom 31. Dezember 1913 betreffend die Einführung einer Strafprozessord-
nung, LGBl. 1914 Nr. 3: $$ 2 und 236. Es ist durch die Strafprozessordnung vom
18. Oktober 1988, LGBl. 1988 Nr. 62, ersetzt worden, deren $$ 2 Abs. 6 und 256 mit
den vorgenannten Vorschriften der StPO 1913 übereinstimmen. Siehe auch Günther
Winkler, Begnadigung und Gegenzeichnung, S. 16.
342
Begnadigung und Niederschlagung von Strafverfahren
auf solche des Landesverwaltungspflegegesetzes.!7? Es erinnert an den
alten Gnadenbegriff, als Gnade noch einen «Gunstbeweis des Landes-
herrn» bedeutete, sodass er auch Platz im Verwaltungsrecht fand, wo er
heute nach der modernen Lehre, die ihn dem Bereich des Strafrechts
vorbehält, nicht mehr hingehört.!”” Dieses Verständnis von Gnade hat
sich lange halten können und ist auch aus dem Umstand zu erklären,
dass es sich beim Landesverwaltungspflegegesetz um einen österrei-
chischen Entwurf aus der Kaiserzeit (1911 bis 1914) handelt, der ihm als
Vorbild gedient hat.!7*
Die Absätze 1 und 2 von Art. 145 LVG stellen allerdings insoweit
eine Ausnahme dar, als nicht der Landesfürst, sondern die Regierung
oder eine andere Verwaltungsbehörde das Begnadigungsrecht ausübt. So
kann die Regierung von Amtes wegen oder auf Antrag die Strafe auch
ohne einen Strafaufschub gänzlich oder teilweise nachlassen oder aber
den Rest der Strafe nachsehen, wenn es sich um «geringere Verwal-
tungsstrafsachen» handelt oder «wenn sonst besonders rücksichtwür-
dige Umstände in einem Straffalle vorliegen». Ähnlich ist auch bei
«geringfügigen» Verwaltungsstraftaten bei Jugendlichen vorzugehen.
Die Verwaltungsbehörde (Amtsperson) kann im Entscheid davon abse-
hen, eine Strafe zu verhängen «und den Täter nach ernster Verwarnung
zum Wohlverhalten entlassen».
Die Verfassung von 1921 übernimmt das Institut des Gnadenrechts
unverändert in seinem historischen Verständnis. Das heisst, dass sie an
den überkommenen, mit dem Fürsten verbundenen Gnadenbegriff an-
knüpft!” wie er zur Zeit der Konstitutionellen Verfassung von 1862 ge-
golten hat. Sein Bedeutungsgehalt erschliesst sich demnach aus der Ent-
172 Art. 145 Abs. 4 LVG ist zu entnehmen, dass durch die vorstehenden Bestimmungen
(Art. 145 Abs. 1 und 2) «das dem Landesfürsten zustehende Recht auf Begnadigung
nicht berührt» wird. Vgl. auch Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 93 f.
173 Johann-Georg Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 9.
174 Vgl. Andreas Kley, Grundriss, S. 22 und Harry Gstöhl, Verwaltungsbeschwerde-
instanz, S. 144. Nach Johann-Georg Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 9 ist
im Verwaltungsrecht für die Gnade im modernen Verständnis kein Raum. Der Gna-
denbegriff habe sich als «notwendige und selbstverständliche Folge des Untergangs
der (monarchischen) Staatsform» gewandelt.
175 Die Verfassung von 1921 weist ihn noch in ihrer Einleitungsformel als Fürsten «von
Gottes Gnaden» aus. Zur Kritik dieser Formel siehe vorne 5. 137 ff., 181 f. und hin-
ten S. 712 f.
343
Ausschliesslicher Kompetenzbereich des Landesfürsten — Alleinzuständigkeiten
stehungsgeschichte. Die Verfassung von 1921 überträgt denn auch das
Begnadigungsrecht dem Landesfürsten bzw. belässt es bei ihm. Die Ver-
fassung von 1921 schränkt das Begnadigungsrecht gegenüber dem bishe-
rigen Recht nicht ein, sodass sich eine neue Deutungsweise nicht auf-
drängt, sieht man von Art. 12 Abs. 2 ab, der das Recht der Begnadigung
und Strafmilderung zugunsten eines wegen seiner Amtshandlungen ver-
urteilten Mitgliedes der Regierung an den Antrag des Landtages bindet.
II. Begnadigungsrecht
1. Begriff und Inhalt
Das Begnadigungsrecht wird in Art. 12 Abs. 1 LV in einem umfassenden
bzw. in einem engeren und weiteren Sinne verstanden. Es beinhaltet ei-
nerseits die Befugnis, im Einzelfall eine rechtskräftig zuerkannte Strafe
ganz oder teilweise zu erlassen, sie umzuwandeln oder ihre Vollstreckung
auszusetzen und andererseits ein bereits eingeleitetes Verfahren nieder-
zuschlagen.!® Die Begnadigung setzt mit anderen Worten die Rechts-
kraft eines Urteils voraus, während die Niederschlagung ein Verfahren
meint, das noch nicht durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossen ist.
Die Niederschlagung wird allgemein auch als Abolition bezeichnet.
Das Begnadigungsrecht umfasst sowohl individuell-konkrete als
auch generell-abstrakte Akte, schliesst also auch Amnestien ein, die
keine Einzelfallentscheidung darstellen.!77 In der Praxis kann eine
176 Vgl. Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 176 f.; Ernst Pappermann, Die Re-
gierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 125; Gregor Steger, Fürst und Landtag,
S. 90.
177 Vgl. Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 91, der ausführt: «Die Begnadigung ist
entweder eine Einzelbegnadigung, nämlich zu Gunsten individuell bestimmter Per-
sonen, oder eine Amnestie zu Gunsten einer nach sachlichen Gesichtspunkten
bestimmten Personenmehrheit.» Vgl. auch Günther Winkler, Begnadigung und
Gegenzeichnung, S. 15. In der deutschen Staatspraxis wird nach Johann-Georg
Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 15 unterschieden zwischen der Begnadi-
gung, die eine «Einzelfallentscheidung in Form eines Aktes der Exekutive» ist und
der Amnestie, die im Gegensatz zur Gnade keine Einzelfallentscheidung ist, «son-
dern Straffreiheit (und/oder Strafmässigung) für viele nach allgemeinen Merkmalen
in der Form des Gesetzes». Danach gehört in Abgrenzung zur Begnadigung die Ge-
setzesform zum Begriff der Amnestie (S. 123).
344
Begnadigung und Niederschlagung von Strafverfahren
Begnadigung dadurch erfolgen, dass Freiheitsstrafen durch Geldstrafen
ersetzt, Geldstrafen und Freiheitsstrafen herabgesetzt oder erlassen wer-
den, aber auch dadurch, dass für unbedingt ausgesprochene Strafen die
bedingte Strafnachsicht gewährt oder Verurteilte, die ihre Strafe schon
verbüsst haben, bedingt entlassen werden. Sie kann auch in der Nach-
sicht von Rechtsfolgen bestehen.!7®
Das Begnadigungsrecht dient der Korrektur von Härten, die aus-
nahmsweise mit der Anwendung der generellen Norm verbunden sind.
Wenn es Aufgabe der Rechtsprechung ist, dem Gesetz Genüge zu tun,
so der Oberste Gerichtshof, «ist es auf der anderen Seite Aufgabe der
Gnade, Härten im Einzelfall (individuell) zu beseitigen, die durch eine
im Rechtsweg nicht mehr behebbare Gesetzesfolge entstehen.»!7?
Das Begnadigungsrecht steht dem Landesfürsten zu.!® Es zählt zu
den «traditionell dem Staatsoberhaupt zustehenden Befugnissen»18% bzw.
ist eine «typische Befugnis eines Staatsoberhauptes».!? Man kann den
Landesfürsten auch Träger des Begnadigungsrechts nennen.!® Für den
Obersten Gerichtshof liegt es «auf der Hand, dass für diesen Akt der Bil-
ligkeit, welcher die Gesetzesanwendung im Einzelfall souverän korrigie-
ren kann, nur das oberste Organ der Staatsgewalt in Betracht kommt».
Diese Position nimmt der Landesfürst als Staatsoberhaupt ein.!%
2. Rechtscharakter des Gnadenaktes
Eine Gnadenentscheidung des Landesfürsten stellt zweifellos einen
staatlichen Hoheitsakt bzw. einen Akt der «öffentlichen Gewalt»!®5 dar.
Im Schrifttum wird er auch als «gerichtsfreier Hoheitsakt»1% oder als
178 So Karl Kohlegger, Das Gnadenrecht des Landesfürsten, S. 143.
179 Beschluss des OGH vom 30. Mai 1983, LES 3/84, S. 97.
180 Vsgl. Art. 12 Abs. 1 LV und $ 256 Abs. 1 StPO.
181 Klaus Schlaich, Die Funktionen des Bundespräsidenten, S. 545 Rz. 9.
182 Günther Winkler, Begnadigung und Gegenzeichnung, S. 8.
183 Johann-Georg Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 18.
184 Beschluss des OGH vom 30. Mai 1983, LES 3/84, S. 97.
185 So die Terminologie des Art. 15 Abs. 1 SIGHG.
186 Vgl. in Anlehnung an die österreichische Literatur Karl Kohlegger, Das Gnaden-
recht des Landesfürsten, S. 140. Er verweist auf Edwin Loebenstein, Zur Problema-
tik gerichtsfreier Hoheits- und Regierungsakte, S. 591 ff., der die Erweisung von
345
Ausschliesslicher Kompetenzbereich des Landesfürsten — Alleinzuständigkeiten
«Souveränitätsakt»!9 umschrieben. Der Staatsgerichtshof beruft sich auf
die Lehre und lehnt einen rechtlichen Anspruch auf Gewährung von
Gnade aus Gründen mangelnder Justitiabilität zugunsten eines weitge-
hend freien Ermessens ab. Er hält fest, dass das liechtensteinische Recht
kein verfassungsmässiges Recht auf Gnade kennt. !% Bei Art. 12 LV han-
dele es sich um eine Kompetenznorm, die lediglich dem Landesfürsten
das Recht auf Begnadigung einräumt, nicht aber dem Einzelnen einen
rechtlich durchsetzbaren Individualanspruch.!®? Demnach kommen dem
Gnadenwerber keine Rechte zu, die eine negative Gnadenentscheidung
des Landesfürsten verletzen könnten.!”® Die Begnadigung erscheint
unter diesem Blickwinkel als «materiell rechtsfreie Entscheidung» des
Landesfürsten.!*! Für eine gerichtliche Überprüfbarkeit der Ermessens-
Gnadenakten durch das oberste Staatsorgan in eine Nahbeziehung zu den soge-
nannten «gerichtsfreien Hoheitsakten» gebracht habe.
187 Karl Kohlegger, Das Gnadenrecht des Landesfürsten, S. 141 unter Bezugnahme auf
Erwin Melichar, Von der Gewaltentrennung im formellen und materiellen Sinn
unter Berücksichtigung der Abgrenzung von Gerichtsbarkeit und Verwaltung, ins-
besondere auf dem Gebiet des Strafrechtes, S. 64 ff., der die Gnadenbefugnis in
rechtsdogmatischer Sicht den Verwaltungsakten zuordne. «Der Gnadenerweis sei
aber aus dem Wesen der Gnade heraus einer durch das Gesetz näheren Determi-
nierbarkeit unzugänglich.» Dem sei, so Karl Kohlegger, für den liechtensteinischen
Rechtsbereich an sich zuzustimmen, «zumal sich hier der Verwaltungsakt der
Begnadigung zugleich als Souveränitätsakt als einer der beiden Träger der Staatsge-
walt nach Art. 2 der Landesverfassung, nämlich des Fürsten, darstellt». Günther
Winkler, Begnadigung und Gegenzeichnung, S. 40 bemerkt, dass Staatsakte des
Fürsten «keine Verwaltungsakte im herkömmlichen Sinn, sondern Regierungsakte
von unterschiedlicher Provenienz und Reichweite» sind.
188 Nach Stephan Breitenmoser, Rechtsgutachten zur Frage der Konsequenzen des
Urteils des EGMR, S$. 49 gibt es schon rein begrifflich kein «Recht auf Gnade»,
sodass eine Verletzung der EMRK nicht zur Diskussion stehen kann. Denn wer um
Begnadigung nachsuche, befinde sich «rechtmässig aufgrund der Verurteilung durch
ein zuständiges Gericht» in Haft (Art. 5 Abs. 1 Bst. a EMRK), «und falls nicht, so
sollte er ein anderes Rechtsmittel ergreifen».
189 StGH 1989/16 und 1990/3, Urteil vom 21. November 1990, zitiert nach Heinz Josef
Stotter, Die Verfassung, S. 91 f.
190 Siehe bei Christian Mickisch, Die Gnade im Rechtsstaat, S. 162 ff. die Argumente,
die im deutschen Schrifttum gegen die Justitiabilität von Gnadenentscheidungen
vorgebracht werden.
191 Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. II, S. 265. Der Staatsgerichtshof weist in seinem Urteil
vom 21. November 1990 darauf hin, dass sich der Landesfürst bei seiner Gnaden-
entscheidung an die von der Verfassung «vorgegebenen Grundnormen» zu halten
hat. Karl Kohlegger, Das Gnadenrecht des Landesfürsten, S. 140 schliesst einen
346
Begnadigung und Niederschlagung von Strafverfahren
freiheit würde es «angesichts der denkbaren Motivationen an greifbaren
Massstäben fehlen».!? Diese These von der Rechtsfreiheit des Gnaden-
aktes geht auf das überkommene Verständnis der Gnade zurück. Als
«ausserrechtliches Phänomen» kann sie nicht «selbst wieder dem Recht
unterworfen sein»!® oder, wie das deutsche Bundesverfassungsgericht
formuliert,!* «nicht an bestimmte normative Voraussetzungen» gebun-
den sein.
3. Verfahren
Der Verfahrensweg eines Gnadengesuchs richtet sich nach $ 256
StPO.!® Im Regelfall wird ein Gnadengesuch beim Landgericht einge-
reicht und von diesem an das Obergericht weitergeleitet. Dieses kann,
wenn das Gnadengesuch unbegründet ist, es «sogleich» zurückweisen.!®
Kommt es zu Meinungsverschiedenheiten über die Begründetheit zwi-
schen diesen beiden Gerichten oder bei Verfahrensverletzungen kann
sich der Gesuchsteller an den Obersten Gerichtshof wenden, der ein
Beschwerderecht ausdrücklich bejaht hat.!” Insoweit sichert ihm Art. 43
Missbrauch des Gnadenrechtes im Sinne einer verfassungswidrigen Anwendung
nach der «gegenwärtigen Rechtslage» aus. Günther Winkler, Begnadigung und Ge-
genzeichnung, S. 84 meint, «dass die Ausübung des Gnadenrechtes an und für sich
nicht zu einer Einschränkung von Grundrechten führen kann. Sie kann sogar die
Aufhebung einer gerichtlich verfügten Beschränkung von Grundrechten zur Folge
haben.»
192 BVerfGE 25, 352 (362 f.). Auch das deutsche Bundesverwaltungsgericht ist in seinem
Urteil vom 27. Mai 1983 der Ansicht, dass es für eine sinnvolle gerichtliche Nach-
prüfung an inhaltlichen Massstäben fehlt, da dem geltenden Recht weder Vorausset-
zungen zu entnehmen seien, unter denen der Gnadenträger begnadigen müsse, noch
Zwecke und Gesichtspunkte, an denen er seine Entscheidung zu orientieren habe.
Hier wiedergegeben nach Christian Mickisch, Gnade im Rechtsstaat, S. 163.
193 Hermann Huba, Gnade im Rechtsstaat, S. 118.
194 BVerfGE 25, 352 (361).
195 Vgl. Beschluss des F.L. OGH vom 30. Mai 1983, Vr 30/777-182, LES 1984, S. 96
(97 ff.) und Karl Kohlegger, Das Gnadenrecht des Landesfürsten, S. 139 ff., wobei
darauf hinzuweisen ist, dass in der Zwischenzeit die Strafprozessordnung neu
gefasst und $ 236 durch $ 256 ersetzt worden ist. Siehe schon vorne S. 342 Fn. 171.
196 Vgl. $ 256 Abs. 1 StPO. Zur verfahrensrechtlichen Regelung siehe Günther Wink-
ler, Begnadigung und Gegenzeichnung, 5. 15 ff.
197 Vgl. Karl Kohlegger, Das Gnadenrecht des Landesfürsten, S. 141.
347
Ausschliesslicher Kompetenzbereich des Landesfürsten — Alleinzuständigkeiten
LV in Verfahrensfragen ein Beschwerderecht bis zur höchsten Stelle zu.
Es kann ein Gnadengesuch auch unmittelbar an den Landesfürsten
gerichtet werden. Nach $ 256 StPO soll der Landesfürst über Gnaden-
gesuche nicht ohne sachverständige Beratung durch die Gerichte ent-
scheiden. Die Gutachten der Gerichte sind aber für ihn nicht bindend.
Sie sind «nichts anderes als Entscheidungsbehelfe und nicht Entschei-
dungsvorwegnahmen».!® Die Entscheidungsfreiheit bleibt dem Landes-
fürsten inhaltlich in vollem Umfange gewahrt. Das trifft auch auf den
«singulären» Fall des Art. 12 Abs. 2 LV zu. Der Landesfürst hat einem
Antrag des Landtages auf Begnadigung oder Strafmilderung eines wegen
seiner Amtshandlungen verurteilten Mitgliedes der Regierung nicht zu
entsprechen. Dieser Antrag bindet ihn nicht. Ob er von seinem Recht
Gebrauch machen will, bleibt ausschliesslich ihm vorbehalten. Die Ent-
scheidung, die er trifft, ist ein «rechtlich freier» Hoheitsakt.!”
4. Gnadenakt und Gegenzeichnung
Im Schrifttum wird die Frage der Gegenzeichnung von Gnadenakten
des Landesfürsten durch den Regierungschef kontrovers diskutiert, da es
keine einschlägigen Judikate gibt und vor allem verfassungs- und rechts-
staatliche Gründe generell für eine Gegenzeichnungspflicht staatlicher
Hoheitsakte des Fürsten und damit der Gnadenakte sprechen. Nur die
Gegenzeichnung, so wird argumentiert, sichert die Einhaltung der Ver-
fassung.?°®
Günther Winkler?! verneint die Zuständigkeit des Regierungschefs
zur Gegenzeichnung von Gnadenakten des Landesfürsten. Er hält
Begnadigungen in Einzelfällen für «anlassgebundene konkrete Staats-
akte», die als «landesherrliche Resolutionen» ergehen und liest aus
Art. 86 Abs. 2 LV, dass solche Begnadigungen des Landesfürsten nicht
zu jenen Resolutionen gehören, die vom Regierungschef zu beantragen
198 Beschluss des FL. OGH vom 30. Mai 1983, Vr 30/777-182, LES 1984, S. 96 (98).
199 Vgl. Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 94.
200 Vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 87 ff.
und ders., Aktuelle Fragen, S. 46 Rz. 87.
201 Günther Winkler, Begnadigung und Gegenzeichnung, S. 74 f.
348
Begnadigung und Niederschlagung von Strafverfahren
sind. Der Landesfürst könne aber nur Resolutionen erlassen, wenn der
Regierungschef sie beantragt. Eine solche Rechtsansicht teilt Ernst Pap-
permann?® nicht und hält ihr entgegen, dass der Fürst als Staatsober-
haupt auch von sich aus tätig werden und eigene Initiativen verfolgen
könne, wie dies etwa auch auf Begnadigungen in Einzelfällen zutrifft. Er
ist sich jedoch nicht schlüssig, ob ein Gnadenakt der Kontrasignatur
bedarf, da die Praxis in dieser Frage uneinheitlich ist. Für Christine
Weber?® sind es einerseits der besondere Charakter der Strafe und ande-
rerseits die bedeutende Stellung und die weitreichenden Kompetenzen,
die der Landesfürst in der Verfassung einnimmt, die einen «Verzicht auf
das Gegenzeichnungserfordernis» als angezeigt erscheinen lassen.?* Die
Verfassung habe «bewusst die Schwelle zur parlamentarischen Monar-
chie nicht überschritten».
Betrachtet man die Begnadigung im engeren und weiteren Sinne als
eine ihrem Wesen nach freie, nicht rechtfertigungsbedürftige Entschei-
dung,?®5 ist davon auszugehen, dass dieser Hoheitsakt des Landesfürsten
nicht gegenzeichnungspflichtig ist.?%
Eine Änderung des Bedeutungsgehalts kann beim Begnadigungs-
recht des Landesfürsten aufgrund der Entstehungsgeschichte ausge-
schlossen werden. Sie belegt, dass es nicht zu einer Verrechtlichung der
Gnade gekommen ist. Ein «rechtsfreier» Gnadenakt kann aber nicht
Rechte eines Gnadenwerbers verletzen, sodass sich die Frage der staats-
rechtlichen Verantwortlichkeit für Gnadenakte des Landesfürsten nicht
stellt bzw. das Gegenzeichnungserfordernis nicht gegeben ist.?”
202 Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 92 und 95 f.
203 Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 253 ff. (255, 257).
204 Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 260 hält aber die Begnadigung und
Strafmilderung zugunsten von Regierungsmitgliedern im Sinne von Art. 12 Abs. 2
IM, die nur auf Antrag des Landtages erfolgen kann, für gegenzeichnungspflichtig,
da die Einhaltung dieser Einschränkung überprüfbar sei.
205 Christian Mickisch, Die Gnade im Rechtsstaat, S. 162.
206 Vgl. auch Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. IT, S. 265.
207 Vgl. Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 259.
349
Ausschliesslicher Kompetenzbereich des Landesfürsten — Alleinzuständigkeiten
III. Abolitionsrecht und Ministeranklage
1. Allgemeines
Gegenstand der verfassungsrechtlichen Diskussion bildet auch die Frage
des Niederschlagungsrechts des Landesfürsten,?®8 das auch Abolitions-
recht genannt wird.?® Danach kann der Landesfürst anordnen, «dass
wegen einer strafbaren Handlung kein strafgerichtliches Verfahren ein-
geleitet oder das eingeleitete wieder eingestellt werden soll». In dieser
einfachgesetzlichen Regelung des $ 2 Abs. 6 StPO erfasst das Aboli-
tionsrecht «die Verhinderung der Ingangbringung eines Strafverfah-
rens».210 Es kann bis zum Urteilsspruch in jedem Stadium des Prozess-
verfahrens zur Anwendung kommen.?!!
2. Verfahren
Das Niederschlagungsrecht des Landesfürsten steht insbesondere im Zu-
sammenhang mit der Ministeranklage in der Kritik. Der Landtag kann
gemäss Art. 28 Abs. 1 SSGHG?P gegen Mitglieder der Regierung wegen
Verletzung der Verfassung oder sonstiger Gesetze, wenn diese Verlet-
zung in Ausübung der Amtstätigkeit absichtlich oder grob fahrlässig er-
folgt ist, Anklage beim Staatsgerichtshof erheben, der in der Sache ent-
scheidet.?!? Das unbeschränkte Niederschlagungsrecht eröffnet dem
Landesfürsten die Möglichkeit, eine Strafuntersuchung, die gegen ein
Mitglied der Regierung im vorgenannten Sinne gerichtet ist, zu unterbin-
den. Diese «prozessuale Massnahme»2!* setzt im Unterschied zur Begna-
208 Siehe Art. 12 Abs. 1 und Art. 95 Abs. 2 LV.
209 Vgl. Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 177 mit weiteren Literaturhinweisen.
210 Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 177. Sie sieht darin keinen Widerspruch
zu Art. 12 Abs. 1 LV, der von der «Niederschlagung eingeleiteter Untersuchungen»
spricht, da sie voraussetze, dass Untersuchungen bereits aufgenommen worden
seien. Vgl. als Anwendungsfall das bei Arno Waschkuhn, Politisches System Liech-
tensteins, S. 118 und 123 angeführte Beispiel der Fürst von Liechtenstein Stiftung
und die Äusserung von Fürst Hans-Adam II. zum Niederschlagungsrecht.
211 Vgl. Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 92.
212 Vgl. LGBl. 2004 Nr. 32.
213 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 222 ff.
214 Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 92.
350
Begnadigung und Niederschlagung von Strafverfahren
digung und Strafmilderung zugunsten eines wegen einer Amtshandlung
verurteilten Regierungsmitgliedes keinen entsprechenden Antrag des
Landtages voraus. Diese abweichende Behandlung erklärt sich aus der
Tatsache, dass die Verfassung das Niederschlagungsrecht, wie es unter
der Konstitutionellen Verfassung von 1862 gegolten und seine einfachge-
setzliche Umsetzung in $ 2 der Strafprozessordnung vom 31. Dezember
1913 erfahren hat, übernimmt,?!5 ohne auf die geänderte verfassungs-
rechtliche Stellung des Landtages Rücksicht zu nehmen.
3. Umfang und Kritik
Eine überwiegende Lehrmeinung geht von einem unbeschränkten Abo-
litionsrecht des Landesfürsten aus, das er auch im Falle von Ministeran-
klagen ausüben kann.2!® Diese Rechtsansicht kann sich u. a. auf die Tat-
sache stützen, dass die Verfassung in diesem Punkt an der verfassungs-
rechtlichen Allein-Kompetenz des Landesfürsten, wie er sie unter der
Konstitutionellen Verfassung von 1862 eingenommen hat?! inhaltlich
nichts geändert hat.?!8
215 Die Deutungsversuche von Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums
Liechtenstein, S. 127 erübrigen sich.
216 Es ist auch nicht an das Gegenzeichnungserfordernis gebunden. So Christine Weber,
Gegenzeichnungsrecht, S. 256 ff.; Günther Winkler, Begnadigung und Gegenzeich-
nung, S. 55; a. A. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungs-
recht, S. 87 ff.; ders., Diskussionsbeitrag, S. 59 Rz. 97.
217 Die Regierungsgewalt des Landesfürsten schloss ein unbeschränktes Begnadigungs-
und Abolitionsrecht ein. So Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums
Liechtenstein, S. 125 Fn. 7.
218 So hat beispielsweise die Verfassung von 1921 den Vorschlag von Wilhelm Beck, wie
er ihn in Art. 33 Abs. 2 seines Verfassungsentwurfes formuliert hatte, nicht über-
nommen. Dieser Vorschlag sah eine Einschränkung des Abolitionsrechts vor,
wonach der Fürst «die bereits eingeleitete Untersuchung nur auf Grund der Straf-
prozessordnung niederschlagen» darf. Vgl. auch Ernst Pappermann, Die Regierung
des Fürstentums Liechtenstein, S. 127, der ebenfalls, wenn auch nicht namentlich
auf den Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck hinweist, wenn er die Oberrheini-
schen Nachrichten Nr. 48 von 1920 zitiert und auf Art. 33 Abs. 3 Bezug nimmt
(richtigerweise geht es um Art. 33 Abs. 2, der aber die Abolition, wie vorhin
erwähnt, nicht von einem Antrag des Landtages abhängig macht). Er folgert aus
dem Umstand, dass der Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck zu den Verfassungs-
beratungen beigezogen wurde, dass das Abolitionsrecht des Landesfürsten «mit Ab-
sicht» nicht mit einem Antrag des Landtages verknüpft worden sei.
351
Ausschliesslicher Kompetenzbereich des Landesfürsten — Alleinzuständigkeiten
Auf Bedenken stösst, dass dieses Niederschlagungsrecht dem Fürsten
zugesteht, auf Ministeranklageverfahren Einfluss zu nehmen bzw. auf
die parlamentarische Kontrolle der Regierung einzuwirken. Dies ver-
letzt den Grundsatz der Ministerverantwortlichkeit und widerspricht
allgemein rechtsstaatlichen Grundsätzen.?!? Dieser Aspekt rechtfertigt
die Forderung, die Niederschlagung von Ministeranklageverfahren
ebenso wie die Begnadigung oder Strafmilderung zugunsten eines Regie-
rungsmitgliedes nach Art. 12 Abs. 2 LV von einem entsprechenden
Antrag bzw. der «Zustimmung» des Landtages abhängig zu machen.229
Das «generelle» Abolitionsrecht?! stellt einen Eingriff in den
Bereich der Rechtspflege dar und lässt sich kaum mit dem Prinzip der
219 Vgl. Michael Ritter, Beamtenrecht, S. 72 Fn. 76; Otto Ludwig Marxer, Die Organi-
sation der obersten Staatsorgane, S. 21; siehe auch Christine Weber, Gegenzeich-
nungsrecht, S. 181. Schon im ersten Bericht der Landtagskommission vom 31. Ok-
tober 1996 zur Erarbeitung von Vorschlägen über eine Revision der Verfassung
(LtProt. 1996 Bd. IV) heisst es zu Art. 12 Abs. 1 LV: «Die Niederschlagung einge-
leiteter Untersuchungen wird z. T. als rechtsstaatlich bedenklich empfunden. Dage-
gen wird angeführt, es handle sich um eine nicht unübliche Funktion eines Staats-
oberhauptes. Die Kommission schlägt vor, die Frage einer allfälligen späteren Ver-
fassungsrevision zu überlassen.» Dieses Thema wurde allerdings in den
Verfassungsvorschlägen der Verfassungskommission des Landtages vom 29. Juni
1998 nicht mehr aufgegriffen.
220 Vgl. Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 299;
Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 126 f. und
137 f. und mit Bezug auf ihn Gerard Batliner, Parlament, S. 23; Christine Weber,
Gegenzeichnungsrecht, S. 181; Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten
Staatsorgane, S. 22. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfas-
sungsrecht, S. 81 verneint ein Niederschlagungsrecht des Fürsten in Verfahren der
Ministeranklage, da sich das Niederschlagungsrecht «auf Verfahren zur Verfolgung
von Delikten des gemeinen Strafrechts beziehe, darunter auch solchen der strafba-
ren Verletzungen der Amtspflicht und verwandter strafbarer Handlungen gemäss $$
302 ff. StGB». Diese Auffassung lässt sich mit dem Wortlaut des Art. 12 LV wohl
nicht in Einklang bringen. So Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 180.
221 Gerard Batliner, Parlament, S. 23; Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 177
bemerkt denn auch, «dass die Verfassung mit dem Niederschlagungsrecht dem
Fürsten eine Befugnis zubilligt, die in der heutigen Zeit in dieser weitreichenden
Form anderen europäischen Monarchen nicht mehr zusteht». Vgl. auch Ernst Pap-
permann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 128, der sich erstaunt
darüber zeigt, «dass sich das unbeschränkte Abolitionsrecht, das doch noch stark
vom Geist mittelalterlicher Kabinettsjustiz zeugt, bis heute ungehindert in einer auf
vielen Gebieten so modernen Verfassung wie der von Liechtenstein gehalten hat».
352
Andere Befugnisse
Trennung von Justiz und Verwaltung vereinbaren.?? Es ist aber auch
nicht zu übersehen, dass sich die umfassenden Kompetenzen des Lan-
desfürsten nicht in ein klassisches Gewaltenteilungsschema einordnen
lassen. Ihm kommen vielmehr Zuständigkeiten in allen Zweigen der
Staatsgewalt zu.223
Mit Blick auf die Rechtsprechung des EGMR weist Stephan Brei-
tenmoser”* darauf hin, dass die Niederschlagung eines Strafverfahrens
durch den Landesfürsten einen Verstoss gegen die Europäische Men-
schenrechtskonvention darstellen könne. Der EGMR schütze nämlich
die Möglichkeit, «das gesetzlich vorgesehene Strafverfahren in die Wege
zu leiten, um der Bedrohung eines der in der EMRK verbürgten Rechte
zu begegnen oder die Verletzung eines solchen Rechts durch Dritte zu
ahnden». Aus diesem Grund sollte demjenigen, der durch die betref-
fende Straftat geschädigt worden ist, die Beschwerde offen stehen.
$8 ANDERE BEFUGNISSE
I. Volljährigkeitserklärung von Mitgliedern
des Fürstlichen Hauses
Der Landesfürst kann aus wichtigen Gründen, insbesondere im Fall
einer Thronfolge, Regentschaft? oder Stellvertretung einzelne Mitglie-
der des Fürstlichen Hauses schon vor dem Eintritt der gesetzlichen Voll-
jährigkeit als volljährig erklären.??®
222 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 228.
223 So auch für den Reichspräsidenten unter der Weimarer Verfassung Christoph Gusy,
Die Weimarer Reichsverfassung, S. 102.
224 Stephan Breitenmoser, Rechtsgutachten zur Frage der Konsequenzen des Urteils
des EGMR, S. 49 unter Bezugnahme auf EGMR, X. und Y. gegen Niederlande,
Urteil vom 26. März 1985, A/91.
225 Zur Regentschaft siehe Georg Schmid, Die Stellvertretung des Monarchen, 5. 16 ff.;
siehe auch vorne S. 300 f.
226 Siehe Art. 6 Abs. 2 HG. Die Volljährigkeitserklärung wird hier erwähnt, da sie
staatsrechtlich relevant ist. Siehe auch vorne S. 293.
353
Ausschliesslicher Kompetenzbereich des Landesfürsten — Alleinzuständigkeiten
II. Bestellung des Stellvertreters des Landesfürsten
und Betrauung mit der Ausübung seiner Hoheitsrechte
Nach Art. 13bis LV 2003 ist der Fürst befugt, für den Fall «vorüberge-
hender Verhinderung» oder der «Vorbereitung für die Thronfolge» den
nächsterbfolgeberechtigten volljährigen Erbprinzen seines Hauses als
seinen Stellvertreter zu ernennen und diesen mit der Ausübung der dem
Fürsten zustehenden Hoheitsrechte zu betrauen.??” Die Institution der
Stellvertretung beinhaltet ein öffentlich-rechtliches Mandats- oder Auf-
tragsverhältnis.22® Danach ist der Stellvertreter berechtigt, die ihm vom
Landesfürsten übertragenen Hoheitsrechte in dessen Namen wahrzu-
nehmen, wobei die Hoheitsrechte substanziell beim Landesfürsten ver-
bleiben.?? Ihr Umfang richtet sich nach dem ihm vom Fürsten erteilten
Auftrag. Sie binden die öffentliche Gewalt (Landtag, Gerichtsbarkeit,
Verwaltung) und jedermann so, als ob sie vom Landesfürsten selbst
gesetzt worden wären.239
Der Stellvertretung liegt ein generell-abstrakter Staatsakt des Lan-
desfürsten zugrunde, der in der Rechtsform der fürstlichen Verordnung
ergeht,2! die der Gegenzeichnung des Regierungschefs und der Kund-
machung im Landesgesetzblatt bedarf.? Gleiches gilt für die Beendi-
gung der Stellvertretung.?®3
227 Vgl. BuA Nr. 22/84 der Regierung vom 5. Juni 1984, S. 1 ff. und Georg Schmid, Die
Stellvertretung des Monarchen, 5. 38 ff.
228 Vgl. Yvo Hangartner, Grundzüge des schweizerischen Staatsrechts, Bd. I, S. 122.
229 Vgl. Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 305. Edwin
Loebenstein, Die Stellvertretung des Landesfürsten, S. 116 hebt hervor, dass der
Landesfürst als solcher in seiner Funktion und in der Lage bleibe, Hoheitsrechte
selbst auszuüben. Siehe auch die Fürstliche Verordnung vom 15. August 2004
betreffend die Einrichtung einer Stellvertretung, LGBl. 2004 Nr. 171, und dazu
Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 217 f.
230 Edwin Loebenstein, Die Stellvertretung des Landesfürsten, S. 93.
231 Siehe Fürstliche Verordnung vom 15. August 2004, LGBl. 2004 Nr. 171. Darin
heisst es: «... betraue Ich mit Wirkung ab heutigem Tage meinen zukünftigen Nach-
folger Seine Durchlaucht Erbprinz Alois zur Vorbereitung für die Thronfolge als
Meinen Stellvertreter mit der Ausübung aller Mir zustehenden Hoheitsrechte».
232 Vgl. Edwin Loebenstein, Die Stellvertretung des Landesfürsten, S. 93 und 97.
233 Vgl. Edwin Loebenstein, Die Stellvertretung des Landesfürsten, S. 100.
354
Andere Befugnisse
Die Stellvertretung unterscheidet sich von der Regentschaft, die unter
dem Titel der Vormundschaft in Art. 3 LV enthalten ist,2 darin, dass der
Landesfürst als solcher «in seiner Funktion und in der Lage» bleibt,
Hoheitsrechte selbst auszuüben.?® Er legt fest, ob er dem Stellvertreter
alle? oder lediglich bestimmte Hoheitsrechte übertragen will. Ihr Inhalt
und Umfang richtet sich nach dem ihm erteilten Auftrag. Der Stellver-
treter ist dem Landesfürsten als Auftraggeber verantwortlich.??”7
II. Verleihung von Orden und Titeln
Der Landesfürst verleiht als Staatsoberhaupt Titel, Orden und Adelsprä-
dikate, die unter die Staatsakte zu reihen sind, da sie keine persönliche
Gunsterweisung darstellen, sondern Auszeichnungen, die von Staats we-
gen erteilt werden. Sie erfolgen in der Praxis ohne Gegenzeichnung,?® auf
die jedoch ein Teil der Lehre besteht.? Dies ist auch im System des mo-
narchischen Konstitutionalismus die herrschende Ansicht.?*° Hält man
an einem dem Landesfürsten nicht persönlich zustehenden Recht fest, so
234 Vgl. Edwin Loebenstein, Die Stellvertretung des Landesfürsten, S. 84, der im Zu-
sammenhang mit Art. 3 LV auf Art. 85 und 87 LV verweist, die die Regentschaft vo-
raussetzen.
235 Edwin Loebenstein, Die Stellvertretung des Landesfürsten, S. 116; vgl. auch BuA
Nr. 22/84 der Regierung vom 5. Juni 1984, S. 3 f. Danach soll die Stellvertretung
«dem Fürsten in höherem Alter, aus gesundheitlichen Rücksichten oder aus anderen
Gründen ermöglichen, den nächsterbfolgeberechtigten volljährigen Prinzen mit sei-
ner Stellvertretung zu betrauen».
236 In der Praxis erweist sich diese Art der Auftragserteilung als wenig transparent, da
auch der Landesfürst Hoheitsrechte ausübt. Um in Bezug auf Zuständigkeit und
Verantwortlichkeit volle Transparenz zu schaffen, fordert Walter Kieber, Regierung,
Regierungschef, Landesverwaltung, S. 305 ganz allgemein, dass bei der Ausübung
der Kompetenz durch das beauftragte Staatsorgan das Bestehen des Auftragsver-
hältnisses nach aussen ersichtlich gemacht wird.
237 Vgl. Georg Meyer / Gerhard Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, S. 318.
238 Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, 5. 95 f. weist auf das
uneinheitliche Verfahren hin und plädiert für eine Vereinheitlichung der Staatspraxis.
239 Vgl. Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 261 mit Hinweis auf Gregor Steger,
Fürst und Landtag, S. 88 und Edwin Loebenstein, Die Stellvertretung des Landes-
fürsten, S. 112.
240 So Georg Meyer / Gerhard Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, S. 278
zitiert nach Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 95
Fn. 39. Die Amtsinstruktion von 1862 verlangt in $ 94 Abs. 2 eine Gegenzeichnung
nur für Gesetze und Verordnungen.
355
Ausschliesslicher Kompetenzbereich des Landesfürsten — Alleinzuständigkeiten
ist von einer Gegenzeichnung solcher Akte auszugehen.?! Anordnungen
und Verfügungen (Resolutionen)?2 des Landesfürsten, die als Regie-
rungsakte zu qualifizieren sind, bedürfen zu ihrer Gültigkeit grundsätz-
lich der Gegenzeichnung des Regierungschefs, der damit — insbesondere
gegenüber dem Landtag — die politische Verantwortung übernimmt.
IV. Rechtlich zulässige Aufträge
Der Landesfürst kann sowohl die Regierung als Kollegialorgan als auch
den Regierungschef beauftragen bzw. ermächtigen, bestimmte «Geschäfte»
zu «besorgen» bzw. auszuführen.?* So kann der Landesfürst den Regie-
rungschef bevollmächtigen, den Landtag zu eröffnen und zu schliessen.?+#
Gegenstand der Ermächtigung ist ein «bestimmter» hoheitlicher
Akt des Landesfürsten, sodass er der Gegenzeichnung bedarf. Sie ist in
der Staatspraxis jedoch nicht die Regel. Auch die Verantwortlichkeit
wird erst durch die Gegenzeichnung begründet.?
Um welche «Geschäfte» oder «Aufträge» es sich im Einzelnen han-
delt, führt die Verfassung nicht näher aus. So weist denn auch Gerard Bat-
liner?6 darauf hin, dass die Verfassung «keinerlei Einzelbestimmungen
(enthält), die eine Erteilung von Aufträgen des Fürsten oder des Landta-
ges an die Kollegialregierung vorsehen». Es ist Sache des einfachen Ge-
setzgebers, dem die Verfassung das Recht einräumt, in «definierten Ein-
241 A.A. Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 96 und
unter Berufung auf ihn auch Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 262.
242 Siehe zum Begriff Günther Winkler, Begnadigung und Gegenzeichnung, S. 10 f.
243 Art. 85 und 92 Abs. 1 LV. Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesver-
waltung, S. 305 versteht unter einem «Auftrag» die Vollmacht, mit welcher ein
Staatsorgan berechtigt werde, eine bestimmte Kompetenz eines anderen (auftragge-
benden) Staatsorgans in dessen Namen auszuüben, wobei die Kompetenz der Sub-
stanz nach beim auftraggebenden Staatsorgan verbleibe. Die Art und Weise, wie die
Kompetenzausübung zu erfolgen habe, könne vom auftraggebenden Staatsorgan im
Rahmen des Auftrags vorgegeben werden.
244 Siehe Art. 54 Abs. 1 und 55 LV. Bei der zur Schliessung des Landtages bevollmäch-
tigten Person handelt es sich in der Regel um den Regierungschef. Christine Weber,
Gegenzeichnungsrecht, S. 263 nennt als weiteres Beispiel die Unterzeichnung eines
Staatsvertrages (Art. 8 LV).
245 Ausführlich zur Frage der Gegenzeichnung der Ermächtigung der Regierung Chris-
tine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 263 f.
246 Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 75.
356
Andere Befugnisse
zelbereichen und unter Berücksichtigung der Kompetenz- und Funk-
tionsverteilung der Verfassung Auftragsmöglichkeiten» festzulegen.
Es wird in diesem Zusammenhang auch die Auffassung vertreten,
dass nach Art. 92 Abs. 1 LV nicht nur dann ein Auftrag erteilt werden
darf, wenn die Verfassung dies ausdrücklich vorsieht. Diese «einschrän-
kende» Bestimmung fordere vielmehr, dass der Auftrag nicht gegen die
Verfassung verstossen dürfe, wobei auf die Verfassungspraxis verwiesen
wird und Beispiele für rechtlich zulässige wie auch für rechtlich unzu-
lässige Aufträge angeführt werden.?*7
V. Legitimation von unehelichen Kindern
Der Landesfürst kann gemäss $ 162 ABGB auf Ansuchen uneheliche zu
ehelichen Kindern erklären. Nur die Eltern können eine solche «beson-
dere Begünstigung» aus einem wichtigen Grund beantragen, der dem
Wohle des Kindes dient. Ein Recht auf Ehelicherklärung besteht nicht.?*®
VI. Verleihung der Staatsbürgerschaft
Dem Landesfürsten steht das Recht der Verleihung des Landesbürger-
rechts im ordentlichen Aufnahmeverfahren und des Landesehrenbürger-
rechts zu.?* Die Staatsbürgerschaft wird mit dem Tage der Verleihung
durch den Landesfürsten erworben und nicht erst mit der Ablegung des
Landesbürgereids.259
247 Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 305 f.
248 Vgl. für Österreich Art. 65 Abs. 2 Bst. d B-VG und dazu Stefan Frank, B-VG
Art. 65 Rz. 44. Das Gesetz vom 6. Juni 2014 über die Abänderung des Allgemeinen
bürgerlichen Gesetzbuches, LGBl. 2014 Nr. 199, das am 1. August 2014 in Kraft
getreten ist, hat in der Zwischenzeit $ 162 ABGB aufgehoben. Siehe zur Reform des
Kindschaftsrechts BuA Nr. 93/2013 der Regierung vom 22. Oktober 2013 und ihre
Stellungnahme Nr. 44/2014 vom 15. April 2014.
249 Siehe $ 6 ff. ($ 12) BüG; zur Verleihung des Ehrenbürgerrechts siehe $ 16 BüG. Es
handelt sich bei der Einbürgerung im ordentlichen Verfahren und bei der Verlei-
hung des Landesehrenbürgerrechts um sogenannte «Ermessenseinbürgerungen».
Zur Unterscheidung zwischen Ermessens- und Anspruchseinbürgerung siehe Ralph
Wanger, Landesbürgerrecht, S. 261 f.
250 Siehe $ 12 BüG und dazu Ralph Wanger, Landesbürgerrecht, S. 262 f.
357
3. Abschnitt
Mitzuständigkeiten - Mitwirkungsbefugnisse
des Landesfürsten
Sie betreffen Akte, an deren Zustandekommen der Landesfürst neben
anderen nach der Verfassung zur Mitwirkung berechtigten Staats- und
Verfassungsorganen beteiligt ist.
$9 VÖLKERRECHTLICHE VERTRETUNG
I. Herkommen und Entwicklung
1. Konstitutionelle Verfassung von 1862
Die völkerrechtliche Vertretung, die gelegentlich auch als Repräsenta-
tion bezeichnet wird, umschreibt die Konstitutionelle Verfassung von
1862 in $ 23 Abs. 1 mit den Worten, der Landesfürst vertrete «den Staat
in allen seinen Verhältnissen gegen auswärtige Staaten». Dieser Reprä-
sentationsanspruch des Landesfürsten ist unbestritten, auch wenn die
Konstitutionelle Verfassung von 1862 dem Landtag bei bedeutenden
Staatsverträgen ein Mitspracherecht zugesteht.?! Der Landesfürst
bestimmt allein die auswärtigen Beziehungen und vertritt den Staat nach
aussen, wie es seiner staatsrechtlichen Stellung als alleiniger Träger der
souveränen Staatsgewalt entspricht.?? Nach der Landständischen Ver-
fassung von 1818 war der Fürst als Landesherr der Repräsentant des
Staates. Die Herrschersouveränität und Staatssouveränität waren iden-
tisch und hatten die Völkerrechtsubjektivität des Fürsten zur Folge. Den
Landständen, die von jeglicher staatlichen Mitwirkung ausgeschlossen
251 Vgl. $23 Abs. 2 KV 1862.
252 Vgl. $$ 2, 23 Abs. 1 und 27 KV 1862.
358
Völkerrechtliche Vertretung
waren, war es auch untersagt, ihm «Vorschläge, die äusseren Staats-Ver-
hältnisse betreffend» zu unterbreiten.2
2. Verfassung von 1921
In der Verfassung von 1921 werden Volk und Landtag zu Mitträgern der
Staatsgewalt und die auswärtige Gewalt zur «kombinierten Gewalt»?
von Landesfürst, Volk, Landtag und Regierung. Ihre Mitbestimmungs-
rechte schränken die Befugnisse des Landesfürsten wesentlich ein, was
sich mittelbar auch auf die völkerrechtliche Vertretung auswirkt.?®
Art. 8 LV 1921 knüpft zwar weitgehend an $ 23 KV 1862 an und hält
weiterhin an der Repräsentationsfunktion des Landesfürsten fest, wie es
allgemein im Völkerrecht die Regel ist, wonach das Staatsoberhaupt sei-
nen Staat vertritt.? Der Vorbehalt in Art. 8 LV 1921 spricht aber davon,
dass die «erforderliche Mitwirkung» der verantwortlichen Regierung
vorbehalten bleibt. Das heisst, dass «ohne deren Mitwirkung und
Zustimmung somit ab dem Oktober 1921 keine Aussenpolitik mehr
gemacht werden konnte.»?” Die auswärtige Gewalt ist nicht mehr eine
einseitige Angelegenheit des Landesfürsten, der die Aussenpolitik selb-
ständig gestalten kann.?® Er gibt zwar als Vertretungsorgan des Staates
die «verbindlichen völkerrechtlichen Erklärungen im Namen des Staa-
tes» ab, an der innerstaatlichen Willensbildung «über die im Rahmen der
Aussenpolitik zu setzenden Schritte» sind aber mehrere Staatsorgane
beteiligt, sodass zwischen formeller und materieller Staatsrepräsentation
differenziert wird.?5
253 Siehe $ 16 Landständische Verfassung von 1818. Dort heisst es als Begründung:
Wir dürfen solche Vorschläge «wegen dem nöthigen Miteinverständnis mit andern
mächtigeren deutschen Staaten Unseren getreuen Ständen nicht erlauben».
254 Eberhard Menzel, Die auswärtige Gewalt, S. 348 f.; vgl. auch Wilfried Hoop, Aus-
wärtige Gewalt, S. 51 ff.
255 Vgl. Dieter J. Niedermann, Liechtenstein und die Schweiz, S. 84 f.
256 Vgl. Art. 7 Abs. 2 Bst. a WVK, LGBl. 1990 Nr. 71; siehe auch Christine Weber,
Gegenzeichnungsrecht, S. 152; Dieter J. Niedermann, Liechtenstein und die
Schweiz, S. 84; Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 168 f.
257 Peter Wolff, Die Vertretung des Staates nach aussen, S. 279.
258 Vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 72 f.
259 Vgl. Peter Wolff, Die Vertretung des Staates nach aussen, S. 280, der darauf auf-
merksam macht, dass es in Liechtenstein im Vergleich zu anderen Staaten keine
359
Mitzuständigkeiten — Mitwirkungsbefugnisse des Landesfürsten
II. Formelle auswärtige Gewalt
Unterscheidet man zwischen einer formellen und einer materiellen Seite
der Vertretung des Staates nach aussen,?® hat der Landesfürst als Inha-
ber der formellen auswärtigen Gewalt umfassende (Repräsentations-)
Befugnisse. «Ihm kommen all jene Akte zu, in denen der Staat seinen
Willen nach aussen rechtswirksam kundtut, in denen er sich als Völker-
rechtssubjekt an die übrigen Völkerrechtssubjekte wendet und sich
durch Erklärungen berechtigt und verpflichtet.» 21 So erteilt er im Rah-
men des Vertragsschliessungsverfahrens?®, das in gemeinsamer Abspra-
che zwischen Fürst und Regierung initiiert wird, den Unterhändlern die
Verhandlungs- und Unterzeichnungsvollmacht und ratifiziert die Staats-
verträge, die vom Regierungschef gegenzuzeichnen sind.?® Dies betrifft
ım Bereich der Aussenvertretung auch alle hoheitlichen Akte und Erklä-
rungen des Landesfürsten, soweit sie für den Staat verbindlich sind.2*
Sie können aber andererseits auch nicht ohne Landesfürst ergehen. Sie
müssen von ihm gesetzt bzw. abgegeben werden oder auf ihn zurück-
führbar sein, wie dies etwa bei der bevollmächtigten Vertretung der Fall
ist.?®5 Durch die Ratifikation der Staatsverträge, die die Zustimmung des
grossen Unterschiede zwischen den Kompetenzen für die Wahrnehmung der for-
mellen Seite der Vertretung des Staates nach aussen und der materiellen Seite gibt.
Vgl. auch Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 29 ff. und 117 f. und Thomas All-
gäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 264 f.
260 Vgl. Peter Wolff, Die Vertretung des Staates nach aussen, S. 279 f., der sich bei die-
ser Differenzierung auf Friedrich Koja, Wer vertritt die Republik, S. 625 bezieht,
wonach die formelle Seite der Vertretung des Staates nach aussen jene Akte erfasst,
in denen ein Staat seinen Willen nach aussen wirksam kundtut, während zur mate-
riellen Seite die innerstaatliche Willensbildung gerechnet wird.
261 Vgl. Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 264
unter Bezugnahme auf einen Beitrag in: LVolksblatt vom 24. Januar 1987.
262 Hier sind Staatsverträge gemeint und nicht Verwaltungsvereinbarungen, die zum
Kompetenzbereich der Regierung gehören. Siehe zu den Verwaltungsvereinbarun-
gen Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 197 ff.
263 Vgl. Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 175; vgl. auch Gerard Batliner, Einfüh-
rung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 73 und Thomas Allgäuer, Die
parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 266.
264 Vgl. Peter Wolff, Die Vertretung des Staates nach aussen, S. 280.
265 Vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 73.
A. A. Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 174, der die Ansicht vertritt, dass die
völkerrechtliche Verbindlichkeit und insgesamt jeder aussenrelevante verbindliche
Akt auf den Fürsten und die Regierung zurückzuführen ist.
360
Völkerrechtliche Vertretung
Landtages und gegebenenfalls des Stimmvolkes in einer Abstimmung
voraussetzt, übernimmt der Landesfürst im Namen des Staates «die völ-
kerrechtlichen Pflichten aus den Verträgen und beansprucht gleichzeitig
die aus den Verträgen erwachsenden völkerrechtlichen Rechte».2% Er ist
aber weder völkerrechtlich noch verfassungsrechtlich verpflichtet, einen
Staatsvertrag zu ratifizieren.?” Ihm stehen auch alle aussenpolitischen
Repräsentationsaufgaben zu, wie dies im internationalen Verkehr bei
Staatsoberhäuptern üblich ist. Er entsendet beispielsweise die eigenen
und empfängt die fremden diplomatischen Vertreter, wobei das Beglau-
bigungsschreiben des Landesfürsten für den eigenen wie auch sein Agre-
ment für den ausländischen Diplomaten vom Regierungschef gegenzu-
zeichnen sind.?%%
III. Materielle auswärtige Gewalt?®
An der innerstaatlichen Willensbildung wirken mehrere Staatsorgane
mit, d. h. Landesfürst, Regierung, Landtag und gegebenenfalls das
Stimmvolk. Sie umfasst vor allem die Planung, Vorbereitung und inhalt-
liche Ausrichtung der Aussenpolitik. Die auswärtigen Angelegenheiten
gehören grundsätzlich zum Kompetenzbereich der Regierung, die aber
von ihr nicht ohne Einverständnis des Landesfürsten wahrgenommen
werden können.?° Sie kann nur eine Aussenpolitik verfolgen, die der
266 Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 184 unter Bezugnahme auf Yvo Hangartner,
Grundzüge des schweizerischen Staatsrechts, S. 189.
267 Vgl. Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 189 mit weiteren Literaturhinweisen
und S. 190 ff. zu den Gründen der Ratifikationsverweigerung.
268 Vgl. Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 167 ff.
269 Nach Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 29 hat die materielle Auswärtige
Gewalt zur Aufgabe und zum Inhalt, die Zuständigkeit der staatlichen Organe
(Art. 8 Abs. 1 und 2 i. V. m. Art. 62 Bst. b, Art. 66bis und Art. 78 Abs. 1 LV) fest-
zulegen, «die an der Willensbildung betreffend die Beziehungen zu anderen Völ-
kerrechtssubjekten mitwirken».
270 Die innerstaatliche Entscheidung, ob, warum, mit welchem Inhalt und mit wem ein
völkerrechtliches Vertragsverhältnis angestrebt werden soll, «kommt dem Fürsten
nebst der Regierung zu». So Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 176. Christine
Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 155 Fn. 78 stimmt Peter Wolff, Die Vertretung des
Staates nach aussen, S. 284 zu, der sich gegen Tendenzen wendet, «der Regierung
eine so unabhängige Stellung zuzubilligen, dass sie in ihrer Politik praktisch unbe-
361
Mitzuständigkeiten — Mitwirkungsbefugnisse des Landesfürsten
Landesfürst mitträgt.”! Auch er ist bei allen formellen aussenpolitischen
Aktivitäten auf die Mitwirkung der Regierung angewiesen. Sie ist aber
nicht nur gegenüber dem Landesfürsten, sondern auch gegenüber dem
Landtag verantwortlich bzw. rechenschaftspflichtig,?? sodass dieser,
wenn es um Staatsverträge geht, «frühzeitig einzuschalten ist, bevor er in
eine unausweichliche Zustimmungssituation manövriert wird».?3 Letzt-
lich sind für die Gültigkeit von Staatsverträgen auch seine Zustimmung
und allenfalls auch diejenige des Stimmvolkes erforderlich.?7*
$10 RICHTERBESTELLUNG
I. Alte Rechtslage
1. Allgemeines
Im absolutistischen Herrschaftskonzept der Landständischen Verfas-
sung von 1818 ist der Landesfürst Inhaber der judikativen Gewalt. Er
hat auch nach der Konstitutionellen Verfassung von 1862 die Justizho-
heit inne.?5 Der Landesfürst ist nach wie vor allein Träger der Staatsge-
einflusst von den Vorstellungen des Landesfürsten agieren könne», indem er auf
Art. 8 Abs. 1 verweise, der nur von einer «Mitwirkung», nicht aber von einer «Do-
minanz» der Regierung im Bereich der Aussenpolitik spreche.
271 Vgl. Peter Wolff, Die Vertretung des Staates nach aussen, S. 283. Wilfried Hoop,
Auswärtige Gewalt, S. 174 f. ist der Ansicht, dass die Verfassung dem Landesfürs-
ten eine starke Position einräumt, «soweit es sich allgemein um die Gestaltung der
auswärtigen Beziehungen mittels völkerrechtlicher Verträge handelt». Bereits vor-
gängig und während der Verhandlungen könne er auf den Inhalt von Verträgen Ein-
fluss nehmen.
272 Peter Wolff, Die Vertretung des Staates nach aussen, S. 282.
273 So Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 73; vgl.
auch Peter Wolff, Die Vertretung des Staates nach aussen, S. 285.
274 Peter Wolff, Die Vertretung des Staates nach aussen, S. 286.
275 Vgl. $28 KV 1862, der bestimmt, dass die «Organisation der Staatsbehörde» im Ver-
ordnungswege «durch den Landesfürsten normirt» wird. Der Verfassungsentwurf
des ständischen Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848 sah noch in $ 34 vor, dass die
«höchste Gewalt in Bezug auf ... die Rechtspflege ... beim Fürsten und Volke ver-
eint» beruht. Allerdings bezeichnet $ 112 im Zusammenhang mit dem Revisionsge-
richt den Fürsten als «Obersten Gerichtsherrn>».
362
Richterbestellung
walt. Die Gerichtsbarkeit wird in seinem «Auftrag» durch «geprüfte und
verpflichtete Richter verwaltet».2® Er ernennt und entlässt die Richter,
wie dies auch bei den Beamten der Fall ist.
Die Verfassung von 1921 schränkt den Fürsten in dieser Beziehung
ein. Er teilt die Staatsgewalt mit dem Volk. Die Gerichtsbarkeit wird
zwar nach wie vor in seinem Auftrag wahrgenommen. Die Wahl und
Ernennung erfolgen aber grundsätzlich in einem Verfahren, das das
gegenseitige Einvernehmen voraussetzt. Das heisst, dass der Fürst an
einen entsprechenden Vorschlag des Landtages gebunden ist.?77
2. Vorschlag und Ernennung
Der Landesfürst ernennt die Mitglieder des Obergerichts und des
Obersten Gerichtshofes «einvernehmlich mit dem Landtag über dessen
Vorschlage»?78, die Landrichter des Landgerichts «über Vorschlag des
Landtages».?? Die Landrichter werden in der Regel lebenszeitlich (bis
zur Erreichung der Altersgrenze) bestellt, die Mitglieder des Oberge-
richtes und des Obersten Gerichtshofes jeweils auf vier Jahre, wobei eine
Wiederwahl möglich ist.
Die Richter der Verwaltungsbeschwerde-Instanz und des Staatsge-
richtshofes, die die Verfassung von 1921 geschaffen hat, werden für eine
Amtsdauer von vier bzw. fünf Jahren vom Landtag gewählt, wobei
lediglich die Wahl des Vorsitzenden und des Stellvertreters der Verwal-
tungsbeschwerde-Instanz sowie des Präsidenten und des Stellvertreters
des Staatsgerichtshofes der Ernennung bzw. der Bestätigung?® durch
276 So$33 KV 1862.
277 Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 171.
278 Siehe Art. 102 Abs. 3 LV 1921.
279 Siehe Art. 101 Abs. 2 LV 1921 i. V.m. $ 2 Abs. 1 GOG, LGBl. 1922 Nr. 16. Chris-
tine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 172 misst diesem abweichenden Wortlaut
keine «unterschiedliche Rechtsqualität» bei. Sie bezieht sich dabei auf Michael Rit-
ter, Beamtenrecht, S. 69 f., nach dem die Berufung von Richtern auch dann «einver-
nehmlich» erfolgen muss, wenn dies nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist, sodass
beide Formulierungen ein Zusammenwirken von Fürst und Landtag vorschreiben.
280 Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 172 f. sieht in der Bestätigung ein «Mit-
wirkungserfordernis». Nach Christian Gstöhl, Richter und Monarch, S. 39 hat die
363
Mitzuständigkeiten — Mitwirkungsbefugnisse des Landesfürsten
den Landesfürsten bedarf.?! Auch hier ist, nach Ablauf der Amtszeit,
eine erneute Bestellung möglich. So hat der Landesfürst eine Mitsprache
bei der Bestellung aller Zivil- und Strafrichter und des Vorsitzenden der
Verwaltungsbeschwerdeinstanz sowie des Präsidenten des Staatsge-
richtshofes und deren Stellvertreter. Das Auswahl- und Wahlrecht bzw.
Vorschlagsrecht liegt beim Landtag.
II. Neue Rechtslage
1. Auswahl- und Bestellungsverfahren
Die Verfassungsreform von 2003 ändert das Wahlverfahren grundlegend.
Stand das Vorschlagsrecht bisher dem Landtag zu, wird es neu von einem
Auswahlgremium wahrgenommen,?? das der Landesfürst präsidiert und
in dem er den Stichentscheid fällt. Ohne seine Zustimmung kann es kei-
nen Kandidaten dem Landtag zur Wahl empfehlen.?® Bisher unterlagen
die Richter der Verwaltungsbeschwerdeinstanz (neu: Verwaltungsge-
richtshof) und des Staatsgerichtshofes nur der Wahl durch den Landtag.
Eine Ernennung bzw. Bestätigung der Wahl durch den Landesfürsten
war nicht vorgesehen. Eine Ausnahme galt in dieser Beziehung nur für
den Vorsitzenden der Verwaltungsbeschwerde-Instanz und seinen Stell-
vertreter sowie den Präsidenten des Staatsgerichtshofes und seinen Stell-
vertreter.?* Neu ernennt der Landesfürst alle Richter.?® Entsprechend
der Intention der seinerzeitigen Verfassungsinitiative von Fürst und Erb-
prinz soll dem Landesfürsten bei der Auswahl der Richter «eine stärkere
Stellung zukommen».2% Die Auswahl und Wahl der Richter war bis an-
Bestätigung «rein deklaratorischen Charakter». Zur Kritik am unterschiedlichen
Besetzungsverfahren der Gerichte siehe Hanspeter Jehle, Richterliche Unabhängig-
keit, S. 136.
281 Siehe Art. 97 Abs. 1 bzw. Art. 105 LV 1921.
282 Siehe Art. 97 LV 2003 und dazu auch Gesetz vom 26. November 2003 über die
Bestellung der Richter (Richterbestellungsgesetz, RBG), LGBl. 2004 Nr. 30.
283 Siehe Art. 96 Abs. 1 LV 2003.
284 Nach Art. 4 Abs. 4 SIGHG 1925 unterliegt auch die Wahl des Stellvertreters der
Bestätigung durch den Landesfürsten.
285 Siehe Art. 11 LV 2003.
286 Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 225.
364
Richterbestellung
hin eine ausschliessliche Angelegenheit des Landtages. Begründet wird
die Reform damit, dass das Bestellungsverfahren für alle Richter verein-
heitlicht und mit Blick auf die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit «an
Kriterien der Objektivierung» gebunden werden soll.257
Eine Ablehnung des vom Gremium vorgeschlagenen Kandidaten?
durch den Landtag bewirkt nicht, dass das Wahlprozedere beendet ist.
Der Landtag kann nicht definitiv ablehnen. Lehnt er ab und kommt
innerhalb von vier Wochen keine Einigung über einen neuen Kandida-
ten zustande, hat er einen Gegenkandidaten vorzuschlagen und eine
Volksabstimmung anzuberaumen, sodass eine Volksabstimmung ent-
scheidet, wobei die wahlberechtigten Landesbürger bzw. Stimmberech-
tigten im Wege der Initiative selber einen Kandidaten nominieren kön-
nen. Jener Kandidat, der die absolute Mehrheit der Stimmen erhält, wird
vom Landesfürsten zum Richter ernannt.?®®
Diesem Bestellungsmodus liegt die Idee zugrunde, dass Landes-
fürst und Landtag «gleichrangig den Vorschlag über die Bestellung eines
Richters annehmen oder ablehnen» können und im Konflikt- bzw.
287 Vgl. Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 223; vgl. auch BuA Nr. 87/2001 der
Regierung vom 20. November 2001, 5. 27 ff. Das Ziel, die Unabhängigkeit der Ge-
richtsbarkeit zu stärken, dürfte mit diesen organisatorischen Reformmassnahmen
wohl nicht erreicht worden sein. Die Verfassungskommission des Landtages spricht
in ihrem Bericht vom 20. November 2000 (Bericht der Landtagskommission zur Er-
arbeitung von Vorschlägen über eine Revision der Verfassung des Fürstentums
Liechtenstein vom 5. Oktober 1921), 5. 13 f. davon, «dass in der Praxis nur noch die
vom Fürsten vorgeschlagenen Kandidaten zu Richtern ernannt werden und der Ein-
fluss des demokratischen Elements und damit nicht zuletzt des Volkes auf die Zu-
sammensetzung unserer Gerichte weitgehend wegfallen würde. Auch von einer
Stärkung der Unabhängigkeit der Richter könnte in Wahrheit wohl kaum die Rede
sein, da die Abhängigkeit von den Auffassungen und Meinungen einer Einzelperson
(vor allem bei der hier in vielen Fällen vorgesehenen Wiederwahl alle 4 oder 5 Jahre)
wesentlich abhängiger machen kann, als die Wahl durch ein heterogen aus Vertre-
tern aller politischer Richtungen zusammengesetztes Parlament.» Zur Problematik
der Richterwahl bzw. -bestellung beispielsweise in Hinsicht auf Amtsdauer, Wie-
derwählbarkeit, qualifizierte Landtagsmehrheit siehe auch Gerard Batliner, Diskus-
sionsbeitrag, S. 42 f. Rz. 73.
288 Das Gremium kann dem Landtag, wie sich dies aus Art. 9 Abs. 1 LV ergibt, nur
einen Kandidaten empfehlen, dem auch der Landesfürst zugestimmt hat. So gesehen
nimmt er in diesem Richterbestellungsverfahren gegenüber dem Landtag eine Vor-
rangstellung ein.
289 Siehe Art. 96 Abs. 2 LV 2003.
365
Mitzuständigkeiten — Mitwirkungsbefugnisse des Landesfürsten
Blockadefall, wenn keine Einigung erzielt werden kann, dem Volk das
«abschliessende Entscheidungsrecht» zukommt.?®
2. Gerichtshoheit
Die Gerichtsbarkeit wird nach Art. 95 Abs. 1 LV 2003 «im Namen des
Fürsten und des Volkes durch verpflichtete Richter ausgeübt», die vom
Landesfürsten ernannt werden.??! Die Entscheidungen in Urteilsform,
auch diejenigen des Verwaltungsgerichtshofes (vormals Verwaltungsbe-
schwerde-Instanz) und des Staatsgerichtshofes,?” ergehen neu «im
Namen von Fürst und Volk». Bisher ist die Gerichtsbarkeit ausschliess-
lich «im Auftrage des Landesfürsten» ausgeübt worden. ?®
Richter im Sinne der Verfassung sind die Richter aller ordentlichen
Gerichte sowie die Richter des Verwaltungsgerichtshofes und des Staats-
gerichtshofes. Zu den ordentlichen Gerichten zählen das Fürstliche
Landgericht als erste Instanz, das Fürstliche Obergericht als zweite
Instanz und der Fürstliche Oberste Gerichtshof als dritte Instanz.?*
290 Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 227; kritisch auf der Grundlage des Verfas-
sungsvorschlages des Fürsten vom 1. März 2001 Gerard Batliner, Diskussionsbei-
trag, S. 38 ff. Rz. 65 ff.
291 Siehe Art. 11 LV 2003.
292 Ihre Entscheidungen bzw. Urteile ergingen nach der Verfassung von 1921 im Unter-
schied zu denjenigen der ordentlichen Gerichten nicht, wie die Praxis bestätigt, im
Namen des Landesfürsten. Sie sind denn auch im VII. Hauptstück «Von den Behör-
den» in einem separaten Abschnitt (Bst. C und E) und nicht unter demjenigen, der
die Rechtspflege (Bst. D) umfasst, geregelt.
293 Unter dem Gesichtspunkt der Unabhängigkeit der Gerichte ist die neue Formulie-
rung vorzuziehen, die diesen Grundsatz «unterstreicht». So die Auffassung der Ver-
fassungskommission des Landtages in ihrer Stellungnahme vom 1. Juli 1998, 5. 7 f.
Siehe Anhang 1 des Berichts der Landtagskommission zur Erarbeitung von Vor-
schlägen über eine Revision der Verfassung des Fürstentums Liechtenstein vom
5. Oktober 1921.
294 Siehe Art. 97 LV 2003. Aus welchem Grund die Bezeichnung als «fürstliches»
Gericht beibehalten wurde, nachdem neu in Art. 95 Abs. 1 LV 2003 die «gesamte
Gerichtsbarkeit im Namen des Fürsten und des Volkes» ausgeübt wird, ist nicht
ersichtlich. Es handelt sich nicht mehr um «fürstliche» Gerichte.
366
Bestellung und Entlassung der Mitglieder der Regierung
$11 BESTELLUNG UND ENTLASSUNG
DER MITGLIEDER DER REGIERUNG?®
I. Rechtslage vor der Verfassungsrevision von 2003
Damit es zu einer Ernennung bzw. Abberufung der Regierung bzw.
eines Regierungsmitgliedes kommen kann, ist es Voraussetzung, dass der
Landtag einen Vorschlag für die Ernennung der Regierung oder eines
Regierungsmitgliedes macht bzw. einen Antrag für die Abberufung der
Regierung oder eines Regierungsmitgliedes stellt und der Landesfürst
zustimmt.?® Stimmt er einem Vorschlag nicht zu, unterbleibt eine
Ernennung?” bzw. lehnt er einen Antrag ab, tritt eine Abberufung nicht
ein. Der Landesfürst kann aber weder allein eine Regierung einsetzen
bzw. Regierungsmitglieder bestellen, noch kann er ohne Antrag des
Landtages über eine Amtsenthebung befinden.?® Beispiele aus der jJün-
geren Staatspraxis bestätigen dies: Solange der Fürst einem Amtsenthe-
bungsantrag des Landtages nicht stattgibt, bleibt die Regierung bzw. das
entsprechende Regierungsmitglied im Amt. Es kann nicht zur Entlas-
sung kommen. Das Gleiche gilt auch für den Fall, dass der Landtag kei-
295 Vorne S. 337 ff. ist unter dem Blickwinkel der Alleinzuständigkeit des Landesfürs-
ten die Entlassung der Kollegialregierung bzw. der (Gesamt-)Regierung behandelt
worden. Siehe auch schon die Ausführungen vorne S. 212 ff. Hier geht es in erster
Linie um die Befugnisse des Landesfürsten bei der Bestellung und Entlassung ein-
zelner Mitglieder der (Kollegial-)Regierung.
296 Zu den in der Literatur vertretenen Lehrauffassungen siehe Walter Kieber, Regie-
rung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 296 ff. und Christine Weber, Gegen-
zeichnungsrecht, S. 309 ff.; vgl. auch Herbert Wille, Der parlamentarische Charak-
ter der Regierung, S. 11 ff.
297 Der Landesfürst kann nur eine vom Landtag vorgeschlagene Person zum Regie-
rungsmitglied ernennen. Es geht zu weit, wenn Otto Ludwig Marxer, Die Organisa-
tion der obersten Staatsorgane, S. 18, 41 f. und 94 die Auffassung vertritt, der Fürst
sei «gezwungen, einen Regierungschef zu bestellen, der vor allem dem Landtag
passt». Der Vorschlag und die Ernennung sind nach ihm «nur sekundär, fast nur noch
die Erfüllung einer Förmlichkeit. Den ganzen materiellen Einfluss auf die Bestellung
der Regierung hat der Landtag.» Dieser Standpunkt hat wohl einen politischen An-
strich und erklärt sich vor dem Hintergrund der Verfassungsauseinandersetzungen
von 1921 um die Regierung, insbesondere um die Person des Regierungschefs. Vgl.
auch Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 107.
298 Zur Thematik der Amtsenthebung der Regierung siehe die Stellungnahme der
Regierung an den Landtag vom 26. November 2002, Nr. 135/2002, 5. 38 ff., die die
verschiedenen Rechtsansichten, die in der Lehre vertreten werden, auflistet.
367
Mitzuständigkeiten — Mitwirkungsbefugnisse des Landesfürsten
nen Amtsenthebungsantrag stellt.? Der Fürst kann nicht von sich aus
die Regierung oder ein Regierungsmitglied entlassen.?®
Die Amtsenthebung der Regierungsmitglieder ist während deren
Amtsdauer nur insoweit zulässig, als sie in Art. 80 LV vorgesehen ist. Sie
bildet die Ausnahme. Diese Bestimmung statuiert ein «doppeltes Ver-
antwortungsverhältnis»*? der Regierung und ihrer Mitglieder gegenüber
dem Landesfürsten und dem Landtag, wobei es auf die Amtsführung
abstellt.
II. Rechtslage nach der Verfassungsrevision von 2003
1. Allgemeines
Die Verfassungsrevision hält am bisherigen Bestellungsverfahren der
Regierung bzw. ihrer Mitglieder fest, während sie die Amtsenthebung in
Art. 80 LV neu regelt. Diese wird einerseits ausschliesslich auf die poli-
tische Verantwortlichkeit ausgerichtet. Andererseits wird sie durch ein
Verfahren ersetzt, das unterschiedlich gestaltet ist, und zwar je nachdem,
ob es sich um die Amtsenthebung der Regierung als Ganzes (Kollegial-
regierung) oder um ein einzelnes Regierungsmitglied handelt.
2. Entlassungsverfahren
Die Befugnis zur Ausübung des Amtes erlischt für die Kollegialregie-
rung, wenn sie das Vertrauen des Landesfürsten oder des Landtages ver-
299 Vgl. die entsprechenden Hinweise bei Gerard Batliner, Diskussionsbeitrag, S. 46 ff.
300 Vgl. auch Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht,
5.79 f.; ders., Aktuelle Fragen, S. 36 ff.; a. A. Ernst Pappermann, Die Regierung des
Fürstentums Liechtenstein, S. 120 f. unter Berufung auf Hans Nawiasky, Rechts-
gutachten, S. 5; Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 235 f. Nach ihm bleibt «in
Ermangelung einer ausdrücklichen weiteren Einschränkung [...] die allgemeine
Befugnis des Fürsten zur Entlassung der Regierung weiter bestehen.» Er unter-
scheidet demzufolge zwischen einer Amtsenthebung und einer Entlassung, die ein-
seitig durch den Landesfürsten erfolgen kann (S. 248 f.).
301 Gerard Batliner, Aktuelle Fragen, S. 37 Rz. 62.
302 Formulierung in Anlehnung an Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 233.
368
Verfassungs- und Gesetzesinitiativrecht
liert, währenddem ein einzelnes Regierungsmitglied in einem solchen
Fall nicht ipso iure die Befugnis zur Ausübung seines Amtes verliert.
Landesfürst und Landtag haben einvernehmlich eine entsprechende Ent-
scheidung zu treffen. Bis zur Ernennung des neuen Regierungsmitglie-
des hat sein Stellvertreter die Amtsgeschäfte fortzuführen.?°
$12 VERFASSUNGS- UND
GESETZESINITIATIVRECHT
I. Allgemeines
Dem Landesfürsten steht nach bisherigem Recht ein eigenes Initiativ-
recht für Verfassungsänderungen zu, das die Lehre aus Art. 111 Abs. 2
LV hergeleitet hat.?* Diese Bestimmung wurde in der Verfassungsrevi-
sion von 2003 zu Art. 112 Abs. 2, der zum Teil neu gefasst worden ist.
Inhaltlich hat sich am Begriff «Regierung» nichts geändert. Er kann wie
bisher in einem erweiterten Umfang verstanden werden, der auch den
Landesfürsten einbezieht, obwohl sich die Regierung institutionell
gegenüber der Konstitutionellen Verfassung von 1862 zu einem eigen-
ständigen Organ entwickelt hat.?°
Ein eigenes Gesetzesinitiativrecht sieht die Verfassung nicht vor.
Der Landesfürst kann Gesetzesvorschläge nur «in der Form von Regie-
rungsvorlagen» einbringen,?*® sodass er «kein direktes Gesetzesinitiativ-
303 Siehe Art. 80 Abs. 2 LV 2003.
304 Siehe Gerard Batliner, Schichten, S. 292 Fn. 26; ders., Einführung in das liechtenstei-
nische Verfassungsrecht, S. 70; Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 211.
305 Vgl. Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit und duale Staatsordnung, S. 105 f.
Schon Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 44
macht auf die unterschiedliche Bedeutung des Begriffs der Regierung in der Verfas-
sung aufmerksam. Vgl. auch Gerard Batliner, Die liechtensteinische Rechtsordnung,
S. 108. Günther Winkler, Verfassungsrecht, S. 123, spricht in diesem Zusammenhang
vom «Verfassungsgesetzgeber», zu dem auch der Landesfürst zählt, der «Abände-
rungen und Erläuterungen dieses Grundgesetzes» beantragen kann. In $ 121 Abs. 1
KV 1862 hiess es zusätzlich noch: «An diesem Landesgrundgesetze darf ohne Über-
einstimmung der Regierung (Landesfürst) und des Landtages (d. i. der Verfassungs-
gesetzgeber) nichts geändert werden.»
306 Nach $ 41 KV 1862 stand «das Recht der Initiative in der Gesetzgebung» auch dem
Landesfürsten zu, der entsprechende «Gesetzesvorschläge» über den «Regierungs-
369
Mitzuständigkeiten — Mitwirkungsbefugnisse des Landesfürsten
recht» bzw. kein eigenständiges oder «originäres» Initiativrecht in der
Gesetzgebung hat.?” Auch die in Art. 10 Abs. 1 LV erwähnten Verord-
nungen, die der Landesfürst «durch die Regierung» erlässt, weisen nach
der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes, die nur Durchführungs-
oder Vollziehungsverordnungen kennt,*® keine andere rechtliche Quali-
tät auf als die in Art. 92 Abs. 2 LV angesprochenen Durchführungsver-
ordnungen, die die Regierung erlässt.?®
II. Regierungsvorlage und Weisungsrecht
Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage eines Weisungsrechts
des Fürsten gegenüber der Regierung, die in der neueren Literatur mehr-
heitlich negiert wird.?!19
Ein Auftragsrecht gemäss Art. 92 Abs. 1 LV, wonach die Regierung
die «rechtlich zulässigen Aufträge» des Landesfürsten zu vollziehen hat,
hat sich an die von der Verfassung gezogenen Schranken zu halten. Da-
nach darf ein Auftrag nicht gegen sie verstossen, insbesondere nicht die
verfassungsmässige Kompetenzordnung und das in der Verfassung ver-
ankerte Gewaltenteilungsprinzip verletzen.?!! Mit diesen verfassungs-
rechtlichen Vorgaben sind inhaltliche Weisungen für die Regierungsvor-
lage nicht zu vereinbaren,?!? da sie einen Eingriff in die «Autonomie der
Kommissär» im Landtag einbrachte. Siehe dazu $ 17 Abs. 1 der Geschäftsordnung
für den Landtag von 1863.
307 Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 211. In diesem Sinne auch Diet-
mar Willoweit, Verfassungsinterpretation im Kleinstaat, S. 204; Gerard Batliner,
Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 68 f.; Andreas Schurti, Das
Verordnungsrecht der Regierung, S. 110; a. A. Walter Kieber, Regierung, Regie-
rungschef, Landesverwaltung, S. 309 Fn. 9 und Christine Weber, Gegenzeichnungs-
recht, S. 156, die von einem originären Gesetzesinitiativrecht des Fürsten ausgehen.
308 Vgl. Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 244 ff.
309 So Dietmar Willoweit, Verfassungsinterpretation im Kleinstaat, S. 205 f.
310 Vgl. Dietmar Willoweit, Verfassungsinterpretation im Kleinstaat, S. 204 f.; Hilmar
Hoch, Verfassungs- und Gesetzgebung, S. 211 und das dort zitierte Schrifttum.
311 Siehe zu den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen Walter Kieber, Regierung,
Regierungschef, Landesverwaltung, S. 305 f; Hilmar Hoch, Verfassung- und
Gesetzgebung, S. 212 und Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische
Verfassungsrecht, 5. 74 f.
312 Fraglich ist, ob die von Michael Ritter, Die Organisation des Gesetzgebungsverfah-
rens, S. 71 erwähnten Beispiele von fürstlichen Gesetzesinitiativen diesen Voraus-
370
Sanktionsrecht
Exekutive» bedeuten. Nicht zulässig ist es, wenn der Landesfürst die Re-
gierung beauftragt, eine Regierungs- bzw. Gesetzesvorlage nach den von
ihm vorgegebenen Grundsätzen auszuarbeiten und sie dem Landtag zu
unterbreiten. Dies hat der Staatsgerichtshof in seinem Urteil vom
29. März 201053 nicht bedacht, wenn er davon spricht, der Landesfürst
habe, indem er von seinem Initiativrecht Gebrauch gemacht habe, die Re-
gierung beauftragt, eine Gesetzesvorlage nach den von ihm gegebenen
Richtlinien zu verfassen, an die sich die Regierung gehalten habe.?!*
Nicht zu übersehen ist, dass das Auftragsverhältnis die Stellung der
Regierung gegenüber dem Landesfürsten berührt. Sie ist nicht mehr wie
noch unter dem Regime der Konstitutionellen Verfassung von 1862 eine
«fürstliche» Regierung bzw. ein «Vollzugsorgan des landesherrlichen
Willens»,?5 sondern ein selbständiges Staats- und Verfassungsorgan mit
eigener Entscheidungsbefugnis.?® Es liegt daher an ihr, den Auftrag auf
seine Verfassungskonformität zu prüfen. Ist dies nicht der Fall, hat sie
den Auftrag nicht zu vollziehen.?!7
$13 SANKTIONSRECHT
I. Herkunft und Entwicklung
1. Konstitutionelle Verfassung von 1862
Bei der im Sanktionsrecht enthaltenen Vetobefugnis handelt es sich um
ein Element, das aus dem frühkonstitutionellen Verfassungsrecht
stammt.?!18 Die Sanktionsverweigerung hat die Wirkung eines absoluten
setzungen gerecht werden. Siehe auch Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht,
$. 157 Fn. 87.
313 StGH 2009/49, Urteil vom 29. März 2010, Erw. 3.4 (im Internet abrufbar unter:
<www.gerichtsentscheide.li>).
314 Der Staatsgerichtshof bezieht sich auf BuA der Regierung vom 24. Januar 1962, S. 2.
315 Dietmar Willoweit, Verfassungsinterpretation im Kleinstaat, S. 204.
316 In diesem Sinne zur Regierung hinten S. 541 f.
317 Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 305.
318 Wilhelm Brauneder, Die Verfassungsentwicklung in Österreich, S. 105.
371
Mitzuständigkeiten — Mitwirkungsbefugnisse des Landesfürsten
Vetos.}!9 In Deutschland scheint der Begriff der Sanktion gegen Ende des
18. Jahrhunderts in monarchischen Verfassungen auf, wobei über den In-
halt, der dem Sanktionsrecht zukommt, keine Klarheit herrscht. Einig ist
man in der konstitutionellen Staatsrechtslehre über den monarchischen
Charakter der Sanktion. Sie bezeichnet einen gesetzgeberischen Akt des
Monarchen, da nur er ein Gesetz «sanktioniere».?° Das monarchische
Prinzip weist den Monarchen, der in sich «alle Rechte der Staatsgewalt»
vereinigt, als alleinigen Gesetzgeber aus, wie dies auch in der Konstitu-
tionellen Verfassung von 1862 der Fall ist,?! sodass für sie unter diesem
Vorzeichen kein Anlass und keine Notwendigkeit bestand, für den Fürs-
ten ein Sanktionsrecht vorzusehen.?? Es heisst in $ 24 Abs. 1 lediglich,
dass «ohne Mitwirkung und Zustimmung des Landtages» kein Gesetz
gegeben, aufgehoben, abgeändert oder authentisch erklärt werden darf.
Danach kommt dem Landtag nur die Befugnis zu, den Fürsten bei der
Ausübung des Gesetzgebungsrechts zu beschränken. Dementsprechend
formuliert die Einleitungsformel der Gesetze, dass sie der Landesfürst
mit Zustimmung des Landtages «verordnet». Dieser erscheint als blos-
ses Zustimmungsorgan. Als der eigentliche Gesetzgeber wird der Lan-
desfürst angesehen, der alleiniger Träger der Staatsgewalt ist. Faktisch er-
wies sich das gesetzgeberische Mitwirkungsrecht des Landtages aller-
dings als echte Teilhabe an der Ausübung der Staatsgewalt.?*
319 Vgl. Gerard Batliner, Parlament, S. 21 Fn. 29; zur Entstehungsgeschichte der Sank-
tion als Akt des Gesetzgebungsverfahrens siehe Walter Mallmann, Die Sanktion im
Gesetzgebungsverfahren, S. 41 ff. Eine exakte Unterscheidung zwischen Sanktion
und Veto wird nicht gemacht.
320 Walter Mallmann, Die Sanktion im Gesetzgebungsverfahren, S. 50 mit weiteren
Hinweisen.
321 Siehe $2 KV 1862.
322 Das trifft auch auf die Verfassung von Hohenzollern-Sigmaringen 1833 zu. Die
Sanktion kennen dagegen in Anlehnung an den Wortlaut der französischen Charte
von 1814 die Verfassungen von Bayern 1818 (Titel 7 $ 30) und Württemberg 1819
($ 172 ID). Siehe Walter Mallmann, Die Sanktion im Gesetzgebungsverfahren, S. 48.
Er hält fest, dass nach der herrschenden Sanktionstheorie der Monarch deshalb allei-
niger Gesetzgeber sein müsse, weil er der alleinige Träger der Staatsgewalt sei
(S. 126).
323 Vgl. etwa LGBl. 1865 Nr. 7, LGBl. 1883 Nr. 4 und LGBl. 1891 Nr. 7.
324 Siehe schon vorne S. 106.
372
2.
Sanktionsrecht
Verfassung von 1921
Diesen Rechtsstatus ändert die Verfassung von 1921, indem sie die Staats-
gewalt im Fürsten und im Volk verankert, sodass sich das Sanktionsrecht
des Fürsten nicht mehr aus der Staatsgewalt ableiten lässt. Der Fürst ist
nicht mehr der alleinige Gesetzgeber. Um diesen Statusverlust auszuglei-
chen, ist es erforderlich, dass die Verfassung dem Fürsten das Sanktions-
recht zuspricht. Denn er soll im Gesetzgebungsverfahren das «letzte
Wort» haben.25 Aus diesem Grund erwähnt sie das Sanktionsrecht und
räumt dem Fürsten eigens in Art. 9 das Sanktionsrecht ein, das textlich
allgemein und unbestimmt gehalten ist.”® Es wird auch in Art. 65 Abs. 1
325
326
Aufschlussreich sind in einer Rückschau auf die Verfassung von 1921 die verfas-
sungspolitischen Standpunkte. Vgl. LVolksblatt Nr. 63 vom 9. August 1922 unter
dem Titel «Die Demokratie marschiert». Es kritisiert die Eingangsformel der Ge-
setze, die im Nachgang zur Verfassung in dem Sinne geändert worden ist, wonach
nicht mehr der Fürst mit Zustimmung des Landtages ein Gesetz beschliesst, son-
dern der Fürst einem vom Landtag gefassten Beschluss zustimmt (vgl. etwa LGBl.
1922 Nr. 28 oder LGBl. 1922 Nr. 36). Eine solche Einleitungsformel sei mit Art. 9
LV kaum mehr vereinbar, wonach jedes Gesetz zu seiner Gültigkeit der Sanktion
des Landesfürsten bedürfe. Diese Verfassungsbestimmung sei «doch nur so zu ver-
stehen, dass das vom Landtage beschlossene Gesetz der Sanktion des Fürsten be-
dürfe, dass das letzte Wort beim Fürsten liege.» Es gehe eben darum zu verhindern,
«dass die Monarchie wirklich zu einem blossen Schein herabgedrückt wird, dass
nicht nur die Worte, sondern auch der Geist des II. Hauptstückes der Verfassung
bestimmend sein und bleiben sollen.» Der Zeitungsartikel, der die Haltung der sei-
nerzeitigen Mehrheitspartei, der Fortschrittlichen Bürgerpartei, wiedergibt,
schliesst wie folgt: «Viele Leser mögen glauben, es handle sich um einen Kampf um
Worte. In Wirklichkeit aber handelt es sich um Grundsätze und Rechte, um Schmä-
lerung weiterer Rechte des Fürsten.» Dieser Kritik entgegnen die Oberrheinischen
Nachrichten in ihrer Ausgabe Nr. 63 vom 12. August 1922 mit den Worten: «Die
Einleitungsformel entspricht vollkommen der Verfassung. Die Staatsgewalt wird
nach Artikel 2 der Verfassung vom Fürsten und Volke getragen und ausgeübt. Zu-
erst hat sich in der Regel der Landtag mit einem Gesetz zu befassen, und diesem so
beschlossenen Gesetze kann der Fürst seine Sanktion erteilen oder nicht. Die Ein-
leitungsformel bringt den Werdegang des Gesetzes, aber auch die verfassungsrecht-
liche Stellung der gesetzgebenden Organe zum Ausdruck. Die frühere Formel war
in dieser Hinsicht nicht genau, und sie entspricht schon gar nicht mehr dem Geiste
der neuen demokratischen Verfassung. [...] Nach Artikel 2 der Verfassung haben
wir eine Monarchie auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage. Dieser
Verfassungsgrundsatz ist wie jeder andere einzuhalten, und in anderer Weise darf in
Liechtenstein nicht mehr regiert werden.» Vgl. auch Herbert Wille, Landtag und
Wahlrecht, 5. 128 ff.
Es ist auch im Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck in Art. 31 Abs. 1 enthalten.
Siehe O.N. Nr. 48 vom 16. Juni 1920.
373
Mitzuständigkeiten — Mitwirkungsbefugnisse des Landesfürsten
und neu in Art. 112 Abs. 2 LV 2003 erwähnt. Das Volk bzw. der Landtag
ist neben dem Fürsten zum Mitgesetzgeber und Entscheidungsorgan ge-
worden. Seine Tätigkeit ist in erster Linie rechtsetzender Natur und eine
unerlässliche Voraussetzung für das Zustandekommen eines Gesetzes.
Der Landtag nimmt gestaltend an der Gesetzgebung teil. Zu diesem
Zweck steht ihm auch das Initiativrecht zur Verfügung.” Gesetze kön-
nen nicht mehr wie noch unter der Konstitutionellen Verfassung von
1862 als einseitige Willensakte des souveränen Fürsten als Staatsober-
haupt betrachtet werden.??® Insoweit hat sich die Stellung des Fürsten im
Gesetzgebungsverfahren wesentlich geändert, sodass das Sanktionsrecht,
das ihm unter anderen Verfassungsvoraussetzungen schon bisher zu-
stand, den Verlust der Prädominanz auf diesem Gebiet aufwiegen soll.
Beide, Fürst und Volk bzw. als dessen Repräsentant der Landtag,
sind verfassungsgebundene Staatsorgane, die im dualistischen Verfas-
sungssystem zusammenwirken müssen, d. h. zum Kompromiss bzw.
Einvernehmen verpflichtet sind, damit ein Gesetz entstehen und seine
Rechtswirkung entfalten kann.
II. Inhalt und Umfang
1. Lehrmeinungen
Ein Gesetz bedarf zu seiner Gültigkeit der Sanktion des Landesfürsten.
Sie besteht in einer Prüfung des Gesetzesbeschlusses in formeller und
327 Siehe vorne S. 108 und hinten S. 516.
328 Eine andere Sichtweise vertritt noch vorwiegend die ältere Literatur. Siehe Otto
Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, S. 7, der das Sank-
tionsrecht des Fürsten als einen der Schwerpunkte des monarchischen Prinzips
betrachtet und den Fürsten als «Angelpunkt der Rechtssetzung» bezeichnet. Nach
Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 74 kommt in der Sanktion des Gesetzes die
Staatsgewalt zur Geltung. Sie ist «Gesetzgebung im staatsrechtlichen Sinne des
Wortes». Er bezieht sich dabei auf Paul Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches,
Bd. 2, 5. 6. Vgl. auch Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechten-
stein, S. 130 f., der Georg Meyer/Gerhard Anschütz, Lehrbuch des deutschen
Staatsrechts, S. 662 zitiert, wonach die Sanktion «der eigentliche zentrale Akt auf
dem Wege des Gesetzgebungsverfahrens» ist. Er hält fest, dass in der liechtensteini-
schen Literatur das Recht des Fürsten, die Sanktion zu verweigern, in «vollem
Umfang» anerkannt ist.
374
Sanktionsrecht
materieller Hinsicht wie auch in Hinsicht auf die Zweckmässigkeit.”* Es
ist im Schrifttum auch die Rede von einem breiten Ermessen. Sie
schliesst auch das Recht ein, die Sanktion zu verweigern. Danach wird
das Sanktionsverweigerungsrecht in einem umfassenden Sinn verstan-
den, sodass sich die Sanktion nicht nur «auf die Prüfung der Gesetze
etwa nur auf offenkundige materielle Rechtsfehler oder gar nur in for-
meller Hinsicht» beschränkt.®! Es wird u.a. auch argumentiert, der
Fürst könne, um das «übergeordnete Interesse des Staates» zu schüt-
zen, die Sanktion verweigern. Damit werde verhindert, dass «sachlich
verfehlte oder verfassungswidrige Gesetzesbeschlüsse» zustande kom-
men.?3 Die Aussage, wonach das Sanktionsrecht in erster Linie dem
«Schutz der Verfassung» dienen soll,#* darf aber nicht so verstanden
werden, dass der Landesfürst zum «Hüter» der Verfassung wird. Eine
solche monopolisierende Stellung kommt ihm nicht zu. Es haben sich
alle Staatsorgane an die Verfassung zu halten bzw. sie zu schützen. Die
verfassungsgerichtliche Rechtskontrolle überträgt die Verfassung in
Art. 104 Abs. 2 dem Staatsgerichtshof. Der Landesfürst nimmt als (Mit-)
Gesetzgeber eine andere verfassungsrechtliche Position ein als der
Staatsgerichtshof.?®
329 Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 159. Dietmar Willoweit, Verfassungsin-
terpretation im Kleinstaat, S. 203 führt aus: «Unter Sanktion ist sprachlich nicht nur
die Unterschrift und der Erlass des Gesetzes kraft fürstlicher Autorität, sondern ge-
wiss auch die inhaltliche Prüfung des Gesetzestextes zu verstehen. Dies aber
schliesst — soll die Regelung nicht funktionslos sein — das Recht des Landesfürsten
ein, einem Gesetz die Sanktion zu versagen.» Er spricht auch von einer «Richtig-
keitskontrolle» (S. 207).
330 Vgl. nur Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 666 Rz. 60 mit
weiteren Literaturhinweisen.
331 Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 159. Sie leitet aus dem Mitwirkungs-
recht des Fürsten am Gesetzgebungsverfahren ein «umfassendes» Prüfungsrecht ab.
Demnach könne er die Sanktion aus politischen Zweckmässigkeitsgründen verwei-
gern. Vgl. auch Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 74 f.; Michael Ritter, Die Orga-
nisation des Gesetzgebungsverfahrens, S. 71 und 75.
332 Claudio Rossano, Parlamentarische Regierungsform und Demokratie, S. 82.
333 Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 196.
334 Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 199.
335 Zum Staatsgerichtshof siehe hinten S. 603 ff.
375
Mitzuständigkeiten — Mitwirkungsbefugnisse des Landesfürsten
2. Auswirkungen
Erteilt der Landesfürst einem Gesetz die Sanktion nicht, kann es nicht in
Kraft treten. Eine Verweigerung der Sanktion hat demnach im Anlassfall
die Wirkung eines absoluten Vetos,®® denn das betroffene Gesetz ist
nicht nur vorläufig aufgeschoben, sondern endgültig gescheitert. Das
Veto des Landesfürsten kann auf verfassungsmässigem Weg nicht besei-
tigt werden.?7 Das Gesetzgebungsverfahren muss neu begonnen wer-
den.8 Ein solches Sanktionsrecht wirkt sich in der Folge auch präven-
tiv auf das Verhalten von Landtag und Regierung aus.3? Es kann ein
Gesetzesvorhaben verhindern bzw. ein Gesetz blockieren. Um ein
Veto zu vermeiden, werden Landtag und Regierung darauf bedacht sein,
die Vorstellungen des Landesfürsten schon im Vorfeld des Gesetzge-
bungsverfahrens in ihre Überlegungen einzubeziehen.?4! Dabei kann es
aber für die Regierung nicht darum gehen, seine politische Position zu
übernehmen. Aus dem Sanktionsverweigerungsrecht kann keine soge-
336 Vgl. Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 158 mit weiteren Literaturhinwei-
sen.
337 Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 14 Rz. 33 gibt zu bedenken,
dass das Verfassungsrecht in weitem Masse nicht zwangsbewehrt ist, sodass es gegen
widerstrebende oberste Staatsorgane nicht durchgesetzt werden kann, wie dies bei
der Verweigerung der Sanktion der Fall ist.
338 Es sind nach Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 192 und 194 «eine neuerliche
gleichartige Gesetzesinitiative oder ein neuerlicher gleichartiger Gesetzesbeschluss
des Landtages nicht ausgeschlossen». Dabei wird es wohl auf die Umstände der
Sanktionsverweigerung ankommen, die je nachdem einer Gesetzesinitiative über
denselben Gegenstand im Wege stehen können. Vgl. auch Günther Winkler, Verfas-
sungsrecht, S. 90.
339 So gibt schon Georg Jellinek, Verfassungsänderung und Verfassungswandlung, S. 39
zu verstehen: «Welche Gründe auch immer gegen die Ausübung der im Sanktions-
recht liegenden Vetobefugnis sprechen mögen, so ist diese Befugnis dennoch eine
reale politische Macht von grösster Bedeutung. Schon deren Möglichkeit bestimmt
den Gesetzgebungsprozess derart, dass in den weitaus meisten Fällen die Voraussicht
ihrer möglichen Handhabung es zu einer solchen gar nicht kommen lässt [...]».
340 Claudio Rossano, Parlamentarische Regierungsform und Demokratie, S. 81.
341 Kritisch Gerard Batliner/ Andreas Kley/ Herbert Wille, Memorandum, S. 6 Ziffer
13. Es heisst dort, dass dadurch Landtag und Regierung gezwungen seien, von vorn-
herein in allen Phasen des Gesetzgebungsverfahrens den Vorgaben des Landesfürs-
ten Rechnung zu tragen. Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 160 misst un-
ter Bezugnahme auf Michael Ritter, Die Organisation des Gesetzgebungsverfah-
rens, S.75 dem Informationsaustausch im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens
grosses Gewicht bei.
376
Sanktionsrecht
nannte politische Richtlinienkompetenz und damit auch kein Weisungs-
recht des Fürsten gegenüber der Regierung abgeleitet werden.?? Es
würde die Regierung als eigenständige Institution infrage stellen und sie
zu einem blossen Vollzugsorgan des Fürsten herunterstufen.
3. Befristung
Die Befristung des Sanktionsrechts wurde in der Verfassungsrevision
von 2003 aus Gründen der Rechtsklarheit in Art. 65 Abs. 1 letzter Satz
LV aufgenommen.? Die Sanktion des Landesfürsten gilt als verweigert,
wenn sie nicht innerhalb von sechs Monaten erfolgt. Diese Terminierung
stellt lediglich eine «formale Beschränkung» dar,*#* ohne dass sie etwas
am absoluten Charakter des Sanktionsrechts ändert. Der ungenützte
Ablauf dieser Frist beendet ipso iure das Gesetzgebungsverfahren.?5 Er
führt mit anderen Worten zur Verweigerung der Sanktion, bei der es sich
um eine Entscheidung bzw. einen Erlass des Fürsten handelt, der gemäss
Art. 65 und 85 LV der Gegenzeichnung durch den Regierungschef
bedarf. Diesen Aspekt blendet eine solche Regelung völlig aus, sodass es
nicht zur Übernahme der politischen Verantwortung durch den Regie-
342 Dietmar Willoweit, Verfassungsinterpretation im Kleinstaat, S. 203 ff.; Gerard Bat-
liner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 68 f.; Hilmar Hoch,
Verfassung- und Gesetzgebung, S. 211 f. und 224. Michael Ritter, Die Organisation
des Gesetzgebungsverfahrens, S. 71 Fn. 2 bejaht ein Weisungsrecht.
343 Vgl. Rene Rhinow, Rechtsgutachten, S. 53, der die Terminierung des Sanktions-
rechts aus Rechtssicherheitsgründen einerseits begrüsst, andererseits es als «stos-
send» erachtet, «dass dem Nichthandeln des Fürsten die Wirkung eines absoluten
Vetos zukommt». Demgegenüber betont Günther Winkler, Verfassungsreform,
S. 194 die Bedeutung der Befristung, da sie das Sanktionsverweigerungsrecht des
Landesfürsten erheblich einschränke, indem sie «dem Fall eines anhaltenden Untä-
tigbleibens des Fürsten» entgegenwirke. Dass der Landesfürst das Sanktionsrecht
ohne Terminierung als Mittel einsetzen kann, um das Gesetzgebungsverfahren zu
verzögern, wie Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein,
S.129 vermerkt, ist nicht von der Hand zu weisen, wie das Beispiel des vom Land-
tag beschlossenen und nicht sanktionierten Staatsgerichtshof-Gesetzes aus dem
Jahre 1992 zeigt. Siehe dazu Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 160 Fn. 97
und Gerard Batliner/ Andreas Kley/Herbert Wille, Memorandum, S. 6 Ziffer 13.
344 Vgl. BuA Nr. 87/2001 der Regierung vom 20. November 2001, S. 25.
345 Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 194. Kritisch Gerard Batliner/ Andreas
Kley/Herbert Wille, Memorandum, S. 6 Ziffer 15.
377
Mitzuständigkeiten — Mitwirkungsbefugnisse des Landesfürsten
rungschef kommt. Mit Blick auf Art. 85 LV ist allerdings davon aus-
zugehen, dass der Regierungschef nicht nur dem Landesfürsten, sondern
auch dem Landtag bzw. dem Stimmvolk als (Mit-)Gesetzgeber gegen-
über die Verantwortung zu übernehmen hat, indem er, wie es dort heisst,
die «Gesetze» gegenzeichnet, d. h. deren verfassungsmässiges Zustande-
kommen bescheinigt.
III. Verfassung als Schranke
1. Sanktionsverweigerung bzw. -unterlassung
Der Landesfürst ist bei allen seinen staatlichen Akten, zu denen auch das
Sanktionsrecht als Teil des Gesetzgebungsverfahrens zählt, an die Ver-
fassung gebunden. Aus diesem Grund kann das Sanktionsrecht nicht
mehr als eine «echte Prärogative des Fürsten» bezeichnet werden.?* Die
konstitutionelle Lehre verstand nämlich unter einem Prärogativrecht,
das noch aus der Zeit der absoluten Monarchie stammt, ein Recht, das
vom Fürsten im Wesentlichen frei, ohne Bindung an die Verfassung und
ohne Mitwirkung anderer Staatsorgane ausgeübt werden konnte.
Die geänderte Verfassungslage, d. h. die rechts- und verfassungs-
staatliche Monarchie, gebietet ein anderes Verständnis. Danach kann der
Landesfürst das Sanktionsrecht nicht «nach Belieben» ausüben. Sanktio-
niert er einen Gesetzesbeschluss des Landtages bzw. des Volkes nicht,
muss er sich auf sachliche Gründe, wie z. B. verfassungsrechtliche
Bedenken, stützen können.?? Unter Berücksichtigung des Gesetzge-
346 Jochen Abr. Frowein, Rechtsgutachten zu den Verfassungsvorschlägen des Fürsten-
hauses, S. 13 ff. (15), der dabei auf die Staatspraxis aufmerksam macht, wonach der
Fürst die Sanktion ohne Gegenzeichnung verweigert. Er bezeichnet dies als «in-
konsequente Beschränkung des Gegenzeichnungsrechts». Zur Staatspraxis siehe
Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 91 f.
347 Vgl. Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 223 f., der eine «echte Präro-
gative» annimmt.
348 Vgl. Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 243 unter Bezugnahme auf Edwin
Loebenstein, Die Stellvertretung des Landesfürsten, S. 112.
349 Vgl. auch Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 666 Rz. 61,
die eine krasse Verletzung verfahrensrechtlicher oder materieller rechtsstaatlicher
Grundsätze ins Auge fassen. Zur Begründungspflicht verweisen sie auf Gerard Bat-
liner, Die Sanktion der Gesetze, S. 134.
378
Sanktionsrecht
bungsverfahrens aus parlamentarisch-demokratischer Sicht, d. h. der
Beteiligung von Landtag und Volk, darf jedenfalls ein Veto im Anwen-
dungsfall die Legislativ-Kompetenz des Landtags bzw. des Volkes nicht
ihrer Substanz berauben.?50
Besonders stossend wird das sogenannte Voraus-Veto wahrgenom-
men, in dem der Landesfürst vor der Abstimmung ankündigt, dass er
auch einem Gesetzesbeschluss des Landtages bzw. einem solchen Geset-
zesbeschluss, der in der Volksabstimmung angenommen wird, die Sank-
tion verweigern werde. Nach der Rechtsprechung des Staatsgerichts-
hofes, wie sie sich im Zusammenhang mit der EWR-Abstimmung
präsentiert, verletzt ein solches Voraus-Veto des Landesfürsten die Ab-
stimmungsfreiheit.?!
2. EMRK und innerstaatliche Beschwerdemöglichkeit
Im Zusammenhang mit der Sanktionsverweigerung oder der schlichten
Unterlassung der Sanktion eines vom Landtag beschlossenen oder eines
in einer Volksabstimmung angenommenen Gesetzes stellt sich die Frage
der innerstaatlichen Beschwerdemöglichkeit, wie sie mit Blick auf
Art. 13 EMRK i. V. m. Art. 3 des 1. ZP zur EMRK schon gefordert wor-
den ist.32 Da die Verfassung das Sanktionsrecht des Landesfürsten ın
350 Vgl. Gerard Batliner, Die Sanktion der Gesetze, S. 137 unter Bezugnahme auf Mark
E. Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, 1993, S. 389
Rz. 651 und Jochen Abr. Frowein/ Wolfgang Peukert, EMRK-Kommentar, 2. Aufl.,
1996, S. 836 Rz. 2. Vgl. auch Rene Rhinow, Rechtsgutachten, 5. 50 ff., der unter Be-
zugnahme auf Jochen Abr. Frowein/ Wolfgang Peukert, Europäische Menschen-
rechtskonvention, 2. Aufl., 1996, S. 836 zum Schluss kommt, dass ein absolutes Veto
von einem nicht auf direkter oder indirekter Volkswahl beruhenden Organ nach
Art. 3 des ZP I zur EMRK problematisch ist. In diesem Sinne auch Claudio Ros-
sano, Parlamentarische Regierungsform und Demokratie, S. 81, wenn er ausführt:
«Auf formaler Ebene ist evident, dass das einem Staatsoberhaupt, welches auf Le-
benszeit im Amt und dem Parlament nicht verantwortlich ist, verliehene Sanktions-
recht diesem eine Macht sichert, die demokratisch nicht begründbar erscheint. Nach
der Verfassung Liechtensteins ist insbesondere das Veto weder durch eine nachfol-
gende Abstimmung des Landtages überwindbar, noch wenn die Abstimmung mit
qualifizierter Mehrheit erfolgt.» Vgl. auch hinten S. 452 ff.
351 Siehe StGH 1993/8, Urteil vom 21. Juni 1993, LES 3/1993, S. 91 (97 Erw. 2.1).
352 Vgl. Gerard Batliner, Die Sanktion der Gesetze, S. 137 f. Art. 13 EMRK hat akzes-
sorischen Charakter. Das heisst, dass eine Verletzung nur in Verbindung mit einem
379
Mitzuständigkeiten — Mitwirkungsbefugnisse des Landesfürsten
Art. 9 statuiert, versteht es sich, dass die Verfassungskonformität nicht
Gegenstand dieser Fragestellung sein kann und insoweit eine Beschwer-
demöglichkeit gegen eine Sanktionsverweigerung oder -unterlassung an
den Staatsgerichtshof nicht gegeben ist.
Teilt man jedoch die Auffassung, wonach eine Sanktionsverweige-
rung oder -unterlassung eines vom Landtag beschlossenen oder eines in
einer Volksabstimmung angenommenen Gesetzesbeschlusses des Land-
tages ım Anwendungsfall gegen Art. 3 1. ZP EMRK verstösst,®3 so wäre
zu überlegen, ob man sie gestützt auf Art. 15 Abs. 1 und 2 SSGHG mit
Individualbeschwerde beim Staatsgerichtshof rügen könnte. Danach ist
Voraussetzung, dass sich die Konventionsverletzung gegen eine enderle-
digende letztinstanzliche Entscheidung oder Verfügung der öffentlichen
Gewalt richtet. Geschützt werden verfassungsmässig gewährleistete
oder in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte Rechte
der Bürger. Die «öffentliche Gewalt» umfasst zwar begrifflich «sämtli-
che Träger von Hoheitsgewalt», also auch den Landesfürsten. Unter
«Entscheidungen und Verfügungen» sind aber «ausschliesslich hoheitli-
anderen Konventionsrecht geltend gemacht werden kann. Siehe Christoph Graben-
warter/Katharina Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 485 Rz. 170.
353 Diese Frage ist im Schrifttum umstritten. In der Judikatur des EGMR findet sich
kein Hinweis. Nach Gerard Batliner, Die Sanktion der Gesetze, S. 138 f. dürfte «eine
absolut wirkende Sanktionsverweigerung oder -unterlassung, die einen parlamenta-
risch gültig zustandegekommenen Gesetzesbeschluss beseitigt oder zumindest sei-
ner Substanz beraubt [...], mit Art. 3 des Zusatzprotokolls (zur EMRK) nicht ver-
einbar sein.» Vgl. auch Rainer J. Schweizer, Kommentar zu Art. 13 EMRK, S. 51 f.
Rz. 108. A. A. Stephan Breitenmoser, Rechtsgutachten zur Frage der Konsequenzen
des Urteils des EGMR, S. 48. Er hält fest, dass die Verweigerung der landesfürstli-
chen Sanktion funktional der Ablehnung einer Vorlage durch den Landtag ent-
spricht und als solche unter dem Aspekt von Art. 13 EMRK nicht beschwerdefähig
sein müsse. Dagegen führen Jochen Abr. Frowein/Wolfgang Peukert, Europäische
Menschenrechtskonvention, S. 681 Rz. 2 zu Art. 3 des 1. ZP aus: «Art. 3 verbietet
nicht, dass neben diesem Parlament nicht gewählte Häuser bestimmte Mitwir-
kungsrechte haben, wie es für das House of Lords in Grossbritannien gilt. Aller-
dings dürfte Art. 3 dahin zu verstehen sein, dass einer nichtgewählten Körperschaft
nicht etwa ein Vetorecht zustehen darf.» In diesem Zusammenhang ist auch zu er-
wähnen, dass nach britischem Verfassungsrecht das Staatsoberhaupt im Gesetzge-
bungsprozess materiell kein Ablehnungsrecht besitzt. So weist Ludger Helms, Der
parlamentarische Gesetzgebungsprozess in Grossbritannien, S. 416 darauf hin, dass
dem Monarchen «im Rahmen des Billigungsprozederes nicht einmal der offizielle
Lang- Titel eines Gesetzes, geschweige denn der Text einer beschlossenen Vorlage»
unterbreitet wird.
380
Sanktionsrecht
che Individualakte» zu verstehen, «die unmittelbar subjektive Rechte
einzelner Bürger verletzen können».? Das Sanktionsrecht des Landes-
fürsten stellt dagegen einen Bestandteil des Gesetzgebungsverfahrens
dar, sodass es sich bei der Sanktionsverweigerung um einen legislativen
Akt handelt, der nicht zu den in Art. 15 Abs. 1 StGHG erwähnten
hoheitlichen Individualakten (Entscheidungen oder Verfügungen) der
öffentlichen Gewalt zählt.
Demnach würde ein innerstaatliches Beschwerdeverfahren auch
für den Fall, dass die Sanktionsverweigerung oder -unterlassung eines
vom Landtag beschlossenen oder eines in einer Volksabstimmung ange-
nommenen Gesetzesbeschlusses des Landtages Art. 3 1. ZP EMRK ver-
letzt, nach wie vor nicht zur Verfügung stehen.
IV. Reformvorschläge
1. Allgemeines
Es hat verschiedene Bestrebungen gegeben, die sich mit dem Sanktions-
recht des Fürsten befassen. Sie unterscheiden sich wesentlich in ihrer
Substanz. Sie versuchen, das Sanktionsrecht des Landesfürsten teilweise
zu modifizieren oder im Endeffekt zu eliminieren. Diese Anderungsvor-
schläge konnten sich aber bisher nicht durchsetzen.
2. Entwurf der Verfassungskommission
Den demokratischen Bedenken versuchte z. T. ein Entwurf der Verfas-
sungskommission aus dem Jahr 1998 Rechnung zu tragen,” dem Ren&
354 BuA Nr. 45/2003 der Regierung vom 12. August 2003, S. 12.
355 BuA Nr. 45/2003 der Regierung vom 12. August 2003, S. 39 f.
356 So schon unter der alten Rechtslage. Nach Art. 23 SEGHG 1925 war eine Verfas-
sungsbeschwerde wegen Verletzung verfassungsmässig oder durch die EMRK und
ihr Zusatzprotokoll garantierten Rechte nur gegen Entscheidungen oder Verfügun-
gen eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde zulässig.
357 Es handelt sich um Vorschläge der Landtagskommission vom 29. Juni 1998 zur Ab-
änderung der Verfassung, die in Anhang 8 des Berichts der Landtagskommission
381
Mitzuständigkeiten — Mitwirkungsbefugnisse des Landesfürsten
Rhinow®5 in seinem Rechtsgutachten attestiert, dass er «zu einer klaren
Stärkung des demokratischen Elements» in der Verfassung führe. Er sah
vor, dass eine fehlende Sanktion des Landesfürsten durch die Zustim-
mung des Volkes ersetzt werden kann, sofern es nicht um eine Änderung
oder Aufhebung von namentlich aufgezählten Bestimmungen der Ver-
fassung geht, die die Rechtsposition des Landesfürsten betreffen und
sich nachteilig auf sie auswirken. An der bisherigen verfassungsrecht-
lichen Stellung des Landesfürsten soll festgehalten werden, sodass unter
diesen Voraussetzungen eine Volksabstimmung die Sanktion nicht sub-
stituieren kann. Insoweit bleibt das absolute Veto des Landesfürsten
bestehen.
3. Volksinitiative «Ja — damit deine Stimme zählt»
In einem konzeptionell tiefgreifenderen und umfassenderen Sinne
schlug die Volksinitiative vom 9. Februar 2012 «Ja — damit deine Stimme
zählt» vor, das Sanktionsrecht des Fürsten in Form des Vetos durch eine
Volksabstimmung zu ersetzen. Danach kann der Landtag, wenn der
Landesfürst die Sanktion ablehnt oder wenn innert dreissig Tagen nach
Ablauf der Referendumsfrist keine Sanktion erfolgt, beschliessen, über
das Gesetz eine Volksabstimmung durchführen zu lassen. Entscheidet
vom 20. November 2000 zur Erarbeitung von Vorschlägen über eine Revision der
Verfassung des Fürstentums Liechtenstein vom 5. Oktober 1921 (LtProt. 2000
Bd. III) enthalten sind.
358 Ren6€ Rhinow, Rechtsgutachten, S. 55 f.
359 Patricia M. Schiess Rütimann, Die politische Verantwortlichkeit des Landesfürsten,
S. 837 hält in diesem Zusammenhang zu Recht fest, dass das Vetorecht unter der gel-
tenden Verfassung «nicht dahingehend ausgelegt werden kann, dass Begehren, wel-
che den Dualismus betreffen, nicht Gegenstand einer Volksinitiative sein dürfen».
360 Vgl. den Kommentar der Verfassungskommission zu dem von ihr vorgeschlagenen
Art. 9 IV. Sie hebt hervor, dass die Verfassungsbestimmungen betreffend die Rechts-
stellung des Landesfürsten nicht gegen dessen Willen abgeändert werden können
und «glaubt», mit diesem Vorschlag «eine Lösung gefunden zu haben, die mit
Sicherheit eine stärkere Demokratisierung des Staates beinhaltet, ohne jedoch die
politisch starke Stellung des Landesfürsten ernsthaft zu beeinträchtigen.» Siehe
Schreiben des Präsidenten der Verfassungskommission vom 20. November 2000,
S.10 ff. (siehe vorne Fn. 357). Vgl. demgegenüber den viel weiter gehenden Vor-
schlag in $ 81 (suspensives Veto) des Verfassungsentwurfs des ständischen Verfas-
sungsrates vom 1. Oktober 1848. Siehe dazu vorne S. 66.
382
Sanktionsrecht
sich die absolute Mehrheit der Stimmberechtigten für die Annahme des
Gesetzes, tritt dieses ohne Sanktion des Landesfürsten in Kraft.?1 Die-
ses Initiativbegehren ist in der Volksabstimmung vom 29. Juni und 1. Juli
2012 nicht angenommen worden.?2
4. Vorschlag der Freien Liste
Der Verfassungsentwurf der Freien Liste von 1996, den sie «aus Anlass
des 75jährigen Jubiläums der liechtensteinischen Verfassung» präsen-
tierte, sieht von einem Sanktionsrecht des Landesfürsten ab. Er spricht
sich für eine «zeitgerechte Monarchie» aus, wonach es selbstverständlich
ist, «dass sich Monarchen in einem demokratischen Europa Ende des
20. Jahrhunderts (freiwillig) auf repräsentative Funktionen beschränken
müssen».26
361 So die Abstimmungsvorlage zu Art. 9 LV; siehe BuA Nr. 17/2012 der Regierung
vom 28. Februar 2012, 5. 6 ff.
362 Vgl. die Information der Regierung zur Volksabstimmung, im Internet abrufbar
unter: <www.abstimmung.li>.
363 Siehe Verfassungsentwurf, in: FL Info 3/96, S. 1 bis 24.
383
2. KAPITEL
DAS VOLK BZW. STIMMVOLK
1. Abschnitt
Grundlegung
$14 ALLGEMEINES
I. Verfassungsrechtliche Stellung des Volkes
Das Volk leitet seine Stellung unmittelbar aus der Verfassung ab. Fürst
und Volk sind sogenannte primäre Staatsorgane. Als Mitinhaber der
Staatsgewalt, die es mit dem Landesfürsten teilt, nimmt das Volk im
Sinne der stimmberechtigten Landesangehörigen bzw. als Aktivbürger-
schaft an der Staatswillensbildung teil. Da es im Gegensatz zur Konsti-
tutionellen Verfassung von 1862 in Art. 2 LV «zu einem Mitträger und
Mitinhaber der Staatsgewalt (Souveränität) geworden (ist)», kommt ihm,
wie Wilhelm Beck in seinem Referat vom 8. August 1922 zum Gesetz
betreffend die Ausübung der politischen Volksrechte in Landesangele-
genheiten! festhält, «eine ganz andere Bedeutung in seinem tätigen Ein-
fluss auf das gesamte Staatsleben» zu. Davon zeugen die weitverzweig-
ten direktdemokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten, die den stimmbe-
rechtigten Landesangehörigen in Form von Abstimmungen, die über
Initiativen und Referenden lanciert werden, und Wahlen, die sowohl den
Landtag als auch die Gerichte umfassen können, zur Verfügung stehen.?
1 Vgl. LLA, Landtagsakten 1922/L 4; siehe vorne S. 179 Fn. 108.
2 Vgl. Art. 64, 66 und 66bis und 96 Abs. 2 LV. Sie werden in Art. 29 Abs. 2 LV unter
dem Begriff der «politischen Rechte» zusammengefasst.
387
Grundlegung
II. Die politischen Rechte des Volkes und verfassungs-
strukturelle Schranken der Monarchie
Wenn auch «eine ganz andere staatsrechtliche Auffassung über die
Bedeutung des Volkes» zu konstatieren ist, ist nicht zu übersehen, dass
diese Mitwirkungsbefugnisse, soweit sie die Verfassungs- und Gesetzge-
bung betreffen, unter den Bedingungen der nachfolgenden Sanktion des
Landesfürsten zu betrachten sind.? Akte der Verfassungs- und Gesetz-
gebung bedürfen nämlich zu ihrer Gültigkeit auch im Falle ihrer
Annahme in einer Volksabstimmung der Sanktion des Landesfürsten.*
Das schweizerische politische System, in dem die direkte Demokratie
zentral ist und deren Instrumente als Vorbild gedient haben, kann dem-
zufolge nicht unbesehen auf die liechtensteinische Staatsrechtsordnung
übertragen werden, die von einem zwischen Fürst und Volk dualistisch
strukturierten Staat ausgeht. Den Volksrechten setzt die Verfassung
Grenzen. Sie können nur im Rahmen der Monarchie wahrgenommen
und ausgeübt werden, soweit ihnen nicht monarchische Rechte, insbe-
sondere das Sanktionsrecht, entgegenstehen.
III. Ausschluss bzw. Einschränkungen
der politischen Volksrechte
Einschränkungen erfahren die Volksrechte bzw. das Initiativ- und Refe-
rendumsrecht auch in bi- und multilateralen Verträgen, wie beispiels-
3 Siehe Art. 9, 65 Abs. 1 und 112 Abs. 2 LV und Wilhelm Beck, Referat zum Gesetz
betreffend die Ausübung der politischen Volksrechte in Landesangelegenheiten,
S. 2; siehe vorne S. 387 Fn. 1.
4 Dies gilt gemäss Art. 8 Abs. 1 LV auch für die Ratifikation von Staatsverträgen. Vgl.
Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 666 Rz. 60 f.
5 So setzt, wie beispielsweise Wilfried Marxer/Zoltän Tibor Pällinger, Direkte De-
mokratie, S. 38 ausführen, «das Vetorecht des Fürsten in der Gesetzgebung dem
Volksentscheid Grenzen. Das Vetorecht des Fürsten erstreckt sich nicht nur auf
Beschlüsse des Landtages, sondern auch auf Beschlüsse des Volkes. Das Veto des
Fürsten ist nicht aufschiebend, sondern definitiv, wobei es nicht explizit ausgespro-
chen und begründet werden muss.» Als Ausnahmen vom Vetorecht sind Volksab-
stimmungen bei der Richterbestellung (Art. 96 LV 2003), der Monarchieabschaffung
(Art. 113 LV 2003) und dem Austritt einer Gemeinde aus dem Staatsverband (Art. 4
Abs. 2 LV 2003) anzusehen.
388
Allgemeines
weise im Zoll- und im Währungsvertrag mit der Schweiz, soweit in
diesen Sachbereichen schweizerisches Recht gilt bzw. eine liechtensteini-
sche Konkurrenz- bzw. Parallelgesetzgebung ausgeschlossen ist oder im
EWR-Abkommen®, dem das Vorrangprinzip vor nationalem Recht zu-
grunde liegt.”
Da das Referendumsrecht in der Verfassung grundsätzlich nur
fakultativ vorgesehen ist und obligatorische Volksabstimmungen nur in
bestimmten Ausnahmefällen? stattfinden, ist die (direkte) Mitwirkung
des Volkes an der staatlichen Willensbildung als gering einzustufen. Das
heisst, dass Volksabstimmungen nur initiiert werden, wenn Gesetzes-
und Finanzbeschlüsse des Landtages sich mit der Meinung der grossen
Mehrheit der stimmberechtigten Landesangehörigen nicht decken, was
in der Staatspraxis selten vorkommt.?
Es besteht nach der Verfassung auch die Möglichkeit, dass der
Landtag Verfassungs- und Gesetzesbeschlüsse für dringlich erklärt.
Damit schliesst er sie vom Referendum aus. Diese Möglichkeit der
Dringlicherklärung unterscheidet sich vom «monistischen republikani-
schen Schweizer System».!°
IV. Rechtliche Verfahrensordnung
Volksrechte bestehen insoweit, als sie die Verfassung begründet und sie
einfachgesetzlich normiert sind. Das Volk, die stimmberechtigten Lan-
desangehörigen, ist ein «verfasstes Staatsorgan», das seine Zuständigkei-
ten im Rahmen des Gesetzes vom 17. Juli 1973 über die Ausübung der
6 Siehe Herbert Wille, Das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum,
5.139 ff.
7 Vgl. Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 23 und 189; Herbert Wille, Das
Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, S. 137 ff.
8 Siehe Art. 13ter, 66bis Abs. 1, 96 Abs. 2 und 113 LV 2003.
9 Wilfried Marxer/Zoltän Tibor Pällinger, Direkte Demokratie, S. 39 halten fest,
«dass in Liechtenstein nur ein verschwindend geringer Teil aller referendumsfähigen
Vorlagen an der Urne entschieden wird». Nach Max Imboden, Die Volksbefragung,
S.392 will das fakultative Referendum nicht, dass das Volk alle, «sondern nur die
bestrittenen oder besonders umstrittenen Vorlagen unmittelbar prüfe».
10 Gerard Batliner, Staatsvertragsreferendum, S. 108; siehe dazu auch hinten S. 519 f.
389
Grundlegung
politischen Volksrechte in Landesangelegenheiten!! wahrnimmt, das die
entsprechenden Verfahren festgelegt hat.!? Andere Verfahren ausserhalb
dieser rechtlichen Ordnung‘? gibt es nicht.
V. Internationales Recht
1. 1. Zusatzprotokoll zur EMRK
Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK!* garantiert das Recht auf freie
Wahlen. Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, in angemessenen Zeitab-
ständen freie und geheime Wahlen unter Bedingungen abzuhalten, wel-
che die freie Äusserung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetz-
gebenden Organe gewährleisten. Neben einem individualrechtlichen
Anspruch, der vor den innerstaatlichen Behörden bzw. vor den EMRK-
Organen geltend gemacht werden kann, folgt aus dem Recht auf freie
Wahlen in der Konsequenz auch die «institutionelle Verpflichtung»,
demokratische Strukturen einzurichten, !® bei deren Begriffsverständnis
das jeweilige Verfassungssystem der Mitgliedstaaten eine gewichtige
Rolle spielt. 16
11 Siehe LGBI. 1973 Nr. 50.
12 Vgl. auch Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 187 Rz. 16.
13 Die Volksrechte auf Gemeindeebene (Gemeindegesetz vom 20. März 1996, LGBl.
1996 Nr. 76) werden hier nicht berücksichtigt.
14 LGBl. 1995 Nr. 208. Dieses Zusatzprotokoll ist für das Fürstentum Liechtenstein
am 14. November 1995 in Kraft getreten.
15 BuA Nr. 51/1995 der Regierung vom 18. Juli 1995, S. 6; vgl. auch Bernhard Ehren-
zeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 644 f. Rz. 13.
16 Die Regierung führt in ihrem BuA Nr. 51/1995 vom 18. Juli 1995, S. 8 aus, dass der
in Art. 3 verwendete Ausdruck «gesetzgebende Organe» aus der Sicht der Verfas-
sungsstruktur des betreffenden Staates zu verstehen sei, sodass, wie die Kommission
in mehreren Entscheidungen festgehalten habe, «die Verfassungstraditionen der
Mitgliedstaaten, und ganz besonders die der konstitutionellen Monarchien, bei der
Interpretation von Artikel 3 berücksichtigt werden müssen». Sie weist im Übrigen
auch darauf hin, dass bei der Aufnahme des Fürstentums Liechtenstein in den Euro-
parat «die demokratische und rechtsstaatliche Verfassung Liechtensteins überprüft
wurde und es daher bekannt war, dass Liechtenstein eine Erbmonarchie auf parla-
mentarisch-demokratischer Grundlage ist und somit einen zweiteiligen Souverän —
Fürst und Volk — hat».
390
Begriffsbestimmungen
2. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UNO-
Pakt 11)!” garantiert in Art. 25 den Staatsbürgern «das Recht und die
Möglichkeit», ohne unangemessene Einschränkungen an der Gestaltung
der öffentlichen Angelegenheiten unmittelbar oder durch frei gewählte
Vertreter teilzunehmen (Bst. a) sowie bei echten, wiederkehrenden, all-
gemeinen, gleichen und geheimen Wahlen, bei denen die freie Äusserung
des Wählerwillens gewährleistet ist, zu wählen und gewählt zu werden
(Bst. b). Da der Grundrechtsschutz weitgehend mit dem von der Verfas-
sung und der EMRK gewährten Grundrechtsschutz übereinstimmt,
wird er kaum angerufen, sodass er bisher in der Spruchpraxis des Staats-
gerichtshofes nicht von Belang ist.!8
$ 15 BEGRIFFSBESTIMMUNGEN
I. Staatsorgan «Volk»
Das Staatsorgan «Volk» bilden jene Landesangehörigen, die das 18. Le-
bensjahr vollendet haben, im Lande ordentlichen Wohnsitz haben und
nicht im Wahl- und Stimmrecht eingestellt sind.!? Es handelt sich mit an-
deren Worten um die Aktivbürgerschaft, die als Gesamtheit der im Fürs-
tentum Liechtenstein stimmberechtigten Personen verstanden wird.? Sie
vertritt juristisch das ganze Volk?! auch wenn sie nicht alle Bewohner
und erst recht nicht alle Personen umfasst, die sich im Lande aufhalten.2?
17 LGBl. 1999 Nr. 58 und BuA Nr. 61/1998 der Regierung vom 23. Juni 1998, 5. 67 f.
Dieser sogenannte UNO-Pakt II ist für das Fürstentum Liechtenstein am 10. März
1999 in Kraft getreten.
18 Vgl. Herbert Wille, Glaubens-, Gewissens- und Kultusfreiheit, S. 178 f. Rz. 15;
Bernhard Ehrenzeller/ Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 645 Rz. 14; Wolfram
Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 122; siehe auch BuA
Nr. 61/1998 der Regierung vom 23. Juni 1998, 5. 81 f.
19 Siehe Art. 29 Abs. 2 IV; vgl. auch Art. 1 und 2 VRG.
20 "Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 37; Kurt
Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 183 Rz. 1.
21 Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 45.
22 Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 183 Rz. 1.
391
Grundlegung
II. Politische Rechte
Unter den «politischen Rechte(n)»? versteht der Staatsgerichtshof in
ständiger Rechtsprechung «die Rechte zur Mitwirkung an der Staatswil-
lensbildung».?* Dieser Begriff deckt sämtliche Kategorien von Volks-
rechten, wie sie in der Verfassung enthalten sind,? ab,? so namentlich das
aktive und passive Wahlrecht, das Referendums- und das Initiativrecht.?
Sie stellen unmittelbare Ausübungsformen staatlicher Gewalt durch das
Stimmvolk dar?® und sind durch Art. 29 Abs. 2 LV «gesichert».??
III. Stimm- und Wahlrecht
Stimm- und Wahlrecht bzw. Stimm- und Wahlberechtigte sind begriff-
lich gleichbedeutend.® Sie werden synonym verwendet oder inhaltlich
miteinander verknüpft. Die Verfassung spricht von «wahlberechtigten
Landesbürger(n)».?! Das Volksrechtegesetz definiert unter dem Titel
23 Dieser Begriff kommt in den Art. 29 Abs. 2 und 39 LV vor. Vgl. auch SIGH 1978/4,
Entscheidung vom 12. Juni 1978, LES 1981, S. 1 (2); SEGH 1979/7, Gutachten vom
11. Dezember 1979, LES 1981, S. 116 (117) und StGH 1981/1, Entscheidung vom
14. April 1981, nicht veröffentlicht.
24 StGH 1978/4, Entscheidung vom 12. Juni 1978, LES 1981, S. 1 (2). Der Staatsge-
richtshof grenzt hier die politischen Rechte gegenüber den verfassungsmässig
gewährleisteten Rechten ab und vermerkt, dass die politischen Rechte einen «ganz
bestimmten engumgrenzten Inhalt» aufweisen, wonach sie «dem Berechtigten einen
Einfluss auf die Staatswillensbildung einräumen». Vgl. auch Wolfram Höfling,
Grundrechtsordnung, S. 148.
25 Vgl. Art. 13ter, 46, 48 Abs. 2 und 3, 64 Abs. 2 bis 5, 66, 66bis, 96 Abs. 2 und 113 LV.
26 StGH 2003/25, Urteil vom 15. September 2003, nicht veröffentlicht, Erw. 3. Hier
führt der Staatsgerichtshof aus, dass «sämtliche politische Rechte durch Art. 29 LV
geschützt werden. Die Verfassungsbestimmungen, welche Wahlen und Abstimmun-
gen im Einzelnen regeln, stellen dagegen keine eigenständigen Grundrechte dar,
sondern dienen nur der Konkretisierung von Art. 29 Abs. 2 LV».
27 StGH 1984/2, Urteil vom 30. April 1984, LES 1985/3, S. 65 (68).
28 Horst Dreier, Grundlagen, S. 62 Rz. 111.
29 StGH 1990/6, Urteil vom 2. Mai 1991, LES 4/1991, S. 123 (135 Erw. 2.1); SIGH
2004/58, Urteil vom 4. November 2008, Erw. 2.3 (im Internet abrufbar unter:
<www.stgh.li>) und VBI 1997/87, Entscheidung vom 28. Januar 1998, LES 2/1998,
8. 94 (95 Erw. 12).
30 Vgl. Art. 29 Abs. 2 LV, wo von «Stimm- und Wahlrecht» die Rede ist.
31 Vgl. etwa Art. 48 Abs. 2 und 3, 64 Abs. 1, 2 und 4, 66 Abs. 1 und 66bis Abs. 1 LV.
In Art. 46 Abs. 1 LV heisst es: «Der Landtag besteht aus 25 Abgeordneten, die vom
392
Begriffsbestimmungen
«Stimmrecht» in Art. 1 Abs. 1 die «aktiv und passiv stimm- und wahl-
berechtigten» Landesangehörigen.??
Das Stimmrecht? verleiht den Stimmbürgern das Recht, an Wahlen
und an Abstimmungen über Sachentscheidungen teilzunehmen. Mit
Wahlen sind staatsrechtlich Entscheidungen über Personen, mit Abstim-
mungen solche über Sachfragen gemeint.** So wird nach Art. 46 Abs. 1
LV der Landtag «im Wege des allgemeinen, gleichen, geheimen und
direkten Stimmrechts nach dem Verhältniswahlsystem gewählt». Er ist
in seinem personellen Bestand ein von einem Wahlakt des Volkes abhän-
giges Organ. Das Wahlrecht schliesst auch das Recht ein, in den Land-
tag gewählt zu werden und im Falle der Wahl die Rechte als Abgeord-
neter auszuüben (passives Wahlrecht). In Sachabstimmungen geht es um
die Annahme oder Verwerfung einer Vorlage, die die Verfassung, ein
Gesetz,® einen Staatsvertrag oder einen anderen in der Verfassung vor-
gesehenen Sachbereich?” zum Gegenstand haben kann.
Volke im Wege des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Stimmrechtes
nach dem Verhältniswahlsystem gewählt werden.»
32 Inder Folge ist von Stimmberechtigten die Rede. Vgl. u.a. Art. 7, 8, 9, 11 VRG; zum
Ausschluss vom Stimmrecht siehe Art. 2 VRG und dazu BuA Nr. 66/2012 der
Regierung vom 29. Mai 2012, 5. 42 ff.
33 Vgl. Ulrich Häfelin/ Walter Haller/ Helen Keller, Schweizerisches Bundesstaats-
recht, S. 431 Rz. 1363, die das Stimmrecht als den «zusammenfassende(n) Ausdruck
für die verschiedenen politischen Rechte» bezeichnen. Kurt Eichenberger, Verfas-
sung des Kantons Aargau, S. 188 Rz. 1 charakterisiert die Stimmberechtigung als
einen «Schlüsselbegriff», durch den der Grundsatz der Volkssouveränität eine deut-
liche direkte Verwirklichung finde und an den etliche öffentlich-rechtliche Rechts-
stellungen des Individuums, beispielsweise das passive Wahlrecht, anknüpften.
34 Art. 13ter LV stellt insoweit eine Ausnahme dar, als es bei der Volksabstimmung
über den Misstrauensantrag gegen den Landesfürsten um eine «Personalentschei-
dung» geht, die allerdings in ihrer Rechtswirkung lediglich mit einer Petition an die
Gesamtheit der stimmberechtigten Mitglieder des Fürstlichen Hauses vergleichbar
ist (Art. 16 Abs. 1 HG).
35 Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 44 f. Vgl.
auch Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 650 Rz. 21, die ver-
merken, dass es sich beim Landtag um das einzige staatliche Organ auf Landesebene
handelt, das direkt vom Volk gewählt wird.
36 Darunter fallen auch Finanzbeschlüsse des Landtages. Siehe zum Begriff des Geset-
zes hinten S. 517 f.
37 Vel. Art. 13ter, 48 Abs. 2 und 3 und 113 LV.
38 Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 650 Rz. 22.
393
Grundlegung
IV. Initiative und Referendum
1. Initiative
Die Initiative als Sammel-Initiative umfasst das Recht eines bestimmten
Teils der Stimmbürgerschaft, den Erlass, die Änderung oder die Aufhe-
bung eines Gesetzes? oder der Verfassung zu begehren. Geht sie von
Gemeinden aus (Gemeinde-Initiative)*, müssen gleichlautende Begeh-
ren in einer Mindestzahl von Gemeinden an Gemeindeversammlungen
mit absolutem Mehr der Stimmberechtigten beschlossen werden.“!
Diese Initiativen können in der Form der einfachen Anregung (ein-
fache Initiative) oder des ausgearbeiteten Entwurfs (formulierte Initia-
tive) gestaltet sein.“ Enthalten sie eine Rückzugsklausel, können sie auch
zurückgezogen werden.
Eine Initiative muss einen legislativen Akt zum Inhalt haben. Ein
Verwaltungsakt kann nicht Gegenstand einer Gesetzesinitiative sein.“
2. Referendum
Das Referendum beinhaltet das Recht einer bestimmten Anzahl von
stimmberechtigten Personen oder von Gemeinden, über gewisse Verfas-
sungs-, Gesetzes- und Finanzbeschlüsse des Landtages zu befinden bzw.
sie anzunehmen oder zu verwerfen,* sofern sie nicht als dringlich erklärt
39 Siehe Art. 80 Abs. 1 VRG (Gesetzesinitiative) und Art. 855 VRG (Verfassungsrevisi-
ons-Initiative).
40 Siehe Art. 70 Abs. 2 und 3 und 70b Abs. 1 VRG.
41 Siehe Art. 68 Abs. 1 VRG, 80 Abs. 4 Bst. b und 85 Abs. 1 VRG i. V. m. Art. 64
Abs. 2 und 4 LV.
42 Siehe Art. 80, 81 und 82 VRG.
43 Art. 82b VRG regelt die Voraussetzungen des Rückzugs.
44 StGH 1972/3, Entscheidung vom 6. Juli 1972, ELG 1973 bis 1978, S. 344 (345 f.) un-
ter Bezugnahme auf Art. 64 LV, dem «eindeutig zu entnehmen (ist), dass das Initiativ-
recht der Landesbürger sich nur auf eine Gesetzesinitiative bezieht». Demnach kann
einer Initiative kein Verwaltungsakt zugrunde liegen. Siehe auch Art. 69 Abs. 5 VRG.
45 Nach den Worten des Staatsgerichtshofes zielt das Referendum «auf die nachträgli-
che Kontrolle und Anfechtung einer schon getroffenen Massnahme». Siehe SIGH
1979/7, Gutachten vom 11. Dezember 1979, LES 1981, S. 116 (117) unter Bezug-
nahme auf SEGH 1975/6, ELG 1973 bis 1978, S. 397.
394
Begriffsbestimmungen
worden sind.“ Das Referendumsrecht erstreckt sich auch auf Landtags-
beschlüsse, die einem Staatsvertrag zustimmen.“
Wird der Landtagsbeschluss in der Volksabstimmung angenom-
men, hat ihn die Regierung im Landesgesetzblatt zu publizieren und zu
vollziehen, nachdem sie die Sanktion des Landesfürsten eingeholt hat.
Andernfalls erklärt die Regierung eine Vorlage, wenn sie in der Volksab-
stimmung verworfen wird, als dahingefallen.*® Das Gleiche gilt für
Beschlüsse des Landtages, die Staatsverträge betreffen, wobei diese,
wenn sie in der Volksabstimmung angenommen werden, nach der Rati-
fikation im Landesgesetzblatt zu veröffentlichen sind.“
3. Volksbefragung
Der Landtag kann eine Volksabstimmung über die Frage veranlassen, ob
allgemeine Grundsätze in ein Gesetz aufzunehmen sind.®° Man spricht in
diesem Zusammenhang von Konsultativabstimmungen,>! die die Regie-
rung nach den einschlägigen Regeln über die Volksabstimmungen
durchzuführen hat.” Auch wenn sie einen konsultativen Charakter auf-
weisen und keine rechtlichen Bindungen erzeugen, handelt es sich bei
ihnen um «massgebliche Äusserungen» des Staatsorgans «Volk».
46 Siehe Art. 66 Abs. 1 LV und Art. 75 Abs. 1 und 4 VRG.
47 Siehe Art. 66bis Abs. 1 LV.
48 Siehe Art. 78 VRG.
49 Siehe Art. 78a VRG.
50 Siehe Art. 66 Abs. 3 LV und Art. 79 VRG. Nach Wilfried Marxer / Zoltän Tibor Päl-
linger, Direkte Demokratie, S. 35 geht es «um eine allgemeine Frage zu einem poli-
tischen Sachverhalt, einem politischen Ziel u. a.», wie es beispielsweise bei der Kon-
sultativabstimmung vom 4. Juli 1968 über das Frauenstimmrecht der Fall gewesen
ist. Vgl. Wilfried Marxer, 20 Jahre Frauenstimmrecht, S. 5.
51 Yvo Hangartner/ Andreas Kley, Die demokratischen Rechte, S. 901 Rz. 2288 ver-
stehen unter einer konsultativen Volksabstimmung «eine zwar politisch bedeut-
same, rechtlich aber nicht verbindliche Entscheidung des Stimmvolkes». Siehe dort
S. 902 Rz. 2290 f. ihre Abgrenzung gegenüber Grundsatzabstimmungen und Alter-
nativabstimmungen.
52 Siehe Art. 66 Abs. 3 LV und Art. 79 VRG.
53 Vgl. Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 665 f. Rz. 59.
54 Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 187 Rz. 17; siehe auch hin-
ten S. 433 f.
395
Grundlegung
V. Wahl- und Abstimmungsfreiheit
In Anlehnung an die schweizerische Spruchpraxis definiert der Staatsge-
richtshof die Abstimmungsfreiheit wie folgt: «Die von der Verfassung
gewährleisteten staatsbürgerlichen Rechte geben dem Stimmbürger
einen Anspruch darauf, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt
wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und
unverfälscht zum Ausdruck bringt.» Diese Aussage schliesst auch die
Wahlfreiheit ein, die garantiert, dass die Stimmabgabe ungehindert und
ohne unzulässigen Druck vorgenommen werden kann. Die Verfassung
kennt zwar diesen Begriff nicht, doch bildet die geheime Wahl, wie sie in
Art. 46 Abs. 1 LV erwähnt ist, «den wichtigsten institutionellen Schutz
der Wahlfreiheit».5
Im Schrifttum ist in diesem Zusammenhang der Terminus «Wahl-
und Abstimmungsfreiheit» gebräuchlich. Diese Redewendung scheint
aber zu sehr auf den grundrechtlichen Aspekt der politischen Rechte aus-
gerichtet zu sein und ihre Organfunktion zu wenig mit einzubeziehen. Aus
diesem Grund wird die Begriffswahl für nicht «unbedenklich» gehalten.
$16 RECHTSCHARAKTER
DER POLITISCHEN RECHTE
I. Inhalt und Umfang
In einer gutachtlichen Äusserung vom 11. Dezember 1979 umschreibt
der Staatgerichtshof den dualistischen Rechtscharakter der politischen
55 StGH 1990/6, Urteil vom 2. Mai 1991, LES 4/1991, S. 133 (135 Erw. 2.1); SIGH
1993/8, Urteil vom 21. Juni 1993, LES 3/1993, 5. 91 (96 Erw. 2.1); STGH 2004/58, Ur-
teil vom 4. November 2008, Erw. 2.3 (im Internet abrufbar unter: <www.stgh.li>).
56 Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 156.
57 Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 105 unter Bezugnahme auf Klaus Stern,
Staatsrecht, Bd. I, S. 314.
58 Vgl. Pierre Tschannen, Staatsrecht, S. 596 Rz. 10. Er plädiert dafür, von «Stimm-
recht» oder «politischen Rechten» zu sprechen, die «die Natur der Bürgerpartizipa-
tion als Individualrecht und Organfunktion angemessener zum Ausdruck» bringen;
siehe zur dualistischen Rechtsnatur der politischen Rechte im Folgenden.
59 StGH 1979/7, Gutachten vom 11. Dezember 1979, LES 1981, S. 116 (117).
396
Rechtscharakter der politischen Rechte
Rechte. Sie sind verfassungsmässig gewährleistete Individualrechte und
vermitteln zugleich Organkompetenzen. Das heisst in seinen Worten:
«Die politischen Rechte stellen verfassungsmässige Individualrechte dar,
was sich etwa ım erhöhten Rechtsschutz des Individuums ausdrückt. Sie
bedeuten sodann Wahrnehmung einer Organfunktion durch Teilnahme
am Rechtsetzungsprozess. Und schliesslich sind sie eine funktionale
Voraussetzung für das Bestehen einer rechtsstaatlichen und freiheitli-
chen Demokratie.»®
1. Verfassungsmässig geschütztes Individualrecht
Unter einem «verfassungsmässig gewährleisteten Recht» versteht der
Staatsgerichtshof jedes subjektive Recht aufgrund einer Norm im Ver-
fassungsrang, sodass dieser Begriff auch die subjektiven «politischen
Rechte» umfasst, die in einzelnen Bestimmungen des Verfassungsrechtes
geregelt sind (Wahlrecht, Wählbarkeit usw.).*! Demnach eignet ihnen ein
Grundrechtscharakter. Als politische Partizipationsbefugnisse verschaf-
fen sie den einzelnen Stimmberechtigten einen individuellrechtlichen
Anspruch auf Schutz der freien Willensbildung und der unverfälschten
Stimmabgabe. Verletzt eine Entscheidung einer Gerichts- oder Verwal-
tungsbehörde ein solches Recht, kann sie im Individualbeschwerdever-
fahren® beim Staatsgerichtshof angefochten werden.“
60 Hier weist der Staatsgerichtshof noch auf eine dritte Bedeutung der politischen
Rechte hin. Vgl. auch Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 55 Fn. 98.
61 StGH 1978/4, Entscheidung vom 12. Juni 1978, LES 1981, 5. 1 (2 f.).
62 StGH 2004/58, Urteil vom 4. November 2008, S. 25 Erw. 2.3 mit weiteren Recht-
sprechungshinweisen (im Internet abrufbar unter: <www.stgh.li>).
63 Siehe Art. 15 Abs. 1 SIGHG, der von einer enderledigenden letztinstanzlichen Ent-
scheidung oder Verfügung der «öffentlichen Gewalt» spricht.
64 Zu Abgrenzungsproblemen gegenüber individuellen Stimmrechtsbeschwerden und
der Wahlanfechtung aus der Sicht des Volksrechtegesetzes siehe Martin Batliner,
Politische Volksrechte, S. 203 ff.; siehe auch hinten S. 447 f.
397
Grundlegung
2. Organfunktion
Die politischen Rechte sind als «Bewirkungsrechte»® nicht nur verfas-
sungsmässig gewährleistete Individualrechte. Sie stehen über diesen
grundrechtlichen Aspekt hinaus aber auch «für eine kollektive Funktion
des gesamten Stimmvolks (so genannte Organfunktion des Stimm-
rechts)». Die Stimmberechtigten nehmen bei der Ausübung der politi-
schen Rechte nicht nur ein Recht, sondern zugleich eine Organkompe-
tenz wahr, indem sie am Rechtsetzungsprozess teilnehmen.“
Die politischen Rechte haben als Organkompetenzen verpflichten-
den Charakter. Der einzelne Stimmberechtigte hat als Teil eines staatli-
chen Organs, der Gesamtheit der Stimmberechtigten, die das ganze Volk
vertritt, an Wahlen und Abstimmungen teilzunehmen.® Art. 3 VRG sta-
tuiert eine Bürgerpflicht.®
II. (Stimm-)Volk als Mitgesetzgeber und
das Sanktionsrecht des Landesfürsten
1. Sanktionsrecht des Landesfürsten
Das (Stimm-)Volk als Inhaber der Staatsgewalt, die es mit dem Landes-
fürsten teilt, nimmt über seine politischen Rechte an der Staatswillensbil-
dung nach Massgabe der Verfassung bzw. soweit es diese vorsieht, teil.
65 Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 55 und 148.
66 Pierre Tschannen, Schutz der Grundrechte, S. 501 Rz. 32. Die politischen Volks-
rechte haben aufgrund ihrer spezifischen Eigenart nach herrschender Auffassung
eine Doppelfunktion. Vgl. Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 148.
67 StGH 1979/7, Gutachten vom 11. Dezember 1979, LES 1981, S. 116 (117), wo der
Staatsgerichtshof ausführt: «Die politischen Rechte stellen verfassungsmässige Indi-
vidualrechte dar, was sich etwa im erhöhten Rechtsschutz des Individuums aus-
drückt. Sie bedeuten sodann Wahrnehmung einer Organfunktion durch Teilnahme
am Rechtssetzungsprozess.» Vgl. auch Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung,
S. 55 und 148.
68 Vgl. Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 46 und 48 unter Bezugnahme auf
Zaccaria Giacometti, Das Staatsrecht der schweizerischen Kantone, S. 209; Bern-
hard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 643.
69 Eine Verletzung dieser Bürgerpflicht bzw. unentschuldigtes Fernbleiben wird nicht
mehr mit einer Ordnungsbusse bestraft. Art. 90 Abs. 2 VRG ist mit LGBl. 2004
398
Rechtscharakter der politischen Rechte
Zur Gültigkeit eines jeden Gesetzes ist ausser der Zustimmung des Land-
tages, die eine Volksabstimmung ersetzen kann, auch die Sanktion des
Landesfürsten erforderlich. Kommt es über einen Gesetzesbeschluss”®
des Landtages zu einer Volksabstimmung und wird er angenommen,
wird der Akt der Gesetzgebung durch die Sanktion des Landesfürsten
abgeschlossen, der ausserhalb der Kompetenz von Volk und Landtag
stattfindet. Das heisst, dass sich der Geltungsbereich der politischen
Rechte nicht auf diesen gesetzgeberischen Verfahrensabschnitt erstreckt.
Verweigert der Landesfürst die Sanktion, kommt das Gesetz nicht zu-
stande. Der in der Volksabstimmung angenommene Gesetzesbeschluss
des Landtages fällt dahin’! bzw. ist gegenstandslos. Dieses Ergebnis wiegt
in der Konsequenz gleich viel, wie wenn der Gesetzesbeschluss («Vor-
lage») in der Volksabstimmung «verworfen» wird.’”? Die Volksabstim-
mung findet ihre Grenze am Sanktionsrecht des Landesfürsten.
2. Sanktionsrecht als Voraus-Veto des Landesfürsten
Vor diesem Hintergrund fragt es sich, wie es sich mit dem verfassungs-
mässigen Schutz der politischen Rechte des (Stimm-)Volkes verhält,
wenn der Landesfürst das Sanktionsrecht als Voraus-Veto im Abstim-
mungsverfahren bei Initiativ- und Referendumsbegehren in Anspruch
nimmt. Unbestritten ist, dass ihm im Abstimmungsverfahren wie dem
Landtag und der Regierung ein Äusserungsrecht zusteht. So hat der
Staatsgerichtshof die Ansicht vertreten, es sei dem Landesfürsten «die
verfassungsimmanente Befugnis nicht abzusprechen, sich auch im Hin-
blick auf einen grundlegenden Urnengang richtungweisend an die
Nr. 235 aufgehoben worden. Zur Begründung siehe BuA Nr. 43/2004 der Regierung
vom 18. Mai 2004, S. 10 f. Die Stimmpflicht kommt so gesehen «einem Appell an
das Pflichtbewusstsein der Bürger gleich». So Martin Batliner, Politische Volks-
rechte, S. 47. Vgl. auch Bernhard Ehrenzeller/Rafael Brägger, Politische Rechte,
$. 643 Fn. 18.
70 Das gilt auch für andere Beschlüsse des Landtages. Siehe Art. 75a, 77, 78 und 78a
VRG, die sich auf einen Landtagsbeschluss, der einen Staatsvertrag zum Gegenstand
hat, oder auf Verfassungs-, Gesetzes- und Finanzbeschlüsse des Landtages beziehen.
71 Formulierung nach Art. 78 Abs. 4 VRG.
72 Formulierung nach Art. 78 Abs. 4 VRG.
399
Grundlegung
Stimmbürger zu wenden.»”3 Damit ist auch gesagt, dass das Abstim-
mungsverfahren seinem Einflussbereich nicht entzogen ist.
Das Sanktionsrecht stellt, wenn es der Landesfürst im Vorfeld der
Abstimmung als Voraus-Veto einsetzt, indem er erklärt, dass er die Sank-
tion verweigert, wenn die Gesetzesvorlage ın der Volksabstimmung
angenommen wird, einen unzulässigen und verfassungswidrigen Ein-
griff in die Abstimmungsfreiheit der Stimmberechtigten dar,/* da eine
solche Stellungnahme einen entscheidenden Einfluss’ auf das Abstim-
mungsergebnis ausübt,’® das seinerseits nicht den freien Willen der
Stimmberechtigten zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt.”
Aus diesem Grund hat sich der Landesfürst mit der gebotenen Zurück-
haltung an die Stimmberechtigten zu wenden, «was den Inhalt, Zeit-
punkt und Stil seiner Stellungnahme betrifft», wie dies seiner herausra-
genden verfassungsrechtlichen Stellung entspricht.
Die Stimmberechtigten können zwar eine solche Intervention des
Landesfürsten bei Initiativ- und Referendumsbegehren ab der Anord-
73 StGH 1993/8, Urteil vom 23. Juni 1993, LES 3/1993, S. 91 (97 Erw. 2.1).
74 So hat es beispielsweise der Staatsgerichtshof in STGH 1993/8, Urteil vom 23. Juni
1993, LES 3/1993, S. 91 (97 Erw. 2.1) schon «als unzulässige(n) Eingriff in die
Abstimmungsfreiheit des Stimmbürgers (angesehen), dass wenige Tage vor Öffnung
der Urnen der Landesfürst, der als Staatsoberhaupt für die Wahrung grundlegender
Werte, die Darstellung grosser Zusammenhänge und die Angabe langfristiger Ent-
wicklungsziele verantwortlich ist, in Überschreitung seines verfassungsmässigen
Mandates unmittelbar, konkret und gleichsam als Partei in die Auseinandersetzun-
gen eingegriffen hatte».
75 Die Vorwirkung des Voraus-Vetos betrifft die Initiierung wie auch die Volksabstim-
mung, m. a. W. den ganzen Entscheidungsprozess.
76 Siehe als Beispiel die Volksabstimmung vom 18. September 2011 über das Initiativ-
begehren zur Abänderung des Strafgesetzbuches («Hilfe statt Strafe»); im Internet
abrufbar unter: <www.abstimmung.li> und dazu die repräsentative Umfrage des
Liechtenstein-Instituts in: LVaterland und LVolksblatt vom 13. Oktober 2011. Der
Spruchpraxis des Staatsgerichtshofes (StGH 1990/6, Urteil vom 2. Mai 1991, LES
4/1991, S. 133) ist zu entnehmen, dass «bei Verletzung der politischen Rechte das
Abstimmungsergebnis nur dann aufgehoben werden (kann), wenn dieser Tatbe-
stand auf das Ergebnis einen erheblichen Einfluss gehabt hat oder hätte haben kön-
nen; dabei ist nebst der Stimmendifferenz auf die Schwere der Verletzung von
Objektivitätspflichten sowie die konkreten Umstände des Einzelfalles abzustellen
und das Verhältnismässigkeitsprinzip zu beachten».
77 StGH 2011/23, Urteil vom 18. Mai 2011, S. 13 f. (Erw. 7) mit weiteren Rechtspre-
chungshinweisen (im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>).
400
Rechtscharakter der politischen Rechte
nung der Volksabstimmung durch die Regierung’® im Wege der Indivi-
dualbeschwerde beim Staatsgerichtshof anfechten. Erachtet dieser das
Voraus-Veto als unzulässigen und verfassungswidrigen Eingriff in die
Abstimmungsfreiheit der Stimmberechtigten und gibt er der
Beschwerde statt, hat das Urteil aber keine rechtlichen Auswirkungen
auf die Zulässigkeit bzw. Gültigkeit der Volksabstimmung, auch wenn
unter diesen Voraussetzungen eine freie und unverfälschte Willensbil-
dung und -kundgabe der Stimmberechtigten nicht möglich ist.
Im Lichte des Sanktionsrechts des Landesfürsten sind jedenfalls
Aussagen, die unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Staatsge-
richtshofes gemacht werden, wonach es die «spezifische Eigenart der
politischen Rechte» ausmacht, «rechtsgestaltend auf die Staatswillensbil-
dung einzuwirken»”? oder wenn die politischen Rechte als «Bewir-
kungsrechte» bzw. Grundrechte qualifiziert werden, «welche den
Berechtigten in die Lage versetzen, durch sein Verhalten gezielt eine
Änderung der Rechtslage herbeizuführen», ® zu relativieren.?!
Die politischen Rechte der Stimmberechtigten im Legislativbereich
stehen unter dem Vorbehalt des Sanktionsrechts des Landesfürsten und
entfalten rechtliche Wirkung nur soweit, als es ihnen nicht entgegen-
steht.
78 In StGH 2002/73, Entscheidung vom 3. Februar 2003, S. 22 Erw. 3.2 (im Internet
abrufbar unter: <www.stgh.li>) hält der Staatsgerichtshof fest, «dass eine Abstim-
mungsbeschwerde grundsätzlich erst nach der Durchführung der Abstimmung er-
hoben werden kann, doch erachtet der Staatsgerichtshof die Einbringung einer Ab-
stimmungsbeschwerde bereits früher, wenn auch frühestens nach der Anordnung
der Abstimmung durch die Regierung für zulässig und erforderlich, um Mängel zu
rügen, die schon zu diesem früheren Zeitpunkt als Mängel im Hinblick auf die Ab-
stimmung hinreichend als relevant erkennbar sind». Vgl. auch StGH 1990/6, Urteil
vom 2. Mai 1991, LES 4/1991, S. 133 (135 Erw. 2 und 2.1).
79 Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 55. Vgl. auch StGH 1978/4, Entschei-
dung vom 12. Juni 1978, LES 1978, S. 1 (2 Erw. I1/2), die zum Begriff der politischen
Rechte festhält, dass er einen ganz bestimmten eng umgrenzten Sinn habe, «nämlich
die Befugnisse der Mitwirkung an der Staatswillensbildung». Vgl. auch StGH
1984/2, Urteil vom 30. April 1984, LES 3/1985, S. 65 (68 Erw. 5).
80 Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 148.
81 Vgl. auch Wilfried Marxer / Zoltän Tibor Pällinger, Direkte Demokratie, S. 38; Bern-
hard Ehrenzeller/ Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 666 f. Rz. 60 f. Vgl. im
Zusammenhang mit dem Verfassungsstaat bzw. der Verfassungsgerichtsbarkeit Ger-
ard Batliner, Der konditionierte Verfassungsstaat, S. 410 ff.
82 Siehe die weiteren Ausführungen hinten S. 452 ff.
401
2. Abschnitt
Die einzelnen politischen Rechte
Zu den politischen Rechten zählen im Allgemeinen Wahlen und Abstim-
mungen sowie die Initiative und das Referendum. Neben diesen Volks-
rechten, die in der Praxis am häufigsten vorkommen, gibt es noch solche,
die spezieller und daher von untergeordneter Bedeutung sind. Sie sind
bislang kaum oder nicht zur Anwendung gelangt. Zu ihnen gehören die
Einberufung und Auflösung des Landtages, die Mitwirkung bei Rich-
terwahlen, der Misstrauensantrag gegen den Landesfürsten und die Ini-
tiative auf Abschaffung der Monarchie.® Diese Aufzählung veranschau-
licht, dass die Verfassung eine Reihe von verschiedenartigen Ausdrucks-
formen des Stimmrechts kennt.*
$17 WAHLRECHT
I. Allgemeines
Die Verfassung normiert in Art. 46 Abs. 1 Satz 1 das Wahlsystem und die
wichtigsten Wahlrechtsgrundsätze. Über das aktive und passive Wahl-
recht trifft sie keine Aussage.® Der Staatsgerichtshof hat aber einer ein-
83 Siehe die Übersicht über die Volksrechte bei Wilfried Marxer/Zoltän Tibor Pällin-
ger, Direkte Demokratie, S. 67 ff. (Anhang 2) und Bernhard Ehrenzeller / Rafael
Brägger, Politische Rechte, S. 648.
84 Zur Versammlungsdemokratie, Initiative und Referendum auf Gemeindeebene
siehe Art. 24 ff. GemG 1. V. m. Art. 110 und 111 LV.
85 Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 150 unter Bezugnahme auf StGH
1970/1, Gutachten vom 13. Juli 1970, ELG 1967 bis 1972, S. 254 f. Hier weist der
Staatsgerichtshof darauf hin, dass die Verfassung in Bezug auf das aktive und passive
Wahlrecht keine Bestimmung enthalte. Art. 46 LV bestimme lediglich den Charak-
ter des Stimmrechts und den Wahlmodus. Das Nähere über die Ausübung der poli-
tischen Volksrechte in Landesangelegenheiten habe der Gesetzgeber zu regeln.
402
Wahlrecht
fachgesetzlichen Regelung Grenzen gesetzt und ausgeführt, dass «Ein-
schränkungen der bürgerlichen Rechte, wie Unvereinbarkeitsbestim-
mungen, Wahlunfähigkeit, Festsetzung von Altersgrenzen für aktives
und passives Wahlrecht nur unter Berücksichtigung ihrer Zweckmässig-
keit und möglichst ohne Einschränkung der bürgerlichen Rechte vorge-
nommen werden» dürfen. Als sachlich gerechtfertigten Grund für eine
Beschränkung erwähnt er beispielhaft den Gleichheitsgrundsatz.®®
II. Wahlsystem
Die Verfassung schreibt als Wahlmodus das Verhältniswahlsystem vor.?
Die nähere Ausgestaltung überlässt sie dem Gesetzgeber, der frei ist,
«jene Art des Verhältnis-Wahlrechtssystems zu wählen und für die
Zuteilung der Mandate jene Berechnungsmodalitäten festzulegen, die
ihm als den Bedürfnissen und Gegebenheiten des Landes am besten ent-
sprechend erscheint».% Die Lösung besteht in der Kombination zweier
Systeme, wonach die Grundmandate nach der Methode «Hagenbach-
Bischoff» und allfällige Restmandate nach Massgabe des d’Hondtschen
Höchstzahlverfahrens den Wählergruppen zugeteilt werden.®
Die territoriale Einteilung, wie sie in den beiden Wahlbezirken
Oberland und Unterland in Erscheinung tritt, ist an sich, so der Staats-
gerichtshof, mit dem Verhältnis-Wahlsystem nicht vereinbar. Das
Nebeneinander zweier sich ausschliessenden Grundsätze kann nach sei-
ner Ansicht «nur so verstanden werden, dass das Verhältnis-Wahlsystem
eben nur insoweit Platz greift, als es der territorialen Einteilung nicht
widerspricht».” Da die Wahlkreiseinteilung nicht nur den ungeschmä-
86 StGH 1970/1, Gutachten vom 13. Juli 1970, ELG 1967 bis 1972, S. 254 (255).
87 Zur Entstehungsgeschichte siehe Herbert Wille, Landtag und Wahlrecht, S. 59
(159 ff).
88 StGH 1968/6, Gutachten vom 28. Mai 1969, ELG 1967 bis 1972, S. 248 (250). Das
Volksrechtegesetz vom 17. Juli 1973 führte anstelle des bisherigen Listenproporzes
den Kandidatenproporz ein, bei dem jede Kandidatenstimme auch als Parteistimme
zählt, sodass der Entscheid für einen Kandidaten zugleich auch eine Stimme für des-
sen Partei bzw. Wählergruppe bedeutet. Vgl. Martin Batliner, Politische Volks-
rechte, S. 111; Arno Waschkuhn, Politisches System Liechtensteins, S. 311.
89 Ves8l. Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 112 ff.; Wolfram Höfling, Grund-
rechtsordnung, S. 150 f.
90 StGH 1968/6, Gutachten vom 28. Mai 1969, ELG 1967 bis 1972, S. 248 (250).
403
Die einzelnen politischen Rechte
lerten Bestand von Oberland und Unterland sichert, sondern auch ihren
getrennten politischen Einfluss auf die staatliche Willensbildung wahrt,
hat das Proportionalwahlverfahren nur innerhalb eines Wahlbezirkes
zur Anwendung zu gelangen. Dieser Argumentation liegt der föderale
Gedanke zugrunde, wie er bei einer Wahlkreiseinteilung nach Gliedstaa-
ten in einem Bundesstaat anzutreffen ist.”!
III. Wahlrechtsgrundsätze
Das Volksrechtegesetz konkretisiert die Wahlrechtsgrundsätze, die in
allgemeiner Form in Art. 46 Abs. 1 LV im Zusammenhang mit der Wahl
des Landtages genannt werden. Danach werden die Abgeordneten vom
Volk im Wege des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Stimm-
rechts gewählt. Das in der Verfassung nicht ausdrücklich normierte
Prinzip der Freiheit der Wahl, das auch Art. 3 1. ZP zur EMRK schützt,
wird vor allem durch die Geheimheit der Wahl gewährleistet.”
1. Allgemeinheit der Wahl
Dieser Grundsatz will verhindern, dass bestimmte Gruppen der Bevöl-
kerung im Wahlrecht eingeschränkt bzw. vom aktiven und passiven
Wahlrecht ausgeschlossen werden.” Er richtet sich gegen jede Diskrimi-
nierung bei der Wahlberechtigung. Einschränkungen sind nur aus zwin-
genden Sachgründen vertretbar und zulässig.?** Als wahlberechtigte Per-
91 StGH 1968/6, Gutachten vom 28. Mai 1969, ELG 1967 bis 1972, S. 248 (250 f.) mit
weiteren Hinweisen; vgl. auch Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 90 f.; Wol-
fram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 151.
92 Vgl. Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 105 f.; Wolfram Höfling, Grund-
rechtsordnung, S. 151.
93 So schon die $$ 50 und 55 des Verfassungsentwurfs des ständischen Verfassungsra-
tes vom 1. Oktober 1848, die in diese Richtung weisen.
94 Siehe StGH 1982/1-25/V, Urteil vom 15. Oktober 1982, LES 1983, 5. 74 (76), wo
von «vertretbaren Fällen» die Rede ist, und StGH 1970/1, Gutachten vom 13. Juli
1970, ELG 1967-1972, S. 254 (255), das «sachlich gerechtfertigte Gründe» bzw.
«zwingende sachliche Gründe» verlangt. Vgl. auch Wolfram Höfling, Grundrechts-
ordnung, S. 152 f.
404
Wahlrecht
sonen gelten liechtensteinische Landesangehörige und zwar seit 1984
Männer und Frauen,® die das 18. Lebensjahr vollendet haben und seit
einem Monat vor der Wahl im Lande ordentlichen Wohnsitz haben. Sie
betreffen demnach das Wahlalter, da die demokratische Doktrin die
Fähigkeit zu selbstbestimmtem und eigenverantwortlichem Handeln
voraussetzt,® und den Wohnsitz. Insoweit unterliegt das Prinzip der
Allgemeinheit der Wahl einer «verfassungsunmittelbaren Schranken-
klausel».” Wahlberechtigte liechtensteinische Landesangehörige, die im
Ausland wohnen, sind vom Stimm- und Wahlrecht ausgeschlossen.?®
Weitere Ausschliessungsgründe listet auch Art. 2 VRG auf.” Sie betref-
fen einerseits den Ausschluss vom Stimmrecht wegen Urteilsunfähigkeit
«in Bezug auf Wahlen und Abstimmungen», soweit er gerichtlich ange-
ordnet ist, und andererseits den Ausschluss vom Stimmrecht wegen
einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung, die aufgrund straf-
barer Handlungen erfolgt ist, die gesetzlich unter Bezugnahme auf das
Strafgesetzbuch genau bezeichnet sind. Das Gericht hat dabei auf die
Umstände des Einzelfalles abzustellen.!®
95 Zur Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes in der Frage des Frauenstimm- und
-wahlrechts siehe Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 83 f. und Wolfram Höf-
ling, Grundrechtsordnung, S. 152.
96 Vgl. Hans Meyer, Wahlgrundsätze, Wahlverfahren, Wahlprüfung, S. 545 f. Rz. 4 und
Helmut Schreiner, in: Heinz Peter Rill/Heinz Schäffer, Bundesverfassungsrecht.
Kommentar, zu Art. 26 B-VG, S. 20 Rz. 25 (4. Lfg. 2006).
97 Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 153.
98 Siehe Art. 29 Abs. 2 LV sowie Art. 1 und 5 VRG. In der Diskussion wird gegen das
Stimm- und Wahlrecht der Liechtensteiner und Liechtensteinerinnen, die im Aus-
land wohnen, zur Hauptsache vorgebracht, «dass die politischen Entscheidungen
nicht von jenen getroffen werden sollen, die deren Konsequenzen nicht zu tragen ha-
ben». Es wird auch auf den sehr hohen Anteil von solchen liechtensteinischen Lan-
desbürgern und Landesbürgerinnen hingewiesen. Siehe die Interpellationsbeantwor-
tung der Regierung betreffend die Einführung des Stimm- und Wahlrechts auf Ge-
meindeebene für niedergelassene Ausländerinnen und Auslandliechtensteinerinnen
vom 30. August 2011, Nr. 84/2011, 5. 14 f. und das Landtagsprotokoll zur Petition
«Stimm- und Wahlrecht von Liechtensteinern im Ausland» vom 19. Oktober 2011,
S. 1528-1530. Siehe auch BuA Nr. 43/2004 der Regierung vom 18. Mai 2004, 5. 7 f.
99 Siehe Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 76.
100 Siehe BuA Nr. 66/2012 der Regierung vom 29. Mai 2012, S. 43 ff. und dazu SIGH
2011/23, Urteil vom 18. Mai 2011, 5. 8 ff., Erw. 4 ff. (im Internet abrufbar unter:
<www. gerichtsentscheide.li>).
405
Die einzelnen politischen Rechte
Unvereinbarkeiten stehen im Unterschied zu den Wählbarkeitsvoraus-
setzungen «Kandidaturen und Wahlgängen für unvereinbare Organstel-
lungen» nicht entgegen.!°! So können etwa Mitglieder der Regierung
oder der Gerichte nicht gleichzeitig Mitglieder des Landtages sein.!® Sie
können aber an einer Landtagswahl teilnehmen. Sie haben sich im Falle
der Wahl für das eine oder das andere Organ zu entscheiden.!®
2. Gleichheit der Wahl
Der Grundsatz des gleichen Wahlrechts richtet sich wie der allgemeine
Gleichheitssatz gegen Ungleichbehandlungen. Er erweist sich diesem
gegenüber als spezifischer, insofern er sich nur auf Wahlen und Abstim-
mungen erstreckt und striktere, d. h. formale Anforderungen an die
Gleichbehandlung derjenigen stellt, die sich an Wahlen und Abstim-
mungen beteiligen.!% Der allgemeine Gleichheitssatz tritt so gesehen
hinter die «speziellere Ausprägung» zurück.!®
Die gleiche Wahl ist gegenüber der allgemeinen Wahl abzugrenzen.
Diese will jede Beschränkung des Wahlrechts auf bestimmte Personen-
gruppen der Bevölkerung unterbinden, während der Grundsatz der
Gleichheit der Wahl nur denjenigen Personenkreis anvisiert, der bereits
über das Wahlrecht verfügt.!%
101 Nach Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 236 f. Rz. 7 dürfen
Personen, die die Wählbarkeitsvoraussetzungen nicht erfüllen, nicht in das «recht-
lich relevante Wahlverfahren» einbezogen werden, da «sie nicht Kandidaten im
Rechtssinne (sind), für die gültig gestimmt werden kann».
102 Siehe Art. 46 Abs. 4 LV.
103 Siehe Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, 5. 236 f. Rz. 7; vgl. auch
Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 84 f.
104 Vgl. Helmut Schreiner, in: Heinz Peter Rill/Heinz Schäffer, Bundesverfassungs-
recht. Kommentar, zu Art. 26 B-VG, S. 27 f. Rz. 34 (3. Lfg. 2004).
105 Vöel. Philip Kunig, Parteien, S. 337 Rz. 93 und Hans Meyer, Wahlgrundsätze, Wahl-
verfahren, Wahlprüfung, S. 561 f. Rz. 32. Martin Batliner, Politische Volksrechte,
S.85 f. nennt die Wahlrechtsgleichheit einen «besondere(n) Fall des allgemeinen
Gleichheitssatzes». In SEGH 1978/4, Entscheidung vom 12. Juni 1978, LES 1981,
S. 1 (3) sieht der Staatsgerichtshof in der Entziehung des Wahlrechts noch eine Ver-
letzung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes.
106 Vgl. Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 85.
406
Wahlrecht
Das Prinzip der Wahlgleichheit umfasst sowohl das aktive als auch das
passive Wahlrecht. Es garantiert den Wahlwerbern und den Wähler-
gruppen Chancengleichheit in Hinsicht auf die Teilnahme an der
Wahl.!” Die Wähler und Wählerinnen haben ihrerseits einen Anspruch
auf Gleichbehandlung ihrer Stimmen. Diese müssen einen gleichen Zähl-
wert bei der Umsetzung in Landtagsmandate aufweisen, was sich ım
Ergebnis in einem gleichen Erfolgswert niederschlägt.!® Dieser Zielset-
zung hat auch das Verhältniswahlrecht gerecht zu werden, dem ein
Bestreben in dieser Richtung zugrunde liegt.!°
Einschränkungen dieser Erfolgswertgleichheit der Stimmen bzw.
«Stimmeneinflussgleichheit»!!° sind mit der verfassungsrechtlichen
Wahlkreiseinteilung verbunden,!!! wonach von den 25 Abgeordneten 15
auf das Oberland und 10 auf das Unterland entfallen. Dies hat zur Folge,
dass im Oberland ein geringerer Prozentsatz an Stimmen als im Unter-
land ausreicht, um ein Grundmandat zu erlangen.!!? Die unterschied-
liche Aufteilung der Landtagsmandate auf die beiden Wahlkreise führt
andererseits auch dazu, dass der «Stimmeneinfluss des Unterländers»
relativ grösser ist als derjenige des Oberländers, da das Oberland «mehr
als doppelt so viele Stimmberechtigte zählt wie das Unterland», obwohl
«im Oberland nur um die Hälfte mehr Abgeordnete gewählt werden als
107 Das Gebot der Chancengleichheit erfasst «den gesamten Wahlvorgang von der
Wahlwerbung bis zur Zuteilung der Abgeordnetensitze»; so Martin Batliner, Poli-
tische Volksrechte, 5. 94 mit weiteren Literaturhinweisen. Für Österreich siehe Hel-
mut Schreiner, in: Heinz Peter Rill/ Heinz Schäffer, Bundesverfassungsrecht. Kom-
mentar, zu Art. 26 B-VG, 5. 29 Rz. 38 (1. Lfg. 2001).
108 Vgl. Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 153.
109 Vgl. Helmut Schreiner, in: Heinz Peter Rill/Heinz Schäffer, Bundesverfassungs-
recht. Kommentar, zu Art. 26 B-VG, S. 28 f. Rz. 37 (3. Lfg. 2004). Siehe auch Ulrich
Häfelin/ Walter Haller / Helen Keller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S. 435 Rz.
1380a, die vermerken, dass aus der Stimmrechtsgleichheit die Forderung fliesst,
«dass bei Proporzwahlen möglichst eine Erfolgswertgleichheit der Stimmen erzielt
wird».
110 Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 88.
111 Siehe schon vorne S. 403 f. zum Wahlsystem. Zur Bedeutung der Wahlkreise siehe
Peter Pernthaler, Rechtsgutachten Wahlkreis, S. 8 f., der zum Ergebnis kommt, dass
die Wahlkreise keine «über das Wahlverfahren hinausreichende Funktion» haben.
Der Landtag vertrete — ungeachtet der Wahl in Wahlkreisen — das Gesamtvolk
Liechtensteins nach den Grundsätzen des allgemeinen und gleichen Verhältniswahl-
systems (Art. 46 LV).
112 Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 154.
407
Die einzelnen politischen Rechte
ım Unterland».!!? Diese ungleiche Wirkung ist, so der Staatsgerichtshof,
von der Verfassung ausdrücklich gewollt.11*
Eine weitere Abweichung von der Erfolgswertgleichheit stellt die
in Art. 46 Abs. 3 LV verankerte Sperrklausel dar. Wählergruppen, die
acht Prozent der im ganzen Land abgegebenen gültigen Stimmen nicht
erreichen, !!5 werden bei der Mandatszuteilung nicht berücksichtigt. Die
Wählerstimmen, die sie erhalten haben, sind wertlos und im Landtag
«nicht repräsentiert».116 Den sachlichen Grund dieser Sperrklausel
erblickt der Staatsgerichtshof in der «Verhinderung von Splitterpar-
teien» bzw. in der «Notwendigkeit einer arbeitsfähigen und stabilen
Volksvertretung und Regierung», die «in einem Kleinstaat wie Liechten-
stein in erhöhtem Ausmass gegeben ist».!!7
3. Geheime Wahl
Das geheime Wahlrecht beinhaltet, dass der Stimm- und Wahlberech-
tigte seine Stimme abgeben kann, ohne dass Dritte bzw. die Wahlbe-
hörde oder sonst jemand von deren Inhalt Kenntnis erhält.!!® Es stellt
113 Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 88 f. Nach Wilfried Marxer, Optimierung
des Wahlsystems, S. 13 ff. hat sich bezüglich der beiden Wahlkreise ein System ent-
wickelt, das dem Unterland ein überproportionales Gewicht einräumt.
114 StGH 1962/1, Entscheidung vom 1. Mai 1962, ELG 1962-1966, S. 191 (195); vgl.
auch StGH 1966/2, Entscheidung vom 13. April 1966, ELG 1962-1966, S. 230 (234).
115 Diese Bestimmung der Sperrklausel ist für Peter Pernthaler, Rechtsgutachten
Wohnsitzfrage, S. 3 ein Indiz dafür, «dass die Verfassung die Einheitlichkeit und
Gleichheit der politischen Rechte der Landesbürger über die Gliederung der Wahl-
bezirke stellt».
116 Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 92.
117 StGH 1966/2, Entscheidung vom 13. April 1966, ELG 1962-1966, S. 230 (234). Vgl.
auch Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 92 ff. und Wolfram Höfling, Grund-
rechtsordnung, S. 154 f. Es sind Bestrebungen im Gange, die Sperrklausel herabzu-
setzen. Vgl. dazu die parlamentarische Initiative vom 1. November 2013 zur «Sen-
kung der 8-Prozent-Sperrklausel bei Landtagswahlen auf 5 Prozent», die am
4. November 2013 von den Abgeordneten der Freien Liste beim Parlamentsdienst
eingereicht worden ist. Sie fand in der Landtagssitzung vom 1. Oktober 2014 nicht
die erforderliche verfassungsmässige Zustimmung. Siehe Landtagsprotokoll vom
1. Oktober 2014 (im Internet abrufbar unter: <www.landtag.li>).
118 Vgl. Yvo Hangartner / Andreas Kley, Die demokratischen Rechte, S. 1018 Rz. 2563;
Helmut Schreiner, in: Heinz Peter Rill/Heinz Schäffer, Bundesverfassungsrecht.
Kommentar, zu Art. 26 B-VG, S. 37 Rz. 49 (1. Lfg. 2001).
408
Wahlrecht
sicher, dass die Entscheidung des Wählers weder bei der Wahlhandlung
eingesehen noch auch später rekonstruiert werden kann, sodass sie auch
nicht individuell zurechenbar ist.!!? Der Wähler soll seine Willensbil-
dung und -äusserung ohne sozialen Druck vornehmen können.!?
Schutzzweck dieses Grundsatzes ist demnach, die freie Wahl zu gewähr-
leisten. Er stellt m. a. W. einen Teilaspekt der Wahl- und Abstimmungs-
freiheit dar.!?!
Die Einführung der brieflichen Stimmabgabe stiess auf keine
grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken.!?? Sie ist mit dem
Prinzip der geheimen Wahl wie auch mit den anderen Wahlrechtsgrund-
sätzen, die in diesem Zusammenhang auch in Erwägung zu ziehen sind,
vereinbar. Die entsprechenden Schutzvorkehrungen treffen Art. 8 und
8a VRG,!?3 sodass keine Rückschlüsse auf das individuelle Stimmverhal-
ten möglich sind und eine «zuverlässige und unverfälschte Willenskund-
gabe» gewährleistet ist.!2*
Aktuell geworden ist auch die Frage der Verwendung moderner
Kommunikationstechnologien. Um die elektronische Stimmabgabe («E-
Voting») zu ermöglichen, wurde in Art. 8b VRG die gesetzliche Basis
geschaffen. Danach kann die Regierung im Einvernehmen mit interes-
sierten Gemeinden örtlich, zeitlich und sachlich begrenzte Versuche zur
elektronischen Stimmabgabe genehmigen. !25
Eine Ausnahme vom Grundsatz der geheimen Wahl besteht inso-
weit, als Wahlvorschläge von mindestens dreissig Stimmberechtigten
119 Hans Meyer, Wahlgrundsätze, Wahlverfahren, Wahlprüfung, S. 555 Rz. 20. Vgl.
auch Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 100, der festhält, dass das Prinzip
der geheimen Wahl auch die Wahlvorbereitungen umfasst und auch für die Zeit nach
den Wahlen gilt.
120 Strafrechtlichen Schutz gewährt $ 268 StGB.
121 Yvo Hangartner/ Andreas Kley, Die demokratischen Rechte, S. 1018 Rz. 2563; vgl.
auch Helmut Schreiner, in: Heinz Peter Rill/Heinz Schäffer, Bundesverfassungs-
recht. Kommentar, zu Art. 26 B-VG, S. 37 Rz. 49 (1. Lfg. 2001).
122 Siehe Postulatsbeantwortung der Regierung vom 25. März 2003, Nr. 19/2003,
S.16 f. und S. 20.
123 Siehe BuA Nr. 43/2004 der Regierung vom 18. Mai 2004, 5. 14 ff.
124 Vgl. die Überlegungen, die das schweizerische Bundesgericht in BGE 121 I 187
(190 ff. Erw. 3) angestellt hat.
125 VSel. die Erörterungen in BuA Nr. 43/2004 der Regierung vom 18. Mai 2004, 5. 20 ff.
Siehe die Ausführungen von Rolf Zimmermann, in: NZZ Nr. 173 vom 29. Juli 2014,
S. 15, wonach das E-Voting nicht problemlos ist.
409
Die einzelnen politischen Rechte
unterzeichnet sein müssen. Die Wahlvorschläge, die die Namen der
Unterzeichner tragen, sind bei der Regierung zur Einsicht für die
Stimm- und Wahlberechtigten des Wahlkreises aufzulegen, damit diese
ihre Einsprachen gegen die Stimmberechtigung der Unterzeichner gel-
tend machen können.!?*® Das Recht der Einsichtnahme lässt sich mit dem
Interesse der Stimm- und Wahlberechtigten rechtfertigen, «einen Kandi-
daten nicht nur nach seinen Worten beurteilen zu müssen, sondern auch
den politischen Standort des Nominierungskomitees zu kennen».!?7
4. Unmittelbare Wahl
Die unmittelbare oder direkte Wahl des Landtages ist zusammen mit
dem Grundsatz der allgemeinen Wahl im Jahre 1918 eingeführt worden.
Das Gesetz vom 21. Jänner 1918 erklärte in $ 2 alle liechtensteinischen
Staatsbürger männlichen Geschlechts, welche das 24. Lebensjahr vollen-
det und seit einem halben Jahre im Fürstentum ihren ständigen Wohn-
sitz haben, als aktiv und passiv wahlberechtigt.!? Das Prinzip der direk-
ten Wahl, wie es in Art. 46 Abs. 1 LV verankert wurde, verlangt, dass das
Volk bzw. die Stimm- und Wahlberechtigten die Mitglieder des Landta-
126 Vgl. zum Verfahren vor der Wahl Art. 37 Abs. 2 und 39 VRG.
127 Pierre Tschannen, Schutz der Grundrechte, S. 508 Rz. 54 mit Hinweis auf BGE 98
Ib 289 (Erw. 4g-i), wo es u.a. heisst: «Um das Stimmrecht in voller Freiheit und
Unabhängigkeit ausüben zu können, muss aber jeder Wähler die Möglichkeit
haben, sich Klarheit über die politischen Absichten der Vorgeschlagenen und der
Vorschlagenden zu verschaffen. Ein dafür geeignetes Mittel ist die Einsicht in die
Liste der Vorschlagenden. Wäre deren Identität geheim zu halten, so wäre mancher
Wähler unter Umständen ausserstande, sich über die politische Einstellung der
einen oder anderen Gruppe von Unterzeichnern zu vergewissern, und wäre daher
die Abstimmungsfreiheit beeinträchtigt.» Diesen Aspekt lässt Martin Batliner, Poli-
tische Volksrechte, S. 101 ausser Acht, wenn er meint, dass dieses Einsichtsrecht im
Sinne geheimer und freier Wahlen beseitigt werden könnte. Eine behördliche Prü-
fung der Wahlvorschläge «würde durchaus genügen». Eine solche behördliche Prü-
fung findet bei Referendums- und Initiativbegehren im Sinne von Art. 69 VRG statt,
wonach die Stimmberechtigung und die Unterschrift der Unterzeichner von der
Gemeindevorstehung derjenigen Gemeinde, in welcher dieselben ihre politischen
Rechte ausüben, zu bescheinigen ist. Solche Abstimmungen sind aber nicht mit
Landtagswahlen zu vergleichen.
128 Siehe LGBl. 1918 Nr. 4 und zur Einführung des direkten Wahlrechts siehe vorne
S. 146 f.
410
Wahlrecht
ges selbst bestimmen können.!?? Es verbietet, dass ein Dritter die Ent-
scheidung über die Wahl eines Abgeordneten trifft.!?
Die Vorschriften über das Verfahren vor der Wahl und den Wahl-
vorgang setzen diese Zielvorgaben um.!?! Die Stimm- und Wahlberech-
tigten dürfen nur einen amtlichen Stimmzettel verwenden, der die Kan-
didaten in der Reihenfolge, wie sie von den einzelnen Wählergruppen
eingereicht worden sind, mit Adressangabe ausweist. Am Kopf des
Stimmzettels ist der Name der betreffenden Wählergruppe festgehalten.
Nicht amtliche Stimmzettel sind ungültig. Die Stimm- und Wahlberech-
tigten können an den amtlichen Stimmzetteln Streichungen und Ände-
rungen vornehmen. Sie können aber ihre Stimme nur für solche Kandi-
daten abgeben, welche auf einer Wahlliste der amtlichen Stimmzettel
aufgeführt sind.
5. Freie Wahl
Der Grundsatz der Freiheit der Wahl ist nicht explizit in der Verfassung
erwähnt. Er ergibt sich aber aus der engen inhaltlichen Verflechtung mit
den anderen Wahlgrundsätzen. Die geheime Wahl erweist sich als wich-
tigste institutionelle Stütze der Wahlfreiheit.!?? Ihrer Sicherung dienen
die Strafbestimmungen der $$ 261 bis 268 StGB.! Sie ist auch in Art. 3
129 Vgl. Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 101. Er macht in diesem Zusammen-
hang auf das Problem der stellvertretenden Abgeordneten aufmerksam (S. 103 ff.),
da nach Art. 60 Abs. 2 VRG i. V. m. Art. 46 Abs. 2 LV als stellvertretende Abge-
ordnete diejenigen Kandidaten zu erklären sind, die auf der Wahlliste der betreffen-
den Wählergruppe unter den nicht gewählten Kandidaten am meisten Stimmen er-
halten haben. Sie sind nicht durch die Wahlen bzw. das Volk legitimiert. Sie leiten
ihre Stellung vielmehr von der Wählergruppe (Partei) ab, die sie zur Wahl vorge-
schlagen hat. Zum Stellvertretungsfall (Art. 53 LV) siehe Gerard Batliner, Parlament,
S. 65 ff. und hinten S. 479 f., die die inzwischen teilweise geänderte bzw. geltende
Rechtslage wiedergibt.
130 Vgl. Hans Meyer, Wahlgrundsätze, Wahlverfahren, Wahlprüfung, S. 554 Rz. 17;
Helmut Schreiner, in: Heinz Peter Rill/Heinz Schäffer, Bundesverfassungsrecht.
Kommentar, zu Art. 26 B-VG, S. 32 Rz. 41 (1. Lfg. 2001).
131 Siehe insbesondere Art. 48 und 49a VRG.
132 Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 105 mit weiteren Literaturhinweisen. Vgl.
z. B. Art. 49 Abs. 2 VRG.
133 Vgl. auch Robert Walter/Heinz Mayer / Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Bundesver-
fassungsrecht, S. 122 Rz. 310.
411
Die einzelnen politischen Rechte
1. ZP zur EMRK vorgeschrieben, der zu freien und geheimen Wahlen in
angemessenen Abständen unter Bedingungen verpflichtet, die die freie
Äusserung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden
Organe gewährleisten.!?
Der Grundsatz der freien Wahl garantiert, das Wahlrecht ohne
Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussung ausüben zu können.!®
Dies betrifft sowohl den Willensbildungsprozess als auch die Willens-
kundgabe. Die Behörden haben objektiv und ausgewogen über den
Abstimmungsgegenstand zu informieren bzw. im Falle von Wahlen die
Neutralitätspflicht strikt einzuhalten. !?®
Der österreichische Verfassungsgerichtshof leitet aus dem Grund-
satz der freien Wahl auch ab, dass niemand gegen seinen Willen in einen
Wahlvorschlag aufgenommen werden darf.!” So ist denn auch gemäss
Art. 43 Abs. 1 VRG mit der Einreichung der Wahlvorschläge bei der
Regierung eine Annahmeerklärung der Kandidaten vorzulegen, in der
sie festhalten, die Kandidatur anzunehmen.
$18 INITIATIVRECHT
I. Begriff und Arten
Das Recht der Initiative, d. h. zur Einbringung von Gesetzesvorschlä-
gen, steht nach Art. 64 LV neben dem Landesfürsten, der Regierung und
dem Landtag auch einer bestimmten Anzahl stimm- und wahlberechtig-
ter Landesbürger zu. Es ist als «Kollektivbegehren» ausgestaltet.!?® Die
134 Nach der Rechtsprechung des EGMR besteht für den Gesetzgeber eine beschränkte
Ermächtigung, bestimmte Personen vom aktiven und passiven Wahlrecht auszu-
schliessen bzw. das Grundrecht auf Teilnahme an Wahlen zu beschränken. Siehe zur
Rechtsprechung des EGMR und zur österreichischen Rechtslage Katharina Pabel,
Wahlrecht auch für Strafgefangene, S. 553 f.
135 Zur freien Willensbildung im Vorfeld von Abstimmungen grundsätzlich StGH
1993/8, Urteil vom 21. Juni 1993, LES 3/1993, S. 91 (96 ff. Erw. 2).
136 Vgl. Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 672 ff. Rz. 75 ff.
bzw. S. 675 f. Rz. 81 ff.
137 Siehe VfSlg 13.966.
138 Vgl. für die Verfassung des Kantons Aargau $ 64 Abs. 1 und dazu Kurt Eichenber-
ger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 210 Rz. 4.
412
Initiativrecht
Verfassung kennt die Einzelinitiative eines einzelnen Stimm- und Wahl-
berechtigten nicht. Das Initiativrecht kann sich sowohl auf die Verfas-
sungs- als auch auf die einfache Gesetzgebung beziehen, wobei das
Begehren dementsprechend den Erlass, die Abänderung oder Aufhe-
bung der Verfassung!®® oder eines Gesetzes!*® umfassen kann. Die Ver-
fassung überlässt es dem Gesetzgeber, die «näheren Bestimmungen»
über die Volksinitiative zu treffen.
II. Formen der Initiativbegehren
Initiativbegehren können als ausgearbeiteter Entwurf (formulierte Initia-
tive) oder als allgemeine Anregung (einfache Initiative) abgefasst sein.!*!
1. Formulierte Initiative
Handelt es sich um eine formulierte Initiative, kann ihr der Landtag
nichts mehr beifügen. Der Text ist für ihn verbindlich.!?? Das Initiativ-
begehren ist in dieser eingereichten Form, «so wie er vorliegt»,1!* der
Volksabstimmung zuzuweisen, wenn der Landtag ihr nicht zustimmt. Er
kann sie, auch wenn er sie annimmt, von sich aus der Volksabstimmung
unterstellen. !*
Der Landtag kann beantragen, das Initiativbegehren zu verwerfen
oder ihm einen Gegenvorschlag bzw. eine Gesetzesvorlage, die eine
139 Gemäss Art. 85 Abs. 1 VRG können wenigstens 1500 Stimmberechtigte oder we-
nigstens vier Gemeinden in Form übereinstimmender Gemeindeversammlungsbe-
schlüsse «das Begehren um Revision der Verfassung (Erlass, Abänderung oder Auf-
hebung) im Ganzen oder einem Teil nach (Total- oder Partialrevision) stellen».
140 Das Begehren können wenigstens 1000 wahlberechtigte Stimmbürger oder drei
Gemeinden in Form übereinstimmender Gemeindeversammlungsbeschlüsse stellen.
Siehe Art. 64 Abs. 2 LV i. V. m. Art. 80 VRG. Gegenstand einer Initiative kann nur
ein legislativer Akt sein. Siehe Art. 69 Abs. 5 VRG.
141 Siehe Art. 80 Abs. 2 VRG. Die einfache Initiative spielte bisher in der Staatspraxis
keine Rolle. Vgl. Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 145.
142 Vel. Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 141.
143 Siehe Art. 82 Abs. 1 VRG.
144 Siehe Art. 75 Abs. 1 Bst. a VRG.
413
Die einzelnen politischen Rechte
«abgeänderte Fassung» des Initiativbegehrens beinhaltet,!® gegenüber-
zustellen.!*6 Er kann «nötigenfalls» die Gründe seines Vorgehens in einer
Botschaft an die Stimm- und Wahlberechtigten darlegen.!*7 Sie kommen
gleichzeitig zur Abstimmung. Geht es in diesem Zusammenhang um
eine Verfassungsmaterie, hat der Beschluss des Landtages den für Ver-
fassungsänderungen in Art. 112 Abs. 2 LV festgelegten Verfahrensmodus
einzuhalten. !#
Ein Initiativbegehren kann rückgängig gemacht werden, sofern es
mit einer Rückzugsklausel versehen ist. Erforderlich ist ein einstimmiger
Beschluss der Mitglieder des Initiativkomitees. Ein Rückzug ist so lange
zulässig, bis die Regierung das Abstimmungsdatum festgesetzt hat.!*®
2. Einfache Initiative
Hat sich der Landtag mit einer einfachen Initiative zu befassen, so hat er
sich zu erklären, ob er mit dem gestellten Begehren einverstanden ist
oder nicht. Stimmt er ihm zu, hat er eine entsprechende Gesetzes- oder
Verfassungsvorlage auszuarbeiten und zu beschliessen, die dem fakulta-
tiven Referendum unterliegt.!5° Wie er dabei vorgehen will, beispiels-
weise ob er eine Kommission bestellen will, bestimmt er selber. Ihm
obliegt die Formulierung des Erlasses, sodass er bis zu einem bestimm-
ten Grad Einfluss nehmen und die «Brisanz der Forderung» abschwä-
chen kann.
145 Nach Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 142 muss der Gegenentwurf des
Landtages «den selben Sachverhalt regeln wie die Initiative». Er darf zwar «die For-
derungen der Initiative abschwächen oder erweitern, nicht aber in die entgegenge-
setzte Richtung zielen».
146 Der Gegenvorschlag bietet den Stimm- und Wahlberechtigten eine «Auswahl zwi-
schen zwei Neuerungsmöglichkeiten» an und ermöglicht unter Umständen eine
Korrektur unzulänglicher Volksinitiativbegehren. Siehe Kurt Eichenberger, Verfas-
sung des Kantons Aargau, S. 216 Rz. 16.
147 Siehe Art. 82 Abs. 3 VRG und dazu Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 141.
148 Vgl. Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 142 f. mit Literaturhinweisen.
149 Siehe Art. 82b VRG; siehe auch vorne S. 394.
150 Siehe Art. 81 Abs. 2 und 3 VRG.
151 Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 144.
414
Initiativrecht
Ein Rückzug der einfachen Initiative ist bis zum Zustimmungsbeschluss
des Landtages zulässig.!”2
Lehnt der Landtag die einfache Initiative ab, weil er sie zum Beispiel
für unzweckmässig oder nicht realisierbar hält, «fällt sie dahin», sofern er
nicht seinerseits eine Volksbefragung beschliesst. Damit wird das einfa-
che Initiativbegehren in die Verfügungsgewalt des Landtages gelegt.!5
Beschliesst der Landtag eine Volksbefragung, kann er dem Volk
auch eine eigene Anregung vorlegen. Votiert die (absolute) Mehrheit des
Volkes für die einfache Volksinitiative oder die Anregung des Landtages,
hat dieser «die angenommene Anregung im Sinne des Volksentscheides
auszuarbeiten». Ein solcher Gesetzes- oder Verfassungsbeschluss unter-
liegt dem fakultativen Referendum. !>*
III. Gültigkeit der Initiativbegehren
1. Allgemeines
Das Volksrechtegesetz lehnt sich in der juristischen Terminologie an die-
jenige der meisten schweizerischen kantonalen Verfassungen an und
spricht im Zusammenhang mit Initiativ- und Referendumsbegehren im
Allgemeinen von Gültigkeit im Sinne von Zulässigkeit.!® Im Rahmen
des Rechtsschutzverfahrens verwendet es den Begriff Nichtigkeit.
Im liechtensteinischen Schrifttum!” werden bei den Gültigkeits-
voraussetzungen drei Arten von Erfordernissen unterschieden, die als
formelle, formale und materielle Voraussetzungen bezeichnet werden.
152 Siehe Art. 82b Abs. 2 2. Satz VRG.
153 Eine andere Regelung sieht $ 65 Abs. 2 der aargauischen Verfassung vor. Will der
Grosse Rat der allgemeinen Anregung (Volksinitiativbegehren) keine Folge geben,
entscheidet das Volk, ob er dem Begehren nachzukommen hat. Andernfalls würde
die Volksinitiative, wie Kurt Eichenberger meint, «zur blossen Volksmotion». Es
müsse daher ein «Drittorgan», das Volk, zur Entscheidung «gerufen werden». Siehe
Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 215 f. Rz. 14.
154 Siehe Art. 81 Abs. 4 VRG und Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 144 f.
155 Vgl. etwa Art. 69 Abs. 5 und 6, 70, 70a, 72 Abs. 3 und 73 VRG; siehe auch Kurt
Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 214 Rz. 7 und 8.
156 Siehe Art. 70b und 74 VRG.
157 Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 652 Rz. 27 ff.
415
Die einzelnen politischen Rechte
Es versteht unter den formellen die Formvorschriften für das Zustande-
kommen des Begehrens und grenzt sie gegenüber den formalen Voraus-
setzungen ab, die weitere nicht inhaltliche Anforderungen an ein Initia-
tivbegehren stellen, die über blosse Formvorschriften hinausgehen.
2. Gültigkeitsvoraussetzungen
a) In formeller Hinsicht
Initiativbegehren sind von stimm- und wahlberechtigten Landesbürgern
in der für Verfassungs- und Gesetzesinitiativen vorgeschriebenen
Anzahl bei der Regierung einzureichen. Die Eingabe hat ihre eigenhän-
dige Unterschrift zu tragen, die von der Gemeindevorstehung der
Gemeinde, in der sie ihre politischen Rechte ausüben, zu bescheinigen
bzw. amtlich zu beglaubigen ist.!5® Sie hat gegebenenfalls die Sperrfrist
zu berücksichtigen, die für Initiativbegehren gilt, die den gleichen
Gegenstand implizieren und die schon einmal in einer Volksabstimmung
verworfen worden sind. Sie können erst nach Ablauf von zwei Jahren
seit der betreffenden Volksabstimmung gestellt werden.!?
b) In formaler Hinsicht
ba) Einheit der Form
Volksinitiativen können entweder in Gestalt einer einfachen Anregung
oder eines ausformulierten Entwurfs eingereicht werden. Die beiden
Formen dürfen nicht verbunden werden, wie es das Gebot der Einheit
der Form verlangt, das sich aus Art. 80 Abs. 2 VRG herleiten lässt.1% Das
158 Siehe Art. 64 Abs. 2 LV i. V. m. Art. 69 Abs. 1, 2, 3, 4 und 7 VRG.
159 Siehe Art. 70 Abs. 3 VRG; vgl. auch Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politi-
sche Rechte, S. 653 Rz. 31, die unter Hinweis auf Gerard Batliner, Aktuelle Fragen,
S. 102 Rz. 196 auch auf eine weitere zeitliche Schranke hinweisen, die mit der Ini-
tiative auf Abschaffung der Monarchie (Art. 113 LV) verbunden ist.
160 Dieser Grundsatz gilt im Recht der schweizerischen Kantone, die beide Initiativ-
formen kennen, selbst dann, wenn er nicht ausdrücklich festgeschrieben ist. Yvo
Hangartner/ Andreas Kley, Die demokratischen Rechte, S. 835 Rz. 2108 betonen,
dass Klarheit darüber herrschen muss, «ob die Initianten einen definitiven Text vor-
legen oder das Parlament zur Ausarbeitung einer Vorlage entsprechend ihren Vor-
stellungen beauftragen wollen».
416
Initiativrecht
Volksrechtegesetz sieht denn auch für beide Ausprägungen der Initiati-
ven ein unterschiedliches, je eigenes Verfahren vor, in denen sie vom
Landtag behandelt werden. Dementsprechend ist auch seine Stellung,
was die Initianten und das Volk betrifft, eine andere.161
Unzulässig ist auch eine Kumulierung verschiedenartiger Initiativ-
begehren, so die Vermischung von Initiativen in der Weise, dass sie
sowohl eine Verfassungs- als auch eine Gesetzesänderung umfassen,
oder Eingaben, in denen zugleich Referendums- und Initiativbegehren
miteinander verknüpft werden.!® Es ist in dieser Beziehung auch die
Rede vom Gebot der Einheitlichkeit der Eingabe.!6
Initiativbegehren, die eine Verfassungs- und eine Gesetzesände-
rung erforderlich machen, sind zu trennen und werden vom Landtag
separat erledigt.!* Die Initianten müssen sich im Übrigen schon vorab,
d. h. vor der Anmeldung, darüber klar werden, ob ihr Begehren in die
Form der Verfassungs- oder der Gesetzesinitiative zu kleiden ist. Diese
Frage hängt von der Rechtsmaterie ab, die die Initiative regeln will.
bb) Einheit der Materie
Ob der Grundsatz der Einheit der Materie, der einen sachlichen Zu-
sammenhang zwischen den verschiedenen Teilen eines Initiativbe-
gehrens verlangt,!® in der liechtensteinischen Rechtsordnung gilt, wird
in der Lehre bestritten bzw. offen gelassen,!®% da weder die Verfas-
161 Vgl. auch Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 653 f. Rz. 32 f.
162 Siehe Art. 69 Abs. 5 VRG.
163 Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 44; zur Umwandlung von Formen siehe
Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 145 f.
164 Vgl. Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 147.
165 Vgl. StGH 1986/10, Gutachten vom 7. März 1987, LES 4/1987, S. 148 (149); Bern-
hard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 654 Rz. 34 mit Hinweisen
auf Judikatur und Literatur. $ 64 Abs. 2 Satz 2 der Verfassung des Kantons Aargau
lautet: «Volksinitiativbegehren auf Teilrevision der Verfassung müssen sich auf einen
einheitlichen Regelungsbereich beschränken.» Das ist nach Kurt Eichenberger, Ver-
fassung des Kantons Aargau, S. 211 Rz. 7 «ein der normativen Regelung zugängli-
cher Sachkomplex, der in sich zusammenhängt und sinnvollerweise nicht zerlegt
und aufgegliedert wird».
166 Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 58 verneint eine Rechtsverbindlichkeit. Er
vermerkt, dass es unzulässig ist, «den Begriff der Einheit der Materie der Schweizer
Bundesverfassung zur Partialrevision der Bundesverfassung auf formulierte Initiati-
venbegehren zur Reform von einfachen Gesetzen und zur Revision der Verfassung
in Liechtenstein anzuwenden und ihm für das VRG und damit letztlich auch für die
417
Die einzelnen politischen Rechte
sung!” noch das Volksrechtegesetz!® eine hinreichende Antwort auf
diese Frage zulassen.!® Die Verwaltungspraxis stützt sich wie zuvor
schon der Staatsgerichtshof!”® auf Art. 69 Abs. 5 VRG und folgert den
Grundsatz der Einheit der Materie aus dem Anspruch auf unverfälschte
Willenskundgabe.!! Der Staatsgerichtshof stellt an ihn jedoch keine
allzu hohen Anforderungen und legt ihn weit aus, handelt es sich
doch beim «sachlichen Zusammenhang» um einen unbestimmten
Rechtsbegriff.1!72
Es heisst im Vorprüfungsbericht der Regierung vom 9. September
1998: «Zweck dieses Grundsatzes ist, dass die Stimmbürgerinnen und
Stimmbürger bei der Unterzeichnung wie bei der Abstimmung über eine
Landesverfassung einen Verbindlichkeitsanspruch zuzuweisen». Auch Martin Bat-
liner, Politische Volksrechte, S. 151 kommt zum Schluss, dass der Grundsatz der
Einheit der Materie in Liechtenstein «nicht gefestigt» ist.
167 Siehe Art. 64 Abs. 2 und Art. 112 Abs. 2 LV.
168 Siehe Art. 70 Abs. 1, 75 Abs. 2, 77 Abs. 3, 78 Abs. 2 und 85 Abs. 1 VRG.
169 Vgl. Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 654 f. Rz. 35; Günt-
her Winkler, Verfassungsreform, S. 57 f.
170 Vgl. StGH 1986/10, Gutachten vom 7. März 1987, LES 4/1987, S. 148 (149, 153). Er
weist u. a. auch darauf hin, dass der demokratische Charakter der Verfassung
gewollt und betont ist. Sie will daher «freie, unverfälschte, wirksame, unmanipu-
lierte und genügend differenzierte Abstimmungen, in denen der freie Wille des Vol-
kes Ausdruck finden soll. Gesetzgebung, Regierung, Verwaltung und Gerichte
haben sich an diese grundsätzliche Ausrichtung zu halten» (S. 152 Ziffer 4). So
schon in StGH 1964/3, Gutachten vom 22. Oktober 1964, ELG 1962-1966, S. 222—
223), wo der Staatsgerichtshof ausführt: «Art. 23 Abs. 5 des Gesetzes betreffend die
Ausübung der politischen Volksrechte in Landesangelegenheiten (gleichlautend mit
Art. 69 Abs. 5 VRG) [...] stellt das Erfordernis der Einheitlichkeit des Initiativbe-
gehrens auf. Dies ist ein von allen Verfassungen, die dem Staatsvolk das Initiativ-
recht einräumen, anerkannter Grundsatz. Nur bei Einheitlichkeit eines Initiativbe-
gehrens kann der wirkliche Wille der Stimmberechtigten eindeutig zum Ausdruck
gebracht werden.» Vgl. auch SEGH 2004/58, Urteil vom 4. November 2008, Erw.
2.3, im Internet abrufbar unter: <www.stgh.li>; StGH 2002/73, Entscheidung vom
3. Februar 2003, LES 4/2005, S. 227 (235 Erw. 3.2), im Internet abrufbar unter:
<www.stgh.li>; STGH 1993/8, Urteil vom 23. Juni 1993, LES 3/1993, S. 91 (96 Erw.
2.1); StGH 1990/6, Urteil vom 2. Mai 1991, LES 4/1991, S. 133 (135 Erw. 2.1).
171 Zur Kritik an dieser Rechtsprechung Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 50 ff.
Die Regierung spricht denn auch in seinem Sinne (Günther Winkler, Verfassungsre-
form, S. 68 f.) in BuA Nr. 88/2002 vom 1. Oktober 2002; S. 8, unter Bezugnahme
auf Art. 69 Abs. 5 VRG von der «Einheit der Art», die aber nicht thematisiert wird,
und ebenso in BuA 104/2002 der Regierung vom 22. Oktober 2002, 5. 7.
172 Zu Bedeutung und Zweck von unbestimmten Rechtsbegriffen Andreas Kley,
Grundriss, 5. 182 ff.
418
Initiativrecht
Gesetzesvorlage ihren wirklichen Willen zum Ausdruck bringen kön-
nen. Werden verschiedene Postulate in einer Vorlage vereint, kann nur
zum Ganzen ja oder nein gesagt werden, womit der wirkliche Wille der
Stimmbürgerinnen und Stimmbürger unter Umständen verfälscht
wird.»!3 Wenn eine Initiative nur mit einer Materie zu tun hat, können
die Stimm- und Wahlberechtigten ihren Willen differenzierter äussern.
Diesen Aspekt heben auch Bernhard Ehrenzeller und Rafael Brägger
hervor, die in ihrer Argumentation an Art. 29 LV anknüpfen und ihn als
verbindlichen Grundsatz betrachten.!’*
Trotz der Einwände ist unbestreitbar, dass das Anliegen, das dieses
Prinzip verfolgt, die unverfälschte Willensbildung der Stimm- und
Wahlberechtigten zu schützen, «auch für Liechtenstein sinnvoll und auf-
schlussreich» ist.!75 Es verhindert jedenfalls, «dass die Vorschriften über
die Zahl der erforderlichen Unterschriften umgangen werden können,
indem Vorlagen verschiedener, sachlich nicht zusammengehörender
Begehren miteinander verknüpft werden». !76
be) Bedeckungsvorschlag
Eine Eigenheit des liechtensteinischen Rechts!” stellt der Bedeckungs-
vorschlag dar, mit dem ein Initiativbegehren!’® versehen sein muss, «aus
dessen Durchführung dem Lande entweder eine einmalige im Finanzge-
setz nicht schon vorgesehene oder eine länger andauernde Belastung
erwächst», es sei denn, das Gesetz sei bereits in der Verfassung vorgege-
173 BuA Nr. 88/1998 der Regierung vom 9. September 1998, S. 12; vgl. auch BuA
Nr. 50/2001 der Regierung vom 25. September 2001, 5. 14 f.
174 Vgl. Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 654 f. Rz. 34 und 36.
175 Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 64. Nach ihm erfüllt die von Fürst Hans-
Adam II. und Erbprinz Alois «als eine Initiative von wahlberechtigten Landesbür-
gern» bei der Regierung angemeldete Initiative (S. IX) die Voraussetzungen des
Grundsatzes der Einheit der Materie (S. 72).
176 Yvo Hangartner / Andreas Kley, Die demokratischen Rechte, S. 835 f. Rz. 2111.
177 Vgl. Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 173. Die Absicht des Verfassungge-
bers war es, den «Risiken unbedachter Gesetzes- und Verfassungsvorschläge» vor-
zubeugen. BuA Nr. 79/2004 der Regierung vom 24. August 2004 betreffend die
Vorprüfung der angemeldeten Volksinitiative auf Erlass eines Klimaschutzgesetzes,
S.27.
178 Dies betrifft nach Art. 64 Abs. 3 LV sowohl Initiativen des Landesfürsten in der
Form von Regierungsvorlagen als auch Initiativen des Landtages und der wahlbe-
rechtigten Landesbürger.
419
Die einzelnen politischen Rechte
ben. Während die Verfassung generell die Initiativen der in Art. 64
Abs. 1 aufgezählten Verfassungsorgane in den Blick nimmt, bezieht sich
das Volksrechtegesetz ausschliesslich auf Volksbegehren (Gemeinde-
oder Sammel-Initiative) von Stimm- und Wahlberechtigten und über-
nimmt in Art. 80 Abs. 3 teilweise den Verfassungswortlaut und spricht
in Anlehnung an Art. 66 Abs. 1 LV von einer einmaligen neuen Ausgabe
von 500 000.— Franken oder einer wiederkehrenden jährlichen neuen
Ausgabe von 250 000.— Franken, wobei unter «Ausgabe» im Sinne der
«Belastung», von der die Verfassung ausgeht, auch eine Verringerung der
Einnahmen zu verstehen ist.
Hat eine Volksinitiative für den Staat eine finanzielle Belastung zur
Folge, ist ein Bedeckungsvorschlag erforderlich. Dieser muss schon im
Zeitpunkt der Anmeldung der Volksinitiative beigefügt sein.!”® Es liegt
an den Initianten, darzutun, wie sie die Kosten begleichen wollen bzw.
wie sich die finanziellen Auswirkungen ziffernmässig festlegen lassen.!80
Es dürfte in der Praxis allerdings schwierig sein, dieser Forderung nach-
zukommen. !8! Den verfassungs- und einfachgesetzlichen Vorgaben ist
jedenfalls nicht zu entnehmen, unter welchen Voraussetzungen ein
Bedeckungsvorschlag mangelhaft ist.
179 Eine andere Ansicht vertritt der Staatsgerichtshof in StGH 2004/70, Urteil vom
9. Mai 2005, Erw. 2.4 (im Internet abrufbar unter: <www.stgh.li>), wonach der Be-
deckungsvorschlag einem Begehren erst anzuschliessen ist, «wenn eine Initiative be-
reits durch 1000 wahlberechtigte Landesbürger unterschrieben ist». Hier verkennt
der Staatsgerichtshof den Sinn und Zweck der Vorprüfung einer Initiative durch die
Regierung gemäss Art. 70b VRG. Auch der Bedeckungsvorschlag zählt zu den Gül-
tigkeitsvoraussetzungen einer Initiative. Im Übrigen versteht es sich, dass die Un-
terzeichner der Initiative sich über deren Konsequenzen auch in finanzieller Hin-
sicht ins Bild setzen können müssen. Vgl. auch Bernhard Ehrenzeller / Rafael Bräg-
ger, Politische Rechte, S. 656 f. Rz. 39.
180 Vgl. Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 173 f. mit Hinweis auf SSGH vom
22. Juni 1935; vgl. auch Bernhard Ehrenzeller/Rafael Brägger, Politische Rechte,
S. 656 f. Rz. 39.
181 Vgl. beispielsweise BuA Nr. 79/2004 der Regierung vom 24. August 2004 betreffend
die Vorprüfung der angemeldeten Volksinitiative auf Erlass eines Klimaschutzgeset-
zes, S. 26 f., wo ausgeführt wird, «dass für die von den Initianten geforderte Umset-
zung des Klimaschutzgesetzes eine eigentliche Finanzplanung vorgenommen wer-
den muss, wodurch nicht ausgeschlossen werden kann, dass Eckwerte des Finanz-
leitbildes verletzt werden».
420
Initiativrecht
c) In materieller Hinsicht
Bei den materiellen Voraussetzungen steht der Inhalt einer Volksinitia-
tive im Vordergrund. Dabei geht es in erster Linie um ihre Vereinbarkeit
mit der Verfassung und den bestehenden Staatsverträgen.!®
ca) Verfassungs- und Staatsvertragskonformität
Volksinitiativen haben sich an die Verfassung und die bestehenden
Staatsverträge bzw. völkerrechtlichen Verträge zu halten. So bestimmt es
Art. 70b VRG, der mit Blick auf das Vorrangprinzip des EWR-Abkom-
mens geschaffen wurde. Der Staatsgerichtshof hatte sich in seinem Gut-
achten vom 6. März 1987! mit der Frage auseinanderzusetzen, wie der
Landtag verfassungswidrige Gesetzesinitiativen zu behandeln habe, und
regte eine gesetzgeberisch «klare Lösung» an, wonach sie der Landtag
der Abstimmung entziehen können sollte, da diese Thematik «weder in
der Verfassung noch im Volksrechtegesetz ausdrücklich geregelt» ist.
Diesen Ratschlag befolgte der Gesetzgeber und führte das Vorprüfungs-
verfahren ein, in dem eine Volksinitiative wegen Verfassungs- oder Völ-
kerrechtswidrigkeit vom Landtag bzw. im Beschwerdefall vom Staatsge-
richtshof für nichtig erklärt werden kann.!*
Art. 70b VRG erfasst sowohl Gesetzes- als auch Verfassungsinitia-
tiven. Er nimmt seinen Platz unter den «Gemeinsamen Bestimmungen»
des IV. Titels ein, die generell auf Gesetzes- und Verfassungsinitiativen
Anwendung finden.!® Auf Verfassungsebene kommt diese Bestimmung
jedoch, so Bernhard Ehrenzeller und Rafael Brägger, «nicht in gleichem
Ausmass zum Tragen wie bei Gesetzesinitiativen», da der einfache Ge-
setzgeber den Verfassunggeber nicht binden und somit keine Kollisions-
182 Siehe Art. 70b VRG; vgl. auch Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische
Rechte, S. 652 Rz. 29.
183 StGH 1986/10, Gutachten vom 6. März 1987, LES 4/1987, S. 148 (153).
184 Vgl. zur Entstehungsgeschichte von Art. 70b VRG den BuA Nr. 48/1992 der Regie-
rung vom 8. Juli 1992 zur Änderung des Volksrechtegesetzes, S. 2 f. und S. 12 ff;
siehe auch Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 237 ff. Zur Verwaltungspraxis siehe
etwa BuA Nr. 50/2001 der Regierung vom 25. September 2001, S. 6; BuA Nr.
88/2002 der Regierung vom 1. Oktober 2002, S. 6 f.; BuA Nr. 104/2002 der Regie-
rung vom 22. Oktober 2002, $. 5 f. Zum Begriff «Nichtigkeit» siehe vorne S. 415.
185 Vgl. auch Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 165; Bernhard Ehrenzeller/
Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 658 Rz. 41, die auf Wortlaut und Systematik
verweisen.
421
Die einzelnen politischen Rechte
regel zwischen Staatsvertrags- und Verfassungsrecht aufstellen kann. Es
fehlt eine entsprechende verfassungsrechtliche Normierung. Aus diesem
Grund stellt sich in Bezug auf Verfassungsinitiativen die Frage, inwieweit
bestehende Staatsverträge Prüfungsmassstab sein können.
Im Zusammenhang mit der Verfassungsrevision vom 16. März
2003 ist die Regierung der Auffassung, dass die Verfassung einen allge-
meinen Grundsatz, wonach das Völkerrecht dem innerstaatlichen Recht
vorgeht, nicht kennt.!% Bisher war der Grundsatz des Vorrangs des Völ-
kerrechts anerkannt.!S Ein Verfassungsrang völkerrechtlicher Verträge,
die vom Landtag gemäss Art. 8 Abs. 2 LV genehmigt worden sind, wird
nicht ausgeschlossen. 18 Sie nehmen im Landesrecht «zumindest Über-
gesetzesrang»!® ein.!® Eine Änderung im Verhältnis von Staatsvertrags-
recht und Verfassungsrecht brachte Art. 104 Abs. 2 LV. Danach fällt in
die Kompetenz des Staatsgerichtshofes auch die Prüfung der Verfas-
sungsmässigkeit von Staatsverträgen, was nichts anderes bedeutet, als
dass die Verfassung gegenüber dem Staatsvertragsrecht Vorrang geniesst.
Der Staatsgerichtshof setzt indes seine bisherige Grundrechtspraxis fort.
Er stellt zwar fest, dass Art. 104 Abs. 2 LV Staatsverträgen nur «Unter-
verfassungsrang» einräumt, ist jedoch der Auffassung, dass der Verfas-
sung- bzw. Gesetzgeber damit nicht den dem Einzelnen bisher auch auf
der Grundlage von Staatsverträgen gewährten Grundrechtsschutz ein-
schränken wollte. Er leitet aus dem Staatsgerichtshofgesetz und seinen
Materialien ab, dass weiterhin «auch andere Grundrechte, welche auf
Staatsvertragsrecht beruhen, direkt als verfassungsmässige Rechte im
Sinne von Art. 15 Abs. 1 SEGHG vor dem Staatsgerichtshof geltend
gemacht werden können sollen».!?!
Vorrang vor sämtlichen Verfassungsänderungen beansprucht das
zwingende Völkerrecht im Sinne von Art. 53 WVK, zu dem auch das
notstandsfeste EMRK-Recht zählt, wonach Initiativen, die gegen seine
Inhalte verstossen, ungültig sind.!® So konstatierte die Regierung, als sie
186 BuA Nr. 88/2002 der Regierung vom 1. Oktober 2002, 5. 7.
187 Vgl. Diskussionspapier der Regierung vom 18. Dezember 1991, S. 10.
188 StGH 1995/21, Urteil vom 23. Mai 1996, LES 1/1997, S. 18 (28).
189 StGH 1999/28, Entscheidung vom 29. Februar 2000, LES 1/2003, S. 5.
190 Siehe Stefan Becker, Völkerrecht und Landesrecht, 5. 275 ff.
191 StGH 2004/45, Urteil vom 29. November 2004, 5. 12 Erw. 2.1 (im Internet abrufbar
unter: <www.stgh.li>).
192 Vgl. Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 658 Rz. 42.
422
Initiativrecht
die Verfassungsinitiative «Für das Leben» auf die Übereinstimmung mit
den bestehenden Staatsverträgen, insbesondere mit der EMRK prüfte,
dass nach Art. 104 Abs. 2 LV «ein gewisses Spannungsverhältnis zwi-
schen der LV als oberster Norm nach liechtensteinischem Verständnis
und zwingendem Völkerrecht besteht». Es gebe völkerrechtliche Ver-
träge wie die EMRK oder das Folterverbot, «welche von sich aus vom
Grundsatz ausgehen, dass sie Überverfassungsrang haben».!®
Zu den verfassungsmässig gewährleisteten Rechten zählt die Euro-
päische Menschenrechtskonvention, der der Staatsgerichtshof «faktisch
Verfassungsrang» zuerkannt hat.!* Sie ist dementsprechend neben ande-
ren internationalen Übereinkommen im Katalog der verfassungsmässig
gewährleisteten Rechte des Art. 15 Abs. 2 SSGHG aufgelistet, deren Ver-
letzung mit der Verfassungsbeschwerde (Individualbeschwerde) gerügt
werden können. Widerspricht eine Verfassungsinitiative einer EMRK-
Garantie, ist «ein angemessener Ausgleich herzustellen», da es sich bei
ihnen um gleichrangige Normen handelt, die auf Verfassungsstufe ste-
hen.!® Das heisst, dass im Sinne einer «lex specialis» von der Gültigkeit
der Verfassungsinitiative auszugehen ist.!®% Im Übrigen dürfte es zu
einem solchen Konfliktfall kaum kommen, da die Rechtsprechung des
Staatsgerichtshofes «EMRK-geprägt»!” ist und er sich bei der Aus-
legung von Verfassungsrecht am Prinzip der praktischen Konkordanz
orientiert. 198
193 Siehe BuA Nr. 32/2005 der Regierung vom 24. Mai 2005 betreffend die Vorprüfung
der Volksinitiative «Für das Leben» zur Abänderung der Landesverfassung, S. 10.
194 StGH 1995/21, Urteil vom 23. Mai 1996, LES 1/1997, S. 18 (28); kritisch dazu Wol-
fram Höfling, Liechtenstein und die Europäische Menschenrechtskonvention, S. 140
(144 f.). Versteht man den Begriff der Verfassung funktional und nicht nur auf den
Staat bezogen, ist der EMRK ein Verfassungsrang nicht abzusprechen. Sie übt wie
die Verfassung «eine Macht begrenzende Funktion» aus, indem die von ihr garantier-
ten Menschenrechte «den öffentlichen Gewalten der Vertragsstaaten des Europarates
Grenzen setzen», sodass es sich bei ihr um einen «völkerrechtlichen Vertrag mit Ver-
fassungselementen» handelt. So Jutta Limbach, Das Bundesverfassungsgericht, S. 81.
195 StGH 2005/89, Urteil vom 1. September 2006, S. 5 f. Erw. 4 (im Internet abrufbar
unter: <www.stgh.li>).
19 So auch Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 659 Rz. 43, die
in diesem Fall die vorgeschlagene Änderung in Anlehnung an die schweizerische
Rechtslage als «gleichrangige lex specialis» annehmen.
197 Formulierung von Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 62.
198 Vgl. Andreas Kley, Grundriss, S. 101 f.; Tobias Michael Wille, Verfassungs- und
Grundrechtsauslegung, S. 174 f.
423
Die einzelnen politischen Rechte
Gesetzesinitiativen, die mit der EMRK nicht übereinstimmen, die für sie
wie die Verfassung den Prüfungsmassstab bildet, sind vom Landtag bzw.
vom Staatsgerichtshof für nichtig zu erklären.!®
Auch das EWR-Recht,?® das landesinternem Recht vorgeht, bzw.
die EWR-Grundrechte werden den verfassungsmässig gewährleisteten
Rechten gleichgesetzt. Der Staatsgerichtshof betrachtet sie als «materiel-
les Verfassungsrecht» und zieht sie im Individualbeschwerde- und Nor-
menkontrollverfahren als Prüfungsmassstab heran.2°! Er hebt innerstaat-
liche Rechtsvorschriften auf, wenn er feststellt, dass sie mit dem EWR-
Recht unvereinbar sind. Das Gleiche gilt auch für Gesetzesinitiativen.
Widersprechen sie dem EWR-Recht, sind sie vom Landtag bzw. dem
Staatsgerichtshof für nichtig zu erklären.
Zur Verfassungsinitiative werden im Schrifttum unterschiedliche
Positionen vertreten. Einerseits wird zwischen primärem und sekundä-
rem EWR-Recht unterschieden und argumentiert, dass nur das primäre
EWR-Recht, also das EWR-Abkommen, «zwingenden Vorrang
geniesst», sodass Verfassungsinitiativen, die das EWR-Abkommen ver-
letzen, unzulässig sind. Verstosse dagegen eine Verfassungsinitiative
gegen sekundäres EWR-Recht, gehe dieses nicht in jedem Fall vor. Es
gelte vielmehr, eine Güterabwägung vorzunehmen.?? Andererseits wird
sowohl dem EWR-Abkommen als auch dem darauf abgestützten Sekun-
därrecht «Überverfassungsrang» zugeschrieben,?®3 sodass Verfassungs-
initiativen, die sich mit dem EWR-Recht in diesem erweiterten Sinne
199 Siehe Art. 70b Abs. 1 und 2 VRG.
200 Zum Begriff siehe Herbert Wille, Das Abkommen über den Europäischen Wirt-
schaftsraum, S. 112 f. und Peter Bussjäger, Rechtsfragen, S. 140.
201 Vgl. Herbert Wille, Das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum,
S. 126 f. und StGH 2003/16, Urteil vom 3. Mai 2004, nicht veröffentlicht, S. 4; SIGH
2004/45, Urteil vom 29. November 2004, S. 12 ff. Erw. 2.1 und 2.2 (im Internet
abrufbar unter: <www.stgh.li>).
202 Vgl. Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 660 f. Rz. 46 und
47. Sie verstehen unter dem sekundären EWR-Recht «abgeleitetes Recht, das im
Zeitpunkt der Volksabstimmung nur beschränkt voraussehbar war und zu dem das
Stimmvolk keine Stellung nehmen konnte». Sie verweisen zur Rechtsnatur des
sekundären EWR-Rechts auf BuA Nr. 95/2003 der Regierung vom 4. November
2003, S. 37 f. und auf Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 250 ff.
203 Vgl. etwa Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 305 und Martin Batliner, Politische
Volksrechte, 5. 166.
424
Initiativrecht
nicht vereinbaren lassen, nicht statthaft sind. Man könnte auch auf die
unmittelbare Anwendbarkeit des EWR-Rechts, die «als Konsequenz aus
dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts im Einzelfall» interpretiert
wird,2% abstellen. Danach hat unmittelbar anwendbares EWR-Recht
Vorrang gegenüber entgegenstehendem nationalem Recht,?® sodass auch
unter diesem Aspekt Verfassungsinitiativen nicht zuzulassen sind.
cb) Andere inhaltliche Schranken
Volksinitiativen, die einen unmöglichen Inhalt aufweisen, sind ausge-
schlossen.2% Sie entbehren der «inhaltlichen Zulänglichkeit».2” Ein
unmöglicher bzw. undurchführbarer Inhalt liegt vor, wenn sich die vor-
geschlagene Regelung tatsächlich nicht verwirklichen lässt, wenn sie
«physisch Unmögliches» verlangt?® oder «völlig unrealistisch» ist.?%
Eine Undurchführbarkeit ist jedoch nicht leichthin anzunehmen. Ledig-
lich praktische Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Initiative genü-
gen nicht, um sie für nichtig zu erklären.21°
Als ungeschriebenes Grundrecht bildet auch das Willkürverbot?!!
eine materielle Schranke für Volksinitiativen. Es zählt zweifellos zum
unverzichtbaren Grundbestand des Rechtsstaates?!? und garantiert für
die gesamte Rechtsordnung einen Minimalstandard an Recht und
Gerechtigkeit. Demnach verstossen Initiativen gegen das Willkürverbot,
wenn sie qualifiziert das Recht verletzen und damit krass gegen elemen-
tare Gerechtigkeitsvorstellungen verstossen. ?!}
204 Diese Formulierung ist von Peter Bussjäger, Rechtsfragen, S. 142 übernommen wor-
den.
205 Peter Bussjäger, Rechtsfragen, S. 146.
206 Michael Ritter, Besonderheiten der direkten Demokratie, 5. 8.
207 Vgl. Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 214 Rz. 6.
208 Yvo Hangartner/ Andreas Kley, Die demokratischen Rechte, S. 209 Rz. 499 und
S. 837 f. Rz. 2114 ff.
209 Vgl. Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 661 Rz. 48 unter
Bezugnahme auf BuA Nr. 79/2004 vom 24. August 2004, 5. 23 f.
210 Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 661 Rz. 48.
211 Dazu ausführlich Hugo Vogt, Willkürverbot, S. 336 ff. und S. 56 f., 79 ff. und 144 ff.
zum Willkürbegriff des Staatsgerichtshofes.
212 StGH 1995/28, Urteil vom 24. Oktober 1996, LES 1/1998, S. 6 (11 Erw. 2.2).
213 Vgl. Hugo Vogt, Willkürverbot, S. 105 f. und 390; Yvo Hangartner/ Andreas Kley,
Die demokratischen Rechte, S. 206 ff. Rz. 493 ff.
425
Die einzelnen politischen Rechte
3. Verfahren — Prüfungsverfahren
Ob Volksinitiativbegehren rechtlich hinreichend ausgestaltet sind, wird
behördlich in mehrfacher Hinsicht und in verschiedenen Verfahrensgän-
gen geprüft.
Das Initiativbegehren ist bei der Regierung anzumelden, die es
einer Vorprüfung unterzieht.?!* Es wird danach gefragt, ob sie mit der
Verfassung und den bestehenden Staatsverträgen übereinstimmt,2!5 mit
anderen Worten werden, wie die Verwaltungspraxis bescheinigt,2!® prak-
tisch alle materiellen, formellen und formalen Voraussetzungen, die die
Zulässigkeit der Initiative ausmachen, begutachtet.?!” Davon ausgenom-
men sind die Formvorschriften, die einzuhalten sind, damit die Eingaben
formrichtig zustande kommen.?!® Diese Frage kann erst nach der Unter-
schriftensammlung beantwortet werden. Die Entscheidungskompetenz,
was die formellen und formalen Erfordernisse anlangt, liegt bei der
Regierung. Sie weist das Begehren an die Initianten zurück, wenn sie
einen solchen Mangel feststellt. Wird er nicht behoben, ist das Initiativ-
begehren ungültig.?!?
Hat die Regierung das Prüfungsverfahren abgeschlossen, fasst sie
ihr Ergebnis im sogenannten Vorprüfungsbericht zusammen, der einen
214 Siehe Art. 70b VRG.
215 Siehe Art. 70b Abs. 1 VRG.
216 Vgl. etwa BuA Nr. 79/2004 der Regierung vom 24. August 2004, S. 4 ff.; siehe auch
Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 662 f. Rz. 50 f.
217 Zu Sinn und Zweck dieser «allgemeinen Vorprüfung» siehe Bernhard Ehrenzeller /
Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 662 Fn. 89. Es handelt sich dabei um eine «Vor-
wegkontrolle» (ähnlich $ 65 Abs. 1 aargauische Verfassung), deren Sinn und Zweck
darin besteht, dass «das Volk nicht zur Urne gerufen» wird, wenn ein Initiativbe-
gehren «den rechtlichen Anforderungen nicht genügt und deswegen die Verbind-
lichkeit von vorneherein nicht erlangen könnte». Siehe Kurt Eichenberger, Verfas-
sung des Kantons Aargau, S. 212 Rz. 1.
218 Siehe Art. 64 Abs. 2 und 4 LV sowie Art. 69 Abs. 1 bis 4 und Abs. 7 VRG.
219 Siehe Art. 69 Abs. 6 und Art. 70 Abs. 4 VRG; vgl. auch Bernhard Ehrenzeller/
Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 663 Rz. 52. Nach Martin Batliner, Politische
Volksrechte, S. 151 ist die Regierung «allein für die Zurückweisung zuständig»,
soweit eine Initiative nicht gegen die Verfassung und die Staatsverträge verstösst.
426
Initiativrecht
entsprechenden Antrag enthält,?° und leitet ihn an den Landtag weiter,
und zwar unabhängig davon, ob sie die Initiative inhaltlich für zulässig
hält oder nicht. Dieser entscheidet in materieller Hinsicht, ob ein Initia-
tivbegehren für nichtig zu erklären ist oder nicht. Hält er es mit der Ver-
fassung und den bestehenden Staatsverträgen im Einklang, publiziert es
die Regierung in den amtlichen Kundmachungsorganen. Das heisst, dass
das Initiativbegehren zu einer allfälligen Volksabstimmung zugelassen
ist. Ab diesem Zeitpunkt läuft auch die sechswöchige Frist für die
Unterschriftensammlung.??! Erklärt der Landtag das Initiativbegehren
wegen materieller Mängel für nichtig,?? bedeutet dies, dass es nicht zur
Unterschriftensammlung zugelassen wird und damit nicht einer mögli-
chen Volksabstimmung zugeführt werden kann. Den Initianten steht
dagegen das Rechtsmittel der Verfassungsbeschwerde (Individual-
beschwerde) an den Staatsgerichtshof offen.22
Kommt nach der Unterschriftensammlung das Initiativbegehren
zustande,?* legt es die Regierung mit ihrem Bericht und sämtlichen
Akten dem Landtag zur Weiterbehandlung vor.2?5 Stimmt der Landtag
dem Initiativbegehren zu, unterliegt der diesbezügliche Gesetzes- oder
Verfassungsbeschluss des Landtages dem Referendum. Lehnt er es ab,
beauftragt er die Regierung mit der Anordnung einer Volksabstim-
mung.226
220 Vgl. etwa BuA Nr. 79/2004 der Regierung vom 24. August 2004, S. 28 (negatives Er-
gebnis) und BuA Nr. 50/2001 der Regierung vom 25. September 2001, 5. 16 (positi-
ves Ergebnis).
221 Siehe Art. 70 Abs. 1 Bst. b und Art. 80 Abs. 4 Bst. b sowie 85 VRG.
222 Mängel materieller Art bzw. inhaltliche Fehler, wie z.B. Verfassungswidrigkeit,
sind, so der Staatsgerichtshof, unbehebbare Mängel und können nur durch eine
neue Initiative behoben werden. Siehe STGH 1964/3, Gutachten vom 22. Oktober
1964, ELG 1962-1966, S. 222 (226).
223 Siehe Art. 70b Abs. 2 und 3 VRG und als Beispiel die «win-win»-Initiative, SIGH
2013/183, Urteil vom 28. Februar 2014, Erw. 1 (im Internet abrufbar unter:
<www.gerichtsentscheide.li>); vgl. auch Peter Bussjäger, Präventive Normenkon-
trolle, S. 43 ff.
224 Dies setzt u. a. voraus, dass in einer nochmaligen Prüfung die Regierung feststellt,
dass die erforderliche Anzahl gültiger Unterschriften vorhanden sind. Siehe Art. 64
Abs. 1 Bst. c, 2 und 5 LV, Art. 69 Abs. 1 bis 4 und Abs. 7 VRG.
225 Siehe Art. 71 und 72 Abs. 2 VRG.
226 Siehe Art. 82 Abs. 2 VRG.
427
Die einzelnen politischen Rechte
$19 REFERENDUMSRECHT
I. Allgemeines
Das Referendumsrecht zählt neben dem Initiativrecht ebenfalls zu den
direktdemokratischen Einrichtungen. Das fakultative Referendum ist
nach der Verfassung die Regel, das obligatorische Referendum die Aus-
nahme.??7 Es wird als Recht der «Nachentscheidung» charakterisiert, die
Verfassungs-, Gesetzes- und Finanzbeschlüsse des Landtages sowie die
von ihm genehmigten Staatsverträge zum Gegenstand hat.28 Während
die Initiative für ein dynamisches oder innovatives Element gehalten
wird, das bisher vernachlässigte Politikinhalte aufgreift, wird dem Refe-
rendum eine stabilisierende Wirkung zugeschrieben. Es soll an der
bestehenden Rechtslage festgehalten werden.?? Hemmend wirkt das
Referendum und blockiert Landtagsentscheidungen, wenn sie die
Stimmberechtigten in der Volksabstimmung ablehnen.2 Aus diesem
Grund wird schon im Vernehmlassungsverfahren auf ein mögliches
Referendum Bedacht genommen. Dieses Vorgehen birgt die Gefahr in
sich, dass es zu einer «Verwässerung» der Vorlage kommt.?*!
II. Begriff und Wesen
Das Referendum ist wie die Initiative ein Volksrecht, das als fakultatives
Referendum zweistufig ausgestaltet ist. Mit dem Referendum?” nehmen
227 Zu diesen beiden Erscheinungsformen siehe Näheres hinten S. 433.
228 Gerard Batliner, Parlament, 5. 23.
229 Yvo Hangartner/ Andreas Kley, Die demokratischen Rechte, S. 153 Rz. 359 be-
zeichnen das Referendum als ein «bewahrendes, retardierendes Volksrecht».
230 Vgl. Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 180 f.; Arno Waschkuhn, Politisches
System Liechtensteins, S. 324; Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 221;
Michael Ritter, Besonderheiten der direkten Demokratie, S. 5 f.
231 Vgl. Michael Ritter, Die Organisation des Gesetzgebungsverfahrens, S. 74. Kurt Ei-
chenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 185 f. Rz. 12 und 14 weist auf die er-
heblichen Vorwirkungen hin, die ein Referendum erzeugt. Als Folge konstatiert er eine
«aktivitätshemmende Wirkung des Referendums», die nicht übersehen werden kann.
Vgl. auch Yvo Hangartner / Andreas Kley, Die demokratischen Rechte, S. 153 Rz. 360.
232 Zur Herkunft des Begriffs «Referendum» siehe Yvo Hangartner/ Andreas Kley, Die
demokratischen Rechte, 5. 147 Rz. 344 f.
428
Referendumsrecht
die Stimmberechtigten den Beschluss des Landtages in der Volksabstim-
mung an oder verwerfen ihn. Die Annahme ersetzt den Landtagsbe-
schluss.2» Wird dieser verworfen, fällt er dahin.2 Das Volksrecht bein-
haltet demnach das Recht, das Referendum gegen einen Beschluss des
Landtages zu ergreifen, und das Recht, ihn in der Referendumsabstim-
mung anzunehmen oder zu verwerfen.?® Voraussetzung ist, dass je nach
Art des Beschlusses, der vom Landtag nicht als dringlich erklärt worden
ist, eine bestimmte Anzahl von Stimmberechtigten oder von Gemeinden
innerhalb von dreissig Tagen nach amtlicher Verlautbarung ein Referen-
dumsbegehren stellen, damit in einer Volksabstimmung über den Land-
tagsbeschluss entschieden wird.? Dabei können die Stimmberechtigten
in keiner Weise Einfluss auf die Referendumsvorlage nehmen. Sie kön-
nen sie nur als solche annehmen oder ablehnen, sodass sie sich auf die
Frage reduziert, ob die bestehende Rechtslage erhalten oder verändert
werden soll.227 Die Mitsprache ist begrenzt. Sie kommt einem allgemei-
nen Vetorecht gleich.238
Kommt das Referendumsbegehren zustande, findet in der Regel die
Volksabstimmung über einen Gesetzes-, Finanz- und Verfassungsbe-
schluss des Landtages als Ganzes statt.? Das Referendum kann sich aber
auch nur gegen einen Teil eines solchen Beschlusses des Landtages rich-
ten, wenn dieser von sich aus eine Volksabstimmung beschliesst. In die-
sem Fall ist er nämlich berechtigt, die Abstimmung so festzulegen, «dass
über einzelne Teile eines Gesetzes oder eines Beschlusses getrennt abge-
233 Vgl. Art. 66 Abs. 6 LV.
234 Nach Art. 78 Abs. 4 VRG erklärt die Regierung die Referendumsvorlage für dahin-
gefallen und berichtet darüber dem Landtag. Sie hat die Sanktion des Landesfürsten
nicht einzuholen. Sie hat, wie auch der Vollzug, zu unterbleiben. Siehe im positiven
Fall Art. 78 Abs. 1 VRG.
235 Vgl. Yvo Hangartner / Andreas Kley, Die demokratischen Rechte, S. 148 Rz. 347.
236 Siehe Art. 66 Abs. 1 und Art. 66bis Abs. 1 LV sowie Art. 72 Abs. 1 und 77 Abs. 1
VRG. Nach diesen Bestimmungen besteht ein Anspruch auf Durchführung einer
Volksabstimmung, wenn das Referendumsbegehren fristgerecht und formgültig ein-
gebracht worden ist. In diesem Sinne für ein Referendumsbegehren auf Gemeinde-
ebene auch StGH 1984/5/V, Urteil vom 25. April 1985, LES 4/1985, S. 103 f. Siehe
auch Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 664 Rz. 56.
237 Diese Aussage ist wohl dann zu relativieren, wenn nur ein Teil eines Gesetzesbe-
schlusses Gegenstand eines Referendumsbegehrens ist. Siehe im Folgenden.
238 Vgl. Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 178.
239 Siehe Art. 77 Abs. 2 VRG.
429
Die einzelnen politischen Rechte
stimmt» wird.?*° Auf diese Weise ist es ihm möglich, unstrittige Sachbe-
reiche von der Abstimmung auszusparen.?“! Auch die Stimmberechtigten
können ein Referendumsbegehren lancieren, das sich nur gegen einen
Teil eines Landtagsbeschlusses wendet.?? Wenn es erfolgreich wäre,
müsste allerdings der Landtag unter Umständen bestimmen, so gibt Mar-
tin Batliner?® zu bedenken, «ob der Rest des Landtagsbeschlusses (der ja
durch das Referendum nicht berührt wird) allein weiterhin Gültigkeit
behalten soll, ob er zu ergänzen oder gänzlich aufzuheben sei».2*4
Das (fakultative) Referendum übt verschiedene Funktionen aus
und rückt im Ergebnis von der Repräsentationsidee ab, die im Landtag
zum Ausdruck kommt. Es stellt insoweit eine «Oppositionseinrich-
tung» dar, als die Stimmberechtigten in der Abstimmung einen Land-
tagsbeschluss ablehnen. Stimmen sie ihm zu, kann von einer «Bestäti-
gungsfunktion» gesprochen werden.2%5
III. Ausschluss des Referendums
Der Landtag kann Verfassungs-, Gesetzes- und Finanzbeschlüsse dem
Referendum entziehen, indem er sie für dringlich erklärt.? Davon aus-
genommen sind Zustimmungsbeschlüsse zu Staatsverträgen.?*”7 Der
Landtag hat den «Entscheid» über die Dringlicherklärung dem jeweili-
gen Beschluss beizufügen.?*8
Die Dringlicherklärung schliesst das (Stimm-)Volk von der Mitwir-
kung an der staatlichen Willensbildung aus.?® Gesetzes- und Finanzbe-
schlüsse des Landtages unterliegen nämlich nicht in jedem Fall dem fa-
240 So Art. 77 Abs. 1 und 3 VRG.
241 Vgl. auch Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 179.
242 Vgl. Art. 70 Abs. 1 Bst. a VRG.
243 Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 179.
244 In diesem Fall können die Stimmberechtigten auch inhaltlich bis zu einem bestimm-
ten Grad Einfluss auf die Entscheidung des Landtages nehmen.
245 Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 186 Rz. 13.
246 Siehe Art. 66 Abs. 1 und 2 LV und Art. 75 Abs. 1 und 2 VRG; zur Dringlicherklärung
siehe hinten S. 510 und 519 sowie Martin Batliner, Politische Volksrechte, 5. 188 f.
247 Siehe Art. 66bis LV und Art. 75a VRG.
248 Siehe Art. 75 Abs. 4 VRG.
249 Zum sogenannten «unechten Referendumsrecht» siehe Hilmar Hoch, Verfassung-
und Gesetzgebung, S. 223.
430
Referendumsrecht
kultativen Referendum. Der Landtag kann sie mit Ausnahme der Staats-
verträge?® dringlich erklären und dem Referendum entziehen.?! In der
Praxis macht er davon relativ oft Gebrauch. Die Dringlicherklärung setzt
weder eine sachliche noch eine zeitliche Dringlichkeit noch eine Befris-
tung voraus. Der Landtag entscheidet nach eigenem Ermessen.??
IV. Verfahren
Die Verfahrensvorschriften der Referendumsbegehren orientieren sich
an denen der Initiativbegehren.?* Danach können Gesetzes- und
Finanzreferenden 1000 Stimmberechtigte oder drei Gemeinden sowie
Verfassungs- und Staatsvertragsreferenden 1500 Stimmberechtigte oder
vier Gemeinden ergreifen. Ein Referendumsbegehren muss innerhalb
von dreissig Tagen ab Kundmachung des Landtagsbeschlusses in den
amtlichen Kundmachungsorganen zustande kommen. Kommt es gültig
zustande, ordnet die Regierung innert 14 Tagen eine Volksabstimmung
an, die innerhalb von drei Monaten durchzuführen ist.?**
V. Erscheinungsformen von Referenden
1. Art des Rechtssatzes
Neben Verfassungs- und Gesetzesbeschlüssen?® sind auch Finanz- und
Zustimmungsbeschlüsse zu Staatsverträgen des Landtages Gegenstand
des Referendums.
250 Siehe Art. 66bis Abs. 1 LV.
251 Siehe Art. 66 Abs. 1 LV und Art. 75 Abs. 4 VRG.
252 Siehe Art. 75 Abs. 4 VRG; vgl. Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 188 f. mit
weiteren Hinweisen; Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 222 f. mit
weiteren Hinweisen; Bernhard Ehrenzeller/Rafael Brägger, Politische Rechte,
5. 664 ff. Rz. 55 ff. mit weiteren Hinweisen.
253 Art. 66 Abs. 1 und 66bis Abs. 1 LV nehmen Bezug auf Art. 64 LV.
254 Siehe Art. 75 Abs. 1 und 75a Abs. 1 VRG sowie Art. 72 Abs. 1 VRG.
255 Zu den diesbezüglichen Begriffen siehe Andreas Kley, Grundriss, S. 40 f. bzw. 44 ff;
Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 210 ff. bzw. 218 ff.; vgl. auch Hilmar Hoch,
Verfassung- und Gesetzgebung, S. 205 ff.
431
Die einzelnen politischen Rechte
Finanzbeschlüsse werden referendumspflichtigen Gesetzen gleich gehal-
ten? oder sie werden ın die Form formeller Gesetze gekleidet wie das
jährliche Finanzgesetz und der Voranschlag.? Sie ergehen im formellen
Gesetzgebungsverfahren?® und zählen zu den «rein formellen Geset-
zen».?9 Der «verfassungspolitische Zweck» des Finanzreferendums
wird darin gesehen, «dem Bürger über erhebliche Ausgaben, die ihn als
Steuerzahler mittelbar treffen, ein Mitspracherecht zu sichern».?°
Gegen einen Landtagsbeschluss, der einem Staatsvertrag gemäss
Art. 8 Abs. 2 LV zustimmt,2%1 kann unter den gleichen Voraussetzungen,
wie sie für das Verfassungsreferendum gelten, ein Referendum ergriffen
werden.?2 Eine Dringlicherklärung ist ausgeschlossen. So steht die
Zustimmung des Landtages zu einem Staatsvertrag im Unterschied zu
den Verfassungs-, Gesetzes- und Finanzbeschlüssen immer dem Refe-
rendum offen.26
256 Vgl. etwa die Finanzbeschlüsse: LGBl. 2008 Nr. 132, 2010 Nr. 113, 2011 Nr. 529,
2011 Nr. 530.
257 Vgl. etwa Finanzgesetz vom 24. November 2011 für das Jahr 2012, LGBI. 2011
Nr. 535. Der Landtag erklärt das Finanzgesetz jeweils als dringlich. Dies trifft auch
auf Finanzbeschlüsse zu, die Kreditüberschreitungen beinhalten. Siehe etwa LGBl.
2003 Nr. 151, 2005 Nr. 261, 2005 Nr. 292. Zum Begriff der Kreditüberschreitung
siehe Art. 11 FHG.
258 Vgl. Andreas Schurti, Verordnungsrecht — Finanzbeschlüsse, S. 258 ff. und Hilmar
Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 207 Fn. 7.
259 Andreas Kley, Grundriss, S. 45; zum weit gefassten Gesetzesbegriff des Staatsge-
richtshofes siehe Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 213 ff.
260 Andreas Schurti, Verordnungsrecht — Finanzbeschlüsse, S. 260 unter Bezugnahme
auf den BuA Nr. 69/1991 der Regierung vom 1. Oktober 1991 betreffend die Ände-
rung der Verfassung (Finanzreferendum) und die Ergänzung des Finanzhaushalts-
gesetzes.
261 Stefan Becker, Völkerrecht und Landesrecht, S. 65 ff.; Wilfried Hoop, Auswärtige
Gewalt, S. 213 ff., insbesondere S. 223 ff. Peter Wolff, Die Vertretung des Staates
nach aussen, S. 281 bemerkt, dass heute praktisch jeder Staatsvertrag dem Landtag
zur Zustimmung unterbreitet werde, um Diskussionen darüber zu vermeiden, ob es
sich jeweils um einen Staatsvertrag handelt, der der Zustimmung des Landtages
bedarf. Vgl. auch Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 183 f.
262 Siehe Art. 8 Abs. 2 und 66bis LV sowie Art. 75a, 76a und 78a VRG. Zur Entste-
hungsgeschichte des Staatsvertragsreferendums siehe Arno Waschkuhn, Politisches
System Liechtensteins, S. 330 ff.; vgl. auch Martin Batliner, Politische Volksrechte,
S. 184 f.
263 Kritisch aus staatspolitischer Sicht Gerard Batliner, Staatsvertragsreferendum,
S. 103 ff.
432
Referendumsrecht
2. Obligatorisches und fakultatives Referendum
Das Referendum ist obligatorisch, wenn ein Verfassungs-, Gesetzes-
oder Finanzbeschluss des Landtages oder seine Zustimmung zu einem
Staatsvertrag von Verfassungs oder Gesetzes?** wegen der Volksabstim-
mung unterstellt wird, wie dies etwa bei der Initiative auf Abschaffung
der Monarchie zutrifft.?® Es ist fakultativ, wenn eine bestimmte Anzahl
von Stimmberechtigten eine Volksabstimmung über einen solchen Land-
tagsbeschluss begehrt.26%
Das fakultative Referendum beruht im Gegensatz zum obligatori-
schen Referendum, dem alle Landtagsbeschlüsse im vorgenannten Sinne
unterliegen, auf «Selektion». Es zielt darauf ab, dass sich das Stimmvolk
nicht mit allen, sondern nur mit den strittigen Vorlagen befasst.?”
3. Behördenreferendum
Um eine besondere Art von fakultativem Referendum handelt es sich,
wenn der Landtag bei Verfassungs-, Gesetzes-, und Finanzbeschlüssen
wie auch bei Zustimmungsbeschlüssen zu Staatsverträgen von sich aus
eine Volksabstimmung beschliesst.2® Man spricht in diesem Fall von
einem Behördenreferendum.
4. Volksbefragung
Der Landtag ist nach Art. 66 Abs. 3 LV befugt, über die Aufnahme ein-
zelner Grundsätze in ein zu erlassendes Gesetz eine Volksabstimmung
264 Indieser Hinsicht kann auf das einfachgesetzlich geregelte obligatorische Referendum
in Art. 51 Abs. 2 SteG, LGBl. 1961 Nr. 7, hingewiesen werden, das in der Zwischen-
zeit durch LGBl. 2010 Nr. 340 aufgehoben worden ist. Es sah vor, dass jede Erhöhung
der Steuersätze auf mehr als das Anderthalbfache der Sätze, mit welcher die Steuern
im abgelaufenen Finanzjahr erhoben wurden, der Volksabstimmung unterliegt.
265 Siehe Art. 113 LV.
266 Vgl. Yvo Hangartner / Andreas Kley, Die demokratischen Rechte, S. 147 f. Rz. 346.
267 So Max Imboden, Die Volksbefragung, S. 392.
268 Siehe Art. 66 Abs. 1 und Art. 66bis Abs. 1 LV sowie Art. 72 Abs. 1, 75 Abs. 1 Bst. a, 2
und 3, Art. 77 Abs. 1 und 3 VRG; vgl. auch Martin Batliner, Politische Volksrechte,
S. 178 und 182 Fn. 24; Arno Waschkuhn, Politisches System Liechtensteins, S. 325.
433
Die einzelnen politischen Rechte
durchführen zu lassen.?®® Dabei handelt es sich um eine Konsultativab-
stimmung,?”° in der danach gefragt wird, ob «einzelne Grundsätze» in
das Gesetz aufgenommen werden sollen.?7! Demzufolge hat sie vom
Gegenstand her «antizipierenden» Charakter.?? Auch wenn sie für den
Landtag und das Stimmvolk rechtlich nicht verbindlich ist,?”® ist sie nicht
unbeachtlich,?* zumal ein förmliches Abstimmungsverfahren stattfin-
det. Führt es zu einem eindeutigen Resultat, würde es dem demokrati-
schen Gedanken widersprechen, wenn der Landtag die Konsultativ-
abstimmung ohne zwingenden Grund nicht beachten würde.?75
$20 BESONDERE ARTEN VON VOLKSRECHTEN
Die politischen Rechte umfassen auch das Recht auf Einberufung und
Auflösung des Landtages, die Richterbestellung, das Misstrauensvotum
269 Art. 79 VRG übernimmt diese Verfassungsbestimmung wortgleich und fügt in ei-
nem Absatz 2 an, dass die Regierung die Abstimmung nach den einschlägigen Vor-
schriften des Volksrechtegesetzes anordnet und vollzieht.
270 Bernhard Ehrenzeller/Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 665 Rz. 59 sprechen
unter dem Titel «Grundsatzabstimmung» von einer «spezielle(n) Art des Behör-
denreferendums», setzen sie aber einer Konsultativabstimmung gleich, die nicht
rechtsverbindlich ist. Die dem Behördenreferendum folgende Abstimmung zeitigt
jedoch rechtliche Wirkungen. Yvo Hangartner/ Andreas Kley, Die demokratischen
Rechte, S. 902 Rz. 2289 f. weisen darauf hin, dass die Begrifflichkeit und Termino-
logie nicht einheitlich ist. Sie verstehen unter einer Grundsatzabstimmung einen
«rechtlich verbindlichen Beschluss», den die Stimmberechtigten vor dem Schluss-
entscheid in einer Vorabstimmung treffen.
271 Nach Wilfried Marxer/ Zoltän Tibor Pällinger, Direkte Demokratie, S. 35 beinhal-
tet die vom Landtag initiierte Konsultativabstimmung «eine allgemeine Frage zu
einem politischen Sachverhalt, einem politischen Ziel u.a.». Vgl. zur Aufnahme
neuer Grundsätze in das Landtagswahlrecht die Volksbefragung vom 14. Februar
1932 und dazu Herbert Wille, Landtag und Wahlrecht, S. 169.
272 Yvo Hangartner/ Andreas Kley, Die demokratischen Rechte, S. 903 Rz. 2294.
273 Vgl. Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 665 f. Rz. 59; Yvo
Hangartner/ Andreas Kley, Die demokratischen Rechte, S. 904 Rz. 2295.
274 Nach Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 187 Rz. 17 sind Kon-
sultativabstimmungen «nicht einfach irrelevante Geschehen, sondern massgebliche
Äusserungen des Staatsorgans Volk». Vgl. auch BGE 104 Ta 226 (228).
275 Aus diesem Grund kommen Yvo Hangartner/ Andreas Kley, Die demokratischen
Rechte, S. 904 Rz. 2295 zum Schluss, dass das Ergebnis der Volksabstimmung
gegenüber Behörden, vorliegendenfalls gegenüber dem Landtag, eine «bedingte
rechtliche Verbindlichkeit» besitzt.
434
Besondere Arten von Volksrechten
gegen den Landesfürsten und die Abschaffung der Monarchie. Sie spie-
len bisher in der Staatspraxis keine Rolle. Die drei letztgenannten Volks-
rechte hat erst die Verfassungsrevision von 2003 eingeführt.?6® Es handelt
sich bei ihnen um stark «personenbezogene» Instrumente,?” die obliga-
torisch zur Anwendung gelangen.
I. Einberufung und Auflösung des Landtages
Die politischen Rechte umfassen auch das Recht auf Einberufung und
Auflösung des Landtages.
1. Einberufung des Landtages
Auf schriftliches Begehren von 1000 Stimmberechtigten oder von über-
einstimmenden Gemeindeversammlungsbeschlüssen von drei Gemein-
den, das zu begründen ist, ist der Landtag einzuberufen. Es ist an die
Regierung zu richten, die es dem Präsidenten des Landtages übermittelt,
der ihn einberuft. Im Fall der Vertagung des Landtages erfolgt die Ein-
berufung durch die Regierung.
Ist der Landtag aufgelöst, ist unverzüglich auf eine Neuwahl zu
dringen und in der Folge der Landtag einzuberufen.
Ist der Landtag vertagt oder geschlossen, ist er vom Präsidenten
bzw. der Regierung ebenfalls sofort wieder einzuberufen.
Auf das Verfahren finden die Bestimmungen über die Initiative
ergänzend Anwendung.?’®
2. Abberufung bzw. Auflösung des Landtages
1500 Stimmberechtigte oder übereinstimmende Gemeindeversamm-
lungsbeschlüsse von vier Gemeinden können eine Volksabstimmung
276 Siehe Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 667 Rz. 62.
277 So Frank Marcinkowski / Wilfried Marxer, Öffentlichkeit, S. 92.
278 Siehe Art. 48 Abs. 2 LV und Art. 72 Abs. 3 und 87 VRG; vgl. auch Martin Batliner,
Politische Volksrechte, S. 125.
435
Die einzelnen politischen Rechte
über die Abberufung bzw. Auflösung des Landtages verlangen.”? Das
Initiativbegehren muss schriftlich und begründet bei der Regierung ein-
gereicht werden, die, wenn es gültig zustande kommt, eine Volksabstim-
mung anordnet.2® Ein Abberufungsbegehren kann im Laufe von einem
Jahr nur einmal gestellt werden.?! Das Abberufungsbegehren kann sich
nur gegen den Landtag als solchen richten und nicht gegen einzelne
Abgeordnete.?%
Entscheidet sich die Mehrheit der Stimmberechtigten für die Auflö-
sung, erklärt die Regierung den Landtag als aufgelöst und ordnet sofort
Neuwahlen an, die innerhalb von sechs Wochen durchzuführen sind.28
Auf das Verfahren finden die Bestimmungen über die Initiative
ergänzend Anwendung.?#
II. Mitwirkung bei Richterwahlen bzw. Richterbestellung
Die Bestellung von Richtern regelt Art. 96 LV2® der im Richterbestel-
lungsgesetz vom 26. November 20032% näher ausgeführt wird. Dieses
legt die organisatorischen Voraussetzungen und das Verfahren zur
279 Siehe Art. 48 Abs. 3 LV und Art. 72 Abs. 1 VRG sowie Art. 86 Abs. 1 und 2 VRG;
vgl. auch Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 127 f. Er erwähnt unter Bezug
auf LLA, Landtagsakt 1928 und LVolksblatt vom 16.6.1928, dass 1928 zur Abberu-
fung des Landtages eine Unterschriftensammlung lanciert worden sei, die sich je-
doch erübrigt habe, weil der Landesfürst von sich aus den Landtag aufgelöst habe.
Die Begriffe «Auflösung» und «Abberufung» des Landtages werden gleichbedeu-
tend verwendet.
280 Siehe Art. 72 Abs. 1 VRG.
281 Siehe Art. 70 Abs. 3 VRG.
282 Siehe Art. 86 Abs. 2 VRG.
283 Siehe Art. 50 LV und Art. 86 Abs. 5 VRG. Aus der jüngeren Praxis sind nur Land-
tagsauflösungen bekannt, die der Landesfürst angeordnet hat, nämlich diejenige
vom 20. Januar 1989, die zu Neuwahlen am 3./5. März 1989 geführt hat und dieje-
nige vom 15. September 1993, auf die Neuwahlen am 22./24. Oktober 1993 folgten.
Aus diesem Vorgehen ist ersichtlich, dass die Neuwahlen innerhalb der von der Ver-
fassung vorgegebenen knappen Frist von sechs Wochen durchgeführt worden sind.
284 Siehe Art. 86 Abs. 3 VRG.
285 Vgl. Rene Rhinow, Rechtsgutachten, S. 108 ff.; Günther Winkler, Verfassungsrecht,
S. 114.
286 Siehe LGBI. 2004 Nr. 30.
436
Besondere Arten von Volksrechten
Bestellung von Richtern fest. Im Falle einer Volkswahl kommt Art. 86a
VRG zum Zuge.
Das Richterauswahlgremium, in dem der Landesfürst den Vorsitz
führt und den Stichentscheid hat,2 schlägt die Richterkandidaten, die
der Zustimmung des Landesfürsten bedürfen,?® dem Landtag vor.?®
Wählt dieser den empfohlenen Kandidaten, wird er vom Landesfürsten
zum Richter ernannt.?®
Lehnt der Landtag einen vom Richterauswahlgremium vorgeschla-
genen Richterkandidaten ab und kommt innerhalb von vier Wochen
zwischen dem Landtag und dem Gremium keine Einigung über einen
neuen Kandidaten zustande, hat der Landtag einen Gegenkandidaten
vorzuschlagen und eine Volksabstimmung anzuberaumen, die die Regie-
rung anordnet und durchführt.??!
Im Falle einer Volksabstimmung?” sind auch die wahlberechtigten
Landesbürger berechtigt, unter den Bedingungen einer Initiative Kandi-
daten zu nominieren. Das heisst, dass 1000 stimm- bzw. wahlberechtigte
Personen oder übereinstimmende Gemeindeversammlungsbeschlüsse
von drei Gemeinden Kandidaten zur Wahl vorschlagen können.?® Wird
über mehr als zwei Kandidaten abgestimmt, dann erfolgt die Abstim-
mung in zwei Wahlgängen gemäss Art. 113 Abs. 2 LV.2% Jener Kandidat,
287 Siehe zur Zusammensetzung und Aufgaben dieses Gremiums Art. 3 ff. RBG und
zum Verfahren die Geschäftsordnung vom 14. Oktober 2005, LGBl. 2005 Nr. 200.
288 Siehe auch vorne S. 364 ff. Auf den «dominierenden Einfluss» des Landesfürsten auf
das Auswahlverfahren weist Rene Rhinow, Rechtsgutachten, S. 127 hin. Vgl. auch
Bernd-Christian Funk, Rechtsgutachten, S. 22.
289 Siehe auch hinten S. 534 f.
290 Siehe Art. 9 Abs. 1 LV sowie Art. 12 und 13 RBG.
291 Siehe Art. 96 Abs. 2 LV sowie Art. 14, 15, 16 und 17 RBG. Nach Günther Winkler,
Verfassungsrecht, S. 120 ist «die Einschränkung des interessengebundenen Einflus-
ses des Landtages auf die Auswahl der Richter und damit eine Art von Entpolitisie-
rung und Objektivierung des Bestellungsverfahrens» Ziel der Neuregelung.
292 In diesem Zusammenhang ist die Rede von einem «Personalreferendum». So Bernd-
Christian Funk, Rechtsgutachten, S. 22. Vgl. auch Bernhard Ehrenzeller/ Rafael
Brägger, Politische Rechte, S. 668 Rz. 65.
293 Siehe Art. 96 Abs. 21. V. m. Art. 64 Abs. 2 LV und Art. 86a VRG.
294 Dieses Wahlprozedere wird im Falle der Nichteinigung zwischen Landtag und Aus-
wahlgremium als kompliziert und unrealistisch eingestuft. Siehe Bernd-Christian
Funk, Rechtsgutachten, S. 23 und Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische
Rechte, S. 668 Rz. 66. Vgl. auch Gerard Batliner/ Andreas Kley/Herbert Wille,
Memorandum, S. 10 Ziffern 31 und 32, die zu bedenken geben, dass ein solches kon-
437
Die einzelnen politischen Rechte
der die absolute Mehrheit der Stimmen erhält, wird vom Landesfürsten
zum Richter ernannt.?5
Da es zu einer Volksabstimmung nur im Ausnahmefall kommen
kann, wenn sich also Landtag und Richterauswahlgremium nicht eini-
gen, erweist sie sich lediglich als ein Konfliktlösungsmechanismus,
dem ein Plebiszitcharakter eignet.?® Sie erfüllt die Kriterien nicht, die
direktdemokratische Institutionen auszeichnen. Die Volksabstimmung
nimmt auch dann eine Sonderstellung ein, wenn das Stimmvolk einen
Richterkandidaten nominiert. Die Richterwahl bleibt auch in diesem
Fall eine Ausnahmeerscheinung und wird nicht zu einer Angelegenheit
des Volkes.?”
III. Misstrauensantrag gegen den Landesfürsten
1. Verfahren
Das Recht, gegen den Landesfürsten einen begründeten Misstrauens-
antrag einzubringen, steht gemäss Art. 13ter LV 1500 Landesbürgern
zu.?% Der Landtag hat in seiner nächsten Sitzung eine Empfehlung abzu-
fliktuales Verfahren vor dem Volk zu einer «Politisierung der Justiz» führt. A. A.
Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 226 ff., der ausführt, dass das Ernennungs-
recht des Fürsten und das Zustimmungsrecht des Landtages durch ein abschliessen-
des Entscheidungsrecht des Volkes eingeschränkt sei. Im Vergleich zur geltenden
Regelung bedeute dies insgesamt sowohl eine Beschränkung der Befugnis des Fürs-
ten als auch jener des Landtages zugunsten des Volkes (S. 227).
295 Siehe Art. 9 Abs. 2 LV sowie Art. 17 Abs. 2, 3 und 4 RBG.
296 Vgl. Stephan Breitenmoser, Rechtsgutachten zu den Verfassungsvorschlägen des
Fürstenhauses, S. 143 f.; Bernhard Ehrenzeller /Rafael Brägger, Politische Rechte,
5. 668 f. Rz. 66.
297 Vgl. Frank Marcinkowski/ Wilfried Marxer, Öffentlichkeit, S. 92 #f. Sie verstehen
nach einer Definition von IRI Europe unter direkter Demokratie Sachentscheide,
die darüber hinaus die Bürgerschaft stärken müssen, somit also von unten nach oben
(bottom-up) wirken sollten. Sie halten demnach fest, es handele sich, falls keine
Eigeninitiative des Volkes bei der Nomination von Kandidaten vorliege, um ein
«reines Personalplebiszit>». Aber auch im Falle einer Volksnomination könne wegen
des Ausnahmecharakters des Bestellvorgangs nicht von einem Bottom-up-Verfah-
ren gesprochen werden.
298 Die erforderliche Anzahl der Stimmberechtigen entspricht derjenigen, wie sie
Art. 64 Abs. 4 IV für die Initiativbegehren, die die Verfassung betreffen, vorsieht,
438
Besondere Arten von Volksrechten
geben und ihn der Volksabstimmung zu unterstellen.?” Die Durchfüh-
rung obliegt wie bei anderen Volksabstimmungen der Regierung. Wird
der Misstrauensantrag angenommen, ist dieses Ergebnis dem Landes-
fürsten mitzuteilen. Die Behandlung erfolgt nach dem Hausgesetz des
Fürstlichen Hauses.*° Das Misstrauensvotum des Stimmvolkes ist ledig-
lich als Antrag an die Gesamtheit der stimmberechtigten Mitglieder des
Fürstlichen Hauses zu verstehen, die als hausgesetzliches Organ die
Entscheidung treffen. Vom Ausgang des Verfahrens ist der Landtag zu
verständigen. Die Entscheidung kann in einer Ablehnung des Misstrau-
ensantrages®2 oder in einer Verwarnung oder Absetzung des Landes-
fürsten bestehen.?® Die stimmberechtigten Mitglieder des Fürstlichen
Hauses sind in ihrer Entscheidung frei, ob und allenfalls welche Konse-
quenzen sie aus der Volksabstimmung ziehen.?* Der Misstrauensantrag
ist rechtlich nicht verbindlich und hat nur die Wirkung einer Petition.?
Er bleibt jedenfalls ohne staatsrechtliche Auswirkungen auf die Stellung
des Landesfürsten.
wobei vier Gemeinden in Form übereinstimmender Gemeindeversammlungs-
beschlüsse einen solchen Misstrauensantrag nicht stellen können.
299 Der Hinweis auf Art. 66 Abs. 6 LV stellt klar, dass der Misstrauensantrag wie ein
vom Landtag abgelehnter Gesetzes- bzw. Verfassungsentwurf zu behandeln ist, der
im Wege der Volksinitiative zustande gekommen ist.
300 Vgl. Art. 13ter i. V. m. Art. 16 HG.
301 Vgl. Rene Rhinow, Rechtsgutachten, S. 83.
302 Der Misstrauensantrag gilt nach Art. 16 Abs. 1 Bst. b HG auch dann als abgelehnt,
wenn innerhalb von sechs Monaten keine Entscheidung gefällt wird. Daraus folgert
Ren€ Rhinow, Rechtsgutachten, S. 87, dass sich damit «der Volksentscheid nicht als
formalisierter Antrag an das Fürstenhaus, sondern als blosse Petition oder Konsul-
tatiyabstimmung>» entpuppt.
303 Siehe Art. 16 HG i. V. m. Art. 14 und 15 HG und dazu Zoltän Tibor Pällinger, Mo-
narchien, S. 9; ders., Stellung des Fürsten, S. 16, der festhält: Nimmt man diese haus-
interne Entscheidungszuständigkeit bzw. diesen familienpolitischen Entscheid in
den Blick, ist es schwer verständlich, von einer Regelung zu sprechen, die «einer for-
malen staatsrechtlichen Sanktionierung einer begründeten staatspolitischen Kritik
des Volkes am Verhalten des Fürsten als Staatsoberhaupt dienen» soll. So aber Günt-
her Winkler, Verfassungsrecht, S. 74.
304 Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 669 Rz. 68 mit weiteren
Hinweisen.
305 Vgl. Rene Rhinow, Rechtsgutachten, S. 87 und 89; siehe auch vorne S. 317 f.
439
2.
Die einzelnen politischen Rechte
Bewertung
Dass die Volksinitiative, die für Sachgeschäfte vorgesehen ist, für einen
Personalentscheid, der sich direkt gegen die Person des Landesfürsten
als Staatsoberhaupt richtet,” zur Anwendung gelangt, wird als proble-
matisch angesehen.” Auch unter dem Gesichtspunkt der «Demokrati-
sierung der Monarchie»*® ist diesem «Petitionsrecht» nichts abzugewin-
nen.?® Es bewirkt keineswegs, dass «der Landesfürst mit seinen Kom-
petenzen und Befugnissen als Staatsoberhaupt einer in Demokratien für
Staatsoberhäupter üblichen politischen Kontrolle unterstellt» wird.?!° Es
ist ebenso nicht in der Lage, dem Landesfürsten eine demokratische
Legitimation zu verleihen.?!!
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440
Günther Winkler, Verfassungsrecht, S. 74 hält fest, dass sich das Misstrauensvotum
nicht gegen die Monarchie oder gegen das Fürstenhaus richtet, «sondern gegen den
regierenden Fürsten als Person oder gegen ein bestimmtes Verhalten des regieren-
den Fürsten».
Ren€ Rhinow, Rechtsgutachten, 5. 86. Initiativverfahren für Personalentscheide erwei-
sen sich für ihn aus der Sicht von Art. 46 Abs. 1 LV und Art. 3 1. ZP zur EMRK als pro-
blematisch, da die Identität der Unterzeichner der Initiative nur bedingt geheim gehal-
ten werden kann. Vgl. auch Gerard Batliner, Aktuelle Fragen, 5. 95 f. Rz. 179 ff., ders.,
Diskussionsbeitrag, S. 18 Rz. 26 und Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische
Rechte, S. 669 f. Rz. 69. Jochen Abr. Frowein, Rechtsgutachten zu den Vorschlägen des
Fürstenhauses, S. 24 hält ein solches Verfahren für unangemessen. «Die Vorstellung,
dass in einem förmlichen Misstrauensvotum durch die Mehrheit der Wahlberechtigten
im Lande dem konkreten Landesfürsten das Misstrauen ausgesprochen wird, ohne
dass daraus rechtliche Konsequenzen folgen, erscheint nicht vertretbar.»
So Fürst Hans-Adam II. im Interview mit dem LVolksblatt vom 29. Juni 1993, S. 3.
Ren€ Rhinow hält in seinem Rechtsgutachten, S. 89 fest: «Eine Stärkung der Demo-
kratie ist mit diesem <Petitionsrecht? des Volkes nicht verbunden.» Auch Bernd-
Christian Funk, Rechtsgutachten, S. 37 meint, es erscheine zumindest zweifelhaft,
ob diese Lösung zu den «entscheidende(n) Schritte(n) zur Demokratisierung des
Staates» zu zählen ist. A. A. Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 321. Er kommt
zum Ergebnis, dass dieser Reformvorschlag vor allem geeignet ist, «das demokrati-
sche Prinzip und die politischen Rechte der Bürger gemäss der Verfassung von
Liechtenstein zu festigen».
BuA Nr. 87/2001 der Regierung vom 20. November 2001, S. 31. Die nach dem
Hausgesetz getroffenen Massnahmen, wie die Absetzung oder Amtsenthebung des
Landesfürsten, stellen eine ausschliesslich familienpolitische Entscheidung dar. Vgl.
auch Zoltän Tibor Pällinger, Stellung des Fürsten, S. 14 ff.
Ren€ Rhinow, Rechtsgutachten, S. 88 unter Bezugnahme auf Gerard Batliner, Aktu-
elle Fragen, S. 106 ff. Rz. 207 ff. führt aus, der Fürst werde durch das Verfahren nicht
demokratisch legitimiert, da «dem Volk die Kompetenz nicht zusteht, den Fürsten
abzuwählen».
Besondere Arten von Volksrechten
Auch der (begründete) Misstrauensantrag gegen den Landesfürsten
erzielt als direktdemokratische Einrichtung bei negativem Ausgang der
Volksabstimmung keine dementsprechende Wirkung, da er keinen Ein-
fluss auf den familienpolitischen Entscheid ausübt, sodass er keine
demokratische Legitimation vermittelt.?? Es ist daher fraglich, ob man
ihn zu den «Bewirkungsrechten» zählen darf. Der Misstrauensantrag
versetzt jedenfalls die Stimmberechtigten nicht in die Lage, durch ihr
Verhalten «gezielt eine Änderung der Rechtslage herbeizuführen», so-
dass man ihn wohl nicht als «Bewirkungsrecht» charakterisieren kann.?!?
IV. Initiative auf Abschaffung der Monarchie
1. Verfahren
Die Initiative auf «Abschaffung der Monarchie», wie sie in Art. 113 LV
konzipiert ist, können 1500 Landesbürger ergreifen.?!* Wird sie, nach-
dem sie zustande gekommen ist, in der Volksabstimmung, die obligato-
risch erfolgt, angenommen, obliegt es dem Landtag, eine neue Verfassung
auf republikanischer Grundlage auszuarbeiten, die er frühestens nach ei-
nem Jahr und spätestens nach zwei Jahren einer Volksabstimmung zu un-
terziehen hat. Dem Landesfürsten steht das Recht zu, für diese Volksab-
stimmung eine eigene Verfassung vorzulegen, wobei er in der Ausgestal-
tung frei ist. Er ist an keine inhaltlichen Vorgaben gebunden. Macht der
Landesfürst von seinem Recht nicht Gebrauch, wird in einer zweiten
Abstimmung definitiv zwischen der bestehenden Verfassung und dem
Landtagsentwurf entschieden.?! Bringt er einen «Gegenvorschlag» ein,
haben die Stimmberechtigten zwischen der bisher geltenden Verfassung
und den beiden Entwürfen zu wählen. In einer weiteren Abstimmung
stehen sich die beiden Verfassungsvarianten gegenüber, die in der ersten
Abstimmung am meisten Stimmen erhalten haben. Angenommen ist je-
312 Siehe Art. 16 HG. In der Sache entscheidet die Gesamtheit der stimmberechtigten
Mitglieder des Fürstlichen Hauses.
313 Zu den Grundrechten als Bewirkungsrechte siehe Wolfram Höfling, Grundrechts-
ordnung, 5. 54 f.
314 Siehe auch die Ausführungen vorne S. 185 ff.
315 Siehe Art. 113 Abs. 2 Satz 1 LV.
441
Die einzelnen politischen Rechte
ner Verfassungsentwurf, der die absolute Mehrheit erzielt.?® Das Zu-
stimmungserfordernis bzw. Vetorecht des Landesfürsten entfällt.?!7
2. Staatsrechtliche Einordnung
Art. 113 LV legt zur Abschaffung der Erbmonarchie eine eigengeartete
«Volks-Initiativkompetenz» fest.318 Sie ersetzt das herkömmliche Volks-
initiativrecht,?!? wonach das Stimmvolk in einer Abstimmung entschei-
det, wenn der Landtag das Initiativbegehren ablehnt. Ihm kommt in die-
sem Verfahren kein Initiativrecht zu. Er bleibt davon ausgeschlossen,
obwohl er für das parlamentarische Element der Staats- und Verfas-
sungsordnung steht.
Das Initiativbegehren ist in der Form einer allgemeinen Anregung
gestaltet und lautet einzig auf die Abschaffung der Erbmonarchie.?!
Kommt es zustande, ist über diese Frage abzustimmen.
Das «Gegenvorschlagsrecht»*? des Landesfürsten ist dem gängigen
Gegenvorschlagsrecht des Landtages nachgebildet?® und wohl aus dem
Gedanken heraus entstanden, dass der Landesfürst Mit-Verfassungsge-
setzgeber ist.?* Im Unterschied zum Vorschlagsrecht des Landtages im
herkömmlichen Initiativverfahren handelt es sich bei diesem, wenn sich
der Landesfürst in seinem Entwurf für die Beibehaltung der Monarchie
ausspricht, um mehr als nur um eine «abgeänderte Fassung» der Land-
tagsvorlage.
316 Siehe Art. 113 Abs. 2 LV.
317 Zum Verfahren siehe Rene Rhinow, Rechtsgutachten, S. 90 f.; Zoltän Tibor Pällin-
ger, Stellung des Fürsten, S. 16; Gerard Batliner, Diskussionsbeitrag, 5. 8 ff. Rz. 4 ff.
318 Gerard Batliner, Diskussionsbeitrag, S. 10 Rz. 7.
319 Siehe Art. 112 Abs. 2 i. V. m. Art. 64 Abs. 4 LV; siehe auch Rene Rhinow, Rechts-
gutachten, S. 93.
320 Siehe Art. 2 1. V.m. Art. 65 ff. und Art. 78 und 79 LV.
321 Vgl. Rene Rhinow, Rechtsgutachten, S. 91; Gerard Batliner, Diskussionsbeitrag,
S$. 10 Rz. 7.
322 Formulierung von Rene Rhinow, Rechtsgutachten, S. 91 und 96.
323 Siehe Art. 82 Abs. 3 VRG.
324 Diese Stellung erklärt sich aus dem konstitutionell-monarchischen Verfassungssys-
tem, sodass das Gegenvorschlagsrecht des Landesfürsten nicht nur unter dem Blick-
winkel der Idee des (demokratischen) Initiativrechts betrachtet werden kann, wie es
Ren€ Rhinow in seinem Rechtsgutachten (S. 96) ausführt.
442
Besondere Arten von Volksrechten
Die Stellung des Landtags wird in diesem Verfassungsänderungsverfah-
ren geschwächt, da ihm kein Initiativrecht auf Abschaffung der Erb-
monarchie zusteht.?> Das Verfahren selber erweist sich als kompliziert
und langwierig.?6 Schon an die Initiierung eines solchen Verfahrens sind
hohe Anforderungen gestellt, wenn man bedenkt, dass sie 1500 stimm-
oder wahlberechtigte Personen voraussetzt. Es benachteiligt den (repu-
blikanischen) Verfassungsentwurf des Landtages, wenn der Landesfürst
eine Vorlage präsentiert, die an der Monarchie festhält, da sich der Land-
tagsentwurf in diesem Fall gegenüber zwei Vorlagen mit gleicher Ziel-
richtung, derjenigen des Landesfürsten und der geltenden Verfassung,
behaupten muss.” Es ist schwerlich einzusehen, dass ein solches Ver-
fahren ermöglichen soll, eine republikanische Staatsordnung zu errich-
ten. Es reicht auch nicht aus, um die Monarchie demokratisch zu legiti-
mieren.?8 Dass vom Vetorecht des Landesfürsten abgesehen wird, ist
«demokratietheoretisch» nur folgerichtig, da eine republikanische
Staatsordnung eingeführt werden soll.?2°
Die Verfassung kennt weder Ewigkeitsklauseln noch andere Be-
stimmungen, die nicht auf dem Wege der (Verfassungs-)Initiative geän-
dert werden könnten. In diesem Sinne stellt die in Art. 113 LV einge-
führte Initiative auf Abschaffung der Monarchie keine materielle Neue-
rung dar. Neu ist hingegen an diesem Verfahren, dass es die Annahme ei-
ner neuen Verfassung ohne Zustimmung des Fürsten konzediert.?3°
Bei der Abschaffung der Monarchie räumt Art. 113 LV 2003 dem
Fürsten ein Recht ein, das ihm bisher nicht zustand. Er kann nämlich für
die gleiche Volksabstimmung eine neue Verfassung vorlegen, worüber
das Stimmvolk auch abstimmen muss.
325 Vgl. Rene Rhinow, Rechtsgutachten, S. 96 f. und 99.
326 Vgl. Rene Rhinow, Rechtsgutachten, S. 93; Gerard Batliner, Diskussionsbeitrag,
S.11 f. Rz. 8 ff.; Jochen Abr. Frowein, Rechtsgutachten zu den Verfassungsvor-
schlägen des Fürstenhauses, S. 23.
327 Vgl. Rene Rhinow, Rechtsgutachten, S. 97.
328 Vgl. Zoltän Tibor Pällinger, Stellung des Fürsten, S. 17 f.; Gerard Batliner, Diskus-
sionsbeitrag, S. 12 ff. Rz. 14 ff. A. A. Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 343.
Er gibt zu verstehen, dass die in Art. 113 LV vorgesehene Möglichkeit, die Monar-
chie aufzuheben, «die Grundlegung der Verfassung von Liechtenstein im Willen des
Volkes» bestätigt.
329 Vgl. Rene Rhinow, Rechtsgutachten, S. 94.
330 So Zoltän Tibor Pällinger, Monarchien, S. 10.
443
Die einzelnen politischen Rechte
$21 RECHTSSCHUTZ
Der verwaltungsrechtliche Rechtsschutz richtet sich nach dem Volks-
rechtegesetz und, soweit es um Wahlen geht, auch nach dem Staats-
gerichtshofgesetz.®! Als grundrechtlich garantierte Rechte stehen die
politischen Rechte unter dem verfassungsrechtlichen Schutz, den die
Individualbeschwerde an den Staatsgerichtshof, wie sie im Staatsge-
richtshofgesetz geregelt ist, verfahrensrechtlich sichert.??
I. Stimmrechtsbeschwerde — Eintragung im Stimmregister
Der Eintrag im Stimmregister,*3 das von den Gemeinden geführt wird,
berechtigt zur Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen. Es ist vor jeder
Wahl und Abstimmung zu bereinigen und während drei Tagen öffentlich
zur Einsicht aufzulegen. Über Einsprachen wegen Nichtaufnahme ent-
scheidet die Gemeindevorstehung, im Rechtsmittelverfahren die Regie-
rung und letztinstanzlich der Verwaltungsgerichtshof.?*
II. Zurückweisung und Nichtigerklärung
von Volksinitiativen
Initiativbegehren, die in formeller oder formaler Hinsicht mangelhaft
sind, weist die Regierung zurück. Sie sind ungültig, wenn der Mangel
nicht innerhalb nützlicher Frist behoben wird. Gegen eine Zurückwei-
sungsentscheidung der Regierung ist Beschwerde an den Verwaltungs-
gerichtshof zulässig.?
331 Siehe Art. 104 Abs. 2 letzter Satz i. V. m. Art. 59 LV und 27 StGHG i. V. m. Art.
64 ff. VRG und dazu Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 220 ff.
332 Siehe Art. 104 Abs. 1 LV i. V. m. Art. 15 SIGHG und dazu Tobias Michael Wille,
Verfassungsprozessrecht, S. 108 ff.; vgl. auch Wolfram Höfling, Die Verfassungsbe-
schwerde zum Staatsgerichtshof, S. 54 ff.
333 Es handelt sich nach Art. 9 VRG um ein Verzeichnis der Stimmberechtigten der
Gemeinde.
334 Siehe Art. 9 ff. VRG und dazu Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 197 f.
335 Siehe Art. 69 Abs. 6 und 70 Abs. 1, 2 und 4 VRG; vgl. auch Martin Batliner, Politi-
sche Volksrechte, S. 199.
444
Rechtsschutz
Verstösst ein Initiativbegehren gegen die Verfassung oder einen Staats-
vertrag und erklärt es der Landtag für nichtig, kann dieser Landtagsbe-
schluss mit Beschwerde beim Staatsgerichtshof angefochten werden.?%
Beschwerdelegitimiert sind diejenigen stimmberechtigten Personen,
welche die Volksinitiative angemeldet haben, da nur sie in ihrer «Rechts-
sphäre» betroffen werden.?” Hält der Landtag jedoch ein Initiativbegeh-
ren für zulässig, ist gegen einen solchen Landtagsbeschluss ein
Beschwerderecht nicht gegeben.338
III. Wahlbeschwerde
Über Wahlbeschwerden entscheidet der Staatsgerichtshof als erste und
einzige Instanz.” Angefochten werden kann entweder die Wahl als sol-
che, wenn das Wahlvorbereitungsverfahren, der Wahlvorgang und die
Ermittlung des Wahlergebnisses aus den in Art. 64 Abs. 3 VRG taxativ
aufgezählten Nichtigkeitsgründen nicht ordnungsgemäss vor sich
gegangen sind, oder die Wahl eines Abgeordneten oder Ersatzabgeord-
neten, wenn ihnen die gesetzlichen Eigenschaften mangeln.?4°
336 Siehe Art. 70b VRG; vgl. auch Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 72 f.
mit weiteren Hinweisen.
337 StGH 2002/73, Entscheidung vom 3. Februar 2003, LES 4/2005, S. 227 (235 Erw.
3.1); SEGH 2002/67, Entscheidung vom 9. Dezember 2002, LES 4/2005, S. 203 (205
Erw. 1.2), wo der Staatsgerichtshof erklärt, dass, wie sich aus der historischen Aus-
legung ergebe, die Rechtsmittelbeschränkung auf die Initianten einer Volksinitiative
eindeutig gewollt sei, wie sich dies auch aus dem Beschwerderecht nach Art. 43 LV
und Art. 6 Abs 1 EMRK ergebe.
338 StGH 2002/67, Entscheidung vom 9. Dezember 2002, LES 4/2005, S. 203 (205
Erw. 1.2). Danach beschränkt Art. 70b Abs. 3 VRG die Entscheidungsbefugnis des
Staatsgerichtshofes auf die Nichtigerklärung eines Initiativbegehrens durch den
Landtag. Daraus folgt, dass ein die Verfassungs- bzw. Völkerrechtskonformität
bejahender Landtagsbeschluss nicht angefochten werden kann. Ein Beschwerde-
recht wird zudem nur den Initianten eingeräumt. Vgl. auch Bernhard Ehrenzeller /
Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 679 Rz. 91 f.
339 Vgl. Art. 59 Abs. 1 und 104 Abs. 2 LV sowie Art. 64 Abs. 6 VRG. Gegen eine Ent-
scheidung des Staatsgerichtshofes ist nach Art. 66 Abs. 4 VRG lediglich das Rechts-
mittel der Erläuterung zulässig. Siehe dazu Tobias Michael Wille, Verfassungspro-
zessrecht, S. 838 ff. mit weiteren Hinweisen.
340 Art. 64 Abs. 2i. V. m. Art. 1 und 2 VRG. Vgl. zur Wahlanfechtung Martin Batliner,
Politische Volksrechte, S. 200 ff.
445
Die einzelnen politischen Rechte
Die Wahlbeschwerde ist nach der Wahl binnen drei Tagen bei der Regie-
rung einzureichen, die die Beschwerdeschrift mit den vorliegenden
Wahlakten unverzüglich dem Staatsgerichtshof übermittelt.?*1 Be-
schwerdebefugt sind nur die Wählergruppen, die Wahlvorschläge für die
angefochtene Wahl rechtzeitig durch ihren Bevollmächtigten einge-
bracht haben.?#? Dabei kann nur die Berichtigung der Ergebnisse und der
Mandatszuteilung oder Nichtigerklärung beantragt werden. Feststel-
lungsanträge sind nicht statthaft.?
Die Regierung kann auch ihrerseits eine Anzeige an den Staatsge-
richtshof erstatten, wenn sie aufgrund der Wahlprotokolle oder sonstwie
feststellt, dass die Wahlen an einer Nichtigkeit leiden.
Erklärt der Staatsgerichtshof die Wahl eines Abgeordneten oder
Ersatzabgeordneten für nichtig, ist der nächstfolgende Kandidat der
betreffenden Wahlliste als gewählt zu betrachten.?* In allen anderen Fäl-
len der Nichtigkeit erklärt er die Wahl für den betreffenden Wahlkreis
als nichtig und verpflichtet die Regierung, unverzüglich eine neue Wahl
anzuordnen.
IV. Abstimmungsbeschwerde
Es gelten die gleichen Beschwerdegründe wie bei der Wahlbeschwerde.
Im Unterschied zur Wahlbeschwerde ist jedoch jede stimmberechtigte
Person beschwerdelegitimiert.?*7
341 Siehe Art. 64 Abs. 5 und 6 VRG. Zur Bedeutung der Wahlprüfung Tobias Michael
Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 220.
342 Vgl. Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 200; Tobias Michael Wille, Verfas-
sungsprozessrecht, S. 220 f.; Bernhard Ehrenzeller/Rafael Brägger, Politische
Rechte, S. 679 Rz. 93. Nach ihnen ist es fraglich, ob der Ausschluss der Beschwer-
demöglichkeit für Kandidaten bei Volkswahlen mit der Garantie des passiven Wahl-
rechts vereinbar ist.
343 Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 201.
344 Siehe Art. 65 VRG.
345 Siehe Art. 66 Abs. 1 VRG.
346 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 788 f.; Martin Batliner, Poli-
tische Volksrechte, S. 202.
347 In Art. 74 Abs. 3 VRG heisst es, dass auf die Beschwerdeführung und Nichtiger-
klärung die Art. 64 bis 66 VRG sinngemäss Anwendung finden, «soweit dessen Be-
stimmungen offensichtlich nicht unanwendbar zu gelten haben». Vgl. auch SIGH
446
Rechtsschutz
Die Abstimmungsbeschwerde kann grundsätzlich erst nach Durchfüh-
rung der Abstimmung bei der Regierung erhoben werden.?® Doch
erachtet es der Staatsgerichtshof für zulässig und erforderlich, eine
Abstimmungsbeschwerde bereits früher einzubringen, wenn auch frü-
hestens nach der Anordnung der Abstimmung durch die Regierung,
«um Mängel zu rügen, die schon in diesem früheren Zeitpunkt als Män-
gel im Hinblick auf die Abstimmung hinreichend als relevant erkennbar
sind». Er weist darauf hin, dass von einem «Abstimmungsverfahren»
zeitlich erst dann gesprochen werden kann, wenn ein solches angeordnet
worden ist.?9
V. Individualbeschwerde wegen Verletzung
verfassungsmässig gewährleisteter Rechte
Bei den politischen Rechten handelt es sich um verfassungsmässig
gewährleistete Rechte. Diese können, wenn sie verletzt werden, im
Individualbeschwerdeverfahren beim Staatsgerichtshof geltend gemacht
werden. Das Anfechtungsobjekt bildet dabei eine enderledigende letzt-
instanzliche Entscheidung oder Verfügung,®! die die beschwerdefüh-
2004/58, Urteil vom 4. November 2008, S. 26 Erw. 2.6 unter Bezugnahme auf Mar-
tin Batliner, Politische Volksrechte, S. 202 (im Internet abrufbar unter: <www.ge
richtsentscheide.li>); siehe auch Bernhard Ehrenzeller/Rafael Brägger, Politische
Rechte, S. 680 Rz. 97.
348 Siehe Art. 74 Abs. 1 und 3 i. V. m. Art. 64 Abs. 5 VRG und dazu Martin Batliner,
Politische Volksrechte, 5. 202 f.
349 StGH 2002/73, Entscheidung vom 3. Februar 2003, LES 4/2005, S. 227 (235
Erw. 3.2) unter Bezugnahme auf StGH 1990/6 Entscheidung vom 2. Mai 1991, LES
4/1991, S. 133 (135 Erw. 2), wo der Staatsgerichtshof ausführt: «Die Anfechtung
einer Volksabstimmung wegen Mängeln des Abstimmungsverfahrens und dessen
Vorbereitung hat sofort und allenfalls noch vor dem Urnengang zu geschehen,
ansonsten der Stimmberechtigte sein Recht zur Anfechtung verwirkt.»
350 StGH 2003/25, Urteil vom 15. September 2003, Erw. 2.1, nicht veröffentlicht.
Danach erfasst Art. 29 LV sämtliche politischen Rechte. «Die Verfassungsbestim-
mungen, welche Wahlen und Abstimmungen im Einzelnen regeln, stellen dagegen
keine eigenständigen Grundrechte dar, sondern dienen nur der Konkretisierung von
Art. 29 LV.» Vgl. auch StGH 1978/4, Entscheidung vom 12. Juni 1978, LES 1981,
S. 1 und StGH 1993/8, Urteil vom 21. Juni 1993, LES 3/1993, 5. 91.
351 Siehe Art. 15 Abs. 1 SEGHG und dazu Tobias Michael Wille, Verfassungsprozess-
recht, S. 555 ff.
447
Die einzelnen politischen Rechte
rende Person in ihrer Individualbeschwerde bekämpft. Diese Vorausset-
zungen sind bei einer Wahl als solcher oder der eines einzelnen Abge-
ordneten, die beanstandet werden, nicht gegeben, da unter diesem
Aspekt, wie Bernhard Ehrenzeller und Rafael Brägger* festhalten, ein-
zig die Kundmachung des Wahlergebnisses durch die Regierung? oder
die Validierung der Wahl durch den Landtag®* infrage kommen. Diese
Rechtsakte richten sich aber nicht «individuell» an den Beschwerdefüh-
rer, sodass eine Individualbeschwerde unzulässig wäre. Der Staatsge-
richtshof prüft denn auch die Rechtmässigkeit der Wahlen ausschliess-
lich im Rahmen von Art. 64 VRG.5
Anders gestaltet sich die Rechtslage bei Abstimmungen. Sind im
Zusammenhang mit einer Volksabstimmung politische Rechte verletzt
worden, beispielsweise die Abstimmungsfreiheit,?® kann jede stimmbe-
rechtigte Person eine Abstimmungsbeschwerde bei der Regierung einle-
gen, die sie an den Verwaltungsgerichtshof und schliesslich an den
Staatsgerichtshof weiterziehen kann. Die Abstimmungsbeschwerde
«nähert sich der Popularbeschwerde»,?7 sodass gegenüber der Indivi-
dualbeschwerde keine «Abgrenzungsprobleme» auftreten.
352 Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 681 Rz. 100.
353 Siehe Art. 62 VRG.
354 Siehe Art. 59 Abs. 2 LV und Art. 8 GOLT.
355 Bernhard Ehrenzeller/Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 682 Rz. 101 hegen
Zweifel, ob eine solche Regelung mit Art. 13 EMRK i. V. m. Art. 3 des 1. ZP zur
EMRK vereinbar ist. Vgl. auch Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 204 ff., der
auf Abgrenzungsprobleme gegenüber der Wahlanfechtung aufmerksam macht. Er
spricht sich dafür aus, das Individualbeschwerdeverfahren und das Verfahren der
Wahlanfechtung zu einem Verfahren zusammenzulegen, damit der Einzelne zur
Wahlanfechtung legitimiert wäre.
356 Vgl. etwa SIGH 2003/25, Urteil vom 15. September 2003, Erw. 2.1, nicht veröffent-
licht.
357 Andreas Kley, Grundriss, S. 305; vgl. auch Bernhard Ehrenzeller/ Rafael Brägger,
Politische Rechte, S. 682 Rz. 102. Sie verweisen zum Verhältnis zwischen Abstim-
mungs- und Individualbeschwerde auf SEGH 2003/71, Urteil vom 15. Mai 2006,
S. 26 f. Erw. 2 (im Internet abrufbar unter: <www.stgh.li>).
358 So Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 206.
448
3, Abschnitt
Volk und Landesfürst
$22 LANDESFÜRST UND VOLKSRECHTE
I. Zweigeteilte Staatsgewalt
Die Verfassung spricht in Art. 2 von einer Erbmonarchie auf demokrati-
scher und parlamentarischer Grundlage. Das demokratische und parla-
mentarische Element in der Staatsordnung steht für das Volk, das erb-
monarchische für den Landesfürsten. Sie sind die Träger der Staatsge-
walt, die zwischen ihnen geteilt ist. Ihre Rechte legt die Verfassung je für
sich und abschliessend fest.
Diese zweigeteilte Staatsgewalt kennzeichnet das dualistische Staats-
und Verfassungssystem, wie es in den beiden Staatsorganen, Fürst und
Volk, zum Ausdruck kommt. Geht man von diesem Dualismus aus, wie
ihn die Verfassung festschreibt, kann sich das Volk als der andere Teil der
Staatsgewalt bzw. als das andere Staatsorgan nicht an die Stelle des Lan-
desfürsten setzen, wie sich auch der Landesfürst nicht an die Stelle des Vol-
kes setzen kann. Beide können nur die Rechte in Anspruch nehmen, die
ihnen die Verfassung zuweist bzw. die zu ihrem verfassungsrechtlichen
Zuständigkeitsbereich gehören. Die Kompetenzordnung ist einzuhalten.
Der Landesfürst übt «sein» Recht an der Staatsgewalt?®® auf andere
Weise aus als das Volk. Dieses nimmt an der Staatswillensbildung des
Landesfürsten nicht teil, der gemäss Verfassung ein eigenes Verfassungs-
initiativrecht sowie ein Gesetzesinitiativrecht in der Form von Regie-
rungsvorlagen hat.?6
359 So die Formulierung in Art. 7 Abs. 1 LV.
360 Siehe Art. 112 Abs. 2 und Art. 64 Abs. 1 Bst. a LV und dazu Gerard Batliner, Ein-
führung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 70; Hilmar Hoch, Verfassung-
und Gesetzgebung, S. 211. Siehe auch vorne S. 369 ff.
449
Volk und Landesfürst
Das Volk seinerseits wirkt an der Staatswillensbildung über die «Volks-
rechte» mit, d. h. über die politischen Rechte, die dem einzelnen Stimm-
berechtigten als Teil des Staatsorgans Volk die Teilnahme an der Aus-
übung der Staatsgewalt gewährleisten.?! Zu diesen politischen Rechten
zählen neben dem aktiven und passiven Wahlrecht vor allem das Stimm-
recht zur Stellung eines Initiativbegehrens betreffend die Verfassung
oder ein Gesetz, das Stimmrecht betreffend die Einberufung des Land-
tages, das Stimmrecht zur Stellung eines Referendumsbegehrens betref-
fend die Verfassung oder Gesetze oder Finanzbeschlüsse, das Stimm-
recht zur Stellung eines Referendumsbegehrens betreffend Zustim-
mungsbeschlüsse des Landtags zu Staatsverträgen.
II. Landesfürst und Volk als Mitgesetzgeber
Landesfürst und Volk bzw. Landtag als eigenständige Staatsorgane bil-
den zusammen den Gesetzgeber. Als Mitgesetzgeber haben sie einen je
eigenen Zuständigkeitsbereich und üben dementsprechend ihre verfas-
sungsmässigen Organfunktionen aus. Der Einwand, der Landesfürst
könne als Privatperson an Volksabstimmungen teilnehmen bzw. die
politischen Volksrechte ausüben,?® ist nicht zutreffend. Es handelt sich
bei ihnen um Organrechte des Volkes, um jene Bewirkungsrechte, die
den Stimmberechtigten Einfluss auf die Staatswillensbildung bzw.
361 Vgl. Wolfram Höfling, Demokratische Grundrechte, S. 498.
362 So BuA Nr. 88/2002 der Regierung vom 1. Oktober 2002, 5. 4 ff.; vgl. auch Günt-
her Winkler, Verfassungsreform, S. 6. Er stellt auf die Unterschriftszeichnung ab
und billigt dem Landesfürsten ein Initiativrecht zu, weil er nicht als Landesfürst
bzw. Staatsorgan die Verfassungsinitiative unterschrieben hat. Demnach sei er nicht
als solcher aufgetreten. Er habe sich nicht als Landesfürst bezeichnet, sodass er zu
erkennen gegeben habe, dass er die Anmeldung der Verfassungsinitiative nicht in
der Funktion als Staatsoberhaupt vornehmen will. Die «Anmeldung einer Volks-
initiative> vom 2. August 2002 war einerseits von «Hans-Adam II. Fürst von Liech-
tenstein» und anderseits von «Alois Erbprinz von Liechtenstein» unterzeichnet.
Auf die Unterschriftszeichnung kommt es aber nicht an. Sie sagt über die Stellung
der Person des Landesfürsten nichts aus. In der Praxis zeichnet der Landesfürst die
Gesetze lediglich als «Hans-Adam», ohne den Zusatz «Landesfürst» oder «Fürst».
Es steht wohl ausser Zweifel, dass er einem Gesetz nur in der Funktion als Staats-
oberhaupt die Sanktion erteilen kann. Siehe Art. 65 Abs. 1 LV.
450
Landesfürst und Volksrechte
Befugnisse der Mitwirkung an der Staatswillensbildung einräumen,? an
denen der Landesfürst in seiner Funktion als Staatsoberhaupt und Mit-
gesetzgeber nicht teilhat bzw. mitwirkt.?* Solange der Landesfürst die
zum Volk «komplementäre Staatsgewalt» innehat, ruhen die politischen
Volksrechte bzw. das Stimm- und Wahlrecht.
III. Person und Amt des Landesfürsten
Als Person im Rechtssinne vermag der Fürst zwar jederzeit wie ein
anderer Landesbürger auch privatrechtliche Rechte und Pflichten zu
begründen. Er ist aber in Hinsicht auf die politischen Rechte anders als
ein stimm- und wahlberechtigter Bürger gestellt und zu behandeln.
Wäre er stimm- und wahlberechtigt, könnte er beispielsweise in den
Landtag gewählt oder zum Regierungsmitglied bestellt werden. Ein
stimm- und wahlberechtigter Landesbürger kann zwar als Mitglied der
Regierung auch nicht gleichzeitig dem Landtag angehören. Er kann aber
zum Landtag kandidieren. Wird er gewählt, hat er sich für das eine oder
andere Amt zu entscheiden. Der Fürst könnte aber an einer Landtags-
wahl nur teilnehmen, wenn er (vorgängig) auf sein Amt bzw. auf den
«Thron» verzichtet. Aufgrund der dynastischen Erbfolge bleibt mit der
Person des Fürsten im Unterschied zu anderen Amtsträgern, bei denen
es sich um Zivilpersonen handelt, stets der Rechtsstatus des Landesfürs-
ten bzw. der «Thron» verbunden.?® Unter der Konstitutionellen Verfas-
363 Vgl. Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 813 Rz. 46; siehe auch vorne S. 396 ff.
364 Vgl. das Votum des Abgeordneten Peter Sprenger in der Landtagssitzung vom
24. Oktober 2002, Landtagsprotokolle 2002 Bd. IT, S. 1614 f. Dort führt er aus: «Der
Fürst übt damit sein Recht an der Staatsgewalt aus, wie es in Art. 7 Abs. 1 der Ver-
fassung heisst, und das Volk das seinige. Der jeweils andere Teil nimmt an der Wil-
lensbildung des anderen Organs nicht teil. Mit anderen Worten: Das Volk nimmt an
der Willensbildung des Landesfürsten nicht teil und vice versa. Für mich ist daher
klar, dass der Fürst seine eigenen politischen Rechte hat. Er nimmt eben systembe-
dingt auf andere Weise als das Volk an der Staatswillensbildung teil.» Zur Proble-
matik von Fürst und Volksrechte siehe auch Luc Heuschling, Le citoyen monarque,
S. 172 ff., der sich kritisch zur Verfassungspraxis äussert.
365 Dies gilt auch für den vom Landesfürsten gemäss Art. 13bis LV berufenen Stellver-
treter, der mit der Ausübung der dem Landesfürsten zustehenden Hoheitsrechte,
namentlich der Sanktion von Gesetzen, betraut worden ist.
366 Art. 12 und 13 HG.
451
Volk und Landesfürst
sung von 1862 und in deren Diktion hätte dies noch geheissen, dass der
jeweilige Amtsinhaber für die Dauer seines Lebens zur Herrschaft beru-
fen ist, was als ein spezifisches Erfordernis der Erbmonarchie angesehen
worden ist.?7
$23 VOLKSRECHTE ALS GRUNDRECHTE
I. Problemstellung
Die Verfassung von 1921 hält an der Grundstruktur des konstitutionell-
monarchischen Staates der Konstitutionellen Verfassung von 1862 fest
und ergänzt sie gleichzeitig um Volksrechte, die direktdemokratisch aus-
gestaltet sind. Diese können sich jedoch nur im Rahmen des Sanktions-
rechts des Landesfürsten entfalten, dem sie letztlich unterstehen? und
das schon bisher in der konstitutionellen Monarchie eine zentrale Rolle
gespielt hat.?
Dass es sich bei den Volksrechten um organschaftliche Rechte oder
Organkompetenzen handelt, dürfte nicht streitig sein. Wenn sie aber der
Staatsgerichtshof auch als verfassungsmässig gewährleistete bzw. als sub-
jektive Grundrechte qualifiziert,” stellt sich die Frage, ob diese Aussage
367 Vgl. Volker Sellin, Gewalt und Legitimität, S. 84.
368 Man kann daher nur in einem bestimmten Sinne und nicht generell von einer demo-
kratischen Ordnung sprechen. Bernhard Ehrenzeller/Rafael Brägger, Politische
Rechte, S. 683 Rz. 103 weisen zu Recht darauf hin, dass die politischen Rechte in
Liechtenstein im Gegensatz zur Schweiz «nicht den eigentlichen Grundpfeiler des
Systems» darstellen, sondern «das Gegenstück zum monarchischen Element» bilden.
369 Das Gesetzgebungsrecht lag in der konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhun-
derts und auch nach der Konstitutionellen Verfassung von 1862 beim Landesfürsten
als Inhaber der Staatsgewalt. Die sogenannte Sanktion, d. h. die Erteilung des
Gesetzgebungsbefehls oblag ihm, wodurch ihm zudem sachlich das Vetorecht
zustand. So Werner Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus, S. 370
Fn. 43 unter Bezugnahme auf Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsge-
schichte, Bd. I, S. 347. Vgl. auch Yvo Hangartner/ Andreas Kley, Die demokrati-
schen Rechte, S. 148 f. Rz. 349.
370 Vgl. für die Schweiz Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 184
Rz. 5. Er hält dort fest: «Die politischen Rechte des Einzelnen haben die Qualitäten
von Grundrechten oder — zusammengefasst — eines Grundrechts. Es ist das elemen-
tare Recht auf Teilhabe und Teilnahme am Staate, die als Freiheit zum Staat auftritt.»
452
Volksrechte als Grundrechte
unter dem Aspekt des Sanktionsrechts als Vetorecht des Landesfürsten
zutrifft.?! Der Staatsgerichtshof unterstreicht zwar die grosse Bedeu-
tung der politischen Rechte für die Verfassungsrechtsordnung Liechten-
steins,”? wonach sie im Zweifelsfall so auszulegen sind, dass der «demo-
kratische Grundcharakter» gewahrt bleibt.” Die politischen Rechte,
beispielsweise ein Initiativ- oder Referendumsbegehren im Gesetzge-
bungsbereich, das die Mehrheit der Stimmberechtigten in einer Volksab-
stimmung angenommen hat, können aber im Falle der Verweigerung der
Sanktion durch den Landesfürsten, nicht wie dies bei den Grundrechten
der Fall ist, verfassungsgerichtlich durchgesetzt werden. Die Verweige-
rung oder Unterlassung”* der Sanktion gilt als absolutes Veto,?”5 das auf
verfassungsmässigem Wege nicht beseitigt werden kann.?®
II. Systembedingte Eingrenzung der Volksrechte
Die politischen Rechte haben in der konstitutionellen Monarchie sys-
tembedingt nicht das gleiche Gewicht und die gleiche Bedeutung wie in
einer Demokratie oder Republik, in der alle staatliche Gewalt vom Volk
371 In StGH 1978/4, Entscheidung vom 12. Juni 1978, LES 1981, 5. 1 f. (2 Erw. I1/2)
zählt der Staatsgerichtshof die politischen Rechte zu den «verfassungsmässig ge-
währleisteten Rechte(n)», sodass ihre Geltendmachung, «sofern eine anfechtbare
Entscheidung ergangen ist, im Verfahren nach Art. 23 des Staatsgerichtshof-Geset-
zes» (heute: Art. 15 Abs. 1 StGHG) erfolgen kann.
372 Die politischen Rechte umfassen jene Rechte, die den Berechtigten Einfluss auf die
Staatswillensbildung bzw. Befugnisse der Mitwirkung an der Staatswillensbildung
einräumen. So StGH 1984/2, Urteil vom 30. April 1984, LES 3/1985, S. 65
(68 Erw. 5); Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 55.
373 StGH 1986/10, Gutachten vom 6. März 1987, LES 4/1987, S. 148 (152) unter Bezug-
nahme auf Art. 2 LV.
374 Nach Art. 65 Abs. 1 LV gilt eine Sanktion des Landesfürsten auch dann als verwei-
gert, wenn sie nicht innerhalb von sechs Monaten erfolgt.
375 Vgl. Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 158 mit Literaturhinweisen; Bern-
hard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 666 Rz. 60 und 61 mit Lite-
raturhinweisen. Unter Bezugnahme auf Gerard Batliner, Die Sanktion der Gesetze,
S. 134 und 138 sind sie allerdings der Auffassung, dass eine Sanktionsverweigerung
wohl nur in Betracht kommen könnte, wenn durch einen Volksentscheid verfah-
rensrechtliche oder materielle rechtsstaatliche Grundsätze in krasser Weise verletzt
würden. Andernfalls sei der Volksentscheid auch für den Fürsten «verbindlich».
376 Siehe auch vorne S. 376.
453
Volk und Landesfürst
ausgeht, also letztlich allein die Stimme des Volkes bzw. der stimmbe-
rechtigten Personen zählt. So ist das von der Verfassung garantierte
Stimmrecht, das dem Einzelnen einen Anspruch einräumt, mit seiner
Stimmrechtsentscheidung Einfluss auf die politische Willensbildung
nehmen und etwas bewirken zu können, in einem begrenzten Sinne zu
verstehen. Dieser materielle Gewährleistungsgehalt ist eingeschränkt
bzw. nicht gegeben, wenn die stimmberechtigten Personen politische
Entscheidungen nicht mehr vorbehaltlos treffen können. Das Demokra-
tieprinzip hat so gesehen vor dem monarchischen Recht der Gesetzes-
sanktion zurückzustehen, sodass der demokratische Gehalt des Stimm-
rechts als verfassungsmässiges Grundrecht nicht voll zum Tragen kom-
men kann.
Die politischen Rechte sind nur insoweit als verfassungsmässig
gewährleistete Rechte zu betrachten, als die Stimmberechtigten sie im
Rahmen der Staatswillensbildung bzw. des Gesetzgebungsverfahrens
wahrnehmen bzw. von ihnen Gebrauch machen, und solange der Lan-
desfürst das Sanktionsrecht nicht als Vetorecht gegen sie einsetzt.” Sie
stehen mit anderen Worten unter dem Vorbehalt des fürstlichen Sank-
tionsrechts.
III. Unterschied zu einer demokratischen Staatsordnung
Die Volksabstimmung schliesst im Gegensatz zu einer demokratischen
Staatsordnung wie derjenigen der Schweiz nicht einen staatlichen Ent-
scheidungsprozess ab. Es hat nicht das Stimmvolk, sondern der Landes-
fürst das letzte Wort bzw. die Letztentscheidungskompetenz.?8 Sowohl
377 Aus diesem Grund setzte sich die Volksinititiative «Ja — damit deine Stimme zählt»
zum Ziel, dass Volksabstimmungen künftig «bindend» sein sollen und sah zu die-
sem Zweck in Art. 9 Abs. 3 LV vor: «Entscheidet in einer Volksabstimmung die ab-
solute Mehrheit der im ganzen Land gültig abgegebenen Stimmen für die Annahme
eines Gesetzes, tritt dieses ohne Sanktion des Landesfürsten in Kraft.» Siehe die In-
formation der Regierung zur Volksabstimmung vom 29. Juni und 1. Juli 2012 über
das Inititativbegehren zur Abänderung der Landesverfassung («Ja — damit deine
Stimme zählt»); im Internet abrufbar unter: <www.abstimmung.li>. Siehe auch
vorne S. 382 f.
378 Es geht daher zu weit, wenn der Staatsgerichtshof in StGH 1997/42, Urteil vom
18. Juni 1998, LES 2/1999, S. 89 (94 Erw. 2.3) oder in SIGH 1998/37, Urteil vom
454
Volksrechte als Grundrechte
Gesetzes- als auch Verfassungsänderungen bedürfen im Falle der
Annahme in einer Volksabstimmung zu ihrer Gültigkeit der Sanktion
des Landesfürsten.?”? Dies gilt auch für die Ratifikation von Staatsver-
trägen.?80
379
380
22. Februar 1999, LES 2/2001, S. 69 (71 Erw. 2.4) ohne Einschränkung von einer
«Referendumsdemokratie» spricht bzw. Liechtenstein für eine «Referendumsdemo-
kratie» hält.
Siehe Art. 9, 65 Abs. 1 und 112 Abs. 2 IV. Kritische Stimmen halten Art. 9 LV für
EMRK-widrig. Siehe Gerard Batliner, Diskussionsbeitrag, S. 72 Rz. 123 und die
dort zitierte Literatur.
Siehe Art. 8 Abs. 1 LV.
455
3. KAPITEL
DER LANDTAG
1. Abschnitt
Geschichtliche Grundlagen und Rechtsstellung
$24 GESCHICHTLICHE GRUNDLAGEN
I. Allgemeines
Die Entwicklung des modernen Parlamentarismus steht in einem unmit-
telbaren Zusammenhang mit den konstitutionellen Verfassungsbestre-
bungen. Sie haben 1862 zur Konstitutionellen Verfassung geführt, die
erstmals die Volksvertretung, den Landtag, an der gesetzgebenden
Gewalt beteiligt. Es darf, wie es in $ 24 Abs. 1 heisst, ohne seine Mit-
wirkung und Zustimmung kein Gesetz gegeben, aufgehoben, abgeändert
oder authentisch erklärt werden. Es steht ihm auch wie dem Landes-
fürsten das Recht zu, Gesetzesinitiativen zu ergreifen, d. h. Gesetzes-
vorschläge einzubringen.! Der Umfang dieser Befugnisse des Landtages
hängt demnach vom Begriff des Gesetzes und der Abgrenzung von
Gesetz und Verordnung ab.? Die Konstitutionelle Verfassung von 1862
enthält keine Regelung, aus der entsprechende Abgrenzungskriterien
entnommen werden könnten.?
1 Siehe $ 41 KV 1862 und vorne S. 104.
2 Vgl. vorne S. 115 ff. und Ernst-Wolfgang Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende
Gewalt, 5. 78.
3 Cyrus Beck, Rechtsstaatliche Elemente, S. 200 verweist auf die Formel «Freiheit
und Eigentum», wonach ein Erlass, der in die persönliche Freiheit oder das Eigen-
tum des Bürgers eingriff, in Gesetzesform ergehen musste, und auf die Gesetzes-
vorbehalte, die die Konstitutionelle Verfassung 1862 in wichtigen Materien kannte.
Vgl. auch ders., Der Vorbehalt des Gesetzes der liechtensteinischen konstitutionel-
len Verfassung von 1862, S. 109 und 123 und vorne S. 117 ff.
459
Geschichtliche Grundlagen und Rechtsstellung
II. Verfassungsvergleich
1. Selbständigkeit des Landtages - Geschäftsordnungsautonomie
Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 lässt noch keine Geschäfts-
ordnungsautonomie zu. Der Landtag kann im Gegensatz zum Verfas-
sungsentwurf des ständischen Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848,
nach dessen $ 77 «(sich) der Landrat die Geschäftsordnung» bestimmt,
die Angelegenheiten seiner Geschäftsordnung nicht selbständig regeln.
Die Geschäftsordnung wurde von der fürstlichen Regierung ausgearbei-
tet und vom Landesfürsten genehmigt.“ Sie kann nur «im Wege der
Gesetzgebung abgeändert oder erläutert werden», d. h. mit Zustimmung
des Landesfürsten.5
Der Landtag ist in dieser Hinsicht vom Landesfürsten und seiner
Regierung nicht unabhängig. Erst die Verfassung von 1921 gesteht ihm
in Art. 60 zu, seine Geschäftsordnung selber festzulegen und seine
Organe selber zu bestellen. Auch die Wahl des Präsidenten des Landta-
ges und seines Stellvertreters unterliegt noch der Bestätigung durch den
Landesfürsten.®
2. Immunitäts- bzw. Indemnitätsschutz
Sichert der Verfassungsentwurf des ständischen Verfassungsrates vom
1. Oktober 1848 den Mitgliedern des Landrates zu, dass ihnen in ihrer
parlamentarischen Tätigkeit aus inhaltlicher Sicht von keiner Seite Wei-
sungen erteilt und sie wegen ihrer Abstimmungen ım Landrat nicht zur
Verantwortung gezogen werden durften,’ ist davon weder in der Kon-
stitutionellen Verfassung von 1862 noch in der Geschäftsordnung des
Landtages die Rede.® Verfassungsmässig geregelt ist lediglich der Fall der
Verhaftung eines Mitglieds des Landtages «während der Dauer der Sit-
4 Vgl. vorne S. 107.
5 So $ 91 Geschäftsordnung für den Landtag, LGBl. 1863 Nr. 1; siehe dagegen die
Geschäftsordnung des Landtages, LGBl. 1997 Nr. 61 i. d. F. LGBl. 2008 Nr. 299.
6 Siehe $ 97 KV 1862.
Siehe $ 89 Verfassungsentwurf des ständischen Verfassungsrates von 1848.
8 Siehe vorne S. 107.
N
460
Geschichtliche Grundlagen
zung», die ohne Einwilligung des Landtages nicht erfolgen darf.? Es
schlägt insoweit das monarchische Prinzip durch, das der Konstitutio-
nellen Verfassung von 1862 zugrunde liegt.
Art. 57 Abs. 1 der Verfassung von 1921 garantiert demgegenüber
dem einzelnen Abgeordneten den besonderen (Indemnitäts-)Schutz für
seine Unabhängigkeit, wonach er niemals für seine Abstimmungen und
auch nicht für seine im Landtag und in Landtagskommissionen gemach-
ten Äusserungen gerichtlich belangt werden kann. !°
3. Selbstversammlungs- und Selbstauflösungsrecht
Ein Selbstversammlungs- und Auflösungsrecht des Landtages kennt die
Konstitutionelle Verfassung von 1862 nicht. Dieser Umstand ist charak-
teristisch «für die Schwebelage, in welcher sich die Entwicklung des Ver-
fassungsrechts in der Zeit des Konstitutionalismus befand».!! Das Recht
zur Einberufung und Auflösung wie auch zur Vertagung und Schlies-
sung des Landtages bleibt dem Landesfürsten vorbehalten.!? Es sind ihm
allerdings gewisse Schranken gesetzt. Die Gründe, die für eine Auflö-
sung und Vertagung sprechen, müssen «erheblich» sein und sind dem
versammelten Landtag mitzuteilen.!? Eine Vertagung darf nicht länger
als drei Monate dauern. Im Fall der Auflösung des Landtages müssen
innerhalb von vier Monaten eine neue Wahl angeordnet und die neu
gewählten Mitglieder des Landtages wieder einberufen werden. Diese
Frist gilt auch für die Wiedereinberufung des vertagten Landtages.!*
An dieser Regelung hält die geltende Verfassung von 1921 grund-
sätzlich fest, sieht aber von einem Vertagungstermin ab!5 und verkürzt
die Frist sowohl der Neuwahl, die binnen sechs Wochen nach der Land-
tagsauflösung zu erfolgen hat, als auch der Einberufung der neu gewähl-
9 Siehe $ 107 KV 1862.
10 Art. 57 Abs. 1 LV und dazu Gerard Batliner, Parlament, S. 44. Vgl. auch hinten im
Zusammenhang mit der Immunität, S. 475 ff.
11 Theodor Maunz/Hans H. Klein, Kommentar GG, Art. 39 Rz. 62.
12 Vgl. $$ 90 bis 94 KV 1862.
13 Siehe $ 90 KV 1862.
14 Siehe $ 93 KV 1862.
15 Siehe Art. 49 Abs. 3 LV 1921.
461
Geschichtliche Grundlagen und Rechtsstellung
ten Abgeordneten auf 14 Tage.!® Sie gesteht dem Landtag auch kein
Selbstversammlungs- und Selbstauflösungsrecht zu, erweitert aber aus
demokratischer Sicht den Kreis, der dazu berechtigt ist. Während es
unter der Konstitutionellen Verfassung von 1862 zum «ausschliesslichen
Vorrecht» des Landesfürsten gehörte, den Landtag einzuberufen und
aufzulösen, räumt Art. 48 Abs. 2 und 3 LV 1921 diese Möglichkeit den
Stimmbürgern und den Gemeinden ein. So ist der Landtag «über
begründetes, schriftliches Verlangen von wenigstens vierhundert!” wahl-
berechtigten Landesbürgern oder über Gemeindeversammlungsbe-
schluss von mindestens drei Gemeinden [...] einzuberufen». Unter den
gleichen Voraussetzungen «können 600!® wahlberechtigte Landesbürger
oder vier Gemeinden durch Gemeindeversammlungsbeschlüsse eine
Volksabstimmung über die Auflösung des Landtages verlangen».
$25 WAHL ZUM LANDTAG
I. Mandatsdauer
Die den Volksvertretern anvertraute Herrschaft bedarf nach demokrati-
schem Verständnis in regelmässigen Zeitabständen erneuter Legitima-
tion. Aus diesem Grund wird der Landtag auf bestimmte Zeit gewählt,
die Mandatsdauer oder Legislaturperiode genannt wird.!? Diese beträgt
grundsätzlich vier Jahre? findet aber ein vorzeitiges Ende, wenn der
Landtag aufgelöst wird.?! Die ordentlichen Landtagswahlen finden
jeweils im Februar oder März jenes Kalenderjahres statt, in welches das
Ende des vierten Jahres fällt.22
16 Siehe Art. 50 LV 1921.
17 In der derzeit geltenden Fassung: 1000 wahlberechtigte Landesbürger.
18 In der derzeit geltenden Fassung: 1500 wahlberechtigte Landesbürger.
19 Siehe hinten S. 481.
20 Es ist in diesem Zusammenhang auch von einem System der «festen Legislatur-
periode» die Rede. Vgl. Ulrich Häfelin/ Walter Haller/Helen Keller, Schweizeri-
sches Bundesstaatsrecht, S. 483 Rz. 1486.
21 Vgl. Gerard Batliner, Parlament, S. 99 und Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 106.
22 Siehe Art. 47 LV.
462
Wahl zum Landtag
II. Wahlsystem und Wahlbezirke
Art. 46 Abs. 1 LV schreibt vor, dass der Landtag, der 25 Abgeordnete
zählt, vom Volke im Wege des allgemeinen, gleichen, geheimen und
direkten? Stimmrechtes nach dem Verhältniswahlsystem? gewählt wird,
wonach die zu vergebenden Mandate nach dem Verhältnis der Stimmen
auf die verschiedenen Wählergruppen (Parteien) verteilt werden. Der
Begriff «Volk» bedeutet hier die Gesamtheit der Stimmberechtigten. Das
Gesetz vom 17. Juli 1973 über die Ausübung der politischen Volks-
rechte? legt sich auf den Kandidatenproporz? fest.
Das Oberland und das Unterland bilden je einen Wahlbezirk,?®
wonach von den 25 Abgeordneten 15 auf das Oberland und 10 auf das
23 Geändert durch LGBl. 1988 Nr. 11; zur Abgeordnetenzahl siehe Herbert Wille,
Landtag und Wahlrecht, S. 142 ff.; Gerard Batliner, Parlament, S. 46 ff. und zur Än-
derung der Abgeordnetenzahl 1988 siehe den Initiativantrag der beiden Landtags-
fraktionen betreffend die Abänderung von Art. 46 Abs. 1 und 2 der Verfassung
(Mandatszahlerhöhung und Reduktion der Zahl der stellvertretenden Abgeordne-
ten), in: Landtagssitzung vom 20. Oktober 1987, Landtagsprotokolle 1987, Bd. III,
S. 813 ff. samt Text des Gesetzesvorschlages vom 29. September 1987 zum Verfas-
sungsgesetz in der Beilage, der in der Volksabstimmung vom 22./24. Januar 1988 an-
genommen wurde. Siehe BuA Nr. 1/1988 der Regierung vom 26. Januar 1988.
24 Die Abänderung der Wahlordnung der Konstitutionellen Verfassung von 1862,
nach der die Landtagsabgeordneten (mit Ausnahme der fürstlichen Abgeordneten)
durch indirekte Wahl über Wahlmänner bestimmt werden ($ 56), erfolgt durch
Gesetz vom 21. Jänner 1918. Vgl. Herbert Wille, Landtag und Wahlrecht, 5. 61 ff.
25 Siehe Verfassungsgesetz vom 18. Januar 1939, LGBl. 1939 Nr. 3. Zur Einführung des
Verhältniswahlrechts siehe Herbert Wille, Landtag und Wahlrecht, S. 67, 163 ff. und
178 ff. und Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 106 ff. Schon in den Schloss-
abmachungen vom September 1920 ist das Verhältniswahlrecht ein Thema. Es heisst
in Ziffer 6: «Bei Abänderung der Landtagswahlordnung ist das Proportionalwahl-
recht einzuführen und die Zahl der Abgeordneten im Verhältnis zur Bevölkerungs-
zahl festzulegen. Die Grundsätze des Proportionalwahlrechtes sind sinngemäss
auch dann anzuwenden, wenn der Landtag im Wege der Wahl Kommissionen oder
Behörden zu beschicken hat.» Vgl. Rupert Quaderer, Der historische Hintergrund
der Verfassungsdiskussion, S. 129 f.
26 LGBl. 1973 Nr. 50.
27 Vgl. Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 111 und vorne S. 403 Fn. 88.
28 Zur Entstehung der Wahlbezirke siehe Herbert Wille, Landtag und Wahlrecht, S. 67
und 163 ff. Das Volksrechtegesetz spricht von «Wahlkreisen». Siehe etwa Art. 36, 39
Abs. 1, 44, 51 Abs. 2, 54, 64 Abs. 1, 66 Abs. 3 VRG und auch vorne 5. 403 f.
463
Geschichtliche Grundlagen und Rechtsstellung
Unterland entfallen.?? Die Wahl erfolgt nach diesen zwei Wahlbezirken,
wobei nur solche Wählergruppen an der Mandatsverteilung teilnehmen,
«die wenigstens 8 Prozent? der im ganzen Land abgegebenen gültigen
Stimmen erreicht haben».3!
III. Wählbarkeit
Unter Wählbarkeit versteht man die Voraussetzungen, die erfüllt sein
müssen, damit eine Person gültig gewählt werden kann. Fehlt es an die-
sen Voraussetzungen, so kommt von vornherein keine gültige Wahl
zustande.?
Als Mitglieder des Landtages sind alle Landesangehörigen wählbar,
die das 18. Lebensjahr vollendet, seit einem Monat vor der Wahl ordent-
lichen Wohnsitz im Lande haben, im Stimmregister eingetragen? und
nicht vom Wahl- und Stimmrecht ausgeschlossen sind. Vom Wahl- und
Stimmrecht ausgeschlossen ist, wer kraft Gesetzes oder gerichtlicher
rechtskräftiger Verurteilung im Stimmrecht eingestellt ist und wer in
Bezug auf Wahlen und Abstimmungen urteilsunfähig ist, soweit der
Ausschluss vom Stimmrecht gerichtlich angeordnet ist.»
29 Siehe Art. 46 Abs. 2 LV. Zur Wohnsitzfrage der Mitglieder des Landtages und zu ih-
rer Wahl in Wahlbezirken und ihrer Repräsentation des gesamten Volkes siehe Pe-
ter Pernthaler, Gutachtliche Stellungnahme zur Wohnsitzfrage, S. 2 ff. und ders.,
Rechtsgutachten Wahlkreis, 5. 8 ff.
30 Zur Sperrklausel bzw. zur Herabsetzung der Sperrklausel auf fünf Prozent siehe
BuA Nr. 1996/29 der Regierung vom 5. März 1996 und Wilfried Marxer, Wahlver-
halten und Wahlmotive, S. 64 und 67; Martin Batliner, Poltische Volksrechte,
S. 92 ff.; Roger Beck, Landtag, S. 68 ff. und auch vorne S. 408.
31 Siehe Art. 46 Abs. 3 LV.
32 Pierre Tschannen, Staatsrecht, S. 410 f. Rz. 9 und 10.
33 Siehe Art. 14 und 30 Abs. 3 VRG.
34 Siehe Art. 1 Abs. 1 VRG.
35 Siehe Art. 2 VRG und dazu BuA Nr. 66/2012 der Regierung vom 29. Mai 2012,
S. 43 ff. sowie BuA Nr. 105/2012 der Regierung vom 28. August 2012, 5. 15 f.
464
Wahl zum Landtag
IV. Wahlverfahren®®
1. Wahlvorschläge
Wer kandidieren will, muss sich förmlich vorschlagen lassen.?” Die
Wahlvorschläge, die gesondert nach den beiden Wahlkreisen zu erstellen
sind und namentlich gekennzeichnet sein müssen, sind bei der Regierung
schriftlich einzureichen, nachdem diese den Wahltermin öffentlich
bekannt gemacht hat. Die nominierten Personen müssen wählbar sein
und schriftlich erklären, dass sie die Kandidatur annehmen.?? Sie dürfen
nur in einem Wahlvorschlag aufscheinen, der von dreissig stimmberech-
tigten Personen des jeweiligen Wahlkreises unterzeichnet ist. Die von
der Regierung bereinigten Wahlvorschläge heissen Wahllisten, die sie in
den amtlichen Kundmachungsorganen veröffentlicht.“ Bei der Wahl fin-
den nur amtliche Stimmzettel Anwendung. An ihrem «Kopf» steht der
Name der Wählergruppe. Sie enthalten die Kandidaten in der von den
einzelnen Wählergruppen eingereichten Reihenfolge. Stimmzettel, die
nicht amtlich sind, sind ungültig.“
2. Wahlakt
Der Wähler kann den Wahlzettel mit der von ihm bevorzugten Wahlliste
unverändert einlegen, sodass diese Wählergruppe die volle Zahl der Lis-
tenstimmen erhält. Streicht er Kandidaten oder Kandidatinnen durch,
so gelten die fehlenden Kandidatenstimmen als Zusatzstimmen der
betreffenden Wählergruppe.* Ersetzt er jedoch die durchgestrichenen
Kandidaten oder Kandidatinnen durch solche einer anderen Wähler-
36 Siehe Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 116 ff.; Wilfried Marxer, Wahlver-
halten und Wahlmotive, S. 58 und Arno Waschkuhn, Politisches System Liechten-
steins, S. 309 ff.
37 Vgl. Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 116 ff.
38 Siehe Art. 36 und 37 VRG.
39 Siehe Art. 43 VRG.
40 Siehe Art. 47 VRG.
41 Siehe Art. 48 Abs. 1 und 52 Bst.a VRG.
42 Siehe Art. 51 Abs. 2 VRG.
465
Geschichtliche Grundlagen und Rechtsstellung
gruppe,* so gehen diese Kandidatenstimmen der Wählergruppe, die auf
dem Stimmzettel genannt ist, verloren und zählen für die andere Wäh-
lergruppe.
3. Ermittlung des Wahlergebnisses und der gewählten Kandidaten
An der Zuteilung der Mandate nehmen nur diejenigen Wählergruppen
teil, die acht Prozent der im ganzen Land abgegebenen gültigen Stimmen
erreicht haben. Die Stimmen, die auf Wählergruppen entfallen, die diese
Prozentzahl nicht realisieren, werden vom Gesamtergebnis aller in einem
Wahlkreis gültig abgegeben Kandidaten- und Zusatzstimmen abgezogen.
Darauf folgt die Grundmandatsverteilung. Es wird die Wahlzahl errech-
net, die sich nach dem System von Eduard Hagenbach-Bischoff richtet,
wonach die verbleibende Stimmenzahl durch die um eins vermehrte Zahl
der zu wählenden Abgeordneten geteilt und das Teilungsergebnis in je-
dem Fall auf die nächstfolgende ganze Zahl erhöht wird. Jeder Wähler-
gruppe werden so viele Grundmandate zugeteilt, als die Wahlzahl in der
Zahl der für die jeweilige Wählergruppe abgegebenen Kandidaten- und
Zusatzstimmen enthalten ist.“ Sind danach nicht alle in einem Wahlkreis
zu vergebenden Mandate zugewiesen, findet nach dem Victor d’Hondt-
schen Höchstzahlverfahren eine Restmandatsverteilung statt.“
Innerhalb der einer Wählergruppe zugeteilten Mandate gelten die-
jenigen Kandidaten und Kandidatinnen als gewählt, die am meisten
Stimmen erhalten haben.“ Ebenso sind von den in der Wahlliste einer
Wählergruppe aufgeführten Kandidaten und Kandidatinnen, die nicht
43 Diese Art der Stimmabgabe nennt man auch «panaschieren». Vgl. Martin Batliner, Poli-
tische Volksrechte, S.121; Arno Waschkuhn, Politisches System Liechtensteins, S. 311 f.
44 Eingehender zum Wahlakt Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 119 ff. und
Wilfried Marxer, Wahlverhalten und Wahlmotive, S. 60 ff; Arno Waschkuhn, Poli-
tisches System Liechtensteins, S. 311 f.
45 Siehe Art. 55 VRG; Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 122 f.; Wilfried Mar-
xer, Wahlverhalten und Wahlmotive, S. 64 f.; Arno Waschkuhn, Politisches System
Liechtensteins, S. 310.
46 Siehe Art. 56 VRG; Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 115 f. und BuA der
Regierung vom 6. Mai 1968 zu einer Gesetzesvorlage betreffend die Ausübung der
politischen Volksrechte in Landesangelegenheiten, S. 8 f., in: Landtagsprotokolle
1968 Bd. I (Beilagen zur öffentlichen Landtagssitzung vom 19. Juni 1968).
47 Siehe Art. 57 VRG.
466
Rechtsstellung des Landtages
gewählt wurden, diejenigen zu stellvertretenden Abgeordneten zu erklä-
ren, die am meisten Stimmen erlangt haben.“®
V. Wahlprüfung
Der Landtag prüft nach einer Neuwahl in seiner ersten Sitzung die Gül-
tigkeit der Wahl seiner Mitglieder und der Wahl als solcher. Grundlage
dieser Prüfung bilden die Wahlprotokolle und etwaige Entscheidungen
des Staatsgerichtshofes.“®
Die Regierung hat von Amtes wegen den gesamten Wahlvorgang
einer Kontrolle zu unterziehen, auch wenn keine Wahlbeschwerde vor-
liegt. Allfällige Nichtigkeitsgründe zeigt sie dem Staatsgerichtshof an.
Stellt dieser fest, dass einem gewählten Abgeordneten die gesetzlichen
Eigenschaften fehlen, erklärt er dessen Wahl als nichtig. Ist die Wahl als
ganze nichtig, ordnet die Regierung unverzüglich für den betreffenden
Wahlkreis eine neue Wahl an.
Lag die Entscheidung über die Gültigkeit der Wahlen seiner Mit-
glieder ursprünglich beim Landtag, ist sie nach einer Wahlanfechtung im
Jahre 1958 in die Zuständigkeit des Staatsgerichtshofes gelegt worden.!
$26 RECHTSSTELLUNG DES LANDTAGES
I. Landtag als Volksvertreter
1. Allgemeines
Der Landtag ist das «gesetzmässige Organ der Gesamtheit der Landes-
angehörigen»."? Es handelt sich bei ihm um ein kollegial zusammenge-
setztes Organ, das unmittelbar auf der Verfassung beruht und dessen
48 Siehe Art. 60 VRG und Art. 46 Abs. 2 LV.
49 Siehe Art. 59 LV und Art. 64 ff. VRG i. V. m. Art. 27 SIGHG.
50 Siehe Art. 66 Abs. 1 und 3 VRG.
51 Vgl. Art. 59 LV 1921 in seiner durch LGBl. 1958 Nr. 1 geänderten Fassung; vgl. auch
Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 200 Fn. 11.
52 Siehe Art. 45 Abs. 1 LV.
467
Geschichtliche Grundlagen und Rechtsstellung
Abgeordnete unmittelbar vom Volk gewählt werden. Es besteht aus 25
«gleichberechtigten» Mitgliedern,®* die ihr Mandat teilzeitlich bzw. als
«Milizparlamentarier» wahrnehmen.” Auch wenn in Anlehnung an $ 39
KV 1862, aus der der Wortlaut übernommen worden ist, von Landesan-
gehörigen gesprochen wird, ist der Landtag der Vertreter bzw. der
Repräsentant des ganzen Volkes. Dies geht schon daraus hervor, dass der
Landtag als solcher «berufen» ist, die «Rechte und Interessen des Volkes
im Verhältnis zur Regierung wahrzunehmen und geltend zu machen»,
wobei unter dem Begriff der «Regierung» aus systematischen Gründen
der Landesfürst zu verstehen ist, wie dies schon bisher in $ 39 KV 1862
der Fall gewesen ist.
2. Funktion der Repräsentation
Nach allgemeiner Auffassung stellt die Wahl durch das Volk die Volksre-
präsentation her, selbst wenn der Wahlkörper nicht vollends identisch
mit dem repräsentativen Ganzen ist. So steht der Landtag für die ge-
samte Bevölkerung,” auch wenn die Abgeordneten ihr Mandat nur aus
dem Kreis der wahlberechtigten Personen erhalten, dem sie selber ange-
hören müssen, wenn sie sich zur Wahl stellen wollen. Die Abgeordne-
53 Siehe Art. 46 Abs. 1 LV.
54 Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 100.
55 Vgl. Gerard Batliner, Parlament, S. 73 ff. Er versteht unter einem Milizparlamenta-
rier einen Abgeordneten, der seine parlamentarischen Tätigkeiten neben seinem
Hauptberuf ausübt. Vgl. auch Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle
über die Regierung, S. 58 ff.; Pierre Tschannen, Staatsrecht, S. 406 Rz. 17.
56 Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 252 Rz. 2; vgl. auch Martin
Batliner, Politische Volksrechte, S. 55.
57 So verstehen auch Martin Morlock/Ewgenij Sokolov, Beobachtung von Abgeord-
neten, S. 407 für das deutsche Recht die Volksvertretung als «Gesamtrepräsenta-
tion», die von der Gesamtheit der Abgeordneten gebildet wird, sodass der einzelne
Abgeordnete weder Vertreter der Bürger seines Wahlkreises noch Vertreter des gan-
zen Volkes ist. Sie können in dieser Sichtweise keine Schmälerung der Bedeutung
des einzelnen Abgeordneten erkennen. Ist er nämlich «an der Ausübung seines
freien Mandats (unrechtmässig) gehindert, hat das Auswirkungen auf die Willens-
bildung des Parlaments, dessen Funktion als Volksvertretung und damit auf den
Demokratieprozess im Ganzen.»
58 Siehe Art. 46 Abs. 1 LVi. V.m. Art. 1 Abs. 1 VRG; vgl. auch Pierre Tschannen, Staats-
recht, S. 408 Rz. 2.
468
Rechtsstellung des Landtages
ten repräsentieren auch nicht nur diejenigen stimmberechtigten Personen
oder «Wählergruppen» bzw. politische Parteien, die sie zur Wahl vorge-
schlagen haben. Der in der Wahlkompetenz und im Wahlvorgang ge-
schaffene Volksbezug begründet die Repräsentation, die begrifflich als
«rechtlich autorisierte selbständige Ausübung von Herrschaftsfunktio-
nen, im Namen des Volkes, durch Wahl legitimiert durch das Volk und,
ohne bindende Aufträge, im Gesamtinteresse des Volkes» erfasst wird.“
Dabei kann davon ausgegangen werden, dass bei der befristeten, kurzen
Amtsdauer von vier Jahren*®! der Repräsentationszustand während der
ganzen Amtsdauer anhält, «auch wenn faktisch erhebliche Divergenzen
zwischen dem Volk und dem Gewählten auftreten und irgendwie mess-
bar sein sollten», was aber in der Regel nicht der Fall sein dürfte.®
Der Repräsentationsfunktion des Landtages eigen ist, dass er in sei-
ner parlamentarischen Tätigkeit unabhängig von Gruppeninteressen ist,
wie dies auch dem repräsentativen Status des Abgeordneten entspricht.
Dieser verpflichtet sich und hat zu schwören, «in dem Landtage das
Wohl des Vaterlandes ohne Nebenrücksichten nach bestem Wissen und
Gewissen zu fördern».® Sein Abstimmungsverhalten hat sich einzig
nach seinem Eid und seiner Überzeugung zu richten.“ Die Unabhän-
gigkeit des Abgeordneten schützt die sogenannte parlamentarische
Immunität bzw. Indemnität. Er kann für Abstimmungen niemals und
auch nicht für seine in den Sitzungen des Landtages oder seiner Kom-
missionen gemachten Äusserungen gerichtlich belangt werden.® Der
59 Siehe für die Landtagswahlen Art. 37 Abs. 2, 38 und 40 VRG; vgl. auch Kurt Ei-
chenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 252 Rz. 4.
60 Gerard Batliner, Parlament, S. 39 unter Bezugnahme auf Ernst Fraenkel, Die reprä-
sentative und plebiszitäre Komponente, S. 5.
61 Nach Art. 47 Abs. 1 LV beträgt die Mandatsdauer zum Landtag, abgesehen von
der vorzeitigen Auflösung durch Landesfürst und Volk (Art. 48 Abs. 1 und 3 LV),
vier Jahre.
62 Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 252 Rz. 2.
63 Siehe Art. 54 LV.
64 Siehe Art. 57 Abs. 1 LV.
65 Siehe Art. 57 Abs. 1 Satz 2 LV; vgl. auch Gerard Batliner, Parlament, S. 44 f. Er weist
in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der 1939 in die Verfassung eingefügte
Art. 47 Abs. 2, wonach ein Abgeordneter aus wichtigen Gründen auf Antrag der
betreffenden Fraktion durch die Wählergruppen, denen der Abgeordnete angehört,
aus dem Landtag abberufen werden kann, einen «Fremdkörper im System der Ver-
fassung> darstellt. Er ist mit der dem Repräsentationsgedanken verbundenen Unab-
469
Geschichtliche Grundlagen und Rechtsstellung
Schutzbereich erstreckt sich demnach auf die gesamte parlamentarische
Tätigkeit des Abgeordneten.
II. Der Landtag als Staatsorgan
Der Landtag ist in seinem personellen Bestand ein Organ des Staates, das
vom Volk in einem Wahlakt bestellt wird, der ihn auch als dessen Reprä-
sentationsorgan legitimiert. In den Fällen, in denen der Landtag allein,
also ohne Volk, entscheidet, sei es, dass er allein zuständig ist, z. B. beim
Vorschlag zur Ernennung von Regierungsmitgliedern, sei es, dass über
einen Landtagsbeschluss (Gesetzesbeschluss, Finanzbeschluss, Zustim-
mung zu einem Staatsvertrag) eine Volksabstimmung nicht stattfindet,
weil eine solche weder vom Landtag von sich aus angeordnet noch vom
Volk im Wege eines Referendumsbegehrens verlangt wird, entscheidet er
anstelle des Volkes als Staatsorgan. Der vom Landtag geformte Wille ist
nach der Staatslehre unmittelbar als Wille des Volkes zu betrachten.“
Der Landtag besitzt organisationsrechtlich die Stellung einer eigen-
ständigen Gewalt. Er handelt aus eigenem Recht, wenn er seinen Aufga-
ben in «Vertretung» des Volkes nachkommt,” zu dem er in einem
Organverhältnis steht,® sodass er als sekundäres Staatsorgan bezeichnet
wird, das über ein grosses Mass an Selbständigkeit verfügt. Es steht ihm
zwar kein Selbstversammlungs- und Selbstauflösungsrecht zu, doch
räumt ihm die Verfassung die Geschäftsordnungsautonomie ein.® Der
hängigkeit des Abgeordneten unvereinbar (S. 78). Diese Verfassungsbestimmung ist
mit LGBl. 1997 Nr. 46 aufgehoben worden.
66 Gerard Batliner, Parlament, S. 44 f. unter Bezugnahme auf Georg Jellinek, Allge-
meine Staatslehre, S. 546.
67 Der staatsrechtliche Begriff der Vertretung des Volkes ist nach Hans Hugo Klein in:
Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar zu Art. 38, S. 33 Rz. 41 dem privatrecht-
lichen Begriff der Vertretung nicht gleichzusetzen.
68 Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 39.
69 Vgl. Art. 60 LV und dazu die Geschäftsordnung für den Landtag des Fürstentums
Liechtenstein vom 19. Dezember 2012 (GOLT), LGBIL. 2013 Nr. 9. Die Geschäfts-
ordnung stellt nach Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 112 ein «formelles
Gesetz» dar, steht aber nach Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. II, S. 83 im Range unter
der Verfassung und den einfachen Gesetzen. Die Geschäftsordnung für den Land-
tag des Fürstenthums Liechtenstein vom 29. März 1863, LGBI. 1863 Nr. 1, war bis
zur Geschäftsordnung vom 23. Mai 1969, LGBl. 1969 Nr. 28, in Kraft. Siehe den
470
Rechtsstellung des Landesausschusses
Landtag ordnet seine Angelegenheiten selbst und ist keinen Weisungen
unterworfen. So regelt er die wichtigen Fragen seiner Organisation und
seines Verfahrens selbst in seiner Geschäftsordnung, ”° soweit sie nicht
schon von der Verfassung vorgegeben sind.’! Die Selbständigkeit des
Landtages zeigt sich auch darin, dass ihm die Disziplinar-”? bzw. Poli-
zeigewalt und das Hausrecht”? zustehen, die der Präsident ausübt, und
dass er seinen Präsidenten und dessen Stellvertreter selbst wählt.”*
Die Geschäftsordnungsautonomie ist vor dem Hintergrund der
verfassungsrechtlichen Bestrebungen des Landtages zu sehen, die seit
dem 19. Jahrhundert auf eine Emanzipation gegenüber dem konstitutio-
nellen Landesfürsten und seiner Regierung hinauslaufen. So ist denn
auch unter Geschäftsordnungsautonomie das Recht des Landtages auf
Selbständigkeit und Unabhängigkeit zu verstehen, die Angelegenheiten
der Geschäftsordnung selber regeln zu können.”
$27 RECHTSSTELLUNG DES LANDESAUSSCHUSSES
I. Herkunft und Bedeutung
Die Institution des Landesausschusses, die ihre Wurzeln in den früh-
konstitutionellen Verfassungen der Staaten des Deutschen Bundes
Kommissionsbericht vom 19. November 1968 und das Landtagsprotokoll vom
6. Mai 1968, in: Landtagsprotokolle 1968 Bd. I, S. 14 ff. und Beilagen zu dieser Land-
tagssitzung sowie den bereinigten Kommissionsbericht vom 12. Mai 1969
und das Landtagsprotokoll vom 12. Mai 1969, in: Landtagsprotokolle 1969 Bd. I,
S. 107 ff. und Beilagen zu dieser Landtagssitzung.
70 Siehe beispielsweise Ziffer IV. (Landtagspräsidium), Art. 10 ff. GOLT oder Ziffer
VI. (Sitzungen), Art. 18 ff. GOLT.
71 Vgl. etwa Art. 49 Abs. 4, 52 Abs. 1, 53, 58 und 59 Abs. 2 LV.
72 Zur Disziplinargewalt siehe Art. 57 Abs. 2 LV und Art. 25 GOLT; vgl. auch Gregor
Steger, Fürst und Landtag, S. 112.
73 Vsl. Art. 26 Abs. 3 und 4 GOLT. In $ 16 der Geschäftsordnung für den Landtag des
Fürstentums Liechtenstein vom 29. März 1863 hiess es noch: «Während der Dauer
des Landtages gebührt die Polizei in dem Sitzungssaale der Versammlung der Abge-
ordneten, welche sie durch den Präsidenten ausüben lässt. Der Präsident hat das
Recht, nöthigenfalls die Unterstützung der Regierung anzurufen.»
74 Vsesl. Art. 52 Abs. 1 LV sowie Art. 11 und Art. 57 Abs. 2 Bst. a GOLT.
75 Vsl. auch Klaus Friedrich Arndt, Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie,
S. 15, der hier die Geschäftsordnungsautonomie gegenüber einer von der Verfassung
471
Geschichtliche Grundlagen und Rechtsstellung
hatte” und auch in die Konstitutionelle Verfassung von 1862 Eingang
fand’77 und deren Sinn darin bestand, «dass die staatliche Herrschaft nie
ohne Kontrolle blieb und dem Monarchen immer ein Volksvertretungs-
organ gegenüberstand», versteht sich heute als «parlamentarisches Hilfs-
organ» für die Zeit, in der der Landtag ausgeschaltet ist.’® Der Landes-
ausschuss ist dem Landtag für seine Geschäftsführung verantwortlich
und kann für das Land keine bleibende Verbindlichkeit eingehen.”? Die
Mandatsdauer des Landesausschusses erlischt mit dem «Wiederzusam-
mentritte» des Landtages.5
II. Zusammensetzung und Aufgabenbereich
Der Landesausschuss besteht aus dem bisherigen Landtagspräsidenten
bzw. seinem Stellvertreter und vier Abgeordneten, die der Landtag
«unter gleichmässiger Berücksichtigung des Ober- und des Unterlan-
des» zu wählen hat.%! Sein Aufgabenbereich, wie auch seine Rechte und
Pflichten werden in Art. 74 LV demonstrativ aufgelistet. Zu erwähnen
sind etwa folgende Agenden: Er hat darauf zu achten, «dass die Verfas-
sung aufrechterhalten [...] und der Landtag bei vorausgegangener Auf-
lösung oder Vertagung rechtzeitig wieder einberufen wird». Er hat auch
«die Landeskassenrechnung zu prüfen und dieselbe mit seinem Bericht
und seinen Anträgen an den Landtag zu leiten» und «die vom Landtag
erhaltenen besonderen Aufträge zur Vorbereitung künftiger Landtags-
verhandlungen zu erfüllen». Zusammengefasst kommt dem Landesaus-
schuss vornehmlich die Aufgabe zu, die Rechte des Landtages zu wah-
eingeräumten und garantierten Autonomie im Sinne autonomer Rechtsetzungsbe-
fugnis oder Satzungsgewalt abgrenzt.
76 Siehe Roland Kirchherr, Verfassung des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen,
5.253 ff.
77 Siehe vorne S. 91.
78 Siehe Art. 71 LV und Gerard Batliner, Parlament, S. 102 ff. mit weiteren Literatur-
hinweisen; vgl. auch Roger Beck, Landtag, S. 158 ff.
79 Siehe Art. 75 LV.
80 Siehe Art. 73 LV.
81 Siehe Art. 72 Abs. 1 LV.
472
Rechtsstellung der Abgeordneten
ren und die Exekutive zu kontrollieren.® Seine Befugnisse sind jedoch
beschränkt. Er kann beispielsweise keine dauernden Verbindlichkeiten
für das Land beschliessen. Für die Geschäftsführung ist er dem Landtag
verantwortlich,® wobei die Verantwortlichkeit und die Kompetenzen
nicht klar festgelegt sind.®
III. Problematik und Kritik
Der Landesausschuss steht in der Kritik, die diese Institution aus verfas-
sungsrechtlichen Gründen infrage stellt, da der Landtag als Organ, das
das Volk repräsentiert, während einer selbst nicht regulierbaren Zeit aus-
geschaltet bleibt und damit handlungsunfähig ist.® Es wird gefordert,
dass er während der vierjährigen Legislaturspanne, die in Sitzungs-
perioden eingeteilt ist, durchgehend als versammelt gelten sollte. Danach
würde jede Sitzungsperiode jährlich automatisch mit dem Beginn der
neuen Sitzungsperiode enden. Gangbare Lösungsvorschläge, die sich an
die verfassungsrechtlichen Vorgaben halten, können aber in den Fällen
der Vertagung und der Auflösung des Landtages ohne Landesausschuss
nicht auskommen.
$28 RECHTSSTELLUNG DER ABGEORDNETEN
I. «Milizparlamentarier»
Der Abgeordnete ist ein «Milizparlamentarier». Er übt sein Mandat ne-
ben seinem Hauptberuf aus. Die Vorteile eines solchen Milizsystems lie-
82 Vsl. Gerard Batliner, Parlament, S. 103 f.; Roger Beck, Landtag, S. 159 f.; Thomas
Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 53; Arno Wasch-
kuhn, Politisches System Liechtensteins, S. 142.
83 Siehe Art. 75 LV.
84 Zur Problematik der geltenden Regelung und zu möglichen Reformen siehe Gerard
Batliner, Parlament, S. 104 ff.
85 Vgl. Roger Beck, Landtag, S. 161 ff.; Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kon-
trolle über die Regierung, S. 362 und 387.
86 Zu diesem und anderen Lösungsvorschlägen siehe Gerard Batliner, Parlament, S. 109 ff.
473
Geschichtliche Grundlagen und Rechtsstellung
gen in der Volksverbundenheit und Nähe wie auch in der Unabhängigkeit
der Abgeordneten. Es ermöglicht, einen vergleichsweise breiten Bevölke-
rungskreis in den politischen Prozess einzubeziehen. Nachteilig wirkt
sich die latente Gefahr aus, dass die Abgeordneten «beruflich eingebun-
dene Abgeordnete, Interessenvertreter statt Volksvertreter» sind und die
Belastbarkeit nebenberuflich tätiger Abgeordneten an Grenzen stösst.”
II. Freiheit des Mandats
Die Abgeordneten sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden.
Sie stimmen «einzig nach ihrem Eid und ihrer Überzeugung» (Art. 57
Abs. 1 LV). Gegen diese mit dem Prinzip der Gesamtrepräsentation ver-
bundene Unabhängigkeit des Abgeordneten verstösst ein Abberufungs-
recht einer Wählergruppe, wie es vormals die Verfassung in Art. 47 Abs.
2 gekannt hat. Danach war sie berechtigt, über Antrag der Fraktion
einen ihr zugehörigen Abgeordneten «aus wichtigen Gründen» aus dem
Landtag abzuberufen.® Der Abgeordnete ist zwar politisch an seine Par-
87 Gerard Batliner, Parlament, S. 73 f.; Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kon-
trolle über die Regierung, S. 58 ff. Pierre Tschannen, Staatsrecht, S. 406 Rz. 18
spricht von einer für einen Kleinstaat organisatorischen Notwendigkeit. Das Miliz-
system erlaube es, «die schmalen Personalressourcen des Kleinstaates besser zu nut-
zen». In der Sache solle es dafür sorgen, «dass die Politik <auf dem Boden der Rea-
litäter» bleibt und die gesellschaftlichen Interessen möglichst umfassend berück-
sichtigt. Hierbei kommt dem System zugute, dass das Milizprinzip dank
Rollenkumulation verschiedenste Lebensbereiche miteinander verknüpft». Zur
Frage der Abschaffung des Milizsystems und der Einführung eines vollamtlichen
Parlaments aus liechtensteinischer Sicht siehe Roger Beck, Landtag, S. 123 ff.
88 Eingehend zu diesem Abberufungsrecht, das 1939 in die Verfassung aufgenommen
wurde, Gerard Batliner, Parlament, S. 75 ff. Zur Aufhebung des Art. 47 Abs. 2 LV
siehe den Bericht der Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen für eine Par-
lamentsreform vom 15. Oktober 1996, Anhang III, in: Landtagsprotokolle 1996
Bd. IV. Die Parlamentsreformkommission hält zu Art. 47 Abs. 2 LV fest: «Die Kom-
mission ist der Ansicht, dass diese Bestimmung aus der Verfassung eliminiert wer-
den muss, um die Unabhängigkeit der Abgeordneten sicherzustellen. Sonst könnten
sie in Widerspruch zur Forderung des Art. 57 der Verfassung geraten: «Die Mitglie-
der des Landtages stimmen einzig nach ihrem Eid und ihrer Überzeugung».» Die
Verfassungskommission schliesst sich in ihrem Ersten Bericht vom 31. Oktober
1996 zur Erarbeitung von Vorschlägen über eine Revision der Verfassung des Fürs-
tentums Liechtenstein vom 5. Oktober 1921, S. 17, Anhang I, zu Art. 47, in: Land-
474
Rechtsstellung der Abgeordneten
tei gebunden, die ihn zur Wahl vorgeschlagen hat. Er wird aber durch sie
nicht rechtlich eingeschränkt. Er erhält sein Mandat von seinen Wählern
und nicht von einer Wählergruppe bzw. Partei. Ein Ausschluss aus der
Partei hat keine Folgen auf sein Mandat.®® Das trifft auch auf das Ver-
hältnis des Abgeordneten zu seiner Fraktion zu.
Von einem Abberufungsrecht ist die Frage der Partei- bzw. Frak-
tionsdisziplin zu unterscheiden.” So können aus disziplinären Gründen
parteiinterne Sanktionen verhängt werden, die nicht mit einem Man-
datsverlust verbunden sind, wenn sich beispielsweise der Abgeordnete
nicht an grundsätzliche Wahlaussagen seiner Partei hält. Gegen ein
«Mindestmass an Loyalität» des Abgeordneten gegenüber seiner Frak-
tion und Partei ist nichts einzuwenden. Es ist aber mit dem freien Man-
dat nicht vereinbar, dass eine Wählergruppe bzw. Partei einen «abtrün-
nige(n) Abgeordnete(n)» aus dem Landtag abberufen kann, wenn er
«mit den Bedingungen, die zu seiner Wahl geführt haben, bricht».?! Eine
solche Massnahme käme einem imperativen Mandat gleich, wonach der
Abgeordnete den politischen Willen bzw. Aufträge und Weisungen sei-
ner Wählergruppe oder Partei auszuführen hätte.
III. Immunität
1. Parlamentarische oder absolute Immunität
Das Institut der absoluten Immunität schützt sowohl die Funktionsfä-
higkeit des Landtages als auch die Unabhängigkeit der Abgeordneten.
Gemäss Art. 57 Abs. 1 LV sind «Abgeordnete für ihre Abstimmungen
tagsprotokolle 1996 Bd. IV, dem Vorschlag der Parlamentsreformkommission an, da
sie diese Bestimmung «nicht mehr für zeitgemäss» erachtet.
89 Zur Verfassungslage in Deutschland siehe Hans Hugo Klein, Stellung und Aufga-
ben des Bundestages, S. 743 ff. Rz. 2 ff. und Reinhold Zippelius/Thomas Würten-
berger, Deutsches Staatsrecht, S. 399 f. Rz. 76 ff.; für Österreich: Ludwig K. Ada-
movich/ Bernd-Christian Funk, Österreichisches Verfassungsrecht, S. 224 f.
90 Zur Fraktionsdisziplin siehe Ulli F. H. Rühle, Das «freie Mandat», S. 45 f.
91 So Karlheinz Ritter, Aktuelle Fragen und Probleme aus der Sicht des Landtags,
Ansprache des Landtagspräsidenten zum 125-jährigen Bestehen des Landtages,
Vaduz 1987 (Manuskript), S. 9 ff. und LtProt. 1985 Bd. I, S. 75, zitiert nach Thomas
Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 56 Fn. 88.
475
Geschichtliche Grundlagen und Rechtsstellung
niemals, für ihre in den Sitzungen des Landtages oder seiner Kommis-
sionen gemachten Äusserungen nur dem Landtage verantwortlich und
können hiefür niemals gerichtlich belangt werden». Soweit es um das
Abstimmungsverhalten des Abgeordneten geht, wirkt die Immunität als
«absolute rechtliche Verantwortungsfreiheit» und soweit sie sich auf
mündliche oder schriftliche Äusserungen des Abgeordneten bezieht, als
relative.” Sie betrifft das parlamentarische Ordnungsrecht, das parla-
mentarische Disziplinarmassnahmen nicht ausschliesst, die der Präsident
ausspricht. Sie können aber nur bei mündlichen Äusserungen infrage
kommen. So hält die Geschäftsordnung für den Landtag in Art. 25 den
Ruf «zur Sache» bei zu weiter Entfernung von der Sache, den Ruf «zur
Ordnung» bei beleidigenden Äusserungen, die den parlamentarischen
Anstand verletzen, sowie den Wortentzug bei Missachtung wiederholter
Mahnungen des Präsidenten fest.” Die parlamentarische Immunität
schliesst jede strafrechtliche oder zivilrechtliche Verantwortung aus.
Der Schutzbereich der parlamentarischen Immunität erstreckt sich
bei mündlichen und schriftlichen Äusserungen aufgrund des engen
92 Vgl. Ludwig K. Adamovich/Bernd-Christian Funk/Gerhart Holzinger/Stefan
Leo Frank, Österreichisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 72 Rz. 25.008. Art. 57 Abs. 1
B-VG und Art. 57 Abs. 1 LV sind sich in ihrem Wortlaut ähnlich. Gerard Batliner,
Parlament, S. 44 und ders., Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S.
44 spricht in diesem Zusammenhang in Anlehnung an das deutsche Schrifttum von
«Indemnität». Vgl. auch Roger Beck, Landtag, S. 163 f.; für die Schweiz Pierre
Ischannen, Staatsrecht, S. 395 Rz. 13, der von «parlamentarischer Immunität»
spricht. Theo Öhlinger, Verfassungsrecht, S. 185 Rz. 413 verdeutlicht, dass die öster-
reichische Lehre unter dem Titel «Immunität» zwei unterschiedliche Institute
zusammenfasst, nämlich die Rede- und Abstimmungsfreiheit (Art. 57 Abs. 1 B-VG)
und die Verfolgungsfreiheit (Art. 57 Abs. 2 B-VG). Nach deutschem Recht schützt
Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG «die gesamte Tätigkeit des Abgeordneten innerhalb und
ausserhalb des Parlaments gegen jede Einwirkung, also etwa auch Podiumsdiskus-
sionen oder Parteiveranstaltungen». So Martin Morlock/Ewgenij Sokolov, Beob-
achtung von Abgeordneten, S. 407 und dazu BVerfG, Beschluss vom 17. 9. 2013 —
2BvR 2436/10 und 2 BvE 6/08, veröffentlicht in: DOV 2014/Hefrt 10, S. 438445.
93 Vgl. für Österreich Ludwig K. Adamovich/Bernd-Christian Funk / Gerhart Hol-
zinger/ Stefan Leo Frank, Österreichisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 72 f. Rz. 25.008.
94 Es ist im Anschluss an Art. 57 B-VG in der österreichischen Lehre von «berufli-
cher» bzw. «ausserberuflicher» Immunität die Rede. Vgl. Ludwig K. Adamovich/
Bernd-Christian Funk/Gerhart Holzinger/Stefan Leo Frank, Österreichisches
Staatsrecht, Bd. 2, 5. 72 ff. Rz. 25.008 und 25.009; Theo Öhlinger, Verfassungsrecht,
S. 185 ff. Rz. 413 ff. Auch Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über
die Regierung, S. 55 verwendet diese Begriffe.
476
Rechtsstellung der Abgeordneten
Wortlautes der Verfassung lediglich auf solche, die die Abgeordneten im
Rahmen des Plenums oder in den Kommissionen des Landtages abge-
ben. Demzufolge sind Äusserungen, die sie ausserhalb dieser Tätigkeit
als Abgeordnete machen, vom Schutz der parlamentarischen Immunität
nicht erfasst.®
2. Eingeschränkte Immunität als Schutz vor Verhaftung
Anders verhält es sich bei der Immunität, die sich nach Art. 56 LV® als
Schutz des Abgeordneten vor Verhaftung wegen begangener strafbarer
Handlungen erweist. Danach darf kein Abgeordneter «während der
Dauer der Sitzungsperiode ohne Einwilligung des Landtages verhaftet
werden, den Fall der Ergreifung auf frischer Tat ausgenommen».” Trifft
dies zu, ist die Verhaftung unter Angabe ihres Grundes unverzüglich
dem Landtag zur Kenntnis zu bringen, der über die Immunität bzw. die
Aufhebung oder Aufrechterhaltung der schon verhängten Haft ent-
scheidet. Erfolgt die Verhaftung eines Abgeordneten zu einer Zeit, wäh-
rend welcher der Landtag nicht versammelt, d. h. vertagt ist,® so ist
darüber der Landesausschuss unverzüglich unter Angabe des Grundes
95 Zu den unbefriedigenden bzw. funktionswidrigen Konsequenzen dieser Regelung
siehe Ludwig K. Adamovich/Bernd-Christian Funk /Gerhart Holzinger/Stefan
Leo Frank, Österreichisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 72 f. Rz. 25.008, die dabei auf Art.
33 B-VG Bezug nehmen. Dieser Bestimmung entspricht Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes
vom 17. Oktober 1922 betreffend Straffreiheit von Mitteilungen und Berichterstat-
tungen, LGBl. 1922 Nr. 32. Danach bleibt, «wer wahrheitsgetreu mündlich oder
schriftlich über öffentliche Verhandlungen (Reden, Vorgänge usw.) des Landtages
oder einer Verwaltungs- oder Gerichtsbehörde sei es wortgetreu oder in sinnge-
mässer verkürzter Wiedergabe ganz oder teilweise Mitteilungen macht oder berich-
tet, [...] von jeder Verantwortlichkeit frei und darf deshalb insbesondere nicht ge-
richtlich bestraft werden».
9 Dieser Artikel ist den $$ 107 und 108 der Konstitutionellen Verfassung von 1862
nachgebildet.
97 Siehe Art. 56 Abs. 1 LV. Eine Verhaftung setzt eine strafbare Handlung bzw. ein Ver-
brechen oder Vergehen voraus. Die Haftgründe sind in $ 127 StPO aufgezählt. Vgl.
auch den Wortlaut von Art. 57 Abs. 2 Satz 1 B-VG.
98 Nach Art. 48 Abs. 1 LV kann der Landesfürst den Landtag aus erheblichen Grün-
den auf drei Monate vertagen. Dadurch wird die Sitzungsperiode bis zum «Wieder-
zusammentritt» des Landtages unterbrochen, aber nicht beendigt. Vgl. Gerard Bat-
liner, Parlament, S. 101.
477
Geschichtliche Grundlagen und Rechtsstellung
zu benachrichtigen.” Damit der Landtag in einem solchen Fall über die
Immunität bzw. die Aufhebung oder Aufrechterhaltung der Haft ent-
scheiden kann, müsste er wieder einberufen werden, da dem Landesaus-
schuss dieses Recht nicht zukommt.
Die Immunität im Sinne von Art. 56 LV ist als Schutz vor Verhaf-
tung ausgestaltet. Sie setzt nicht voraus, dass die Straftat mit der parla-
mentarischen Tätigkeit des Abgeordneten in einem Zusammenhang
steht. Sie erfasst demnach alle strafbaren Handlungen, die zu einer Ver-
haftung führen. In der Staatspraxis ist von einer «ausserparlamentari-
schen» Immunität die Rede.!® Sie ist insoweit der österreichischen «aus-
serberuflichen Immunität» vergleichbar, die allerdings einen weiterge-
henden Schutz beinhaltet.!*! Der Landtag hat nämlich auf das
Strafverfahren selbst, d. h. ob es eingeleitet und durchgeführt wird, kei-
nen Einfluss.1!® Die Immunität stellt so gesehen für die Dauer der Sit-
zungsperiode lediglich ein «prozessuales Haft- oder Verhaftungshinder-
nis»1% dar und geht insoweit nicht über den Schutz hinaus, wie ihn
schon die Konstitutionelle Verfassung von 1862 den Mitgliedern des
Landtages gewährleistet hatte.
99 So auch schon $ 108 KV 1862.
100 Vgl. die nicht-öffentliche Landtagssitzung vom 13. Mai 2000 zum Antrag des Land-
gerichts auf Einwilligung des Landtages zur Verhaftung des Abgeordneten Gabriel
Marxer, nicht-öffentliches Landtagsprotokoll, S. 36.
101 Nach Art. 57 Abs. 2 bis 5 B-VG sind auch strafbare Handlungen immunisiert, wel-
che offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit des
Abgeordneten stehen. Diese «ausserberufliche Immunität» soll im Unterschied zu
Art. 56 Abs. 1 LV nicht nur vor Verhaftung, sondern auch vor Verfolgung wegen
strafbarer Handlungen schützen, zu denen gerichtlich und verwaltungsbehördlich
strafbare Handlungen gehören. Vgl. Heinz Mayer, Das österreichische Bundes-Ver-
fassungsrecht, S. 260 und Stefan Seiler, Strafprozessrecht, S. 5 f.
102 Vgl. auch die nicht-öffentliche Landtagssitzung vom 13. Mai 2000 zum Antrag des
Landgerichts auf Einwilligung des Landtages zur Verhaftung des Abgeordneten Ga-
briel Marxer, nicht-öffentliches Landtagsprotokoll, S. 36. Dem Antrag des Landge-
richts auf Aufhebung der Immunität lag bereits ein anhängiges Strafverfahren zu-
grunde, in dem «an verschiedenen Orten und in verschiedenen Objekten mehrere
Hausdurchsuchungen» durchgeführt wurden.
103 Heinz Mayer, Das österreichische Bundes-Verfassungsrecht, S. 261 spricht von ei-
nem «prozessualen Verfolgungshindernis». Es ist in diesem Zusammenhang auch
von einem «Immunitätsprivileg> (Reinhold Zippelius/Thomas Würtenberger,
Deutsches Staatsrecht, S. 401 Rz. 85) oder von einem «prozessuale(n) Verfolgungs-
privileg>» (Pierre Tschannen, Staatsrecht, S. 395) die Rede.
478
Rechtsstellung der Abgeordneten
IV. Unvereinbarkeit
Aus dem Grundsatz der personellen Gewaltenteilung, die darauf trach-
tet, dass die eine und gleiche Person nicht allen Gewalten angehört,!%
ergibt sich eine Reihe von Unvereinbarkeitsgründen.!® So dürfen
gemäss Art. 46 Abs. 4 LV die Mitglieder der Regierung und der Gerichte
dem Landtag nicht angehören.!® Die Unvereinbarkeit ist von der Wähl-
barkeit zu unterscheiden. Ist diese nicht gegeben, kommt keine gültige
Wahl zustande. Im Fall der Unvereinbarkeit ist die Wahl zwar gültig,
aber die gewählte Person kann ihr Mandat nur ausüben, wenn sie den
Unvereinbarkeitsgrund beseitigt.!”
V. Stellvertretung
Neben den ordentlichen 25 Abgeordneten werden in jedem Wahlbezirk
auch eine bestimmte Anzahl von stellvertretenden Abgeordneten ge-
wählt,!® die bei Verhinderung eines Abgeordneten in dessen Stellvertre-
tung an einer einzelnen oder an mehreren Landtagssitzungen, also ersatz-
104 Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 233 Rz. 14.
105 So dürfen beispielsweise nach Art. 5 Abs. 1 Bst. a OUSG Mitglieder der strategi-
schen oder der operativen Führungsebene dem Landtag nicht angehören. Vgl.
Roger Beck, Landtag, S. 205, der eine gesetzliche Regelung der Unvereinbarkeit
unter Bezugnahme auf Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die
Regierung, S. 43 für «wünschenswert» hält.
106 Diese Vorschrift wurde mit LGBl. 1997 Nr. 46 in der Verfassung verankert. Im
Bericht der Parlamentsreformkommission vom 15. Oktober 1996, in: Landtagspro-
tokolle 1996 Bd. IV, Anhang III, heisst es zu Art. 46 Abs. 4: «Die unbestrittene For-
derung, dass niemand gleichzeitig der Legislative und der Exekutive angehören
können soll, ist nach Ansicht der Kommission ausdrücklich in der Verfassung fest-
zuschreiben.» In der Stellungnahme der Parlamentsreformkommission vom 3. De-
zember 1996 zu den Kommentaren und Anregungen, die in der Landtagssitzung
vom 21. November 1996 abgegeben bzw. geäussert wurden, in: Landtagsprotokolle
1996 Bd. IV, Beilagen, wird festgehalten, dass die Kommission keine Einwände
gegen den Vorschlag, die Unvereinbarkeitsklausel zu erweitern, erhebe, wonach
neben den Mitgliedern der Regierung auch die «Mitglieder der Gerichtshöfe und
Landrichter» in Art. 46 Abs. 4 der Verfassung aufzunehmen seien.
107 Ulrich Häfelin/ Walter Haller/Helen Keller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht,
S. 477 Rz. 1460; Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 236 f. Rz. 7.
108 Vegl. Art. 46 Abs. 2 LV.
479
Geschichtliche Grundlagen und Rechtsstellung
weise, teilnehmen. Wie sich Art. 49 Abs. 4 und Art. 53 LV entnehmen
lässt, sieht die Verfassung eine Stellvertretung nur im konkreten Verhin-
derungsfall vor,!® sodass sie in parlamentarischen Kommissionen!!° und
Delegationen nicht zulässig ist. Die Geschäftsordnung für den Landtag
schliesst indes stellvertretende Abgeordnete nicht mehr aus, nachdem sie
bisher in parlamentarischen Kommissionen nicht Einsitz nehmen konn-
ten. Nach Art. 71 Abs. 2 und 3 GOLT sind Kommissionen mehrheitlich
mit ordentlichen Abgeordneten zu besetzen, wobei nur diese den Vorsitz
übernehmen können. Auch für Delegationen gilt, dass sie sich mehrheit-
lich aus ordentlichen Abgeordneten zusammensetzen. Nur ihnen kann
der Landtag die Leitung für die Mandatsperiode übertragen.!!!
VI. Entschädigung
Das Recht der Abgeordneten auf eine Entschädigung ist in Art. 61 LV
festgelegt, der die Regelung einem Gesetz vorbehält. Dementsprechend
hält das Gesetz vom 17. Dezember 1981 über die Bezüge der Mitglieder
des Landtages und von Beiträgen an die im Landtag vertretenen Wäh-
lergruppen!!? in Art. 1 Abs. 1 grundsätzlich fest, dass die Mitglieder des
Landtages für die Teilnahme an Landtags- und Landtagskommissions-
sitzungen und an Landtagsdelegationen für die Vorbereitungsarbeit und
109 Vgl. Gerard Batliner, Parlament, S. 68 f. Er verweist auf Art. 49 Abs. 4 und Art. 53
LV; Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 45 ff.
Vgl. zur Erscheinungspflicht und zum Hinderungsgrund auch Roger Beck, Land-
tag, S. 144 ff. Siehe zur Erscheinungspflicht Art. 22 GOLT.
110 So schon bisher Art. 58 Abs. 2 GOLT, LGBl. 1997 Nr. 61, nach dem stellvertretende
Abgeordnete gemäss $ 52 Abs. 1 GOLT, LGBl. 1971 Nr. 26, gleich ordentlichen
Abgeordneten in Kommissionen bestellt werden konnten. Siehe dazu Gerard Batlı-
ner, Parlament, S. 71 f., der diese «voraussetzungslose Möglichkeit der Direktwahl
stellvertretender Abgeordneter in Kommissionen» als einen Verstoss gegen die Ver-
fassung gerügt hatte. Er weist auch darauf hin, dass der stellvertretende Abgeord-
nete «seine Stellung nicht der Wahl und Legitimation durch die Stimmbürger, son-
dern vor allem dem Vorschlag der Partei» verdankt.
111 Siehe Art. 61 Abs. 2 bis 6 GOLT; kritisch gegenüber der bisherigen Regelung in Art.
58 Abs. 2 GOLT, LGBl. 1997 Nr. 61, Roger Beck, Landtag, S. 142 f.
112 LGBl. 1982 Nr. 22, das in der Zwischenzeit mehrmals geändert und ergänzt worden
ist, zuletzt durch LGBl. 2013 Nr. 206.
480
Rechtsstellung der Abgeordneten
für allgemeine Aufwendungen in Ausübung ihres Mandates eine Ent-
schädigung erhalten, die im Einzelnen nach Inlands- und Auslandstätig-
keit aufgelistet wird, wobei die Ansätze von Zeit zu Zeit an den Lebens-
kostenindex angepasst werden. !!?
VII. Amtsdauer und Mandatsperiode
Das Abgeordnetenmandat läuft mit der regulären oder vorzeitigen
Beendigung der Mandatsdauer bzw. Legislaturperiode!!* oder mit dem
Tod des Abgeordneten aus.
VII.Mitwirkungsrechte
1. Allgemeines
Die den Abgeordneten zukommenden Rechte und Pflichten haben or-
ganschaftlichen Charakter. Es handelt sich um Rechtspositionen, die den
Abgeordneten nicht wie subjektive Rechte als Personen zustehen, son-
dern nur wegen und in ihrer Eigenschaft als Organteile des Landtages.!!5
Aus ihrer verbürgten Rechtsstellung als weisungsunabhängige Ver-
treter des ganzen Volkes resultieren für die Abgeordneten bestimmte
organschaftliche Rechte und Pflichten.
113 Zur Entschädigung der Abgeordneten ausführlich Roger Beck, Landtag, S. 200 ff.,
der sie heute für «ausreichend» hält. Kritisch äussert er sich jedoch gegenüber der
«Privilegierung» der Staatsangestellten als Landtagsabgeordnete (S. 204). Für eine
Erhöhung der Entschädigung trat 1989 noch Thomas Allgäuer, Die parlamentari-
sche Kontrolle über die Regierung, S. 59 f. ein.
114 Zur zeitlichen Begrenzung der Parlamentstätigkeit siehe Gerard Batliner, Parla-
ment, S. 99 ff. Die Anfangs- und Endpunkte der Mandatsdauer sind nach ihm nicht
«völlig geklärt». Er lässt es offen, «ob die Mandatsdauer eventuell statt mit der Wahl
z. B. erst mit dem ersten Zusammentreten (Validierung) des Landtags beginnt und
ob sie statt mit dem Tage der Neuwahl nach einem Zeitablauf von genau vier Jahren
oder im Zeitpunkt des ersten Zusammentretens (Validierung) des neuen Landtags
und im Falle der Landtagsauflösung statt mit der Auflösung erst am Tage der Wahl
oder mit dem ersten Zusammentreten des neuen Landtags endet.»
115 Christoph Gröpl, Staatsrecht I, S. 230 f. Rz. 1016.
481
Geschichtliche Grundlagen und Rechtsstellung
2. Erscheinungspflicht
Die Abgeordneten sind verpflichtet, an den Landtagssitzungen teilzu-
nehmen. Sind sie am Erscheinen verhindert, haben sie dies rechtzeitig
unter Angabe des Hinderungsgrundes bei der ersten Einberufung der
Regierung und während der Sitzungsperiode dem Präsidenten anzuzei-
gen.!!° Entsprechend bestimmt Art. 22 GOLT, dass jedes Mitglied des
Landtages verpflichtet ist, an den Sitzungen teilzunehmen.!!” Der vom
Volk gewählte Landtag ist gehalten, seine Organverpflichtungen wäh-
rend der Zeit, für die er bestellt ist, auszuüben.!!8 So fordert das Prinzip
der repräsentativen Demokratie, dass Abgeordnete ihr Amt auch tat-
sächlich ausüben.!!*
3. Anträge und Petitionen
Die Sitzungen des Landtages werden innerhalb der Sitzungsperiode
grundsätzlich vom Präsidenten in Absprache mit dem Landtagspräsi-
dium angeordnet, doch können fünf Abgeordnete unter Angabe des zu
behandelnden Geschäfts verlangen, dass er binnen drei Wochen eine Sit-
zung einberuft. Soll diese innerhalb einer kürzeren Frist stattfinden,
muss die Dringlichkeit begründet werden. !?
Auf Antrag eines Mitgliedes kann der Landtag zu Beginn der
Sitzung beschliessen, dass ein Verhandlungsgegenstand von der Tages-
ordnung abgesetzt oder dass ein nicht auf der Tagesordnung stehender
Verhandlungsgegenstand infolge besonderer Dringlichkeit verhandelt
wird. 121
116 Siehe Art. 53 LV.
117 Als wichtigen Verhinderungsgrund nennt Art. 22 Abs. 1 GOLT «die Abwesenheit
aufgrund eines gesundheitlichen Aspektes oder eines anderen unvorhergesehenen
und unabwendbaren Ereignisses». Ein wichtiger Grund muss auch vorliegen, wenn
ein Abgeordneter die Sitzung vorzeitig verlassen will, wozu er die Genehmigung
des Landtagspräsidenten einzuholen hat (Art. 22 Abs. 2 GOLT).
118 Gerard Batliner, Parlament, S. 61.
119 Reinhold Zippelius/Thomas Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 399 Rz. 77.
120 Siehe Art. 18 GOLT.
121 Siehe Art. 21 Abs. 2 GOLT.
482
Rechtsstellung der Abgeordneten
Der Landtag behandelt die gemäss Verfassung und Gesetzen in seinen
Geschäftsbereich fallenden Gegenstände u. a. aufgrund von Anträgen
einzelner Abgeordneter und von Petitionen.!?? Diese zählen zu den
Grund- und Freiheitsrechten, die dem Einzelnen den Anspruch einräu-
men, ohne behördliche Behinderung Petitionen einreichen zu können.
Das Petitionsrecht an den Landtag und den Landesausschuss besteht im
Ergebnis darin, ohne Rechtsnachteile Beschwerden und Anregungen an
den einzelnen Abgeordneten herantragen zu dürfen.!? Es können nach
Art. 42 LV nicht nur Einzelne, sondern auch Gemeinden «ihre Wünsche
und Bitten durch ein Mitglied des Landtages» vorbringen lassen.!2* Bil-
det eine Petition Gegenstand der Tagesordnung, erfolgt eine «weitere
Behandlung» nur, wenn sie von einem Mitglied des Landtages vorge-
bracht wird.!? Der Landtag kann Petitionen an Kommissionen oder zur
geeigneten Verfügung an die Regierung überweisen oder andere geeig-
nete Massnahmen beschliessen. 126
Abgeordnete, die über einen Gegenstand, der beraten wird, spre-
chen oder einen Antrag stellen wollen, haben sich beim Präsidenten zu
Wort zu melden. Anträge auf Schluss der Debatte können von den Mit-
gliedern des Landtages jederzeit gestellt werden. Dabei darf allerdings
ein Redner nicht unterbrochen werden.!?7
122 Siehe Art. 30 b und d GOLT und Art. 12 GVVKG; zur Petition siehe auch Markus
Wille, Petitionsrecht, S. 236 ff. und Roger Beck, Landtag, S. 301 ff.
123 Vgl. Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 123;
Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 145 f. Er schliesst aus der Systematik der
Verfassung, dass das Petitionsrecht «in einem Funktionszusammenhang mit den
sogenannten Kommunikationsgrundrechten (steht), die in Art. 40 und 41 LV ge-
währleistet werden». Das Petitionsrecht gewährt den Petenten kein Recht darauf,
dass ihrem Anliegen tatsächlich entsprochen wird. So für Deutschland Annette
Guckelberger, Argumente, S. 613.
124 Vgl. Art. 42 LV i. V. m. Art. 50 Abs. 1 GOLT.
125 Siehe Art. 50 Abs. 2 GOLT. Die Petenten müssen ein Mitglied des Landtages als An-
sprechpartner finden, der ihr Anliegen im Landtag vorbringt, sodass sich dieses
Verfahren aus ihrer Sicht als «wesentliche Einschränkung» erweist. Siehe Wolfram
Höfling, Grundrechtsordnung, S. 145 unter Bezugnahme auf Theodor Veiter, Der
Standard der Menschenrechte und Grundfreiheiten, S. 114; Thomas Allgäuer, Die
parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 124.
126 Siehe Art. 50 Abs. 3 GOLT und Art. 12 GVVKG.
127 Siehe Art. 31 Abs. 1 und 5 GOLT.
483
Geschichtliche Grundlagen und Rechtsstellung
4. Parlamentarische Eingänge
Die Geschäftsordnung führt unter dem Begriff der parlamentarischen
Eingänge, die schriftlich beim Parlamentsdienst einzureichen sind und
die von mindestens einem Mitglied des Landtages unterschrieben wer-
den müssen,!? die Initiative in Form eines ausgearbeiteten Entwurfs!??,
die Motion!®, das Postulat!3, die Interpellation!?? und die Kleine An-
frage! auf.
a) Initiativen
Initiativen, die Vorschläge zum Erlass eines neuen Gesetzes sowie zur
Abänderung oder Aufhebung eines bestehenden Gesetzes beinhalten,
können von jedem Mitglied des Landtages eingebracht werden, wobei
sie der Landtagspräsident der Regierung zur Prüfung ihrer Verfassungs-
mässigkeit übermittelt. Stellt der Landtag nach dieser Vorprüfung fest,
dass sie mit der Verfassung nicht übereinstimmen, sieht er von einer wei-
teren Behandlung ab.!
b) Motionen
Motionen als «parlamentarische Eingänge» können sich sowohl an die
Regierung als auch an eine Landtagskommission richten.
Sie beauftragen die Regierung, dem Landtag den Erlass, die Abän-
derung oder die Aufhebung eines Verfassungsgesetzes, eines (einfachen)
Gesetzes, eines Finanzbeschlusses oder eines anderen Landtagsbeschlus-
ses zu unterbreiten. Sie enthalten eine Begründung und zeigen auf, wel-
che Bereiche in der Vorlage geregelt werden sollen.!5
128 Siehe Art. 37, 38 und 47 GOLT.
129 Siehe Art. 40 und 41 GOLT sowie Art. 9a und 10 GVVKG.
130 Siehe Art. 42 und 43 GOLT sowie Art. 6 und Art. 64a GVVKG.
131 Siehe Art. 44 GOLT und Art. 7 GVVKG.
132 Siehe Art. 45 und 46 GOLT und Art. 8 GVVKG
133 Siehe Art. 48 GOLT und Art. 9 GVVKG.
134 Siehe Art. 41 GOLT und Art. 9a und 10 GVVKG.
135 Siehe Art. 42 Abs. 1 Bst. a GOLT und Art. 6 Abs. 1 und 2 GVVKG. Zur Verfas-
sungsmässigkeit von Motionen nach $ 31 GOLT, LGBl. 1989 Nr. 66, siehe Gerard
Batliner, Parlament, S. 69 und ders., Aktuelle Fragen, S. 38 Fn. 76. Vgl. auch Walter
Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 306 und Hilmar Hoch,
Verfassung- und Gesetzgebung, S. 213 Fn. 41.
484
Rechtsstellung der Abgeordneten
Sie verpflichten eine Landtagskommission, eine Vorlage im Sinne der
Motionäre auszuarbeiten, wobei solche Motionen entsprechende Vorga-
ben zu enthalten haben. Die Regierung hat in diesem Fall die Kommis-
sion in ihrer Arbeit zu unterstützen. !®%
c) Postulate
Postulate laden die Regierung ein, einen bestimmten Gegenstand oder
ein bestimmtes Vorgehen oder Verhalten zu prüfen.!?
d) Interpellationen
Interpellationen fordern die Regierung auf, über jeden Gegenstand der
gesamten Landesverwaltung Auskunft zu geben.!
e) Anfragen
Die Mitglieder des Landtages können bei einer Sitzung kurze mündli-
che, sogenannte «Kleine» Anfragen an die Regierung richten, die einen
konkret umschriebenen Vorgang betreffen. Die Regierung hat sie am
Schluss der Sitzung mündlich zu beantworten.!?
Von der mündlichen Anfrage unterscheidet sich die schriftliche
parlamentarische Anfrage, die sogenannte Interpellation. Danach kann
jedes Mitglied des Landtages von der Regierung über jeden Gegenstand
der gesamten Landesverwaltung Auskunft verlangen. Es ist möglich, die
Interpellation mündlich zu begründen. Eine Diskussion oder Abstim-
mung findet nicht statt. Die Regierung beantwortet die Interpellation in
schriftlicher Form.!*9
In der sogenannten «Aktuellen Stunde», die höchstens eine Stunde
dauert, kommt ein Thema von landespolitischer Bedeutung zur Sprache,
das die Landtagsfraktionen in abwechselnder Reihenfolge festlegen. Sie
wird durch ein Mitglied derjenigen Fraktion eröffnet, die in der Abfolge
136 Siehe Art. 42 Abs. 1 Bst. b GOLT und Art. 6 Abs. 3 GVVKG.
137 Weitere Angaben bei Roger Beck, Landtag, S. 307 ff.
138 Siehe nachfolgend Bst. e.
139 Siehe Art. 44 Abs. 1 GOLT und Art. 9 GVVKG. Zur Kleinen Anfrage und zur Ein-
führung einer Fragestunde als Informations- und Kontrollmittel siehe Roger Beck,
Landtag, S. 310 ff.
140 Siehe Art. 45 und 46 GOLT und Art. 8 GVVKG.
485
Geschichtliche Grundlagen und Rechtsstellung
am Zuge ist. Es können keine Anträge zur Sache gestellt und keine
Beschlüsse gefasst werden. !4!
5. Kontrollinstrumente
Die Petition, die Kleine Anfrage und die Interpellation!*? sowie das Pos-
tulat dienen vorwiegend der Kontrolle der Regierung und der gesamten
Landesverwaltung und werden dementsprechend von den Abgeordne-
ten auch als Instrumente der Kontrolle eingesetzt.!®
$29 FRAKTIONEN
I. Untergliederung des Landtages —
parlamentsinternes Organ
Fraktionen widerspiegeln in politischer Hinsicht die Parteienlandschaft
in einem Parlament. Staatsrechtlich stellen sie Untergliederungen des
Parlaments und nicht einer politischen Partei dar, auch wenn ihre Mit-
glieder der betreffenden Partei angehören.!* Das heisst, dass Fraktionen
trotz der sachlichen und personellen Verbundenheit mit den politischen
Parteien «parlamentsinterne Organe» bleiben.!® Sie nehmen eine
«Scharnierfunktion» zwischen den politischen Parteien und anderen
gesellschaftlichen Kräften wahr.!*° Sie bringen den Standpunkt ihrer Par-
141 Siehe Art. 49 GOLT und Art. 115 GVVKG und Roger Beck, Landtag, S. 188 f.
142 Vsel. auch Art. 63 Abs. 4 LV, wonach der Regierungsvertreter verpflichtet ist, Inter-
pellationen der Abgeordneten zu beantworten.
143 Vgl. Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 120 ff.
144 Christoph Gröpl, Staatsrecht, S. 243 Rz. 1079. Nach Thomas Allgäuer, Die parla-
mentarische Kontrolle über die Regierung, S. 53 f. ist eine Fraktion eine Interessen-
gemeinschaft gleichgesinnter Abgeordneter mit dem Zweck, durch ein geschlosse-
nes Auftreten nach aussen im Plenum eine stärkere Position zu erreichen.
145 Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 288 Rz. 11.
146 Christoph Gröpl, Staatsrecht, S. 243 Rz. 1079; Kurt Eichenberger, Verfassung des
Kantons Aargau, 5. 288 Rz. 13.
486
Fraktionen
teien in den Landtag ein!” und üben «vorbereitende Funktionen» für
den Landtag aus.!#® Das deutsche Bundesverfassungsgericht bezeichnet
sie daher als «notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens und
massgebliche Faktoren der politischen Willensbildung».1!9
II. Bildung von Fraktionen —- Regelung
der Geschäftsordnung
Die Verfassung erwähnt die Fraktionen nicht. Sie werden allerdings als
Institution verfassungsrechtlich dadurch gewährleistet, dass aus dem
freien Mandat des Abgeordneten dessen Recht entspringt, sich mit ande-
ren Abgeordneten in Fraktionen zusammenzuschliessen.!5° Einfachge-
setzlich finden sich die massgeblichen Vorschriften zu den Fraktionen in
der Geschäftsordnung des Landtages. Gemäss Art. 14 GOLT kommt
eine Fraktion zustande, wenn ihr mindestens drei Abgeordnete beitre-
ten. !51 Die Geschäftsordnung legt lediglich die Mindestzahl der Mitglie-
der einer Fraktion fest, befasst sich aber nicht mit ihrer Organisation
und Arbeitsweise. Sie setzt sie vielmehr voraus. Jede Fraktion hat dem
Präsidenten ihren Vertreter bzw. «Sprecher» namhaft zu machen.!“? Die
Fraktionssprecher gehören dem Landtagspräsidium an, das insbeson-
dere die Sitzungstermine des Landtages festlegt und die Tagesordnung
147 Nach Gerard Batliner, Parlament, S. 79 gehören die Parteien zum politischen Sys-
tem und es kommt ihnen im Rahmen der repräsentativen Demokratie der Gegen-
wart regelmässig eine bedeutende Rolle zu.
148 Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 288 Rz. 10; vgl. auch Thomas
Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 54 f., der darauf hin-
weist, dass in den Fraktionssitzungen die eigentliche Meinungsbildung stattfindet
und die Eingaben (Interpellationen, Postulate, Motionen, Initiativen und meistens
auch die Anfragen) vorbesprochen und auf ihre Vor- und Nachteile geprüft werden.
149 BVerfGE 80, 188 (219).
150 Wie schon vorne S. 474 f. erwähnt, sind die Prinzipien der parlamentarischen Ord-
nung, wie die Unabhängigkeit der Abgeordneten, der freiwillige Ein- und der un-
gehinderte Austritt, die rechtliche Freiheit gegenüber Fraktionsbeschlüssen (kein
rechtlicher Fraktionszwang bei Wahlen, Abstimmungen und Beratungen), zu be-
achten. Vgl. Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 288 Rz. 12.
151 Siehe auch hinten S. 491.
152 Siehe Art. 14 Abs. 2 GOLT.
487
Geschichtliche Grundlagen und Rechtsstellung
der Landtagssitzungen sowie das Landtagsbudget erstellt.!5 Die Frak-
tionen können wie der einzelne Abgeordnete Anträge stellen oder parla-
mentarische Vorstösse einreichen wie Gesetzes- und Wahlvorschläge,
Motionen, Postulate und Interpellationen. Stellt ein Mitglied des Land-
tages im Rahmen der Diskussion über einen in Beratung stehenden
Gegenstand einen Antrag auf Schluss der Debatte und wird dieser ange-
nommen, hat jede Fraktion das Recht auf eine Wortmeldung.!*
Jeder Landtagsfraktion wie auch jeder Wählergruppe kann ein
ihrer Grösse entsprechender Sitzungsraum samt angemessener Einrich-
tung zur Verfügung gestellt werden.!5 Daneben übernimmt der Staat
indirekt ihre Aufwandskosten über einen Grundbeitrag, den die im
Landtag vertretenen Wählergruppen für ihre Tätigkeit im Landtag erhal-
ten sowie über einen Beitrag, den der Staat dem einzelnen Abgeordneten
ausrichtet. 15
153 Siehe zum Aufgabenbereich des Landtagspräsidiums Art. 10 GOLT.
154 Siehe Art. 31 Abs. 5 GOLT.
155 Siehe Art. 14 Abs. 3 GOLT.
156 Vgl. Art. 1 Abs. 2 Gesetz vom 17. Dezember 1981 über die Bezüge der Mitglieder
des Landtages und von Beiträgen an die im Landtag vertretenen Wählergruppen,
LGBl. 1982 Nr. 22, i. d. F. LGBl. 2013 Nr. 206; siehe auch vorne 5. 480 f.
488
2. Abschnitt
Organisation und Zuständigkeiten
$30 ORGANISATION - LEITUNG UND
VERWALTUNG DES LANDTAGES
I. Allgemeines
Die Organisation und die Verfahrensordnung sind mit ein paar wenigen
Ausnahmen, die die Verfassung vorsieht, in der Geschäftsordnung
des Landtages!” und im Geschäftsverkehrs- und Verwaltungskontroll-
gesetz! festgelegt.!°
II. Organe des Landtages
1. Landtagspräsidium
Das Landtagspräsidium ist ein parlamentarisches Gremium und setzt
sich aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten und den Fraktionsspre-
chern zusammen. Ihm gehört auch der Landtagssekretär mit beratender
Stimme an. Es ist beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte der Mitglie-
der anwesend ist.!®
157 LGBl. 2013 Nr. 9.
158 LGBl. 2003 Nr. 108.
159 Siehe auch Art. 4 Informationsgesetz, LGBI. 1999 Nr. 159, wonach der Landtag in
seiner Geschäftsordnung die Öffentlichkeit der Landtagssitzungen sowie die Infor-
mation über seine Tätigkeiten und die Tätigkeiten seiner Kommissionen und Aus-
schüsse regelt.
160 Siehe Art. 10 Abs. 5 GOLT.
489
Organisation und Zuständigkeiten
Das Landtagspräsidium ist u. a. befugt,!°! die Tagesordnung der Land-
tagssıtzungen und das Landtagsbudget zuhanden des Landtages zu
erstellen, die Sitzungstermine des Landtages festzulegen, Informationen
und Unterlagen für die Abgeordneten, Kommissionen und Delegation
zu beschaffen. Es ist auch zuständig für die ihm zugeordneten Stellen,
wie die Datenschutzstelle, Finanzkontrolle und Ombudsperson für Kin-
der und Jugendliche. Auf Antrag des Landtagssekretärs entscheidet es
über die Anstellung von neuem Personal für den Parlamentsdienst.
Das Landtagspräsidium kann auch, wenn in einem Beschluss
(Gesetzes- oder Finanzbeschluss) Schreib- oder Druckfehler, redaktio-
nelle Unstimmigkeiten oder sinnstörende Versehen festgestellt werden,
bis zur Veröffentlichung im Landesgesetzblatt die gebotene Verbesse-
rung anordnen. Erforderlich ist die Zustimmung des Antragstellers. 1°
2. Präsident und Vizepräsident
Der Landtag wählt in seiner ersten Sitzung einen Präsidenten und einen
Vizepräsidenten für die laufende Sitzungsperiode.!® Sie werden nur für
die jeweilige Sitzungsperiode, in der der Landtag zusammentritt, und
nicht für die ganze Mandatsdauer bestellt, die in der Regel vier Jahrei%
dauert. Zu einer Verkürzung der Mandatsdauer kann es aufgrund der
Auflösung des Landtages kommen.!® In der Praxis ist es die Regel, dass
der Präsident der stärksten, der Vizepräsident der zweitstärksten Frak-
tion angehört.
Der Präsident ordnet innerhalb der Sitzungsperiode die Sitzungen
an, eröffnet und schliesst sie!®, Davon ist die Eröffnungssitzung ausge-
nommen, die vom sogenannten Alterspräsidenten geleitet wird.!%
161 Art. 10 Abs. 2 bis 7 GOLT umschreibt seine Zuständigkeiten in demonstrativer
Weise.
162 Siehe Art. 44 Abs. 2 GVVKG.
163 Siehe Art. 52 Abs. 1 LV und Art. 11 Abs. 1 GOLT.
164 Siehe Art. 47 Abs. 1 LV.
165 Vgl. Art. 48 Abs. 1 und 3 LV.
166 Vgl. Art. 12 Abs. 1 GOLT.
167 Vgl. Art. 49 Abs. 2 LV und Art. 11 Abs. 1 GOLT. Siehe auch hinten S. 505 f. zu den
Sitzungen.
490
Organisation - Leitung und Verwaltung des Landtages
Der Präsident führt den Vorsitz, leitet den Geschäftsgang des Landtages
und hat dabei für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Es obliegt ihm die
Sitzungspolizei.16® Er entscheidet bei Stimmengleichheit, und zwar bei
Wahlen nach dreimaliger, in allen anderen Angelegenheiten nach einma-
liger Abstimmung.!® Er unterzeichnet das Protokoll und die Akten, die
vom Landtag ausgehen.!”° Er kann auch in Absprache mit dem Land-
tagspräsidium den Parlamentsdienst beauftragen, Abklärungen in
Rechts-, Sach- oder Verfahrensfragen vorzunehmen, wobei er ihm ent-
sprechende Weisungen erteilen kann.!7!
Der Präsident vertritt den Landtag nach aussen.!7?
Der Vizepräsident vertritt den Präsidenten, wenn dieser verhindert
ist. Sind beide verhindert, so übernimmt das an Lebensjahren älteste
Mitglied die Funktion des Präsidenten.!7}
3. Fraktionen
Eine Fraktion besteht aus mindestens drei Mitgliedern des Landtages.!7*
Sie hat neben Vorschlags- und Antragsrechten auch einen Anspruch, in
den parlamentarischen Kommissionen vertreten zu sein.!75
4. Schriftführer
Der Landtag wählt aus seiner Mitte für die laufende Sitzungsperiode
zwei Schriftführer, die bei geheimen Wahlen und über Auftrag des Prä-
sidenten als Stimmenzähler fungieren. Er kann sie auch beauftragen, die
Vorlagen oder einzelne Bestimmungen daraus zu verlesen.!7®
168 Vgl. Art. 12 Abs. 1 und Art. 26 Abs. 3 und 4 GOLT.
169 Vgl. Art. 58 Abs. 2 LV.
170 Vgl. Art. 12 Abs. 2 GOLT.
171 Vgl. Art. 12 Abs. 3 GOLT.
172 Vgl. Art. 12 Abs. 4 GOLT.
173 Vgl. Art. 11 GOLT.
174 Vgl. Art. 14 GOLT.
175 Siehe Art. 71 Abs. 4 GOLT.
176 Vgl. Art. 15 GOLT.
491
Organisation und Zuständigkeiten
III. Parlamentsdienst
Der Parlamentsdienst ist eine Verwaltungseinrichtung des Landtages, die
ihm zur Verfügung steht. Sie ist ihm verantwortlich und arbeitet nach
seinen Weisungen.!” Der Parlamentsdienst steht unter der Leitung des
Landtagssekretärs und unterstützt den Landtagspräsidenten, das Land-
tagspräsidium, die Abgeordneten, die Kommissionen und die Delegatio-
nen in ihrer parlamentarischen Arbeit.!7® Zu seinem Aufgabenbereich
zählen namentlich die Administrationsgeschäfte des Landtages und sei-
nes Präsidenten, die Protokollierung der Landtagsdebatten und die
Herausgabe der Landtagsprotokolle, die Erfassung der Landtagsbe-
schlüsse, die Protokolle und den Schriftverkehr von Kommissionen und
Delegationen, die Beschaffung von Informationen und Unterlagen
zuhanden der Abgeordneten, der Kommissionen und Delegationen
sowie die Information der Öffentlichkeit über den Landtag und seine
Tätigkeiten. Das Landtagspräsidium kann weitere Aufgaben in einem
Reglement festhalten. !7?
Der Landtagssekretär!®® wie auch sein Stellvertreter werden vom
Landtag bestellt, während das übrige Personal des Parlamentsdienstes
vom Landtagspräsidium angestellt wird.!8! Sie unterstehen dienstrecht-
lich dem Landtagspräsidenten,!® wobei sinngemäss die Bestimmungen
des Staatspersonalgesetzes und des Gesetzes über die Pensionsversiche-
rung für das Staatspersonal Anwendung finden. Benötigt der Landtag
zur Geschäftsbesorgung zusätzliches Personal, hat es der Landtagspräsi-
dent bei der Regierung anzufordern. !®
177 Vsel. Art. 16 Abs. 1 GOLT und Art. 3 Abs. 1 GVVKG. Siehe zum «Modell eines Par-
lamentsdienstes» auch Roger Beck, Landtag, S. 152 ff. und aus schweizerischer Sicht
Art. 155 BV und dazu Martin Graf, in: Kommentar zu Art. 155 BV, S. 2345 Rz. 5.
178 Vgl. Art. 17 Abs. 1 GOLT.
179 Vgl. Art. 17 Abs. 3 GOLT.
180 Es steht ihm ausserhalb der Tagungszeiten des Landtages das Hausrecht in seinen
Räumlichkeiten zu. Vgl. auch Art. 69 ParlG (SR 171.10).
181 Vegl. Art. 16 Abs. 2 GOLT und Art. 3 Abs. 2 sowie Art. 5 Abs. 1 und 2 GVVKG.
182 So erwähnt beispielsweise Art. 4 Abs. 3 GVVKG die «Sicherung der Aufgabener-
füllung» oder die «Beendigung des Dienstverhältnisses», die zum Aufgabenbereich
des Landtagspräsidenten zählen.
183 Vgl. Art. 3 Abs. 3 GVVKG.
492
Organisation - Leitung und Verwaltung des Landtages
IV. Parlamentarische Kommissionen
1. Allgemeines
Parlamentarische Kommissionen sind «Ausschüsse»!# oder <«Hilfsor-
gane»185 des Landtages, die er aus dem Kreis der Abgeordneten bildet.
Sie nehmen die Stellung von «internen Organen» des Landtages ein!®
und haben bestimmte Aufgaben aus dem parlamentarischen Zuständig-
keitsbereich zu besorgen. Sie entscheiden nicht anstelle des Landtages.
Sie arbeiten ihm vielmehr zu und bereiten die Beschlüsse des Plenums
vor.1!9 Sie können für Geschäfte, deren Beurteilung besondere Kennt-
nisse erfordern, Sachverständige beiziehen.!® Ihr Ansprechpartner ist
die Regierung, der es obliegt, die Aufträge und Abklärungen zu erledi-
gen, die ihr die Kommissionen erteilen.!®
Die parlamentarischen Kommissionen bestehen aus drei bis fünf
Mitgliedern, wobei die Geschäftsprüfungskommission aus Effizienz-
gründen bis zu sieben Mitglieder zählen kann.!® Sie müssen mehrheit-
lich mit ordentlichen Abgeordneten besetzt sein, wobei nur sie den
Vorsitz in Kommissionen übernehmen können.!*! Sie sind beschlussfä-
hig, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend ist. Bei Stim-
mengleichheit trifft der Vorsitzende den Stichentscheid.!? Die Sitzun-
184 Pierre Ischannen, Staatsrecht, S. 441 Rz. 22; Kurt Eichenberger, Verfassung des
Kantons Aargau, 5. 286 Rz. 1.
185 "Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 303 unter
Bezugnahme auf Kurt Eichenberger, Aktuelle Fragen des parlamentarischen Ober-
aufsichtsrechts; siehe auch Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 133.
186 Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 286 Rz. 2.
187 Nach Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 303
«handeln sie nicht in eigenem Namen und schliessen die Kontrollvorgänge nicht
endgültig ab». Sie sind «grundsätzlich dazu da, das Plenum zu entlasten und Ent-
scheidungsgrundlagen zu schaffen».
188 Siehe Art. 77 Abs. 3 GOLT.
189 Siehe Art. 77 Abs. 4 GOLT und Art. 17 Abs. 3 GVVKG.
190 Diese Möglichkeit der Erhöhung auf sieben Mitglieder hängt mit ihrem umfangrei-
chen Aufgabenbereich zusammen. Siehe das Votum des Abgeordneten Paul Vogt in
der Landtagssitzung vom 16. Mai 2000, Landtagsprotokoll 2000, Bd. I, S. 711 und
Art. 71 Abs. 1 GOLT.
191 Siehe Art. 71 Abs. 2 und 3 GOLT.
192 Siehe Art. 72 GOLT.
493
Organisation und Zuständigkeiten
gen sind nichtöffentlich.!® Es besteht für die Kommissionsmitglieder
eine Teilnahmepflicht.!*
Die Zusammensetzung der parlamentarischen Kommissionen rich-
tet sich nach der Fraktionsstärke. Das heisst, dass jede in Fraktionsstärke
im Landtag vertretene Partei das Recht hat, in Kommissionen vertreten
zu sein. Die Wahl des Vorsitzenden erfolgt durch den Landtag.!®
Von diesen parlamentarischen sind die ausserparlamentarischen
Kommissionen zu unterscheiden, die der Landtag zu seiner Beratung
bestellen kann.
Die Vertretung der Regierung in den Landtagskommissionen ist in
Art. 43 GVVKG geregelt. Danach nehmen die Mitglieder der Regierung
auf Einladung des Vorsitzenden an den Beratungen der Landtagskom-
missionen teil. Sie können sich auch von Fachpersonen begleiten und im
Einverständnis mit der jeweiligen Kommission durch Sachbearbeiter
vertreten lassen.
Die parlamentarischen Kommissionen sind andererseits auch
berechtigt, zu ihren Beratungen Regierungsmitglieder beizuziehen und
zu befragen. Dabei steht es ihnen zu, Fachleute mitzunehmen. Die Kom-
missionen haben die Zustimmung der Regierung einzuholen, wenn sie
Staatsangestellte konsultieren möchten. Nötigenfalls entbindet sie die
Regierung von der Pflicht der Amtsverschwiegenheit und ermächtigt sie
zur Herausgabe von Akten.!%
Die Geschäftsordnung unterscheidet zwischen den ständigen und
den nichtständigen Kommissionen.
2. Ständige Kommissionen
Zu den ständigen Kommissionen, die der Landtag in seiner ersten Sit-
zung für die laufende Sitzungsperiode zu wählen hat, zählen die Finanz-
kommission, die Geschäftsprüfungskommission und die Aussenpoliti-
193 Siehe Art. 73 Abs. 1 GOLT.
194 Siehe Art. 71 Abs. 6 GOLT.
195 Siehe Art. 71 Abs. 4 und 5 GOLT.
19 Siehe Art. 77 Abs. 1 und 2 GOLT und Art. 17 Abs. 1 und 2 GVVKG.
494
Organisation - Leitung und Verwaltung des Landtages
sche Kommission.!” Sie können sich ein Reglement geben, das der
Genehmigung des Landtages bedarf. Zu ihren Aufgaben gehören die
Geschäfte in Sachgebieten, die ihnen die Verfassung, die Gesetze und der
Landtag zuteilen. Sie haben sie vorzuberaten und wahrzunehmen sowie
dem Landtag Empfehlungen abzugeben und Anträge zu stellen.!® Sie
berichten ihm in der Regel schriftlich in Form der Sitzungsprotokolle.!®®
Aussagen und Anträge einer Kommissionsminderheit, die vom Kom-
missionsbericht abweichen, können von ihr schriftlich vorgebracht und
begründet werden.?%
Die ständigen Kommissionen und die Untersuchungskommissio-
nen können sich in Ausschüsse gliedern, denen im Rahmen ihrer Auf-
träge die gleichen Befugnisse zukommen wie der Gesamtkommission.
Diese erteilt die Aufträge und fasst die Beschlüsse.?!
a) Finanzkommission
Die Finanzkommission, die in Art. 63ter LV verankert ist, prüft den Vor-
anschlag des Staates. Sie prüft und begutachtet überdies sämtliche Vorla-
gen der Regierung an den Landtag, die finanzielle Auswirkungen haben.
Die Regierung legt sie rechtzeitig der Kommission vor, nachdem sie sie
verabschiedet hat.2 Die Finanzkommission hat auch Aufgaben nach
dem Finanzhaushaltsgesetz wahrzunehmen.?® Der Landtag kann sie
überdies ermächtigen, an seiner Stelle über den Erwerb und die Veräus-
serung von Grundstücken zu beschliessen.?*
197 Siehe Art. 64 GOLT. Es handelt sich bei ihnen um ständige Kommissionen, da ihre
Tätigkeit nicht wie bei den vorbereitenden Kommissionen (Art. 68 und 69 GOLT)
oder wie bei den Untersuchungskommissionen beschränkt ist. So Thomas Allgäuer,
Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 333.
198 Nach Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 303
ist es ihre Aufgabe, das Plenum zu entlasten und Entscheidungsgrundlagen zu erar-
beiten. Vgl. auch Pierre Tschannen, Staatsrecht, S. 442 Rz. 24.
199 Siehe Art. 74 Abs. 1 GOLT und zur Sitzungsprotokollierung auf Tonträger Art. 74
Abs. 4 GOLT.
200 Siehe Art. 75 Abs. 3 GOLT.
201 Siehe Art. 79 GOLT.
202 Siehe Art. 65 GOLT und Art. 18 GVVKG.
203 Soz.B. Art. 11 Abs. 2 und Art. 33 Abs. 2 FHG.
204 Siehe Art. 63ter LV.
495
Organisation und Zuständigkeiten
b) Geschäftsprüfungskommission
ba) Kontrollrecht: Inhalt und Aufgaben
Dem Landtag steht nach Art. 63 Abs. 1 LV die Oberaufsicht?® über die
gesamte Staatsverwaltung zu. Sie umfasst die gesamte Geschäftsführung
von Regierung und Verwaltung einschliesslich der Justizverwaltung?®.
Von diesem Kontrollrecht ausgenommen sind die Rechtsprechung der
Gerichte und die Tätigkeiten, die dem Landesfürsten zugewiesen sind.
Das Oberaufsichtsrecht ist mit keinen unmittelbaren Sanktionen
bewehrt. Es unterscheidet sich von der Aufsicht, die der Regierung über
die Verwaltung zukommt.?” Es berechtigt den Landtag nicht, Entschei-
dungen der Regierung aufzuheben oder abzuändern oder ihr Weisungen
zu erteilen, die sie für zukünftiges Handeln rechtlich binden würden.?®
Der Landtag übt das Kontrollrecht insbesondere durch die
Geschäftsprüfungskommission aus, die sich in Subkommissionen von
mindestens zwei Mitgliedern unterteilen kann.?® Es stehen diesen «Aus-
schüssen» im Rahmen ihrer Aufträge die gleichen Befugnisse zu wie der
Gesamtkommission. Damit soll sichergestellt werden, dass sie wie die
Gesamtkommission auch Einsichts- und Befragungsrechte haben.?!° Die
Geschäftsprüfungskommission kann zur Feststellung von Tatsachen
205 Art. 63 Abs. 1 LV spricht von «Kontrolle». Diesem Begriff wird derjenige der
«Oberaufsicht», wie ihn beispielsweise im Zusammenhang mit der Geschäftsprü-
fungskommission Art. 23 Abs. 1 GVVKG verwendet, gleichgesetzt.
206 Zum Begriff «Justizverwaltung» siehe Art. 63 Abs. 1 LV; siehe auch Robert Walter /
Heinz Mayer / Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht, S. 370 Rz. 765
mit Literaturhinweisen.
207 Vgl. Philippe Mastronardi, Die parlamentarische Oberaufsicht im Fürstentum
Liechtenstein, S. 6.
208 Vgl. Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 270 Rz. 4. Die «heilende
Wirkung des Oberaufsichtsrechts» liegt nach ihm «vorwiegend in der Tatsache, dass
kontrolliert wird und dass Beanstandungen vor den Ohren der Öffentlichkeit vor-
gebracht werden (Reinigungseffekt des Öffentlichen)». Vgl. auch den Bericht der
Landtagskommission vom 4. Oktober 2002 betreffend Geschäftsverkehrgesetz,
S. 12, in: Landtagsprotokolle 2002 Bd. II, beigefügt der Landtagssitzung vom
24. Oktober 2002.
209 Siehe Art. 22 Abs. 2 GVVKG.
210 So Bericht der Landtagskommission vom 4. Oktober 2002 betreffend Geschäftsver-
kehrsgesetz, S. 10, in: Landtagsprotokolle 2002 Bd. II, beigefügt der Landtagssit-
zung vom 24. Oktober 2002.
496
Organisation - Leitung und Verwaltung des Landtages
sowie zur Abklärung von Verantwortlichkeiten auch Untersuchungs-
kommissionen einsetzen.2!!
Es zählt zu den Aufgaben der Geschäftsprüfungskommission, wie
sich dies aus der Oberaufsicht ergibt, «sich und dem Landtag Einblick in
die Aufgabenerfüllung und den Mitteleinsatz der Verwaltung (ein-
schliesslich der Justizverwaltung) zu verschaffen und deren Wirken zu
beurteilen mit dem Ziel, durch Transparenz Vertrauen herzustellen».?!?
Die Kontrolle besteht in zweifacher Hinsicht, wobei nach zum Teil ver-
schiedenen Kriterien vorgegangen wird. Die Geschäftsprüfung hat sich
an den Grundsätzen der Rechtmässigkeit, Zweckmässigkeit, Zielkonfor-
mität, Leistungsfähigkeit und Wirksamkeit zu orientieren. Bei der
Finanzaufsicht stehen neben der Rechtmässigkeit die Grundsätze der
Ordnungsmässigkeit und Wirtschaftlichkeit im Vordergrund.?!? Unter-
sucht wird das Mass der Aufgabenerfüllung, um «Mängel und Schwä-
chen in Gesetzgebung und Vollzug zu beheben», und der Mitteleinsatz,
um «das Verhältnis von Leistung und Mittel der Verwaltung aufgaben-
gerecht zu optimieren».214
Gegenstand der Prüfung bilden insbesondere die Jahresrechnung
und der Rechenschaftsbericht sowie die Ämter. Dazu kommen beson-
dere Aufträge des Landtages.215
Zeitlich lassen sich zwei Arten der Oberaufsicht auseinanderhal-
ten.216 Die Regel bildet die nachträgliche Kontrolle der Verwaltungstä-
tigkeiten, d. h. zu einem Zeitpunkt, in dem die Regierung ihre Entschei-
dungen bereits getroffen hat. Möglich sind auch begleitende Kontrollen.
Dies ist etwa der Fall, wenn sich die Geschäftsprüfungskommission
oder ihre Unterkommissionen bzw. Ausschüsse?!? schon im Voraus oder
211 Siehe Art. 21 Abs. 2 GVVKG, der gleich lautet wie Abs. 1 von Art. 70 GOLT, der
die Untersuchungskommissionen zum Gegenstand hat. Zu den Untersuchungs-
kommissionen siehe hinten S. 502 f.
212 Bericht der Landtagskommission vom 4. Oktober 2002 betreffend Geschäftsver-
kehrsgesetz, S. 11, in: Landtagsprotokolle 2002 Bd. II, beigefügt der Landtagssit-
zung vom 24. Oktober 2002.
213 Siehe Art. 23 Abs. 2, LGBI. 2003 Nr. 108.
214 Bericht der Landtagskommission vom 4. Oktober 2002 betreffend Geschäftsver-
kehrgesetz, S. 11, in: Landtagsprotokolle 2002 Bd. IT, beigefügt der Landtagssitzung
vom 24. Oktober 2002.
215 Siehe Art. 66 Abs. 2 GOLT und Art. 23 Abs. 3 GVVKG.
216 Siehe Art. 24 GVVKG.
217 Art. 79 GOLT.
497
Organisation und Zuständigkeiten
während einer bestimmten Verwaltungstätigkeit, beispielsweise bei einer
Projektbearbeitung durch die Regierung, einschalten.2?!® Besonderes
Gewicht kommt in diesem Zusammenhang «der in der Verfassung fest-
geschriebenen Gewaltenteilung» zu.2!? Diesem Grundsatz trägt Art. 24
Abs. 2 GVVKG in dem Sinne Rechnung, dass die Geschäftsprüfungs-
kommission, wenn sie eine begleitende Kontrolle durchführt, die Regie-
rung vorgängig um eine Stellungnahme ersucht bzw. ihr Gelegenheit
einräumt, die Empfehlungen umzusetzen, bevor sie den Landtag infor-
miert.220
bb) Befugnisse und Informationsinstrumente
Die Geschäftsprüfungskommission hat allgemein das Recht, von allen
Behörden, Amtsstellen und Kommissionen der Staatsverwaltung, von
den vom Land getragenen Schulen sowie von Organen öffentlicher
Unternehmen Auskünfte einzuholen.?! Sie kann von der Regierung alle
Akten der Verwaltung zur Einsicht verlangen. Diese hat der Geschäfts-
prüfungskommission «alle relevanten Dokumente (insbesondere
Berichte, Abklärungen, Gutachten), auf die sich ein Entscheid massgeb-
lich abstützt, bekannt zu geben».?22
Ist es jedoch zur Wahrung des Amtsgeheimnisses oder zur Wah-
rung schutzwürdiger persönlicher Interessen oder aus Rücksicht auf ein
noch nicht abgeschlossenes Verfahren unerlässlich, kann die Regierung
davon absehen, die betreffenden Akten herauszugeben und an dessen
Stelle einen besonderen Bericht erstatten. Genügt dieser Bericht der
Geschäftsprüfungskommission nicht, hört sie die Regierung an.??
218 Vgl. Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 270 f. Rz. 6; Pierre
"Ischannen, Staatsrecht, S. 467 f. Rz. 9.
219 Zur Gewaltenteilung und begleitenden Kontrolle siehe Philippe Mastronardi, Die
parlamentarische Oberaufsicht im Fürstentum Liechtenstein, 5. 17 ff.
220 Siehe Bericht der Landtagskommission vom 4. Oktober 2002 betreffend Geschäfts-
verkehrsgesetz, S. 12, in: Landtagsprotokolle 2002 Bd. II, beigefügt der Landtags-
sitzung vom 24. Oktober 2002; vgl. auch Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 131,
der sich grundsätzlich zum Verhältnis von Geschäftsprüfungskommission und Ge-
waltenteilungsprinzip äussert.
221 Siehe Art. 25 Abs. 1 GVVKG.
222 Siehe Art. 25 Abs. 2 und 2bis GVVKG.
223 Siehe Art. 25 Abs. 3 GVVKG.
498
Organisation - Leitung und Verwaltung des Landtages
Soweit es um die Kontrolle des Finanzhaushaltes geht, hat die Ge-
schäftsprüfungskommission das uneingeschränkte Recht, jederzeit in die
mit dem Finanzhaushalt im Zusammenhang stehenden Akten Einsicht
zu nehmen und von allen Behörden, Amtsstellen und Kommissionen der
Staatsverwaltung zweckdienliche Auskünfte zu verlangen.?* Stehen
besondere Prüfungen und Untersuchungen an, hat ihr der Landtag das
nötige Personal zur Verfügung zu stellen. Die Geschäftsprüfungskom-
mission kann auch Sachverständige beiziehen.25
bc) Zusammenarbeit mit der Finanzkontrolle
Die Zusammenarbeit mit der Finanzkontrolle ist im Finanzkontrollge-
setz vom 22. Oktober 2009 (FinKG) festgelegt.26 Diese hat den Landtag
bzw. die Geschäftsprüfungskommission bei der Ausübung ihrer verfas-
sungsmässigen Finanzkompetenzen sowie ihrer Oberaufsicht über das
öffentliche Finanzgebaren und die öffentliche Rechnungslegung zu
unterstützen.?7 Die Geschäftsprüfungskommission kann ihr Aufträge
für besondere Prüfungen und Untersuchungen erteilen.?® Sie erhält auch
jeden von der Finanzkontrolle abgeschlossenen Prüfungsbericht.??
bd) Berichterstattung
Die Geschäftsprüfungskommission berichtet dem Landtag laufend über
die Ergebnisse der Kontrollen, die sie durchgeführt hat, und insbeson-
dere anlässlich der Behandlung des jährlichen Rechenschaftsberichtes
und der Landesrechnung. Sie kann dem Landtag auch gesondert berich-
ten, wenn bestimmte Umstände dies rechtfertigen.??
224 Siehe Art. 26 Abs. 1 GVVKG. Diese Regelung beinhaltet, dass die Regierung das In-
formationsrecht der Geschäftsprüfungskommission nicht beschränken darf. Vgl.
Philippe Mastronardi, Die parlamentarische Oberaufsicht im Fürstentum Liechten-
stein, S. 12.
225 Siehe Art. 26 Abs. 2 GVVKG.
226 Siehe LGBl. 2009 Nr. 324 und dazu BuA Nr. 122/2008 der Regierung vom 30. Sep-
tember 2008 betreffend die Schaffung eines Gesetzes über die Finanzkontrolle. Vgl.
auch den Bericht der Landtagskommission vom 4. Oktober 2002 betreffend Ge-
schäftsverkehrsgesetz, S. 13 ff., in: Landtagsprotokolle 2002 Bd. II, beigefügt der
Landtagssitzung vom 24. Oktober 2002.
227 Siehe Art. 2 Abs. 1 Bst. a FinKG.
228 Siehe Art. 12 FinKG.
229 Siehe Art. 16 FinKG.
230 Siehe Art. 28 GVVKG.
499
Organisation und Zuständigkeiten
c) Aussenpolitische Kommission
Die Aussenpolitische Kommission prüft und begutachtet die Staatsver-
träge, die nach Art. 8 Abs. 2 LV der Zustimmung des Landtages bedür-
fen.21 Ihre Zusammenarbeit mit der Regierung in auswärtigen Angele-
genheiten findet auf der Informationsebene statt.?? Sie versteht sich nur
ın diesem beschränkten Rahmen, wenn von der Wahrnehmung der Inte-
ressen des Landes die Rede ist,?® denn die Mitwirkung beim Abschluss
von Staatsverträgen liegt in der Kompetenz des Landtages,? die er in
der gesetzlich konstituierten Versammlung ausübt.?® Diese Stellung des
Landtages, die er in auswärtigen Angelegenheiten einnimmt, erklärt
auch, warum die Regierung gehalten ist, die Aussenpolitische Kommis-
sion regelmässig frühzeitig und umfassend über die Entwicklung der
aussenpolitischen Lage sowie über Vorhaben im Rahmen der Internatio-
nalen Organisationen und Verhandlungen mit auswärtigen Staaten ins
Bild zu setzen.? Die Aussenpolitische Kommission informiert den
Landtag und die Regierung über die Beschlüsse, die sie gefasst hat. Dies
geschieht in der Regel anhand der Sitzungsprotokolle.?”7 In dringenden
Fällen konsultiert die Regierung das vorsitzende Mitglied der Aussen-
politischen Kommission, das umgehend die andern Mitglieder der Kom-
mission informiert.?2?®
231 Siehe Art. 67 GOLT und Art. 19 Abs. 1 GVVKG. Zu den zustimmungsbedürftigen
Staatsverträgen siehe Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 223 ff.; Günther Wink-
ler, Staatsverträge, S. 114.
232 Vgl. Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 270 f.
233 Siehe Art. 67 GOLT.
234 Vgl. auch Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 269 und Art. 66bis LV, der den
Landtagsbeschluss, der die Zustimmung zu einem Staatsvertrag zum Gegenstand
hat, dem Referendum unterstellt.
235 Siehe Art. 62 Bst. b ı. V. m. Art. 45 Abs. 2 LV. Siehe auch Peter Wolff, Die Vertre-
tung des Staates nach aussen, S. 285, der überdies zu bedenken gibt, dass der Land-
tag neben seiner Zuständigkeit «auch im Rahmen der Gesetzgebungskompetenz
und vor allem im Rahmen der Finanzhoheit vielfach mit auswärtigen Angelegen-
heiten in Berührung kommt und ohne Bewilligung der nötigen Finanzmittel durch
den Landtag eine Wahrnehmung der Interessen des Landes in auswärtigen Angele-
gen» nicht möglich ist.
236 Siehe Art. 19 Abs. 2 GVVKG. Zur Kontrollfunktion der Aussenpolitischen Kom-
mission siehe Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regie-
rung, S. 336.
237 Siehe Art. 19 Abs. 4 GVVKG.
238 Siehe Art. 19 Abs. 3 GVVKG.
500
Organisation - Leitung und Verwaltung des Landtages
3. Nichtständige Kommissionen
Neben den ständigen Kommissionen kennt die Geschäftsordnung auch
nichtständige Kommissionen, denen der Landtag spezielle Aufgaben
überträgt, die sich nicht ohne weiteres dem Zuständigkeitsbereich der
ständigen Kommissionen zuordnen lassen. Sie konstituieren sich entwe-
der als besondere Kommissionen oder als Untersuchungskommissionen.
Zur Kategorie der besonderen Kommissionen gehören die vorberaten-
den Kommissionen und die EWR-Kommission.??
Die Amtsdauer der nichtständigen Kommissionen erlischt, sobald
sie ihren Auftrag ausgeführt haben, jedenfalls aber mit Ablauf der Man-
datsdauer des Landtages. Sie können während dieser Zeit ihre Sitzungen
auch dann abhalten, wenn der Landtag geschlossen ist.?*° Sie berichten
dem Landtag in der Regel in Form eines Kommissionsberichtes.?1
a) Vorberatende Kommissionen
Vorberatende Kommissionen werden von Fall zu Fall bestellt, um ein-
zelne Verhandlungsgegenstände aus einem bestimmten Sachbereich für
die Verhandlung im Plenum vorzubereiten und ihm Vorschläge zu
unterbreiten. Sie stellen den Regeltyp unter den besonderen Kommis-
sionen dar. Kommissionen, insbesondere solche, die sich mit Gesetzes-
vorhaben befassen, können anlässlich der Eintretensdebatte eingesetzt
werden.?? In der Praxis werden Gesetzesvorlagen auch nach der ersten
Lesung an eine Kommission überwiesen. Dies ist bis zur Schlussabstim-
mung möglich? und dürfte dann der Fall sein, wenn eine Gesetzesvor-
lage in verschiedener Hinsicht umstritten ist.
b) EWR-Kommission
Die EWR-Kommission überprüft die Beschlüsse des Gemeinsamen
EWR-Ausschusses im Sinne von Art. 8 Abs. 2 LV auf die Zustim-
mungsbedürftigkeit durch den Landtag.?*#* Diese Aufgabe nimmt sie wie
239 Siehe Art. 68 Abs. 1 ı. V. m. Art. 69 GOLT.
240 Siehe Art. 78 GVVKG.
241 Siehe Art. 75 Abs. 2 GVVKG.
242 Siehe Art. 34 Abs. 1 GOLT.
243 Siehe Art. 34 Abs. 7 GOLT.
244 Siehe Art. 69 Abs. 2 GOLT.
501
Organisation und Zuständigkeiten
die ständigen Kommissionen während der ganzen Sitzungsperiode wahr
und unterscheidet sich darin von den vorberatenden Kommissionen, die
sich nach Abschluss ihres Auftrags wieder auflösen. Es handelt sich bei
ihr um eine Kommission besonderer Art, wenn man sie unter den
Aspekten der Geschäftsbehandlung und der Dauer betrachtet.?5
c) Untersuchungskommissionen
Auch die Untersuchungskommissionen sind unter die nichtständigen
Kommissionen zu reihen, da sie zur Behandlung eines bestimmten
Gegenstandes eingesetzt werden und ihre Amtsdauer erlischt, sobald sie
ihren Auftrag erledigt haben.?** Es handelt sich um Ad-hoc-Kommissio-
nen. Sie müssen von Verfassungs wegen gebildet werden, wenn ein Vier-
tel der gesetzlichen Zahl der Abgeordneten dies beantragt.?*
Die Aufgabe der Untersuchungskommissionen besteht darin, Tat-
sachen festzustellen und Verantwortlichkeiten abzuklären,?® wobei der
Regierung Gelegenheit zu einer Stellungnahme einzuräumen ist.?*? Der
Einsetzungsbeschluss ist hinreichend zu bestimmen. Die Untersu-
chungskommission kann auch Subkommissionen?” mit einzelnen Auf-
trägen betrauen, denen im Rahmen ihrer Aufträge die gleichen Befug-
nisse zustehen wie der Gesamtkommission.?! Die Gerichte und Verwal-
tungsbehörden haben ihnen Rechts- und Amitshilfe zu leisten.?2
Jede Untersuchungskommission legt die verfahrensmässigen Vor-
kehrungen fest, die für ihre Ermittlungen erforderlich sind. Sie kann ins-
besondere Auskunftspersonen befragen, Zeugen einvernehmen und die
245 Pierre Tschannen, Staatsrecht, S. 444 Rz. 33 vermerkt, dass es Kommissionen gibt, die
sich den vorgenannten (herkömmlichen) Typen nur schlecht zuordnen lassen.
246 Besondere Kommissionen und Untersuchungskommissionen können nach Art. 78
Abs. 2 GOLT während der Mandatsdauer des Landtages auch tagen, wenn der
Landtag geschlossen ist. Gerard Batliner, Parlament, S. 102 hält eine solche Bestim-
mung für verfassungswidrig. So auch Roger Beck, Landtag, S. 194.
247 Siehe Art. 63bis LV und Art. 70 Abs. 2 GOLT.
248 Zu Sinn und Zweck von Untersuchungskommissionen siehe Regina Kiener, Infor-
mationsrechte, S. 241 f.
249 Siehe Art. 37 Abs. 2 GOLT.
250 Diese müssen gemäss Art. 30 Abs. 3 GVVKG aus mindestens zwei Mitgliedern
bestehen. Art. 79 Abs. 1 GOLT nennt sie «Ausschüsse».
251 Siehe Art. 79 Abs. 1 GOLT und Art. 30 Abs. 3 GVVKG.
252 Siehe Art. 31 GVVKG.
502
Organisation - Leitung und Verwaltung des Landtages
Herausgabe der Akten verlangen. Sie ist auch befugt, Sachverständige
beizuziehen und Augenscheine vorzunehmen. Dabei kommen für die
Beweiserhebungen das Landesverwaltungspflegegesetz und ergänzend
die Zivilprozessordnung zur Anwendung.?3 Die von Staatsangestellten
gemachten Äusserungen, für die die Amtsverschwiegenheit gilt, und die
von der Regierung als vertraulich bezeichneten Akten, die sie herausge-
geben hat, unterliegen der Geheimhaltung.?**
Die Untersuchungskommission hat der Regierung und den von der
Untersuchung betroffenen Personen das rechtliche Gehör zu gewäh-
ren.?5 Die falsche Aussage als Zeuge oder Sachverständiger sowie die
Verweigerung der Aussage oder der Aktenherausgabe sind unter Strafe
gestellt.256
Die Einsetzung einer Untersuchungskommission hindert die
Durchführung anderer rechtlicher Verfahren nicht.?7 Sie hat nach
Abschluss der Untersuchung dem Landtag Bericht zu erstatten und die-
sen gleichzeitig der Regierung zur Kenntnis zu bringen, womit er öffent-
lich wird, wenn die Untersuchungskommission keinen anderen Zeit-
punkt bestimmt.?*®
4. Delegationen
Der Landtag gestaltet seine Aussenbeziehungen zu internationalen par-
lamentarischen Versammlungen und Organisation sowie zu Parlamen-
ten anderer Staaten, indem er ständige oder besondere Delegationen mit
seiner Vertretung beauftragt.? Sie organisieren sich selbst und entschei-
den mit der Mehrheit der stimmenden Mitglieder, wobei der Leitung der
253 Siehe Art. 32 GVVKG i. V. m. Art. 33, 34 und 35 GVVKG. Zu den Befugnissen der
Untersuchungskommissionen siehe auch Thomas Allgäuer, Die parlamentarische
Kontrolle über die Regierung, S. 341 ff.
254 Siehe Art. 36 GVVKG.
255 Vgl. Art. 37 und 38 GVVKG.
256 Siehe Art. 39 GVVKG.
257 Siehe Art. 40 GVVKG.
258 Siehe Art. 41 GVVKG.
259 Vgl. für die Schweiz Art. 60 ParlG und dazu Bernhard Ehrenzeller, in: Kommentar
zu Art. 166 BV, 5. 2448 Rz. 37.
503
Organisation und Zuständigkeiten
Delegation bei Stimmengleichheit der Stichentscheid zukommt.?® Sie
berichten dem Landtag jährlich über ihre Tätigkeiten.2!
Der Landtag wählt derzeit? für jede Mandatsperiode die ständi-
gen Delegationen bei der Parlamentarischen Versammlung des Europa-
rates, der Parlamentarischen Versammlung der OSZE (Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa), der Parlamentarierkonfe-
renz Bodensee sowie bei den Parlamentarierkomitees der EFTA- bzw.
der EWR-Staaten (Europäische Freihandelsassoziation bzw. Europäi-
scher Wirtschaftsraum). Der Landtag ist auch Mitglied der Interparla-
mentarischen Union (IPU) und entsendet eine Delegation in deren
Organe, d. h. in die Interparlamentarische Konferenz und in den Inter-
parlamentarischen Rat.
Die ständigen Delegationen setzen sich grundsätzlich aus zwei
Mitgliedern des Landtages und deren Ersatzmitgliedern zusammen, die
nur bei Verhinderung der ordentlichen Abgeordneten zum Einsatz
kommen. Bei der Parlamentarierkonferenz Bodensee hat jede im Land-
tag vertretene Wählergruppe Anspruch auf Einsitz eines Mitgliedes.2®
Die ständigen Delegationen müssen mehrheitlich mit ordentlichen Mit-
gliedern des Landtages besetzt sein.?* Es kann auch nur ihnen die Lei-
tung übertragen werden. Ersatzmitglieder kommen nur zum Einsatz,
wenn ordentliche Mitglieder des Landtages verhindert sind.2®
Der Landtag kann auch besondere Delegationen «zur Pflege der
Beziehungen zu Parlamenten anderer Staaten» bestellen. Diese sind bei
gegebenem Anlass einzuberufen und können aus drei oder fünf Mitglie-
dern des Landtages bestehen. Der Landtag bestimmt die Leitung der
Delegation.26%
260 Siehe Art. 63 GOLT.
261 Siehe Art. 61 Abs. 7 und 62 Abs. 3 GOLT.
262 Siehe Art. 61 Abs. 1 GOLT.
263 Siehe Art. 61 Abs. 2 GOLT.
264 Gleiche Regelung wie bei den Kommissionen; siehe dazu vorne S. 493.
265 Siehe Art. 61 Abs. 3, 4 und 5 GOLT.
266 Siehe Art. 62 Abs. 1 und 2 GOLT.
504
Parlamentarisches Verfahren
$31 PARLAMENT TARISCHES VERFAHREN
I. Sitzungsperiode
Als Sitzungsperioden bezeichnet man diejenigen Zeitabschnitte inner-
halb einer Wahlperiode, während derer der Landtag seine Sitzungen
abhält.?”7 So wird der Landtag regelmässig am Beginn eines jeden Jahres
in Form einer fürstlichen Verordnung, die den Ort, den Tag und die
Stunde der Versammlung angibt, einberufen.?2® Die Sitzungsperiode en-
det mit der Schliessung des Landtages.2®
II. Sitzungen
1. Allgemeines
Sitzungen werden diejenigen Zeiträume genannt, in denen der Landtag
tatsächlich versammelt ist, um seine Beratungen durchzuführen.”° Er
tritt nach Art. 49 Abs. 2 LV «innerhalb des Jahres» bzw. der Sitzungspe-
riode zu Sitzungen zusammen. Der Landtag gilt während dieser Dauer,
ausgenommen im Fall der Vertagung, «in der Sprache der Verfassung»
als «versammelt»,?! auch wenn es zwischen den einzelnen Sitzungen zu
zeitlichen Unterbrechungen kommt.
2. Einberufung bzw. Anordnung
Die Ladung zur Eröffnungssitzung erfolgt üblicherweise in einer fürst-
lichen Verordnung. Es können auch 1000 wahlberechtigte Landesbürger
oder drei Gemeinden schriftlich begründet verlangen, dass der Landtag
einberufen wird.?? In diesem Fall erfolgt die Ladung über die Regie-
267 Vgl. auch Theodor Maunz/Hans H. Klein, Kommentar zu Art. 39 GG Rz. 2.
268 Siehe Art. 49 Abs. 1 LV und Art. 3 GOLT; vgl. auch Gerard Batliner, Parlament, S.100f.
269 Siehe Art. 55 LV und Art. 6 GOLT.
270 Vgl. Theodor Maunz/Hans H. Klein, Kommentar zu Art. 39 GG Rz. 3.
271 Siehe Art. 56 Abs. 1 und 3 LV und Gerard Batliner, Parlament, S. 101.
272 Siehe Art. 48 Abs. 1 und 2 sowie Art. 49 Abs. 1 LV, Art. 87 VRG und Art. 4 GOLT.
505
Organisation und Zuständigkeiten
rung.?? Wenn es die «Umstände» erfordern, ist auch der Landesaus-
schuss «berechtigt und verpflichtet», die Einberufung des Landtages zu
beantragen.?7*
Bevor der Landtag seine Tätigkeit aufnehmen kann, hat er sich zu
konstituieren.?”5 Er nimmt am Anfang einer jeden Sitzungsperiode, d. h.
«in seiner ersten Sitzung»?”* die Wahl des Präsidenten und Vizepräsiden-
ten vor. Der Landtag wählt aus seiner Mitte auch zwei Schriftführer?”7
sowie die ständigen Kommissionen und Delegationen.?78
Innerhalb der Sitzungsperiode werden die Sitzungen, abgesehen
von der Eröffnungssitzung, vom Präsidenten in Absprache mit dem
Landtagspräsidium angeordnet.?* Er hat auch eine Sitzung einzuberu-
fen, wenn sie von fünf Abgeordneten schriftlich verlangt wird, wobei sie
das Geschäft, das behandelt werden soll, bekannt zu geben haben. Er hat
die Sitzung innert drei Wochen anzuberaumen. Soll sie in einer kürzeren
Zeitspanne stattfinden, ist die Dringlichkeit zu begründen.?® Der Präsi-
dent hat eine Sitzung «sofort» anzuordnen, wenn sie von 1000 wahlbe-
rechtigten Landesbürgern oder von drei Gemeinden schriftlich begrün-
det begehrt wird.?! Ist der Landtag vertagt, so ist er von ıhm vor Ablauf
der Vertagungsfrist?®? ebenfalls umgehend einzuberufen.?®
273 Vgl. Gerard Batliner, Parlament, S. 100 Fn. 209, der unter Hinweis auf Art. 87 Abs. 5
VRG eine Zuständigkeit der Regierung auch dann annimmt, wenn es sich im An-
schluss an Neuwahlen um die Einberufung zur Eröffnungssitzung der 1. Sitzungs-
periode handelt.
274 Siehe Art. 74 Bst. £ LV und Gerard Batliner, Parlament, S. 101 Fn. 213.
275 Nach Art. 45 Abs. 2 LV kann der Landtag die ihm zukommenden Rechte «nur in
der gesetzlich konstituierten Versammlung» ausüben.
276 Siehe Art. 52 LV und Art. 11 Abs. 1 GOLT.
277 Siehe Art. 15 Abs. 1 GOLT.
278 Siehe Art. 64 GOLT. Die Delegationen werden nach Art. 61 Abs. 1 GOLT nicht
jeweils für die laufende Sitzungsperiode, sondern für die Mandatsperiode bestellt.
Vgl. zur Wahl weiterer Kommissionen und Gremien das Protokoll über die Eröff-
nungssitzung des Landtages (im Internet abrufbar unter: <www.landtag.li>).
279 Siehe Art. 49 Abs. 2 LV und Art. 18 Abs. 1 GOLT.
280 Siehe Art. 18 Abs. 3 GOLT.
281 Vgl. Art. 48 Abs. 2 LV und Art. 87 Abs. 1 bis 3 VRG sowie Art. 4 GOLT.
282 Siehe Art. 48 Abs. 1 und Art. 49 Abs. 3 LV.
283 Siehe Art. 48 Abs. 2 und Art. 87 Abs. 5 VRG sowie Art. 4 GOLT; vgl. in diesem
Sinne Gerard Batliner, Parlament, S. 101 Fn. 213, wo er ausführt: «Der Landtag
kann nur vom Fürsten <aus erheblichen Gründen, die der Versammlung jedesmal
mitzuteilen sind», auf höchstens drei Monate vertagt werden, und zwar nur vor dem
in einer Sitzung anwesenden Landtag (Art. 48 Abs. 1 und 72 Abs. 2 Verf.). Auf
506
Parlamentarisches Verfahren
3. Öffentlichkeit
Die Sitzungen des Landtages sind in der Regel öffentlich. Nach Hans
Hugo Klein muss repräsentative Demokratie «kommunikative Demo-
kratie» sein.2* Die Öffentlichkeit kann jedoch ausgeschlossen werden,
wenn es der Präsident anordnet oder der Landtag es auf Antrag eines
Abgeordneten oder eines Regierungsmitgliedes beschliesst.?® Als Aus-
schliessungsgründe, auch wenn solche nicht genannt werden, kommen
etwa wichtige Sicherheitsinteressen des Landes oder der Persönlich-
keitsschutz in Betracht.?®% Gesetze und Finanzbeschlüsse sind jedoch in
öffentlicher Sitzung zu behandeln.2®
4. Disziplinargewalt bzw. Sitzungsdisziplin
Hält sich ein Abgeordneter in seinen Ausführungen nicht an den Bera-
tungsgegenstand, so ermahnt ihn der Präsident, «bei der Sache zu blei-
ben», oder verletzt er den «parlamentarischen Anstand», ruft er ihn «zur
Ordnung». Missachtet ein Abgeordneter die wiederholten Mahnungen,
entzieht ihm der Präsident «längstens für die laufende Sitzung das
Wort». Das Stimmrecht kann er ihm nicht entziehen.?8
begründetes schriftliches Verlangen von 600 [derzeit: 1000] Stimmberechtigten oder
von drei Gemeinden freilich ist auch ein vom Fürsten vertagter, aber konstituiert
bleibender Landtag vor Ablauf der Vertagungsfrist vom Landtagspräsidenten sofort
einzuberufen (Art. 48 Abs. 1 und 2 Verf.; Art. 87 Abs. 1 und 5 VolksrechteG; $ 2
GO [derzeit: Art. 4 GOLT]. Es zeigt sich hier ein systembedingtes Übergewicht des
Volkes gegenüber dem Fürsten, weil der Landtag die Vertretung des Volkes ist.»
284 So Hans Hugo Klein, Stellung und Aufgaben des Bundestages, S. 736 f.
285 Siehe Art. 26 Abs. 1 und Art. 27 GOLT. Eine vergleichbare Regelung enthielten
schon $ 21 der Geschäftsordnung für den Landtag des Fürstenthums Liechtenstein
vom 29. März 1863, LGBl. 1863 Nr. 1 und $ 78 des Verfassungsentwurfs des stän-
dischen Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848. Dementsprechend dürfen nach
Art. 28 Abs. 3 GOLT die Protokolle der nicht-öffentlichen Sitzungen nur mit
Bewilligung des Landtages veröffentlicht werden. Zur Nichtöffentlichkeit der
Landtagssitzung siehe Roger Beck, Landtag, S. 174 f.
286 Vgl. Art. 4 des schweizerischen Bundesgesetzes über die Bundesversammlung vom
13. Dezember 2002, SR 171.10.
287 Siehe Art. 26 Abs. 2 GOLT.
288 Siehe Art. 25 und Art. 31 Abs. 3 und 4 GOLT und vorne S. 475 ff. die Ausführun-
gen zur Immunität. Nach Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 112 setzt die Dis-
507
Organisation und Zuständigkeiten
5. Beschlussfähigkeit
Die Funktionsfähigkeit eines Parlaments, soll es wirklich Volksvertre-
tung sein, setzt eine Mindestzahl von Mitgliedern voraus. Das Anwe-
senheitsquorum für einen gültigen Beschluss des Landtages beträgt zwei
Drittel der gesetzlichen Zahl der Abgeordneten.?® Er benötigt überdies
bei Abstimmungen und Wahlen die absolute Stimmenmehrheit der
anwesenden Mitglieder des Landtages.?® Geht es um Verfassungsge-
setze, so ist die Einstimmigkeit oder eine Mehrheit von mindestens drei
Viertel der Abgeordneten bei zwei aufeinanderfolgenden Landtagssit-
zungen erforderlich.??!
IIL. Beratungen
1. Im Allgemeinen
Bei den Beratungsgegenständen, mit denen sich der Landtag befasst,
handelt es sich vornehmlich um Vorlagen, Berichte und Anträge der
Regierung oder der Kommissionen und Delegationen des Landtages. Es
können auch Anträge aus der Mitte des Landtages, Volksinitiativen oder
Petitionen sein.2?
An der Diskussion kann jeder Abgeordnete teilnehmen und
Anträge stellen. Dieses Recht steht auch einem Regierungsmitglied zu,
das gehört werden muss. Der Präsident erteilt in der Reihenfolge der
Anmeldungen das Wort. Der Abgeordnete hat sich in eigenen Worten zu
äussern. Es ist ihm nicht erlaubt, Meinungen Dritter vorzulesen, soweit
ziplinargewalt den Landtag u. a. in den Stand, «seine Funktionen in einer seiner Stel-
lung angemessenen und würdigen Art zu erfüllen». Als kollegiales Recht stehe sie
dem Landtag als solchem zu, werde aber durch den Präsidenten ausgeübt.
289 Vgl. Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 120, der von einem «hohe(n) Quorum»
spricht.
290 Siehe Art. 58 Abs. 1 LV und Art. 29 Abs. 1 und 2 GOLT; vgl. auch Roger Beck,
Landtag, S. 168 f.
291 Siehe Art. 112 Abs. 2 LV.
292 Siehe Art. 30 GOLT; zur parlamentarischen Initiative im Gesetzgebungsverfahren
siehe Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 213.
508
Parlamentarisches Verfahren
es nicht um kurze Zitate geht, die er zur Unterstützung und Begründung
seines Votums verwendet. Er kann auch jederzeit Anträge auf Schluss
der Debatte stellen.?®
Ein Ordnungsantrag unterbricht die Beratung über den Hauptge-
genstand, die erst wieder aufzunehmen ist, wenn sich die Verfahrensfra-
gen erledigt haben, die im Zusammenhang mit dem Behandlungsgegen-
stand und der Geschäftsordnung auftreten.?*
Wird das Wort nicht mehr verlangt, erklärt der Präsident die Bera-
tung für beendet.?®
2. Gesetzesvorlagen?®
a) Eintretensdebatte
Der Landtag setzt sich zunächst mit der grundsätzlichen Frage ausei-
nander, ob er sich überhaupt mit der Gesetzesvorlage im Einzelnen
befassen soll. In dieser Phase des Verfahrens können Anträge auf Eintre-
ten, Nichteintreten, Überweisung an eine Kommission oder an die
Regierung, Verschiebung oder Rückweisung an die Regierung gestellt
werden. Beschliesst der Landtag, auf die Gesetzesvorlage einzutreten,
unterliegt diese in der Regel einer zweimaligen Lesung und der Schluss-
abstimmung.2”
b) Detailberatung
Im Anschluss an die Eintretensdebatte berät der Landtag die Gesetzes-
vorlage artikelweise. In der zweiten Lesung wird über die einzelnen
Artikel abgestimmt. Bis zu dieser Abstimmung können Abänderungs-,
Zusatz- oder Streichungsanträge eingebracht werden. Solche Anträge
müssen allerdings, wenn sie Artikel betreffen, die in der Gesetzesvorlage
293 Siehe Art. 31 Abs. 1, 2 und 5 GOLT.
294 Siehe Art. 32 GOLT.
295 Siehe Art. 33 GOLT.
296 Nach Art. 34 GOLT finden auf die Beratung von Finanzbeschlüssen die Absätze 1,
3 und 4 und von Staatsverträgen Abs. 1 sinngemäss Anwendung.
297 Siehe Art. 34 Abs. 1 und 2 GOLT und zum parlamentarischen Gesetzgebungsver-
fahren Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 219.
509
Organisation und Zuständigkeiten
nicht enthalten sind, spätestens zehn Tage vor Beginn der zweiten
Lesung beim Landtagssekretariat eingereicht werden. Davon sind redak-
tionelle Änderungen ausgenommen.?%8
c) Schlussabstimmung
Die Schlussabstimmung erfolgt in der Regel unmittelbar nach der zwei-
ten Lesung. Bis zu diesem Zeitpunkt kann die Gesetzesvorlage an eine
Kommission überwiesen werden. Der Landtag kann aber auch zusätzli-
che Beratungen mit artikelweiser Abstimmung beschliessen und zwar
vor allem dann, wenn sich die Behandlung der Gesetzesvorlage über die
Legislaturperiode hinaus erstreckt.?”
d) Dringlicherklärung
Über eine allfällige Dringlicherklärung eines Gesetzesbeschlusses
beschliesst der Landtag separat nach der Schlussabstimmung.?®
IV. Abstimmungen und Wahlen
1. Mehrere Anträge bei Abstimmungen
a) Reihenfolge
Liegen zum selben Abstimmungsgegenstand mehrere Anträge vor, wer-
den sie in einer logischen Reihenfolge zur Abstimmung gebracht. Der
Präsident gibt die Reihenfolge bekannt. Wird eine andere vorgeschlagen
und ist er damit nicht einverstanden, entscheidet der Landtag. Sind die
Anträge inhaltlich teilbar, kann der Landtag über die einzelnen Punkte
getrennt abstimmen.?91
298 Siehe Art. 34 Abs. 3, 4 und 5 GOLT.
299 Siehe auch Art. 34 Abs. 5, 6 und 7 GOLT.
300 Vgl. zur Dringlichkeit, die eine zeitliche Drucklage bedeutet, Gerard Batliner, Par-
lament, S. 23 f. und ders., Aktuelle Fragen, S. 28 Fn. 48; vgl. auch Hilmar Hoch, Ver-
fassung- und Gesetzgebung, S. 222 f. mit weiteren Literaturhinweisen. Siehe für die
Schweiz Pierre Tschannen, Staatsrecht, S. 177 Rz. 15; Kurt Eichenberger, Verfassung
des Kantons Aargau, S. 265 Rz. 35 ff. zu $ 78 Abs. 4 der Aargauer Kantonsverfas-
sung. Vgl. zur Dringlicherklärung vorne S. 430 f. und hinten S. 519.
301 Siehe Art. 51 GOLT.
510
Parlamentarisches Verfahren
b) Abstimmungsverfahren
In der Regel wird zunächst über allfällige Unterabänderungsanträge,
dann über Abänderungsanträge und schliesslich über die Hauptfrage
abgestimmt. Von mehreren Anträgen gleicher Art bzw. zur gleichen
Frage kommen nacheinander jene der einzelnen Landtagsmitglieder,
dann jene der Regierung, schliesslich jene einer Kommissionsminderheit
und jene der Kommissionsmehrheit zur Abstimmung. Dabei werden
jeweils die nachfolgenden Anträge dem Ergebnis der vorangegangenen
Abstimmung gegenübergestellt.?°2
c) Erforderliches Mehr
Es entscheidet in allen Fällen die absolute Stimmenmehrheit der anwe-
senden Abgeordneten.?® Stimmenthaltungen werden nicht gezählt. Sie
fallen bei der Berechnung des absoluten Mehrs ausser Betracht.
Tritt bei einer Abstimmung, an der der Präsident wie die anderen
Mitglieder teilnimmt, Stimmengleichheit ein, hat dieser den Stichent-
scheid.?*
2. Wahlen
a) Wahlgänge bzw. erforderliches Mehr
Im ersten und zweiten Wahlgang ist die absolute und beim dritten
Wahlgang die relative Stimmenmehrheit der anwesenden Mitglieder
erforderlich.
Tritt bei der Wahl, an der sich der Präsident wie die anderen Mit-
glieder beteiligt, Stimmengleichheit ein, hat dieser den Stichentscheid.?%
b) Bekanntgabe des Wahlergebnisses
Der Präsident gibt dem Landtag die Zahl der anwesenden Abgeordneten
und das Ergebnis der Wahl bekannt.?7
302 Siehe Art. 52 GOLT.
303 Siehe Art. 53 GOLT und Art. 58 LV zur gültigen Beschlussfassung des Landtages.
304 Siehe Art. 54 GOLT.
305 Siehe Art. 58 GOLT.
306 Siehe Art. 59 GOLT.
307 Siehe Art. 60 GOLT.
511
Organisation und Zuständigkeiten
3. Abstimmungsformen
a) Abstimmungen
Die Stimmabgabe des einzelnen Abgeordneten erfolgt in der Regel mit
Hilfe einer elektronischen Abstimmungsanlage,*8 wobei das Ergebnis
und das Abstimmungsverhalten, das bei Schlussabstimmungen im Pro-
tokoll festgehalten wird, für diejenigen, die sich im Landtagssaal befin-
den, auf der Anzeigetafel ersichtlich wird.?® Offene Abstimmungen
durch Handaufheben sind nur vorgesehen, wenn bei der Abstimmungs-
anlage technische Probleme auftreten.?!°® Eine Abstimmung wird
namentlich abgehalten, wenn der Präsident sie nach seinem Ermessen
anordnet oder wenn mindestens zwei Abgeordnete sie verlangen.?!! Die
Entscheidung trifft die absolute Mehrheit der anwesenden Abgeordne-
ten.12 Bei Stimmengleichheit fällt der Präsident den Stichentscheid.?3
b) Wahlen
Wahlen, die der Landtag vornimmt, werden offen oder geheim durchge-
führt. Offen werden der Präsident, Vizepräsident und die Schriftführer
des Landtages, die Kommissionen und Delegationen sowie der Landes-
ausschuss gewählt, sofern nicht ein Abgeordneter geheime Wahl bean-
tragt. Die übrigen Wahlen erfolgen geheim, es sei denn der Landtag
beschliesst einstimmig eine offene Wahl.?1*
Im ersten und zweiten Wahlgang entscheidet die absolute und im
dritten Wahlgang die relative Stimmenmehrheit der anwesenden Abge-
ordneten.?!5 Bei Stimmengleichheit im dritten Wahlgang hat der Präsi-
dent den Stichentscheid.?6e
308 Siehe Art. 55 Abs. 1 GOLT.
309 Siehe Art. 56 Abs. 1 und 3 GOLT.
310 Siehe Art. 55 Abs. 2 GOLT.
311 Siehe Art. 55 Abs. 3 GOLT.
312 Siehe Art. 58 Abs. 1 LV und Art. 53 GOLT.
313 Siehe Art. 58 Abs. 2 LV und Art. 54 Abs. 2 GOLT.
314 Siehe Art. 57 GOLT.
315 Siehe Art. 58 GOLT.
316 Siehe Art. 58 Abs. 2 LV und Art. 59 Abs. 2 GOLT.
512
Zuständigkeiten des Landtages
$32 ZUSTÄNDIGKEITEN DES LANDTAGES
I. Allgemeines
Der Landtag nimmt neben dem Landesfürsten und dem Volk eine zen-
trale Rolle im Prozess der staatlichen Willensbildung und Entschei-
dungsfindung ein. Er verfügt aber nur über die in der Verfassung näher
bestimmten, wenngleich weitreichenden Zuständigkeiten, die sich in
mehreren Verfassungsbestimmungen verstreut finden. Die dem Landtag
eingeräumten Kompetenzen beziehen sich auf alle staatlichen Funktio-
nen. Er übt in der Gestalt des Gesetzes nachhaltigen Einfluss auf die
Rechtsetzung und damit auf die politische Steuerung gesellschaftlicher
Abläufe aus.
Die Kompetenzvorschriften in Art. 62 LV sind, wie sich schon aus
dem Einleitungstext ergibt, nicht abschliessend zu verstehen.?!7 Dem
Landtag kommen noch eine ganze Reihe weiterer Kompetenzen zu, die
einerseits als Alleinzuständigkeiten und andererseits als «gewaltenbetei-
ligende» Zuständigkeiten ausgestaltet sind.?® So ist der Landtag an
bestimmten, «konsensbedürftigen» Geschäften,?!? die den Kompetenz-
bereich verschiedener Organe tangieren, (mit-)beteiligt. Zu solchen
Geschäften oder Akten, die einen Konsens voraussetzen, zählen bei-
spielsweise Verfassungsgesetze und einfache Gesetze, der Landesvoran-
schlag und wichtige Staatsverträge, die zu ihrer Gültigkeit der Zustim-
mung des Landtages, gegebenenfalls des Volkes, und des Landesfürsten
317 Zum Wirkungsbereich des Landtages gehören u. a. etwa auch die in Art. 63, 63bis
und 63ter LV genannten Sachbereiche.
318 Gerard Batliner, Aktuelle Fragen, S. 25 Rz. 34 und 35 und S. 39 f. Rz. 68 ff. teilt sie
einerseits auf in Alleinzuständigkeiten, welche das gegenseitige Verhältnis zwischen
Landtag, Volk und Landesfürst oder als Alleinzuständigkeiten des Landtages, die
die Exekutive und Judikative betreffen und andererseits als gewaltenbeteiligende
Zuständigkeiten auftreten, wie beispielsweise das Zusammenwirken in Gesetzge-
bungsangelegenheiten (Art. 65 LV).
319 So die Bezeichnung bei Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Ver-
fassungsrecht, S. 49.
320 Es handelt sich um Sach- und Personalgeschäfte bzw. -beschlüsse. Der Landtag ist
Kreations- und Kontrollorgan der Regierung. Er ist an der Wahl der Regierung und
der Gerichte beteiligt. Er erhebt auch Anklage gegen Mitglieder der Regierung
wegen Verletzung der Verfassung oder sonstiger Gesetze vor dem Staatsgerichtshof
(Art. 62 Bst. g LV).
513
Organisation und Zuständigkeiten
bedürfen.?! Ein Beschluss, den jedes Organ einzeln für sich trifft, wirkt
sich verfahrensmässig, wenn er nicht zustande kommt, wie ein «absolu-
tes Veto» aus, sodass das initiierte Personal- oder Sachgeschäft nicht
mehr vor das nächstfolgende Organ gelangt.?22
Die kompetenziellen Grenzen ergeben sich aus der verfassungs-
rechtlichen Zuweisung der Entscheidungskompetenzen an andere
Organe. Dabei ist allerdings nicht zu übersehen, dass viele Kompetenzen
in der Verfassung «in offener und unbestimmter Weise» geregelt sind,
sodass insbesondere bei der Kompetenzabgrenzung zwischen den
betreffenden Organen Probleme auftreten.?3
Die Zuständigkeitsvorschriften der Verfassung geben Aufschluss
darüber, inwieweit es dem Landtag obliegt, an der Gestaltung des staat-
lichen Lebens mitzuwirken und «welcher Art diese Mitwirkung» ist. Als
«Mitfaktor der Legislative» — der Landtag ist nicht allein gesetzgebende
Gewalt — liegt der «Hauptakzent» seiner Tätigkeit im Bereich der
Rechtsetzung.?* Sie wird als vornehmste Aufgabe an erster Stelle im
Zuständigkeitskatalog des Art. 62 LV genannt. Der aus der Gewaltentei-
lung hergeleitete Grundsatz, nach dem der Volksvertretung lediglich
und ausschliesslich gesetzgebende Funktionen zustehen, hat in der Ver-
fassung keine Aufnahme gefunden.?5 Der Landtag übt auch andere
Funktionen als diejenigen der (Mit-)Gesetzgebung aus bzw. fasst auch
nicht-legislative Beschlüsse.
Zum organisatorischen Eigenbereich des Landtages gehören die
Geschäftsordnung, ”*® die Disziplinargewalt, die es ihm ermöglicht,
«seine Funktionen in einer seiner Stellung angemessenen und würdigen
Art zu erfüllen»,?7 sowie die Validierung seiner Wahl, wobei über Wahl-
beschwerden der Staatsgerichtshof entscheidet.?28
321 Vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 53.
322 Vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 54.
323 Gerard Batliner, Aktuelle Fragen, S. 49 Rz. 92.
324 Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 111.
325 Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 111; vgl. etwa den Zuständigkeitskatalog in
Art. 62 LV.
326 Art. 60 LV erteilt dem Landtag den Auftrag, für sich eine Geschäftsordnung festzu-
setzen. Siehe Geschäftsordnung für den Landtag, LGBl. 2013 Nr. 9, und vorne S. 470.
327 Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 112.
328 Siehe Art. 59 LV und vorne S. 445 f. sowie hinten S. 656 ff.
514
Zuständigkeiten des Landtages
II. Auf dem Gebiete der Gesetzgebung
1. Landtag als (Mit-)Gesetzgeber
Von verfassungsrechtlicher und -politischer Bedeutung ist die Frage,
welche Stellung der Landtag im Gesetzgebungsverfahren einnimmt, wie
seine Rolle ausgestaltet ist, inwieweit er daran beteiligt ist, welches seine
Befugnisse sind. Der Landtag beschliesst die Gesetze im Rahmen seiner
Zuständigkeit und unter Beachtung der Mitwirkungsbefugnisse der übri-
gen am Verfahren der Gesetzgebung beteiligten Organe, Fürst und Volk.
An der Gesetzgebung sind in unterschiedlichen Funktionen meh-
rere Staatsorgane beteiligt.?? Fürst und Landtag, gegebenenfalls das
Volk, werden als die gesetzgebenden «Faktoren»?! bzw. Staatsorgane
bezeichnet.?? Dabei ist der Landtag das beschlussfassende Organ. Er
beschliesst das Gesetz.?3 Die in Art. 62 Bst. a und 65 Abs. 1 LV genannte
«Mitwirkung an der Gesetzgebung» versteht sich als Beschlussfassung.
Insofern ist der Terminus «Zustimmung» in Art. 65 Abs. 1 Satz 1 LV, der
wie auch dessen Text $ 24 der Konstitutionellen Verfassung von 1862
entlehnt ist, unter der das Gesetz vom Landesfürsten ausgeht, in seinem
Sinngehalt nicht ganz zutreffend.®* Der Landtag ist das Organ, das den
329 Gerard Batliner, Aktuelle Fragen, S. 40 Rz. 70 spricht in diesem Zusammenhang von
«Zuständigkeitszuteilungen» zwischen Volk, Landtag und Fürst. Bei Edwin Loe-
benstein, Ausgewählte Besonderheiten, S. 10 ist in verkürzter Weise — das Volk wird
nicht erwähnt — die Rede davon, dass die Funktion der Gesetzgebung auf ein «in
Verbindung von Monarch und Parlament bestehendes, also ein zusammengesetztes
Organ übertragen» sel.
330 Vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 44 f.
Wenn über einen Gesetzesbeschluss eine Volksabstimmung nicht stattfindet, weil
eine solche weder vom Landtag von sich aus angeordnet noch vom Volk verlangt
(Referendumsbegehren) wird, entscheidet der Landtag anstelle des Volkes allein.
331 Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 72.
332 Siehe Art. 65 LV.
333 Siehe Art. 66 und 66bis LV.
334 Vgl. Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 72 f., der noch den Gesetzesbegriff der da-
maligen Zeit, d. h. des monarchischen Konstitutionalismus, verwendet, indem er sich
auf Paul Laband, Staatsrecht, Bd. 2, S. 7 bezieht, wonach der Fürst das Gesetz erlässt
und «die Sanktion der eigentliche zentrale Akt des Gesetzgebungsverfahrens ist».
Nach Ernst-Wolfgang Böckenförde, Gesetze und gesetzgebende Gewalt, S. 228 f.,
reduziert diese Lehre den Gesetzesbegriff auf das Befehls- und Zwangsmoment.
515
Organisation und Zuständigkeiten
Beschluss über den Gesetzestext fasst,?5 der Landesfürst ist das zustim-
mende Organ, dem die Sanktion zusteht.
Initiativberechtigt sind der Landesfürst, der Landtag selbst, die
wahlberechtigten Landesbürger*®® und die Regierung”. Der Landtag ist
nicht nur befugt, Gesetzesvorschläge, die ihm von der Regierung
zukommen, sogenannte Regierungsvorlagen, anzunehmen oder abzu-
lehnen, sondern es steht ihm auch verfassungsmässig das Recht zu, selbst
solche Gesetzesvorschläge zu erarbeiten, d. h. es steht ihm ein gesetzge-
berisches Initiativrecht zu, das Recht zur Einbringung von Gesetzes-
und Verfassungsvorschlägen.?® Das dem Landtag eingeräumte Initiativ-
recht kann nur von ihm als solchem ausgeübt werden, d. h. «in der
gesetzlich konstituierten Versammlung».% Die Abgeordneten haben
denn auch die Gesetzes- und Verfassungsvorschläge in Form eines Ent-
wurfs im Landtag einzubringen.?0
Ein solches Vorgehen ist in der Praxis selten. Die Abgeordneten
üben ihr Initiativrecht häufiger indirekt aus, indem sie die Regierung in
das Gesetzgebungsverfahren einbeziehen. Dies kann über die Motion
geschehen oder der Landtag kann eine Landtagskommission verpflich-
ten, eine Vorlage im Sinne der Motionäre auszuarbeiten.?*? Möglich ist
auch der Weg über ein Postulat, das die Regierung einlädt, einen
bestimmten Gegenstand zu prüfen oder eine bestimmte Sache anzuge-
hen, etwa einen Gesetzesvorschlag auszuarbeiten.?* Es ist im Unter-
schied zur Motion nicht verbindlich.?*
Ausserdem ermögliche die Unterscheidung zwischen Gesetzesinhalt und Gesetzes-
befehl dem Monarchen die Substanz der gesetzgebenden Gewalt vorzubehalten und
zugleich am Postulat der unteilbaren Staatsgewalt festzuhalten.
335 Siehe Art. 66 Abs. 1 LV.
336 Siehe Art. 64 Abs. 1 LV.
337 Siehe Art. 93 Bst. g LV.
338 Siehe Art. 64 Bst. b LV.
339 Siehe Art. 45 Abs. 2 LV
340 Siehe Art. 64 Abs. 1 Bst. b LV i.V.m. Art. 30 Bst. a und b GOLT.
341 Vgl. Michael Ritter, Die Organisation des Gesetzgebungsverfahrens, S. 72; Hilmar
Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 213.
342 Siehe Art. 42 GOLT und hinten S. 591 Fn. 275.
343 Siehe Art. 44 GOLT.
344 Vgl. vorne S. 484 f. und Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 213 f.
516
Zuständigkeiten des Landtages
2. Gesetze und Finanzbeschlüsse
Der Gesetzesbegriff ist im Wesentlichen durch das in den Art. 64 ff. LV
festgelegte Gesetzgebungsverfahren bestimmt. Gesetze werden in der
Regel als «allgemeine abstrakte Normierungen»* oder «generell-abs-
trakte Rechtsvorschriften»? definiert, die in einem formellen Gesetzge-
bungsverfahren erlassen werden. Normen oder Rechtsvorschriften, die
nicht in einem solchen formellen Gesetzgebungsverfahren erlassen wer-
den, werden als Verordnungen bezeichnet.
Der Staatsgerichtshof vertritt in seiner Rechtsprechung einen weit
gefassten Gesetzesbegriff.?*® Er umfasst auch bloss formelle Gesetze, die
keine Rechte oder Pflichten für die Staatsbürger begründen, wie dies bei
den Finanzbeschlüssen oder Voranschlägen der Fall ist, die als Anhang
der jährlichen Finanzgesetze des Landtages erlassen werden.?5
Finanzbeschlüsse des Landtages ergehen in einem formellen Ge-
setz.351 Im Finanzrecht gilt der Gesetzesvorbehalt als oberster Grund-
satz.” Im Allgemeinen bildet der jährliche Voranschlag, der als Anlage
zum Finanzgesetz bewilligt wird, die Rechtsgrundlage für Ausgaben.
Die Regierung ist jedoch gemäss Art. 69 Abs. 2 und 3 LV vorbehaltlich
der nachträglichen Genehmigung durch den Landtag befugt, im Voran-
345 Die Verfassung kennt keinen Gesetzesbegriff, auch wenn sie in Art. 104 Abs. 2 for-
mal dem Stufenbau der Rechtsordnung folgt. Vgl. Martin Batliner, Politische Volks-
rechte, S. 167 unter Bezugnahme auf Gerard Batliner, Die liechtensteinische Rechts-
ordnung, S. 105.
346 Diese Formulierung ist dem StGH-Gutachten vom 23. Februar 1953, ELG 1947 bis
1954, S. 264 (265) entnommen.
347 Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 207.
348 Zum Gesetzesbegriff im Normenkontrollverfahren siehe Herbert Wille, Normen-
kontrolle, S. 210 ff.
349 Zu den sogenannten selbständigen Verordnungen, die auf der Stufe eines Gesetzes
stehen, siehe Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 216 f.
350 Vgl. die Beispiele solcher Gesetze bei Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kon-
trolle über die Regierung, S. 187; für Deutschland siehe Ernst Benda/ Eckart Klein
/Oliver Klein, Verfassungsprozessrecht, S. 281 Rz. 676, die die Vorlagefähigkeit
bzw. die Normenkontrolle von nur-formellen Gesetzen (z. B. Haushaltsgesetzen)
bejahen; ebenso Klaus Schlaich/Stefan Korioth, Bundesverfassungsgericht, S. 95
Rz. 127 mit Bezug auf BVerfGE 20, 56 (97).
351 Vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 52.
352 Vgl. Andreas Schurti, Verordnungsrecht — Finanzbeschlüsse, S. 246 f.
353 Vgl. Andreas Schurti, Verordnungsrecht — Finanzbeschlüsse, S. 258 f.
517
Organisation und Zuständigkeiten
schlage nicht vorgesehene, dringliche Ausgaben oder bei einzelnen Posi-
tionen des Voranschlages gerechtfertigte Mehrausgaben zu tätigen.?*
3. Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes
Das in Art. 92 Abs. 4 LV verankerte Legalitätsprinzip bestimmt, dass
sich die gesamte Landesverwaltung innerhalb der Schranken der Verfas-
sung und der übrigen Gesetze zu bewegen hat. Es beinhaltet den Vor-
rang und den Vorbehalt des Gesetzes?5 und gilt sowohl für die soge-
nannte Eingriffsverwaltung als auch für die Leistungsverwaltung.
«Wann und wo immer der Staat auch tätig wird, er muss sich auf eine
formellgesetzliche Grundlage stützen können.»
Bei der Wahl des Rechtserlasses, d. h. bei der Frage, was der
Gesetzgeber regeln darf bzw. in welchem Umfang er selbst tätig werden
muss, folgt der Staatsgerichtshof in seiner Rechtsprechung der Wesent-
lichkeitstheorie des deutschen Bundesverfassungsgerichts. Als Anhalts-
punkte, die für eine gesetzliche Regelung sprechen, nimmt er etwa an:
die Zahl der geregelten Verhaltensweisen, die Grösse des Adressaten-
kreises, die Betroffenheit der Grundrechtspositionen, die Bedeutung für
das politische System, die finanziellen Auswirkungen.?7
4. Andere Beschlüsse
a) Referendumsbeschluss
Die Verfassungs- und Gesetzesbeschlüsse sowie Finanzbeschlüsse des
Landtages, die neue Ausgaben grösseren Ausmasses beinhalten, soweit
sie von ıhm nicht als dringlich erklärt werden, sowie Beschlüsse, die die
354 Vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 52.
355 Zur herrschenden Lehre und Rechtsprechung siehe Andreas Schurti, Verordnungs-
recht — Finanzbeschlüsse, S. 252 ff. und ders., Verordnungsrecht der Regierung,
S. 206 und 305.
356 Andreas Kley, Grundriss, S. 172 mit Literaturhinweisen.
357 StGH 1991/77, S. 7 f., nicht veröffentlicht; zitiert in: Andreas Schurti, Verordnungs-
recht — Finanzbeschlüsse, S. 254 und ders., Verordnungsrecht der Regierung,
S. 355 ff.; vgl. für die Schweiz, Ulrich Häfelin/ Georg Müller / Felix Uhlmann, All-
gemeines Verwaltungsrecht, S. 89 f. Rz. 396 ff. und S. 92 Rz. 407 ff.
518
Zuständigkeiten des Landtages
Zustimmung zu einem Staatsvertrag zum Gegenstand haben, unterliegen
dem fakultativen Referendum. Es steht ihm auch frei, sie von sich aus
dem Referendum zu unterstellen. Dies ist in der Praxis insbesondere
dann der Fall, wenn es sich um umstrittene Gesetzesvorlagen und Staats-
verträge?® oder um Gesetze auf dem Gebiete der Volksrechte oder des
Finanz- und Steuerrechts handelt.?!
b) Ablehnung eines Initiativentwurfs
Lehnt der Landtag einen ihm im Wege der Volksinitiative? zugegange-
nen ausgearbeiteten und erforderlichenfalls mit einem Bedeckungsvor-
schlag versehenen Gesetzesentwurf ab, so hat eine Volksabstimmung
stattzufinden.?® Die (gesetzgeberischen) Entscheidungen des Landtages
können im Wege der Volksabstimmung (Initiative und Referendum)
korrigiert werden.
c) Dringlichkeitsbeschluss
Der Landtag kann ein von ihm beschlossenes Gesetz oder einen Finanz-
beschluss als dringlich erklären.?* Damit entzieht er sie dem Referen-
dum. Dies ist in der Praxis bei Finanzbeschlüssen die Regel. Die
Dringlicherklärung ermöglicht es dem Landtag, in unaufschiebbaren
Fällen unverzüglich die nötigen Massnahmen zu ergreifen, um ein Pro-
blem zu lösen oder eine unaufschiebbare Aufgabe zu erfüllen.?%6 Das
Stimmvolk kann sich gegen einen solchen Landtagsbeschluss durch eine
Initiative zur Wehr setzen.
358 Siehe Art. 66 Abs. 1 LV.
359 Siehe Art. 66 Abs. 1 LV und Art. 75 Abs. 1 Bst. a VRG.
360 Siehe etwa die Abstimmung vom 6. Dezember 1992 über den Beitritt des Fürsten-
tums Liechtenstein zum Europäischen Wirtschaftsraum und dazu BuA Nr. 46/92
der Regierung vom 15. Juni 1992 sowie das Protokoll über die Landtagssitzung vom
21. Oktober 1992, Landtagsprotokolle 1992 Bd. III, S. 1447 ff.
361 Vgl. Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 221 f.; Michael Ritter, Die
Organisation des Gesetzgebungsverfahrens, S. 75.
362 Siehe Art. 64 Abs. 1 Bst. c LV.
363 Siehe Art. 66 Abs. 6 LV.
364 Siehe Art. 66 Abs. 1 LV und vorne S. 430 f.
365 Vgl. Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 222; Martin Batliner, Politi-
sche Volksrechte, S. 189 mit Nachweisen.
366 Rene Rhinow, Rechtsgutachten, S. 57 f.
367 Gerard Batliner, Parlament, S. 24.
519
Organisation und Zuständigkeiten
5. Nichtigerklärung von Volksinitiativen
Nach Art. 70b VRG unterstehen Initiativbegehren auf Erlass, Abände-
rung oder Aufhebung eines Gesetzes oder der Verfassung einem Vor-
prüfungsverfahren. Die Regierung kontrolliert die bei ihr angemeldeten
Initiativbegehren, ob sie mit der Verfassung und den bestehenden Staats-
verträgen übereinstimmen, und übermittelt ihren Bericht samt Eingaben
an den Landtag zur Weiterbehandlung. Stellt der Landtag fest, dass das
Initiativbegehren der Verfassung oder einem Staatsvertrag widerspricht,
erklärt er es für nichtig. Diese Nichtigkeitserklärung kann mit
Beschwerde beim Staatsgerichtshof angefochten werden.?®
6. Genehmigung von Verordnungen der Regierung
Von der früheren, vor allem auf dem Gebiete des Subventionswesens
üblichen Genehmigung von (Durchführungs-) Verordnungen der Regie-
rung durch den Landtag als Form der Mitwirkung? ist man aus verfas-
sungsrechtlichen bzw. rechtsstaatlichen Gründen abgekommen.?”°
III. Auf dem Gebiete der Exekutive
1. Finanzkontrolle - Landtag als Finanzkontrolleur
a) Finanzhoheit
Die Finanzhoheit bzw. Finanzgewalt steht gemäss Art. 62 Bst. c und 69
Abs. 1 und 2 LV dem Landtag zu. Danach gehört es zu seinem Zustän-
368 Vgl. Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 214 f.; Herbert Wille, Nor-
menkontrolle, S. 237 ff.; Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 72 f.
Siehe auch vorne S. 426 f.
369 Siehe die durch Art. 21 Bst. d des Gesetzes vom 3. Juli 1991 über die Ausrichtung
von Landessubventionen (Subventionsgesetz), LGBl. 1991 Nr. 71, aufgehobene
Verordnung vom 23. August 1956, LGBl. 1956 Nr. 14 (Reglement über die Aus-
richtung von Landessubventionen sowie über die Aufteilung der Kosten zwischen
Land und Gemeinde bei Strassenbauten etc.).
370 Siehe Landtagsprotokoll 1990 Bd. II, S. 353. Dort verweist der Abgeordnete Alois
Ospelt auf die in der einschlägigen Literatur vorgebrachte Kritik, wonach das beste-
520
Zuständigkeiten des Landtages
digkeitsbereich, den jährlichen Voranschlag festzusetzen und Steuern
sowie andere öffentliche Abgaben zu bewilligen. Aus diesen Bestim-
mungen lässt sich eine alleinige Entscheidungbefugnis des Landtages
ableiten, da sie nicht von einer «Mitwirkung» sprechen, wie dies bei-
spielsweise bei der Gesetzgebung der Fall ist.”! Er wird denn auch
gemeinhin als «Inhaber der Finanzhoheit» bezeichnet.”? Zurückhalten-
der formuliert Gregor Steger,” wenn er ihm die «oberste Entschei-
dungsgewalt» im Finanzwesen zubilligt, die unter dem Vorbehalt des
fakultativen Referendums und der Sanktion des Landesfürsten steht. In
der Staatspraxis wird der jährliche Voranschlag als Akt der Gesetzge-
bung betrachtet. Auch die Finanzbeschlüsse des Landtages werden der
Sanktion des Landesfürsten unterstellt.
Wie sich diese Verfahrensweise mit der Verfassung in Einklang
bringen lässt, ist nicht nachvollziehbar. Schon Thomas Allgäuer hat
moniert, dass die «Beteiligung des Fürsten» im Finanzbereich geklärt
werden müsse.
b) Landesvoranschlag und Landesrechnung
Die Festsetzung des jährlichen Voranschlages und die Genehmigung der
Landesrechnung sind ein geeignetes Mittel, «die staatliche Tätigkeit zu
überwachen und zu bestimmen».?* Sie zählen «zweifellos zum harten
Kern der parlamentarischen Finanzaufsicht».?75
c) Landesvoranschlag
Der Landtag setzt den Voranschlag für das nächstfolgende Verwaltungs-
jahr fest, der ihm von der Regierung im Entwurf unterbreitet wird. Das
hende Subventionsreglement nicht verfassungsgemäss sei. Zur Frage der Zulässig-
keit der Genehmigung von Regierungsverordnungen Andreas Schurti, Verord-
nungsrecht der Regierung, S. 334 ff., insbesondere S. 338 ff.
371 Vgl. Art. 62 Bst. c LV und Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über
die Regierung, S. 187.
372 So BuA Nr. 121/2008 der Regierung vom 30. September 2008 betreffend die Neu-
fassung des Finanzhaushaltsgesetzes sowie die Anpassung der Verfassung und des
Volksrechtegesetzes, S. 20.
373 Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 129.
374 So beispielsweise BuA Nr. 95/2004 der Regierung vom 19. Oktober 2004 zum Landes-
voranschlag und zum Finanzgesetz für das Jahr 2005, 5. 63; vgl. auch Art. 62 Bst. c LV.
375 "Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 257.
521
Organisation und Zuständigkeiten
Verwaltungsjahr ist mit dem Kalenderjahr identisch.?”® Die Regierung
hat dem Landtag den Voranschlag, der sämtliche Ausgaben und Einnah-
men enthält, «zur Prüfung und Beistimmung zu übergeben».?77 Sie hat
ihm auch jährlich einen Finanzplan zukommen zu lassen, der sich über
einen Zeitraum von vier Jahren erstreckt und den künftigen Finanzbe-
darf festlegt und aufzeigt, wie dieser gedeckt werden kann.?78
Der Landesvoranschlag (Budget) wird als Anlage des Finanzgeset-
zes vom Landtag bewilligt.?”° Dadurch erhält er die Eigenschaft eines
formellen Gesetzes.3° Die Regierung wird ermächtigt, die dort aufge-
führten finanziellen Mittel für die angegebenen Zwecke einzusetzen.?1
Damit verbunden ist auch die Berechtigung, Abgaben zu erheben, der
sogenannte «Steuerbefehl».? Das jährliche Finanzgesetz enthält in
Art. 1 allerdings den Zusatz, dass die Verwendung der Kredite für neue
376 Siehe Art. 62 Bst. c LV i. V. m. Art. 5 FHG.
377 Siehe Art. 69 Abs. 1 LV; so schon $ 45 Satz 1 KV 1862; vgl. auch Roger Beck, Land-
tag, S. 260.
378 Vgl. Art. 25, 26 und 27 FHG und BuA Nr. 126/2010 der Regierung vom 2. Novem-
ber 2010 zur Finanzplanung 2011-2015 sowie Art. 16 GVVKG; vgl. auch Roger
Beck, Landtag, S. 258 ff.; für die Schweiz: Pierre Tschannen, Staatsrecht, S. 470 Rz. 18.
379 Vgl. etwa Art. 1 des Finanzgesetzes vom 22. November 2012 für das Jahr 2013, LGBl.
2012 Nr. 405 und dazu BuA Nr. 121/2012 der Regierung vom 23. Oktober 2012.
380 Zum Begriff des formellen Gesetzes siehe Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 213 f.
Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 129 nennt das Finanzgesetz ein «Budgetvoll-
zugsgesetz». Vgl. auch Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die
Regierung, S. 239, der unter Bezugnahme auf Stephan Istvän Aschauer, Die parla-
mentarische Kontrolle der Regierung, S. 127 ausführt, dass auch in Deutschland das
Budget als Gesetz ergehe. Für Österreich halten Robert Walter/Heinz Mayer /
Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht, S. 257 Rz. 517 fest, dass die
besondere Rechtsnatur des Bundesfinanzgesetzes ihren Grund darin hat, dass es sich
«beim Voranschlag um ziffernmässig festgesetzte Ausgabenermächtigungen und um
eine — ebenfalls ziffernmässig vorgenommene — Aufstellung der erwarteten Einnah-
men (handelt), andererseits aber um ein Bundesgesetz, somit um eine Rechtsform, in
der üblicherweise Zwangsnormen oder Zwangsnormvollzugsnormen erzeugt wer-
den, was die Ansätze des Bundesfinanzgesetzes nicht zu sein scheinen».
381 "Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 222 unter
Hinweis auf Stephan Istvän Aschauer, Die parlamentarische Kontrolle der Regie-
rung, S. 128; vgl. auch Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 128.
382 Siehe Art. 69 Abs. 1 und Art. 62 Bst. c LV, wonach die Bewilligung von Steuern und
anderen öffentlichen Abgaben in den Zuständigkeitsbereich des Landtages fällt.
383 Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 128 f.; vgl. auch Thomas Allgäuer, Die parla-
mentarische Kontrolle über die Regierung, S. 222 f. Im Finanzgesetz wird u. a. für
das jeweilige Steuerjahr der Steuerfuss (Sollertrag) gemäss Art. 5 SteG, LGBl. 2010
522
Zuständigkeiten des Landtages
Ausgaben der vorgängigen Zustimmung des Landtages vorbehalten
bleibt.? Jede Ausgabe setzt eine Rechtsgrundlage voraus.?5 Das heisst,
dass voraussehbare Aufwendungen oder Investitionsausgaben, für wel-
che zum Zeitpunkt der Erstellung des Voranschlages die Rechtsgrund-
lage noch fehlt, in den Voranschlag aufgenommen werden dürfen, jedoch
bis zur Schaffung einer Rechtsgrundlage gesperrt bleiben.
d) Weitere Finanzbeschlüsse
da) Nachtragskredite
Wenn für einen notwendigen Aufwand oder für eine notwendige investive
Ausgabe der Kredit fehlt oder wenn der im Voranschlag bewilligte Kre-
dit nicht ausreicht, hat die Regierung, bevor sie eine neue Verpflichtung
eingeht, beim Landtag einen Nachtragskredit zu beantragen. Lassen sich
solche Aufwände oder Ausgaben zeitlich nicht aufschieben, kann sie die
Regierung beschliessen, insbesondere aus Gründen der Folgen, die für
das Land nachteilig sind, oder rechtskräftiger gerichtlicher Entschei-
dungen, die Ausgaben verursachen. Sie hat darüber der Finanzkommis-
sion oder dem Landesausschuss bei nächster Gelegenheit zu berichten.?
db) Verpflichtungskredite
Sollen zur Ausführung eines bestimmten Vorhabens finanzielle Ver-
pflichtungen eingegangen werden, die über das Jahr des Voranschlages
hinaus wirken, hat die Regierung an den Landtag in einem besonderen
Bericht, der auch Angaben über die Folgekosten enthält, ein entspre-
chendes Begehren zu stellen. Der Verpflichtungskredit ermächtigt die
Nr. 340, festgelegt. Die Festsetzung des Steuerfusses ist nichts anderes als der
zwischen Regierung und Landtag vereinbarte Steuerbefehl. Da die Steuergesetzge-
bung als solche bereits besteht, tritt er hinzu.
384 Zum Problem der hinreichenden Rechtsgrundlage, das anlässlich der Landtagssit-
zung vom 18. Dezember 1980 thematisiert wurde, siehe Thomas Allgäuer, Die par-
lamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 237 ff. Vgl. auch Franz Josef Heeb,
Staatshaushalt, S. 16.
385 So Art. 3 Abs. 1 FHG.
386 Vgl. Art. 1 Satz 2 des Finanzgesetzes vom 24. November 2011 für das Jahr 2012,
LGBl. 2011 Nr. 535, und dazu Art. 3 und 6 Abs. 3 FHG; siehe auch Thomas All-
gäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 243 f.
387 Vgl. Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 248 f.
388 Siehe Art. 10 und 11 FHG; vgl. auch Art. 69 Abs. 2 und 3 LV.
523
Organisation und Zuständigkeiten
Regierung, bis zum festgesetzten Betrag finanzielle Verpflichtungen ein-
zugehen. Der jährliche Zahlungsbedarf aus den Verpflichtungen ist in
den jeweiligen Voranschlag aufzunehmen. Reicht der bewilligte Ver-
pflichtungskredit nicht aus, hat die Regierung den Landtag um einen
entsprechenden Ergänzungskredit zu ersuchen.?®
dc) Verfahren
Solche Finanzbeschlüsse des Landtages werden verfahrensmässig gleich
behandelt wie das Finanzgesetz. Sie werden auch im Landesgesetzblatt
veröffentlicht, wobei Verpflichtungskredite im Unterschied zum Finanz-
gesetz und zu den Nachtragskrediten grundsätzlich nicht als dringlich
erklärt werden.?®
e) Landesrechnung
Als notwendige Konsequenz des Budgetrechts steht dem Landtag die
Kompetenz zu, die Landesrechnung zu prüfen und zu genehmigen.?!
Die Verfassung verpflichtet die Regierung, «in der ersten Hälfte des fol-
genden Verwaltungsjahres dem Landtag eine genaue Nachweisung über
die nach Massgabe des Voranschlages geschehene Verwendung der bewil-
ligten und erhobenen Einnahmen mitzuteilen».?? Dies geschieht durch
den Rechenschaftsbericht, der von der Regierung auszuarbeiten und dem
Landtag vorzulegen ist.?® Genehmigt er den Rechenschaftsbericht, ent-
bindet er die Regierung von ihrer finanziellen Verantwortlichkeit für ihre
«Amtstätigkeit» im abgelaufenen Verwaltungsjahr.?* Die Genehmigung
ist gleichbedeutend mit der «Decharge-Erteilung» an die Regierung.
389 Vgl. Art. 13 FHG.
390 Vgl. etwa LGBl. 2011 Nr. 528, 2011 Nr. 529, 2011 Nr. 530, 2011 Nr. 531, 2011 Nr. 532;
vgl. auch Roger Beck, Landtag, S. 271 und 274.
391 Vgl. Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 251.
Nach ihm sind die Budgetbewilligung und die Kontrolle des Budgetvollzuges im
Rahmen der Landesrechnung gleichwertige Aufgaben: «Das eine ist ohne das andere
undenkbar.» Vgl. auch Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 130.
392 Siehe Art. 69 Abs. 2 LV; vgl. auch die fast wörtlich gleiche Fassung des $ 45 Satz 2
KV 1862.
393 Siehe Art. 62 Bst. e und Art. 93 Bst. f LV; vgl. auch Roger Beck, Landtag, S. 264.
394 Vgl. Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 130.
395 Ulrich Häfelin/ Walter Haller/Helen Keller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht,
S$. 496 Rz. 1535.
524
Zuständigkeiten des Landtages
2. Landtag als Wahlbehörde
a) Bestellung und Abberufung der Regierung?®
aa) Bestellung — Vorschlagsrecht
Die Kollegialregierung, die aus dem Regierungschef und vier Regie-
rungsräten besteht, wird vom Landesfürsten und Landtag in gegenseiti-
gem Einvernehmen bestellt, d. h. der Landesfürst ernennt die Regie-
rungsmitglieder auf Vorschlag des Landtages.
ab) Abberufung bzw. Vertrauensentzug??”
Die Abberufung ist, je nachdem ob sie die Kollegialregierung oder ein
einzelnes Regierungsmitglied betrifft, mit Blick auf die Entscheidungs-
kompetenzen von Landesfürst und Landtag, unterschiedlich geregelt:
aba) Alleinkompetenz
Der Landtag kann für sich allein der Kollegialregierung das Vertrauen
entziehen, sodass ihre Befugnis zur Ausübung des Amtes erlischt.
abb) Gemeinsame Kompetenz
Verliert dagegen ein einzelnes Regierungsmitglied das Vertrauen des
Landtages, so ist die Entscheidung über den Verlust zur Befugnis seines
Amtes einvernehmlich zwischen Landtag und Landesfürst zu treffen.
Der Landtag kann demnach die Kollegialregierung durch ein Miss-
trauensvotum (Vertrauensentzug) entlassen, nicht aber ein einzelnes
Regierungsmitglied. Das Gleiche gilt auch für den Landesfürsten.
ac) Bewertung
Insgesamt ist die Stellung des Landtages gegenüber der Regierung
schwächer angelegt als in einem parlamentarischen Regierungssystem.
Ihre Existenz und Legitimation sind nicht allein dem Landtag zuzu-
schreiben. Dieser teilt die Kompetenzen mit dem Landesfürsten.
396 Siehe schon vorne S. 212 ff., 337 ff. und 367 ff.
397 Nach Art. 62 Bst. h LV gehört zum Wirkungskreis des Landtages «die Beschluss-
fassung über ein Misstrauensvotum gegen die Regierung oder ein einzelnes ihrer
Mitglieder». Es ist in Art. 80 LV geregelt.
525
Organisation und Zuständigkeiten
Die Regierung ist indes funktionell vielfach vom Landtag abhängig, so
etwa durch das Gesetz oder die Budgetgewalt. Der Landtag seinerseits
ist auf die Regierung angewiesen, denn ohne deren vorbereitende und
lenkende Tätigkeiten würde er teils rechtlich, teils faktisch die Hand-
lungsfähigkeit nicht erlangen.?%®
b) Staatsverwaltung
Bei selbständigen Anstalten, Körperschaften und Stiftungen des öffent-
lichen Rechts? hatte der Landtag vormals vielfach die Befugnis, die
Mitglieder oder bestimmte Mitglieder des Verwaltungsrates, d. h. der
«obersten Leitung» des Unternehmens, zu bestellen.“ In diesem
Zusammenhang stellte sich die Frage, ob der Landtag als «oberste Ver-
waltungsbehörde und nicht als Gesetzgeber gehandelt hat».*°!
In der Zwischenzeit ist die Aufsicht und Steuerung der öffentlichen
Unternehmen“? im Sinne einer «Entflechtung der Aufgaben von Land-
398 Vgl. Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 253 f. Rz. 10.
399 Siehe Art. 78 Abs. 4 LV und die Auflistung der Körperschaften, Anstalten und Stif-
tungen des öffentlichen Rechts in: BuA 53/2009 der Regierung vom 18. August
2009, S. 11 f. und S. 83 ff.; zur Organisation und Verwaltung siehe Nicolaus Voigt,
Selbständige öffentlichrechtliche Anstalten und selbständige öffentlichrechtliche
Stiftungen, 5. 47 ff.
400 Vgl. zur Befugnis des Landtages zur Bestellung und Abberufung von Mitgliedern
des Verwaltungsrates des Liechtensteinischen Rundfunks Art. 21 und 45 LRFG,
LGBl. 2003 Nr. 229 i. d. F. LGBl. 2005 Nr. 251 und dazu StGH 2006/32, Urteil vom
1. September 2006, S. 39 (Erw. 2.1; im Internet abrufbar unter: <www.stgh.li>).
401 In StGH 2006/32, Urteil vom 1. September 2006, S. 39 (Erw. 2.2; im Internet ab-
rufbar unter: <www.stgh.li>), konnte der Staatsgerichtshof die Frage, ob der Land-
tag mit seinen Abberufungsentscheidungen als oberste Verwaltungsbehörde und
nicht als Gesetzgeber gehandelt hat, offen lassen, da das Gesetz vom 23. Oktober
2003 über den «Liechtensteinischen Rundfunk» (LRFG), LGBl. 2003 Nr. 229, kei-
nen Instanzenzug gegen Entscheide des Landtages an den Verwaltungsgerichtshof
vorsieht.
402 Der hier verwendete Begriff «öffentliche Unternehmen» steht für die in Art. 78
Abs. 4 LV genannten besonderen «Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des
öffentlichen Rechts», die unter der Oberaufsicht der Regierung stehen. Siehe BuA
Nr. 53/2009 der Regierung vom 18. August 2009 betreffend die Schaffung und Har-
monisierung gesetzlicher Grundlagen zur Führung und Transparenz von öffentli-
chen Unternehmen (Schaffung eines Rahmengesetzes und Abänderung der entspre-
chenden Spezialgesetze), S. 11 f.
526
Zuständigkeiten des Landtages
tag und Regierung»* neu geregelt worden.“* Danach kommen dem
Landtag keine Bestellungsbefugnisse der Mitglieder der strategischen
Führungsebene öffentlicher Unternehmen mehr zu.“®5 Die Aufgabe des
Landtages und seiner Geschäftsprüfungskommission wird darin gese-
hen, die Geschäftstätigkeit der Regierung zu überwachen, «was auch
beinhaltet, dass der Landtag kontrolliert, wie die Regierung ihre verfas-
sungsmässige Verantwortung in Bezug auf die Oberaufsicht über die
öffentlichen Unternehmen wahrnimmt.»*% Die direkte Steuerung der
öffentlichen Unternehmen ist eine operative und damit eine Aufgabe der
Regierung, die auch die Kompetenz zur Wahl bzw. Abberufung der stra-
tegischen Führungsgremien, also der Verwaltungs- und Stiftungsräte der
öffentlichen Unternehmen umfasst, «da diese der Regierung als Ober-
aufsichtsbehörde*” direkt verantwortlich sind».*°%
3. Antrag auf Begnadigung und Strafmilderung
Auf Antrag des Landtages kann der Landesfürst das Recht der Begnadi-
gung oder der Strafmilderung zugunsten eines wegen Amtshandlungen
verurteilten Regierungsmitgliedes ausüben.“ Demgegenüber kann der
Landesfürst gestützt auf das generelle Niederschlagungsrecht*!° ohne
Antrag des Landtages ein vom Landtag beschlossenes Ministeranklage-
verfahren niederschlagen.*!!
403 Formulierung des BuA Nr. 53/2009 der Regierung vom 18. August 2009, S. 255.
404 Vgl. Gesetz vom 19. November 2009 über die Steuerung und Überwachung öffent-
licher Unternehmen (Öffentliche-Unternehmen-Steuerungs-Gesetz; OUSG),
LGBl. 2009 Nr. 356.
405 BuA Nr. 53/2009 der Regierung vom 18. August 2009, $. 255.
406 Vgl. Art. 16 Abs. 2, 2b und 2c ÖUSG.
407 Siehe Art. 78 Abs. 4 LV und Art. 24 ÖUSG.
408 So die Zusammenfassung des BuA Nr. 53/2009 der Regierung vom 18. August 2009,
S.8f.
409 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 226 f.
410 Siehe Art. 12 Abs. 1 LV.
411 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 227 f. mit weiteren Hinwei-
sen; Gerard Batliner, Parlament, S. 23; siehe auch vorne S. 350 ff.
527
Organisation und Zuständigkeiten
4. Ministeranklage
a) Rechtslage
Der Landtag kann gegen ein Mitglied der Regierung wegen Verletzung
der Verfassung oder sonstiger Gesetze beim Staatsgerichtshof Anklage
erheben.“!? Voraussetzung einer Entscheidung ist, dass diese Verletzung
ın Ausübung der Amtstätigkeit absichtlich oder grob fahrlässig erfolgt
ist. Soweit nicht besondere Bestimmungen im Staatsgerichtshofgesetz
vorgesehen sind, richtet sich das Verfahren nach der Strafprozessord-
nung. 43
b) Anfänge und Ausbildung
Die sogenannte Ministeranklage ist in der Konstitutionellen Verfassung
von 1862 kaum ausgebildet worden. Dem Landtag stand zwar das Recht
des Antrages auf Anklage wegen Verfassungs- und Gesetzesverletzun-
gen der verantwortlichen Staatsdiener zu.“!* Es fehlten jedoch die dazu
erforderlichen Ausführungsregelungen. Dies erklärt sich daraus, dass die
Staatsdiener dem Landesfürsten verantwortlich waren und Disziplinar-
und Strafmassnahmen («Entsetzung und Bestrafung öffentlicher Beam-
ten») zu den Gegenständen gehörten, die an den Fürsten zu leiten
waren. +15
Die Verfassung von 1921 erwähnt die Ministeranklage in Art. 62
Bst. g*!6 und zählt sie ausdrücklich zum Wirkungsbereich des Landtages.
Sie richtet sich gegen die Mitglieder der Regierung «wegen Verletzung
der Verfassung und der Gesetze». Das Staatsgerichtshofgesetz von 1925
führt diese Verfassungsvorschrift näher aus und ergänzt die parlamenta-
rische Verantwortlichkeit, insoweit das Fehlverhalten der Regierungs-
mitglieder «in Ausübung der Amtstätigkeit absichtlich oder grobfahrläs-
412 Siehe Art. 62 Bst. g LV und Art. 28 ff. SSGHG; zum Anklagerecht des Landtages
siehe Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 223 ff. und hinten S. 658 ff.
413 Siehe Art. 30 Abs. 1 SEGHG.
414 Siehe $ 40 Bst. d und $ 42 KV 1862 und auch vorne S. 95.
415 Siehe $ 93 Amtsinstruktion von 1862; vgl. auch Herbert Wille, Verfassungsgerichts-
barkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 14 f.
416 Auf diese strafrechtliche Verantwortlichkeit nimmt in der Folge auch Art. 19 Abs. 1
und 2 LVG Bezug. Siehe LGBl. 1922 Nr. 24, geändert durch LGBI. 1966 Nr. 24.
528
Zuständigkeiten des Landtages
sig erfolgt ist>.*!7 Massgebend waren wohl rechtsstaatliche Gründe,*!8
die auch für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit sprachen, nimmt die
Regierung doch in der Verfassung von 1921 eine wesentlich andere Stel-
lung ein als in der Konstitutionellen Verfassung von 1862. Sie ist ein
eigenständiges Organ geworden.
Das Staatsgerichtshofgesetz von 2003 hält an dieser strafrechtlichen
Ministerverantwortlichkeit unverändert fest.“!1? Praktische Bedeutung
kommt diesem Institut allerdings nicht zu.%° Eine Anklageerhebung
bedarf einer qualifizierten Landtagsmehrheit,*! die angesichts der heuti-
gen Parteienkonstellation in Regierung und Landtag kaum zu erreichen
sein wird. Es ist wohl davon auszugehen, dass «regierungsrelevante Per-
sonalprobleme» parteipolitisch bereinigt werden, bevor es zu einer
Anklage beim Staatsgerichtshof kommen kann.“? Als erschwerend für
eine Anklage dürfte sich auch der weit gefasste bzw. unbestimmt gehal-
tene Tatbestand einer «absichtlichen oder grob fahrlässigen Verletzung
der Verfassung oder sonstiger Gesetze» erweisen.*2?
417 Siehe Art. 44 Abs. 1 SEGHG 1925, Art. 104 Abs. 2 LV 1921 und zur Entstehungsge-
schichte Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein,
S. 11 £. und 14 f. Vgl. für Österreich Art. 76 i. V.m. Art. 142 B-VG. Siehe auch vorne
S. 204 und 216.
418 Die Verwirklichung des Rechtsstaates war eines der zentralen Themen der Verfas-
sungsreform von 1921. Vgl. Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten
Staatsorgane, S. 79.
419 Vgl. Art. 104 Abs. 1 und Art. 62 Bst. g LV 2003 sowie Art. 28 Abs. 1 SIGHG 2003.
420 In diesem Sinne schon Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staats-
organe, S. 78, wenn er ausführt: «Wie in allen parlamentarischen Staaten wird auch
bei uns die politische Verantwortlichkeit bei weitem das Übergewicht haben, sie ist
ein viel leichter zu handhabendes, bewegliches Instrument, als die an strenge For-
men gebundene Ministerverantwortlichkeit.»
421 Siehe Art. 58 LV.
422 Vgl. Rolf Grawert, Verantwortlichkeit, S. 584.
423 Siehe Art. 28 Abs. 1 SIGHG 2003. Es fragt sich auch, ob ein solcher Straftatbestand
vor dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot standzuhalten vermag. Zum
Bestimmtheitsgebot einer Strafnorm siehe Tobias Michael Wille, Keine Strafe ohne
Gesetz, S. 428 ff. Rz. 28 ff. Vgl. zur strafrechtlichen Behandlungsweise der Minis-
terverantwortlichkeit in der staatsrechtlichen Lehre des 19. und des beginnenden
20. Jahrhunderts Friedrich Greve, Ministerverantwortlichkeit, S. 55. Gegen eine sol-
che Behandlungsweise sprach damals, wie er festhält, dass es nicht möglich war, die
einzelnen Verfassungsverletzungen gesetzlich zu normieren. «Ein strafrechtlicher
Tatbestand, der allgemein die <Verfassungs- oder Gesetzesverletzung» unter Strafe
stellte, wäre aber viel zu unbestimmt und würde gegen die Grundsätze des moder-
529
Organisation und Zuständigkeiten
5. Beschwerde bzw. Vorstellung an den Landesfürsten
und die Regierung
a) Verfassungsgeschichtlicher Hintergrund
Diese in Art. 63 Abs. 2 LV als Antrag konzipierte Vorstellungs- oder
Beschwerdemöglichkeit, «Mängel oder Missbräuche in der Staatsverwal-
tung» dem Landesfürsten oder der Regierung zur Kenntnis zu bringen
und ihre «Abstellung» zu beantragen, geht auf $ 40 bzw. 42 der Konsti-
tutionellen Verfassung von 1862 zurück, in deren konstitutionell-
monarchischer Staatsordnung Landesfürst, Landtag und Regierung eine
wesentlich andere Stellung eingenommen haben, als dies in der Verfas-
sung von 1921 der Fall ist.
Der Landtag war befugt, beim Landesfürsten Vorstellungen und
Beschwerden «in Beziehung auf Mängel und Missbräuche, die sich in der
Landesverwaltung oder Rechtspflege ergeben», vorzubringen «und auf
deren Abstellung anzutragen». Dem Landesfürsten oblag es, die ent-
sprechenden Verfügungen zu treffen und den Landtag darüber zu infor-
mieren. Der Landtag selber konnte ihnen nicht abhelfen, da die Regie-
rung allein dem Landesfürsten unterstand, der sie auch bestellt. Sie war
ausschliesslich eine Exekutive des Landesfürsten und damit dem Zustän-
digkeitsbereich des Landtages entzogen.** Bei diesen Vorstellungen und
Beschwerden handelte es sich um ein einfaches Beschwerderecht, das
«auf die Selbstkorrektur der monarchischen Exekutive gerichtet war».
Die einzelnen Staatsbürger (Landesangehörigen) konnten nicht
direkt an den Landesfürsten gelangen. Sie mussten sich mit ihren Vor-
stellungen, Petitionen und Beschwerden? an den Landtag wenden, der
nen Strafrechts verstossen, wonach der Tatbestand jedes einzelnen Delikts mit allen
Merkmalen genau und eindeutig bestimmt sein musste.»
424 Siehe auch $ 93 der Amtsinstruktion von 1862, der die Geschäfte auflistet, die dem
Fürsten vorbehalten sind.
425 Vgl. Christian Hermann Schmidt, Vorrang der Verfassung, S. 74.
426 $42 KV 1862 fasst die Beschwerden und Petitionen zusammen bzw. hält sie nicht
auseinander. Hartmut Maurer, Die Verfassungsgewähr im konstitutionellen Staats-
recht, S. 739 bemerkt, dass im damaligen Staatsrecht diese beiden Institutionen ver-
schiedentlich begrifflich nicht gegeneinander abgegrenzt worden sind, obwohl die
Beschwerde in der Regel bereits erfolgte Fehlentwicklungen der Exekutive betrof-
fen, die Petition zukunftsgerichtete Wünsche und Anträge enthalten habe.
530
Zuständigkeiten des Landtages
diese dann seinerseits dem Landesfürsten vorlegte.*” Dies setzte in der
Regel voraus, dass der verwaltungsinterne Beschwerdeweg erschöpft
war®8 und dass sich der Landtag der Angelegenheit annahm. #2?
b) Kritik
Diese Instrumente der Vorstellung oder Beschwerde an den Landesfürs-
ten passen nicht mehr in ein Verfassungssystem, in dem die Regierung
als eigenständiges Staatsorgan unter der Kontrolle des Landtages steht.“
Dass die Verfassung von 1921 an dieser Regelung festgehalten hat, dürfte
sich jedoch daraus erklären, dass der Landesfürst gemäss Art. 11 LV die
Staatsbeamten ernannte,*! wobei diese unter der Aufsicht der Regierung
standen, die auch die Disziplinargewalt ausübte.*2
Die Verfassungsrevision von 2003 hat von diesem fürstlichen
Ernennungsrecht abgesehen“ und in Art. 63 Abs. 2 LV neben dem Lan-
desfürsten auch die Regierung als Beschwerdestelle eingerichtet. Aus
welchem Grund nach wie vor Vorstellungen und Beschwerden an den
Landesfürsten zu adressieren sind, ist nicht ersichtlich, da der Landtag
der Regierung und der gesamten Staatsverwaltung («Landesverwal-
tung») gegenüber genügende und ausreichende Kontrollmöglichkeiten
hat. Es stehen ihm andere und eigene Aufsichtsmittel zur Verfügung, die
er zum Einsatz bringen kann. Dass sich der Landtag unter diesem
Aspekt auch an den Landesfürsten wendet, der dann darauf hinwirkt,
dass die Mängel und Missbräuche in der Landesverwaltung beseitigt
werden, ist aufgrund der Stellung und Kompetenzen des Landtages im
Verfassungsgefüge nicht anzunehmen, räumt ihm doch die Verfassung
427 Siehe $ 35 Geschäftsordnung des Landtages von 1863.
428 Siehe zum Recht der Beschwerdeführung $ 19 KV 1862.
429 Das Petitionsrecht an den Landtag ist gemäss $ 20 KV 1862 gewährleistet. Die ent-
sprechenden «Wünsche und Bitten» mussten durch ein Mitglied des Landtages «da-
selbst» vorgebracht werden. Es bedurfte demnach eines Beschlusses des Landtages.
430 Siehe Art. 63 Abs. 1 LV.
431 Die ältere Literatur geht auf die Problematik des Art. 63 Abs. 2 LV nicht näher ein.
Siehe Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 132; Ernst Pappermann, Die Regierung
des Fürstentums Liechtenstein, S. 113 f. unter Bezugnahme auf Otto Ludwig Mar-
xer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, S. 38 f.
432 Siehe Art. 93 Bst. a LV.
433 Anstelle des Ernennungsrechts der Staatsbeamten tritt neu in Art. 11 LV 2003 die
Ernennung der Richter.
531
Organisation und Zuständigkeiten
«das Recht der Kontrolle über die gesamte Staatsverwaltung unter Ein-
schluss der Justizverwaltung» ein.“
In dieser Regelung wird offenkundig, dass die Instrumente der
Vorstellung und Beschwerde an den Landesfürsten und auch an die
Regierung «Relikte» sind, denen ein anderes konstitutionell-monar-
chisches Verfassungsverständnis zugrunde liegt, sodass sie im heutigen
Verfassungsrecht «obsolet» und in der Verfassungswirklichkeit «bedeu-
tungslos» geblieben sind.*5
6. Landtag als «Verwaltungsbehörde» bzw. als Enteignungsbehörde
Der Landtag entscheidet im Einzelfall über die Notwendigkeit der
Expropriation. Er hat dabei das öffentliche Interesse und die Notwen-
digkeit der Enteignung zu prüfen.“ Der Expropriationsbeschluss stellt
einen «individuellen Rechtsanwendungsakt» dar.*” Funktional gesehen
handelt der Landtag als Verwaltungsbehörde.*®
Der Landtag ist auch zuständig, dem Expropriationswerber die
vorzeitige Besitzeinweisung zu bewilligen.*?
IV. Auf dem Gebiete des Justizwesens
1. Kontrolle der Justizverwaltung
Neben der Regierung und anderen Trägern von Staatsaufgaben steht
dem Landtag das Recht der Kontrolle bzw. Oberaufsicht über die Jus-
434 Siehe Art. 63 Abs. 1 LV.
435 "Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 84; Gerard
Batliner, Schichten, S. 293, wo er ausführt, dass Art. 63 Abs. 2 LV seit 1921 «toter
Buchstabe» geblieben ist.
436 Siehe $ 2 Gesetz vom 23. August 1887 über das Verfahren in Expropriationsfällen
(ExprG), LGBl. 1887 Nr. 4.
437 StGH 1992/8, Urteil vom 23. März 1993, LES 1993, 5. 77 (81).
438 So Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 145.
439 Vgl. Herbert Wille, Liechtensteinisches Verwaltungsrecht, S. 118 ff., insbesondere
S.120f.
532
Zuständigkeiten des Landtages
tizverwaltung zu.*° Es erstreckt sich aber nicht auf die Rechtsprechung
der Gerichte.“ Dies gebietet schon der Grundsatz der Gewaltentren-
nung und der Unabhängigkeit der Justiz.“2 Die Justizverwaltung
umfasst «alle Aufgaben der Gesetzesvollziehung, die ihrem Inhalt nach
das Funktionieren der Gerichtsbarkeit sicherstellen».“ Es ist im Einzel-
nen schwierig, die Agenden der Justizverwaltung zu umschreiben.“
Wenn sich auch die Rechtsprechung der Oberaufsicht des Landta-
ges verschliesst, ist damit nicht gesagt, dass er nicht im Wege der Gesetz-
gebung auf die Rechtsentwicklung und damit auch auf die Rechtspre-
chung Einfluss nehmen kann.“ Wenn der Landtag eine Untersuchungs-
kommission einsetzt, um Missstände in der Justizverwaltung zu klären
und geeignete Abhilfemassnahmen vorschlägt, widerspricht dieses Vor-
gehen nicht der richterlichen Unabhängigkeit,**® da sie sich an deren
Schranken zu halten hat.*7 Er kann zu diesem Zweck oder auch jeder-
zeit von der Regierung, die für einen gesetzmässigen und ununterbro-
440 Siehe Art. 27 bis 40 GOG.
441 Siehe Art. 63 Abs. 1 LV. In BuA Nr. 54/2007 der Regierung vom 30. April 2007, 5.17
heisst es zu Art. 93 Bst. e LV, der sich mit dem Wirkungskreis der Regierung befasst
und ihr «die Überwachung des gesetzmässigen und ununterbrochenen Geschäfts-
ganges des Landgerichtes» zuweist: «Unter dem Gesichtspunkt der Unabhängigkeit
der Gerichte ist festzuhalten, dass sich diese Aufsicht nicht auf die Rechtsprechung
bezieht. Es geht dabei ausschliesslich um die Überwachung der Ausübung der Jus-
tizverwaltung und der Dienstaufsicht.»
442 Siehe Art. 95 Abs. 2 Satz 1 LV. Das Richterdienstgesetz vom 24. Oktober 2007
(RDG), LGBl. 2007 Nr. 347, das in seiner Systematik und teilweise auch in seinen
Bestimmungen dem österreichischen Richterdienstgesetz folgt, «da die Gerichtsor-
ganisation in Österreich vom System her ähnlich wie in Liechtenstein ist», schafft
die wesentlichen Voraussetzungen, um die richterliche Unabhängigkeit sicherzu-
stellen. So BuA Nr. 54/2007 der Regierung vom 30. April 2007, S. 4 und 9. Das Rich-
terdienstgesetz hebt sich in wichtigen Punkten (z. B. Verselbständigung des Dienst-
rechts) vom Gutachten des Staatsgerichtshofes vom 30. Oktober 1980 ab. Siehe
StGH 1980/9, in: LES 1982, 5. 8 ff.
443 Heinz Mayer, Das österreichische Bundes-Verfassungsrecht, S. 314 zu Art. 87 Abs. 2
B-VG unter Bezugnahme auf VfSlg 7376, 8158; OGH 15. 12. 1997, 1 Ob 41/97 d; vgl.
auch BuA Nr. 53/2007 vom 30. April 2007, 5. 12 f.
444 So Robert Walter / Heinz Mayer / Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungs-
recht, S. 370 Rz. 765.
445 Vgl. Ulrich Häfelin/ Walter Haller/Helen Keller, Schweizerisches Bundesstaats-
recht, S. 500 Rz. 1545.
446 Siehe Art. 95 Abs. 2 LV und Art. 2 RDG.
447 Vgl. zur parlamentarischen Oberaufsicht über die Justiz für die Schweiz Hansjörg
Seiler, Fragen der parlamentarischen Oberaufsicht, S. 292.
533
Organisation und Zuständigkeiten
chenen Geschäftsgang der ordentlichen Gerichte zu sorgen hat,*8 Aus-
kunft verlangen.
Es ist aufgrund der «Kleinheit der Verhältnisse» nicht sinnvoll, die
gerichtliche Selbstverwaltung zur Gänze aufrechtzuerhalten. So kommt
beispielsweise bei Besoldungsfragen das entsprechende Gesetz, das auch
für das Staatspersonal gilt,*? zur Anwendung.“ Demzufolge ist die
selbständige Justizverwaltung der Gerichte in einem «gesamtadministra-
tiven Zusammenhang» zu sehen.#1 Bedeutend für die Justizverwal-
tungssachen sind auch die Gesetze, Finanzbeschlüsse und oberaufsichts-
rechtlichen Massnahmen des Landtages und der Regierung, die die Ver-
waltungstätigkeit bestimmen, steuern oder kontrollieren.*?2
2. Richterwahl — Bestellung der Richter
a) Richterauswahlverfahren*
Dem Landtag steht ein Zustimmungsrecht in Form der Wahl eines Kan-
didaten zu, der ihm vom Richterauswahlgremium, in dem der Landes-
fürst den Vorsitz und den Stichentscheid hat, empfohlen wird. Vorge-
schlagen werden kann von diesem Gremium nur ein Kandidat, dem der
Landesfürst zugestimmt hat. Wählt der Landtag diesen Kandidaten,
ernennt ihn der Landesfürst zum Richter.** Lehnt der Landtag diesen
Kandidaten ab und kann innerhalb von vier Wochen eine Einigung nicht
erzielt werden, hat er einen Gegenkandidaten vorzuschlagen und eine
Volksabstimmung festzusetzen.“ In diesem Fall sind auch die wahl-
berechtigten Landesbürger berechtigt, Kandidaten zu nominieren.
Gewählt und vom Landesfürsten zum Richter ernannt wird jener Kan-
didat, der die absolute Mehrheit der Stimmen erhält.*56
448 Siehe Art. 93 Bst. e IV.
449 Siehe Art. 1 Abs. 2 und Art. 32 f. Besoldungsgesetz, LGBl. 1991 Nr. 6.
450 Vgl. BuA Nr. 54/2007 der Regierung vom 30. April 2007, S. 34.
451 Vgl. Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 335 f. Rz. 5.
452 Vgl. Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 335 f. Rz. 5.
453 Siehe Art. 11, 95 und 96 LV und dazu vorne S. 364 ff. und 436 ff.
454 Siehe Art. 13 RBG.
455 Siehe Art. 14 RBG.
456 Vgl. Art. 15 ff. RBG.
534
Zuständigkeiten des Landtages
Nach diesem Verfahren kann der Landtag entweder den vorgeschlage-
nen Kandidaten wählen oder im Fall der Ablehnung einen Gegenvor-
schlag aufstellen, wobei die Wahl in einer Volksabstimmung stattfin-
det.#7 Die Ernennung zum Richter erfolgt durch den Landesfürsten.
b) Richterauswahlgremium
In das Gremium zur Richterwahl, dessen Vorsitzender der Landesfürst
ist und das zur Aufgabe hat, «im Hinblick auf die Bestellung der Rich-
ter die Beurteilung und Auswahl*® der hierfür in Betracht kommenden
Kandidaten zu treffen»,*?° entsendet der Landtag je einen Abgeordneten
von jeder im Landtag vertretenen Wählergruppe.*°
V. Auf dem Gebiete der auswärtigen Gewalt
1. Allgemeines
Die Entscheidungsbefugnisse des Landtages erstrecken sich im Rahmen
der auswärtigen Angelegenheiten vornehmlich auf den Abschluss von
Staatsverträgen und allenfalls auf die damit zusammenhängende Errich-
tung von neuen ständigen Beamtenstellen. Verlangen aussenpolitische
Massnahmen, z. B. bei der Bestellung diplomatischer Vertreter,*®! staat-
liche Finanzmittel, hat der Landtag das Recht, die Ausgaben zu verwei-
457 Siehe auch vorne S. 437. Zur Kritik an diesem in der Verfassungsrevision von 2003
eingeführten Richterauswahlverfahren siehe Gerard Batliner/ Andreas Kley/Her-
bert Wille, Memorandum, S. 10 Ziff. 30 ff. Nach alter Verfassungslage wurden die
Richter und Stellvertreter des Verwaltungsgerichtshofes (VBI) und des Staats-
gerichtshofes vom Landtag gewählt. Der Vorsitzende des VGH bzw. VBI und dessen
Stellvertreter wurden auf Vorschlag des Landtages vom Landesfürsten ernannt
(Art. 97 Abs. 1 LV 1921). Die Wahl des Präsidenten des Staatsgerichtshofes und sei-
nes Stellvertreters unterlag der landesfürstlichen Bestätigung (Art. 105 LV 1921 und
Art. 4 StGHG 1925).
458 Zu den Ernennungserfordernissen siehe Art. 14 und 15 RDG.
459 Siehe Art. 4 RBG und die Geschäftsordnung des Richterauswahlgremiums vom
14. Oktober 2005, LGBI. 2005 Nr. 200.
460 Zur Zusammensetzung siehe Art. 3 RBG. Es können nach Art. 96 Abs. 1 LV nur
«Abgeordnete», d. h. ordentliche Mitglieder des Landtages in das Richterauswahl-
gremium entsendet werden.
461 Siehe Art. 106 Abs. 1 LV.
535
Organisation und Zuständigkeiten
gern oder zu begrenzen. Er kann auf diese Weise mithilfe seiner Finanz-
kompetenzen auf die Aussenpolitik Einfluss ausüben.“
2. Staatsverträge
Staatsverträge, «durch die Staatsgebiet abgetreten oder Staatseigentum
veräussert, über Staatshoheitsrechte oder Staatsregale verfügt, eine neue
Last auf das Fürstentum oder seine Angehörigen übernommen oder eine
Verpflichtung, durch die den Rechten der Landesangehörigen Eintrag
getan würde, eingegangen werden soll», setzen zu ihrer Gültigkeit
voraus, dass der Landtag zustimmt.“ Fehlt diese Zustimmung, ist ein
Staatsvertrag bzw. ein völkerrechtlicher Vertrag‘, der unter diese
Sachkriterien zu subsumieren ist,*®5 innerstaatlich nicht rechtsverbind-
lich.*6 Der parlamentarische Zustimmungs- oder Genehmigungsakt
ermächtigt den Landesfürsten und die Regierung, den Staatsvertrag zu
ratifizieren.*7
Diese zustimmungsbedürftigen Staatsverträge sind die einzigen
«völkerrechtsförmlichen Akte», an denen eine direkte Mitwirkung des
Landtages besteht.*8 Er beteiligt sich an der materiellen auswärtigen
Gewalt, indem er an der Willensbildung darüber teilnimmt, «ob der
Staat sich völkerrechtlich überhaupt und wenn ja, wie weitgehend bin-
den soll».*° Der Landtag kann aber in dieser Phase des (Zustimmungs-)
462 Andreas Schurti, Verordnungsrecht der Regierung, S. 277; vgl. auch Dieter J. Nie-
dermann, Liechtenstein und die Schweiz, S. 86.
463 Siehe Art. 8 Abs. 2 LV. Diese Bestimmung ist mit fast gleichem Wortlaut $ 23 Abs. 2
der Konstitutionellen Verfassung 1862 entnommen worden.
464 Zum Begriff «Staatsvertrag» siehe Ulrich Häfelin/ Walter Haller/Helen Keller,
Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S. 615 Rz. 1892 unter Bezugnahme auf Dietrich
Schindler, Kommentar BV, Art. 8 Rz. 4. Sie halten den Terminus «völkerrechtlicher
Vertrag» für zutreffender.
465 Die Zuordnung unter die in Art. 8 Abs. 2 LV erwähnten Kategorien erweist sich in
der Praxis als schwierig. Siehe Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 233 ff.
466 Günther Winkler, Staatsverträge, S. 114; Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 213.
467 Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 213; Dieter J. Niedermann, Liechtenstein
und die Schweiz, S. 86.
468 Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 223.
469 Vgl. Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 222 f.
536
Zuständigkeiten des Landtages
Verfahrens den ihm vorgelegten Staatsvertrag nur zur Gänze (en bloc)
annehmen oder ablehnen. Eine inhaltliche Änderung ist nicht mehr
zulässig, sodass in dieser Hinsicht seine Einwirkungsmöglichkeiten
begrenzt sind.“7°
3. Internationale Organisationen
Der Landtag entsendet aus seiner Mitte Abgeordnete in inter- und
supranationale Organe.*71
470 Vgl. Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 218 mit weiteren Literaturhinweisen.
Der Landtag kann aber auch schon in einem früheren Stadium über seine Aussen-
politische Kommission bei der Regierung intervenieren. Siehe vorne S. 500 und
Gerard Batliner, Staatsvertragsreferendum, S. 106.
471 Siehe beispielsweise die Parlamentarische Versammlung des Europarates (Art. 22 ff.
der Satzung des Europarats vom 5. Mai 1949) und die Versammlung der Westeuro-
päischen Union. Der Landtag ist Mitglied der Interparlamentarischen Union und
entsendet Delegationen in deren Organe. Siehe zu den Delegationen im Internet ab-
rufbar unter: <www.landtag.li>. Vgl. auch vorne S. 503 f. und Wilfried Hoop, Aus-
wärtige Gewalt, 5. 277 ff.
537
4. KAPITEL
DIE (KOLLEGIAL-J)REGIERUNG
1. Abschnitt
Rechtsstellung, Wahl und Verantwortlichkeit'
$33 RECHTSSTELLUNG
I. Allgemeines
Unter dem Blickwinkel der Gewaltenteilung? ist die Regierung ein
Organ der «vollziehenden Gewalt». Die Verfassung weist ihr im
VII. Hauptstück die Funktionen der Vollziehung zu. Die Regierungsge-
walt erschöpft sich aber keineswegs nur im Gesetzesvollzug, sondern
schliesst den Gesamtbereich exekutivischer Funktionen ein. Diese
Zuordnung entspricht heute allgemeiner Auffassung.
II. Regierung als selbständiges Staatsorgan
Die Verfassung hat die Regierung als eigenständiges Kollegialorgan aus-
gestaltet.? Sie nimmt eine «neutrale Stellung in der Mitte zwischen Land-
tag und Fürst» ein.* Alle Funktionen, die ihr zukommen, nimmt sie in
1 Zur Charakterisierung des Regierungssystems siehe eingehend vorne S. 194 ff.
2 Nach StGH 1983/6, Urteil vom 15. Dezember 1983, LES 3/1984, S. 73 (74 Erw. 3)
beruht die Verfassung auf dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 2 und 7).
3 So die überwiegende Lehrmeinung; siehe nur Gerard Batliner, Einführung in das
liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 63 und 76; Hilmar Hoch, Verfassung- und
Gesetzgebung, S. 211 mit weiteren Hinweisen; Walter Kieber, Regierung, Regie-
rungschef, Landesverwaltung, S. 294; Dietmar Willoweit, Verfassungsinterpretation
im Kleinstaat, S. 204 ff.
4 Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 211 unter Bezugnahme auf Ger-
ard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 69; so auch
Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 294.
541
Rechtsstellung, Wahl und Verantwortlichkeit
eigenverantwortlicher Kompetenz wahr. Dem entspricht auch ein
eigenständiger Aufgabenbereich, der in der Verfassung nicht abschlies-
send normiert ist, lässt sich doch der Wirkungskreis der Regierung nur
schwer bestimmen, da ihre Tätigkeit dem Wesen nach innovativ ist und
die verschiedensten Sachbereiche umfasst, sodass sie sich einer genauen
Abgrenzung entzieht.
III. Regierung als vollziehendes und staatsleitendes Organ’
1. Vollziehendes Organ
Als «eigentliches Exekutivorgan» oder «oberste Verwaltungsbehörde»*
besorgt die Regierung die «gesamte Landesverwaltung»*. Sie vollzieht
die Gesetze und beaufsichtigt die ihr unterstellten Behörden und Beam-
ten.!9 Der Gesetzesvollzug schliesst alle Bereiche der Staatstätigkeit ein,
wie sie ın der Geschäftsverteilung bzw. in der Regierungs- und Verwal-
tungsorganisationsverordnung!! ihren Niederschlag finden.!?
5 Ohne eigene Entscheidungsgewalt könnte nicht von einer Verantwortung der
Regierung gesprochen werden. Vgl. Christoph Brüning, Der informierte Abgeord-
nete, S. 515.
6 Siehe Art. 92 und 93 LV und hinten S. 582 ff. zu den Zuständigkeiten. Vgl. für
Deutschland Meinhard Schröder, Aufgaben der Bundesregierung, S. 1118 f. Rz. 8;
Martin Oldiges, Grundgesetz, Art. 62, S. 1392 Rz. 23.
7 Art. 4 Abs. 1 RVOG bezeichnet die Kollegialregierung als «oberste leitende und
vollziehende Behörde des Landes». Pierre Tschannen, Staatsrecht, S. 472 Rz. 2
umschreibt die Staatsleitung bzw. Regierung im funktionellen Sinn unter Bezug-
nahme auf Kurt Eichenberger, Kommentar BV, Art. 95 Rz. 43 f., als «dauernde und
vorausschauende, auf die Wohlfahrt des Volkes und die Einheit des Landes bedachte
Führung des Gemeinwesens».
8 Andreas Schurti, Verordnungsrecht der Regierung, S. 118; Christine Weber, Gegen-
zeichnungsrecht, S. 188 mit weiteren Hinweisen.
9 Dieser Begriff umfasst sowohl die Hoheits- als auch die Privatwirtschaftsverwal-
tung. Siehe Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 301 f.
10 Siehe Art. 78 Abs. 1, 92 Abs. 1 und 93 Bst. a LV; vgl. Gerard Batliner, Einführung in
das liechtensteinische Verfassungsrecht, 5. 61 f.
11 Siehe Art. 91 LV und dazu Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung
vom 28. März 2013 (RVOV), LGBl. 2013 Nr. 163.
12 Vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 59;
Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 302.
542
Rechtsstellung
2. Staatsleitendes Organ
Auch wenn Art. 78 Abs. 1 LV nur die Verwaltungsfunktion!? der Regie-
rung anspricht, d. h. die ihr überbundene Besorgung der «gesamten Lan-
desverwaltung», ist unbestritten, dass sie auch «die richtunggebenden,
auf die Staatsziele und die politischen Ziele hinlenkende Staatstätigkeit»
wahrnimmt. Sie versteht sich als «schöpferische Initiierung, Planung,
Vorbereitung, Steuerung, Koordination, Leitung und Lenkung der inne-
ren und äusseren Politik»,!* beinhaltet also auch ein Handeln aus eigener
Initiative. Es ist eine «andauernde, ununterbrochene Tätigkeit in der
ganzen Breite der Staatsaufgaben und der Verfassung», und erfasst
«Gebiete, die allenfalls neu zu staatlichen Obliegenheiten gemacht wer-
den müssen»,!5 sodass die Regierung dem Landtag dementsprechend
Gesetzesvorschläge unterbreitet. Die Regierung ist so gesehen das
«dynamische» Organ im liechtensteinischen Staat.!®
3. Politische Tätigkeit
Der Aufgabenbereich der Regierung reduziert sich demzufolge nicht
nur auf die «Ausführung» bzw. den «Vollzug». Es obliegen ihr wie jeder
anderen Regierung neben den Aufgaben der vollziehenden Ausführung
13 Die Verwaltungsfunktion steht im Gegensatz zu den Funktionen der Rechtsetzung
und Rechtsprechung. So Ulrich Häfelin/ Georg Müller / Felix Uhlmann, Allgemei-
nes Verwaltungsrecht, S. 7 Rz. 10. Vgl. zum Begriff der Verwaltung auch Andreas
Kley, Grundriss, S. 25, der ausführt, dass der Begriff der Verwaltung in Art. 78
Abs. 1 und 92 Abs. 2 («Landesverwaltung») von der Verfassung vorausgesetzt wird.
Zur Landesverwaltung gehören nach Gerard Batliner, Einführung in das liechten-
steinische Verfassungsrecht, S. 59 «die gesamte innere und äussere Regierung und
Verwaltung».
14 Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 60; Wal-
ter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 302, der sie unter dem
Begriff der Regierung im funktionellen Sinne zusammenfasst.
15 Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 294 Rz. 2.
16 Zur gestaltenden Tätigkeit der Regierung siehe Walter Kieber, Regierung, Regie-
rungschef, Landesverwaltung, S. 303, der in diesem Zusammenhang auch erwähnt,
dass die Regierung die gesamte Staatstätigkeit koordiniert und neben dem Staats-
oberhaupt auch den Staat nach aussen repräsentiert.
543
Rechtsstellung, Wahl und Verantwortlichkeit
auch «Aufgaben der politischen Regierung», !7 die sie im Unterschied zur
strengen Gesetzesbindung der Hoheitsverwaltung grösstenteils ausser-
halb des Bereichs der Rechtsgebundenheit realisieren kann, wobei sie
allerdings die bestehenden Gesetze, insbesondere die Zuständigkeits-
und Verfahrensvorschriften, zu beachten hat.!® Aus dieser Zusammen-
schau folgt, dass zwischen der richtungweisenden und der ausführenden
Tätigkeit ein enger innerer Zusammenhang besteht.!?
$34 WAHL
I. Bestellung und Beendigung
1. Bestellung der Regierung
Die Kollegialregierung setzt sich aus dem Regierungschef und vier
Regierungsräten und ihren Stellvertretern zusammen. Sie werden vom
Landesfürsten einvernehmlich mit dem Landtage auf dessen Vorschlag
ernannt. Desgleichen wird einer der Regierungsräte zum Regierung-
schef-Stellvertreter berufen. Der Landtag hat die personelle Auswahl zu
treffen und die von ihm gewählten Regierungsmitglieder dem Landes-
fürsten vorzuschlagen, der sie ablehnen kann, wie sich dies aus der ein-
vernehmlichen Regelung ergibt, die verfassungsrechtlich festgeschrieben
ist.2° Ernennt er sie zu Regierungsmitgliedern, kommt also eine Einigung
zustande, ist der Bestellungsvorgang materiell abgeschlossen. Darauf
folgt die formelle Ernennung, die das Ernennungsdekret bzw. die
Ernennungsurkunde des Landesfürsten bewirkt.?! Lehnt der Landes-
fürst jedoch die vom Landtag vorgeschlagenen Regierungsmitglieder ab,
17 Diese Formulierung ist Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liech-
tenstein, S. 49 entlehnt. Gemeint ist hier die Regierung im funktionellen Sinne.
18 Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 303, vgl. auch Ger-
ard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 61.
19 Auf die Unterscheidung der Bereiche von Regierung und Verwaltung weist Hans
Nawiasky, Rechtsgutachten, S. 8 f. hin.
20 Siehe Art. 79 Abs. 1, 2 und 3 LV.
21 Zur Frage der Gegenzeichnung des Ernennungsdekretes des Landesfürsten siehe
Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 89 f.;
Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 224 ff. mit weiteren Hinweisen.
544
Wahl
ist das Bestellungsverfahren zu wiederholen. Der Landtag hat dem Lan-
desfürsten einen neuen Vorschlag zu unterbreiten.?
2. Beendigung des Regierungsamtes
a) Zeitablauf
Das Regierungsamt endet mit Ablauf der Amtsperiode, d. h. mit der
Bestellung der neuen Regierung. Um einen regierungslosen Zustand zu
vermeiden, hat bis zu diesem Zeitpunkt im Regel- bzw. Normalfall? die
bisherige Regierung ihre Geschäfte verantwortlich weiterzuführen.?*
b) Rücktritt bzw. Demission
Ein Rücktritt vom Regierungsamt auf eigenen Wunsch des Regierungs-
mitgliedes ist jederzeit möglich. Wer ein Regierungsamt freiwillig anneh-
men kann, muss auf dieses auch frei verzichten können.? Der Landes-
fürst hat die Rücktrittserklärung anzunehmen und das Regierungsmit-
glied formell des Amtes zu entheben.?
c) Tod
Das Regierungsamt endet ipso facto mit dem Tod eines Regierungsmit-
gliedes, der es auf natürliche Weise frei macht.? In diesem Fall bedarf es
verständlicherweise keiner formellen Amtsenthebung.?8
d) Verlust der Amtsfähigkeit
Die Wählbarkeit zum Landtag stellt eine der Voraussetzungen für die Re-
gierungsmitgliedschaft dar. Ist sie nicht mehr gegeben, hat der Landesfürst
das betreffende Regierungsmitglied formell des Amtes zu entheben.??
22 Vgl. Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 294 f.
23 Siehe Art. 79 Abs. 6 1. V. m. Art. 80 LV, der den «irregulären Fall» des Vertrauens-
verlustes seitens des Landesfürsten oder des Landtages regelt. Günther Winkler,
Verfassungsreform, S. 242.
24 Vgl. Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 315.
25 So Günther Winkler, Verfassungsrecht, S. 113.
26 Vgl. Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 316.
27 Günther Winkler, Verfassungsrecht, S. 113.
28 Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 316.
29 Vgl. Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 316 f.
545
Rechtsstellung, Wahl und Verantwortlichkeit
e) Vertrauensverlust
Die Befugnis eines Regierungsmitgliedes zur Ausübung seines Amtes
erlischt, wenn Landesfürst und Landtag übereinstimmend eine diesbe-
zügliche Entscheidung treffen. Sie können einzelne Regierungsmitglie-
der nicht einseitig entlassen.” Demgegenüber können Landesfürst und
Landtag je für sich der (Gesamt-)Regierung ihre Befugnis zur Amtsaus-
übung durch ein förmliches Misstrauensvotum entziehen, sodass sie ihre
Amtsgeschäfte nicht mehr weiterführen kann. Für die Zeit bis zum Amt-
santritt der neuen Regierung bestellt der Landesfürst eine Übergangsre-
gierung zur interimistischen Besorgung der gesamten Landes-
verwaltung.?!
Das sogenannte Misstrauensvotum ist an keine materiellen Krite-
rien gebunden. Es ist mit anderen Worten weder begründungspflichtig
noch auf die Amtspflichtverletzung oder auf irgendeinen anderen Tatbe-
stand eingeschränkt.
f) Amtsverlust im Ministeranklageverfahren
Wird ein Regierungsmitglied im Ministeranklageverfahren? wegen vor-
sätzlicher Verletzung der Verfassung oder eines bestimmten Gesetzes,
die es in Ausübung seiner Amtstätigkeit begangen hat, vom Staatsge-
richtshof verurteilt und erklärt dieser das Regierungsmitglied seines
Amtes verlustig, tritt mit der Verkündung oder Zustellung des Urteils
der Amtsverlust ein. Dementsprechend findet keine formelle Amtsent-
hebung durch den Landesfürsten statt.
30 Siehe Art. 80 Abs. 2 LV.
31 Siehe Art. 80 Abs. 1 LV und Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 242; vgl. auch
vorne S. 337 ff.
32 Vgl. Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 248 und 256; für Österreich siehe bei-
spielsweise Art. 74 Abs. 1 B-VG. Danach kann der Nationalrat der Bundesregierung
oder einzelnen Mitgliedern «ohne besondere Gründe» das Vertrauen versagen. Vgl.
Robert Walter/Heinz Mayer/Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungs-
recht, S. 325 Rz. 662.
33 Siehe Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 222 ff. und S. 789 f.; für
Österreich siehe Robert Walter/ Heinz Mayer/ Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Bun-
desverfassungsrecht, S. 550 ff. Rz. 1190 ff.; siehe auch vorne S. 528 f. und hinten
5. 658 ff.
34 Siehe Art. 62 Bst. g LV und Art. 34 SIGHG.
35 Vgl. Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 317; Christine
Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 318 f.
546
Wahl
3. Vakanzen im Regierungsbereich
Tritt in der Regierung als Folge der Beendigung der (Gesamt-)Regierung
oder eines Regierungsamtes eine Vakanz ein, kommt die Stellvertre-
tungsregelung zum Zuge, die die Verfassung für diesen Fall vorgesehen
hat. Eine Ausnahme bildet der Ablauf der Amtsperiode.”
II. Wählbarkeit
Zu einem Mitglied der Regierung können liechtensteinische Staatsange-
hörige® bestellt werden, die zum Landtag wählbar sind.®® Das trifft auf
alle Landesangehörigen zu, die wahl- und stimmberechtigt und nicht
vom Stimm- und Wahlrecht ausgeschlossen sind.“
Es ist bei der Bestellung der Kollegialregierung darauf zu achten,
dass die beiden Landschaften bzw. Wahlbezirke Oberland und Unter-
land“! mit wenigstens zwei Mitgliedern vertreten sind, wobei auch ihre
Stellvertreter der gleichen Landschaft bzw. dem gleichen Wahlbezirk
angehören müssen.“ Diese Pflicht zur Rücksichtnahme bedeutet für
Landtag und Fürst ein verfassungsrechtliches Gebot, das sie zu beachten
haben.
36 Siehe Art. 79 Abs. 2 und 3 LV, Art. 80 Abs. 1 und 2 sowie Art. 91 LV und dazu Wal-
ter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 318.
37 Siehe Art. 79 Abs. 6 LV und vorne S. 545.
38 Zum Inländerprinzip in der ursprünglichen Fassung siehe Ernst Pappermann, Die
Regierung des Fürstentums Liechtenstein, 5. 63 f.
39 Siehe Art. 78 Abs. 4 LV.
40 Siehe Art. 1 und 2 VRG und vorne S. 392 f.
41 Zur Geschichte der Wahlbezirke siehe Herbert Wille, Landtag und Wahlrecht,
S. 200 ff.; siehe auch vorne S. 403 f. und S. 463 f.
42 Siehe Art. 79 Abs. 5 LV.
43 Vgl. Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 81,
der unter dem Gesichtspunkt der organisatorischen Intraorgankontrolle diese Rege-
lung, wonach jede der beiden Landschaften zwei Regierungsmitglieder stellen darf,
zum «Minderheitenschutz» zählt, sodass auch dem Oberland wie dem Unterland
eine Sperrminorität zukommt. Vgl. für die Schweiz Bernhard Ehrenzeller, in: Kom-
mentar zu Art. 175 Abs. 4 BV, S. 2596 Rz. 26, wonach bei der Wahl der Mitglieder
des Bundesrates die Rücksichtnahme auf eine «angemessene Vertretung» der Lan-
desgegenden und Sprachregionen ein verpflichtender Auftrag an das Parlament ist,
der aber rechtlich nicht erzwingbar oder sanktionierbar ist.
547
Rechtsstellung, Wahl und Verantwortlichkeit
III. Unvereinbarkeit
Die drei Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative sind nach
Art. 46 Abs. 4 LV personell strikt getrennt.‘ Demnach ist eine Regie-
rungsmitgliedschaft unvereinbar mit einer Zugehörigkeit zum Landtag
oder zu einem Gericht.“ Die Mitglieder der Regierung können nicht
gleichzeitig Mitglieder des Landtages oder eines Gerichtes sein. Wer
Mitglied der Regierung ist, hat sich auf dieses Amt zu beschränken und
kein anderes Amt anzunehmen. Damit soll möglichen Interessenkolli-
sionen vorgebeugt werden.” Das gleiche Ziel verfolgt auch Art. 5
RVOG. Um die Unabhängigkeit zu wahren, dürfen neben dem Regie-
rungsamt keine anderen Ämter oder Erwerbstätigkeiten ausgeübt wer-
den. Die Regierungsmitglieder dürfen auch nicht in Körperschaften,
Anstalten und Stiftungen mitwirken, die einen Erwerb intendieren. Es
soll «in allgemeiner Weise die Freiheit der Amtsausübung im übergeord-
neten Interesse gewährleistet sein».
IV. Amtsdauer
Die Amtsdauer der Kollegialregierung beträgt vier Jahre und ist an die
Mandatsdauer des Landtages*® gekoppelt, wobei nach Ablauf der Amts-
periode bzw. nach erfolgter Landtagswahl die bisherigen Regierungs-
mitglieder bis zur Ernennung einer neuen Regierung die Geschäfte ver-
antwortlich weiterzuführen haben. Kommt es während der (laufenden)
Mandatsperiode zur Entlassung der Regierung, hat der Landesfürst für
die Zeit bis zum Antritt der neuen Regierung eine Übergangsregierung
44 Zur in der Zwischenzeit aufgehobenen Regelung siehe Ernst Pappermann, Die Re-
gierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 58 f.
45 Siehe Art. 46 Abs. 4 LV.
46 Mitglieder der Regierung sind nach Art. 47 Abs. 1 Bst. c GemG auch von der Wahl
in den Gemeinderat ausgeschlossen.
47 Vel. für die Schweiz Ruth Lüthi, in: Kommentar zu Art. 144 BV,S. 2271 Rz. 3 f.
48 BuA Nr. 85/2012 der Regierung vom 28. August 2012, S. 28.
49 Siehe Art. 47 LV und vorne S. 462.
50 Siehe Art. 79 Abs. 6 und Art. 47 LV; ausführlich dazu Walter Kieber, Regierung,
Regierungschef, Landesverwaltung, S. 315.
548
Verantwortlichkeit gegenüber Landesfürst und Landtag
zur interimistischen Besorgung der gesamten Landesverwaltung zu
bestellen, die sich vor Ablauf von vier Monaten im Landtag einer Ver-
trauensabstimmung zu stellen hat, sofern nicht vorher vom Landesfürs-
ten einvernehmlich mit dem Landtage auf dessen Vorschlag eine neue
Regierung ernannt wurde.”
$35 VERANTWORTLICHKEIT GEGENÜBER
LANDESFÜRST UND LANDTAG
I. Allgemeines
Die in Art. 78 Abs. 1 LV statuierte Verantwortlichkeit der Kollegialre-
gierung und der einzelnen Regierungsmitglieder gegenüber Landesfürst
und Landtag äussert sich in zweifacher Hinsicht, nämlich in einer poli-
tischen und einer staatsrechtlichen Ausprägung. Sie geht von der über-
kommenen Vorstellung von Verantwortlichkeit aus, die im Sinne einer
Rechenschafts- und Einstandspflicht für eigenverantwortliches Handeln
steht. Danach kann die Regierung bzw. das einzelne Regierungsmitglied
die Verantwortung für die Amtsführung** nur auf der Grundlage eigener
Entscheidungsmacht übernehmen.
51 Diese Übergangsregierung hat die gleichen Rechte wie die aus dem Amt geschiedene
Regierung. Vgl. für Österreich Robert Walter/Heinz Mayer/Gabriele Kucsko-
Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht, S. 328 f. Rz. 673.
52 Siehe Art. 80 Abs. 1 LV und vorne S. 215 und S. 339 f.
53 Siehe Art. 62 Bst. g i. V. m. Art. 104 Abs. 1 LV und Art. 80 LV. Der Staatsgerichts-
hof fungiert im Rahmen des Ministeranklageverfahrens als Disziplinargerichtshof
im Sinne von Art. 104 Abs. 1 LV. Das Gesetz vom 7. Mai 1931 über das Diszipli-
narverfahren gegen Mitglieder der Regierung, LGBl. 1931 Nr. 6, ist gemäss Art. 59
Bst. i StGHG aufgehoben worden. In der österreichischen Lehre werden das Minis-
teranklageverfahren und das Disziplinarverfahren unter dem Oberbegriff der
Staatsgerichtsbarkeit zusammengefasst. Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungspro-
zessrecht, S. 223. Die von Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesver-
waltung, S. 300, erwähnte «disziplinäre Verantwortlichkeit» geht heute im Minis-
teranklageverfahren auf. Siehe vorne S. 204 f. und die kritischen Anmerkungen zum
Staatsgerichtshof als Disziplinargerichtshof hinten S. 658 f.
54 Siehe etwa Art. 19 LVG.
55 Meinhard Schröder, Bildung, Bestand und parlamentarische Verantwortung, S.1152f.
Rz. 51; Klaus Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit, S. 17 ff.
549
Rechtsstellung, Wahl und Verantwortlichkeit
Landesfürst und Landtag können diese Rechenschafts- und Einstands-
pflicht auf verschiedene Weise einfordern. So verfügt der Landesfürst
auch über Kontrollinstrumente, die weniger einschneidend sind als der
Entzug des Vertrauens. Er kann beispielsweise im Rahmen der Regie-
rungsvorlagen an den Landtag auf die Regierung Einfluss nehmen. Der
Regierungschef hat ihm im Sinne einer Rechenschaftsablegung über die
Regierungstätigkeit «Vortrag zu halten beziehungsweise Bericht zu
erstatten».
Der Landtag bzw. die Abgeordneten können, bevor sie zum Miss-
trauensvotum greifen oder eine Ministeranklage beim Staatsgerichtshof
erheben, im Wege der Petition, Anfrage und Interpellation sowie des
Postulats, die im Besonderen der Kontrolle der Regierung oder des ein-
zelnen Regierungsmitgliedes dienen, Auskunft verlangen.
II. Politische Verantwortlichkeit
1. Grundsätzliches
Im Unterschied zur Ministeranklage, die auf eine absichtliche oder grob
fahrlässige Amtspflichtverletzung eines Regierungsmitgliedes abstellt,®
stellt das Misstrauensvotum im Sinne der politischen Verantwortlichkeit
«eine Art Erfolgshaftung dar und ist von einem schuldhaft-pflichtwidri-
gen Verhalten unabhängig».® Die politische Verantwortung erweist sich
als «Kehrseite von politischem Vertrauen».*! Es müssen keine besonde-
56 Siehe Art. 64 Abs. 1 Bst. a LV.
57 Siehe Art. 86 Abs. 1 LV und dazu Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle
über die Regierung, S. 82; Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 194.
58 Vgl. Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung,
S. 120 ff; Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 194 und vorne S. 486.
59 Die Kollegialregierung als solche kann nicht vom Landtag beim Staatsgerichtshof
angeklagt werden. So Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 224. Siehe
auch hinten S. 660.
60 Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 296. Ulrich Scheu-
ner, Verantwortung und Kontrolle, S. 305 meint, dass der politischen Verantwort-
lichkeit kein «justitiables Moment» innewohne.
61 Formulierung nach Johannes Masing, Politische Verantwortlichkeit und rechtliche
Verantwortlichkeit, S. 37.
550
Verantwortlichkeit gegenüber Landesfürst und Landtag
ren Gründe vorliegen. Es kann irgendein Grund sein, der das Vertrauen
zerstört.® Die Geltendmachung politischer Verantwortung unterschei-
det sich damit prinzipiell von der Ministeranklage, die an «strikt gefasste
Formalvoraussetzungen» gebunden ist.®
2. Adressat
Die politische Verantwortlichkeit, wie sie in Art. 80 LV geregelt ist, be-
zieht sich nicht nur auf das einzelne Regierungsmitglied,** sondern auch
auf die (Gesamt-)Regierung. Art. 78 Abs. 1 LV ist jedenfalls zu entneh-
men, dass es eine Gesamtverantwortung der Regierung für ihre (kolle-
gialen) Entscheidungen geben muss.® Diese Annahme lässt sich auch mit
dem Kollegialprinzip begründen, das die Ressortselbständigkeit des ein-
zelnen Regierungsmitgliedes zurückdrängt. Es unterliegen nämlich alle
wichtigeren, der Regierung zur Behandlung zugewiesenen Angelegen-
heiten der Beratung und Beschlussfassung der Kollegialregierung.® Je
nachdem, wer Adressat der politischen Verantwortlichkeit ist, ist die
62 Siehe beispielsweise für Österreich Art. 74 Abs. 1 B-VG. Danach kann der Natio-
nalrat der Bundesregierung oder einzelnen Mitgliedern «ohne besondere Gründe»
das Vertrauen versagen. Vgl. Robert Walter / Heinz Mayer / Gabriele Kucsko-Stadl-
mayer, Bundesverfassungsrecht, S. 325 Rz. 662.
63 Johannes Masing, Politische Verantwortlichkeit und rechtliche Verantwortlichkeit,
S. 37.
64 So noch der Wortlaut in Art. 80 LV i. d. F. LGBl. 1965 Nr. 22; vgl. für Deutschland
Art. 655. 1 und 2 GG, der den «individuellen Grundcharakter» betont, wie er dem
kontinental-europäischen Ursprung der Ministerverantwortlichkeit entspricht. Vgl.
Meinhard Schröder, Bildung, Bestand und parlamentarische Verantwortung, S. 1153
Rz. 53 unter Bezugnahme auf Klaus Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit, 5. 2 ff.
und 17 ff. Auch wenn in Art. 80 LV i. d. F. LGBl. 1965 Nr. 22 nur von einem Mit-
glied der Regierung die Rede war, ist aufgrund von Art. 78 Abs. 1 LV anzunehmen,
dass auch die Gesamtregierung in der Verantwortung stand. Im Schrifttum wurde
jedenfalls die Regierung miteinbezogen. Vgl. nur Gerard Batliner, Einführung in das
liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 79 f.; Walter Kieber, Regierung, Regierung-
schef, Landesverwaltung, S. 296 ff.; Herbert Wille, Der parlamentarische Charakter
der Regierung, S. 11 ff. Siehe auch vorne S. 208 ff.
65 Die Regierung als Kollegium der Regierungsmitglieder im Sinne von Art. 78 Abs. 1
LV trägt die Gesamtverantwortung für die Besorgung der gesamten Landesverwal-
tung. Vgl. auch Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 192.
66 Siehe Art. 90 LV und dazu hinten S. 560.
551
Rechtsstellung, Wahl und Verantwortlichkeit
Verfahrensweise eine andere. Handelt es sich um die (Gesamt-)Regie-
rung, können sie sowohl der Landesfürst als auch der Landtag je für sich
geltend machen. Richtet sich das Misstrauensvotum gegen ein einzelnes
Regierungsmitglied, so können sie über ein entsprechendes Vorgehen
nur einvernehmlich entscheiden.
3. Stellvertretendes Regierungsmitglied
Die Verantwortlichkeit des Regierungsmitglieds trifft seinen Stellvertre-
ter nicht, der im Falle des Vertrauensentzuges die Amtsgeschäfte fortzu-
führen hat. Er hat demnach für die Amtsführung des Regierungsmitglie-
des nicht einzustehen.
III. Rechtliche Verantwortlichkeit
1. Allgemeines
Neben der politischen Verantwortlichkeit und der Ministeranklage
unterstehen die Kollegialregierung und die einzelnen Regierungsmitglie-
der im Rahmen ihrer Amtstätigkeit ausserdem einer besonderen straf-
rechtlichen und einer zivilrechtlichen Verantwortlichkeit innerhalb der
Amtshaftung nach Massgabe der einschlägigen Rechtsvorschriften.“
2. Ministeranklage
Die Ministerverantwortlichkeit ist rechtlich in Art. 62 Bst. g LV veran-
kert und in Art. 28 SEGHG verfahrensmässig als Ministeranklage kon-
kretisiert und ausgestaltet worden. Sie geht auf die $$ 40 Bst. d und 42
der Konstitutionellen Verfassung von 1862 zurück, wonach der Landtag
67 Siehe $$ 302 ff. StGB und Art. 109 LV i. V. m. Art. 3 und 6 AHG sowie Art. 19 Abs. 1
LVG in der Urfassung, LGBl. 1922 Nr. 24 (aufgehoben durch Art. 15 Abs. 6 Bst. b
AHG); vgl. auch Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung,
S. 296; Herbert Wille, Liechtensteinisches Verwaltungsrecht, 5. 222 f. und 5. 288 ff.
552
Verantwortlichkeit gegenüber Landesfürst und Landtag
gegen verantwortliche Staatsdiener wegen Verfassungs- und Gesetzes-
verletzungen das «Recht des Antrages auf Anklage» bzw. «Vorstellungen
und Beschwerden» direkt beim Landesfürsten einbringen konnte.
Diese Bestimmungen verfolgten das Ziel, die Verfassungs- und
Gesetzmässigkeit der fürstlichen Regierung zu gewährleisten. Dafür war
in erster Linie der Landesverweser als Chef der fürstlichen Regierung
verantwortlich, der die Erlasse und Verordnungen des Fürsten gegen-
zeichnete und dadurch anstelle des Fürsten die inhaltliche Verantwor-
tung übernahm. Der Fürst kann für Handlungen, die er in Ausübung
seines Amtes begangen hat, nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Seine Person gilt als heilig und unverletzlich, was nichts anderes als
rechtlich unverantwortlich bedeutet. Die Verantwortlichkeit der fürstli-
chen Regierung bzw. des Landesverwesers beschränkte sich so gesehen
nicht nur auf die Verfassungsbindung des in seiner Person unverant-
wortlichen Landesfürsten, dessen «landesherrliche Regierungsrechte»
sie ausübten.” Sie erstreckte sich auch auf alle der fürstlichen Regierung
zur Behandlung zugewiesenen «wichtigeren» Angelegenheiten bzw. auf
diejenige «Amtswirksamkeit», die dem Landesverweser persönlich
anvertraut war.”! Als Chef der fürstlichen Regierung war er für «den
Zustand der Geschäftsführung bei der Regierung und den ihm unterge-
ordneten Ämtern und Organen» sowie «für die zweckmässige Führung
der ihm übertragenen Geschäftsleitung und für die eifrige entsprechende
Ausübung der ihm anvertrauten Amtsgewalt» verantwortlich.”?
Der Fürst hatte es in seiner Hand zu bestimmen, wie im entspre-
chenden Fall vorgegangen wird, ob er in der Sache selber befinden wollte
oder ob es zu einem strafgerichtlichen Verfahren kommen sollte. Er
konnte auch von einem Verfahren Abstand nehmen. Ein entsprechendes
Gesetz, das für die Durchführung einer Ministeranklage erforderlich
68 Siehe zum Missbrauch der Amtsgewalt $$ 101 ff. StG 1852. Es handelt sich hier um
das österreichische Strafgesetz vom Jahre 1852, das in Liechtenstein mit der Einfüh-
rungs-Verordnung vom 7. November 1859 auf den 1. Jänner 1860 in Kraft gesetzt
worden ist. Es ist publiziert, in: Amtliches Sammelwerk der Liechtensteinischen
Rechtsvorschriften bis 1863.
69 Siehe vorne S. 113 und 311 ff.
70 Siehe $ 35 Amtsinstruktion von 1862.
71 Vegl.$ 41 Amtsinstruktion von 1862.
72 Siehe $ 90 Amtsinstruktion von 1862.
553
Rechtsstellung, Wahl und Verantwortlichkeit
gewesen wäre, wie dies heute in den Art. 28 ff. SEGHG der Fall ist,
wurde unter der Konstitutionellen Verfassung von 1862 nicht erlassen.
Dem widersprach das monarchische Prinzip, das für die zentrale Stel-
lung des Landesfürsten bürgte.”? Zu beachten ist auch, dass die Regie-
rung bzw. der Landesverweser allein in seiner Gunst stand bzw. von ihm
abhängig war, sodass von einer Verantwortlichkeit gegenüber dem
Landtag in der Staatspraxis nicht gesprochen werden kann.”*
Demgegenüber ist nach Art. 78 Abs. 1 LV die Regierung im Unter-
schied zur Regierung der Konstitutionellen Verfassung von 1862 ein
eigenständiges Staats- und Verfassungsorgan, das sowohl dem Landes-
fürsten als auch dem Landtag verantwortlich ist. Wegen Verletzung der
Verfassung oder sonstiger Gesetze kann denn auch der Landtag gegen
Mitglieder der Regierung Anklage erheben, wenn sie in Ausübung der
Amtstätigkeit absichtlich oder grob fahrlässig gehandelt haben. Ent-
scheidungsorgan ist der Staatsgerichtshof.”> Als Rechtsfolge ist im Falle
der Verurteilung der Amtsverlust vorgesehen. Der Staatsgerichtshof hat
in der Regel auch über Ersatz- und Besoldungsansprüche zu befinden,
wenn solche geltend gemacht werden.”®
73 Vgl. Michael Kotulla, Schutz der Verfassung, S. 170 f.
74 Siehe auch schon vorne S. 113 ff.
75 Siehe Art. 28 Abs. 1 SYGHG und dazu hinten S. 658 ff.
76 Siehe Art. 34 Abs. 2 und 3 SIGHG.
554
2. Abschnitt
Organisation der Regierung
$36 GESCHICHTLICHES
I. Allgemeines
Die Verfassung charakterisiert die Regierung in Art. 78 Abs. 1 als «Kol-
legialregierung», relativiert aber gleichzeitig diese Aussage, indem sie die
Geschäftsbehandlung in Art. 83 als «teils eine kollegiale, teils eine res-
sortmässige» umschreibt.” Sie stellt mit anderen Worten dem Kollegial-
prinzip das Ressortprinzip oder, wie es auch genannt wird, das Departe-
mentalprinzip zur Seite. Von einem Präsidialprinzip ist mit Blick auf die
besondere Stellung bzw. die besonderen Befugnisse’®s des Regierung-
schefs die Rede.”? Nach Otto Ludwig Marxer® hat die Verfassung 1921
das Kollegialsystem eingeführt. Er resümiert in seiner Dissertation aus
dem Jahre 1924, dass sie damit «gewiss einer eminent praktischen und
vor allem einer demokratischen Forderung» gerecht geworden sei. Er
erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass dieses Regierungssystem
dem liechtensteinischen Verfassungsrecht «nicht ganz fremd» ist, doch
schränkt er sogleich ein und meint, dass es nur in Ansätzen «und in der
Praxis nicht einmal das», vorhanden ist.
77 Vsl. Art. 78 Abs. 1, 83, 90 Abs. 1 und 91 LV.
78 Vsl. Art. 4 Abs. 3 RVOG.
79 Vgl. Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 77 f.
mit weiteren Literaturhinweisen; vgl. auch Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht,
S. 191 ff. mit weiteren Literaturhinweisen.
80 Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, 5. 67.
555
Organisation der Regierung
II. Anfänge der Kollegialregierung
Die Anfänge der Kollegialregierung gehen auf die Konstitutionelle Ver-
fassung von 1862 zurück, wenn man lediglich auf die Zusammensetzung
der Regierung abstellt. Sie besteht nach der damaligen Amtsinstruktion
«aus dem Landesverweser, zwei Landräthen und einem Secretär». Als
«Chef der Regierung» übt er «diejenige Amtswirksamkeit aus, die ihm
persönlich als Landesverweser anvertraut ist». Zu seinem weit gefassten
Wirkungskreis gehören alle wichtigen Geschäfte, auch diejenigen, «wel-
che ihm unmittelbar vom Fürsten übertragen werden».?! Diese Eigen-
kompetenzen lassen für eine kollegiale Amtsführung und «Geschäftsbe-
handlung» keinen Raum. Die Regierung des Fürsten bleibt monokra-
tisch organisiert. Das heisst, wie Otto Ludwig Marxer kritisch anmerkt:
«Ein landsfremder, auf Lebzeiten ernannter Landesverweser verkörperte
in sich die gesamte Verwaltungstätigkeit.»
III. «Neueinführung» des Kollegialsystems
Aus diesem Grund bezeichnet Otto Ludwig Marxer das Kollegialsys-
tem, wie es die Verfassung von 1921 festlegt, denn auch als eine «Neu-
einführung». Sie statuiert als «Hauptgrundsatz» «die collegiale Behand-
lung, die nur durchbrochen ist aus Opportunitätsgründen». Danach
erledigt einen Teil der Geschäfte das ganze Regierungskollegium und
einen Teil ein einzelnes Regierungsmitglied, «dem ein gewisser Kreis von
Aufgaben als sein Ressort» zugeordnet wird. Otto Ludwig Marxer gibt
aber zu verstehen, dass die «Regierung und deren ressortmässige
Geschäftsbehandlung» nicht mit Institutionen anderer Staaten vergli-
chen werden kann. Er weist darauf hin, «dass die Gesamtaufgaben nicht
dauernd in gewisse sachlich unterschiedene Kreise eingeteilt sind, nach
Art der Ministerien der verschiedenen Staaten oder Departements der
Schweiz, sondern die Aufgaben werden jedes Jahr unter die drei Mit-
glieder der Regierung nach einem <collegial aufzustellenden Geschäfts-
verteilungsplam> aufgeteilt, wobei auf die Individualität des betreffenden
81 Zur Regierung siehe $$ 35 ff. und zum Wirkungskreis des Landesverwesers $$ 41 ff.
und $ 90 Amtsinstruktion von 1862.
556
Geschichtliches
Regierungsmitgliedes Rücksicht genommen wird — also der umgekehrte
Weg — in anderen Staaten besteht das Ministerium und man sucht dafür
einen Mann, der die Gewähr bringt, dass er den Aufgaben gewachsen
ist — bei uns ist zuerst der Mann da und man überträgt ihm jene Grup-
pen von Aufgaben, von denen man meint, dass er ihnen kraft seiner per-
sönlichen Fähigkeiten am ehesten gewachsen ist.»%
IV. Urfassung
Ursprünglich ist in der Verfassung die kollegiale Erledigung der
Geschäfte als die allein zulässige Art der Geschäftsbehandlung vorge-
schrieben. Das Kollegialprinzip bedeutet denn auch, dass grundsätzlich
die Entscheidungen der Regierung als Beschlüsse des Kollegiums erge-
hen. Eine ressortmässige Geschäftsbehandlung war nur für die laufenden
Angelegenheiten vorgesehen, damit sie nicht bis zum Sitzungstage auf-
geschoben wurden. Die Regierungsgeschäfte sollten nach einem von der
Regierung zu Beginn eines jeden Jahres kollegial aufzustellenden
Geschäftsverteilungsplan vom Regierungschef bzw. den Regierungsrä-
ten bis zur endgültigen, der kollegialen Behandlung vorbehaltenen Ent-
scheidung einzeln ressortmässig behandelt werden. Unter diesen Ange-
legenheiten wurden alle Gegenstände verstanden, die minder wichtig
sind oder blosse vorbereitende «Verfügungen» darstellen.® Demzufolge
hatte die ressortmässige Behandlung durch die Regierungsmitglieder nur
Vorbereitungsfunktion.
V. Weiterentwicklung
Ein unumschränktes Kollegialsystem konnte sich nicht durchsetzen, wie
sich dies aus der Verfassungsreform von 1965 betreffend die Umbildung
der Regierung ersehen lässt. Danach können bestimmte minder wichtige
Geschäfte durch Gesetz den nach der Geschäftsverteilung zuständigen
Regierungsmitgliedern zur selbständigen Erledigung übertragen wer-
82 Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, 5. 69 f.
83 Vgl. LGBl. 1921 Nr. 15: Art. 90 Abs. 1 i. V. m. Art. 91 LV.
557
Organisation der Regierung
den.$# Dieser Modifizierung des Kollegialprinzips liegt der Gedanke
zugrunde, «dass die Regierung sich auf die Erfüllung der eigentlichen,
zentralen Regierungsfunktionen soll konzentrieren können.» Beabsich-
tigt war, die Regierung von Einzelaufgaben wesentlich zu entlasten. Es
sollte ihr rechtlich ermöglicht werden, gewisse, untergeordnete Verwal-
tungsgeschäfte im Rahmen der Schranken von Verfassung und Gesetz an
Regierungsmitglieder und Verwaltungsstellen zur selbständigen Erledi-
gung weiterzudelegieren.® Solche Verwaltungsgeschäfte wurden denn
auch in der Staatspraxis® auf die Regierungsmitglieder übertragen.
Welche Geschäfte die Regierung zur Erfüllung ihrer Leitungsauf-
gaben unbedingt selber wahrnehmen muss, ergibt sich generell aus dem
verfassungsmässig verankerten Kollegialsystem, das durch die Delega-
tion von Verwaltungsaufgaben nicht unterlaufen werden darf. Es wird,
so Dietrich Schindler,® «Sache der politischen Einsicht sein, die Delega-
tion nicht so weit zu treiben, dass die Bestimmungen der Art. 78, 90 und
91 über die kollegiale und ressortmässige Behandlung der Geschäfte der
Regierung <illusorisch» werden».
84 Vgl. LGBl 1965 Nr. 22: Art. 90 Abs. 1 und 91 LV.
85 StGH 1979/5, Entscheidung vom 11. Dezember 1979, LES 1980/81, S. 113.
86 Vgl. BuA Nr. 55/1994 der Regierung vom 16. August 1994, S. 7 und 10 f.
87 Nach BuA Nr. 54/1994 der Regierung vom 16. August 1994, S. 4 und 7 f. wurden
minder wichtige Regierungsgeschäfte an Regierungsmitglieder allerdings nur in
Ausnahmefällen delegiert, nämlich in jenen Bereichen, in denen eine Delegation an
eine Amtsstelle aus grundsätzlichen Überlegungen nicht möglich und der Rechts-
zug von untergeordneter Bedeutung war. Er nennt als Beispiel das Gemeindegesetz
und das Gesetz über den Erwerb und Verlust des Landesbürgerrechts. Siehe bei-
spielsweise auch das Rechtshilfegesetz vom 15. September 2000, LGBl. 2000
Nr. 215, Art. 30, 47, 55, 63 und 77 Abs. 1 und die Verordnung zum Grundver-
kehrsgesetz, LGBl. 2007 Nr. 168 i. d. F. LGBl. 2013 Nr. 163, Art. 17.
88 Dietrich Schindler, Rechtliche Meinungsäusserung, S. 4 f. (ebenfalls zitiert in: BuA
vom 8. November 1963, LtProt. 1963 Bd. IT).
89 Weitergehende Ausführungen hinten S. 560 ff.
558
Regierungsweise: Kollegial- und Ressortprinzip
$37 REGIERUNGSWEISE: KOLLEGIAL-
UND RESSORTPRINZIP
I. Begriffsverständnis
Im Schrifttum werden im Zusammenhang mit Fragen zur Organisation
der Regierung verschiedene Begriffe verwendet, die sich inhaltlich nicht
unterscheiden bzw. decken. Das Ressortsystem oder Ressortprinzip ist
eine andere Bezeichnung für das Departement- oder Departementalsys-
tem.” Der Begriff «Ministerium» ersetzt im Gesetz vom 19. September
2012 über die Regierungs- und Verwaltungsorganisation (RVOG)*! den-
jenigen des «Ressorts». Das Ministerium unterscheidet sich aus Sicht der
Kompetenzen des einzelnen Regierungsmitgliedes «kaum vom heutigen
Ressortsystem».” Diese Begriffsbezeichnung wurde im Interesse der
Vergleichbarkeit auf internationaler Ebene gewählt.” Art. 13 RVOG
spricht vom «Kollegialprinzip>» und nicht vom «Kollegialitätsprinzip»
und setzt damit richtigerweise den Akzent auf die Institution der Kolle-
gialregierung und nicht auf die Qualifizierung des Verhältnisses der Mit-
glieder des Kollegiums unter sich.“ Es ist dieser Wortbedeutung gegen-
über dem Begriff des Kollegialitätsprinzips,®” wie er in der Diskussion
gelegentlich auch gebraucht wird, den Vorzug zu geben.
90 BuA Nr. 54/1994 der Regierung vom 16. August 1994 zum Konzept Regierungsre-
form, S. 31.
91 LGBl. 2012 Nr. 348.
92 BuA Nr. 85/2012 der Regierung vom 28. August 2012, S. 11.
93 BuA Nr. 24/2012 der Regierung vom 27. März 2012, S. 18.
94 Bernhard Ehrenzeller, in: Kommentar zu Art. 177 BV, S. 2611 Rz. 2. Das heisst aber
nicht, dass der Aspekt der Kollegialität der Regierungsmitglieder bei der Amtsfüh-
rung und Geschäftsbehandlung keine Rolle spielt. In BuA Nr. 24/2012 der Regie-
rung vom 27. März 2012, S. 34 f. betont sie, dass in Regierungen, in denen Vertreter
verschiedener Parteien oder sonstwie unterschiedlicher ideologischer Auffassung
zusammenwirken müssen, das Kollegialprinzip immer wieder eine Ausprägung
erhalte, welche nicht nur in der Sache, sondern auch in den Personen begründet ist.
95 Siehe beispielsweise BuA Nr. 85/2012 der Regierung vom 28. August 2012, S. 10 f.
559
Organisation der Regierung
II. Kollegialprinzip bzw. Kollegialsystem
1. Regierung als Kollektivorgan
Die Regierung ist ein Kollektivorgan, das als «geschlossenes und ein-
heitlich gefügtes Gesamtorgan» die ihr zugeordneten Zuständigkeiten
wahrnimmt.” Es sind ihr und nicht einem einzelnen Regierungsmitglied
«alle wichtigen Kompetenzen» zugewiesen.” Sie berät und beschliesst
als Kollegium” bzw. als «Einheit»,” wie es dem Kollegialprinzip als
«beherrschende(m) Grundsatz» entspricht.!® Daraus folgt der Vorrang
der Kollegialgeschäfte vor den anderen Agenden der Regierungsmitglie-
der.!% Diese sind in erster Linie Mitglieder des Kollegiums und erst in
zweiter Linie Regierungsmitglieder, die sich in ihrer Funktion als Leiter
eines Ministeriums dessen Aufgaben widmen.!® Sie haben auch die
96 Formulierung nach Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, S. 315
Rz. 1. Das Kollegialprinzip fasst die Regierung zu einem «einheitlichen Regierungs-
körper» zusammen. So Martin Breitenstein, Reform der Kollegialregierung, S. 24.
97 Zu den Funktionen und Aufgaben der Regierung siehe Art. 6 bis 12 RVOG und
hinten S. 582 ff; vgl. auch Martin Breitenstein, Reform der Kollegialregierung, S. 24.
Er betont, dass sich das Kollegium mit Wichtigem und Grundlegendem befassen
soll, «um nicht in der Aufgabenflut unterzugehen». Das Kollegialprinzip gemäss
Art. 78 Abs. 1 und 90 Abs. 1 IV, wonach die Kollegialregierung grundsätzlich die
gesamte Landesverwaltung «besorgt» bzw. ihr alle wichtigeren Angelegenheiten,
insbesondere die Erledigung der Verwaltungsstreitsachen, zur Behandlung und
Beschlussfassung zugeteilt sind, steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zu
den Kompetenzdelegationen, wie sie in Art. 78 Abs. 2 und 83, 90 Abs. 1 und 91 LV
vorgesehen sind.
98 Bernhard Ehrenzeller, in: Kommentar zu Art. 177 BV, S. 2612 Rz. 3 qualifiziert den
verfassungsrechtlichen Kern des Kollegialprinzips, wie er sich aus Art. 177 Abs. 1 BV
ergibt, wonach der Bundesrat als Kollegium entscheidet, als eine «Beratungs- und
Entscheidungsregel».
99 Martin Breitenstein, Reform der Kollegialregierung, S. 37.
100 BuA Nr. 85/2012 der Regierung vom 28. August 2012, S. 10 unter Bezugnahme auf
Art. 78 Abs. 1 und 90 Abs. 1 LV. Aus der Stellung der Regierung als Kollegialorgan
ergibt sich, dass innerhalb der Regierung «ein Prozess politischer Willensbildung>»
stattfindet, der gemäss Art. 81 LV mit einer Entscheidung abgeschlossen wird. So
Dietmar Willoweit, Verfassungsinterpretation im Kleinstaat, S. 204 f.
101 Siehe Art. 14 RVOG; vgl. auch Martin Breitenstein, Reform der Kollegialregierung,
S. 24.
102 Zu den Aufgaben siehe Art. 22 RVOG.
560
Regierungsweise: Kollegial- und Ressortprinzip
Pflicht,!® die Entscheidungen der Kollegialregierung mitzutragen und in
der Öffentlichkeit zu vertreten.1%
2. Stellung der Regierungsmitglieder
Die Regierungsmitglieder werden in gleicher Weise bestellt!® und haben
im Kollegium dieselbe rechtliche Stellung, sieht man von den besonde-
ren Befugnissen des Regierungschefs ab.!% Er nimmt aber den anderen
Regierungsmitgliedern gegenüber keine Führungsposition ein und ver-
fügt ihnen gegenüber auch nicht über ein Weisungsrecht. Die Beschlüsse
oder Entscheidungen werden mit einfacher Stimmenmehrheit gefasst.
Damit ein Beschluss oder eine Entscheidung gültig ist, müssen mindes-
tens vier Regierungsmitglieder anwesend sein.!°7
Die Regierung trägt als Kollegialregierung die politische Verant-
wortung. Demnach bedeutet das Kollegialprinzip auch «kollektive poli-
tische Verantwortlichkeit».!°%
103 Pierre Tschannen, Staatsrecht, S. 475 Rz. 9 bezeichnet diese Pflicht als «Identifikati-
onsgebot».
104 Siehe Art. 13 und 14 RVOG und dazu BuA Nr. 24/2012 der Regierung vom
27. März 2012, S. 34 f. Aus der Vertraulichkeit und Geschlossenheit der Beratung
geht, wie Martin Breitenstein, Reform der Kollegialregierung, S. 37, vermerkt, das
Solidaritätsprinzip hervor, «wonach Mehrheitsentscheide auch von der Minderheit
mitgetragen werden».
105 Siehe vorne S. 544 f.
106 Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, S. 74 führt aus:
«Im Rate sind alle drei Mitglieder völlig gleich, eines jeden Stimme gilt gleichviel,
eines jeden Verantwortung ist gleich gross, den Vorsitz führt der Regierungschef,
das ist formell ein Moment seiner Stellung, die trotzdem etwas höher, nicht qualita-
tiv, sondern quantitativ zu werten ist. Denn ihm ist noch eine Reihe von Aufgaben
übertragen, die ihm als Regierungschef zustehen [...]». Siehe zur Stellung des Regie-
rungschefs hinten S. 565 ff.
107 Siehe Art. 81 LV.
108 Christian Furrer, Bundesrat und Bundesverwaltung, S. 48; vgl. auch Martin Brei-
tenstein, Reform der Kollegialregierung, S. 37.
561
Organisation der Regierung
III. Ressortprinzip bzw. Ministerialsystem
1. Verfassungsrechtlicher Ausgangspunkt
Die Geschäftsbehandlung der Regierung ist, so Art. 83 LV, teils eine kol-
legiale, teils eine ressortmässige. «Bestimmte minder wichtige
Geschäfte»! können durch Gesetz den nach der Geschäftsverteilung
zuständigen Regierungsmitgliedern zur selbständigen Erledigung über-
tragen werden. Sie werden auf die Geschäftsbereiche (Ressorts bzw.
Ministerien) aufgeteilt, die die einzelnen Regierungsmitglieder zu ver-
walten haben.!!° Das heisst, dass neben der Kollegialregierung auch
einem Regierungsmitglied «ein gewisser Kreis von Aufgaben als sein
Ressort zugeteilt wird».!!! Die Regierungsmitglieder treten demnach in
einer Doppelfunktion auf, nämlich einerseits als Mitglied der Kollegial-
regierung und andererseits als Ressortinhaber.!!?
2. Einrichtung von Ministerien
In der Ausgestaltung des Gesetzes über die Regierungs- und Verwal-
tungsorganisation werden bei der Regierung Ministerien eingerichtet,
auf die sie mit Verordnung ihre Geschäfte verteilt.!!? Sie haben keinen
Behördencharakter und sind bei der Regierung angesiedelt, sodass keine
neue Hierarchieebene geschaffen wird. Sie stellen vielmehr den «Wir-
kungsbereich» des einzelnen Regierungsmitgliedes bzw. Ministers!!*
dar,115 «der insbesondere die ihm unterstellten Amtsstellen ein-
109 Vgl. zu diesem Begriff SIGH 1979/5, Entscheidung vom 11. Dezember 1979, LES
1980/81, S. 113 f. und StGH 1984/17, Urteil vom 25. April 1985, LES 4/1986, S. 100
(104). Danach dürfen nicht ganze Verwaltungszweige und nur gewisse untergeord-
nete Verwaltungsgeschäfte übertragen werden.
110 Siehe Art. 83, 90 Abs. 1 und 91 LV. Danach kennt die Verfassung auch eine ressort-
mässige Geschäftsbehandlung durch die Regierungsmitglieder.
111 Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, S. 69.
112 BuA Nr. 85/2012 der Regierung vom 28. August 2012, S.10.
113 Siehe Art. 18 und 19 RVOG.
114 Vegl. Art. 18 Abs. 4 RVOG.
115 Vgl. zum Begriff «Ressort» im österreichischen Recht Walter Barfuss, Ressortzu-
ständigkeit und Vollzugsklausel, S. 7 ff. Danach ist für das Verständnis der staatlı-
562
Regierungsweise: Kollegial- und Ressortprinzip
schliesst».116 In der Funktion als Leiter eines Ministeriums!!7 sind seine
Kompetenzen in engem Rahmen gehalten,!!® um dem Kollegialprinzip
gerecht zu werden. Sie erfassen im Wesentlichen Führungsaufgaben im
Bereich des jeweiligen Ministertums.!!?
3. Verantwortlichkeit
Jedes Mitglied ist Leiter eines Ministeriums und verfügt als solches
grundsätzlich über uneingeschränkte Weisungs-, Kontroll- und Selbst-
eintrittsrechte.!? Es trägt insoweit auch die politische Verantwortung.!?!
IV. Präsidialprinzip
Die Regierung ist als Kollegium organisiert, in dem die Mitglieder
grundsätzlich gleichgestellt oder gleichberechtigt sind. Sie beraten und
beschliessen die Geschäfte gemeinschaftlich. Es gilt für alle Entschei-
dungen, die die Regierung trifft, das Kollegialprinzip. Der Regierung-
schef verfügt über kein Weisungsrecht gegenüber den anderen Regie-
chen Organisation die Tatsache entscheidend, «dass das Ressort dem Ressortminis-
ter zur Besorgung übertragen wird. Ressort und Ressortverwalter gehören zusam-
men; ohne Ressort gibt es kein Verwalten des Ressorts, kein Besorgen von Aufga-
ben, und ohne Ressortminister bliebe das Ressort ein blosses, normativ bedeu-
tungsloses Geschöpf der Phantasie».
116 BuA Nr. 85/2012 der Regierung vom 28. August 2012, S. 11 f.; vgl. auch BuA
Nr. 24/2012 der Regierung vom 27. März 2012, S. 39 zu Art. 20 RVOG.
117 Nach Art. 21 Abs. 1 RVOG sind die Regierungsmitglieder zur Leitung der ihnen
übertragenen Ministerien berechtigt und verpflichtet.
118 Diesen Rahmen stecken Art. 90 Abs. 1 und 91 IV ab. Sie setzen dem Ressortprin-
zip oder Ressortsystem Grenzen, da sonst gewisse Verwaltungsgeschäfte der kolle-
gialen Entscheidungen entzogen werden könnten.
119 Vgl. BuA Nr. 85/2012 der Regierung vom 28. August 2012, S. 11. Der Wirkungs-
kreis der Kollegialregierung wird demonstrativ in Art. 93 LV umschrieben.
120 Siehe Art. 21 Abs. 3 RVOG und dazu BuA Nr. 24/2012 der Regierung vom
27. März 2012, S. 39 f., der vermerkt, dass sich diese Bestimmung an Art. 38 des
schweizerischen RVOG anlehnt, und argumentiert, dass die Regierungsmitglieder
als «monokratische Spitze der Ministerien» dieser (rechtlichen) Instrumente bedür-
fen, um ihre Führung wahrzunehmen.
121 Siehe auch Art. 80 Abs. 2 LV.
563
Organisation der Regierung
rungsmitgliedern und übt auch keine Leitfunktion oder materielle
Richtlinienkompetenz aus,!? auch wenn ihm etwa bestimmte Ressorts
bzw. Ministerien von Gesetzes wegen zugeteilt sind!? oder er in der
Regierung den Vorsitz führt, die Entscheidungen und Beschlüsse der
Regierung unterzeichnet und vollzieht, wobei er bei Zweifel über deren
Gesetzmässigkeit den Verwaltungsgerichtshof anrufen kann, der über
den Vollzug entscheidet.!?* Es unterliegen denn auch nicht nur alle wich-
tigeren Geschäfte der Behandlung und Beschlussfassung der Kollegialre-
gierung. Es werden insbesondere auch «alle Geschäfte mit organisatori-
schen oder finanziellen Konsequenzen im Kollegium entschieden.»125
Die zentralen Aufgaben nimmt die Kollegialregierung wahr, die dafür
auch eine kollektive Verantwortung trifft. Dementsprechend ist auch ihr
Kompetenzkatalog gestaltet. !26
122 Siehe zu den grundlegenden Funktionen der Kollegialregierung Art. 6 bis 12 RVOG
und dazu BuA Nr. 24/2012 der Regierung vom 27. März 2012, 5. 31 ff.
123 Siehe Art. 18 Abs. 3 RVOG.
124 Siehe Art. 90 Abs. 3 LV. Diese «besonderen Befugnisse» des Regierungschefs
(Art. 21 Abs. 1 RVOG) bezeichnet der Kommissionsbericht zur Verfassungsände-
rung 1964, LtProt. 1964 Bd. II, S. 568 als «sog. Präsidialfunktionen», die in den
Art. 65 Abs. 1, 85, 86, 89 und 90 Abs. 3 der Verfassung enthalten sind. Thomas All-
gäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 77 qualifiziert sie als
«Machtmittel», die nach ihm für das Präsidialprinzip stehen. Vgl. auch Hans Nawi-
asky, Rechtsgutachten, S. 23, der den Regierungschef nicht nur als einen von Vielen
oder bloss als Ersten unter Gleichen, sondern als einen, der «im Mittelpunkt der
staatlichen Exekutive steht», bezeichnet. Zu dieser Aussage ist zu bemerken, dass
das Gutachten am 28. Juni 1937, d. h. vor der Verfassungsnovelle von 1965, erstellt
worden ist. Zu dieser Zeit betrug die Amtsdauer des Regierungschefs sechs Jahre,
währenddem diejenige der beiden Regierungsräte mit jener des Landtages (vier
Jahre) zusammenfiel, wodurch er sich von ihnen in seiner Stellung abhob. Dies traf
auch auf seine Ernennung durch den Landesfürsten zu, währenddem die zwei
Regierungsräte und ihre Stellvertreter vom Landtag gewählt wurden. Siehe dazu
Art. 79 LV 1921 in seiner Urfassung.
125 "Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 78.
126 Siehe Art. 92 und 93 LV sowie Art. 6 bis 12 RVOG. Auch Art. 78 Abs. 1 LV, wonach
die Kollegialregierung die gesamte Landesverwaltung zu besorgen hat, deutet auf
diese Hauptaufgaben hin.
564
Regierungsweise: Kollegial- und Ressortprinzip
V. Die «besondere» Stellung!” bzw. Sonderstellung
des Regierungschefs
In der Literatur??? ist in Beziehung zu den anderen Regierungsmitglie-
dern von einer herausgehobenen Stellung des Regierungschefs die Rede.
Sie tritt in verschiedenen Regelungszusammenhängen in Erscheinung,
ist aber letztlich nicht von der Art, dass sie das Kollegialprinzip aushe-
belt bzw. ausser Kraft setzt.!?? Dieses bleibt gewahrt.!3® Bei den dem
Regierungschef im Speziellen übertragenen Aufgaben und Funktionen
handelt es sich nicht um Vorrechte, die ihm gegenüber den anderen
Regierungsmitgliedern eine übergeordnete Führungsrolle einräumen,
auch wenn sie ihm «einen erhöhten Einfluss» auf die Regierungstätigkeit
verschaffen. !?!
1. In der Kollegialregierung
Der Regierungschef führt den Vorsitz in der Regierung, nicht jedoch das
Kollegium. Damit sind nicht, wie schon erwähnt, Führungs- und Lei-
tungsfunktionen gemeint. Es fällt ihm bei Stimmengleichheit der Stich-
entscheid zu.!2 Er unterzeichnet die Beschlüsse des Kollegiums und
setzt sie in Vollzug. Er kann ihn aufschieben und den Verwaltungsge-
richtshof anrufen, wenn er der Meinung ist, dass ein Beschluss gegen
bestehende Gesetze oder Verordnungen verstösst.!® Er überwacht den
Geschäftsgang in der Regierung!** und nimmt die Regierungsmitglieder
127 Siehe Art. 4 Abs. 3 RVOG.
128 Vgl. Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 89 ff.,
Andreas Schurti, Verordnungsrecht der Regierung, S. 120 f.; Christine Weber,
Gegenzeichnungsrecht, 5. 192 f.
129 A. A. Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 193, die von einer «starke(n)
Durchbrechung des Kollegialprinzips» spricht.
130 So auch Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 98;
siehe auch schon vorne S. 560 f.
131 Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 318.
132 Siehe Art. 81 LV.
133 Siehe Art. 90 Abs. 3 LV.
134 Siehe Art. 89 LV.
565
Organisation der Regierung
ın Eid und Pflicht.!® Es ist ihm von Gesetzes wegen das Ministerium für
Präsidiales und Finanzen zugeteilt.!%
2. In Beziehung zum Landesfürsten
Der Regierungschef legt den Diensteid in die Hände des Landesfürsten
oder des Regenten ab.!” Er besorgt die Geschäfte, die ihm der Landes-
fürst «unmittelbar» überträgt! und hält ihm «Vortrag» bzw. berichtet
ihm über Gegenstände, die seiner Verfügung unterstehen. Er hat über-
dies das Recht, den Erlass «landesherrlicher Resolutionen» zu beantra-
gen. Resolutionen des Landesfürsten, die über Antrag des Regierung-
schefs erfolgen, hat dieser gegenzuzeichnen.!®® Dies trifft auch auf
Gesetze sowie auf Erlasse und Verordnungen zu, die vom Landesfürsten
oder einer Regentschaft ausgehen.!*%° Die Gegenzeichnung umfasst im
Übrigen alle gegenzeichnungsbedürftigen Akte des Landesfürsten.!*!
135 Siehe Art. 87 Satz 2 IV.
136 Siehe Art. 18 Abs. 3 RVOG.
137 Siehe Art. 87 Satz 1 IV.
138 Siehe Art. 85 LV. Diese Vorschrift, die aus $ 42 der Amtsinstruktion von 1862
stammt, war damals, wie Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liech-
tenstein, S. 91 festhält, noch sinnvoll, da der Landesverweser Beamter des Fürsten
war. Heute ist sie kaum noch von Bedeutung. Als Anwendungsfall kommt etwa
Art. 55 LV infrage, wonach der Landtag vom Fürsten in eigener Person oder durch
einen Bevollmächtigen geschlossen wird. Vgl. auch Gerard Batliner, Einführung in
das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 76 f., der sich fragt, um welche Aufträge
des Fürsten es sich handeln könne. Es könnten darunter nicht die rechtlich zulässi-
gen Aufträge des Landesfürsten gegenüber der Kollegialregierung verstanden wer-
den (Art. 92 Abs. 1 IV), sondern die an den Regierungschef persönlich gerichteten
Aufträge. Als Beispiel für einen Auftrag an die Regierung gemäss Art. 92 LV ist aus
der Staatspraxis der Fall der Interpellationsbeantwortung betreffend die Fragen zum
Hausgesetz des Fürstlichen Hauses durch die Regierung bekannt, nachdem zwi-
schen ihr und dem Fürsten eine «gemeinsame Position» nicht gefunden werden
konnte. Aus diesem Grund beauftragte er mit Schreiben vom 1. September 1995 die
Regierung, den Entwurf von Fürst und Fürstenhaus «an die Landtagsabgeordneten
weiterzuleiten».
139 Siehe Art. 86 Abs. 1 und 2 IV.
140 Siehe Art. 85 und 86 LV; zu diesen «Typen» von Staatsakten siehe Günther Winkler,
Begnadigung und Gegenzeichnung, S. 9 ff. und S. 58.
141 Vgl. Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 200 ff.; Walter Kieber, Regierung,
Regierungschef, Landesverwaltung, S. 319 ff. und Ernst Pappermann, Die Regie-
566
Regierungsweise: Kollegial- und Ressortprinzip
In protokollarischer Hinsicht kommen dem Regierungschef «bei öffent-
lichen Feierlichkeiten die dem Repräsentanten des Landesfürsten vor-
schriftsgemäss zustehenden Vorzüge» zu. Es handelt sich um eine
«rechtlich nicht allzu bedeutsame Vorschrift»,!*2 die an $ 42 der Amts-
instruktion von 1862 anknüpft und aus den damaligen verfassungsrecht-
lichen Verhältnissen zu erklären ist.
3. In Beziehung zum Landtag
War der Regierungschef ursprünglich Vertreter der Kollegialregierung
ım Landtag,!® vertreten nach Art. 22 Bst. b RVOG die Regierungsmit-
glieder die ihnen zugeteilten Geschäftsbereiche bzw. «die Anträge aus
ihrem Zuständigkeitsbereich, die sie für die Beschlussfassung durch die
Kollegialregierung» vorbereitet haben, im Landtag selber.!*#* Das Gleiche
gilt auch für die Vertretung der Kollegialregierung in den Landtagskom-
missionen.!® Aus der Sicht der Verantwortlichkeit macht das Vertre-
tungsrecht des einzelnen Regierungsmitgliedes Sinn.!*6e Wie der Regie-
rungschef sind nämlich auch die anderen Regierungsmitglieder dem
Landtag gegenüber politisch und rechtlich verantwortlich.
rung des Fürstentums Liechtenstein, S. 92 ff.; Günther Winkler, Begnadigung und
Gegenzeichnung, S. 55, der die Staatsakte des Fürsten auflistet, die der Gegenzeich-
nung des Regierungschefs bedürfen.
142 Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 91; Christine
Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 193 hebt den symbolischen Gehalt dieses hohen
protokollarischen Ranges hervor. Kritisch Gerard Batliner, Parlament, S. 92 Fn. 199.
143 Siehe Art. 63 Abs. 4 LV i. V. m. Art. 16 Abs. 2 LVG und dazu Otto Ludwig Marxer,
Die Organisation der obersten Staatsorgane, S. 74; vgl. auch Ernst Pappermann, Die
Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 90 f.
144 Diese Vertretungsregelung wurde schon Mitte 1971 eingeführt. Der Landtag nahm
den entsprechenden Beschluss der Kollegialregierung «zustimmend zur Kenntnis.»
Vgl. Walter Kieber, Jahre des Aufbruchs, S. 98 f. Siehe zur Vertretung der Regierung
im Landtag bzw. bei den Landtagsberatungen Art. 42 GVVKG.
145 Siehe Art. 43 Abs. 1 GVVKG. Danach nehmen die Mitglieder der Regierung auf
Einladung des Vorsitzenden einer Landtagskommission an den jeweiligen Beratun-
gen dieser Kommission teil.
146 Vgl. Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 91, der es
als «unschönes Ergebnis» bezeichnet, wenn der Landtag ein einzelnes Regierungs-
mitglied tadeln möchte und dies dem Regierungschef gegenüber zum Ausdruck
bringen musste, wie dies vor 1970 der Fall war.
567
Organisation der Regierung
$38 VERFAHREN UND GESCHÄFTSVERKEHR
I. Vorbereitungs-, Entscheidungs- und Vollzugsverfahren
1. Allgemeines
Das Vorbereitungs- und Entscheidungsverfahren ist in den Einzelheiten
in der Geschäftsordnung der Regierung geregelt, die sie auf dem Ver-
ordnungswege erlässt.!?7 Es handelt sich um eine selbständige Verord-
nung, 148 der «keine unmittelbare Aussenwirkung für andere Verfas-
sungsorgane oder gar für die Bürger» zukommt.!*®
2. Einladung
Die Sitzungen der Regierung, zu denen der Regierungschef einlädt, fin-
den in der Regel einmal in der Woche statt und zwar ordentlicherweise
am Dienstag. Ausserordentliche Sitzungen ordnet der Regierungschef
an, wenn die anstehenden Geschäfte nicht in einer wöchentlichen Sit-
zung erledigt werden können oder wenn dies zwei Regierungsmitglieder
verlangen. Die Wochen, an denen die Sitzungen ausfallen, bestimmt die
Kollegialregierung.!59
Gleichzeitig mit der Einladung wird die Traktandenliste zugestellt,
die die Anträge der Ministerien enthält. Es kommt ihnen bei den Regie-
rungsgeschäften eine vorbereitende Rolle zu. So haben sich die Regie-
rungsmitglieder gegenseitig zu informieren, wenn eine Angelegenheit
den Zuständigkeitsbereich mehrerer Regierungsmitglieder bzw. Minis-
terien betrifft, und für eine dementsprechende Koordination zu sorgen
bzw. die «Federführung» festzulegen.!! Ebenso dient das dem schwei-
147 Siehe Art. 84 LV und Art. 3 Bst. f. KmG, LGBl. 1985 Nr. 41 und dazu Art. 13 ff.
RVOG und Art. 7 RVOV sowie die Geschäftsordnung der Regierung, LGBl. 1994
Nr. 14 i. d. F. LGBl. 2013 Nr. 204.
148 Vgl. Andreas Schurti, Verordnungsrecht der Regierung, S. 62 f.; Andreas Kley,
Grundriss, S. 48.
149 Vgl. Steffen Detterbeck, Innere Ordnung, S. 1193 Rz. 55.
150 Siehe Art. 14 Geschäftsordnung der Regierung.
151 Siehe Art. 5a und Art. 5b Geschäftsordnung der Regierung und Art. 15 Abs. 1
RVOG und dazu BuA Nr 24/2012 der Regierung vom 27. März 2012, S. 35.
568
Verfahren und Geschäftsverkehr
zerischen Mitberichtsverfahren nachgebildete Konsultationsverfahren
unter den einzelnen Regierungsmitgliedern der Vorbereitung von Ent-
scheidungen der Kollegialregierung.!”2
3. Sitzung
Die Regierung kann zu ihren Verhandlungen auch Staatsangestellte und
verwaltungsexterne Experten beiziehen.!® Die Sitzungen sind nicht-
öffentlich.!>* Die Regierung informiert die Öffentlichkeit über ihre
Beschlüsse, soweit ein allgemeines Interesse besteht und keine wesentli-
chen öffentlichen oder privaten Interessen verletzt werden.!
Die Organisation der Regierungssitzung ist Angelegenheit des
Regierungschefs. Er bestimmt, in welcher Reihenfolge die Beratungsge-
genstände behandelt werden und eröffnet und schliesst die Debatte zu
den einzelnen Traktandenpunkten.!5® Wenn allerdings ein Regierungs-
mitglied einen Ordnungsantrag stellt, der sowohl die Reihenfolge der
Beratung als auch die Verschiebung des Beratungsgegenstandes beinhal-
ten kann, entscheidet das Kollegium.!”7
152 Siehe Art. 15 Abs. 2 RVOG. Im BuA Nr. 24/2012 der Regierung vom 27. März
2012, S. 36 wird hervorgehoben, dass dieses «neue Instrument des Konsultations-
verfahrens» die «Leitungsfunktion der Regierung» stärkt, da sie sich auf die mate-
riellen Kernfragen eines Geschäftes konzentrieren könne. Für die Schweiz siehe
Bernhard Ehrenzeller, in: Kommentar zu Art. 177 BV, S. 2615 Rz. 9, der vermerkt,
dass das Mitberichtsverfahren «einer effizienten Entscheidfindung und der Kon-
sensbildung>» im Bundesrat dient, «da auf diese Weise im Vorfeld der Bundesratssit-
zung die Entscheidungsreife oder der Grad der Umstrittenheit eines Geschäftes
offenkundig wird.» Vgl. auch Martin Breitenstein, Reform der Kollegialregierung,
S. 29 f., der die «ambivalenten Effekte» aufzeigt, die ein Mitberichtsverfahren her-
vorruft.
153 Siehe Art. 19 Geschäftsordnung der Regierung.
154 Siehe Art. 18 Geschäftsordnung der Regierung. Das Sitzungsgeheimnis ermöglicht
bzw. erleichtert eine Konsensfindung. So Bernhard Ehrenzeller, in: Kommentar zu
Art. 177 BV, S. 2617 f. Rz. 14.
155 Siehe Art. 26a Abs. 1 Geschäftsordnung der Regierung; vgl. auch Art. 18 Informa-
tionsgesetz, LGBl. 1999 Nr. 159 und Art. 1 Informationsverordnung, LGBl. 1999
Nr. 206.
156 Siehe Art. 15 Geschäftsordnung der Regierung.
157 Siehe Art. 20 Geschäftsordnung der Regierung.
569
Organisation der Regierung
4. Beschlussfassung
Der Abstimmungsmodus richtet sich danach, ob eine namentliche
Abstimmung zu einem Traktandenpunkt verlangt wird. In diesem Fall
gibt zuerst das zuständige Regierungsmitglied seine Stimme ab und
danach die übrigen Regierungsmitglieder nach ihrem Lebensalter. Der
Vorsitzende gibt seine Stimme in jedem Fall zuletzt ab. Davon abgese-
hen erfolgt die Abstimmung in der Regel durch Umfrage des Vorsitzen-
den.!5 Um einen gültigen Beschluss fassen zu können, müssen wenigs-
tens vier Regierungsmitglieder anwesend sein und deren Stimmenmehr-
heit erhalten, wobei Stimmzwang besteht. Bei Stimmengleichheit
entscheidet der Vorsitzende.!
Beschlüsse können in ausserordentlichen Fällen auch auf dem Zir-
kularwege gefasst werden. Sie sind jedoch nur zulässig, wenn eine Ent-
scheidung nicht bis zur nächsten Regierungssitzung aufgeschoben wer-
den kann. Ein solcher Beschluss setzt voraus, dass alle Regierungsmit-
glieder zustimmen und zwar — soweit möglich — schriftlich.!°
5. Vollzug der Beschlüsse
Der Vollzug der Beschlüsse der Kollegialregierung obliegt dem Regie-
rungschef. 16!
II. Geschäftsverkehr mit dem Landtag
1. Landtag
Die grösseren Gesetzesarbeiten und sonstigen wichtigen Geschäfte, die
ım Landtag während einer Sitzungsperiode voraussichtlich zur Behand-
lung kommen, hat die Regierung dem Landtagspräsidium an seiner ers-
158 Siehe Art. 16 Geschäftsordnung der Regierung.
159 Siehe Art. 81 LV.
160 Siehe Art. 21 Geschäftsordnung der Regierung.
161 Siehe Art. 90 Abs. 3 LV.
570
Verfahren und Geschäftsverkehr
ten ordentlichen Sitzung oder bei einem Regierungswechsel innert drei
Monaten nach Amtsantritt in einer Liste vorzulegen, wobei die
Geschäftsplanung mit der Finanzplanung abzustimmen ist.1°
Die Regierung übermittelt ihre Berichte und Anträge direkt an die
Mitglieder des Landtages. Dabei hat sie auf Anfrage dem Landtag alle
relevanten Dokumente, auf die sich eine Vorlage stützt, bekannt zu
geben. Den einzelnen Landtagskommissionen stellt die Regierung ihre
Berichte in der Regel über den Parlamentsdienst zu.!®
Für den Rechenschaftsbericht und die Landesrechnung sowie den
Landesvoranschlag und den Finanzplan gelten Zustellungsfristen, bis zu
denen sie den Mitgliedern des Landtages ausgehändigt sein müssen. !*
Auf Antrag des Landtagspräsidenten informiert die Regierung den
Landtag über den Inhalt und die Bedeutung einer Vorlage, die zu behan-
deln ist. Lehnt die Regierung den Antrag ab, unterrichtet sie den Land-
tagspräsidenten. Sie legt als eigenverantwortliches Organ die Art und
Weise ihrer Willens- und Entscheidungsbildung selber fest.!®
Im Landtag ist der «Regierungsvertreter» zu hören. An seinen
Beratungen nimmt jenes Regierungsmitglied teil, in dessen Geschäftsbe-
reich der Verhandlungsgegenstand gehört. Die Regierung regelt die Ver-
tretung. 166
162 Siehe Art. 13 GVVKG (Geschäftsplanung).
163 Siehe Art. 14 GVVKG. Abs. 1 Satz 2 und 3 nehmen regierungs- und verwaltungs-
interne Dokumente von der Pflicht der Bekanntgabe aus, wobei die Regierung das
Nähere mit Verordnung regelt. Dieser Zusatz geht auf das Gesetz vom 23. Novem-
ber 2012, LGBl. 2013 Nr. 8, zurück. Er trägt im Sinne des Gewaltenteilungsgrund-
satzes den Geheimhaltungsinteressen der Regierung sowie den Interessen an ihrer
politischen und praktischen Handlungs- und Leistungsfähigkeit ausreichend Rech-
nung. Vgl. Marzell Beck, Gutachterliche Stellungnahme zur Verfassungsmässigkeit
der Reform des Geschäftsverkehrsgesetzes, S. 20 f.
164 Siehe Art. 15 und 16 GVVKG.
165 Siehe Art. 16a GVVKG. Die Regierung ist nach dieser neuen Regelung, eingeführt
durch das Gesetz vom 23. November 2012, LGBl. 2013 Nr. 8, bei der Vorbereitung
und Ausarbeitung von Gesetzesvorlagen an den Landtag nach wie vor «Herr» des
verwaltungsinternen Verfahrens, wie dies in Art. 93 Bst. g LV vorgesehen ist. Es
bleibt ihrer Verantwortung überlassen, ob sie einem direkten Informationsaustausch
zwischen ihr und dem Landtag zustimmt, sodass ihre Stellung gemäss Art. 78 Abs. 1
LV gewahrt ist. Vgl. Marzell Beck, Gutachterliche Stellungnahme zur Verfassungs-
mässigkeit der Reform des Geschäftsverkehrsgesetzes, S. 22.
166 Siehe Art. 63 Abs. 4 LV und Art. 42 GVVKG sowie Art. 22 Bst. b RVOG.
571
Organisation der Regierung
Die Regierung entscheidet selbständig über Petitionen, die ihr vom
Landtag überwiesen werden.!” Es obliegt ihr auch die Begutachtung der
Vorlagen, die ihr der Landtag zu diesem Zweck zukommen lässt. 168
2. Kommissionen des Landtages!®
Die Regierungsmitglieder beteiligen sich auf Einladung des Vorsitzen-
den an den Beratungen einer Landtagskommission, die berechtigt ist,
Regierungsmitglieder beizuziehen und zu befragen.!7° Die Regierungs-
mitglieder können sich von Fachleuten begleiten oder sich im Einver-
ständnis mit der jeweiligen parlamentarischen Kommission durch Sach-
bearbeiter vertreten lassen.!7!
Die Landtagskommissionen selber können jedoch Staatsangestellte
nur mit Zustimmung der Regierung beiziehen und befragen, die diese
nötigenfalls von der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit entbindet und
zur Herausgabe von Akten ermächtigt.!?
Die Regierung legt der Finanzkommission sämtliche Vorlagen, für
die sie zuständig ist, rechtzeitig zur Überprüfung vor. Diese übermittelt
ihre Sitzungsprotokolle, Stellungnahmen, Empfehlungen und Entschei-
dungen sowohl den Mitgliedern des Landtages als auch der Regierung.!73
Die Regierung unterbreitet die Staatsverträge, die der Zustimmung
des Landtages bedürfen, zur Prüfung und Begutachtung der Aussenpo-
litischen Kommission. Die Regierung informiert sie regelmässig, früh-
zeitig und umfassend über die Entwicklung der aussenpolitischen Lage
sowie über Vorhaben im Rahmen der internationalen Organisationen
und Verhandlungen mit auswärtigen Staaten. In dringenden Fällen kon-
sultiert sie das vorsitzende Mitglied der Aussenpolitischen Kommission.
Die Aussenpolitische Kommission unterrichtet die Mitglieder des
Landtages und die Regierung über ihre Beschlüsse.!”*
167 Siehe Art. 12 GVVKG.
168 Siehe Art. 93 Bst. g LV.
169 Vgl. auch schon S. 493 ff.
170 Siehe Art. 17 Abs. 1 GVVKG.
171 Siehe Art. 43 GVVKG.
172 Siehe Art. 17 Abs. 2 GVVKG.
173 Siehe Art. 18 GVVKG.
174 Siehe Art. 19 GVVKG.
572
Regierung und Landesverwaltung
$39 REGIERUNG UND LANDESVERWALTUNG
I. Regierungs- und Verwaltungsreform
1. Allgemeines
Der Bericht der Regierung vom 27. März 2012 zum Gesetz über die
Regierungs- und Verwaltungsorganisation hält eine Reform für notwen-
dig, da es «an einer klaren Aufbau- und Ablauforganisation, vor allem im
Umfeld der Regierung» fehlt, und betrachtet diesen Befund als «das
Ergebnis eines langen und pragmatisch gewachsenen Ausbauprozesses
sowie der politischen Entwicklung».! Sie knüpft an das Verwaltungs-
organisationsgesetz vom 17. Juli 1973176 an und übernimmt dessen
Grundsätze, «die sich über die Jahre gut bewährt» haben.!7 Es enthält
aber lediglich ansatzweise und nur wenige organisatorische Bestimmun-
gen über die Regierung,!’® sodass es sich unter den in der Zwischenzeit
stark veränderten Verhältnissen aufdrängt, einheitliche Strukturen zu
schaffen, die Zuständigkeiten und Kompetenzen zwischen den einzel-
nen Ressorts bzw. Ministerien und den Amtsstellen präziser abzugren-
zen und die Verwaltung zu konsolidieren.!”?
175 Siehe zum ursprünglichen Verfassungskonzept und seiner Weiterentwicklung Ernst
Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 51 ff. und S. 99 ff.
176 LGBl. 1973 Nr. 41, aufgehoben durch Art. 54 Bst. a RVOG, LGBl. 2012 Nr. 348;
vgl. Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 324 f.
177 BuA Nr. 24/2012 der Regierung vom 27. März 2012, S. 11 und 30. Es werden in
Art. 3 RVOG allgemein gültige Grundsätze der Regierungs- und Verwaltungstätig-
keit festgelegt.
178 Es entnimmt sie der Verfassung und der Geschäftsordnung der Regierung.
179 Siehe zur schwerpunktmässigen Zielrichtung des Gesetzes über die Regierungs-
und Verwaltungsorganisation BuA Nr. 24/2012 der Regierung vom 27. März 2012,
S. 15 f. Kritisch zur Regierungs- und Verwaltungsreform aus der Sicht des Landta-
ges bzw. des Gesetzgebers, wie sie im Gesetz vom 19. September 2012 über die
Regierungs- und Verwaltungsorganisation (RVOG) umgesetzt worden ist, äussert
sich Sebastian Wolf, Organisation der Landesverwaltung, S. 67, der von einer «insti-
tutionellen Machtverschiebung im Verwaltungsorganisationsrecht» zulasten des
Landtages bzw. Gesetzgebers spricht.
573
Organisation der Regierung
2. Regierung und Gesetzgeber
Die Regierungs- und Verwaltungsreform, wie sie im Gesetz vom
19. September 2012 über die Regierungs- und Verwaltungsorganisation
umgesetzt worden ist, konkretisiert die Organisationskompetenz der
Regierung und damit in diesem Bereich das Verhältnis von Regierung
und Gesetzgeber, der ihr umfangreiche Organisationskompetenzen ein-
geräumt hat.!89
Die Verfassung geht in Art. 92 Abs. 4 vom Vorrang des Gesetzge-
bers aus bzw. statuiert dort den Grundsatz der Gesetzmässigkeit der
Verwaltung, wonach sich die gesamte Landesverwaltung innerhalb der
Schranken der Verfassung, der Gesetze und staatsvertraglichen Regelun-
gen zu «bewegen» hat. In Art. 94 und 107 stellt sie die Verwaltungs- und
Behördenorganisation unter den Gesetzesvorbehalt. Diese Vorschriften
regeln Verfahren und Form der Aufgabenerledigung durch die Kollegi-
alregierung.!8! Wesentliche Entscheidungen hat der Gesetzgeber zu tref-
fen.!®2 Das betrifft auch weitgehend organisatorische Kompetenzen,
sodass sie das Gesetz einschränkt.!®
3. Eigener Wirkungskreis der Regierung
Alleinzuständigkeiten weist die Verfassung der Kollegialregierung in
Art. 93 zu, der demonstrativ ihren eigenen Wirkungskreis, d. h. den
180 Kritisch in seiner rechtspolitischen Analyse und Schlussbetrachtung Sebastian Wolf,
Organisation der Landesverwaltung, 5. 68 ff.
181 Siehe Art. 91 LV, wonach die Kollegialregierung die durch Gesetz dafür bezeichne-
ten Geschäfte selbständig erledigt.
182 Siehe StGH 1977/10, Entscheidung vom 19. Dezember 1977, LES 1981, S. 56 (57
Erw. 2); SIGH 1996/15, Urteil vom 27. Juni 1996, LES 2/1997, S. 89 (93 Erw. 3). Zu
den grundlegenden Organisationsentscheidungen gehören beispielsweise die
Errichtung von Ministerien, die Festlegung und Änderung ihrer Zuständigkeiten.
So BuA Nr. 85/2012 der Regierung vom 28. August 2012, S. 16.
183 Vgl. zur Organisationskompetenz der Regierung Thomas Sägesser, Rechtsgutach-
ten, S. 25 und 27. So bezieht sie sich nur auf organisatorische Massnahmen, nicht
aber auf Fragen der Aufgabenwahrnehmung und -erfüllung oder eines Aufgaben-
verzichts: «Die Festlegung und Umschreibung der dem Staat obliegenden Aufgaben
ist Sache der Gesetzgebung [...]>.
574
Regierung und Landesverwaltung
Bereich «exekutivischer Eigenverantwortung» umschreibt.!** Zu diesen
exklusiven Befugnissen könnte man auch die Initiativ- und Ausfüh-
rungskompetenzen zählen.!® Es ist jedoch angemessener, sie als koope-
rativ zu verstehen, da sie an die Entscheidungen des Gesetzgebers
gebunden ist.!®® Kooperativ oder arbeitsteilig wirkt die Regierung im
Gesetzgebungsverfahren, indem sie die Regierungsvorlagen an den
Landtag ausarbeitet, oder in auswärtigen Angelegenheiten, die ihre Mit-
wirkung bei Staatsverträgen (völkerrechtlichen Verträgen) erfordern.!®
4. Regierung und Landesverwaltung
Es ist allgemein anerkannt, dass eine Regierungs- und Verwaltungsreform
unmittelbar miteinander zusammenhängen. Die Landesverwaltung ist
das «Zentrum staatlicher Tätigkeit». Ebenso fraglos ist, dass die Kollegial-
regierung wie auch jedes einzelne Regierungsmitglied in seinem Ressort-
bereich die Kontroll- und Führungsaufgaben wahrnehmen müssen.!8®
II. Aufbau und Gliederung der Landesverwaltung
1. Kollegialregierung
a) Gesamtleitung
Art. 78 Abs. 1 LV legt fest, dass die Besorgung der gesamten Landesver-
waltung eine kollegiale Aufgabe ist, die nicht delegierbar ist und für die
die Kollegialregierung die Verantwortung trägt. Die Verfassung über-
184 Susanne Baer, Vermutungen zu Kernbereichen der Regierung, S. 527.
185 Siehe Art. 91 LV, der von «selbständiger Erledigung der durch Gesetz dafür bezeich-
neten Geschäfte» spricht, oder Art. 92 Abs. 2 und 3 LV.
186 Vgl. Susanne Baer, Vermutungen zu Kernbereichen der Regierung, S. 536.
187 Vgl. Art. 93 Bst. g und Art. 8 Abs. 1 LV. Sebastian Wolf, Organisation der Landes-
verwaltung, S. 69 erachtet ein Zusammenwirken von Gesetzgeber und Regierung
bei wichtigen Organisationsentscheiden als sinnvoll oder gar erstrebenswert, da die
Kompetenzordnung der liechtensteinischen «Mischverfassung» vielfältige Kreati-
ons- und wechselseitige Kontrollbefugnisse kenne. Er verweist in diesem Zusam-
menhang auf Arno Waschkuhn, Politisches System Liechtensteins, S. 375.
188 Siehe BuA Nr. 24/2012 der Regierung vom 27. März 2012, S. 13.
575
Organisation der Regierung
lässt es indes dem Gesetzgeber, die Verwaltungsorganisation näher zu
regeln.!8? In Art. 4 Abs. 1 RVOG wird die Kollegialregierung als
«oberste leitende und vollziehende Behörde» des Landes beschrieben.!®
Dieser einfachgesetzlichen Ausführung der Verfassung lässt sich entneh-
men, dass auch nachgeordnete Instanzen für bestimmte Bereiche der
Landesverwaltung Leitungsaufgaben wahrnehmen, wie beispielsweise
die Regierungsmitglieder in ihrer Funktion als Leiter eines Ministe-
riums!?! oder die Amtsstellenleiter!”, Die Kollegialregierung trifft, wie
sich dies aus dieser Zusammenschau von Verfassung und Gesetz ergibt,
die «Gesamtleitung» der Landesverwaltung, der in hierarchischer Hin-
sicht die «Höchststellung» entspricht.!® Sie äussert sich in den Lei-
tungsfunktionen, die insbesondere die Planung und Steuerung der
Regierungs- und Verwaltungstätigkeit und die Überwachung der staatli-
chen Aufgabenerfüllung umfasst.!* Art. 7 RVOG formuliert die strate-
gischen Ziele, die eine «ganzheitlich angelegte Staatsführung» verfolgen
und nach denen sich auch die Regierungsmitglieder in den ihnen über-
tragenen Ministerien auszurichten haben.!® Es handelt sich demnach um
übergeordnete Ziele «mit einem längerfristigen Fokus», die über eine
Legislaturperiode hinausgehen.!®
b) Organisationshoheit
Die Kollegialregierung hat für eine zweckmässige Organisation der Lan-
desverwaltung zu sorgen, die sowohl die Verwaltungsstruktur als auch
die Abläufe (Prozesse und Verfahren) einschliesst. Diese Organisations-
189 Siehe Art. 94 LV.
190 Siehe schon vorne S. 542 f.
191 Siehe Art. 21 und 22 RVOG.
192 Siehe etwa Art. 28 und 31 RVOG.
193 Vgl. für die Schweiz Giovanni Biaggini, in: Kommentar zu Art. 178 BV, S. 2634 f.
Rz. 12 und 16.
194 Siehe Art. 6 und 10 RVOG, die sich an Art. 16 des Verwaltungsorganisationsgesetzes
(VOG), LGBl. 1973 Nr. 41, anlehnen, das durch Art. 54 Bst. a RVOG aufgehoben
worden ist. Vgl. dazu BuA Nr. 24/2012 der Regierung vom 27. März 2012, 5. 33 f.
195 Siehe Art. 21 Abs. 2 RVOG.
196 BuA Nr. 24/2012 der Regierung vom 27. März 2012, S. 32 und BuA Nr. 85/2012 der
Regierung vom 28. August 2012, 5. 29 f. zu Art. 7 RVOG. Die Regierung informiert
über ihre Tätigkeiten den Landtag jährlich in ihrem Rechenschaftsbericht.
576
Regierung und Landesverwaltung
verantwortung leitet sich aus der «Organisationshoheit» ab, die sich
schon aus Art. 78 Abs. 1 LV ergibt, der die Besorgung der Landesver-
waltung der Regierung zuordnet.!” Sie steht ihr aber nur soweit zu, als
es der Gesetzgeber bestimmt. Die Verfassung überträgt es ihm, die Ver-
waltungsorganisation zu regeln, begrenzt also in diesem Sinne die Orga-
nisationskompetenz.!® Wesentliche Entscheidungen hat der Gesetzge-
ber zu treffen. Art. 9 Abs. 1 und 2 RVOG räumt der Regierung die
Befugnis ein, die Gliederung der Landesverwaltung in Amtsstellen mit
Verordnung zu regeln, wobei sie die gesetzlichen Vorgaben zu beachten
hat.!? So hat sie den Amtsstellen «im Rahmen der Gesetze» möglichst
zusammenhängende Sachbereiche zuzuweisen.?® Diese Organisations-
kompetenz erstreckt sich aber nur auf organisatorische Angelegenheiten
bzw. Massnahmen und nicht auf Fragen, die mit der Aufgabenwahrneh-
mung und -erfüllung oder eines Aufgabenverzichts zu tun haben, deren
Beantwortung in die Zuständigkeit des Gesetzgebers fällt.2°!
197 Aus der Organisationsverantwortung folgt auch, dass die Kollegialregierung eine
zielgerichtete Aufgabenerfüllung sicherzustellen hat. Siehe dazu die periodische Er-
folgskontrolle gemäss Art. 7 Abs. 3 RVOG und die ständige und systematische Auf-
sicht der Kollegialregierung gemäss Art. 10 RVOG als Kontrollinstrumentarium.
198 Siehe Art. 94 LV i. V. m. Art. 9 RVOG und dazu BuA Nr. 24/2012 der Regierung
vom 27. März 2012, S. 32 f.; zur Frage der Verfassungsmässigkeit dieser Regelung
siehe BuA Nr. 85/2012 der Regierung vom 28. August 2012, S. 17 ff. und Thomas
Sägesser, Rechtsgutachten, S. 23 f. Nach Sebastian Wolf, Organisation der Landes-
verwaltung, S. 71 hat der Gesetzgeber der Regierung «umfangreiche Organisations-
kompetenzen» eingeräumt. Er äussert sich in seiner rechtspolitischen Analyse und
Schlussbetrachtung kritisch zur Regierungs- und Verwaltungsreform 2012 (S. 68 ff.)
199 Siehe auch Art. 52 RVOG.
200 Unter «Gliederung» sind nach BuA Nr. 85/2012 der Regierung vom 28. August
2012, S. 30 f. «die Schaffung neuer Amtsstellen sowie die Umgestaltung, Zusammen-
legung oder Auflösung bestehender Amtsstellen zu verstehen. Den Amtsstellen sol-
len dabei möglichst zusammenhängende Sachbereiche —- freilich im Rahmen der Ge-
setze und der Geschäftsbereiche der Ministerien — zugewiesen werden (Grundsatz
der Homogenität)». Als Begründung wird angeführt, dass dies nicht nur der Ansied-
lung von Fachverstand in der Verwaltungseinheit dient, sondern auch die Auftrag-
serteilung und das Controlling erleichtert. Zudem können mögliche Kompetenz-
und Schnittstellenprobleme mit anderen Verwaltungseinheiten minimiert werden.
Art. 9 Abs. 2 RVOG lehnt sich an Art. 43 Abs. 2 des schweizerischen RVOG an.
201 Vgl. BuA Nr. 85/2012 der Regierung vom 28. August 2012, S. 18 f. und Thomas
Sägesser, Rechtsgutachten, S. 27.
577
Organisation der Regierung
2. Ministerien
a) Einrichtung von Ministerien: Bestand und rechtliche Bedeutung
Soweit die Kollegialregierung die Aufgaben der Landesverwaltung nicht
selbst besorgt,?? sind sie auf «fünf Schwerpunktressorts (Ministe-
rien)»?® verteilt, die bei ihr eingerichtet sind. Sie unterscheiden sich, was
die Kompetenzen des einzelnen Regierungsmitgliedes betrifft, kaum von
den bisherigen Ressorts. Das Ministerium ist rechtlich nicht als eigene
Behörde zu qualifizieren, sondern als «Wirkungsbereich» des einzelnen
Regierungsmitgliedes, der insbesondere die ihm unterstellten Amtsstel-
len einschliesst.?*
b) Ministerium und Regierungsmitglied
Das Regierungsmitglied ist berechtigt und verpflichtet, das ihm übertra-
gene Ministerium zu leiten.?®5 Es gibt kein Regierungsmitglied «ohne
Portefeuille».2% In dieser Funktion erhält es auch die Kompetenzen als
Regierungsmitglied, das hauptsächlich Führungsaufgaben wahrzuneh-
men und die in seinem Zuständigkeitsbereich anfallenden Geschäfte für
die Beschlussfassung durch die Kollegialregierung vorzubereiten hat.?”
Das Ministerium umfasst dementsprechend das ganze Arbeitsgebiet
eines Regierungsmitgliedes.
Als Leiter des Ministeriums legt das Regierungsmitglied die Ziel-
richtung fest und setzt Prioritäten, die sich an die Zielvorgaben der Kol-
legialregierung zu halten haben. Um diese Führungsposition ausüben zu
können, verfügt es in seinem Ministerium grundsätzlich über ein unein-
geschränktes Weisungs-, Kontroll- und Selbsteintrittsrecht, wobei
202 Siehe auch Art. 78 Abs. 2, 3 und 4 IV, die Delegationsbestimmungen enthalten.
203 BuA Nr. 24/2012 der Regierung vom 27. März 2012, S. 16 f. Diese fünf in Art. 18
Abs. 1 RVOG genannten Ministerien treten an die Stelle der bestehenden 15 Res-
sorts.
204 BuA Nr. 85/2012 der Regierung vom 28. August 2012, S$. 11 f.
205 Nach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 RVOG üben die Regierungsmitglieder ihre Tätigkeit im
Vollamt aus, da diese Tätigkeit bzw. die Leitung eines Ressorts (Ministeriums)
anspruchsvoll und zeitintensiv geworden ist. So BuA Nr. 24/2012 der Regierung
vom 27. März 2012, S. 30.
206 Siehe Art. 18 Abs. 4 und 21 Abs. 1 RVOG und für die Schweiz Giovanni Biaggini,
in: Kommentar zu Art. 178 BV, S. 2638 Rz. 23.
207 Siehe Art. 21 und 22 RVOG.
578
Regierung und Landesverwaltung
besondere gesetzliche Regelungen vorbehalten bleiben.?°%® Das Selbstein-
trittsrecht ermöglicht es dem Regierungsmitglied als der hierarchisch
übergeordneten und verantwortlichen Behörde, zu intervenieren und
die Entscheidung an sich zu ziehen, wobei es besondere gesetzliche
Zuständigkeiten, wie beispielsweise ein erstinstanzliches Entscheidungs-
recht einer Amtsstelle, zu beachten hat.?”
c) Aufbau und Untergliederung
Das Ministerium gliedert sich in Amtsstellen (Ämter und Stabsstellen)?1°
und besondere Kommissionen.?!! Das Generalsekretariat ist die zentrale
Stabsstelle des Ministeriums. Ihm steht ein Generalsekretär vor, der die
dem Generalsekretariat unterstellten Einheiten mit allen Aufgaben, die
mit ihnen verbunden sind, führt und beaufsichtigt.?!? Die laufende Auf-
sicht über das Generalsekretariat sowie über die Ämter, Stabsstellen und
besonderen Kommissionen obliegt dem Regierungsmitglied (Minister).
Sie beinhaltet die Prüfung der Gesetzmässigkeit, Zweckmässigkeit, Ver-
hältnismässigkeit, Wirtschaftlichkeit sowie Raschheit und Einfachheit
der Aufgabenerfüllung.?!?
d) Zusammensetzung und Zuteilung der Ministerien
Es werden entsprechend der Zahl der Regierungsmitglieder von Geset-
zes wegen fünf Ministerien festgesetzt,?!4 für deren Wirkungsbereiche
vor allem «sachliche Zusammenhänge und Synergien» massgebend sind.
208 Siehe Art. 21 Abs. 1 und 2 sowie Art. 36 RVOG und dazu BuA Nr. 24/2012 der Re-
gierung vom 27. März 2012, S. 39 und 46 f. sowie BuA Nr. 85/2012 der Regierung
vom 28. August 2012, 5. 42 f.
209 Vgl. BuA Nr. 24/2012 der Regierung vom 27. März 2012, S. 39 f.
210 Die Ämter und Stabsstellen werden aus gesetzestechnischen Gründen im Oberbe-
griff «Amtsstellen» zusammengefasst. Ein solcher Oberbegriff trägt zur textlichen
Vereinfachung der gesetzlichen Regelung bei. Es handelt sich im Übrigen um Orga-
nisationseinheiten, die dem Ministerium zugeordnet sind und für dieses Aufgaben
erledigen. Siehe BuA Nr. 24/2012 der Regierung vom 27. März 2012, S. 42.
211 Siehe Art. 20 RVOG und dazu BuA Nr. 85/2012 der Regierung vom 28. August
2012, 5. 36.
212 Vgl. BuA Nr. 24/2012 der Regierung vom 27. März 2012, 5. 19 f.
213 Siehe Art. 10 Abs. 2, 3 und 4 RVOG und dazu BuA Nr. 85/2012 der Regierung vom
28. August 2012, S. 31 ff. Danach entsprechen solche Überprüfungen «den allge-
mein üblichen Kriterien für eine ordnungsgemässe Aufsicht».
214 Siehe Art. 18 Abs. 1 RVOG und Art. 3 RVOV.
579
Organisation der Regierung
Sie sind von ihrem Aufgabenbereich her gesehen grundsätzlich gleich
gewichtig. Davon macht aufgrund seiner Bedeutung für die Regierungs-
arbeit einzig das Ministerium für Präsidiales und Finanzen eine Aus-
nahme, das Art. 18 Abs. 3 RVOG dem Regierungschef zuteilt. Diese
Regelung knüpft an eine langjährige Regierungspraxis an. Die Zusam-
mensetzung der anderen Ministerien ist das Ergebnis von «sachlichen
Überlegungen» und Erfahrungswerten, auf die sich die Regierung
beruft. Sie werden mit Regierungsbeschluss den anderen Regierungsmit-
gliedern zugeordnet,?!5 die demzufolge keinen Anspruch geltend
machen können, ein bestimmtes Ministerium zu übernehmen.?!® Die
vormaligen Ressorts, die nicht in Ministerien umgewandelt werden, bil-
den «flexible Geschäftsfelder»,?!7 wie z. B. Wirtschaft, Justiz, Bildung,
Sport und Kultur. Sie werden bei einer Regierungsneubildung?!® bzw. zu
Beginn der Amtsperiode von der Kollegialregierung auf die feststehen-
den Ministerien aufgeteilt. Dies betrifft auch die Zuweisung der Amts-
stellen mit ihren Aufgabenbereichen. Die Geschäftsverteilung auf die
Ministerien erfolgt in einer Verordnung der Regierung,?!? die die Bedeu-
tung und den Umfang der Geschäfte nach Gegenstand und Sachzusam-
menhang berücksichtigt.?®°
215 Siehe Art. 18 RVOG und dazu BuA Nr. 24/2012 der Regierung vom 27. März 2012,
S. 37 f. und BuA Nr. 85/2012 der Regierung vom 28. August 2012, S. 35.
216 Dies ergibt sich aus dem kollegialen Beschluss der Regierung. Vgl. für die Schweiz
Bernhard Ehrenzeller, in: Kommentar zu Art. 177 BV, 5. 2624 Rz. 26.
217 BuA Nr. 24/2012 der Regierung vom 27. März 2012, S$. 17.
218 Dies gilt wohl auch für den Fall der Übergangsregierung, die der Landesfürst
gemäss Art. 80 Abs. 1 LV bestellt.
219 Siehe Art. 4 und Anhang 1 RVOV.
220 Siehe Art. 19 RVOG und dazu BuA Nr. 24/2012 der Regierung vom 27. März 2012,
S. 18 und 38 f. Dort wird festgehalten, dass die zukünftige Verordnung über die
Geschäftsverteilung die bisherige Verordnung über die Geschäftsverteilung und den
Ressortplan der Regierung sowie den Ämterplan ersetzt. Es werde sich im Gegen-
satz zu ihr lediglich um eine «organisationsbezogene» Verordnung handeln, da nun-
mehr die allgemeinen Bestimmungen der bisherigen Verordnungen (Grundsätze der
Geschäftsverteilung, Leitung der Ressorts, Kompetenzen der Ressorts gegenüber
den Amtsstellen, den Kommissionen und Beiräten, Weisungsrecht und Weisungs-
pflicht der Ressorts, Aufsichtspflicht der Ressorts) gesetzlich geregelt werden. Siehe
Art. 4 und Anhang 1 RVOV.
580
Regierung und Landesverwaltung
3. Regierungssekretär
Der Regierungssekretär übt eine zweifache Funktion aus.2! Er ist einer-
seits Sekretär der Kollegialregierung, der das Protokoll über ihre Sitzun-
gen führt und den Regierungschef bzw. den Vorsitzenden bei der
Ausfertigung und dem Vollzug der Beschlüsse unterstützt und Koordi-
nationsaufgaben übernimmt.?? Andererseits ist er Leiter der Regie-
rungskanzlei, die als zentrale Stabsstelle der Kollegialregierung einge-
richtet ist. Art. 29 RVOG weist ihr eine Reihe von Stabsaufgaben zu.
Als Stabsstelle oder «Stabschef» der Kollegialregierung kann der
Regierungssekretär mit weiteren Aufgaben betraut werden, die ıhm in
der Form eines Gesetzes, einer Verordnung oder eines Beschlusses der
Regierung übertragen werden. Dies können vor allem Koordinations-
aufgaben oder komplexe, ressortübergreifende Aufgaben sein, mit denen
ihn in der Regel ein Regierungsbeschluss beauftragt. Auch dem Regie-
rungschef steht er bei der Planung und Ausführung von Regierungsge-
schäften zur Verfügung.
221 Siehe Art. 27 und 28 RVOG; zu Stellung und Funktionen des Regierungssekretärs
siehe BuA Nr. 24/2012 der Regierung vom 27. März 2012, S. 41 f. und BuA Nr. 85/
2012 der Regierung vom 28. August 2012, S. 40. Hier wird darauf aufmerksam ge-
macht, dass der Regierungssekretär nicht mit dem Bundeskanzler in der Schweiz
verglichen werden kann, da er keine Magistratsperson ist, sondern der Kollegialre-
gierung als Stabsstelle zugeordnet ist. Zu Stellung und Aufgaben des Bundeskanz-
lers der Schweiz siehe Giovanni Biaggini, in: Kommentar zu Art. 179 BV, S. 2648 f.
Rz. 17 ff.
222 Siehe Art. 2, 22 und 24 Geschäftsordnung der Regierung.
581
3. Abschnitt
Zuständigkeiten der Regierung
$40 REGIERUNGS- UND VERWALTUNGS-
KOMPETENZEN
I. Allgemeines
Die Kompetenznormen sind zur Hauptsache im VII. Hauptstück der
Verfassung niedergelegt, das die Regierung als eigenständiges Organ der
vollziehenden Gewalt kennzeichnet. Vereinzelt sind noch an anderen
Stellen der Verfassung Bestimmungen zu finden, die sich mit Kompe-
tenzen und Funktionen der Regierung und Verwaltung befassen.?3 Es
handelt sich um Teilausschnitte aus dem Wirkungskreis der Regierung,
wie sich dies auch aus der demonstrativen Aufzählung der Behand-
lungsgegenstände in Art. 93 LV ergibt. Die Zuständigkeitsbereiche las-
sen sich in Einzelauffächerungen kaum jemals vollständig erfassen.?*
Wie es das Gesetz vom 19. September 2012 über die Regierungs-
und Verwaltungsorganisation zum Ausdruck bringt, hat sich, was den
Wirkungsbereich der Regierung betrifft, ein Funktionswandel vollzo-
gen, der darin besteht, dass die Regierungsfunktion vor der vollziehen-
den Funktion in den Vordergrund gerückt ist. Die Kollegialregierung
plant und steuert die Regierungs- und Verwaltungstätigkeit und setzt
sich strategische Ziele, von denen sie das Regierungsprogramm ablei-
tet.?5 Dabei geht es um eine Aufgabe, die den ganzen Zuständigkeitsbe-
223 Vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 59
und die Art. 8 Abs. 1, 10 Abs. 1, 69, 64 Abs. 1, 112 Abs. 2 i. V. m. Art. 64 Abs. 1
Bst.a und 115 Abs. 1 und 2 LV.
224 So für das deutsche Grundgesetz Meinhard Schröder, Aufgaben der Bundesregie-
rung, S. 1118 f. Rz. 7 f.
225 Vgl. Art. 6 und 7 RVOG.
582
Regierungs- und Verwaltungskompetenzen
reich der Regierung übergreift.2?® Die Kollegialregierung wird also nicht
mehr überwiegend als Vollzugsorgan gesehen.??7
II. Regierungsbefugnisse
Die Kollegialregierung bestimmt die Ziele und Mittel ihrer Regierungs-
politik.2® Um den wichtigsten strategischen Herausforderungen mittel-
und längerfristig begegnen zu können, setzt sie ein Regierungspro-
gramm um, das einer ganzheitlichen Staatsführung verpflichtet ist und
zu Beginn einer Legislaturperiode zu erstellen und dem Landtag zur
Kenntnis zu bringen ist. Zur Koordination in den wichtigsten Aufga-
benbereichen trifft sie sich bei Bedarf zu gemeinsamen Konferenzen mit
den Gemeindevorstehern.???
II. Leitung und Beaufsichtigung der Landesverwaltung
Die Regierung leitet und beaufsichtigt die ihr unterstellten Behörden
und Beamten.?® Sie übt über die Beamten auch die Disziplinargewalt
aus.231 Sie sorgt «im Rahmen von Verfassung und Gesetz» für eine
zweckmässige Organisation der Verwaltung und passt sie den Verhält-
nissen an.?? Sie überwacht auch die Erfüllung der Staatsaufgaben.?®
226 Vgl. Bernhard Ehrenzeller, in: Kommentar zu Art. 180 BV, S. 2653 Rz. 5.
227 Vgl. Ulrich Häfelin/ Walter Haller/Helen Keller, Schweizerisches Bundesstaats-
recht, S. 535 Rz. 1657; vgl. auch Bernhard Ehrenzeller, in: Kommentar zu Art. 180 BV,
5. 2655 ff. Rz. 10 ff.
228 Siehe Art. 7 RVOG und dazu BuA Nr. 24/2012 der Regierung vom 27. März 2012, 5.32.
229 Siehe Art. 3 Abs. 4 RVOG.
230 Vgl. auch Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht,
S.59 f. und Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 311.
231 Siehe Art. 93 Bst. a LV und Art. 10 RVOG.
232 Siehe Art. 9 Abs. 1 RVOG; zur staatlichen Personalpolitik siehe Art. 93 Bst. b LV,
nach dem die Regierung sich und den übrigen Behörden das nötige Personal
zuweist; siehe z. B. für den Landtag vorne S. 492 und Art. 1 und 4 ff. StPG, das die
Grundsätze der staatlichen Personalpolitik festlegt. Die Regierung führt einen Stel-
lenplan, aus dem die Gesamtzahl der Stellen der Verwaltungseinheiten ersichtlich
ist. Sie hat dem Landtag im Rahmen des Voranschlages über die Entwicklung des
Personalbestandes zu berichten.
233 Siehe Art. 6 Abs. 2 RVOG.
583
Zuständigkeiten der Regierung
Dementsprechend verfügt jedes Regierungsmitglied in seiner Funktion
als Leiter eines Ministeriums über uneingeschränkte Weisungs-, Kon-
troll- und Selbsteintrittsrechte. Das heisst, dass es nötigenfalls bestimmte
Verwaltungsgeschäfte an sich ziehen kann.?*
Die Kollegialregierung übt die ständige und systematische Aufsicht
über die Amtsstellen und besonderen Kommissionen aus.?5 Die lau-
fende Aufsicht obliegt den nach der Geschäftsverteilung zuständigen
Regierungsmitgliedern.?® Die Kollegialregierung nimmt auch die Ober-
aufsicht über die besonderen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen
des öffentlichen Rechts sowie sonstige öffentliche Unternehmen wahr.
Der Gesetzgeber kann zur Besorgung wirtschaftlicher, sozialer und kul-
tureller Aufgaben solche Selbstverwaltungskörper errichten.?” Die
Oberaufsicht bedeutet ein «geringeres Mass an Einflussnahme als Auf-
sicht» bzw. stellt lediglich «das Minimum an Einflussnahme durch die
Regierung» dar. Sie schliesst kein direktes Weisungsrecht ein. Sie besteht
nur in der Kontrolle der Tätigkeit solcher selbständigen Institutionen,
die unter dem Begriff der «mittelbaren Verwaltung» oder der «dezentra-
len Verwaltung» zusammengefasst werden.?®
IV. Vorlagen an den Landtag
Es können Vorlagen im Gesetzgebungsverfahren?®? oder auch andere
Geschäfte oder Gegenstände nichtrechtsetzender Art sein, die zum Wir-
kungskreis des Landtages gehören.?® Art. 93 Bst. g LV spricht generell
von der Ausarbeitung von Regierungsvorlagen an den Landtag und von
234 Siehe Art. 21 Abs. 3 RVOG.
235 Siehe Art. 63 Abs. 1, 93 Bst. a, c und e LV, Art. 27 Abs. 4 GOG sowie Art. 10 Abs. 1
RVOG.
236 Siehe Art. 10 Abs. 2 RVOG. Der in diesem Zusammenhang erwähnte Vorbehalt des
Art. 89 LV betrifft die Unterzeichnung der Erlasse und Verfügungen der Regierung
und die unmittelbare Überwachung des Geschäftsganges in der Regierung, die dem
Regierungschef aufgetragen sind.
237 Siehe Art. 78 Abs. 4 LV und Art. 10 Abs. 5 RVOG.
238 Vgl. Dietrich Schindler, Rechtliche Meinungsäusserung, S. 6 f., teilweise wiederge-
geben in: BuA vom 8. November 1963, S. 13 (Beilagen zum LtProt. 1963 Bd. IT); vgl.
auch Nicolaus Voigt, Selbständige öffentlichrechtliche Anstalten und selbständige
öffentlichrechtliche Stiftungen, S. 9.
239 Siehe dazu hinten S. 590 f.
240 Siehe Art. 62 LV.
584
Regierungs- und Verwaltungskompetenzen
Vorlagen, die ihr zu diesem Zweck vom Landtag zur Begutachtung über-
wiesen werden. In der Staatspraxis ist es die Regierung, die am meisten
Gesetzesvorlagen initiiert.?*! Sie ist auch die Adressatin von Gesetzge-
bungsaufträgen des Landtages und des Landesfürsten.?2
V. Vollzug der Gesetze
Der Regierung obliegt der Vollzug bzw. sie sorgt für den Vollzug aller
Gesetze und rechtlich zulässigen Aufträge des Landesfürsten oder des
Landtages.?® Der Vollzug selbst erfolgt in der Regel über die Amtsstel-
len bzw. Ämter. Rechtlich zulässige Aufträge sind im Sinne einer Ausle-
gungsregel so zu verstehen, dass sie nicht die Verfassung verletzen, im
Besonderen die verfassungsmässige Kompetenzordnung einhalten.2*
VI. Finanzen
Die Regierung verwaltet das Finanzvermögen des Landes und unter-
richtet den Landtag darüber zusammen mit dem Rechenschaftsbe-
richt.?5 Sie verfasst jährlich zuhanden des Landtages einen mehrjährigen
Finanzplan, der einen Zeitraum von vier Jahren umfasst. Dieser stellt ein
längerfristiges Orientierungs- und Führungsmittel für Regierung und
Landtag dar.? Die Regierung entwirft für das nächstfolgende Verwal-
tungsjahr den Landesvoranschlag, der sämtliche Ausgaben und Einnah-
men enthält, und unterbreitet ihn dem Landtag, wie sie auch für jedes
abgelaufene Verwaltungsjahr in der ersten Hälfte des folgenden Jahres
die Landesrechnung präsentiert.2*
241 Vgl. Michael Ritter, Die Organisation des Gesetzgebungsverfahrens, S. 72; Hilmar
Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 212 f.
242 Vgl. Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 211 f. mit weiteren Literatur-
hinweisen; siehe auch vorne S. 516.
243 Siehe Art. 92 Abs. 1 LV und Art. 11 Abs. 1 RVOG.
244 Vgl. Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 305 f.
245 Siehe Art. 70 LV.
246 Siehe Art. 25 FHG; vgl. auch Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle
über die Regierung, S. 201.
247 Siehe Art. 5 und 15 FHG und dazu BuA Nr. 121/2008 der Regierung vom 30. Sep-
tember 2008, 5. 97 ff. sowie Art. 69 Abs. 1 und 2 LV, wo es heisst: «Für jedes abge-
585
Zuständigkeiten der Regierung
VII. Aufsicht über die Gemeinden
Die Gemeinden stehen unter der Aufsicht des Staates. Aufsichtsbehörde
ist die Regierung. Im eigenen Wirkungskreis ist die Aufsicht auf die
Überprüfung der Rechtmässigkeit der Beschlüsse und der Tätigkeit der
Gemeindeorgane beschränkt. Ausserhalb des eigenen Wirkungskreises
bzw. im übertragenen Wirkungskreis unterliegt auch die Angemessen-
heit der Beschlüsse und der Tätigkeit der Gemeindeorgane der Auf-
sicht.28 Als Aufsichtsmittel stehen der Regierung die in Art. 136 LVG
umschriebenen Massnahmen zur Verfügung. Sie schliessen sowohl prä-
ventive Massnahmen ein, zu denen die Informationsrechte, wie die
Akteneinsicht oder die Ortsbesichtigung, und die vorbehaltene Mitwir-
kung, wie die Genehmigung von Beschlüssen, zählen, als auch repressive
Massnahmen, die etwa in der Ungültigerklärung und Aufhebung von
Beschlüssen, Anordnungen und Verfügungen, in der Ungehorsamstrafe,
der Ersatzvornahme oder der Zwangsverwaltung bestehen können.?*?
VIII. Kundmachung aufhebender Entscheidungen
des Staatsgerichtshofes
Die Regierung ist nach dem Staatsgerichtshofgesetz gehalten, den
Spruch einer Entscheidung des Staatsgerichtshofes, die auf Aufhebung
bzw. auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes lautet,
«unverzüglich» im Landesgesetzblatt zu veröffentlichen.?° Das Gleiche
laufene Verwaltungsjahr hat die Regierung in der ersten Hälfte des folgenden Ver-
waltungsjahres dem Landtag eine genaue Nachweisung über die nach Massgabe des
Voranschlages geschehene Verwendung der bewilligten und erhobenen Einnahmen
mitzuteilen, vorbehaltlich der Genehmigung von gerechtfertigten und der Verant-
wortlichkeit der Regierung bei nicht gerechtfertigten Überschreitungen.» Siehe
auch vorne S. 521 ff.
248 Siehe Art. 110 LV und Art. 116 und 117 GemG; zum Wesen der Staatsaufsicht siehe
Job von Nell, Die politischen Gemeinden, 5. 196 ff.
249 Vgl. Job von Nell, Die politischen Gemeinden, S. 201 ff.
250 Siehe Art. 19 Abs. 3 SSGHG und Art. 3 Bst. e KmG; vgl. beispielsweise in SIGH
2006/48, 59, 50 und 55, Urteil vom 2. Oktober 2006, S. 1 (im Internet abrufbar un-
ter: <www.stgh.li>), den Entscheidungsspruch in Ziffer 2, wo es heisst: «Diese Ent-
scheidung ist von der Regierung gemäss Art. 19 Abs. 3 SEGHG unverzüglich im
Landesgesetzblatt kundzumachen.»
586
Aussenpolitische Befugnisse
gilt auch für die Aufhebung einer Verordnung, die mit der Verfassung,
einem Gesetz oder einem Staatsvertrag unvereinbar ist?! sowie für die
Aufhebung der innerstaatlichen Verbindlichkeit von Staatsverträgen, die
der Verfassung widersprechen.?? Die Aufhebung wird mit der Kundma-
chung rechtswirksam, wenn der Staatsgerichtshof nicht eine Frist von
längstens einem Jahr bestimmt, wobei der Anlassfall?®® davon ausge-
nommen ist. Die Regierung hat die Kundmachung auch im Fall der
Fristsetzung unverzüglich vorzunehmen, da zwischen der Rechtsver-
bindlichkeit der aufhebenden Entscheidung des Staatsgerichtshofes und
der Kundmachung zu unterscheiden ist.2>
$41 AUSSENPOLITISCHE BEFUGNISSE
I. Allgemeines
Zur Besorgung der gesamten Landesverwaltung, wie sie Art. 78 Abs. 1
LV versteht? gehören auch die auswärtigen Angelegenheiten. Die Kol-
legialregierung wird im Rahmen des innerstaatlichen Willensbildungs-
verfahrens,? «in dem über Notwendigkeit und Inhalt von Akten der
auswärtigen Gewalt entschieden wird»,?” initiierend, planend, vorberei-
tend und steuernd tätig.?8 Sie verfügt dabei im Amt für Auswärtige
251 Siehe Art. 21 Abs. 3 SIGHG.
252 Siehe Art. 23 Abs. 2 SIGHG.
253 Zum Begriff des Anlassfalls Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 332 f. und Tobias
Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 176 ff.
254 Zur Veröffentlichung und zum Inkrafttreten von Aufhebungen auf der Grundlage
des alten Staatsgerichtshofgesetzes, LGBl. 1925 Nr. 8, das sich in dieser Hinsicht
gegenüber dem neuen Staatsgerichtshofgesetz, LGBI. 2004 Nr. 32, nicht grundle-
gend geändert hat, Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 343 ff.; vgl. auch Tobias
Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 803 ff., dessen Ausführungen das neue
Staatsgerichtshofgesetz zugrunde liegt.
255 Siehe dazu auch Art. 8 Abs. 1 LV.
256 Dieses zählt zur materiellen auswärtigen Gewalt. Zur Unterscheidung zwischen
formeller und materieller auswärtiger Gewalt siehe Wilfried Hoop, Auswärtige Ge-
walt, S. 27 ff. und S. 117 f. und schon vorne S. 360 ff.
257 Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 313.
258 Vgl. nur Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht,
S.72 und Anhang 1 RVOV (II. Ministerium für Äusseres, Bildung und Kultur/A.
587
Zuständigkeiten der Regierung
Angelegenheiten und in den Aussenvertretungen, die ihr unterstehen,
über den fachlichen Apparat. Sie kann aber nur eine Politik verfolgen,
die der Landesfürst, der der «formelle Träger» der Aussenpolitik ist,?
«nach aussen zu vertreten bereit ist und die er somit mitzutragen bereit
ist».2% Andererseits kann auch der Landesfürst nicht ohne Mitwirkung
der Kollegialregierung und entgegen einem entsprechenden Beschluss
der Kollegialregierung «seine Aussenpolitik formulieren und gegenüber
dem Ausland in die Tat umsetzen».2 Regierung und Landesfürst sind in
diesem Bereich der materiellen auswärtigen Gewalt zum Zusammenwir-
ken angehalten. Sie ist nicht mehr wie unter der Konstitutionellen Ver-
fassung 1862 eine ausschliessliche Domäne des Landesfürsten.?? Bei
Staatsverträgen im Sinne von Art. 8 Abs. 2 LV2® kommt hinzu, dass sie
zu ihrer Gültigkeit der Zustimmung des Landtages bedürfen, die gege-
Äusseres), der Aufschluss über die Geschäfte gibt. Siehe zur Information des Land-
tages und der aussenpolitischen Kommission vorne S. 500.
259 Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 312 f. Die Verfas-
sung weist die Aussenvertretungskompetenz dem Landesfürsten zu, die aber nach
Art. 8 Abs. 1 LV an die «erforderliche Mitwirkung der Regierung» gebunden ist.
Vgl. auch Peter Wolff, Vertretung des Staates nach aussen, S. 280 und Wilfried
Hoop, Auswärtige Gewalt, 5. 168 ff.
260 Peter Wolff, Vertretung des Staates nach aussen, S. 283; so auch Walter Kieber,
Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 313; Christine Weber, Gegen-
zeichnungsrecht, S. 155.
261 Peter Wolff, Vertretung des Staates nach aussen, S. 283; vgl. auch Wilfried Hoop,
Auswärtige Gewalt, S. 170 f.; Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische
Verfassungsrecht, S. 72 f., der festhält, dass nach aussen keine liechtensteinischen
Erklärungen abgegeben oder Initiativen, Vorstösse usw. unternommen werden kön-
nen, «ohne dass auch die Zustimmung der Regierung vorliegt». Christine Weber,
Gegenzeichnungsrecht, S. 155 fasst zusammen: «Im Innenverhältnis ist also eine
Übereinstimmung zwischen Landesfürst und Regierung über die Gestaltung der
Aussenpolitik erforderlich.» Siehe schon vorne S. 361 f.
262 Siehe $ 23 Abs. 1 KV 1862 und Felix Ermacora, Abschluss von Staatsverträgen,
S.125, der noch am monarchischen Prinzip festhält und aus ihm folgert, «dass die
auswärtige Gewalt wesentlich in den Aufgabenbereich des Monarchen fällt». Vgl.
dazu die berechtigte Kritik von Peter Wolff, Vertretung des Staates nach aussen,
S. 284 aus der Sicht des Art. 8 Abs. 1 LV.
263 Bei den der Genehmigung des Landtages vorbehaltenen Staatsverträgen handelt es
sich nach der herrschenden Lehre inhaltlich um «alle politisch wichtigen, Gesetzes-
recht ändernde oder mit grösseren finanziellen Ausgaben verbundene Staatsver-
träge». So SIGH 1995/14, Beschluss vom 11. Dezember 1995, LES 3/1996, S. 119
(123 Erw. 2.2) unter Bezugnahme auf Daniel Thürer, «Treaty making power» im
Fürstentum Liechtenstein, S. 141 und Günther Winkler, Staatsverträge, S. 105 ff.
588
Aussenpolitische Befugnisse
benenfalls noch von der Annahme durch das Stimmvolk abhängig ist,2*
sodass die Regierung «bestrebt, ja genötigt sein» wird, über den aussen-
politischen Kurs des Staates nicht nur «einen Konsens mit dem Landes-
fürsten herzustellen, sondern auch mit der Volksvertretung eine weitge-
hende Übereinstimmung zu suchen».265
II. Staatsverträge und Verwaltungsvereinbarungen
Die in Art. 8 Abs. 1 LV dem Landesfürsten und der Kollegialregierung
zugewiesenen Befugnisse zur Ausübung der auswärtigen Gewalt werden
im Bereich der Staatsverträge zugunsten des Landtages und über das
Staatsvertragsreferendum?® zugunsten des Stimmvolkes eingeschränkt.
Diese werden zu Mitträgern der auswärtigen Gewalt.
Die Kompetenz, Staatsverträge abzuschliessen, die zu ihrer Gültig-
keit nicht der Zustimmung des Landtages bedürfen, sogenannte Verwal-
tungsvereinbarungen oder Regierungsabkommen,?” steht «von Verfas-
sungs wegen» der Regierung zu.?® Sie kann solche Vereinbarungen in
eigener Kompetenz abschliessen.?®®
264 Siehe Art. 66bis LV und Art. 75a VRG; siehe auch vorne S. 430 und S. 432.
265 Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 314; vgl. auch Ger-
ard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 73.
266 Siehe Art. 66bis LV.
267 Stefan Becker, Völkerrecht und Landesrecht, S. 67 bezeichnet als <Staatsverträge>
jene völkerrechtlichen Verträge, die gemäss Art. 8 Abs. 2 LV genehmigt worden
sind, und als «<Verwaltungsvereinbarungen» jene, bei denen dies nicht der Fall ist.
Vgl. zu den Verwaltungsvereinbarungen auch Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt,
S. 197 f. und 203 ff.
268 StGH 1995/14, Beschluss vom 11. Dezember 1995, LES 3/1996, S. 119 (123 Erw.
2.2). Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 198 folgert im Umkehrschluss aus Art. 8
Abs. 2 LV, «dass alle völkerrechtlichen Verträge, die nicht unter die in Art. 8 Abs. 2
LV erwähnten Kriterien fallen, zu ihrem gültigen Abschluss nicht der vorgängigen
Zustimmung des Landtages bedürfen. Solche völkerrechtlich verbindlichen Ab-
kommen können allein von der Regierung im Rahmen ihrer Verwaltungsfunktion
verhandelt, im vereinfachten Verfahren, — ohne parlamentarische Zustimmung —, ab-
geschlossen werden und mit der Unterzeichnung in Kraft treten.»
269 Dies gilt insbesondere für Verwaltungsvereinbarungen, die ihre Grundlage entwe-
der in einem vom Landtag genehmigten Staatsvertrag oder in einem Gesetz haben.
Siehe Wilfried Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 203 f.
589
Zuständigkeiten der Regierung
III. Vertretungen im Ausland
Die Vertretungen des Staates im Ausland werden auf Vorschlag der
Regierung vom Landesfürsten errichtet.?° Auf gleiche Weise erfolgt die
Ernennung der Vertreter, wie der Gesandten und Konsuln, sowie des
Personals mit diplomatischem Charakter.”! Die Errichtung oder Füh-
rung von solchen Auslandsvertretungen, die der Regierung unterstellt
sind, bedarf jedoch der vorgängigen Zustimmung des Landtages, wenn
damit einmalige oder periodische finanzielle Lasten verbunden sind.
$42 RECHTSETZUNGS- UND RECHT-
SPRECHUNGSBEFUGNISSE
I. Rechtsetzungsbefugnisse
1. Initiativrecht in der Verfassungs- und einfachen Gesetzgebung
a) Allgemeines
Die Verfassung räumt der Kollegialregierung in Art. 93 Bst. g neben an-
deren berechtigten Organen ein eigenständiges Gesetzesinitiativrecht
ein, das sie in Form von Regierungsvorlagen ausübt, die sie beim Land-
tag einbringt.?? In Art. 78 RVOG heisst es, dass sie dem Landtag «Ent-
270 Siehe Gesetz vom 7. August 1952, LGBl. 1952 Nr. 20 und dazu Wilfried Hoop,
Auswärtige Gewalt, S. 164 ff.; vgl. auch Art. 1 Abs. 2 Bst. a StPG und dazu BuA
Nr. 8/2007 der Regierung vom 13. Februar 2007, S. 21.
271 Die Hilfskräfte und das Personal ohne diplomatischen Charakter bestellt gemäss
Art. 3 Satz 2 des Gesetzes vom 7. August 1952 betreffend Errichtung und Unter-
haltung von Vertretungen des Fürstentums im Ausland oder bei ausländischen
Regierungen, LGBl. 1952 Nr. 20, die Regierung.
272 Vsgl. Art. 93 Bst. gi. V. m. Art. 64 Abs. 1 Bst. a LV; vgl. Dietmar Willoweit, Verfas-
sungsinterpretation im Kleinstaat, S. 204; Gerard Batliner, Einführung in das liech-
tensteinische Verfassungsrecht, S. 68; Andreas Schurti, Verordnungsrecht — Finanz-
beschlüsse, S. 244 f.; Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 211. A. A. ist
Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 309 Fn. 9. Nach
ihm liegt gemäss Art. 64 Abs. 1 Bst. a LV das Recht der Gesetzesinitiative beim
Fürsten, die Ausübung des Rechts jedoch in der Hand der Regierung. Vgl. auch
Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 156.
590
Rechtsetzungs- und Rechtsprechungsbefugnisse
würfe zu Gesetzes- und Finanzbeschlüssen sowie Staatsverträge nach
Art. 8 Abs. 2 der Verfassung» unterbreitet. Von ihr gehen die meisten
Gesetzesentwürfe aus. Sie ist massgeblich an der Rechtsetzung auf Ver-
fassungs- und Gesetzesebene beteiligt, sodass sie auch als das Organ
bezeichnet wird, «welches den weitaus überwiegenden Teil der Geset-
zesvorlagen ausarbeitet und die Berichte dazu erstattet».?”3 Insoweit
kann man das Gesetzesinitiativrecht zu den Rechtsetzungskompetenzen
der Regierung rechnen.
Der Anstoss zur Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfes kann auf
eigene Initiative der Regierung zurückgehen oder eine Initiative des
Landesfürsten, der kein direktes Gesetzesinitiativrecht hat,?* oder einen
parlamentarischen Vorstoss, beispielsweise eine Motion? oder ein Pos-
tulat, zum Anlass haben.?® Die Regierung ist aufgrund ihrer eigenstän-
digen Stellung als Kollegialorgan — sie ist nicht «Vollzugsorgan des lan-
desherrlichen Willens» — rechtlich nicht verpflichtet, einen politischen
Gestaltungsvorschlag des Landesfürsten in eine Regierungsvorlage zu
übernehmen, da ihm keine Richtlinienkompetenz zusteht.?7
273 Vgl. BuA Nr. 24/2012 der Regierung vom 27. März 2012, S. 32; Hilmar Hoch, Ver-
fassung- und Gesetzgebung, S. 212; Michael Ritter, Die Organisation des Gesetzge-
bungsverfahrens, S. 72.
274 Siehe vorne S. 369.
275 Zur verfassungsrechtlichen Problematik siehe Gerard Batliner, Einführung in das
liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 69; Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetz-
gebung, S. 212 und 213; Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwal-
tung, S. 306, der eine Lösung darin sieht, dass man die Motion als Auftrag versteht
und von inhaltlichen Vorgaben für den zu schaffenden Gesetzesbeschluss absieht,
um die Kompetenz der Regierung nicht zu verletzen.
276 Siehe die beispielhafte Aufzählung bei Michael Ritter, Die Organisation des Gesetz-
gebungsverfahrens, S. 72; vgl. auch Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung,
S.212f.
277 So Dietmar Willoweit, Verfassungsinterpretation im Kleinstaat, S. 204 f. Er begrün-
det seine Auffassung wie folgt: «Hätte die Verfassung die Richtlinienkompetenz in
der Person des Staatsoberhauptes verankern wollen, dann wäre ein Verfassungssatz
zu formulieren gewesen, wonach die Kollegialregierung bei ihren Beschlüssen den
Willen des Landesfürsten zu berücksichtigen habe. Der Regierung käme dann nur
die Stellung eines beratenden Organs zu. Dies ist aber offensichtlich nicht der
Normzweck der Art. 78 ff. LV.» Vgl. auch vorne S. 370 f.
591
Zuständigkeiten der Regierung
b) Vorverfahren
Die Regierung leitet das verwaltungsinterne Vorverfahren,?”® das den
zweiten Verfahrensschritt im Gesetzgebungsprozess darstellt?” und dem
alle Gesetze unterliegen. Davon ausgenommen sind jene, die im Wege
der parlamentarischen Initiative oder der Volksinitiative eingebracht
werden. Die Regierung nimmt in diesem Verfahrensabschnitt eine
gewichtige Stellung ein, da in diesem Stadium der Inhalt der meisten
Gesetze weitgehend festgelegt wird.2® Das Vorverfahren umfasst die
Ausarbeitung des Vernehmlassungsentwurfs, die Durchführung und
Auswertung der Vernehmlassung und die Erstellung der Regierungsvor-
lage, die als «Bericht und Antrag» der Kollegialregierung den Mitglie-
dern des Landtages zugestellt wird.?®!
Wird eine Gesetzesinitiative von Mitgliedern des Landtages einge-
reicht, kann sie der Landtag der Regierung zur Stellungnahme unter-
breiten, die verpflichtet ist, zum Inhalt der Vorlage und zu den im Land-
tag aufgeworfenen Fragen Stellung zu nehmen.2%2
c) Publikation und Inkraftsetzung
Nach Abschluss des parlamentarischen Verfahrens und erfolgter Sank-
tion des Gesetzes durch den Landesfürsten und Gegenzeichnung des
Regierungschefs hat es die Regierung im Landesgesetzblatt kundzuma-
chen.283 Den Zeitpunkt des Inkrafttretens bestimmt bzw. beschliesst der
Landtag. Wenn in einem Gesetz nichts anderes festgelegt ist, tritt es acht
Tage nach der Kundmachung in Kraft. In der Regel ist vorgesehen, dass
das Gesetz am Tag der Kundmachung in Kraft tritt,?* die die Regierung
unverzüglich durchzuführen hat.285
278 Siehe Art. 8 RVOG.
279 Zu den einzelnen Verfahrensschritten im Gesetzgebungsprozess Michael Ritter, Die
Organisation des Gesetzgebungsverfahrens, S. 71 ff. und Hilmar Hoch, Verfassung-
und Gesetzgebung, S. 210 ff.
280 Vgl. Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 217.
281 Ausführlich zu diesem Vorverfahren Michael Ritter, Die Organisation des Gesetz-
gebungsverfahrens, S. 73 f. und Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung,
5.217 ff.
282 Siehe Art. 10 GVVKG und vorne S. 516.
283 Siehe Art. 65 Abs. 1 LV und Art. 2 KmG.
284 Vgl. Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 225. Dies bestätigt auch ein
Blick auf die jährlich publizierten Gesetze.
285 Siehe Art. 13 KmG.
592
Rechtsetzungs- und Rechtsprechungsbefugnisse
2. Verordnungsrecht
a) Rechts- und Verwaltungsverordnungen
Die Regierung erlässt die zur Durchführung der Gesetze und der direkt
anwendbaren Staatsverträge erforderlichen Verordnungen, die sich im
Rahmen der Gesetze und der direkt anwendbaren Staatsverträge halten
müssen. Wie sich aus Art. 92 Abs. 2 LV?% ergibt, hat die Regierung kei-
nen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, dass ihr der Gesetzgeber
einen substanziellen Freiraum zum Erlass von Durchführungsverord-
nungen lässt. Ihre Rechtsetzungskompetenz ist zu jener des Gesetzge-
bers subsidiär.?” Zudem liegt die verordnungsgebende Gewalt nicht
allein bei der Regierung.?® Der Gesetzgeber kann sie auch an andere
Behörden delegieren, wobei der Staatsgerichtshof an das Mass der
Bestimmtheit einer Delegationsnorm klar definierte Voraussetzungen
geknüpft hat.?® Danach lässt es sich «nur unter Beurteilung der Bedeu-
tung und der Natur der jeweils zu regelnden Materie feststellen».?”
Durchführungs- oder Vollziehungsverordnungen sind Rechtsver-
ordnungen, bei denen es sich um generell-abstrakte Normen handelt, die
sich an jedermann richten. Sie gewähren dem Einzelnen Rechte und
Pflichten oder ordnen die Organisation und das Verfahren der Behörden.
Verwaltungsverordnungen enthalten im Unterschied zu den Rechtsver-
ordnungen keine allgemein verbindlichen Rechtsnormen. Sie sind
Dienstanweisungen der übergeordneten Instanzen, beispielsweise der
Regierung als Spitze der Landesverwaltung, an die ihr untergeordneten
Verwaltungsbehörden.??! Die Verwaltungsverordnungen sind für diese
286 Vgl. dazu auch Art. 8 RVOG.
287 Vgl. Andreas Kley, Grundriss, S. 47 ff. Ernst Pappermann, Das Verordnungsrecht
der Regierung, S. 361 vertritt zu Art. 92 Abs. 2 LV eine andere Auffassung als die
von der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes geprägte herrschende Lehre. Er fol-
gert aus dem Wesen der konstitutionellen Monarchie, dass der Regierung ein weit-
gehendes Verordnungsrecht zusteht, das nicht an die Delegation oder Mitwirkung
der Volksvertretung gebunden ist (368).
288 Vgl. Andreas Kley, Grundriss, S. 179 f.
289 Siehe die Aufzählung bei Andreas Schurti, Verordnungsrecht — Finanzbeschlüsse,
5.255 f.
290 StGH 1991/7, Urteil vom 19. Dezember 1991, S. 10 (nicht veröffentlicht), zitiert
nach Andreas Schurti, Verordnungsrecht — Finanzbeschlüsse, S. 256.
291 Vgl. zur Unterscheidung von Rechts- und Verwaltungsverordnungen Andreas
Schurti, Verordnungsrecht der Regierung, S. 43 ff. und Andreas Kley, Grundriss,
5. 49 ff; siehe auch Herbert Wille, Normenkontrolle, 5. 252 ff.
593
Zuständigkeiten der Regierung
zwar verbindlich, werden aber von der Regierung nur soweit im Landes-
gesetzblatt publiziert, als sie Aussenwirkung erzielen bzw. sich nicht aus-
schliesslich an die Amtsstellen der Landesverwaltung wenden.??
b) Verordnungen zu direkt anwendbaren Staatsverträgen
Die Regierung ist gemäss Art. 92 Abs. 2 LV zum Erlass von Verordnun-
gen zu «direkt anwendbaren Staatsverträgen» ermächtigt. Der Staatsge-
richtshof hatte schon in seinem Urteil vom 8. April 1986,2® als es noch
nicht diese verfassungsrechtliche Kompetenznorm gab, die erst mit der
Verfassungsänderung 2003 eingeführt worden ist, von der Zulässigkeit
solcher Ausführungsbestimmungen gesprochen. Danach sind keine for-
mell-gesetzlichen Regelungen nötig, wenn «gemäss Anordnung der Ver-
fassung das Staatsvertragsrecht massgebend sein solle». In diesem Fall
trete der Staatsvertrag an die Stelle des formellen Gesetzes.
II. Rechtsprechungsbefugnisse
Die (Kollegial-)Regierung ist auch Rechtsmittelinstanz gegen Entschei-
dungen oder Verfügungen von Amtspersonen, Amtsstellen?* oder
besonderen Kommissionen, denen durch Gesetz oder kraft gesetzlicher
Ermächtigung bestimmte Geschäfte zur selbständigen Erledigung über-
tragen worden sind.?®5 Sie sind der Regierung unterstellt bzw. nachge-
292 Siehe Art. 3 Bst. h KmG.
293 StGH 1985/1, Urteil vom 8. April 1986, LES 4/1986, S. 108 (111); siehe dazu auch
Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 245 und Gerard Batliner, Parlament, 5. 26 ff.
Fn. 40 (S. 30 £)).
294 Zu den Begriffen «Amtsperson» und «Amtsstellen» siehe SEGH 1996/40, Urteil
vom 20. Februar 1997, LES 3/1998, S. 137 (141).
295 Siehe Art. 78 Abs. 1 und 2 LV und dazu den Bericht und Antrag der Regierung vom
8. November 1963 über die Erlassung eines Verfassungsgesetzes, S. 12 f. Ihm liegt
das Gutachten von Dietrich Schindler, Rechtliche Meinungsäusserung zu Fragen
der Delegation von Verwaltungsaufgaben und der Verantwortlichkeit der Behörden,
Beamten und des Staates vom 20. September 1963 zugrunde. Als mögliche
Geschäfte, die an untergeordnete Amtsstellen oder Kommissionen delegiert werden
sollen, werden, wie es in den Erläuterungen heisst, «serienmässige Entscheidungen
oder Entscheidungen von geringer Tragweite» oder solche, bei denen «besondere
Sachkenntnisse notwendig sind», in Betracht gezogen (S. 13). Siehe auch Andreas
Kley, Grundriss, S. 286.
594
Rechtsetzungs- und Rechtsprechungsbefugnisse
ordnet und unterscheiden sich von den besonderen Kommissionen, die
durch Gesetz errichtet werden und anstelle der Kollegialregierung ent-
scheiden. Bei diesen handelt es sich um Kommissionen, die der Kollegi-
alregierung nebengeordnet sind, wie dies etwa bei der Beschwerdekom-
mission für Verwaltungsangelegenheiten der Fall ist.?®
29 Beschwerdekommissionsgesetz vom 25. Oktober 2000, LGBl. 2000 Nr. 248 und
dazu BuA Nr. 31/2000 der Regierung vom 11. April 2000. Sie beruft sich auf Art. 78
Abs. 3 LV und erachtet eine Einrichtung als «sinnvoll», «welche mit denjenigen Ent-
scheidungen betraut wird, welche vor allem Rechtsfragen und dabei vor allem sol-
che mit stark technischem Charakter betreffen» (S. 5).
595
5. KAPITEL
DER STAATSGERICHTSHOF
1. Abschnitt
Entstehung und verfassungsrechtlicher Status
$43 ERRICHTUNG DES STAATSGERICHTSHOFES
I. Vorstufen
Die Verfassungsgerichtsbarkeit, wie sie 1921 Eingang in die Verfassung
gefunden hat und 1925 im Staatsgerichtshof-Gesetz näher ausgestaltet
worden ist, hat ihre Vorläufer in der Konstitutionellen Verfassung von
1862, die zu ihrem Schutze einerseits eine Art von «Ministeranklage»
einführt und andererseits Verfassungsstreitigkeiten zwischen der fürstli-
chen Regierung und dem Landtag dem Bundesschiedsgericht zur
gerichtlichen Entscheidung überträgt.! Die «Anklage wegen Verfas-
sungs- und Gesetzesverletzungen der verantwortlichen Staatsdiener
($ 40 Bst. d KV 1862) bzw. die «Beschwerden gegen Staatsdiener wegen
Verletzung der Verfassung» ($ 42 KV 1862) stellen Anträge des Landta-
ges an den Landesfürsten dar und kommen einer blossen «Anzeige»
gleich. Sie haben noch nichts mit einem gerichtlichen Verfahren zu tun.
Der Landtag konnte das «Ergebnis der Untersuchung» lediglich zur
Kenntnis nehmen.? Das Bundesschiedsgericht ist zwar ein echtes
Gericht. Seine Entscheidung hat «die Kraft und Wirkung eines austrä-
galgerichtlichen Erkenntnisses» und konnte notfalls vollstreckt werden.?
Der Zugang zum Bundesschiedsgericht war aber beschränkt, da es nur
von der Landesregierung angerufen werden konnte und dazu auch noch
1 Vgl. $ 122 KV 1862 und Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum
Liechtenstein, S. 14 ff.
2 Siehe zur Ministeranklage vorne S. 528 f. Vgl. auch Herbert Wille, Normenkon-
trolle, S. 34 f.
3 Vgl. Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 624; Hartmut
Maurer, Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 52.
599
Entstehung und verfassungsrechtlicher Status
der Zustimmung der Landstände bzw. des Landtages bedurfte.“ Die
Regierung im vorgenannten Sinn ist mit dem Landesfürsten gleichzuset-
zen, da die Regierungsgewalt in seiner Hand lag. Zudem ist die Anru-
fung des Bundesschiedsgerichts nicht zwingend, wie sich dies aus der
Formulierung des $ 122 KV 1862 ergibt, der eine Soll-Vorschrift enthält,
sodass sie wirkungslos geblieben ist. Eine andere Regelung wäre mit dem
monarchischen Prinzip der Konstitutionellen Verfassung in Konflikt
geraten. Um mehr als eine «Vorstufe» der modernen Verfassungsge-
richtsbarkeit kann es sich bei dieser Art der Streiterledigung nicht han-
deln, die sich lediglich als Möglichkeit versteht, beim Bundesschiedsge-
richt eine Entscheidung einzuholen.®
II. Geändertes Verfassungsverständnis
Die Verfassungsgerichtsbarkeit, wie sie heute in Lehre und Rechtspre-
chung als «verselbständigte Jurisdiktion über Verfassungsfragen» oder
als «Rechtsprechung unmittelbar in Verfassungssachen» verstanden
wird,® setzte sich erst im Rahmen der Totalrevision der Konstitutionel-
len Verfassung von 1862 durch. Vorbedingung war ein geändertes Ver-
fassungsverständnis, das mit der Errichtung eines Staatsgerichtshofes
verbunden ist, dem das Prinzip der hierarchischen Überordnung der
Verfassung über das Gesetz zugrunde liegt.? Die Verfassung von 1921
4 So Hartmut Maurer, Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 52.
5 Diese behutsame oder zurückhaltende Formulierung der Verfassungsbestimmung
erklärt sich aus dem damaligen Bundesrecht, wonach die fürstliche Regierung bzw.
der Landesfürst gegenüber dem Landtag nicht verpflichtet war, den Weg der
schiedsrichterlichen Erledigung des Streitfalles einzuschlagen. Der Landtag seiner-
seits war nicht berechtigt, von sich aus einen Antrag auf eine gerichtliche Entschei-
dung beim Bundesschiedsgericht zu stellen. Siehe Ernst Rudolf Huber, Deutsche
Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 624 f.
6 Es gibt aber mit Blick auf andere konstitutionelle Verfassungen des 19. Jahrhunderts
auch Stimmen, die in dieser «Verfassungsklage» den «Ursprung der modernen Ver-
fassungsgerichtsbarkeit im eigentlichen Sinne» sehen. Vgl. Christian Hermann
Schmidt, Vorrang der Verfassung, S. 81 mit weiteren Literaturhinweisen.
7 Siehe aus liechtensteinischer Sicht Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im
Fürstentum Liechtenstein, S. 11 ff. und ders., Normenkontrolle, S. 36 ff.
8 Vgl. Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Bundesverfassungsgericht, S. 7 Rz. 10.
Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 54 ff. (56).
600
Errichtung des Staatsgerichtshofes
bildet für die beiden Parteien des Dualismus, Fürst und Landtag, die
«gemeinsam tragende Grundlage»,!° auf die sie sich als konstituierte
bzw. verfasste Gewalten!! geeinigt haben. Die Verfassung bindet alle
staatliche Gewalt, also auch den Landesfürsten, der bisher unter der
Konstitutionellen Verfassung von 1862 als souveräner Fürst von Gottes
Gnaden seine Herrschaftsgewalt nicht von der Verfassung hergeleitet
hatte. Seine Souveränität stand der Verfassungsgerichtsbarkeit im
Wege.!? Diese Verfassungslage erklärt auch, warum Verfassungsstreitig-
keiten zwischen Regierung (Fürst)!? und Landtag eine Angelegenheit
des Deutschen Bundes geblieben sind. Sie sind in der Verfassung von
1921 zu Verfassungssachen geworden und werden in Art. 112! als
Organklagen vom Staatsgerichtshof auf der Grundlage der Verfassung
entschieden.!® Regierung (Fürst) und Landtag sind der Verfassung unter-
stellt. Die als «authentische Interpretation» oder als «Legalinterpre-
tation» bezeichnete Verfassungsauslegung!® erzeugt eine allgemein ver-
bindliche Wirkung.!” Die Verfassung überträgt damit dem Staatsge-
richtshof eine an sich legislative Aufgabel® und versucht, den
Verfassungsstreit zwischen den Faktoren des dualen konstitutionellen
10 Vgl. Rainer Wahl, Die Entwicklung des deutschen Verfassungsstaates, S. 83 f., der
konstatiert, dass eine solche gemeinsam getragene Grundlage nicht vorhanden ge-
wesen sei, sodass auch der «übergreifende Massstab» gefehlt habe. Aus diesem
Grund hätten auch die beiden Parteien des Dualismus (Fürst und Landtag) im ge-
samten 19. Jahrhundert nicht einen tragfähigen Konsens über die Einführung einer
(Verfassungs-)Gerichtsbarkeit gefunden.
11 Siehe vorne S. 182 ff. und S. 225.
12 Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Bundesverfassungsgericht, S. 2 Rz. 1.
13 Unter der Konstitutionellen Verfassung von 1862 stellten nicht der Landesverweser
(«Chef der Regierung», so bezeichnet nach $ 90 der Amtsinstruktion von 1862) und
die beiden Regierungsräte die Regierung im eigentlichen Sinn dar, sondern der Lan-
desfürst, der die ganze Fülle der exekutiven Rechte und Pflichten in seinen Händen
hielt. Siehe Roman Herzog, Relikte des konstitutionellen Verfassungswesens, S. 87.
Vgl. auch Werner Frotscher, Regierung als Rechtsbegriff, S. 131. Siehe auch vorne
S. 88 f. und S. 111 ff.
14 Aufgehoben durch die Verfassungsrevision von 2003.
15 Vgl. Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein,
S. 22 ff; zur Kontroverse siehe Gerard Batliner, Diskussionsbeitrag, S. 20 ff.
16 Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, S. 84 ff.; vgl. dazu
auch Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, 5. 31 f.
17 Vgl. Gerard Batliner, Aktuelle Fragen, S. 74 Rz. 139 und S. 82 Rz. 154.
18 Kritisch Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, S. 85 f.
601
Entstehung und verfassungsrechtlicher Status
Systems mit seiner zwischen Fürst und Volk geteilten Souveränität!® zu
entpolitisieren und zu verrechtlichen.?
III. Institution zum Schutz der Verfassung
Der Staatsgerichtshof sichert mit seiner Normenkontrollbefugnis die
Vorherrschaft der Verfassung. Er ist diejenige Instanz, die die «Einhal-
tung der Verfassung» garantiert.?! An seine Entscheidung hat sich auch
der Gesetzgeber zu halten. Der Staatsgerichtshof hat ihm gegenüber das
letzte Wort.” Insoweit löst er den Landesfürsten in der Rolle als Hüter
der Verfassung ab, die er unter der Konstitutionellen Verfassung 1862
ausgeübt hatte.? Es gehört zu seinen Aufgaben, die Verfassungsbindung
der kontrollierten Staatsorgane durchzusetzen. Bezeichnend dafür ist,
dass der Staatsgerichtshof keinem anderen Verfassungsorgan unterwor-
fen ist. Eine so verstandene Verfassungsgerichtsbarkeit wird zum Mittel
staatlicher Machtbegrenzung.?*
19 Vgl. Wolfgang Löwer, Zuständigkeiten und Verfahren, S. 1291.
20 Vgl. Klaus Rennert, Historisches zur Bindungswirkung und Gesetzeskraft, S. 539.
Bekanntlich hat sich die Ansicht von Hans Kelsen durchgesetzt, wonach Verfas-
sungsstreitigkeiten wie andere Streitigkeiten gerichtlicher Entscheidung zugänglich
sind. Er meint: «Die Entscheidung der sogenannten <politischem Streitigkeiten
durch ein Gericht ist nicht weniger <naturgemäss als die Entscheidung eines Erb-
streits zwischen zwei Bauern.» Zitiert nach Detlef Merten, Verfassungsgerichtsbar-
keit und Rechtsstaatlichkeit, S. 12 f.
21 Ernst Friesenhahn, Verfassungsbegriff und Staatsvertragsreferendum, S. 94.
22 In diesem Sinne äussert sich Wilhelm Beck in der Landtagssitzung vom 4. und
5. November 1925, in: Liechtensteiner Nachrichten, Nr. 88 vom 7. November 1925.
23 Unter der Konstitutionellen Verfassung von 1862 kam dem Landesfürsten als
«Oberhaupt des Staates», der «in sich alle Rechte der Staatsgewalt» vereinigte ($ 2),
die Stellung und Funktion eines «Hüters der Verfassung» zu. Das heisst, dass ihm
das Recht der Prüfung der Gesetze auf ihre Übereinstimmung mit der Verfassung
zuerkannt wurde. Hatte er sie ausgefertigt und verkündet, so Ernst-Wolfgang
Böckenförde, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 10, «wurde die Verfassungsmässigkeit
des Gesetzes unwiderleglich vermutet». Vgl. auch Reimund Schmidt-De Caluwe,
Änderungen des Reichsverfassungsrechts, S. 131 mit weiteren Literaturhinweisen.
24 Vgl. Hans R. Klecatsky/Thomas E. Walzel v. Wiesentreu, Verfassungspolitische
Betrachtungen, S. 464 f.
602
Verfassungsrechtliche Stellung
$44 VERFASSUNGSRECHTLICHE STELLUNG
I. Allgemeines
Der Staatsgerichtshof ist Teil der Gerichtsbarkeit, die heute im VIII.
Hauptstück der Verfassung geregelt ist.? Er ist als eigenständige Institu-
tion der Rechtsprechung in einem eigenen Abschnitt D aufgeführt und
als «Gerichtshof des öffentlichen Rechtes» zu errichten, dem insbeson-
dere der Schutz der verfassungsmässig gewährleisteten Rechte und die Si-
cherung des Vorrangs der Verfassung aufgetragen sind, wobei ihm bei der
Interpretation der Verfassung das Letztentscheidungsrecht zukommt.?®
Demzufolge weist der Staatsgerichtshof den ordentlichen Gerichten und
dem Verwaltungsgerichtshof?” gegenüber Besonderheiten auf. Das Ge-
setz über den Staatsgerichtshof charakterisiert ihn aufgrund seiner weit-
reichenden Kompetenzen? in Anlehnung an $ 1 Abs. 1 des deutschen
Bundesverfassungsgerichtsgesetzes als einen allen übrigen Verfassungs-
organen gegenüber selbständigen und unabhängigen Gerichtshof.?
Vergleicht man die Institution des Staatsgerichtshofs®® mit seinem
österreichischen Vorbild, dem Verfassungsgerichtshof nach dem Bun-
25 Vor der Verfassungsrevision von 2003 wurde der Staatsgerichtshof im VII. Haupt-
stück aufgeführt, das «Von den Behörden» handelte. Abschnitt E. befasste sich mit
dem Staatsgerichtshof.
26 So Wilhelm Beck, der in der Landtagssitzung vom 4./5. November 1925 zu verste-
hen gibt, dass mit dem Staatsgerichtshof eine Institution geschaffen worden ist, «die
in wichtigen und weittragenden Fragen das letzte Wort zu sprechen haben wird».
Zitiert nach Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechten-
stein, 5. 9.
27 Zum Begriff «Fachgerichtsbarkeit» siehe Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 73
Fn. 21; Hilmar Hoch, Staatsgerichtshof und Oberster Gerichtshof, S. 418 ff.
28 Zum Problem der einfachgesetzlichen Kompetenzerweiterung siehe Tobias Michael
Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 59 ff. mit weiteren Literaturhinweisen.
29 Siehe Art. 1 Abs. 1 StGHG; vgl. auch Tobias Michael Wille, Verfassungsprozess-
recht, S. 46. Wilhelm Beck bemerkte schon anlässlich der Beratung der Regierungs-
vorlage zum Staatsgerichtshofgesetz in der Landtagssitzung vom 4. November
1925, als die fünfjährige Amtsdauer des Staatsgerichtshofes zur Diskussion stand:
«5 Jahre wurden festgesetzt, um den besonderen Karakter dieser Institution über
anderen Einrichtungen zu betonen.» Zitiert nach Herbert Wille, Normenkontrolle,
S. 45.
30 Zum «liechtensteinischen Modell» der Verfassungsgerichtsbarkeit siehe Wolfram
Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 24 f. und 129 f. mit
weiteren Literaturhinweisen.
603
Entstehung und verfassungsrechtlicher Status
des-Verfassungsgesetz vom 1. Oktober 1920, so stimmt der Staatsge-
richtshof, so wie er seine nähere Ausprägung im Staatsgerichtshofgesetz
von 1925 und 2003 erhalten hat,?! mit ihm darin überein, dass er eben-
falls ein selbständiges (Verfassungs-)Gericht ist, sodass in diesem
Zusammenhang von «konzentrierter» Verfassungsgerichtsbarkeit die
Rede ist.” Der Staatsgerichtshof unterscheidet sich vom österreichischen
Verfassungsgerichtshof aber insoweit, als er wie das deutsche Bundes-
verfassungsgericht gegenüber den anderen «Fachgerichten», d.h.
ordentlichen Gerichten? und Verwaltungsgerichtshof**, nicht nur eigen-
ständig, sondern ihnen «sachlich und funktionell» übergeordnet ist. So
werden enderledigende* letztinstanzliche” Entscheidungen der Fachge-
richte, die die Verfassung bzw. Grundrechte verletzen, auf Antrag des
Beschwerdeführers vom Staatsgerichtshof aufgehoben, der ihnen gege-
benenfalls aufträgt, in der Sache neuerlich zu entscheiden.?®
Dieses Konzept der Verfassungsgerichtsbarkeit geht ganz vom
Vorrang der Verfassung aus, der durch ein eigenes Organ, den Staatsge-
richtshof, gesichert wird.” Es hebt ihn von anderen Gerichten ab. Seine
Stellung ist denn auch eine andere als diejenige der anderen Gerichte,
31 Siehe LGBl. 1925 Nr. 8 und LGBl. 2004 Nr. 32.
32 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 28 f. mit weiteren Literatur-
hinweisen; für das deutsche Bundesverfassungsgericht Matthias Jestaedt, Phänomen
Bundesverfassungsgericht, S. 112, der es als «konzentriertes und isoliertes Verfas-
sungsgericht» bezeichnet.
33 Siehe Art. 97 ff. LV und Art. 1 Gerichtsorganisationsgesetz (GOG).
34 Siehe Art. 102 LV und Art. 1 ff. LVG i. d. F. LGBl. 2004 Nr. 33.
35 Vgl. für das deutsche Bundesverfassungsgericht Ernst-Wolfgang Böckenförde, Ver-
fassungsgerichtsbarkeit, S. 14.
36 Siehe Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 557 ff.; Peter Bussjäger,
Enderledigende Entscheidung, S. 83 ff.
37 Siehe Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 562 ff. und Wolfram Höf-
ling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, 5. 57 ff.
38 Siehe Art. 15 und 17 SEGHG und zum Begriff der «öffentlichen Gewalt» Tobias
Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 127 und 696. Wolfram Höfling, Die Ver-
fassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 129 bezeichnet die Zulassung der
Individualbeschwerde gegen «Endentscheidungen» nicht nur des Verwaltungsge-
richtshofes (vormals: Verwaltungsbeschwerde-Instanz), sondern auch des Obersten
Gerichtshofes als «wesentliche und wegweisende Fortentwicklung des österrei-
chischen Systems der Verfassungsgerichtsbarkeit». Er verweist diesbezüglich auf
StGH 1995/28, Urteil vom 24. Oktober 1996, LES 1/1998, 5. 6 (11).
39 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 14.
604
Verfassungsrechtliche Stellung
d. h. der ordentlichen Gerichte und des Verwaltungsgerichtshofs. Diese
Aussage trifft auf den österreichischen Verfassungsgerichtshof nicht zu,
da er den anderen Gerichten «nebengeordnet» ist. Er wird demzufolge
ım Schrifttum als ein «Höchstgericht» unter «drei gleichberechtigten
Höchstgerichten» bezeichnet.*! Deutlich wird diese gegenüber den
anderen Gerichten herausgehobene Stellung des Staatsgerichtshofes in
seiner Doppelfunktion als Gericht und als Verfassungsorgan.
II. Gericht
1. Gerichtsqualität
Die Gerichtsqualität des Staatsgerichtshofes lässt sich eindeutig der Ver-
fassung und dem Staatsgerichtshofgesetz entnehmen. Dafür sprechen die
systematische Einordnung unter der Gerichtsbarkeit in der Verfassung
und die Ausgestaltung im Staatsgerichtshofgesetz, aus dem sich insbe-
sondere die gerichtsförmige Organisation und Verfahrensweise sowie
die Antragsgebundenheit bzw. -abhängigkeit* und Nachträglichkeit sei-
ner Entscheidungen ergibt, die für die Gerichtseigenschaft stehen. Der
Staatsgerichtshof übt rechtsprechende Gewalt aus, die einem aus fünf
Richtern bestehenden Spruchkörper anvertraut ist,“ der nur der Verfas-
sung und dem Gesetz unterworfen ist.‘ Der Staatsgerichtshof versteht
sich auch selbst als Gericht, indem er seine Tätigkeit als Rechtsprechung
charakterisiert.® Er sieht sich «in die im positiven Recht verankerten
40 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 14.
41 Matthias Jestaedt, Phänomen Bundesverfassungsgericht, S. 112. Vgl. auch BuA
Nr. 45/2003 der Regierung vom 12. August 2003, S. 44, wo die Regierung ausführt,
dass der Staatsgerichtshof «nur eines von drei Höchstgerichten» ist. Diese Ansicht
entspricht aber nicht dem liechtensteinischen, sondern dem österreichischen Modell
der Verfassungsgerichtsbarkeit. Darauf weist auch Tobias Michael Wille, Verfas-
sungsprozessrecht, S. 47 Fn. 140 hin, der festhält, dass der Staatsgerichtshof «obers-
tes Jurisdiktionsorgan>» ist. So schon Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 37.
42 Siehe Art. 18, 20, 22, 25, 27, 28, 29 SIGHG.
43 Siehe Art. 105 LV und Art. 1 Abs. 2 SSGHG.
44 Siehe Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 75 ff.
45 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 45 f.; Wolfram Höfling, Die
Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 31 f.; Herbert Wille, Verfassungs-
gerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 46 f.
605
Entstehung und verfassungsrechtlicher Status
Aufgaben der Rechtsprechung» eingebunden.“ Zählt zur rechtsprechen-
den Gewalt generell die Aufgabe, das Recht zu gewährleisten, so ist es
speziell die Aufgabe des Staatsgerichtshofes, den Vorrang der Verfassung
zu sichern.“ In seiner Rolle und Funktion als «Hüter der Verfassung»*
kontrolliert er den Gesetzgeber am Massstab der vorrangigen Verfas-
sung. Dabei gebührt ihm bei der Auslegung der Verfassung das «letzte
Wort», d. h. er bestimmt den Rahmen, den die Verfassung dem Gesetz-
geber zieht.
2. Abgrenzungen
Der Staatsgerichtshof betrachtet sich gegenüber den anderen Gerichten
nicht als «Superrevisionsgericht». Seine Kontrollkompetenz ist entspre-
chend seinem Amt als Verfassungsgericht begrenzt.” Bei der Prüfung
«fachgerichtlicher» Entscheidungen stehen ihm nur verfassungsrechtli-
che Massstäbe zur Verfügung, sodass er ihre Auslegung der einfachen
Gesetze zu respektieren hat. Der Staatsgerichtshof nimmt grundsätzlich
nicht nochmals eine weitere instanzenmässige, tatsächliche und rechtli-
che Prüfung des Streitgegenstandes vor.5!
46 StGH 1982/65 V, Urteil vom 15. September 1983, LES 1984, 5. 3 f.
47 Vel. Reinhold Zippelius/ Thomas Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 518 Rz. 25.
48 Diese Bezeichnung findet sich etwa in StGH 2007/118, Urteil vom 30. Juni 2008,
Erw. 3 (im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>); STGH 2011/197,
Urteil vom 14. Mai 2012, Erw. 6.2 (im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsent
scheide.li>). Vgl. auch Josef Kühne, Zur Struktur des liechtensteinischen Rechtes,
S. 396. Kritisch zu dieser Benennung Gerd Roellecke, Institutionelle Gewähr der
Verfassung, S. 502 Rz. 32 im Zusammenhang mit dem deutschen Bundesverfassungs-
gericht, indem er bemerkt: «Eine Institution, die die Grundrechtsstruktur ändert
oder ein neues Grundrecht erfindet, <hütet die Verfassung doch nicht.» Den Kern
des unlösbaren Problems sieht er in der «Legitimationsschwäche von Verfassungsge-
setzen». Siehe aus liechtensteinischer Sicht zum Willkürverbot als ungeschriebenes
Grundrecht StGH 1998/45, Urteil vom 22. Februar 1999, LES 1/2000, 5. 1 (6) und
dazu Hugo Vogt, Das Willkürverbot und der Gleichheitsgrundsatz, S. 336 ff.
49 Das deutsche Bundesverfassungsgericht hält sich nach BVerfGE 40, 88 (93 f.) für
den «massgeblichen Interpreten und Hüter der Verfassung», für die «verbindliche
Instanz in Verfassungsfragen>.
50 Siehe hinten S. 678 ff.
51 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 51 f. mit zahlreichen Recht-
sprechungshinweisen und Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum
Staatsgerichtshof, S. 166 ff.
606
Verfassungsrechtliche Stellung
Der Staatsgerichtshof übt dem Gesetzgeber gegenüber eine «verfas-
sungsgerichtliche Zurückhaltung» aus, da dem Gesetzgeber ein eigen-
ständiger Verantwortungsbereich zur Verfassungsentfaltung zusteht,
sodass der Staatsgerichtshof, wie er selber zu verstehen gibt, nur dann
korrigierend eingreift, «wenn der Gesetzgeber den Rahmen seiner
Gestaltungsfreiheit verlässt und Grundrechte verletzt». Würde er anders
verfahren, «bedeutete dies eine Verschiebung seiner Kontrollfunktion in
Richtung von Gestaltungen, die dem Gesetzgeber vorbehalten sind.
Falls der Gesetzgeber indessen seine Gestaltungsfreiheit überschreitet
und Grundrechte verletzt, entspricht es der Funktion des Staatsgerichts-
hofes insbesondere zum Schutze der verfassungsmässig gewährleisteten
Rechte einzugreifen (Art. 104 LV)». Dem entspricht auch, wenn er sich
im Normenkontrollverfahren lediglich als «negativer Gesetzgeber»
begreift und verfassungswidrige Gesetze aufhebt.** Für ein solches Rol-
lenverständnis sprechen demnach «Gründe organadäquater Funktio-
52 Vgl. Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein,
S. 49 ff.; Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 36 f. Kritisch bzw. ablehnend
äussert sich zu einem solchen Rollenverständnis Werner Heun, Verfassungsord-
nung, S. 216. Er hält das Konzept richterlicher Zurückhaltung bzw. «Selbstzurück-
haltung» unter dem Grundgesetz nicht als anwendbar. Richterliche «Selbstzurück-
haltung» werde als «Selbstermächtigung» betrachtet, die verfassungsrechtlich ver-
boten sei. Kompetenzausübung sei Verfassungsorganen nicht freigestellt. Das
(Verfassungs-)Gericht dürfe sich daher nicht auf eine «political question doctrine>»
stützen. Entweder verbiete die Verfassung eine bestimmte Massnahme und dann
müsse das Gericht sie für verfassungswidrig erklären. Oder die Verfassung verbiete
sie nicht, dann sei auch das Gericht nicht ermächtigt, sie für nichtig zu erklären.
53 StGH 2006/5, Urteil vom 3. Juli 2006, S. 14 mit weiteren Rechtsprechungshinwei-
sen (im Internet abrufbar unter: <www.stgh.li>) und StGH 2006/90, Beschluss vom
4. Dezember 2006, nicht veröffentlicht, S. 10; StGH 2011/17, Urteil vom 1. Juli
2011, Erw. 2.2 (im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>). Das Rol-
lenverständnis des Staatsgerichtshofs kommt auch hinten S. 668 ff. und 678 ff. zur
Sprache. Zum «judicial self-restraint» aus deutscher Sicht siehe BVerfGE 36,
1 (13 f.); dieser bedeute «den Verzicht, Politik zu betreiben, d. h. in den von der Ver-
fassung geschaffenen und begrenzten Raum freier politischer Gestaltung einzugrei-
fen». Zur österreichischen Verfassungslage siehe Peter Oberndorfer / Britta Wagner,
Gesetzgeberisches Unterlassen, S. 436. Danach wird der Verfassungsgerichtshof in
der Literatur ganz allgemein als - lediglich — negativer Gesetzgeber bezeichnet, dem
jedwede positive Normierungsbefugnis abgeht.
54 Siehe zum Staatsgerichtshof als negativen Gesetzgeber und in der Funktion als
«Ersatzgesetzgeber» Herbert Wille, Probleme des gesetzgeberischen Unterlassens,
S. 452 ff.
607
Entstehung und verfassungsrechtlicher Status
nenteilung bzw. funktionell-rechtliche Erwägungen». Wo die Grenz-
linie der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit bzw. des «rechtspoliti-
schen Gestaltungsspielraums»* verläuft, legt letztlich der Staatsgerichts-
hof fest. Sie hängt vom materiellen Prüfungsmassstab ab, den der jewei-
lige verfassungsrechtliche Sachbereich bestimmt.
Der Staatsgerichtshof ist nicht «Herr des Verfahrens» und kann für
sich auch nicht eine «Verfahrensautonomie» beanspruchen.” «Herr des
Verfahrens» kann nur der Gesetzgeber sein, der die Verfahrensregeln
festlegt, nicht das Gericht, das diese Regeln anwenden soll.5s Wolfram
Höfling® macht in diesem Zusammenhang auf die «kompetentielle Ein-
bindung» des Staatsgerichtshofes aufmerksam. Bei der Geschäftsord-
nung“ kann es sich lediglich um Vorschriften für die innere Organisa-
tion und Verwaltung sowie für den internen Geschäftsgang des Staatsge-
richtshofes handeln. Der Staatsgerichtshof besitzt keine autonome
Regelungsbefugnis zur normativen Verfahrensgestaltung, sodass die
Geschäftsordnung weder fehlendes Verfahrensrecht ersetzen noch den
äusseren Verfahrensgang und die Rechte der Verfahrensbeteiligten oder
Dritter regeln kann.*!
Aus der Tatsache, dass der Staatsgerichtshof nicht von sich aus ini-
tiativ werden, sondern nur nachträglich kontrollieren kann, folgt nicht
notwendigerweise, dass er nur reagieren und nicht auch gestaltend auf
die Rechtsordnung Einfluss nehmen kann. Dies ist insbesondere dann
der Fall, wenn seine Entscheidungen nach Art. 54 SEGHG allgemein
verbindliche Wirkung entfalten. Auch durch eine kontinuierliche Recht-
55 Reinhold Zippelius/Thomas Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 521 Rz. 42.
56 In dieser Formulierung beispielsweise in SEGH 2008/26 und 27, Entscheidung vom
30. März 2009, Erw. 4 (im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>).
57 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 58 f.
58 So Christoph Möllers, Legitimation des Bundesverfassungsgerichts, S. 292.
59 Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 35. Kri-
tisch aus deutscher Sicht auch Werner Heun, Verfassungsordnung, S. 195, der fest-
hält, dass die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, wonach es sich als «Herr des
Verfahrens» versteht, «ausserordentlich zweifelhaft und problematisch» sei, da
Art. 92 GG das Bundesverfassungsgericht als «ein Element der Gerichtsbarkeit
(qualifiziert), das Rechtsprechungsfunktionen ausübt. Vielmehr als das Gericht ist
es stattdessen die Verfassung, die über den Verfassungsorganen steht.»
60 Der Staatsgerichtshof hat sich bis heute noch keine Geschäftsordnung gegeben.
61 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 37 ff. unter Bezugnahme auf
Herbert Wille, Normenkontrolle, 5. 118 f.
608
Verfassungsrechtliche Stellung
sprechung kann der Staatsgerichtshof als Letztinterpret der Verfassung
«mehr als bloss punktuell intervenieren»,® gilt doch die Verfassung in
der Praxis so, wie er sie auslegt.® Dem Staatsgerichtshof steht es aber aus
der für sich reklamierten «verfassungsrechtlichen Leitfunktion»* nicht
zu, eine eigenständige Erweiterung von Kompetenzen vorzunehmen.®
III. Staats®- bzw. Verfassungsorgan
1. Allgemeines
Die Verfassung hat den Staatsgerichtshof als Gerichtshof des öffentli-
chen Rechts instituiert, der über die ihm von ihr zugewiesenen Verfas-
sungsstreitigkeiten entscheidet (Art. 104 LV). Das Staatsgerichtshofge-
setz bestimmt seine Stellung im Verhältnis zu den übrigen Verfassungs-
organen und bezeichnet ihn als einen ihnen gegenüber selbständigen und
unabhängigen Gerichtshof (Art. 1 Abs. 1), wobei es diese Konzeption
dem deutschen Bundesverfassungsgerichtsgesetz entlehnt hat.” Es stellt
damit, auch wenn der Hinweis nur indirekt erfolgt, klar, dass der Staats-
gerichtshof ein Verfassungsorgan ist und eine andere verfassungsrechtli-
che Stellung einnimmt als die anderen Gerichte, die als Organe der
Rechtspflege (Gerichtsbarkeit) nicht zu den Verfassungsorganen gerech-
net werden. Sie fungieren als Rechtsanwendungsorgane bei der Streit-
erledigung und haben somit nicht wie der Staatsgerichtshof Entschei-
62 Christian Hillgruber / Christoph Goos, Verfassungsprozessrecht. S. 2 f. Rz. 5.
63 So für Deutschland Oliver Lepsius, Die massstabsetzende Gewalt, S. 163.
64 Diesen Begriff verwendet der Staatsgerichtshof beispielsweise in StGH 1995/20,
Urteil vom 24. Mai 1996, LES 1/1997, S. 30 (38) und StGH 1997/40, Urteil vom
2. April 1998, LES 2/1999, S. 87 (89). Vgl. auch Herbert Wille, Verfassungsgerichts-
barkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 44 ff.
65 Vgl. Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 296 ff.; Tobias Michael Wille, Verfassungs-
prozessrecht, S. 58; Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsge-
richtshof, S. 34 f. In StGH 1995/20, Urteil vom 24. Mai 1996, LES 1/1997, S. 30
(S. 38 Erw. 4.5) begründet der Staatsgerichtshof beispielsweise die Kompetenz-
erweiterung aus dem Titel seiner «Leitfunktion».
66 Vgl. zu dieser Bezeichnung Otto Ludwig Marxer im Titel seiner Dissertation, die
sich mit der Organisation der obersten «Staatsorgane» auseinandersetzt.
67 BuA Nr. 45/2003 der Regierung vom 12. August 2003, S. 31; vgl. auch Tobias
Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 46.
609
Entstehung und verfassungsrechtlicher Status
dungen zu treffen, denen auch die anderen Gerichts- und Verwaltungs-
behörden unter Einschluss des Gesetzgebers unterworfen sind. Sie sind
nicht befugt, Gesetze als verfassungswidrig aufzuheben. Die institutio-
nelle Verselbständigung des Staatsgerichtshofes, die umfangreichen
Kompetenzen sowie die sachliche und organisatorische Unabhängigkeit
des Staatsgerichtshofes als Verfassungsgericht machen seine Sonderstel-
lung aus, die den Status eines Verfassungsorgans erklärt.®
2. Begriff — Verfassungsorganqualität
Die begriffliche Klassifizierung des Staatsgerichtshofes als Verfassungs-
organ folgt der deutschen Lehre und Rechtsprechung zum Status des
Bundesverfassungsgerichts, die aus Gründen der Vergleichbarkeit auch
für den Staatsgerichtshof zutreffend ist und übernommen werden
kann.® Danach sind Verfassungsorgane diejenigen obersten Staatsor-
gane, die «eigenständige Inhaber eines nicht unwesentlichen Ausschnitts
aus der verfassungsrechtlich konstituierten Staatsgewalt» sind.”° Zu
ihnen gehören aber nur diejenigen Staatsorgane, die in der Verfassung
mit besonderer Autorität ausgestattet sind, «deren Entstehen, Bestehen
und verfassungsmässige Tätigkeit erst recht eigentlich den Staat konsti-
tuieren und seine Einheit sichern»./! Diesen Voraussetzungen eines Ver-
fassungsorgans entspricht der Staatsgerichtshof,”? dessen weit gefasste
verfassungsgerichtliche Kompetenzen in der Verfassung verankert
sind.’* Der Begriff «Verfassungsorgan» dient nach Wolfram Höfling der
68 Vgl. Matthias Jestaedt, Phinomen Bundesverfassungsgericht, S. 106 f.
69 Vgl. Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 33 f.;
Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, 5. 46 f.
70 Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. IT, S. 42.
71 Gerhard Leibholz, Der Status des Bundesverfassungsgerichts, S. 45.
72 Vgl. Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 33, der
auf die Entstehungsgeschichte des Staatsgerichtshofes und der Verfassung von 1921
hinweist. Vgl. auch Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum
Liechtenstein, S. 18 ff.
73 Siehe StGH 1982/37, Urteil vom 1. Dezember 1982, LES 4/1983, S. 112, wo der
Staatsgerichtshof ausführt: «Die Zuständigkeit des Staatsgerichtshofes ist in Art. 104
der Verfassung verfassungsmässig umschrieben, dessen Funktionen sind darin ab-
schliessend aufgezählt.» Nach Peter Häberle, Bundesverfassungsgericht, S. 316 ver-
610
Verfassungsrechtliche Stellung
«funktionell-rechtlichen Relationierung» des Auftrags, den die Verfas-
sung dem Staatsgerichtshof zugewiesen hat.”*
Der Status eines Verfassungsorgans beinhaltet jedoch nicht mehr
als eine «zusammenfassende Beschreibung» der Zuständigkeiten und
Funktionen, die sich aus den Aufgaben und Befugnissen ergibt, die die
Verfassung dem Staatsgerichtshof übertragen hat.” Sie können weder
abgeändert noch erweitert werden.’® Das heisst, dass diese Qualität als
Verfassungsorgan dem Staatsgerichtshof keinen zusätzlichen Kompe-
tenztitel verschafft.”
3. Staatsleitung
Die Frage, ob dem Staatsgerichtshof ein Anteil an der Staatsleitung
zukommt, lässt sich klären, wenn man das deutsche Bundesverfassungs-
gericht in den Blick nimmt. In der deutschen staats- und verfassungs-
rechtlichen Literatur wird sie kontrovers diskutiert. Unbestritten ist,
dass verfassungsgerichtliche Entscheidungen weitreichende politische
Wirkungen erzielen können. Dies kann zwar auch auf Entscheidungen
anderer Gerichte zutreffen. Sie beziehen sich aber auf den Einzelfall und
binden weder alle Behörden des Landes und der Gemeinden noch alle
Gerichte. Zudem sind Normenkontrollentscheidungen des Staatsge-
richtshofes allgemein verbindlich.’®
Es wird nach überwiegender Ansicht dem deutschen Bundesver-
fassungsgericht ein Anteil an der politischen Staatsleitung zugebilligt.
Die Rede ist von einem begrenzten Anteil, da es wie der liechtensteini-
sche Staatsgerichtshof nicht von sich aus tätig werden und Hoheitsakte
langt die Verfassungsorganqualität als Merkmal selbständiger Verfassungsgerichts-
barkeit, dass die wichtigsten Kompetenzen in der Verfassung enthalten sind.
74 Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 34.
75 Vsl. für die deutsche Verfassungslage Klaus Schlaich/Stefan Korioth, Bundesver-
fassungsgericht, S. 22 Rz. 33; Hans Hugo Klein, Gedanken zur Verfassungsge-
richtsbarkeit, S. 1135 f.; Ernst Benda/ Eckart Klein/ Oliver Klein, Verfassungspro-
zessrecht, S. 43 f. Rz. 100.
76 Vsl. Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 296 f.
77 Vgl. Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 34.
78 Art. 54 StGHG.
611
Entstehung und verfassungsrechtlicher Status
anderer Staatsorgane nur kontrollieren kann.” Es wird auch eingewen-
det, dass Funktionen der Staatsleitung, wie sie der Gesetzgeber und die
Regierung wahrnehmen, nur «eigeninitiativ denkbar» sind und der
Staatsgerichtshof ein Gericht ist,® das in einem eigenen, für ihn vorgese-
henen gerichtlichen Verfahren seine Entscheidungen ausschliesslich am
Massstab der Verfassung trifft und auch treffen muss, wenn es angerufen
wird. Solche Entscheidungen liegen gleichwohl auf der «Ebene der
Staatsleitung», zählt doch zu ihr in einem Verfassungsstaat auch die
Bewahrung der Verfassung, «die Grundlage und Rahmen staatlicher
Tätigkeit ist».%
Stellt man vorwiegend auf die Entscheidungswirkung ab, die
staatspolitisches Gewicht haben kann, ist eine Teilhabe an der Staatslei-
tung nicht auszuschliessen. Eine originäre politische Gestaltungskraft ist
aber dem Staatsgerichtshof abzusprechen.®
79 Vsl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 57 unter Bezugnahme auf
Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland,
$. 241 Rz. 566.
80 Christoph Möllers, Legitimation des Bundesverfassungsgerichts, S. 359, der auf-
grund der Gerichtseigenschaft dem Bundesverfassungsgericht keine staatsleitenden
Kompetenzen zugesteht. Vgl. auch Klaus Schlaich, Verfassungsgerichtsbarkeit im
Gefüge der Staatsfunktionen, S. 116 Fn. 56, der gegenüber einer Staatsleitung
Bedenken äussert.
81 Der Staatsgerichtshof trifft beispielsweise auch die «letztverbindliche Wertentschei-
dung», wenn es um die Frage geht, was als Verfassungsrecht im materiellen Sinn
bzw. als verfassungsmässig gewährleistetes Recht gemäss Art. 104 Abs. 1 IV gilt.
Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 71.
82 Christian Starck, Bundesverfassungsgericht in der Verfassungsordnung, S. 5.
83 Nach Hans-Jürgen Papier, Bundesverfassungsgericht, S. 223 kann unter den dort
genannten Bedingungen dem Bundesverfassungsgericht eine «Teilhabe an der poli-
tischen Staatsleitung» zukommen.
612
2. Abschnitt
Wahl und Organisation des Staatsgerichtshofes
645 WAHL
I. Richterauswahl- und Richterbestellungsverfahren
1. Kreationsorgane
Da die Richter des Staatsgerichtshofes staatliche Hoheitsgewalt ausüben,
bedürfen sie der staatlichen Legitimation, die durch den Rückbezug auf
den Träger der Staatsgewalt, Fürst und Volk bzw. an dessen Stelle der
Landtag, begründet wird.* Sie bilden die Kreationsorgane des Staatsge-
richtshofes.® Im Ausnahmefall tritt das Stimmvolk an die Stelle des
Landtages, wenn im Auswahlverfahren keine Einigung über den vorge-
schlagenen Kandidaten zwischen dem Richterauswahlgremium bzw.
dem Landesfürsten® und dem Landtag erzielt wird.® Als Gesetzgeber
unterliegen die Kreationsorgane der verfassungsgerichtlichen Kontrolle
durch den Staatsgerichtshof, die ihren Entscheidungsspielraum nachhal-
tig beeinflussen kann.’ Es versteht sich auch aus diesem Grund, dass sie
84 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 15 zur «Notwen-
digkeit der demokratischen Legitimation» der Verfassungsgerichtsbarkeit, hier aus
der demokratisch-rechtsstaatlichen Sicht.
85 Bis zur Verfassungsrevision von 2003 erfolgte die Wahl der Mitglieder des Staatsge-
richtshofes durch den Landtag. Lediglich die Wahl des Präsidenten unterlag nach
Art. 105 LV 1921 der landesfürstlichen Bestätigung, die Art. 4 Abs. 4 SIGHG 1925
auch auf seinen Stellvertreter erstreckte.
86 Das Richterauswahlgremium kann gemäss Art. 96 Abs. 1 LV dem Landtag nur einen
Kandidaten empfehlen, der die Zustimmung des Landesfürsten erhalten hat. Siehe
Näheres dazu hinten S. 617 ff.
87 Siehe Art. 96 Abs. 2 LV.
88 Zum Verhältnis des Staatsgerichtshofes zum Gesetzgeber siehe hinten S. 665 ff.
613
Wahl und Organisation des Staatsgerichtshofes
die Auswahl bzw. die Bestellung der Richter des Staatsgerichtshofes vor-
nehmen. Sie stellt eine «politische» Entscheidung dar, die von «politi-
schen» Organen getroffen wird.®
2. Qualifikation der Richter -— Wählbarkeitsvoraussetzungen
Verfassung” und Staatsgerichtshofgesetz?! schreiben vor, dass von den je
fünf Richtern und Ersatzrichtern mindestens drei Richter und drei
Ersatzrichter rechtskundig sein müssen. Der Präsident, der stellvertre-
tende Präsident und ein weiterer Richter und drei Ersatzrichter müssen
überdies das liechtensteinische Staatsbürgerrecht besitzen und zum
Landtag wählbar sein.” Es können auch ausländische Personen zu Rich-
tern bestellt werden.® So handelt es sich, wie es Staatspraxis ist, bei den
restlichen zwei Richtern und Ersatzrichtern um Personen österrei-
chischer und schweizerischer Nationalität.* Sie sind in der Regel Voll-
89 Vgl. Hans Hugo Klein, Verfassungsrichterwahlen, S. 68.
90 Siehe Art. 105 i. V. m. Art. 102 Abs. 1 LV.
91 Siehe Art. 1 Abs. 3 und Art. 3 Abs. 5 SIGHG, der als Bestellungsvoraussetzung die
«Wählbarkeit in den Landtag» nennt. Nach Art. 1 Abs. 1 VRG sind aktiv und pas-
siv wahl- und stimmberechtigt alle Landesangehörigen, die das 18. Lebensjahr voll-
endet und seit einem Monat vor der Wahl oder Abstimmung im Lande ordentlichen
Wohnsitz (Art. 32 ff. PGR) haben.
92 Es gelten für die Ersatzrichter entsprechend dem Grundsatz des ordentlichen bzw.
gesetzlichen Richters die gleichen Anforderungen wie für die ordentlichen Richter.
93 Siehe zu den Gründen der ausländischen Besetzung des Staatsgerichtshofes Tobias
Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 76.
94 Die «Wählbarkeit in den Landtag» gemäss Art. 3 Abs. 5 StGHG schliesst den
Wohnsitz im Lande ein, was bei den ausländischen Richtern in der Regel nicht
zutrifft. Es müsste dementsprechend das Staatsgerichtshofgesetz geändert und nicht
nur von der Staatsbürgerschaft, sondern auch vom Wohnsitz abgesehen werden, wie
dies in der Praxis bei ausländischen Richtern der Fall ist. Mit der Wohnsitzfrage
hatte sich schon unter der alten Rechtslage der Staatsgerichtshof zu befassen. Art. 4
Abs. 3 SIGHG 1925 lautete nahezu gleich wie der heute geltende Art. 3 Abs. 5 Satz
1 SEGHG 2003. Der Staatsgerichtshof hält in seinem Gutachten vom 25. September
1931 fest, dass zu einer gültigen Wahl eines Mitglieds des Staatsgerichtshofes der
Wohnsitz im Inlande nicht notwendig ist. Er beruft sich in der Begründung auf die
Verfassung und das Staatsgerichtshofgesetz, die die Wählbarkeit von Ausländern in
den Staatsgerichtshof zulassen und führt dann in pragmatischem Sinne wie folgt
weiter aus: «Da ferner der Gesetzgeber nicht annehmen konnte, dass zum Richter-
amt geeignete Ausländer im Inlande selbst zu finden sind, da weiters Ausländer in
Liechtenstein kein politisches Wahl- und Stimmrecht haben und weil endlich Art. 4
614
Wahl
juristen, wie dies heute auf alle Richter des Staatsgerichtshofes zutrifft.
Gesetzlich ist zwar nur von «Rechtskundigkeit»® die Rede, die als Qua-
lifikation von drei Richtern und Ersatzrichtern verlangt wird.
Fest steht, dass der Verfassung- und Gesetzgeber auch nach der
Verfassungsrevision von 2003 und dem in der Folge erlassenen Staatsge-
richtshofgesetz an Laien als Richter festhält, wobei unter Laienrichtern
Personen ohne spezifisch juristische Ausbildung, d. h. Nichyjuristen, zu
verstehen sind.® Die Laienmitwirkung im Staatsgerichtshof war bisher
schon in der Verfassung vorgesehen.” Ihr liegt aus verfassungsgeschicht-
licher Sicht ohne Zweifel der Gedanke der demokratischen Partizipation
zugrunde. Hätten die Laienrichter im Spruchkörper allerdings das Über-
gewicht, könnte sich dies, so der Staatsgerichtshof, im Einzelfall als pro-
blematisch erweisen, wenn sie sich «wichtigen rechtlichen Überlegungen
der rechtskundigen Richter geradezu verschliessen sollten». Da die
Richtermehrheit rechtskundig sein muss, ist nach seiner Ansicht ge-
währleistet, «dass alle wesentlichen juristischen Beurteilungskriterien in
die Urteilsberatung einfliessen können».®
Nicht zu übersehen ist jedoch, dass an den Begriff der Rechtskun-
digkeit, wie ihn die Verfassung versteht, keine allzu hohen Anforderun-
gen gestellt werden dürfen. Er setzt nicht schon eine abgeschlossene
Abs. 3 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof für alle Mitglieder des Staatsge-
richtshofes einheitliche Voraussetzungen ihrer Wählbarkeit festsetzt, so können die
Bestimmungen des Art. 2 des Gesetzes vom 31. August 1922 LGBl. Nr. 28 (Wohn-
sitz) nur soweit Anwendung finden, als sie auf Inländer und Ausländer in gleicher
Weise angewendet werden können.» Dieser Auffassung entspricht, wie der Staats-
gerichtshof darauf hinweist, die Praxis, wonach auch der frühere Präsident des
Staatsgerichtshofes, Dr. Emil Beck, «seinen Wohnsitz nicht im Inlande, sondern in
Bern» hatte. Siehe ELG 1931, S. 27 (28 und 29).
95 Zu diesem Begriff hat sich der Staatsgerichtshof in einem Gutachten vom 18. Juli
1953, ELG 1947 bis 1954, S. 274 ff. in dem Sinne geäussert, dass rechtskundig Per-
sonen sind, «die der im Lande bestehenden Rechtsvorschriften in vollem Umfange
mächtig sind, ohne ein abgeschlossenes Studium an einer Lehranstalt nachweisen zu
müssen».
9% Vgl. auch SEGH 2004/63, Urteil vom 9. Mai 2005, LES 2/2006, S. 115 (122) mit wei-
teren Hinweisen; siehe zu den Laienrichtern in der Kollegialgerichtsbarkeit auch die
Ausführungen von Karl Kohlegger, Von den Aufgaben der Rechtsordnung, S. 46, die
allerdings auf einen Richter des Staatsgerichtshofes nicht übertragen werden können.
97 Siehe Art. 105 LV 1921.
98 StGH 2004/63, Urteil vom 9. Mai 2005, LES 2/2006, S. 115 (122) zur Frage der Lai-
enrichter in «reinen Rechtsinstanzen».
615
Wahl und Organisation des Staatsgerichtshofes
juristische Ausbildung voraus.” Es handelt sich nach Otto Ludwig Mar-
xer, der auf die Entstehungsgeschichte Bezug nimmt, um einen «weiten
Begriff». Es sei «mit Absicht» «eine steife, engere Forderung (z. B. eines
juridischen Doktorates oder einschlägiger Staatsprüfung) vermieden»
worden, «so dass jeder, der nach Ansicht des Landtages <rechtskundig>
ist, also eventuell auch ein Autodidakt oder eine Person, die in der
Staatspraxis Gesetzeskenntnis bewiesen hat, dieser Forderung Genüge
leistet.»1% Dieses Begriffsverständnis erklärt sich aus der damaligen per-
sonellen Ressourcenknappheit. Geeignete bzw. qualifizierte Persönlich-
keiten liessen sich insbesondere aufgrund der Nationalitätsvorschrift!9!
für den Staatsgerichtshof nicht leicht rekrutieren.
Die Rechtskundigkeit als Qualifikationserfordernis hat auch Ein-
gang in die Verfassungsnovelle und das Staatsgerichtshofgesetz aus dem
Jahre 2003 gefunden. Es ist unverändert und kommentarlos tradiert
worden, obwohl schon der Staatsgerichtshof in seinem Gutachten vom
18. Juli 1954 die «mangelnde gesetzliche Definition» kritisiert und
darauf hingewiesen hat, es obliege der Gesetzgebung, «diesem Mangel
abzuhelfen». Geht man von den fachlichen Anforderungen, dem Anfor-
derungsprofil, aus, die die Verfassung und das Staatsgerichtshofgesetz
heute an einen Richter stellen, muss man sich fragen, ob sie der Stellung
und Bedeutung des Staatsgerichtshofes gerecht werden.!® Daran ändert
auch die Tatsache nichts, dass in jüngerer Zeit gemäss Staatspraxis Voll-
juristen in den Staatsgerichtshof bestellt werden, die imstande sind, das
Richteramt sachentsprechend auszuüben. Der Staatsgerichtshof ist das
höchste Rechtsprechungsorgan in Verfassungsfragen. Seine Aufgaben
sind juristischer Natur.!®
99 So der Staatsgerichtshof in seinem Gutachten vom 18. Juli 1953, ELG 1947 bis 1954,
5.274 ff.
100 Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, S. 88.
101 Siehe Art. 105 LV 1921 und dazu Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obers-
ten Staatsorgane, S. 87 f.
102 So muss nach geltender Rechtslage nicht einmal der Präsident des Staatsgerichtsho-
fes rechtskundig sein. Siehe dazu Art. 105 i. V. m. Art. 102 Abs. 1 LV 2003. Otto
Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, S. 88 kritisierte schon
1924 eine solche Regelung. Siehe zum Vergleich der Qualifikationsanforderungen
an Verfassungsrichter Art. 147 Abs. 3 B-VG und $ 3 BVerfGG.
103 Vgl. Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. II, S. 360 zu den ursprünglichen Entwürfen in
Bezug auf die deutschen Verfassungsrichter. Der Staatsgerichtshof hat in StGH
616
Wahl
3. Richterauswahlgremium
a) Aufgabe und Zusammensetzung
Das Richterauswahlgremium hat zur Aufgabe, die Beurteilung und Aus-
wahl der Kandidaten zu treffen, die für eine Richterstelle, so auch für
eine beim Staatsgerichtshof,!* in Betracht kommen.!® Ihm gehören der
Landesfürst als Vorsitzender, je ein Abgeordneter von jeder im Landtag
vertretenen Wählergruppe, das für die Justizverwaltung!® zuständige
Regierungsmitglied sowie eine den Landtagsvertretern entsprechende
Anzahl weiterer Mitglieder an, die der Landesfürst nach jeder Landtags-
wahl für die Mandatsdauer des Landtages beruft.!” Es steht jedem Mit-
glied des Gremiums das Recht zu, für Richterstellen, die nicht öffentlich
ausgeschrieben werden, wie dies beim Staatsgerichtshof der Fall ist,
Kandidaten zu nominieren.!® Die Beratungen sind vertraulich. Das Gre-
mium hat sich an die gesetzlich festgesetzten Kriterien für das Richter-
amt zu halten und die persönliche Eignung zu berücksichtigen.!°® Die
Abstimmung und Beschlussfassung über den Vorschlag an den Landtag
erfolgt mit einfacher Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit hat der
Landesfürst den Stichentscheid. Ohne seine Zustimmung kann das Gre-
mium dem Landtag keinen Kandidaten zur Wahl vorschlagen.!!° Das
Richterauswahlgremium begründet seinen Entscheid und informiert den
Landtag über die Qualifikationen des von ihm vorgeschlagenen Kandi-
daten. Es kann dem Landtag auch mehr als einen geeigneten Kandidaten
2004/63, Urteil vom 9. Mai 2005, LES 2/2006, S. 115 (122) in Hinsicht auf den
Obersten Gerichtshof die Meinung vertreten, «dass Laienrichter für die Berufung in
reine Rechtsinstanzen wie den OGH weniger geeignet sind als für Unterinstanzen,
in denen auch Tatfragen zu beurteilen und — etwa bei der Strafzumessung in den
Strafgerichten — wichtige Ermessensentscheide zu fällen sind. Denn dabei können
Laien ihre allgemeine Lebenserfahrung offensichtlich besser einbringen als bei rei-
nen Rechtsfragen».
104 Siehe Art. 1 RBG.
105 Siehe schon vorne S. 534 f.
106 Siehe Art. 96 Abs. 1 LV und Art. 3 Abs. 2 Bst. c RBG und zum Begriff «Justizverwal-
tung» die Stellungnahme der Regierung vom 4. November 2003, BuA Nr. 95/2003,
S. 3.
107 Siehe Art. 3 und 4 RBG sowie Art. 3, 7 und 8 Geschäftsordnung, LGBl. 2005 Nr. 200.
108 Siehe Art. 5 RBG und Art. 7 Geschäftsordnung, LGBI. 2005 Nr. 200.
109 Siehe Art. 10 RBG und Art. 4 Geschäftsordnung, LGBI. 2005 Nr. 200.
110 Siehe Art. 11 RBG.
617
Wahl und Organisation des Staatsgerichtshofes
zur Auswahl unterbreiten.!!! Wählt der Landtag den vorgeschlagenen
Kandidaten, ernennt ihn der Landesfürst zum Richter.!!? Lehnt er ihn
jedoch ab und einigen sich Gremium und Landtag nicht innerhalb von
vier Wochen, hat der Landtag einen Gegenkandidaten vorzuschlagen
und eine Volksabstimmung anzuberaumen.!!? Der vom Volk gewählte
Kandidat wird vom Landesfürsten zum Richter ernannt.!!*
b) Vereinheitlichung des Auswahlverfahrens
Das Richterauswahlgremium ist das Ergebnis der Verfassungsreform
von 2003, deren Ziel es war, das Auswahlverfahren für alle Richter zu
vereinheitlichen und es an «Kriterien der Objektivierung» zu binden.
Dabei soll dem Landesfürsten bei der Ernennung der Richter eine stär-
kere Stellung eingeräumt werden.!!5 Bisher war die Richterbestellung
vornehmlich eine Angelegenheit des Landtages. Die Richter wurden von
ihm gewählt.!!6 Bei der Wahl des Staatsgerichtshofes bedurfte lediglich
der Präsident und dessen Stellvertreter der Bestätigung durch den Lan-
desfürsten.!!7
111 Siehe Art. 12 RBG.
112 Siehe Art. 13 RBG.
113 Siehe Art. 96 Abs. 2 LV sowie Art. 14, 15, 16 und 17 RBG.
114 Siehe Art. 17 Abs. 4 RBG. Die Ernennung erfolgt in Form eines vom Landesfürs-
ten unterzeichneten Ernennungsdekretes, das vom Regierungschef gegengezeichnet
ist. Siehe Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 224.
115 Siehe Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 223 und 225.
116 Gegen die einseitige Bestellung der Richter am Staatsgerichtshof (Wahl aller fünf
Richter durch den Landtag, Bestätigung der erfolgten Wahl des Präsidenten durch
den Fürsten) richtete sich schon die Kritik von Gerard Batliner, Schichten, 5. 297 f.
Er unterstreicht die herausragende Stellung des Staatsgerichtshofes und seine «kaum
überschätzbare Integrationsfunktion für alle Staatsorgane» und schlägt für die Rich-
terbestellung verschiedene Träger vor, so z. B. ein Richter durch den Fürsten, drei
Richter — darunter zwei Ausländer — durch den Landtag, ein Richter durch die
Gemeinden.
117 Dazu hält Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, S. 87
fest: «Der Staatsgerichtshof setzt sich zusammen aus 5 Mitgliedern, sie werden alle
vom Landtag gewählt, die Zusammensetzung wird also ein Spiegelbild der politi-
schen Kräfteverhältnisse des Landtages wiedergeben und mehr oder weniger unter
dessen tatsächlichem Einfluss stehen. Die Wahl des Präsidenten des Gerichtshofes
bedarf der fürstlichen Bestätigung, dies ist die einzige Einflussnahme des Monar-
chen auf seine Bestellung, also lediglich formell schon äusserst schwach und als reale
Machtbefugnis der Krone wohl überhaupt nicht zu werten.» Es ist in diesem
618
Wahl
Das Richterauswahlgremium bietet grundsätzlich allen politischen Kräf-
ten Platz und die Möglichkeit, Kandidaten zu nominieren, wenn die
Richterstelle nicht öffentlich ausgeschrieben worden ist, wie dies beim
Staatsgerichtshof der Fall ist, und über Kandidatenvorschläge zu befin-
den, wobei es Kandidaten auch anhören kann.!!® Als Auswahlkriterien,
an die es sich bei der Prüfung zu halten hat und die für seinen Beschluss
ausschlaggebend sind, gelten die einschlägigen gesetzlichen Vorgaben, das
Qualifikationsprinzip sowie die persönliche Eignung der Kandidaten.!!?
c) Sonderstellung des Landesfürsten
Gegen das Richterauswahlgremium ist insoweit nichts einzuwenden, als
in ihm alle relevanten politischen Kräfte — Landesfürst, Landtag und
Regierung — versammelt sind, sodass ihm ein «gewaltenteilender
Effekt»129 zugeschrieben werden kann. Die Kritik richtet sich gegen den
«beherrschenden Einfluss» des Landesfürsten, den er in diesem Gre-
mium ausübt.!?! Er hat bei Stimmengleichheit nicht nur den Stichent-
scheid. Es bedarf auch jeder Kandidat seiner Zustimmung. Ohne seine
Zustimmung kann das Richterauswahlgremium dem Landtag keinen
Kandidaten zur Wahl vorschlagen, sodass dieser im Landtag nicht zur
Wahl stehen kann. Dem Landesfürsten kommt so gesehen ein absolutes
Zusammenhang zu vermerken, dass Art. 4 Abs. 1 und 4 StGHG, LGBl. 1925 Nr. 8,
im Unterschied zu Art. 105 LV 1921 auch von Stellvertretern und demzufolge da-
von spricht, dass auch die Wahl des Stellvertreters des Präsidenten der Bestätigung
durch den Landesfürsten bedarf.
118 Siehe Art. 5 Geschäftsordnung, LGBl. 2005 Nr. 200.
119 Siehe Art. 4 und 5 Geschäftsordnung, LGBI. 2005 Nr. 200. Vgl. auch Günther
Winkler, Verfassungsreform, S. 223, der den Prüfungsvorgang wie folgt umschreibt:
«Das Gremium sucht Kandidaten, beurteilt alle nominierten Kandidaten und
erstellt eine Empfehlung. Die Bewertung der Kandidaten soll nach Fachkenntnis,
Berufserfahrung, Integrität und personeller Eignung erfolgen.»
120 Formulierung in Anlehnung an Christian Tomuschat, Bundesverfassungsgericht,
$. 255.
121 Vgl. Gerard Batliner/ Andreas Kley/Herbert Wille, Memorandum, S. 9 ff. Ziffern
30 und 31; Greco-Evaluationsbericht über Liechtenstein vom 21. Oktober 2011,
S. 20 Ziffer 50, wo es zusammenfassend heisst: «Das GET empfiehlt, sicherzustel-
len, dass die Auswahl der Richter, einschliesslich der temporären Ad-Hoc-Richter,
auf unparteiische Art und Weise durchgeführt wird.» A. A. ist Günther Winkler,
Verfassungsreform, S. 225 und 227. Sein Fazit ist, dass Landtag und Landesfürst
«gleichrangig den Vorschlag über die Bestellung eines Richters annehmen oder
ablehnen» können.
619
Wahl und Organisation des Staatsgerichtshofes
Vetorecht zu, das einen Kandidaten vom Wahlverfahren im Landtag aus-
schliesst. Damit wird das Wahlrecht des Landtages, das nur in einer
Zustimmung und nicht auch in einer definitiven Ablehnung bestehen
kann, unterlaufen, sodass die eigentliche Entscheidung beim Landes-
fürsten liegt.
Diese Sonderstellung des Landesfürsten im Richterauswahlgre-
mium erschwert eine Konsenslösung und führt zu einer politischen
«Zentrierung» der Richterkandidaten!? auf den Landesfürsten. Sein
Vetorecht ist legitimatorisch problematisch, da es sich gegen die anderen
beteiligten Gewalten, Landtag und Regierung, richtet und sich nicht an
die vom Gesetzgeber vorgesehenen Auswahlkriterien halten muss.
4. Wahl und Ernennung
Das Richterauswahlgremium übermittelt seinen Kandidatenvorschlag,
dem der Landesfürst zugestimmt hat, als Beschluss dem Landtag. Wählt
dieser den vorgeschlagenen Kandidaten, ernennt ihn der Landesfürst
zum Richter. !2
5. Volkswahl und Ernennung
Lehnt der Landtag den Vorschlag ab und kommt innerhalb von vier
Wochen mit dem Richterauswahlgremium bzw. dem Landesfürsten
keine Einigung über einen neuen Kandidaten zustande, findet eine
Volksabstimmung statt, wobei der Landtag einen Gegenkandidaten vor-
zuschlagen hat. Auch das Volk kann im Wege der Initiative weitere Rich-
terkandidaten für die Volkswahl nominieren. Der vom Volk gewählte
Kandidat wird vom Landesfürsten zum Richter ernannt.!?*
Eine Volkswahl bzw. Volksabstimmung im Fall der Nicht-Eini-
gung über Kandidaten, die von verschiedenen Staatsorganen (Landes-
122 Formulierung in Anlehnung an Christoph Möllers, Legitimation des Bundesverfas-
sungsgerichts, S. 360.
123 Siehe Art. 96 Abs. 1 LV i. V. m. Art. 13 RBG.
124 Siehe Art. 96 Abs. 2 LV i. V. m. Art. 15 bis 17 RBG.
620
Wahl
fürst, Landtag, Volk) vorgeschlagen werden, scheint für eine Richterper-
son, die ihre Aufgabe nicht in der Öffentlichkeit erfüllt, nicht ange-
bracht. Der Aufgabe eines Gerichtes bzw. des Staatsgerichtshofes,
Entscheidungen mit potenziell politischer Wirkung in der Form des
gerichtlichen Verfahrens zu treffen, beispielsweise ım Normenkontroll-
verfahren, ist ein solcher Bestellungsmodus, wenn auch nur im Ausnah-
mefall, nicht angemessen. Die Volkswahl eignet sich nicht als Kon-
fliktlösungsmechanismus.
II. Unvereinbarkeit
1... Inhalt
Das Amt eines Richters des Staatsgerichtshofes ist aus Gründen der
Gewaltenteilung und der richterlichen Unabhängigkeit mit dem Ange-
hörigenstatus im Landtag, in der Regierung, in den anderen Gerichten
und in den Verwaltungsbehörden des Landes unvereinbar. Solche
Organwalter sind zwar zur Wahl zugelassen. Sie scheiden aber mit ihrer
Bestellung zum Richter von Gesetzes wegen aus den Ämtern aus, die sie
vor ihrer Bestellung innehatten.!2% Es sind vor allem «Objektivitäts-
gründe», die für «strenge Massstäbe» sprechen, die an die Rechtspre-
chung anzulegen sind,!?” wenn man die durch die Kleinheit des Landes
bedingten besonderen Verhältnisse in den Blick nimmt.!?8
125 Vgl. Christoph Möllers, Legitimation des Bundesverfassungsgerichts, S. 361.
126 Siehe Art. 4 SIGHG.
127 Siehe auch schon Art. 3 SIGHG 1925.
128 Vgl. BuA Nr. 45/2003 der Regierung vom 12. August 2003, S. 34 und S. 35 zum
Begriff der Unabhängigkeit, wie ihn Art. 6 SIGHG versteht. Es wird dort ausge-
führt, dass er auch die «Unzulässigkeit von Einwirkungen im Sinne der Entgegen-
nahme von Befehlen und Ratschlägen durch nichtrichterliche Organe» beinhaltet.
Zur richterlichen Unabhängigkeit siehe auch Art. 95 Abs. 2 LV. Nach Gerhard Rob-
bers, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, S. 235 Rz. 11 betont diese Inkompatibili-
tätsnorm «durch die mit ihr verbundene Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit
und Neutralität die Zugehörigkeit des BVerfG zur Gerichtsbarkeit und den Cha-
rakter seiner Tätigkeit als echter Rechtsprechung».
621
Wahl und Organisation des Staatsgerichtshofes
2. Sinn und Zweck
Diese Regelung erklärt sich aus der besonderen Eigenschaft des Staats-
gerichtshofes als Verfassungsorgan.!?? Er kann beispielsweise im Indivi-
dualbeschwerdeverfahren gegen Akte des Gesetzgebers, der Regierung
und der anderen Gerichte angerufen werden. Der Grundsatz der Gewal-
tenteilung will allen «potentiellen Konflikten» vorbeugen, die für den
Staatsgerichtshof entstehen könnten, wenn ein Richter gleichzeitig auch
Mitglied eines Legislativ- oder Exekutivorgans des Landes wäre.1?® Die-
ses Argument trifft auch auf einen (nebenamtlichen)!?! Richter des
Staatsgerichtshofes zu, wenn er gleichzeitig einem anderen Gericht ange-
hört, da er über dessen Entscheidungen zu befinden hat. Personen von
Verwaltungsbehörden des Landes sind als Richter des Staatsgerichtsho-
fes ungeeignet, da eine Weisungsabhängigkeit von der Regierung besteht.
3. Gemeindeorgane
Organe einer Gemeinde bzw. kommunale Vertretungsorgane unterste-
hen nicht der Unvereinbarkeitsnorm, da diese die infrage kommenden
Organe abschliessend aufzählt.!?? Demnach kann ein Richter des Staats-
gerichtshofes Mitglied des Gemeinderates sein. Die Gefahr von Interes-
senkollisionen, die mit der Mitgliedschaft eines Richters des Staatsge-
richtshofes in Gemeindeorganen verbunden ist, schätzt der Gesetzgeber
129 Vgl. auch Christian Starck, Der verfassungsrechtliche Status der Landesverfas-
sungsgerichte, S. 175.
130 Franz Knöpfle, Richterbestellung, S. 245 ist der Ansicht, dass die «funktionelle Ge-
waltentrennung>» vor allem im Verhältnis zwischen der Rechtsprechung auf der ei-
nen und der Legislative und Exekutive wegen der vielfachen funktionalen Über-
schneidungen auf der anderen Seite der Ergänzung durch die «personelle Gewalten-
trennung>» bedürfe. In BuA Nr. 45/2003 der Regierung vom 12. August 2003, S. 34
heisst es: Die Inkompatibilitätsregel, soweit sie sich auf die Mitgliedschaft im Land-
tag und in der Regierung bezieht, «dürfte sich von selbst verstehen, denn man kann
nicht zugleich Mitglied des kontrollierenden und des kontrollierten Organs sein».
131 Zur Nebenamtlichkeit siehe hinten S. 627.
132 Das ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 4 StGHG.
622
Wahl
offenbar als gering ein,!® sodass in einem solchen Fall die Befangen-
heitsregeln ausreichen.!?
III. Beendigung des Richteramtes
1. Amtsdauer und Wiederwahl
Die Amtsdauer der Richter und Ersatzrichter des Staatsgerichtshofes
beträgt fünf Jahre. Eine Wiederwahl ist zulässig.!?® Der Ablauf der
Amtszeit ist in der Form festgelegt, dass jedes Jahr ein anderer Richter
bzw. Ersatzrichter ausscheidet. Scheiden sie vorzeitig aus dem Amt,
wird ihr Nachfolger für die restliche Amtsdauer ernannt. Sie bleiben so
lange im Amt bzw. führen ihre Amtsgeschäfte so lange fort, bis der
Nachfolger sein Amt antritt.!?®
Die kurze Amtszeit!” wie auch die Wiederwahl stehen in der Kri-
tik, da sie sich mit dem Charakter des Richteramtes nur schwer verein-
baren lassen.!3 Sie sind dem Vertrauen in die Unabhängigkeit der Rich-
ter abträglich.
133 So ist etwa unter gesetzgeberischen Gesichtspunkten ein Gemeinderatsmandat nicht
mit einem Landtagsmandat vergleichbar. Allerdings ist hier anzumerken, dass der
Gesetzgeber im Zusammenhang mit dem Gemeindegesetz vom 20. März 1996,
LGBl. 1996 Nr. 76, eine andere Ansicht vertreten hat, da Art. 47 Abs. 1 Bst. d Mit-
glieder des Staatsgerichtshofes von der Wahl in den Gemeinderat ausschliesst. Dies
war bei der Beratung des BuA Nr. 67/1990 der Regierung vom 10. Dezember 1990
und der Stellungnahme der Regierung Nr. 10/1996 vom 13. Februar 1996 im Land-
tag unbestritten. Vgl. die Landtagssitzung vom 20. März 1996, LtProt. 1996 Bd. I,
S. 81 bzw. 153.
134 Siehe Art. 10 und 11 StGHG; vgl. zur Befangenheit Tobias Michael Wille, Verfas-
sungsprozessrecht, S. 280 ff., 288 ff. und 301 ff. und ders., Recht auf den ordentli-
chen Richter, S. 380 ff.
135 Siehe Art. 102 Abs. 2 und 3 LV i. V. m. Art. 3 Abs. 1 und 2 SIGHG.
136 Siehe Art. 3 Abs. 4 SIGHG.
137 Die Mehrzahl der Staaten in Europa hat sich auf eine Amtsdauer von neun Jahren
festgelegt. Siehe Christian Tomuschat, Bundesverfassungsgericht, S. 253.
138 Vgl. zu grundsätzlichen Bedenken Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht,
S. 81 mit weiteren Hinweisen.
623
Wahl und Organisation des Staatsgerichtshofes
2. Amtseinstellung und Amtsenthebung
Ein Richter des Staatsgerichtshofes kann jederzeit von seinem Amt
zurücktreten. Die Rücktrittserklärung ist an den Landesfürsten zu rich-
ten, der ihn formell des Amtes zu entheben hat.!
Dagegen kann nur der Staatsgerichtshof selbst einen Richter im
Amte einstellen oder vom Amte entheben. Die Zuständigkeit liegt allein
bei ihm und nicht bei den Organen, die ihn bestellt haben. Wäre dies der
Fall, geriete der Staatsgerichtshof in eine dauernde Abhängigkeit von
ihnen. 149
Ein Richter ist im Amt einzustellen bzw. seines Amts zu entheben,
wenn er seine Handlungsfähigkeit verliert oder wenn er wegen körper-
licher oder geistiger Gebrechen nicht mehr imstande ist, seine Amts-
pflicht für längere Zeit oder auf Dauer zu erfüllen. Er ist auch für die
Dauer eines strafgerichtlichen Verfahrens oder eines Disziplinarverfah-
rens im Amte eingestellt. !*!
Die Enthebung eines Richters vom Amte hat zu erfolgen, wenn er
eine strafgerichtliche Verurteilung erleidet, welche die Wahlunfähigkeit
zum Landtag zur Folge hat, oder «wenn er sich durch sein Verhalten in
oder ausser dem Amte der Achtung und des Vertrauens, die sein Amt
erfordern, unwürdig gezeigt oder die Verpflichtung zur Amtsverschwie-
genheit gröblich verletzt hat». In diesen Fällen entscheidet der Staatsge-
richtshof als Disziplinargericht.!?
139 Vgl. Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 316 zum
Rücktritt eines Regierungsmitgliedes, der wie auch derjenige eines Richters des
Staatsgerichtshofes gesetzlich nicht geregelt ist. Es besteht keine rechtliche Ver-
pflichtung, die gebietet, im Amt zu verbleiben. Der Landesfürst hat, nachdem er die
Rücktrittserklärung in Empfang genommen hat, den Richter formell des Amtes zu
entheben.
140 Vel. Christian Starck, Der verfassungsrechtliche Status der Landesgerichte, S. 173 f.,
der die Zuständigkeit der Verfassungsgerichte für die Amtsenthebung von Verfas-
sungsrichtern für «zutreffend» hält.
141 Siehe Art. 12 Abs. 1 bis 3 SSGHG.
142 Siehe Art. 12 Abs. 4 und Art. 35 bis 37 SSGHG. Die Amtsenthebung erfolgt durch
Disziplinarurteil. Vgl. auch Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 82 f.
624
Organisation
$46 ORGANISATION
I. Zusammensetzung des Spruchkörpers
1. Ordentliche Richter und Ersatzrichter
Der Staatsgerichtshof besteht aus fünf Richtern und fünf Ersatzrich-
tern.!® Die fünf Richter wählen jährlich aus ihrer Mitte den Präsidenten
und seinen Stellvertreter, die das liechtensteinische Staatsbürgerrecht
besitzen müssen. Der stellvertretende Präsident gehört ebenfalls dem
ordentlichen Richterkollegium an. Diese Regelung, die gegenüber bishe-
rigem Recht eine Änderung darstellt, wird aus verfahrenstechnischen
Gründen für «sinnvoll» gehalten, da «der Vorsitz auch innerhalb des
Verfahrens wechseln kann».!# Der stellvertretende Präsident übernimmt
im Verhinderungsfall das Amt des Präsidenten. Ist er jedoch selber
verhindert, bezeichnet der Gerichtshof aus seinen Reihen einen Vorsit-
zenden, bei dem es sich «nötigenfalls» auch um einen Ersatzrichter han-
deln kann.!$5
Ersatzrichter sind nicht einem ordentlichen Richter zugeordnet. Ist
ein ordentlicher Richter verhindert, hat ihn ein Ersatzmitglied zu vertre-
ten, das von Fall zu Fall nach dem Rotationsprinzip bestimmt wird,
wobei für die Reihenfolge die längere Amtsdauer und bei gleicher Amts-
dauer das höhere Lebensalter ausschlaggebend ist.!*
Kann der Gerichtshof auch unter Beizug eines Ersatzrichters nicht
ordnungsgemäss besetzt werden, ist für diesen Fall ein Ersatz, ein soge-
nannter Ad-hoc-Richter, zu bestellen.1!7
143 Siehe Art. 105 LV und Art. 1 Abs. 3 SIGHG.
144 BuA Nr. 45/2003 der Regierung vom 12. August 2003, S. 32 f. vermerkt, dass in ei-
nem solchen Fall sich «der Vizepräsident bis anhin aus den Akten über den bisheri-
gen Verlauf des Verfahrens informieren» musste. Vgl. auch Tobias Michael Wille,
Verfassungsprozessrecht, 5. 75 f.
145 Vegl. Art. 8 Abs. 2 SSGHG.
146 Siehe Art. 102 Abs. 4 LV i. V. m Art. 9 Abs. 2 SSGHG und BuA Nr. 45/2003 der
Regierung vom 12. August 2003, S. 33.
147 Siehe Art. 9 Abs. 3 SSGHG und Art. 8 Geschäftsordnung des Richterauswahlgre-
miums, LGBl. 2005 Nr. 200; vgl. zum Anspruch auf die richtige Besetzung des
Gerichtes Tobias Michael Wille, Recht auf den ordentlichen Richter, S. 373 ff.
Rz. 49 ff. mit Judikatur- und Literaturhinweisen.
625
Wahl und Organisation des Staatsgerichtshofes
2. Präsident
Der Präsident führt den Vorsitz im Plenum bzw. bei den Beratungen und
Verhandlungen und repräsentiert den Gerichtshof nach aussen. Er leitet
zudem den Gerichtshof und teilt die Geschäfte ein.!*® Es ist bisher davon
abgesehen worden, den Staatsgerichtshof mit einer eigenen Verwaltung
auszustatten. Dem Präsidenten obliegt in erster Linie die Sach- und Per-
sonalverwaltung. Er ist Dienstvorgesetzter des Personals, das dem
Gerichtshof beigegeben ist, und übt über die Mitarbeitenden die Diszip-
linargewalt aus.!#9
II. Geschäftsordnung
Entsprechend seiner Stellung eines Verfassungsorgans erlässt der Staats-
gerichtshof eine Geschäftsordnung, die im Landesgesetzblatt kundzu-
machen ist. Diese regelt die Angelegenheiten der Organisation, des Ver-
fahrens, der Geschäftsführung, der Geschäftseinteilung sowie die Publi-
kation der Entscheidungen.!°°
III. Beratung und Beschlussfassung
1. Besetzung
Bei seinen Verhandlungen, Beratungen und Abstimmungen muss der
Gerichtshof mit fünf Richtern besetzt sein. Diese müssen mehrheitlich
Liechtensteiner und mehrheitlich rechtskundig sein.!1
148 Zu den verfahrensbezogenen Aufgaben des Präsidenten gehören etwa die Entschei-
dungen des Präsidenten in Hinsicht auf die Gewährung von Akteneinsicht, der auf-
schiebenden Wirkung der Individualbeschwerde oder die Vorbereitung der Bera-
tungen und Verhandlungen, die Bestimmung der Referenten usw.
149 Siehe Art. 8 Abs. 1 SEGHG.
150 Siehe Art. 14 SEGHG. Der Staatsgerichtshof hat bisher noch keine Geschäftsord-
nung erlassen.
151 Siehe Art. 9 Abs. 1 SEGHG.
626
Organisation
2. Öffentlichkeit der Verhandlungen
Die verfassungsgerichtlichen Verfahren sind grundsätzlich publikums-
öffentlich.!”? Die Öffentlichkeit ist aber in jenen Fällen ausgeschlossen,
in denen die Zivil- und Strafprozessordnung einen Ausschluss vorsehen.
Der Staatsgerichtshof kann auch wegen berechtigter Interessen einer
Partei oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die
Öffentlichkeit ausschliessen. Er kann überdies von einer öffentlichen
Verhandlung absehen, wenn in nichtöffentlicher Sitzung zu beschliessen
ist oder wenn dem Vorsitzenden nach Anhörung des Berichterstatters
eine mündliche Verhandlung zum Parteienvortrag nicht notwendig
erscheint.!®
3. Beratung und Abstimmung
Die Beratung und Abstimmung sind nicht öffentlich. Der Staatsge-
richtshof fasst seinen Beschluss mit Stimmenmehrheit. Stimmenthaltung
ist nicht zulässig.!*
IV. Nebenberufliche bzw. nebenamtliche Tätigkeit
Die Richter des Staatsgerichtshofes sind nach derzeitiger Praxis nebenbe-
ruflich bzw. nebenamtlich tätig. Es ist jedoch aufgrund des zunehmenden
Arbeitsanfalls eine vollamtliche Tätigkeit nicht auszuschliessen. !®5 Diese
Feststellung bzw. Prognose erstaunt nicht, wenn man einen Blick auf die
umfangreichen Zuständigkeiten des Staatsgerichtshofes wirft.!5
152 Siehe Art. 47 SEGHG und die besonderen Bestimmungen zum Ministeranklage-
und Disziplinarverfahren Art. 30 ff. SSGHG bzw. Art. 36 SEGHG. Das Informa-
tionsgesetz verweist hinsichtlich der Gerichtsverhandlungen in Art. 7 auf die ein-
schlägigen gesetzlichen Vorschriften.
153 Eingehend zur Verfahrensöffentlichkeit vor dem Staatsgerichtshof Tobias Michael
Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 387 ff.
154 Siehe Art. 49 Abs. 4 und 5 SSGHG.
155 BuA Nr. 45/2003 der Regierung vom 12. August 2003, S. 35; Tobias Michael Wille,
Verfassungsprozessrecht, S. 77 mit weiteren Hinweisen.
156 Siehe zum Zuständigkeitskatalog nachfolgend.
627
Wahl und Organisation des Staatsgerichtshofes
V. «Bezüge» bzw. Entschädigungen
Da die Richter und der Präsident des Staatsgerichtshofes ihr Amt neben-
beruflich ausüben, beziehen sie kein Gehalt. Sie erhalten für ihre Tätig-
keit eine Abgeltung in Form von Sitzungsgeldern und «Fallpauschalen»,
die sich danach richten, ob eine Rechtssache einfach oder schwierig zu
erledigen ist. Sie umfassen u. a. das Aktenstudium und die Ausarbeitung
des Referates, das ein Richter für die betreffende Sitzung vorbereitet. Die
Einzelheiten regelt ein Reglement, das der Präsident erlässt und der
Regierung sowie der Finanzkommission des Landtages zur Kenntnis
gebracht wird. Der Präsident und dessen Stellvertreter erhalten eine
jährliche «Präsidialpauschale», die «sämtliche Aufwendungen im
Zusammenhang mit präsidialen Tätigkeiten berücksichtigt», zu denen
etwa die Budgetierung und Kontrolle der Entschädigungen, repräsenta-
tive Aufgaben oder die Übermittlung von rechtskräftigen Entscheidun-
gen «zum Zwecke ihrer Veröffentlichung» zählen.!57
157 Die Entschädigung erfolgt nach dem Gesetz vom 17. Dezember 1981 über die Be-
züge der Mitglieder der Regierung, der Gerichtshöfe und der Kommissionen, LGBl.
1982 Nr. 21, das in der Zwischenzeit revidiert worden ist. Die im BuA Nr. 45/2003
der Regierung vom 12. August 2003, S. 35 f. erwähnte Neuregelung ist im Gesetz
vom 7. Dezember 2014 betreffend die Abänderung des Gesetzes über die Bezüge
der Regierung, der Gerichtshöfe und der Kommissionen, LGBl. 2014 Nr. 347, er-
folgt, dessen Ziel es ist, ein einheitliches und umfassendes Entschädigungssystem
einzuführen. Siehe dazu Art. 1 Abs. 1 und Art. 6a ff. und BuA Nr. 53/2014 der Re-
gierung vom 23. September 2014 (im Internet abrufbar unter: <www.landtag.li>).
628
3. Abschnitt
Zuständigkeiten und Verfahren
$47 ZUSTÄNDIGKEITEN
I. Allgemeines
Die Zuständigkeiten des Staatsgerichtshofes sind, so die herrschende
Meinung,!58 an sich abschliessend in der Verfassung festgelegt. Sie über-
lässt aber dem einfachen Gesetzgeber bei der prozessualen Ausgestal-
tung der Verfassungsgerichtsbarkeit einen grossen Spielraum.'!°® Die
Kompetenzen des Staatsgerichtshofes sind teils vom einfachen Gesetz-
geber und teils von ihm selber in seiner Rechtsprechung ausgeweitet und
ergänzt worden, indem er beispielsweise ın Anlehnung an das deutsche
Bundesverfassungsgericht die Appellentscheidung als Entscheidungs-
form eingeführt hat.!6%
Die Verfassungsgerichtsbarkeit ist in ihrem Grundbestand im
Staatsgerichtshofgesetz von 1925, das den Verfassungsauftrag ausgeführt
hat, geregelt worden, an dem auch das Staatsgerichtshofgesetz von 2003
ım Wesentlichen festhält. Es hat den Rechtsschutz für den Einzelnen in
Form des Individualantrags ausgebaut und zusätzlich für den Staatsge-
richtshof eine Kompetenz errichtet, indem es ihn zum Disziplinarge-
richtshof für seine eigenen Richter sowie für diejenigen des Verwal-
158 Siehe Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 59 f. mit Literatur- und
Rechtsprechungshinweisen.
159 Vgl. Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, 5. 33 f.
160 Vgl. Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 314 und ders., Probleme des gesetzgeberi-
schen Unterlassens, S. 449 ff.; Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum
Staatsgerichtshof, S. 36 und 194 ff.; Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht,
5.748.
629
Zuständigkeiten und Verfahren
tungsgerichtshofes installiert.!®! Sie ersetzt das Verfahren der Amtsent-
hebung und Einstellung durch den Staatsgerichtshof, wie es bisher in
Art. 9 SSGHG 1925 vorgesehen war.!® Das Staatsgerichtshofgesetz von
2003 stellt überdies auch klar, dass zu den verfassungsmässig gewährleis-
teten Rechten auch solche zählen, die internationale Übereinkommen
garantieren, für die der Gesetzgeber ein Individualbeschwerderecht aus-
drücklich anerkannt hat.!®
II. Einzelfragen und Eigenheiten
Der Rechtsweg bzw. Zugang zum Staatsgerichtshof ist prozessrechtlich
je nach Verfahrensart und nach deren Massgabe speziell geregelt. Jede
der Verfahrensarten ist in Ziffer II des Staatsgerichtshofgesetzes in einem
eigenen Abschnitt unter den Buchstaben A bis H (Art. 15 bis 37) näher
ausgeführt. Daneben finden sich vereinzelt noch Zuständigkeiten in
anderen Gesetzen.!*
Die einzelnen Verfahrenszuständigkeiten stehen selbständig
nebeneinander. Es können beispielsweise für ein Rechtsbegehren nicht
zugleich eine Individualbeschwerde und ein Individualantrag in Betracht
kommen, da die Zulässigkeitsvoraussetzungen verschieden sind.!®
Von der Charakteristik her gesehen sind die einen Verfahrenszu-
ständigkeiten als Rechtsschutzverfahren konzipiert, wie das Individual-
beschwerdeverfahren, bei denen es um die Wahrung der Grundrechte
geht, und andere mehr objektiv-rechtlich abstrakt gegen Rechtsnormen
gerichtet, die die Integrität der Verfassungsordnung zum Inhalt haben,
wie dies etwa bei den Normenkontrollverfahren der Fall ist.1%
161 Es ist aber zweifelhaft, ob dieses Disziplinarverfahren verfassungsrechtlich gedeckt
ist, da es nur im Staatsgerichtshofgesetz und nicht auch in der Verfassung verankert
ist. Siehe auch Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 231 f.; siehe auch
hinten 5. 663 f.
162 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 63.
163 Vgl. dazu ausführlich Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 63 ff.; Wol-
fram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 120 f.
164 Siehe etwa Art. 66, 70b Abs. 3, 74 VRG.
165 Vgl. Art. 15 Abs. 1 (Individualbeschwerde) und Art. 15 Abs. 3 SSGHG (Individual-
antrag).
166 Vsel. aber zur verfahrensrechtlichen Seite der Normenkontrolle hinten S. 642 ff.
630
Verfahrensarten
Die Individualbeschwerdeverfahren kommen in der Praxis am häufigs-
ten vor und gelten als bedeutendste Verfahrensart. Seltener sind die Nor-
menkontrollverfahren.!°7 Keine praktische Bedeutung haben bislang
etwa die Wahlprüfungs- oder Anklageverfahren gegen Mitglieder der
Regierung erlangt.
Verfahrensrechtlich bildet nicht nur die Verfassung, sondern auch
das einfache Gesetzesrecht oder auch das Völkerrecht, wie die EMRK
oder das EWRA, den Prüfungsmassstab. 168
$48 VERFAHRENSARTEN
I. Allgemeines
Die Zuständigkeiten, die dem Staatsgerichtshof zugewiesen sind, lassen
sich nach verschiedenen Gesichtspunkten einteilen. Differenziert man
sie nach dem Verfahrenszweck, der für eine Systematisierung den wohl
«höchsten Erkenntniswert» hat,!° kann man sie zur Hauptsache in Ver-
fahren gliedern, die dem Grundrechtsschutz des Einzelnen, der Nor-
menkontrolle oder dem Verfassungsschutz dienen.!”° Sie werden im Fol-
genden in ihren wesentlichen Grundzügen dargestellt.!7!
167 Vgl. Rechenschaftsbericht der Regierung 2011, S. 364 ff.; zur abstrakten Normen-
kontrolle siehe Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 148 und 151 ff.
168 Soetwa die EMRK und das EWRA; siehe dazu Herbert Wille, Abkommen über den
Europäischen Wirtschaftsraum, S. 117 ff.; Mark E. Villiger, Quellen der Grund-
rechte, 5. 36 ff.
169 So Ernst Benda/ Eckart Klein/ Oliver Klein, Verfassungsprozessrecht, S. 178 Rz. 410.
170 Daneben gibt es noch Verfahren wie etwa die Wahlbeschwerde oder die Beschwerde
gegen die Zurückweisung und Nichtigerklärung von Initiativbegehren, die unter
den «sonstigen Verfahren» eingereiht werden können.
171 Eingehender Herbert Wille, Die Normenkontrolle im liechtensteinischen Recht auf
der Grundlage der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes; Wolfram Höfling, Die
Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof; Tobias Michael Wille, Liechtenstei-
nisches Verfassungsprozessrecht.
631
Zuständigkeiten und Verfahren
II. Individualrechtsschutz — Grundrechtsschutz
1. Individualbeschwerde
a) Begriff
Die Individualbeschwerde, die als Verfassungsbeschwerde aus entste-
hungszeitlicher Sicht ursprünglich gegen den «Polizeistaat»!?? gerichtet
gewesen ist, ist ein ausserordentlicher Rechtsbehelf,!”® der dem Einzel-
nen den Zugang zum Staatsgerichtshof eröffnet. Jedermann kann die
Individualbeschwerde mit der Behauptung erheben, durch die inländi-
sche!7* öffentliche Gewalt in einem seiner verfassungsmässig gewähr-
leisteten Rechte!?® verletzt zu sein. Es handelt sich um administrative
oder judikative Hoheitsakte des Gemeinwesens, die rechtliche Wirkun-
gen erzeugen.!’6 Somit kann ein Grundrechtsträger!”” sein subjektives
Recht in einem besonderen verfassungsgerichtlichen Verfahren geltend
machen, sofern der angefochtene Hoheitsakt die verfahrensspezifischen
Zulässigkeitsvoraussetzungen der «Enderledigung» und der «Letztin-
172 Siehe zu den Anfängen und zur Entstehungsgeschichte Herbert Wille, Normen-
kontrolle, S. 37 f. und ders., Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechten-
stein, S. 21; vgl. auch Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsge-
richtshof, S. 24 f.
173 Siehe Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 108 f. mit weiteren Litera-
tur- und Rechtsprechungsangaben.
174 Siehe Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof,
S. 153 ff. mit weiteren Literatur- und Rechtsprechungshinweisen. Er thematisiert in
diesem Zusammenhang auch die «vereinbarte Abtretung judikativer Kompetenzen,
z. B. im Rahmen des Zollvertrages an die Schweiz». Er verneint grundsätzlich die
Frage, ob die Kompetenz des Staatsgerichtshofes im Individualbeschwerdeverfah-
ren «auch die aufgrund solcher «Übertragungen» ergangenen Urteile der schweizeri-
schen (<als» liechtensteinische?) Gerichte erfasst».
175 Zu ihnen zählen, wie vorhin erwähnt, auch solche, die internationale Übereinkom-
men garantieren, für die der Gesetzgeber ein Individualbeschwerderecht ausdrück-
lich anerkannt hat.
176 Dabei geht es nicht um «rein informale Akte». Die Individualbeschwerde setzt
voraus, dass eine rechtliche Verletzung der Grundrechte überhaupt möglich ist. So
Werner Heun, Verfassungsordnung, S. 203.
177 Zu den Trägern der Grundrechte siehe Wolfram Höfling, Träger der Grundrechte,
S.57 ff.
632
Verfahrensarten
stanzlichkeit»!7® erfüllt.!7? Die Intention dieser Verfahrensvorschrift der
Rechtsmittelerschöpfung geht von der Annahme aus, dass die Fachge-
richte bereits den Sachverhalt und Fragen rechtlicher Interpretation und
Anwendung des einfachen Rechts geklärt und sich damit auseinanderge-
setzt haben, sodass sich der Staatsgerichtshof der Verfassungsfrage
zuwenden kann,!® wie dies auch seiner Aufgabe entspricht. !8!
b) Form
Die Individualbeschwerde ist beim Staatsgerichtshof schriftlich einzu-
reichen. Es ist der Sachverhalt darzulegen und die behauptete Verletzung
zu begründen. Dabei sind das Recht, das verletzt sein soll, die Entschei-
dung oder Verfügung oder die Rechtsvorschrift, durch die sich der
Beschwerdeführer als verletzt erachtet, zu bezeichnen sowie die Recht-
zeitigkeit der Beschwerde und die Parteistellung im vorangegangenen
Verfahren!® nachzuweisen.!®
c) Entscheidung — Kassation
Ist der Beschwerdeführer in einem verfassungsmässig gewährleisteten
Recht verletzt worden, hebt der Staatsgerichtshof den angefochtenen
Hoheitsakt auf und trägt gegebenenfalls der belangten Behörde, d. h.
demjenigen staatlichen Organ, das den Hoheitsakt erlassen hat, auf,!$ in
der Sache neuerlich zu entscheiden.!® Dieses Vorgehen ergibt sich aus
der Eigenständigkeit der Verfassungsgerichtsbarkeit, wonach dem
178 In Art. 15 Abs. 1 SIGHG ist von einer «enderledigende(n) letztinstanzliche(n) Ent-
scheidung oder Verfügung der öffentlichen Gewalt» die Rede. Siehe dazu StGH
2004/23, Erw. 1.2 und BuA Nr. 45/2003 der Regierung vom 12. August 2003, S. 44;
siehe auch Peter Bussjäger, Enderledigende Entscheidung, S. 90 f.
179 Vgl. zur Zulässigkeitsprüfung durch den Staatsgerichtshof Tobias Michael Wille,
Verfassungsprozessrecht, S. 455 ff.
180 Vgl. Werner Heun, Verfassungsordnung, 5. 203 f.
181 Siehe zum Verhältnis des Staatsgerichtshofes zu den Fachgerichten hinten S. 676 ff.
182 Zur Parteistellung des Beschwerdeführers siehe Tobias Michael Wille, Verfassungs-
prozessrecht, S. 112 ff.
183 Siehe Art. 16 und 40 SEGHG und zu den allgemeinen Eingabe- bzw. Antragserfor-
dernissen ausführlich Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, 5. 477 ff.
184 Siehe Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 127.
185 Siehe Art. 17 Abs. 1 StGHG.
633
Zuständigkeiten und Verfahren
Staatsgerichtshof kein Recht zur Reformation der angegriffenen Ent-
scheidung oder Verfügung zusteht, die die staatliche Behörde getroffen
hat. 186
d) Bedeutung
Die Bedeutung der Individualbeschwerde liegt in ihrer Rechtsschutz-
funktion, die sie für den Einzelnen wahrnimmt. Sie ermöglicht es ihm,
die ihm von der Verfassung eingeräumten materiellen Rechte auch
formell durchzusetzen. Insoweit unterscheidet sich das Individual-
beschwerdeverfahren von den anderen verfassungsgerichtlichen Verfah-
ren, die nicht primär auf den Individualrechtsschutz des Einzelnen
abzielen.!87
2. Individualantrag
a) Begriffsumschreibung
Der Individualantrag!® stellt eine «besondere Form» der Individualbe-
schwerde dar, die gemäss Art. 15 Abs. 3 SSGHG insoweit Anwendung
findet, als ein «Beschwerdeführer» behauptet, durch ein Gesetz, eine
Verordnung oder einen Staatsvertrag in einem seiner verfassungsmässig
gewährleisteten Rechte oder in einem seiner durch internationale Über-
einkommen garantierten Rechte, für die der Gesetzgeber ein Individual-
beschwerderecht ausdrücklich anerkannt hat, unmittelbar verletzt zu
sein und die jeweilige Rechtsvorschrift ohne Fällung einer Entscheidung
oder Verfügung der öffentlichen Gewalt für ihn wirksam geworden ist.
186 Siehe zur Eigenständigkeit des verfassungsgerichtlichen Verfahrens vorne S. 603 ff.
187 Vgl. Christoph Gusy, Verfassungsbeschwerde, S. 9 Rz. 15, der für Deutschland
darauf hinweist, dass der Grundrechtsschutz in diesen anderen verfassungsgericht-
lichen Verfahren eine mögliche Folge sein kann, nicht aber den Sinn und Zweck aus-
machen, wie dies auf das Verfassungsbeschwerdeverfahren zutrifft.
188 Zur Terminologie siehe Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 144
Fn. 195 und S. 585, der in Anlehnung an die österreichische Rezeptionsvorlage
(Art. 139 Abs. 1 und Art. 140 Abs. 1 B-VG; vgl. BuA Nr. 45/2003 der Regierung
vom 12. August 2003, S. 41) vorschlägt, von «Individualantrag» zu sprechen, um
dieses Rechtsinstitut gegenüber der «Individualbeschwerde im engeren Sinne» (so
Peter Bussjäger, Beschwerde an den Staatsgerichtshof, S. 864) abzugrenzen.
634
Verfahrensarten
b) Charakteristik
Beim Individualantrag handelt es sich demnach um einen subsidiären
Rechtsbehelf,1®® der nur dann infrage kommt, wenn der ordentliche
Rechtsweg nicht möglich bzw. unzumutbar ist, um die behauptete Ver-
fassungsverletzung abzuwehren. Er intendiert aber, wie der Staatsge-
richtshof eigens betont, keinesfalls eine «Doppelgleisigkeit» des Rechts-
schutzes im Sinne eines die Individualbeschwerde ergänzenden abstrak-
ten Normenkontrollverfahrens vor dem Staatsgerichtshof.!®
Beim Individualantrag handelt es sich aus materiell- und verfah-
rensrechtlicher Sicht um ein «gemischtes Rechtsinstitut», das auch zum
Normenkontrollverfahren in einer «engen sachlichen Beziehung»
steht.!! Er stellt, wie im Schrifttum vermerkt wird,!” für den Einzelnen
die einzige Möglichkeit dar, den Staatsgerichtshof zu einer Normprü-
fung zu verhalten. Im Individualbeschwerdeverfahren kann er lediglich
eine amtswegige Normenkontrolle anregen.
189 StGH 2007/21, Beschluss vom 14. Mai 2007, Erw. 1 (im Internet abrufbar unter:
<www.stgh.li>) und in dessen Folge SEGH 2008/38, Urteil vom 10. Dezember 2008,
Erw. 2 (im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>) und StGH
2011/14, Beschluss vom 1. Juli 2011, Erw. 3.1 (im Internet abrufbar unter: <www.
gerichtsentscheide.li>) sprechen (eigenartigerweise) von einem «besonderen Rechts-
mittel», obwohl der Staatsgerichtshof Individualbeschwerden in seiner Praxis als
«Rechtsbehelfe» bezeichnet. Vgl. für Österreich Willibald Liehr/ Manfred Griebler,
Individualrechtsbehelfe, S. 514 Ziffer 3.2, die den Individualantrag als «subsidiären
Rechtsbehelf» charakterisieren. Nach Karl Korinek/ Andrea Martin, Verfassungs-
gerichtsbarkeit in Österreich, S. 77 beruht der Individualantrag auf dem Subsidiari-
tätsprinzip und gewährt keine allgemeine abstrakte Anfechtungsbefugnis in Form
einer «actio popularis>.
190 StGH 2007/21, Beschluss vom 14. Mai 2007, Erw. 1 und 6 (im Internet abrufbar
unter: <www.stgh.li>); StGH 2008/38, Urteil vom 10. Dezember 2008, Erw. 2 (im
Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>) und StGH 2011/14,
Beschluss vom 1. Juli 2011, Erw. 3.1 (im Internet abrufbar unter: <www.gerichts
entscheide.li>) mit jeweils weiteren Hinweisen auf die österreichische Lehre und
Rechtsprechung; vgl. auch Heinz Josef Stotter, Verfassung, S. 737 f. und Tobias
Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 145.
191 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 146 f.
192 Vgl. Peter Bussjäger, Beschwerde an den Staatsgerichtshof, S. 858 Rz. 36.
635
Zuständigkeiten und Verfahren
c) Zulässigkeitsvoraussetzungen
Der Staatsgerichtshof folgt in seiner Rechtsprechung der Praxis des
österreichischen Verfassungsgerichtshofes!® und stellt an die Zulässig-
keitsvoraussetzungen hohe Anforderungen, die er wie folgt spezifiziert
und zusammenfasst: Der rechtswirksame Eingriff in die verfassungsmäs-
sig gewährleisteten Rechte des Beschwerdeführers muss durch die
Rechtsnorm selbst und tatsächlich erfolgt und nach Art und Ausmass
durch die Rechtsvorschrift eindeutig bestimmt sein. Die rechtlich
geschützten Interessen des Beschwerdeführers müssen nicht bloss
potenziell, sondern aktuell betroffen sein. Und schliesslich darf kein
anderer zumutbarer Rechtsmittelweg zur Verfügung stehen.!**
Zumutbar ist nach Auffassung des Staatsgerichtshofes der Rechts-
mittelweg, wenn der Beschwerdeführer eine Feststellungsverfügung
erwirken kann. Eine solche Möglichkeit macht einen Individualantrag
unzulässig. 1%
d) Verfahren
Auf den Individualantrag finden in verfahrensrechtlicher Hinsicht die
besonderen Vorschriften über die Normenkontrolle bzw. die Gesetzes-,
Verordnungs- und Staatsvertragsprüfung Anwendung.!®
193 Vgl. StGH 2007/21, Beschluss vom 14. Mai 2007, Erw. 1 (im Internet abrufbar un-
ter: <www.stgh.li>); SYGH 2008/38, Urteil vom 10. Dezember 2008, Erw. 2 (im In-
ternet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>) und StGH 2011/14, Beschluss
vom 1. Juli 2011, Erw. 3.1 bis 3.3 (im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsent
scheide.li>); zur Judikatur des österreichischen Verfassungsgerichtshofes siehe Mar-
tin Hiesel, Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, S. 841 ff.; Karl Korinek/
Andrea Martin, Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich, S. 77 f.
194 Vgl. StGH 2008/38, Urteil vom 10. Dezember 2008, Erw. 2 (im Internet abrufbar
unter: <www.gerichtsentscheide.li>) und SIGH 2011/14, Beschluss vom 1. Juli 2011,
Erw. 3.2 (im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>).
195 StGH 2011/14, Beschluss vom 1. Juli 2011, Erw. 3.3 mit Hinweisen auf die österrei-
chische Lehre und Rechtsprechung (im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsent
scheide.li>); vgl. auch Robert Walter/Heinz Mayer / Gabriele Kucsko-Stadlmayer,
Bundesverfassungsrecht, S. 522 Rz. 1118.
196 Siehe Art. 17 Abs. 2 SIGHG und Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht,
5.146 f.
636
Verfahrensarten
3. Autonomiebeschwerde der Gemeinden
a) Inhalt und Gegenstand
Die Verfassung weist den Gemeinden in einem eigenen Hauptstück!”
einen autonomen Wirkungskreis zu, der sie berechtigt, ihre Aufgaben in
freier Selbstverwaltung zu besorgen.!® Sie hat nach den Worten des
Staatsgerichtshofes die Gemeinden mit einem «Kernbereich an Kompe-
tenzen» ausgestattet, der «struktur- und typusbestimmend für die Insti-
tution der Gemeinde ist und ohne den die Gemeinden ihre für den
Gesamtstaat wichtigen Funktionen nicht wahrnehmen können».!” Der
Staatsgerichtshof hat dieses Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden als
verfassungsmässig gewährleistetes Recht bzw. als Grundrecht qualifi-
ziert, dessen Verletzung die Gemeinden als Träger hoheitlicher Gewalt?®
ım Rahmen der Individualbeschwerde geltend machen können.?! In die-
sem Kontext ist von Autonomiebeschwerde die Rede.22 Nicht von
rechtlichem Belang ist, ob die Gemeinden im Verfahren, das der Auto-
nomiebeschwerde vorangegangen ist, als Unterinstanz tätig geworden
sind oder nicht, da auch in einem solchen Verfahren die Gemeindeauto-
nomie missachtet werden kann.?® Gegenstand der Autonomiebe-
197 Das X. Hauptstück trägt die Überschrift: «Von den Gemeinden». Vgl. Art. 110 und
111 LV.
198 Art. 4 GemG umschreibt die Autonomie der Gemeinden. Danach können sie in
ihrem eigenen Wirkungskreis ihre Angelegenheiten unter der Aufsicht des Staates
selbständig ordnen und verwalten. Vgl. auch StGH 1999/31, Entscheidung vom
19. Februar 2001, LES 4/2003, S. 171 (172 Erw. 3).
199 StGH 1998//10, Urteil vom 3. September 1998, LES 4/1999, S. 218 (224 Erw. 2) mit
Verweis auf Job von Nell, Die politischen Gemeinden, S. 78.
200 StGH 1998/27, Urteil vom 23. November 1998, LES 5/1999, S. 291 (293 f. Erw. 1).
201 Siehe StGH 1984/14, Urteil vom 28. Mai 1986, LES 2/1987, S. 36 (38 f. Erw. 1) und
dazu Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 251 f.
202 Vgl. etwa StGH 1998/10, Urteil vom 3. September 1998, LES 4/1999, S. 218 (223
Erw. 1); StGH 1998/27, Urteil vom 23. November 1998, LES 5/1999, 5. 291 (293 f.
Erw. 1.2 und 1.3); im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>.
203 StGH 1998/27, Entscheidung vom 23. November 1998, LES 5/1999, S. 291 (293 f.
Erw. 1.2; auch im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>) unter
Bezugnahme auf Gerard Batliner, Die liechtensteinische Rechtsordnung, S. 130, der
die bisherige Rechtsprechung kritisiert. Er argumentiert: «Wenn der Gemeinde das
Recht auf Autonomie zusteht, besitzt sie ungeachtet ihrer Stellung im Ausgangsver-
637
Zuständigkeiten und Verfahren
schwerde können auch Grundrechte sein, «welche direkt der Durchset-
zung der Gemeindeautonomie dienen bzw. mit dieser im engen Zusam-
menhang stehen».?* Davon ausgenommen sind die klassischen Frei-
heitsrechte, da diese von ihrer Konzeption her «staatsfreie Sphären»
gewährleisten und «privatautonome Willkür» ermöglichen. Ebenso
kommen die Grundrechte, die die EMRK garantiert, nicht in Betracht,
da nach Art. 25 EMRK der Staat und öffentliche Körperschaften nicht
zum Kreis der Grundrechtsträger zählen.2%
b) Verfahren — Beschwerdelegitimation
Die Beschwerdeberechtigung setzt (einzig) voraus, dass der Hoheitsakt,
den die Gemeinde anfıcht, sie in ihrer hoheitlichen Stellung trifft und sie
eine Verletzung der Gemeindeautonomie behauptet. Ob der Gemeinde
in dem von der Autonomiebeschwerde betroffenen Rechtsbereich tat-
sächlich Autonomie zukommt, ist keine Frage der Legitimation, son-
dern Gegenstand der materiellen Prüfung der Beschwerde.2%
Nach der Praxis des Staatsgerichtshofes kann sich eine Gemeinde,
wenn sie eine Autonomieverletzung geltend macht, auch auf andere,
damit zusammenhängende bzw. auf alle verfassungsmässig gewährleiste-
ten Rechte (Grundrechte) berufen, «welche zur konsequenten Durch-
setzung der Gemeindeautonomie sinnvoll und notwendig erschei-
nen».297
fahren nach Erschöpfung des Instanzenzuges das Recht der Beschwerde an den
Staatsgerichtshof.» In SEGH 1989/7, Urteil vom 3. November 1989, LES 1990, 5. 55
(60) verweist der Staatsgerichtshof auf seine ständige Rechtsprechung, wonach den
kommunalen Unterbehörden innerhalb der hierarchischen Behördenorganisation
gegen Entscheidungen übergeordneter Behörden kein Beschwerderecht an den
Staatsgerichtshof zukomme.
204 StGH 1998/27, Urteil vom 23. November 1998, LES 5/1999, S. 291 (294 Erw. 1.3)
mit Literaturangaben (im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>).
205 StGH 1998/27, Urteil vom 23. November 1998, LES 5/1999, S. 291 (294 Erw. 1.3)
mit Literaturangaben (im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>);
StGH 2008/30, Urteil vom 4. November 2008, Erw. 1.1 (im Internet abrufbar unter:
<www.gerichtsentscheide.li>).
206 StGH 1998/10, Urteil vom 3. September 1998, LES 4/1999, S. 218 (223 Erw. 1).
207 StGH 1998/27, Urteil vom 23. November 1998, LES 5/1999, S. 291 (294 Erw. 1.3)
mit Literaturangaben (im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>).
638
Verfahrensarten
c) Grundrechtliche Konzeption der Gemeindeautonomie — Kritik
Der Staatsgerichtshof misst den Gemeinden eine «verfassungswesentli-
che» Bedeutung bei, sodass es ihm als richtig erscheint, ihnen «zum
Schutz ihrer Autonomie dort die Legitimation zur Verfassungsbe-
schwerde zuzugestehen, wo sie in verfassungsrechtlich gewollten und
geschützten Selbstverwaltungsrechten getroffen ist».2®% Er stützt diese
Aussage auf «die seit Jahrzehnten feststehende Rechtsprechung des
schweizerischen Bundesgerichts», wonach die öffentlich-rechtlichen
Gemeinden legitimiert sind, staatsrechtliche Beschwerde zu erheben,
«wenn sie in ihrer kantonalrechtlich geschützten Autonomie, d. h. in
Bereichen relativ erheblicher Entscheidungsfreiheit in Rechtsetzung und
Rechtsanwendung, betroffen sind». Auch in Österreich, so der Staatsge-
richtshof, geniesse der eigene Wirkungsbereich der Gemeinden, wie dies
aus Art. 119a B-VG hervorgehe, gerichtlichen Schutz.?®
Die Gemeindeautonomie wird auf diese Weise «in ihrem Kern ge-
wissermassen aus der objektiven Verfassungsstellung in die Position ei-
nes subjektiven, verfassungsmässig gewährleisteten Rechts gehoben»,2!°
obwohl sich die Verfassung im Bereich des Gemeindewesens nicht mehr
an die Regelung der Konstitutionellen Verfassung von 1862 anlehnt, die
die gemeindliche Selbstverwaltung zu den allgemeinen Rechten und
Pflichten der Landesangehörigen zählte. In diesem Punkt setzt denn auch
die Kritik an, die auf die «deutliche Separierung» des Bereichs der kom-
munalen Selbstverwaltung aufmerksam macht, den die Verfassung von
1921 in einem eigenen Hauptstück «Vom Gemeindewesen» gegenüber
der Konstitutionellen Verfassung von 1862 vornimmt, die das Gemein-
dewesen unter dem Hauptstück «Von den allgemeinen Rechten und
Pflichten der Landesangehörigen» ın $ 22 aufgeführt hatte.2?!! Diese vom
bisherigen Verfassungsrecht abweichende Verortung der kommunalen
Selbstverwaltung folgt dem Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck, der
in systematischer Hinsicht das VII. Hauptstück «Vom Gemeindewesen»
208 StGH 1984/14, Urteil vom 28. Mai 1986, LES 2/1987, S. 36 (38 f. Erw. 1) mit Hin-
weisen auf die schweizerische Literatur.
209 StGH 1984/14, Urteil vom 28. Mai 1986, LES 2/1987, S. 36 (38 f. Erw. 1) mit Hin-
weisen auf die schweizerische Literatur.
210 So Gerard Batliner, Die liechtensteinische Rechtsordnung, S. 123 Fn. 65.
211 Siehe Gerard Batliner, Die liechtensteinische Rechtsordnung, S. 123 Fn. 65; Wolfram
Höfling, Grundrechtsordnung, S. 251 f.
639
Zuständigkeiten und Verfahren
an das VI. Hauptstück «Von den Behörden» anschloss.?!? Auch textlich
stimmt die Neuordnung des Gemeindewesens fast wörtlich mit dem Ver-
fassungsentwurf von Wilhelm Beck überein.2!?
Diese Verfassungsänderung spricht an sich gegen eine grundrecht-
liche Konzeption, die aber den Staatsgerichtshof nicht davon abhält, der
Gemeindeautonomie einen grundrechtlichen Charakter einzuräumen.?!*
Insoweit stellen die Gemeinden, da sie als eigenständige, vom Staat
unabhängige bzw. distanzierte Einrichtungen angesehen werden,?!5 eine
Ausnahme vom Grundsatz dar, dass juristische Personen des öffentli-
chen Rechts nicht Grundrechtsträger sind.21® Es entspricht ständiger
Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes, dass den Gemeinden im Rah-
men ihrer hoheitlichen Tätigkeit die Individualbeschwerde einzig zum
Schutz ihrer Autonomie offen steht.?!7 So gesehen ist die Autonomiebe-
schwerde, die der Staatsgerichtshof den Gemeinden für Autonomiever-
letzungen zur Verfügung stellt, als «Ausnahmefall» zu verstehen,?!® denn
die Gemeindeautonomie lässt sich nicht problemlos den verfassungs-
mässig gewährleisteten Rechten zuordnen.?!? Diese sind zum Schutz des
212 Siehe O. N. Nr. 50 vom 23. Juni 1920 und O.N. Nr. 51 vom 26. Juni 1920.
213 Siehe Art. 110 LV 1921 und Art. 82 Verfassungsentwurf Wilhelm Beck, in: O.N.
Nr. 51 vom 26. Juni 1920.
214 Vgl. Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 251, der aus der Rechtsprechung
des Staatsgerichtshofs einen «Grundrechtsstatus» der Gemeinden folgert.
215 StGH 1981/13, Gutachten vom 16. Juni 1981, LES 1982, 5. 126 (127 Erw. 3.4); SIGH
1984/14, Urteil vom 28. Mai 1986, LES 2/1987, S. 36 (38 f. Erw. 1).
216 Zur Grundrechtssubjektivität juristischer Personen des öffentlichen Rechts siehe
Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 66 ff. und ders., Die Verfassungsbe-
schwerde zum Staatsgerichtshof, S. 85 ff. mit jeweils zahlreichen Hinweisen auf
Literatur und Rechtsprechung.
217 StGH 1998/10, Urteil vom 3. September 1998, LES 4/1999, 5. 218 (223 Erw. 1) mit
Rechtsprechungs- und Literaturnachweisen; StGH 2000/10, Entscheidung vom
5. Dezember 2000, Erw. 1.2 mit weiteren Rechtsprechungs- und Literaturhinweisen
(im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>).
218 Der Staatsgerichtshof bezeichnet in SIGH 1998/27, Urteil vom 23. November 1998,
LES 5/1999, S. 291 (293 Erw. 1.2; im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsent
scheide.li>) die Gemeindeautonomie als einen «verfassungsrechtlich verankerten
Ausnahmefall». Vgl. für die staatsrechtliche Beschwerde in der Schweiz Markus
Dill, Die staatsrechtliche Beschwerde, S. 31, der von der Autonomiebeschwerde als
einem «Ausnahmetatbestand» spricht.
219 Nach deutschem Recht treten die Gemeinden nicht als Grundrechtsträger auf, wenn
sie eine Verletzung ihrer Selbstverwaltungsgarantie aus Art. 28 GG geltend machen,
sondern verteidigen hoheitliche Zuständigkeiten und staatsabgeleitete Kompetenzen.
640
Verfahrensarten
Einzelnen gegen Eingriffe der öffentlichen Gewalt bestimmt, stellen also
«primär Schutzrechte gegen den Staat» dar,2° in den die Gemeinden
auch im Bereich ihrer Autonomie eingegliedert sind.2!
Eine grundrechtliche Qualifikation der Gemeindeautonomie ist
nach Wolfram Höfling kaum vertretbar.?? Sie ist auch dogmatisch nicht
zu begründen. Die Gemeinden können sich nicht auf klassische Frei-
heitsrechte berufen, die «staatsfreie Räume» garantieren und darin «pri-
vatautonome Gestaltungsfreiheit» ermöglichen. Soweit die Gemeinden
über gesetzliche Gestaltungsfreiräume verfügen, geht es, so der Staatsge-
richtshof, um «aufgabenbezogene Autonomie» und nicht um verfas-
sungsmässig gewährleistete Freiheit.??
Das Verhältnis des Staates zu den Gemeinden bestimmt, abgesehen
von den verfassungsrechtlichen Vorgaben in Art. 110 LV, zu einem gros-
sen Teil das Gesetz,?* auch wenn der Gesetzgeber von Verfassungs
Zur rechtlichen Einordnung der kommunalen Verfassungsbeschwerde siehe Ernst
Benda/Eckart Klein/ Oliver Klein, Verfassungsprozessrecht, S. 264 ff. Rz. 634 ff.,
insbesondere 635; vgl. auch Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 68.
220 StGH 1998/10, Urteil vom 3. September 1998, LES 4/1999, 5. 218 (223 Erw. 1) mit
Rechtsprechungs- und Literaturnachweisen; StGH 2000/10, Entscheidung vom
5. Dezember 2000, Erw. 1.2 mit weiteren Rechtsprechungs- und Literaturhinweisen
(im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>).
221 Vgl. Markus Dill, Die staatsrechtliche Beschwerde, S. 189 f.
222 Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 251. In diesem Sinne für die Schweiz
auch Beatrice Weber-Dürler, Träger der Grundrechte, S. 96 Rz. 39, die sich auf die
Rechtsprechung des Bundesgerichts bezieht, das für die Anerkennung der Gemein-
deautonomie als verfassungsmässiges Recht der Gemeinden geltend gemacht habe,
sie seien die Grundzellen des demokratischen Staates und es werde ihnen —- «ähnlich
dem Freiheitsrecht eines Einzelnen» (BGE 65 I 129, 131) — gegenüber dem Staat ein
eigener, selbständiger Wirkungsbereich gewährt. Sie meint: «Selbst wenn das
Gericht einen Vergleich zu einem Freiheitsrecht zieht, ist die Gemeindeautonomie
wohl kaum zu den Grundrechten zu zählen. Sie ist zwar in der Schweiz als verfas-
sungsmässiges Recht der Gemeinden anerkannt, doch stellt die Autonomiebe-
schwerde bei genauer Betrachtung nur eine scheinbare Ausnahme vom Grundsatz
dar, dass öffentlichrechtliche Korporationen nicht Träger von Grundrechten sind.»
Vgl. auch Markus Dill, Die staatsrechtliche Beschwerde, S. 16 f., 20 und 189 f.
223 StGH 2008/30, Urteil vom 4. November 2008, Erw. 1.1 mit weiteren Nachweisen
(im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>); SGH 1998/27, Urteil
vom 23. November 1998, LES 5/1999, 5. 291 (294, Erw. 1.3; im Internet abrufbar un-
ter: <www.gerichtsentscheide.li>); vgl. auch Wolfram Höfling, Träger der Grund-
rechte, S. 79 Rz. 49; ders., Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 89 f.
224 Vgl. StGH 1984/14, Urteil vom 28. Mai 1986, LES 2/1987, S. 36 (39 Erw. 2); Job von
Nell, Die politischen Gemeinden, S. 59.
641
Zuständigkeiten und Verfahren
wegen darauf zu achten hat, dass die Gemeinden immer mit einem «rele-
vanten Autonomie-Bereich und einer Entscheidungsfreiheit» ausgestat-
tet sind, um sinnvollerweise als Gemeinden funktionieren zu können. Es
ist wichtig, so der Staatsgerichtshof, «den eigenen Wirkungskreis der
Gemeinden nicht allzu restriktiv auszulegen», damit sie als «lebendige
Einheiten bestehen bleiben können».?> Inhalt und Umfang der Gemein-
deautonomie bleiben aber unter diesem Aspekt, was ihre Substanz
betrifft, weitgehend offen.22®
4. Abstimmungsbeschwerde??
Eine Abstimmung kann aus den in Art. 74 Abs. 2 und 3 VRG genannten
Gründen im Rahmen des Individualbeschwerdeverfahrens beim Staats-
gerichtshof angefochten werden. Die Abstimmungsfreiheit stellt nach
der Judikatur des Staatsgerichtshofes «einen Teilgehalt des grundrechtli-
chen Anspruchs auf ungehinderte Ausübung der politischen Rechte
gemäss Art. 29 LV» dar,28 deren Verletzung in einer «Abstimmungsbe-
schwerde» gerügt werden kann.???
III. Normenkontrollverfahren
1. Allgemeines
Der Staatsgerichtshof hat allein die Kompetenz, über die Geltung von
Rechtsnormen am Massstab der Verfassung zu entscheiden. Diese Funk-
225 StGH 1981/13, Gutachten vom 16. Juni 1981, LES 1982, 5. 126 (127 Erw. 3.2); SIGH
1984/14, Urteil vom 28. Mai 1986, LES 2/1987, S. 36 (38 f. Erw. 1 und 2).
226 Vgl. auch Job von Nell, Die politischen Gemeinden, S. 61 f.
227 Siehe auch vorne S. 446 f.
228 Siehe vorne S. 396.
229 StGH 2003/71, Urteil vom 15. Mai 2006, Erw. 2 (im Internet abrufbar unter:
<www.stgh.li>) mit Hinweis auf SIGH 2003/25, Erw. 2.1, nicht veröffentlicht; vgl.
auch Martin Batliner, Politische Volksrechte, S. 202 und 206; Bernhard Ehrenzeller
/Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 682 Rz. 102.
642
Verfahrensarten
tion der Normenkontrolle?® macht das Wesen der Verfassungsgerichts-
barkeit aus.231
a) Verfahrensarten
Normenkontrollen stellen, abgesehen von ihrer prozessualen Ausfor-
mung im Staatsgerichtshofgesetz, sogenannte «objektive» Verfahren
dar? in denen der Staatsgerichtshof die Verfassungs-, Gesetz- und
Staatsvertragsmässigkeit einer Rechtsnorm prüft. Sie dienen dem Schutz
und dem Vorrang der Verfassung «und so der Rechtssicherheit und
Rechtsgewissheit».?* Die Entscheidungen des Staatsgerichtshofes erzeu-
gen entsprechend ihrer «objektiven Verfassungssicherungsfunktion»?*
eine «allgemeinverbindliche Wirkung».? Je nach Anlass unterscheidet
man eine abstrakte und eine konkrete Normenkontrolle. Von einer abs-
trakten Normenkontrolle spricht man, wenn eine Rechtsnorm unabhän-
gig bzw. losgelöst von einem konkreten Anwendungsfall, d. h. «abs-
trakt», geprüft wird. Sie hat bisher in der Praxis kaum eine Rolle
gespielt.?6 Konkret wird eine Normenkontrolle genannt?” wenn ein
230 Es handelt sich hier um einen Begriff jüngeren Datums, der in der Verfassung und
im Staatsgerichtshofgesetz nicht vorkommt. Er hat sich aber in der Praxis durchge-
setzt. Vgl. Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 80 und für Deutschland Klaus Stern,
Staatsrecht, Bd. IT, S. 948 f. und 982.
231 Vgl. Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 71; für Deutschland Werner Heun, Nor-
menkontrolle, S. 615.
232 Vgl. Christian Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, S. 63 Rz. 62, der hervorhebt,
dass Normenkontrollverfahren nicht dem subjektiven Rechtsschutz dienen. Vgl.
auch Ernst Benda/Eckart Klein/Oliver Klein, Verfassungsprozessrecht, S. 274
Rz. 659. Zur verfahrensrechtlichen Seite der Normenkontrolle siehe nachfolgend
hinten S. 645 ff.
233 Gerhard Ulsamer, Abstrakte Normenkontrolle, S. 50; Wolfram Höfling, Die Ver-
fassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 58 f. Der Staatsgerichtshof ist zur
Wahrung und Durchsetzung des Verfassungsrechts berufen.
234 Diese Formulierung findet sich bei Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde
zum Staatsgerichtshof, S. 64.
235 Siehe Art. 54 SIGHG.
236 Siehe Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 36;
Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 158.
237 Zur Kritik an dieser Bezeichnung siehe Reinhold Zippelius /Thomas Würtenberger,
Deutsches Staatsrecht, S. 532 Rz. 34, die sie «missverständlich» nennen, da die Nor-
menkontrollentscheidung immer «abstrakt» die Rechtsnorm und nicht den konkre-
ten Fall zum Gegenstand habe. Aus diesem Grund erscheine es «treffender», von
einer «inzidenten Normenkontrolle» zu sprechen.
643
Zuständigkeiten und Verfahren
konkreter Rechtsstreit den Anlass zur Normenkontrolle bildet. Neben
diesen beiden Verfahrensarten gibt es noch andere, die zur verfassungs-
gerichtlichen Normenkontrolle führen können, so beispielsweise der
Weg über die Individualbeschwerde oder den Individualantrag, der aber
aufgrund seines subsidiären Charakters nicht als «allgemeine abstrakte
Anfechtungsbefugnis» zu verstehen ist.23®
Prozessrechtlich ist die Normenkontrolle im Unterschied zum
deutschen Recht? als kontradiktorisches Verfahren ausgestaltet wor-
den, in dem die subjektiven Parteienrechte zu gewähren sind.2® Es folgt
ın dieser Hinsicht dem österreichischen Verfassungsprozessrecht, dem-
zufolge die Normenkontrolle als streitiges Parteienverfahren konstruiert
ist.?1 Diese Verfahrensregelung hängt wohl mit der Verschiedenartigkeit
der beiden einschlägigen Rezeptionsvorlagen, des österreichischen und
des deutschen Verfahrensrechts,2 zusammen, die sich konzeptionell
unterscheiden.2%
b) Repressive und präventive Normenkontrolle
Die Normenkontrolle ist repressiv, wenn sie auf bereits in Kraft ste-
hende Rechtsvorschriften Anwendung findet. Sie ist präventiv, wenn die
Verfassungs-, Gesetz- oder Staatsvertragsmässigkeit vor deren Inkraft-
treten geprüft und entschieden wird.?*#
238 Siehe Karl Korinek/ Andrea Martin, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 77.
239 Nach deutschem Recht handelt es sich «nicht um subjektiv geprägte Streitigkeiten,
sondern um objektive Verfahren, in denen das Bundesverfassungsgericht die Exis-
tenz, Qualität und Bedeutung von Rechtsnormen feststellt [...]». So Ernst Benda/
Eckart Klein/ Oliver Klein, Verfassungsprozessrecht, S. 274 Rz. 659.
240 Der Staatsgerichtshof versteht die Normenkontrollverfahren im Allgemeinen als
streitähnliche, kontradiktorische Verfahren. Siehe zum alten Staatsgerichtshofgesetz
Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 124 ff. und zum derzeit geltenden Staatsge-
richtshofgesetz Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 163 ff., der auch
auf Inkonsequenzen in der Spruchpraxis des Staatsgerichtshofes hinweist.
241 Vgl. Karl Korinek/ Andrea Martin, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 73 f.
242 Siehe BuA Nr. 45/2003 der Regierung vom 12. August 2003, S. 10.
243 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 35 f., 164 Fn. 268, 165 ff. und
188 f.
244 Vgl. Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 75 mit weiteren Hinweisen. Eine Art von
präventiver Normenkontrolle stellt die Nichtigerklärung eines Initiativbegehrens
gemäss Art. 70b Abs. 3 VRG dar, die in der Kritik steht. Siehe dazu Herbert Wille,
Normenkontrolle, S. 237 ff.; ders., Das Abkommen über den Europäischen Wirt-
schaftsraum, S. 140 f. und Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 72 f.
644
Verfahrensarten
Die Verfassung geht von einer repressiven Normenkontrolle aus. Sie legt
in Art. 104 Abs. 2 fest, dass der Staatsgerichtshof bei der Prüfung der
Verfassungsmässigkeit von Gesetzen und Staatsverträgen sowie der
Gesetzmässigkeit der Regierungsverordnungen «kassatorisch» urteilt.
Kassiert werden können nur Rechtsnormen, die in der Rechtsordnung
mit dem formellen Anspruch auf Geltung auftreten, d. h. sich bereits in
Kraft befinden.?5 Im gleichen Sinne äussert sich der Staatsgerichtshof,
der zu verstehen gibt, dass eine noch nicht erlassene Rechtsnorm nicht
aufgehoben werden kann, da eine Aufhebung per definitionem den
rechtsgültigen Bestand einer Rechtsnorm voraussetzt.?*% Dementspre-
chend ist auch das Staatsgerichtshofgesetz konzipiert.
2. Abstrakte Normenkontrolle
a) Vorbemerkungen
Die abstrakte Normenkontrolle ist deshalb «abstrakt», weil sie unab-
hängig von einem konkreten Streitfall beim Staatsgerichtshof anhängig
gemacht werden kann.?*” Das Staatsgerichtshofgesetz beschränkt die
Antragsteller und bestimmt sie abschliessend. Sie sind je nach Gesetzes-
prüfungs- und Verordnungsprüfungsverfahren verschieden.?*8
Auch wenn die abstrakte Normenkontrolle ihrem Zweck nach ein
objektives Verfahren darstellt, bei dem der Antragsteller materiell weder
von der Gesetzes- oder Verordnungsvorschrift betroffen sein noch ein
subjektives Rechtsschutzinteresse vorweisen muss, geht der Staatsge-
mit jeweils weiteren Rechtsprechungs- und Literaturangaben; vgl. auch Bernhard
Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 657 ff. Rz. 40 ff.; Peter Bussjäger,
Präventive Normenkontrolle, S. 39 ff., der sich ausführlich mit der Frage der Ver-
fassungskonformität befasst und sie bejaht.
245 Schon begrifflich können nur Rechtsnormen, die rechtlich existent sind, geprüft und
aufgehoben werden. Vgl. für Österreich auch Heinz Schäffer, Kommentar zu
Art. 140 B-VG, S. 35 Rz. 22. Zur Möglichkeit, die Verfassungswidrigkeit von bereits
ausser Kraft getretenen Rechtsnormen festzustellen, siehe Art. 19 Abs. 2 SIGHG.
246 Vgl. StGH 1980/10, Entscheidung vom 10. Dezember 1980, LES 1982, S. 10 (11);
StGH 1996/44, Urteil vom 25. April 1997, nicht veröffentlicht, S. 11.
247 Das Einlangen des Normenkontrollantrages bewirkt die Gerichtsanhängigkeit.
Siehe Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 422.
248 Siehe Art. 18 Abs. 1 Bst. a und 20 Abs. 2 Bst. c SIGHG.
645
Zuständigkeiten und Verfahren
richtshof davon aus, dass es im abstrakten Normenkontrollverfahren
nicht nur einen Antragsteller, sondern auch einen Antragsgegner gibt.2*
b) Abstraktes Gesetzesprüfungsverfahren
Antragsteller sind die Regierung und die Gemeinden?®, Sie sind berech-
tigt, beim Staatsgerichtshof einen Antrag auf Überprüfung der Verfas-
sungsmässigkeit von Gesetzen oder Gesetzesbestimmungen einzubrin-
gen. Sie werden, wenn sie ein solches Prüfungsverfahren in Gang setzen,
Verfahrensbeteiligte mit Parteistellung.25!
Antragsgegner ist der Gesetzgeber, der im abstrakten Gesetzesprü-
fungsverfahren Parteistellung einnimmt.?? Das gesetzgebende Organ
setzt sich aus Volk bzw. Landtag und Landesfürst zusammen.?® In der
Staatspraxis nimmt der Landtag die Verfahrensrechte wahr.?*
Eingaben an den Staatsgerichtshof sind generell schriftlich zu stel-
len. Das gilt auch für Normenkontrollanträge. Sie haben eine Darstel-
lung des Sachverhalts zu enthalten, aus dem der Antrag hergeleitet
wird.? Sie sind nicht an eine Frist gebunden und können jederzeit ein-
gereicht werden. Der Staatsgerichtshof stellt keine allzu hohen Anforde-
rungen an die Begründung des Begehrens, das dem Antrag zugrunde
liegt. Es müssen zumindest Anhaltspunkte angegeben werden, die für
die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes oder einer Gesetzesvorschrift
sprechen, die als solche näher zu bezeichnen sind.?%
249 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 167. Wenn es im abstrakten
Normenkontrollverfahren nur einen Verfahrensbeteiligten, den Antragsteller gäbe,
so wäre die Objektivität dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens nur unzurei-
chend garantiert, zumal sich in der Sache unterschiedliche Rechtspositionen gegen-
überstehen. So Elisabeth von Szczepanski, Verfahrensbeteiligung im abstrakten
Normenkontrollverfahren, S. 487.
250 Als zuständige Behörde kommt nach Art. 40 GemG der Gemeinderat infrage.
251 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 161 ff.
252 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 167 f.
253 Zur Problematik der verfassungsgerichtlichen Kontrolle des Gesetzgebers siehe
hinten S. 668 ff.
254 Er ist gemäss Art. 65 ff. LV das beschlussfassende Staatsorgan.
255 Siehe Art. 40 Abs. 1 i. V. m. Art. 18 Abs. 2 SSGHG und dazu StGH 2013/16, Be-
schluss vom 1. Juli 2013, Erw. 1 (im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsent
scheide.li>).
256 Siehe zur Begründungspflicht nach dem alten Staatsgerichtshofgesetz 1925, das sich
in dieser Hinsicht textlich nicht von Art. 18 Abs. 2 SSGHG unterscheidet, Herbert
Wille, Normenkontrolle, 5. 166 ff.
646
Verfahrensarten
Bei den Normenkontrollanträgen ist besonders zu beachten, dass sie
nicht nur eine Überprüfung, sondern auch eine Aufhebung der entspre-
chenden Rechtsnormen zu umfassen haben.257
Prüfungsgegenstand sind Gesetze. Der Staatsgerichtshof praktiziert
im Normenkontrollverfahren einen weitgefassten Gesetzesbegriff.?®
c) Abstraktes Verordnungsprüfungsverfahren
Antragsteller sind 100 stimmberechtigte Personen, die befugt sind, beim
Staatsgerichtshof einen gemeinsamen Antrag auf Überprüfung der Ver-
fassungs- und Gesetzmässigkeit sowie der Staatsvertragsmässigkeit einer
Verordnung oder einzelner Bestimmungen einer Verordnung einzubrin-
gen.?* Sie bilden prozessual eine einheitliche Streitpartei,?® der die Re-
gierung, die die Verordnung erlassen hat,?*! als Antragsgegnerin entge-
gentritt. Es kommt der Regierung Parteistellung zu. Auch bei der abs-
trakten Verordnungskontrolle handelt es sich um ein kontradiktorisches
Verfahren.2%
Der Prüfungsantrag ist innerhalb einer Frist von einem Monat seit
der Kundmachung der Verordnung im Landesgesetzblatt zu stellen. Die
Eingabevorschriften stimmen mit denen über den Gesetzesprüfungsan-
trag überein.26
Da der Staatsgerichtshof in seiner Spruchpraxis keinen einheitli-
chen Verordnungsbegriff verwendet? sind auch Gemeindeverordnun-
gen Gegenstand der abstrakten Normenkontrolle, wobei in diesem Ver-
fahren Antragsgegnerin die Gemeinde ist, die die Verordnung erlassen
hat. Die Regierung kann Parteistellung erlangen, wenn sie dem Verfah-
ren beitritt.265
257 Siehe Art. 18 Abs. 2 und 20 Abs. 2 StGHG und dazu Tobias Michael Wille, Verfas-
sungsprozessrecht, S. 487.
258 Siehe Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 210 ff. und vorne S. 517.
259 Siehe Art. 20 Abs. 1 Bst. c SSGHG.
260 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 192 ff.
261 Art. 104 Abs. 2 IV spricht von «Regierungsverordnungen»; nicht deckungsgleich
Art. 20 Abs. 1 SIGHG. Dazu auch im Folgenden.
262 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 195 f.
263 Siehe Art. 20 Abs. 2 SIGHG.
264 Vgl. Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 241 ff.; Tobias Michael Wille, Verfassungs-
prozessrecht, S. 196 ff.
265 Vgl. Art. 20 Abs. 3 SEGHG und Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht,
5.198 f.
647
Zuständigkeiten und Verfahren
«Selbständige» Verordnungen, die auf der Stufe eines Gesetzes stehen,?%
wie beispielsweise die Notverordnungen des Landesfürsten, richten sich
nach den besonderen Bestimmungen des Gesetzesprüfungsverfahrens.2°7
Antragsteller sind demnach, wenn man — wie hier — davon ausgeht, dass
das Notverordnungsrecht dem Landesfürsten zusteht, die Regierung
und die Gemeinden. Antragsgegner ist der Landesfürst. Ist man jedoch
der Ansicht, dass der Landesfürst Notverordnungen «durch die Regie-
rung» erlässt, fällt die Regierung als Antragstellerin ausser Betracht.?®®
Antragsteller sind demnach allein die Gemeinden.
Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, dass solche Verord-
nungen auch im Wege des Individualantrages angefochten werden kön-
nen. Es besteht ebenfalls die Möglichkeit, dass es über eine Individual-
beschwerde zu einer konkreten Normenkontrolle kommt.?°
3. Konkrete Normenkontrolle
a) Umfang - Fallkonstellationen
Das Staatsgerichtshofgesetz ordnet die verfassungsgerichtliche Prüfung
von
— Gesetzen auf Antrag eines Gerichts oder von Amtes wegen;
— Verordnungen auf Antrag eines Gerichts und einer Gemeinde-
behörde?”! oder von Amtes wegen sowie
— von Staatsverträgen auf Antrag eines Gerichts und einer Verwal-
tungsbehörde oder von Amtes wegen
der Kategorie der konkreten Normenkontrolle zu.?? Dazu zählt auch
die verfassungsgerichtliche Prüfung von Rechtsvorschriften, die im Rah-
men einer Individualbeschwerde erfolgt.
266 Siehe Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 216 f.; Andreas Kley, Grundriss, S. 48 mit
jeweils weiteren Hinweisen.
267 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 200.
268 Vgl. vorne S. 322 f.
269 Siehe Art. 10 Abs. 1 LV und Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 200.
270 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 193 und 200.
271 Art. 19 Abs. 1 Bst. a SSGHG verwendet den Terminus «Gemeinde».
272 Siehe Art. 18 Abs. 1 Bst. b und c, Art. 20 Abs. 1 Bst. a und b und Art. 22 Abs. 1a
und b StGHG.
648
Verfahrensarten
b) Konkretes Gesetzesprüfungsverfahren
ba) Auf Antrag eines Gerichts
baa) Vorlagerecht und Vorlagepflicht
Erachtet das Gericht in einem Rechtsstreit, der bei ihm anhängig ist, das
Gesetz oder die Gesetzesbestimmung, die es anzuwenden hat und die
für dieses Verfahren ausschlaggebend bzw. präjudiziell ist,?73 als verfas-
sungswidrig, setzt es dieses Verfahren aus und legt dem Staatsgerichtshof
gleichzeitig die Frage der Verfassungsmässigkeit zur Entscheidung vor.
Vorlagerecht und Vorlagepflicht fallen so gesehen zusammen.?* Es
besteht in diesem Fall eine Vorlagepflicht.?> Der Vorlagebeschluss des
(Fach-)Gerichts, das den Antrag stellt, ist nicht anfechtbar.?7®
Antragsberechtigt sind die ordentlichen Gerichte des Zivil- und
Strafverfahrens aller Instanzen. Dazu zählen das Landgericht, das Ober-
gericht und der Oberste Gerichtshof. Die Stellung im Instanzenzug ist
nicht von Belang. In Verwaltungssachen ist es der Verwaltungsgerichts-
hof. Es gibt keine gerichtsinstanzliche Vorlagebeschränkung.?77
«Anhängige Verfahren» können solche des streitigen Zivilprozes-
ses oder der freiwilligen Gerichtsbarkeit wie auch Verfahren in Aus-
übung der Aufsichtspflicht sein.278
bab) Antragsbegründung und «Aufhebungsbegehren»
Das (Fach-)Gericht hat seinen Prüfungsantrag rechtlich zu begründen.
Der Staatsgerichtshof betrachtet eine Begründung als hinreichend, wenn
273 Zum Begriff der Präjudizialität als zwingende Voraussetzung siehe Herbert Wille,
Normenkontrolle, S. 169 ff.
274 Vsgl. für Deutschland auch Ernst Benda/ Eckart Klein/ Oliver Klein, Verfassungs-
prozessrecht, S. 317 Rz. 770.
275 Siehe Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 171 f. Die Vorlagepflicht
fällt auch dann nicht dahin, wenn bereits ein anderes Gericht dasselbe Gesetz oder
dieselbe Gesetzesbestimmung dem Staatsgerichtshof unterbreitet hat. Vgl. Tobias
Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 173; vgl. auch Ernst Benda/ Eckart Klein
/ Oliver Klein, Verfassungsprozessrecht, S. 317 Rz. 771.
276 Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 174 f.
277 Vgl. Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 178 f.; Tobias Michael Wille, Verfassungs-
prozessrecht, S. 169 f.
278 StGH 1995/15, Urteil vom 31. Oktober 1995, LES 2/1996, 5. 61 (64 Erw. 1); siehe
dazu auch Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 170 f.
649
Zuständigkeiten und Verfahren
es die aus seiner Sicht für die Verfassungswidrigkeit sprechenden
Gründe anführt.?? Der Prüfungsantrag hat ausserdem ein «ausdrückli-
ches Aufhebungsbegehren» zu enthalten.2®
bac) Charakteristik des Vorlageverfahrens
Das Normenkontrollverfahren wird in diesem Zusammenhang als ein
vom Ausgangsverfahren getrenntes, unabhängiges und selbständiges
Zwischenverfahren verstanden?! das durch einen Prüfungsantrag des
(Fach-)Gerichts eingeleitet wird, der zwingend einen Unterbrechungs-
beschluss voraussetzt. Antragsteller sind denn auch allein das (Fach-)
Gericht und nicht die Prozessparteien des Ausgangsverfahrens, die nicht
vorlageberechtigt sind.?%2
bb) Von Amtes wegen
bba) Prüfungs- und Entscheidungspflicht
Erweist sich ein Gesetz oder eine Gesetzesbestimmung, die der Staats-
gerichtshof in einem bei ihm anhängigen Verfahren anzuwenden hat, im
Rahmen der Normprüfung als verfassungswidrig, entscheidet er über die
Verfassungsmässigkeit dieser Rechtsvorschriften. Es trifft ihn in diesem
amtswegigen Verfahren eine Prüfungs- und Entscheidungspflicht.283
bbb) Einheitlicher Prozess
Das konkrete Normenkontrollverfahren von Amtes wegen bildet
zusammen mit dem Ausgangsverfahren einen einheitlichen Prozess. Die
Verfahrensparteien des Ausgangsverfahrens behalten ihre Parteistellung.
Das Staatsgerichtshofgesetz sieht im Unterschied zur konkreten Nor-
279 Vgl. Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 200.
280 So StGH 2012/163, Urteil vom 13. Mai 2013, Erw. 1.1 (im Internet abrufbar unter:
<www.gerichtsentscheide.li>); SEGH 2012/193, Urteil vom 14. Mai 2013, Erw. 1 (im
Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>).
281 Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 179 f.
282 "Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 186 f. Die Parteien des Aus-
gangsverfahrens können lediglich «Normbedenken» äussern bzw. ein Normenkon-
trollverfahren «anregen». So Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 171
und 176 Fn. 315.
283 Vgl. Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 205 f. zur Rechtslage nach dem alten
Staatsgerichtshofgesetz 1925.
650
Verfahrensarten
menkontrolle auf Antrag eines (Fach-)Gerichts keine Unterbrechung
des Ausgangs- bzw. Anlassverfahrens vor.2*
c) Konkretes Verordnungsprüfungsverfahren
Der Staatsgerichtshof prüft Verordnungen auf ihre Verfassungs- und
Gesetzmässigkeit sowie auf ihre Staatsvertragsmässigkeit. Die Regelung
in Art. 20 Abs. 1 Bst. a und b sowie Abs. 2 StGHG entspricht zur
Hauptsache dem konkreten Gesetzesprüfungsverfahren, wie es in Art.
18 Abs. 1 Bst. a und b sowie Abs. 2 SEGHG festgelegt ist, sodass sich die
Darstellung auf einige verfahrensrechtliche Aspekte beschränken kann.
ca) Auf Antrag eines Gerichts oder einer Gemeindebehörde
Im Unterschied zum konkreten Gesetzesprüfungsverfahren gehören
neben den Gerichten zum Kreis der Antragsberechtigten auch die Ge-
meindebehörden.?85
Das Verfahren ist als eigenständiges und vom Ausgangsverfahren
losgelöstes Verfahren ausgestaltet, das ein Äusserungs- und Verfahrens-
beitrittsrecht nur für die Regierung kennt.?® Als Antragsteller erhalten
sowohl das (Fach-)Gericht als auch die Gemeindebehörde Parteistellung
ım Zwischenverfahren.2%7
Die Regierung und ebenso die Gemeindebehörde werden zur Ver-
fahrenspartei, d. h. zur Antragsgegnerin, wenn sie die Stellung der Be-
hörde einnehmen, die die Verordnung erlässt.?%
cb) Von Amtes wegen
Es handelt sich bei der Verordnungsprüfung von Amtes wegen gleich wie
bei der amtswegigen Gesetzesprüfung um ein einheitliches Verfahren.
284 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 189 f. unter Bezugnahme auf
BuA Nr. 45/2003 der Regierung vom 12. August 2003, S. 48, wo es heisst: «Hier hat
sich die bisherige Praxis bewährt, die Normenkontrolle innerhalb ein und desselben
Verfahrens durchzuführen.»
285 Siehe Art. 20 Abs. 1 Bst. a SYGHG und dazu Tobias Michael Wille, Verfassungspro-
zessrecht, S. 201; Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 175 ff.
286 Siehe Art. 20 Abs. 3 SIGHG.
287 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 201.
288 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 202.
651
Zuständigkeiten und Verfahren
Der Staatsgerichtshof fasst keinen förmlichen Unterbrechungsbeschluss.
Als Verfahrensparteien treten diejenigen des Ausgangsverfahrens auf.2®
d) Prüfung von Staatsverträgen?”
Dem Staatsgerichtshofgesetz ist die abstrakte Form der Kontrolle von
Staatsverträgen nicht bekannt. Der Staatsgerichtshof prüft Staatsverträge
auf ihre Verfassungsmässigkeit nur im Rahmen eines konkreten Anlass-
falles.2 Es kann auch hier auf die Darlegungen zur konkreten Geset-
zeskontrolle verwiesen werden.
da) Auf Antrag eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde
Sowohl ein Gericht als auch eine Verwaltungsbehörde können einen
Prüfungsantrag beim Staatsgerichtshof stellen. Sie haben dabei das
Anlassverfahren zu unterbrechen, das so lange ruht, bis der Staatsge-
richtshof über das Prüfungsbegehren entschieden hat. Auch das Staats-
vertragsprüfungsverfahren stellt ein vom Ausgangsverfahren losgelöstes
und eigenständiges Verfahren dar.??
Parteistellung im Zwischenverfahren kommt der Regierung und
dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde zu, von denen der Antrag
ausgeht. Antragsgegner ist der Landtag, der den entsprechenden
Beschluss gefasst bzw. dem Staatsvertrag zugestimmt hat.?®
db) Von Amtes wegen
In einem bei ihm anhängigen Verfahren kann der Staatsgerichtshof
von Amtes wegen Staatsverträge oder einzelne seiner Bestimmungen
289 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 203 f.
290 Die Verfassungsrevision von 2003 hat in Art. 104 Abs. 2 LV die verfassungsrechtli-
che Grundlage geschaffen, damit der Staatsgerichtshof auch Staatsverträge auf ihre
Verfassungsmässigkeit prüfen kann. Die Regelung in Art. 22 und 23 StGHG «ent-
spricht im Wesentlichen den gleichartigen Bestimmungen in Art. 140a öst. B-VG
bzw. $ 66 des österreichischen Verfassungsgerichtshofsgesetzes sowie $ 13 Ziff. 12
und $ 83 des deutschen Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht». So BuA Nr.
45/2003 der Regierung vom 12. August 2003, S. 50. Siehe auch Günther Winkler,
Verfassungsreform, S. 328 ff. Zur alten Rechtslage siehe Herbert Wille, Normen-
kontrolle, S. 260 ff.
291 Siehe Art. 22 Abs. 1 SEGHG und dazu Tobias Michael Wille, Verfassungsprozess-
recht, S. 204.
292 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 205.
293 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 205 f.
652
Verfahrensarten
prüfen,?* ohne dass er einen entsprechenden Unterbrechungsbe-
schluss fasst.?®
4. Rechtliche Wirkungen der Normenkontrollentscheidungen
Das Staatsgerichtshofgesetz differenziert bei der Bindungswirkung von
verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zwischen der Verbindlichkeit
gegenüber allen Behörden des Landes und der Gemeinden sowie aller
Gerichte?® und der Allgemeinverbindlichkeit, die Entscheidungen
erzeugen, die im Normenkontrollverfahren ergangen sind.?”
Die Bindungswirkung der Entscheidungen des Staatsgerichtshofes
geht in subjektiver Hinsicht über die materielle Rechtskraftwirkung
hinaus, die nur die Verfahrensbeteiligten an die Entscheidung über den
Streitgegenstand bindet.??® Sie binden alle Behörden des Landes und der
Gemeinden sowie alle Gerichte, d. h. die gesamte öffentliche Gewalt,?®®
auch wenn sie nicht am gerichtlichen Verfahren beteiligt waren. Hierin
zeigt sich der Unterschied zu den Entscheidungen der (Fach-)Gerichte,
die nur mit materieller Rechtskraft ausgestattet sind.
294 Siehe Art. 22 Abs. 1 Bst. b SSGHG.
295 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 206 f.
296 Auf diese Behörden- und Gerichtsverbindlichkeit bezieht sich Art. 54 Satz 1
StGHG.
297 Art. 54 Satz 2 StGHG erfasst die Normenkontrollentscheidungen. Er erklärt die
Normenkontrollentscheidungen des Staatsgerichtshofes für allgemein verbindlich.
298 Siehe zu den subjektiven Grenzen der materiellen Rechtskraft Tobias Michael Wille,
Verfassungsprozessrecht, S. 818.
299 Den Begriff der öffentlichen Gewalt verwendet Art. 15 Abs. 1 SIGHG. Siehe dazu
vorne bei der Individualbeschwerde S. 632. Der Begriff der öffentlichen Gewalt
umfasst auch den Gesetzgeber, wenn man beispielsweise den Individualantrag
gemäss Art. 15 Abs. 3 SSGHG in Betracht zieht, sodass unter «Behörde» in Art. 54
Satz 1 SEGHG auch der Gesetzgeber zu verstehen ist. Vgl. auch Tobias Michael
Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 848 f., der eine etwas andere Ansicht vertritt,
indem er sich einschränkend auf nicht-legislative Akte des Landtages bezieht. Siehe
zum Landtag als «Verwaltungsbehörde» auch Wolfram Höfling, Die Verfassungs-
beschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 145 f.
300 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 811 f. und 815 f. mit weite-
ren Literatur- und Rechtsprechungshinweisen.
653
Zuständigkeiten und Verfahren
Die Entscheidungen des Staatsgerichtshofes in den Fällen der abstrakten
und konkreten Normenkontrolle? entfalten zusätzlich zur Behörden-
und Gerichtsverbindlichkeit verfassungsgerichtlicher Entscheidungen
eine allgemein verbindliche Wirkung.?® Sie sind für jedermann verbind-
lich, sodass in diesem Zusammenhang von einem «erga omnes-Effekt»
die Rede ist.?® Diese allgemein verbindliche Wirkung, die nicht nur alle
Bürger und Bürgerinnen, sondern auch den Gesetzgeber erfasst,
erstreckt sich aber nur auf den Spruch der Entscheidung und nicht auch
auf das gesamte Urteil bzw. auf die in den Gründen enthaltenen Urteils-
elemente. Diese sogenannten «tragenden Entscheidungsgründe» können
allenfalls zur Auslegung des Entscheidungstenors verwendet werden.?*
Die Entscheidungsformel erwächst mit der Kundmachung im Landesge-
setzblatt in Rechtswirksamkeit,?® sofern der Staatsgerichtshof die «Auf-
hebung»?% nicht um längstens ein Jahr aufschiebt. Der Anlassfall ist
hiervon allerdings ausgenommen. ?7
301 Siehe Art. 18, 20 und 22 SGHG. Dazu zählen auch Entscheidungen im Individual-
antragsverfahren nach Art. 15 Abs. 3 SEGHG, das allgemein den Normenkontroll-
verfahren zuzuordnen ist. So Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 844.
302 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 844 f.; zur alten Rechtslage
Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 334 ff., an der sich in dieser Hinsicht nichts
geändert hat. Siehe BuA Nr. 45/2003 der Regierung vom 12. August 2003, S. 55, der
auch erklärt, warum der Begriff «Gesetzeskraft», wie ihn der Gesetzesvorschlag für
ein Staatsgerichtshofgesetz 1992 (dazu Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 337 f.)
vorgesehen hatte, nicht übernommen wurde. Dabei wird darauf hingewiesen, dass
der Staatsgerichtshof nicht Gesetzgeber im Sinne der Verfassung sei. Es sei auch ins-
besondere zur Aufhebung einer gesetzwidrigen Verordnung eine «Anordnung mit
Gesetzeskraft» nicht angebracht. Werner Heun, Verfassungsordnung, S. 206 ist der
Ansicht, dass die Gesetzeskraft der Bindungswirkung kaum etwas hinzufügt und
sich ohnehin allein auf den Tenor beschränkt. Im Kern sei «sie nichts anderes als das
Korrelat der allgemeinen Bindungswirkung von Gesetzen».
303 Vgl. Werner Heun, Verfassungsordnung, S. 206.
304 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 845 mit Hinweis auf deut-
sche Literatur.
305 Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass nur dem Entscheidungsspruch und nicht
auch den Entscheidungsgründen allgemein verbindliche Wirkung zukommt.
306 Es geht nur um normverwerfende Entscheidungssprüche oder solche, die die Ver-
fassungswidrigkeit feststellen, wie dies dem Wortlaut von Art. 19 Abs. 3 SIGHG zu
entnehmen ist.
307 So ausdrücklich Art. 19 Abs. 3 SIGHG. Im abstrakten Normenkontrollverfahren
und bei Individualanträgen gibt es keinen Anlassfall. Vgl. auch Karl Korinek/An-
drea Martin, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 78.
654
Verfahrensarten
IV. Kompetenzkonfliktverfahren
1. Inhalt und Begriffe
Der Staatsgerichtshof ist nach Art. 104 Abs. 1 LV und Art. 24 SIGHG
als Kompetenzgerichtshof berufen, über Kompetenzkonflikte zwischen
einem Gericht und einer Verwaltungsbehörde zu entscheiden.?® Nicht
unter diesen Gesetzesbegriff fallen Kompetenzstreitigkeiten zwischen
Gerichtsbehörden einerseits und zwischen Verwaltungsbehörden ande-
rerseits.?? Solche Zuständigkeitskonflikte sind innerhalb der betreffen-
den Gerichts- und Verwaltungsinstanzen beizulegen.?!°
Ein Kompetenzkonflikt im positiven Sinn liegt vor, wenn eine
Gerichts- und eine Verwaltungsbehörde die Zuständigkeit in derselben
Sache in Anspruch nehmen und entscheiden, wobei es sich bei «dersel-
ben Sache» um die Anwendung derselben allgemeinen Rechtsvorschrift
auf ein und denselben Sachverhalt handelt. Von einem negativen Kom-
petenzkonflikt ist auszugehen, wenn beide Behörden ihre Zuständigkeit
ablehnen, die in der Regel in einer Zurückweisung wegen Unzuständig-
keit besteht.?!! Ein Kompetenzkonflikt ist demnach nicht gegeben, wenn
zwei unzuständige Gerichts- und Verwaltungsbehörden angerufen wer-
den, die sich für unzuständig erklären oder wenn zwei zuständige
Gerichts- und Verwaltungsbehörden ihre Zuständigkeit zu Unrecht ver-
neinen.?!?
308 Vgl. auch Art. 24 Abs. 3 und Art. 111 Abs. 7 LVG; ausführlich zum Kompetenzkon-
fliktverfahren Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 210 ff. und 787.
309 Vgl. BuA Nr. 45/2003 der Regierung vom 12. August 2003, S. 51.
310 Vgl. StGH 1982/38, Beschluss vom 1. Dezember 1982, LES 4/1983, S. 116 (117).
311 Vgl. SEGH 2009/47, Urteil vom 30. November 2009, Erw. 2 mit weiteren Recht-
sprechungshinweisen (im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>);
vgl. auch Robert Walter/Heinz Mayer/ Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Bundesver-
fassungsrecht, S. 508 f. Rz. 1080.
312 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 210 f.
655
Zuständigkeiten und Verfahren
2. Antragsberechtigung
Antragsberechtigt ist im Fall eines negativen Kompetenzkonfliktes eine
der beteiligten Prozessparteien des Anlassfalles.?!? Bei positiven Kompe-
tenzkonflikten kann der Antrag von der im Verfahren befassten letzten
Instanz oder von der Regierung gestellt werden. Die am Verfahren betei-
ligten Prozessparteien sind ebenfalls antragslegitimiert.?!* Sie behalten
im Kompetenzkonfliktverfahren ihre Parteistellung, da dieses zusam-
men mit dem Ausgangsverfahren einen einheitlichen Prozess bildet.?5
3. Entscheidung
Der Staatsgerichtshof hat den Kompetenzkonflikt zu entscheiden und
zu bestimmen, welche Behörde zuständig ist. Dabei hat er auch die
behördlichen (gerichts- und verwaltungsbehördlichen) Akte aufzuhe-
ben, die dieser Entscheidung entgegenstehen.?!*
V. Wahlprüfungsverfahren?”
1. Normative Grundlagen
Der Staatsgerichtshof «fungiert» als Wahlgerichtshof und entscheidet
über Wahlbeschwerden, d. h. über Beschwerden gegen Wahlen in einem
Wahlkreis oder im ganzen Land oder gegen die Wahl eines oder mehre-
313 Siehe Art. 25 Abs. 3 SIGHG.
314 Siehe Art. 25 Abs. 1 und 2 SEGHG und StGH 2008/98 / SIGH 2008/99 / SIGH
2008/106, Urteil vom 9. Dezember 2008, Erw. 1 (im Internet abrufbar unter:
<www.gerichtsentscheide.li>); vgl. auch Tobias Michael Wille, Verfassungsprozess-
recht, S. 211 £f.
315 So Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 216 ff.
316 Siehe Art. 26 SIGHG, der $ 51 VfGG nachgebildet ist, und SEGH 2008/98 / SIGH
2008/99 / SIGH 2008/106, Urteil vom 9. Dezember 2008, Ziffer 3.1 und 3.2 des
Urteilspruchs und Erw. 5 (im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentschei
de.li>). Vgl. auch Robert Walter/ Heinz Mayer / Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Bun-
desverfassungsrecht, S. 511 Rz. 1088.
317 Zur Wahlprüfung siehe auch vorne S. 445 f. und S. 467.
656
Verfahrensarten
rer Abgeordneter oder stellvertretender Abgeordneten. So bestimmen es
Art. 104 Abs. 2 und Art. 59 Abs. 1 LV und Art. 27 StGHG. Das Verfah-
ren regelt das Volksrechtegesetz.}18
2. Zweck des Verfahrens
Die verfassungsgerichtliche Wahlprüfung dient der Kontrolle der Wahl-
vorbereitung, des Wahlvorgangs und des Wahlergebnisses.?!? Zweck des
Verfahrens ist demnach nicht der subjektive Rechtsschutz der wahlbe-
rechtigten Personen, obgleich es auch zum Individualrechtsschutz bei-
trägt, wenn ein Wahlergebnis für nichtig erklärt wird.??
3. Beschwerdeberechtigung
Es kann nur eine Wählergruppe, die Wahlvorschläge bei der Regierung
eingereicht hat,”! und nicht auch der einzelne Stimmberechtigte die
Wahl anfechten.?? Sie erhält dadurch Parteistellung im Verfahren und ist
prozessual als einheitliche Streitpartei zu behandeln.???
Es kann auch die Regierung ihrerseits beim Staatsgerichtshof eine
Anzeige erstatten, wenn sie aufgrund der Wahlprotokolle** oder sonst-
wie feststellt, dass die Wahl an einer Nichtigkeit leidet, sodass der Staats-
gerichtshof (in diesem Fall) von Amts wegen über die Gültigkeit der
Wahl entscheidet.??>
318 Siehe Art. 64 ff. VRG.
319 Siehe Art. 64 Abs. 3 VRG.
320 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 220 f. und für Deutschland
Wolfgang Löwer, Zuständigkeiten und Verfahren des Bundesverfassungsgerichts,
5.1446 f. Rz. 159.
321 Siehe Art. 36 ff. VRG.
322 Siehe die Kritik von Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 679
Rz. 93 und vorne S. 445 f.
323 Siehe Art. 64 Abs. 1 VRG und Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 221.
324 Nach Art. 54 VRG hat die Hauptwahlkommission jeder Landschaft das Protokoll
ihrer Verhandlungen der Regierung zu übermitteln.
325 Siehe Art. 65 VRG.
657
Zuständigkeiten und Verfahren
4. Entscheidung
Gegenstand des Entscheidungsspruchs des Staatsgerichtshofes können
die Nichtigerklärung der Wahl für den betreffenden Wahlkreis oder der
Wahl eines Abgeordneten oder Ersatzabgeordneten sowie die Berichti-
gung des Wahlergebnisses und der Zuteilung der Mandate sein.
VI. Ministeranklageverfahren
1. Entstehung und Ausgestaltung
Die Verfassung setzt in Art. 104 Abs. 1 den Staatsgerichtshof als Diszip-
linargerichtshof für die Mitglieder der Regierung ein und ermächtigt in
Art. 62 Bst. g den Landtag, gegen sie beim Staatsgerichtshof Anklage
wegen Verletzung der Verfassung oder sonstiger Gesetze zu erheben.??7
Das Staatsgerichtshofgesetz trifft die nähere Regelung,?® die den ein-
schlägigen Bestimmungen des österreichischen Verfassungsgerichtshof-
gesetzes nachgebildet ist.?? Sie werden in der Lehre unter dem Begriff
der Staatsgerichtsbarkeit behandelt.?
Nach diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben richteten sich nach
der alten Rechtslage die gesetzlichen Ausführungsregelungen, die einer-
seits in einem Disziplinar- und andererseits in einem Ministeranklage-
verfahren vor dem Staatsgerichtshof bestanden. Das Disziplinarverfah-
ren gegen die Regierung als Kollegialbehörde und gegen einzelne Mit-
326 Siehe Art. 66 VRG und dazu auch Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht,
S. 788.
327 Die Anfänge der Ministeranklage gehen auf die Konstitutionelle Verfassung von
1862 zurück, die in $ 40 Bst. d und 42 ein «Recht des Antrages auf Anklage wegen
Verfassungs- und Gesetzesverletzungen der verantwortlichen Staatsdiener» bzw.
eine Beschwerde vorsah, die der Landtag «unmittelbar» an den Landesfürsten zu
richten hatte. Dem Landtag wurde lediglich «die erfolgte Abstellung der Beschwer-
den oder das Ergebnis der Untersuchung» eröffnet. Siehe Näheres vorne S. 530 f.
328 Siehe Art. 28 bis 34 SSGHG.
329 Siehe $$ 72 bis 81 VfGG; siehe auch Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht,
S. 222.
330 Siehe Robert Walter/Heinz Mayer/ Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfas-
sungsrecht, S. 550 Rz. 1190 ff.
658
Verfahrensarten
glieder der Regierung wegen «pflichtwidrigen Verhaltens» wurde im
Gesetz vom 7. Mai 193131 festgelegt. Das Ministeranklageverfahren
wurde im Staatsgerichtshofgesetz vom 5. November 1925 geregelt, das
seinerseits das Disziplinarverfahren explizit einem besonderen Gesetz
zuwies. Es wird demnach nicht nur von Verfassungs sondern auch von
Gesetzes wegen zwischen diesen beiden Verfahren unterschieden, wobei
im Rahmen der Revision des Staatsgerichtshofgesetzes von 2003 das
Gesetz über das Disziplinarverfahren gegen Mitglieder der Regierung
aufgehoben, d. h. die «Disziplinaranklage» fallen gelassen worden ist.??
Das derzeit geltende Staatsgerichtshofgesetz ist zu Recht von die-
ser zweiteiligen Regelung abgerückt, obwohl die Verfassung in Art. 104
Abs. 1 weiterhin am Staatsgerichtshof als Disziplinargerichtshof festhält.
Sie versteht offensichtlich die Ministerverantwortlichkeit als disziplinar-
rechtliche Angelegenheit. Gegen diese Betrachtungsweise wurde schon
im Schrifttum des ausgehenden 19. Jahrhunderts eingewendet, dass
Grundlage der Disziplin nur ein Gewaltverhältnis sein kann, das eine
Über- und Unterordnung voraussetzt.?® Eine solche Konstellation kann
aufgrund der Stellung der Regierung bzw. des Landesverwesers als
«Beamter» des Fürsten noch unter der Konstitutionellen Verfassung von
1862 angenommen werden. Dies trifft aber für die heutige Verfassungs-
lage nicht mehr zu. Die Regierung ist ein eigenständiges Staatsorgan
geworden, das weder dem Fürsten noch dem Landtag unterstellt ist.
Bei der Ministerverantwortlichkeit, wie sie im Staatsgerichtshofge-
setz von 2003 ausgestaltet ist, handelt es sich um ein Strafverfahren eige-
ner Art,®* das auch einen staatsrechtlichen Aspekt aufweist, wenn in
Art. 28 Abs. 1 SSGHG von «Verletzung der Verfassung oder sonstiger
Gesetze» die Rede ist.
331 Gesetz vom 7. Mai 1931 über das Disziplinarverfahren gegen Mitglieder der Regie-
rung, LGBl. 1931 Nr. 6. Es spricht in Art. 4 von einer «Disziplinaranklage» und
ebenso in Art. 14 SEGHG 1925.
332 Aufgehoben durch Art. 59 Bst. 1 SYGHG 2003, LGBl. 2004 Nr. 32. Anstelle der bis-
herigen Amtsenthebung und Einstellung in Art. 9 SSGHG 1925 entscheidet der
Staatsgerichtshof nach Art. 35 ff. SSGHG 2003 über Disziplinaranzeigen gegen seine
eigenen Richter sowie gegen die Richter des Verwaltungsgerichtshofes.
333 Vgl. Friedrich Greve, Ministerverantwortlichkeit, S. 56.
334 Vgl. Friedrich Greve, Ministerverantwortlichkeit, S. 57. Zum Verfahren siehe nach-
stehend Ziffer 3.
659
Zuständigkeiten und Verfahren
2. Anklagerecht des Landtages
Die Anklage des Landtages, die er gegen ein Mitglied der Regierung
richtet, setzt voraus, dass es ın Ausübung seiner Amtstätigkeit die Ver-
fassung oder ein Gesetz absichtlich oder grob fahrlässig verletzt hat.
Es geht bei der Ministeranklage um den individuellen Vorwurf schuld-
hafter Pflichtverletzung bzw. eines schuldhaft-pflichtwidrigen Verhal-
tens,37 sodass nur das einzelne Regierungsmitglied und nicht auch die
Regierung als Organ angeklagt werden kann.?® Die Anklage kann aller-
dings nur binnen einem Jahr, nachdem der ihr zugrunde liegende Sach-
verhalt dem Landtag bekannt geworden ist, erhoben werden. Dabei han-
delt sich um eine Ausschlussfrist.”? Die Anklage kann auch gegen ein
Regierungsmitglied geltend gemacht werden, das sich nicht mehr im
Amt befindet.240
335 Ein Beschluss des Landtages bedarf zu seiner Gültigkeit nach Art. 58 Abs. 1 LV der
absoluten Stimmenmehrheit der anwesenden Mitglieder. Art. 44 StGHG 1925
schrieb für einen Beschluss zur Ministeranklage noch eine Zwei-Drittel-Mehrheit
der Abgeordneten vor. Er stand allerdings mit der vorgenannten Vorschrift der Ver-
fassung nicht im Einklang. So Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesver-
waltung, S. 299; siehe auch Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 223.
336 Karl Korinek, Ministerverantwortlichkeit, S. 10 bezeichnet die Verantwortlichkeit,
um die es hier geht, als eine «gemischt politisch-rechtliche» Verantwortlichkeit, da
die Anklageerhebung einen «politischen Akt» darstellt, während das Verfahren über
die Anklage ein «rechtlich geordnetes Verfahren» ist, in dem nur Rechtsverletzun-
gen, nicht aber Fragen der politischen Zweckmässigkeit eine Rolle spielen.
337 Dazu hat der österreichische Verfassungsgerichtshof die Ansicht geäussert, «dass
auch ein geringer Grad des Verschuldens zu einer Verurteilung zu führen hat, der
Grad des Verschuldens aber für die Bemessung der Sanktion heranzuziehen ist, so
zwar, dass sich der Gerichtshof bei einem geringen Verschulden mit der blossen
Feststellung der Rechtswidrigkeit zu begnügen hat». So Karl Korinek, Ministerver-
antwortlichkeit, S. 13 unter Bezugnahme auf VfGH 28.6.1985, E 2/84.
338 Lothar Freund, Anklageverfahren, S. 332; Walter Kieber, Regierung, Regierung-
schef, Landesverwaltung, S. 299; vgl. auch Tobias Michael Wille, Verfassungspro-
zessrecht, S. 224, der auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut des Art. 28 Abs. 1
StGHG hinweist.
339 Vgl. Albrecht Weber, BVerfGG $ 50 Rz. 1.
340 Siehe Art. 28 Abs. 3 SSGHG.
660
Verfahrensarten
3. Verfahren
Das Ministeranklageverfahren weist strafprozessuale Züge auf.*1 Es
kommen die Bestimmungen der Strafprozessordnung «entsprechend»
zur Anwendung.
Die Anklageschrift ist beim Präsidenten des Staatsgerichtshofes
einzureichen. Sie muss den Tatvorwurf (Sachverhalt) näher umschreiben
und die Beweismittel benennen sowie die Bestimmungen der Verfassung
oder des Gesetzes bezeichnen, die verletzt worden sind.?® Auf die
Anklage folgt die Voruntersuchung durch den Staatsgerichtshof bzw.
durch einen Richter des Staatsgerichtshofes, der als «Untersuchungs-
richter» weder an der Schlussverhandlung teilnehmen noch an der Ent-
scheidung mitwirken darf. Die Untersuchung ist einzustellen, wenn
der Landtag die Anklage zurückzieht.?5 Ist die Voruntersuchung
«geschlossen», ist eine öffentliche Verhandlung durchzuführen.
4. Entscheidung
Das Verfahren schliesst mit einem Urteil ab, das entweder auf einen Frei-
spruch oder auf eine Verurteilung lautet, wobei, wie es in Art. 34 Abs. 1
StGHG heisst, der Staatsgerichtshof «ausspricht», ob der Angeklagte
einer Verletzung der Verfassung oder eines genau zu bezeichnenden
Gesetzes schuldig ist.
341 Zum Charakter des Verfahrens siehe Tobias Michael Wille, Verfassungsprozess-
recht, 5. 224 ff.
342 Siehe Art. 30 Abs. 1 StGHG; vgl. für Österreich Konrad Atzwanger, Ministeran-
klage, S. 43.
343 Siehe Art. 29 Abs. 1 und 2 SIGHG.
344 Siehe Art. 31 Abs. 1 und 2 SIGHG.
345 Siehe Art. 31 Abs. 4 StGHG.
346 Siehe Art. 33 Abs. 1 SEGHG.
347 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 789 f. und zur alten Rechts-
lage Art. 50 Abs. 1 i. V. m. Art. 44 Abs. 1 SIGHG 1925, die inhaltlich übereinstim-
men, und StGH-Urteil vom 8. März 1931, ELG 1931, S. 57 ff. (59).
661
Zuständigkeiten und Verfahren
Im Falle der Verurteilung wegen vorsätzlicher Verletzung der Verfas-
sung oder eines bestimmten Gesetzes kann der Staatsgerichtshof auf den
Verlust des Amtes erkennen.
Der Staatsgerichtshof hat in seinem Urteil, wenn das angeklagte
Regierungsmitglied verurteilt wird, «in der Regel auch über geltend
gemachte Ersatzansprüche und über seine Besoldungsansprüche zu
erkennen».*9
5. Begnadigung und Niederschlagung des Verfahrens
Dem Landesfürsten steht das Recht der Begnadigung und Strafmilde-
rung zu. Er übt dieses Recht zugunsten eines Regierungsmitgliedes, das
«wegen seiner Amtshandlungen» verurteilt worden ist, nur auf Antrag
des Landtages aus.3° Dieses Rechtsinstitut setzt also einen Antrag des
Landtages voraus. Es stellt seiner Rechtsnatur nach einen Ermessensakt
des Landesfürsten dar, der das Recht und nicht auch die Pflicht hat, eine
Begnadigung zu verfügen.
Der Landesfürst ist nach Art. 12 Abs. 1 LV auch berechtigt, (Straf-)
Untersuchungen niederzuschlagen.?? Dieses Abolitionsrecht umfasst
gleichfalls die Verfahren der Ministeranklage, die auf Antrag des Land-
tages eingeleitet worden sind. Es wird in einem unbeschränkten Sinne
348 Siehe Art. 34 Abs. 2 SSGHG und zu Art. 50 Abs. 2 SIGHG 1925, der nahezu gleich
lautete, Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 302.
349 Siehe Art. 34 Abs. 3 SSGHG und zu Art. 50 Abs. 3 SIGHG 1925, der nahezu gleich
lautete, Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, S. 302.
350 Siehe Art. 12 Abs. 1 und 2 LV und dazu Tobias Michael Wille, Verfassungsprozess-
recht, S. 226 f. mit Hinweis auf Karl Kohlegger, Das Gnadenrecht des Landesfürs-
ten, S. 139 ff.; siehe auch vorne S. 348.
351 So Günther Winkler, Begnadigung und Gegenzeichnung, S. 84; vgl. auch Tobias
Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 227 unter Bezugnahme auf Karl Kohleg-
ger, Das Gnadenrecht des Landesfürsten, S. 139 ff.
352 Unter diesem Recht, Verfahren niederzuschlagen, versteht man den Verzicht auf die
Strafverfolgung. «Sie besteht in der Verfügung, dass wegen einer strafbaren Hand-
lung ein strafrechtliches Verfahren nicht eingeleitet oder das eingeleitete wieder ein-
gestellt werden soll.» Vgl. Konrad Atzwanger, Ministeranklage, S. 42; siehe vorne
S. 350 ff.
662
Verfahrensarten
verstanden, sodass es seit Inkrafttreten der Verfassung von 1921 in der
Kritik steht.?
VII. Disziplinarverfahren
1. Rechtsgrundlage
Der Staatsgerichtshof entscheidet über Disziplinaranzeigen gegen seine
eigenen Richter und gegen die Richter des Verwaltungsgerichtshofs.?*
Sie können nur von ihm im Amte eingestellt oder vom Amte enthoben
werden.?5 Seine Zuständigkeit als Disziplinargerichtshof ist einfachge-
setzlich geregelt. Die Verfassung weist ihm diese Kompetenz nicht zu.
2. Verfahren
Anzeigeberechtigt ist neben dem betreffenden Gerichtshof auch jeder
Richter des Staats- und Verwaltungsgerichtshofes.?7
Der Staatsgerichtshof leitet das Disziplinarverfahren ein, nachdem
der angezeigte Richter vorgängig vom Präsidenten des Staatsgerichtsho-
fes oder von einem Richter, der von ihm damit betraut worden ist, ver-
nommen worden ist.?® Ergeben sich hinreichende Verdachtsmomente,
dass der angezeigte Richter eine Verfehlung im Sinne von Art. 12 Abs. 4
353 Vgl. Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, 5. 21 ff.;
siehe auch Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 227 f. mit Literatur-
hinweisen und vorne S. 350 ff. Vgl. für Österreich Art. 142 Abs. 5 B-VG.
354 Siehe Art. 35 SIGHG.
355 Siehe Art. 12 Abs. 1 SEGHG und Art. 3 Abs. 3 LVG.
356 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 232.
357 Siehe Art. 35 Satz 2 und 12 Abs. 4 StGHG.
358 Siehe Art. 36 Abs. 1 SIGHG, der $ 10 Abs. 2 Satz 1 VfGG nachgebildet ist. Es müs-
sen nach Kurt Heller, Die Enthebung eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes,
S. 163, um Vorerhebungen durchzuführen, «besondere Umstände vorliegen, wie
etwa besonders substantiierte und durch Beweise untermauerte schwere Vorwürfe».
663
Zuständigkeiten und Verfahren
StGHG begangen haben könnte,? fasst der Staatsgerichtshof einen ent-
sprechenden Einleitungsbeschluss.?®
Der betroffene Richter ist von Gesetzes wegen während der Dauer
des Disziplinarverfahrens im Amte eingestellt.31
Das Disziplinarverfahren weist einen strafprozessualen Charakter
auf und ist dementsprechend als Parteienprozess konzipiert. Es richtet
sich sinngemäss nach den Bestimmungen über die Ministeranklage.?%2
Das Disziplinarverfahren ist nicht-öffentlich. Es ist einzustellen,
wenn der davon betroffene Richter aus dem Amt geschieden ist, so wenn
die Amtsperiode abgelaufen oder er zurückgetreten ist.?®
3. Entscheidung
Erkennt der Staatsgerichtshof den betroffenen Richter eines Disziplinar-
vergehens für schuldig, enthebt er ihn des Amtes.?* Eine disziplinäre
Amtsenthebung hat zu erfolgen, wenn er eine strafgerichtliche Verurtei-
lung erleidet, welche die Wahlunfähigkeit zum Landtag zur Folge hat?
oder wenn er sich durch sein Verhalten in oder ausser dem Amte der Ach-
tung und des Vertrauens, die sein Amt erfordert, unwürdig gezeigt?® oder
die Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit gröblich verletzt hat.37
Der Staatsgerichtshof stellt eine Ausfertigung des Disziplinar-
urteils dem Landtag und der Regierung zu.?%
359 Vgl. $ 10 Abs. 1 Bst. c VIGG und dazu Kurt Heller, Die Enthebung eines Mitglie-
des des Verfassungsgerichtshofes, S. 164; Gerhart Holzinger/Martin Hiesel, Ver-
fahren, S. 288 unter Bezugnahme auf VfSlg 16.408.
360 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 231.
361 Siehe Art. 12 Abs. 3 SSGHG für die Richter des Staatsgerichtshofes und Art. 3 Abs. 3
und 4 LVG für die Richter des Verwaltungsgerichtshofes.
362 Siehe Art. 36 Abs. 2 SEGHG; Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 233 f.
363 Siehe Art. 36 Abs. 3 SIGHG.
364 Siehe Art. 37 Abs. 1 SEGHG.
365 Siehe Art. 2 Abs. 1 Bst. c und Abs. 2 und 3 VRG.
366 Unter diesen Begriff fällt nicht jedes Verhalten, das das Vertrauen beeinträchtigt. Es
muss vielmehr so gravierend sein, dass das betreffende Mitglied die Achtung und
das Vertrauen, die sein Amt erfordert, verloren hat. So Kurt Heller, Die Enthebung
eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes, S. 162.
367 Siehe Art. 12 Abs. 4 SIGHG.
368 Siehe Art. 37 Abs. 2 SIGHG.
664
4. Abschnitt
Verhältnis zu anderen Staatsorganen
$49 STAATSGERICHTSHOF UND GESETZGEBER?®
I. Allgemeines
1. Problemstellung: Reichweite der Verfassungsgerichtsbarkeit
Die Verfassung überträgt dem Staatsgerichtshof die Kontrolle der Verfas-
sungsmässigkeit der staatlichen («öffentlichen»)”° Gewalt. Er hat in die-
sem Zusammenhang die Verfassungsmässigkeit von Gesetzen und Staats-
verträgen sowie die Gesetzmässigkeit der Regierungsverordnungen zu
prüfen, wobei er «in diesen Angelegenheiten» kassatorisch urteilt.?7!
Die dem Staatsgerichtshof von der Verfassung eingeräumte Geset-
zesprüfungskompetenz ermöglicht es ihm, auf die Gesetzgebungstätig-
keit bzw. den Gesetzgeber in erheblichem Masse rechtlich einzuwirken.
Die Verfassungsgerichtsbarkeit ist auf den Schutz und die Sicherung des
Verfassungsrechts ausgerichtet, das dem Gesetzesrecht übergeordnet ist.
Es sind vor allem die Normenkontrollentscheidungen, die Kompetenz-
probleme verursachen bzw. zu Unstimmigkeiten führen können.?? In
diesen Verfahren stehen sich Staatsgerichtshof als Verfassungsgericht
und Gesetzgeber gegenüber.” Sie binden auch den Gesetzgeber, da sie
369 Den Gesetzgeber bilden gemäss Verfassung in der Reihenfolge der Beschlussfassung
bzw. Sanktionierung: der Landtag, gegebenenfalls das Stimmvolk und der Landes-
fürst.
370 So der Wortlaut von Art. 15 Abs. 1 SGHG.
371 Siehe Art. 104 Abs. 2 LV.
372 Siehe zu den Entscheidungsformen hinten S. 670 ff.
373 Die Frage der Kompetenzverteilung stellt sich vornehmlich im Rahmen des ab-
strakten wie auch des konkreten Gesetzesprüfungsverfahrens, wobei der Staatsge-
665
Verhältnis zu anderen Staatsorganen
allgemein verbindliche Wirkung entfalten. Eine derartig ausgestaltete
Verfassungsgerichtsbarkeit passt an sich nicht eigentlich in das klassische
Schema der Gewaltenteilung, da sie einerseits Rechtsprechung ist und
andererseits Gesetze prüfen und kassieren kann.?”* Sie tangiert die
gesetzgeberische Autorität.
Die verfassungsrechtlichen Grenzen des Staatsgerichtshofs als Ver-
fassungsgericht im Verhältnis zum Gesetzgeber sind nach einem Gross-
teil der Lehre”5 unter funktionell-rechtlichen Gesichtspunkten zu
bestimmen,” wobei es schwierig ist, in der Zuordnung zwischen diesen
beiden Staatsorganen verfassungsgerechte Grenzen zu ziehen,”7 da
ihnen die Verwirklichung der Verfassung gemeinsam als Aufgabe und
Pflicht obliegt.”® Eine zu weit ausgreifende Rechtsprechung des Staats-
gerichtshofs könnte den eigenen Entscheidungsspielraum des Gesetzge-
bers schmälern bzw. den legislativen Aufgaben- und Zuständigkeitsbe-
reich beeinträchtigen, den er zu respektieren hat. Aus dem funktionalen
Verhältnis der Verfassungsgerichtsbarkeit zu anderen Staatsorganen lässt
sich zwar ein Instrumentarium herleiten. Dieses reicht aber, namentlich
im Verhältnis zum Gesetzgeber, für sich allein noch nicht aus, um befrie-
digende Abgrenzungen ziehen zu können.?”?
Im Mittelpunkt dieser Thematik steht demnach die Reichweite der
Verfassungsgerichtsbarkeit bzw. der Umfang des verfassungsrechtlichen
Überprüfungsrechts des Staatsgerichtshofs im Verhältnis zur politischen
Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers.
richtshof den Gesetzgeber nicht unmittelbar überprüft, sondern nur die Art und
Weise, in der die anderen Gerichte mit dem Verhältnis von Gesetz und Verfassung
umgehen. In dieser Konstellation gibt er den Gerichten «verfassungsgerichtliche
Standards» vor. Siehe Christoph Möllers, Legitimation des Bundesverfassungsge-
richts, S. 326.
374 Vgl. Gerd Roellecke, Aufgaben und Stellung, S. 1216 Rz. 40.
375 Siehe Gerd Roellecke, Aufgaben und Stellung, S. 1216 Rz. 41 mit weiteren Litera-
turhinweisen; Werner Heun, Funktionell-rechtliche Schranken, S. 12 ff.
376 So für die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung in Deutschland Philipp
Austermann, Die rechtlichen Grenzen des Bundesverfassungsgerichts, S. 272,
wonach sich deren Grenzen «nur mithilfe der Verfassungsinterpretation unter
Zuhilfenahme funktionell-rechtlicher Gesichtspunkte konturieren>» lassen.
377 Siehe Hugo Vogt, Das Willkürverbot und der Gleichheitsgrundsatz, S. 108.
378 Formulierung in Anlehnung an Fritz Ossenbühl, Bundesverfassungsgericht und
Gesetzgeber, S. 38.
379 Vgl. Helmut Simon, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 1669 f. Rz. 54.
666
Staatsgerichtshof und Gesetzgeber
2. Gemeinsame Pflicht und Aufgabe
Die Verfassung hat mit der Institutionalisierung der Verfassungsge-
richtsbarkeit den Verfassungsstaat geschaffen. Es entspricht der Logik
des Verfassungsstaates, dass er den Staatsgerichtshof als Kontrollinstanz
für den Gesetzgeber vorgesehen hat. Er ordnet das (Verfassungs-)Recht
der Politik vor.3° Dementsprechend ist es auch folgerichtig, wenn die
Verfassung das Letztentscheidungsrecht dem Staatsgerichtshof zuweist,
wobei nicht zu übersehen ist, dass auch der Gesetzgeber die Verfassung
interpretiert und prägt, wenn er ein Gesetz erlässt. So gesehen ist die
Wahrung, Pflege und Ausformung der Verfassung «kein Monopol der
Verfassungsgerichtsbarkeit».?? Sie gehören vielmehr zu ihren gemeinsa-
men Aufgaben und Pflichten, sodass sie nicht in Konfrontation zueinan-
der, sondern in Kooperation miteinander stehen.?
3. Legitimation des Staatsgerichtshofs
Der Staatsgerichtshof bezieht als Kontrollorgan des Gesetzgebers seine
Legitimation unmittelbar aus der Verfassung.’ Diese institutionelle
380 Vgl. aus deutscher Sicht Fritz Ossenbühl, Bundesverfassungsgericht und Gesetzge-
ber, S. 34 und Gerd Roellecke, Aufgaben und Stellung, S. 1217 f. Rz. 45, der aus-
führt, dass das Bundesverfassungsgericht wegen der Universalität des Verfassungs-
rechts grundsätzlich alle Massnahmen der Politik für verfassungsmässig oder ver-
fassungswidrig erklären kann.
381 In diesem Zusammenhang wurde auch schon gesagt, dass der Gesetzgeber von Ver-
fassungs wegen der «Erstinterpret», die Rechtsprechung der «Zweitinterpret» ist. So
Paul Kirchhof, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 16.
382 Fritz Ossenbühl, Bundesverfassungsgericht und Gesetzgeber, S. 35.
383 So Paul Kirchhof, Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgebung, S. 9, 15.
384 Missverständlich ist es, wenn der Staatsgerichtshof in StGH 1993/3, Urteil vom
23. November 1993, LES 2/1994, S. 37 (38 Erw. 2.1) dem Landtag «aufgrund der di-
rekten Volkswahl seiner Mitglieder höchste demokratische Legitimation» zu-
schreibt. Hier ist einerseits zu bedenken, dass der Landtag nicht allein den Gesetzge-
ber bildet und sich andererseits in einer dualistisch geprägten konstitutionell-monar-
chischen Staatsordnung die Legitimation des Gesetzgebers nicht allein unter demo-
kratietheoretischen Aspekten bestimmen lässt. Man könnte jedenfalls nicht argu-
mentieren, der Staatsgerichtshof habe sich gegenüber dem Gesetzgeber zurückzuhal-
ten, weil er ihm gegenüber ein «demokratisches Defizit» aufweist. Siehe dazu im Fol-
667
Verhältnis zu anderen Staatsorganen
Legitimierung wird ergänzt und ausgestaltet durch die Qualifikation der
Aufgabe des Staatsgerichtshofs als «Rechtsprechung», die sich ihrer-
seits sowohl durch den Status der (Verfassungs-)Richter, namentlich ihre
Unabhängigkeit, wie auch durch das gerichtsförmige Verfahren der
Rechtsfindung von den Entscheidungsprozessen der politischen Behör-
den abhebt. Dieser Unterschied im Status der Verfassungsrichter und
in der Eigenart des Entscheidungsverfahrens legt auch das grundsätzli-
che verfassungsrechtliche Verhältnis zwischen Gesetzgeber und Staats-
gerichtshof fest,37 das auch als «Spannungsverhältnis» beschrieben
wird.288
II. Staatsgerichtshof als Kontrolleur des Gesetzgebers
1. Allgemeines: Abgrenzungsverhalten des Staatsgerichtshofes
Da der Staatsgerichtshof die Kompetenz besitzt, Gesetze an der Verfas-
sung zu messen und sie gegebenenfalls aufzuheben, nimmt er Einfluss
auf den politischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Dabei
kommt es auf die Position an, die er bei der verfassungsgerichtlichen
Überprüfung einnimmt. Je intensiver er kontrolliert, desto mehr engt er
den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ein. Massgebend ist die
Kontrolldichte der verfassungsgerichtlichen Überprüfung.’ Der Staats-
gerichtshof spricht in diesem Zusammenhang von «gesetzgeberischer
Gestaltungsfreiheit» und vom «Gestaltungsspielraum des Gesetzge-
bers»,*% der ihm zusteht und betont, dass der Gesetzgeber einen «gros-
genden das Abgrenzungsverhalten des Staatsgerichtshofes; vgl. in dieser Beziehung
auch Herbert Wille, Probleme des gesetzgeberischen Unterlassens, S. 453 Fn. 139.
385 Siehe Art. 104 LV; vgl. auch Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürsten-
tum Liechtenstein, S. 46 f.
386 Siehe Art. 95 Abs. 2 und 3 LV und vorne S. 605 ff.
387 Vgl. Fritz Ossenbühl, Bundesverfassungsgericht und Gesetzgeber, S. 34 f.
388 Vgl. Fritz Ossenbühl, Bundesverfassungsgericht und Gesetzgeber, S. 39.
389 Vgl. Walter Schmitt Glaeser, Bundesverfassungsgericht, S. 1190 f.; Werner Heun,
Normenkontrolle, S. 630; aus liechtensteinischer Sicht Hugo Vogt, Das Willkürver-
bot und der Gleichheitsgrundsatz, S. 111 f. und hinten S. 678 ff.
390 Der Staatsgerichtshof hat den gesetzgeberischen Bereich in StGH 1987/12, Urteil
vom 11. November 1987, LES 1/1988, S. 4 (6) noch mit «Ermessen des Gesetzge-
668
Staatsgerichtshof und Gesetzgeber
sen Spielraum bei der Ausgestaltung der Gesetzesvorlagen beanspruchen
können» muss, sodass er nicht «ohne Not» die Befugnis des Gesetzge-
bers antasten dürfe. «Andernfalls würde das Verfassungsgericht Gefahr
laufen, sich als politische Instanz zu betätigen und damit gegen das
Gewaltenteilungsprinzip zu verstossen.» Der Staatsgerichtshof gibt auch
zu bedenken, «dass ein Verfassungsgericht von vornherein eine einge-
schränkte funktionelle Eignung zur Korrektur allfälliger gesetzgeberi-
scher Fehlleistungen hat, da es nur kassatorisch und damit punktuell in
die Gesetzgebung eingreifen kann».91
Diesem Abgrenzungsverhalten liegt ein Rollenverständnis zugrun-
de, das von einer «grossen Zurückhaltung» bzw. «Selbstbeschränkung»
gegenüber dem Gesetzgeber geprägt ist.” Es kann damit aber nur
gemeint sein, dass der Staatsgerichtshof keine politischen Fragen ent-
scheidet, die der Gesetzgeber zu treffen hat.?® Er räumt nämlich dem
Gesetzgeber eine «Entscheidungsprärogative» ein. Das heisst, dass er
den Gesetzgeber nur dann korrigiert, wenn er den Rahmen seiner Ge-
bers» als «politische Ermessensfrage» umschrieben und damit, wie Paul Kirchhof,
Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgebung, S. 16 sagt, «den Gesetzgeber aber
fehlerhaft in verwaltungsrechtliche Bindungen gedrängt».
391 StGH 1993/3, Urteil vom 23. November 1993, LES 2/1994, S. 37 (38 Erw. 2.1).
Dazu kommt, dass der Staatsgerichtshof «allein antragsabhängige Kontrollkompe-
tenzen>» hat. Er kann nicht «die Leistung der politischen Willensbildung und Gestal-
tung übernehmen», die der Gesetzgeber erbringt. Siehe Philipp Dann, Verfassungs-
gerichtliche Kontrolle, S. 643 f.
392 Siehe etwa StGH 2006/5, Urteil vom 3. Juli 2006, LES 2/2007, S. 108 (114 Erw. 3a)
mit Hinweis auf SEGH 2004/14, Erw. 4 und StGH 2003/16, Erw. 2b; StGH
2007/118, Urteil vom 30. Juni 2008, Erw. 3 (im Internet abrufbar unter:
<www.gerichtsentscheide.li>); vgl. auch Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit
im Fürstentum Liechtenstein, S. 49 ff.; Hugo Vogt, Das Willkürverbot und der
Gleichheitsgrundsatz, S. 108 ff.
393 Nach Helmut Simon, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 1665 Rz. 47 ist der Begriff der
Selbstbeschränkung irreführend, da es nicht im Belieben des Richters steht, Selbst-
beschränkung zu üben. So auch Konrad Hesse, Verfassungsrechtsprechung, S. 273.
Vgl. auch Christian Starck, Bundesverfassungsgericht in der Verfassungsordnung,
S.9 und Philipp Austermann, Die rechtlichen Grenzen des Bundesverfassungsge-
richts, S. 268. Ralf Alleweldt, Bundesverfassungsgericht, S. 210 f. mit Literaturhin-
weisen, macht unter Bezugnahme auf das deutsche Bundesverfassungsgericht darauf
aufmerksam, dass dem Grundsatz der «Zurückhaltung» kein eigenständiges dog-
matisches Gewicht zukommen kann. Es habe «den Rahmen seiner Kompetenzen zu
wahren: ausserhalb dieses Rahmens hat es nicht «zurückhaltend», sondern gar nicht
zu agieren; innerhalb des Rahmens hat es seine Kompetenzen auszuschöpfen [...]>.
669
Verhältnis zu anderen Staatsorganen
staltungsfreiheit verlässt und Grundrechte verletzt. Würde er anders ver-
fahren, so erklärt der Staatsgerichtshof, «bedeutete dies eine Verschie-
bung seiner Kontrollfunktion in Richtung von Gestaltungen, die dem
Gesetzgeber vorbehalten sind».?* Wie weit diese gesetzgeberische
Gestaltungsfreiheit reicht, legt letztlich der Staatsgerichtshof fest. Sie
hängt vom materiellen Prüfungsmassstab ab, den der jeweilige verfas-
sungsrechtliche Sachbereich bestimmt.
2. Entscheidungsformen im Normenkontrollverfahren
a) Kassation
Ein Normenkontrollverfahren vor dem Staatsgerichtshof endet entwe-
der mit der Feststellung, dass das geprüfte Gesetz oder einzelne seiner
Bestimmungen verfassungsmässig sind oder im entgegengesetzten Fall,
wenn sie verfassungswidrig sind, mit ihrer Kassation.?® Bei Staatsverträ-
gen wird die Kassation als «Aufhebung der Verbindlichkeit» verstan-
den.?% Stellt der Staatsgerichtshof bei Staatsverträgen eine Unvereinbar-
keit mit der Verfassung fest, hebt er ihre innerstaatliche Verbindlichkeit
auf.?” Eine andere Möglichkeit besteht nicht,?® wie der Staatsgerichts-
394 StGH 2006/5, Urteil vom 3. Juli 2006, LES 2/2007, S. 108 (114) Erw. 3a (im Inter-
net abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>) mit Hinweis auf SYGH 2004/14,
Urteil vom 9. Mai 2005, Erw. 4 (im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsent
scheide.li>) und StGH 2003/16, Erw. 2b (nicht veröffentlicht); siehe auch Herbert
Wille, Probleme des gesetzgeberischen Unterlassens, S. 453. In SIGH 1991/14, Ur-
teil vom 23. März 1993, LES 3/1993, S. 73 (79) hält sich der Staatsgerichtshof nicht
an diese Rechtsprechungslinie und überschreitet seine verfassungsmässigen Gren-
zen. Siehe Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein,
S. 51 f. und Hugo Vogt, Das Willkürverbot und der Gleichheitsgrundsatz, S. 112.
395 Vgl. Art. 104 Abs. 2 LV und Art. 19 Abs. 1 SEGHG und Tobias Michael Wille, Ver-
fassungsprozessrecht, S. 758 f. Der Staatsgerichtshof kann gemäss Art. 19 Abs. 3
StGHG die Rechtswirksamkeit der Aufhebung um längstens ein Jahr hinausschie-
ben. Siehe dazu Herbert Wille, Probleme des gesetzgeberischen Unterlassens, S. 447.
396 Vgl. BuA Nr. 95/2003 der Regierung vom 4. November 2003, S. 39.
397 Siehe Art. 23 Abs. 1 SEGHG und Stellungnahme der Regierung vom 22. Oktober
2002 zur Überprüfungskompetenz des Staatsgerichtshofes hinsichtlich der Verfas-
sungsmässigkeit von Staatsverträgen, S. 5 ff. und S. 7 ff. zu den staats- und völker-
rechtlichen Folgen einer Aufhebung.
398 Eine Ausnahme von der Kassationspflicht sieht Art. 19 Abs. 2 StGHG für den Fall
vor, dass das Gesetz oder einzelne seiner Bestimmungen bereits ausser Kraft getre-
670
Staatsgerichtshof und Gesetzgeber
hof auch schon festgehalten hat: «Wenn eine gesetzliche Regelung ein-
deutig verfassungswidrig ist, so ist diese durch den Gesetzgeber zu erset-
zen oder durch den Staatsgerichtshof aufzuheben.»?
b) Andere Entscheidungsformen
Neben dieser verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich vorgeschriebe-
nen Kassation bei Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes oder einer
Gesetzesnorm hat der Staatsgerichtshof, um eine Kassation zu vermei-
den, auch andere Entscheidungsvarianten entwickelt.“ Sie wirken sich
ebenfalls, wenn auch in unterschiedlichem Masse, auf den Kompetenz-
bereich des Gesetzgebers aus. Sie stellen aber gegenüber der Kassation
eine weniger harte Sanktion dar. Der Staatsgerichtshof hält sich dabei
allerdings nicht strikt an die verfassungsprozessualen Vorgaben und
überschreitet die verfassungsgerichtlichen Grenzen. Er beansprucht
zuweilen auch einen «pragmatisch-autonom gesetzten Entscheidungs-
spielraum»,*1 da er sich nicht auf eine entsprechende Rechtsgrundlage
stützen kann und jede Entscheidungsvariante eine «gesetzliche Legiti-
mation» erfordert.*®2
Die zeitliche Verlängerung des Kassationsaufschubs, der auf längs-
tens ein Jahr festgesetzt worden ist,*® sollte es dem Staatsgerichtshof
ermöglichen, von anderen Entscheidungsarten als der Kassation
Abstand zu nehmen.“* Ob nach wie vor ein Bedürfnis besteht, Appell-
ten sind, sodass der Staatsgerichtshof deren Verfassungswidrigkeit feststellt. Das
Gleiche gilt nach Art. 21 Abs. 2 StGHG auch für Verordnungen.
399 StGH 1996/36, Urteil vom 24. April 1997, LES 4/1997, S. 211 (215 Erw. 8) mit Ver-
weis auf SIGH 1995/30, Urteil vom 30. August 1996, LES 3/1997, S. 159 (161).
400 Sie sind weder in der Verfassung noch im Staatsgerichtshofgesetz geregelt.
401 Vgl. Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 197.
Er spricht unter Bezugnahme auf STGH 1995/20, Urteil vom 24. Mai 1996, LES
1/1997, S. 30 (38) von einem «Dilemma», vor dem der Staatsgerichtshof stand.
402 Vgl. Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 198
und Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 324 f. An dieser Rechtslage hat sich auch
nach der Verfassungsrevision von 2003 und dem neuen Staatsgerichtshofgesetz nichts
geändert. Siehe Herbert Wille, Probleme des gesetzgeberischen Unterlassens, S. 453.
403 Siehe Art. 19 Abs. 3 SSGHG und dazu den Kommentar in BuA Nr. 45/2003 der
Regierung vom 12. August 2003, S. 49.
404 Andeutungen in dieser Richtung macht der Staatsgerichtshof in StGH 1995/20,
Urteil vom 24. Mai 1996, LES 1/1997, S. 30 (38 Erw. 4.4), wo er zu verstehen gibt,
dass er bei einer einjährigen Maximalfrist weniger Bedenken hätte, dem Kassations-
671
Verhältnis zu anderen Staatsorganen
entscheidungen zu fällen, wie er dies in SSGH 1995/20 angenommen
hat,*5 wird sich zeigen. Jüngste Rechtsprechungshinweise des Staatsge-
richtshofes deuten jedenfalls darauf hin, die «Entscheidungsprärogative>»
bzw. den «Vorrang»*% des Gesetzgebers zu respektieren.“
ba) Appellentscheidung
Die Appellentscheidung tritt in der Rechtsprechung in zwei Fallgruppen
auf.“ Im einen Fall ist die Rechtslage noch verfassungsmässig und im
anderen ist sie bereits verfassungswidrig, sodass der Staatsgerichtshof im
Entscheidungstenor feststellt, dass das Gesetz oder einzelne seiner
Bestimmungen verfassungsmässig bzw. verfassungswidrig sind und in
den Entscheidungsgründen an den Gesetzgeber appelliert, eine Ver-
fassungswidrigkeit zu vermeiden oder abzuwenden bzw. die Verfas-
sungswidrigkeit zu beheben. Geht der Staatsgerichtshof von einer Ver-
fassungswidrigkeit aus, kassiert er das Gesetz oder die betreffende
Gesetzesbestimmung nicht. In dieser Ausgestaltung weist die Appellent-
scheidung in Inhalt und Wirkung eine grosse Ähnlichkeit mit der
Unvereinbar- bzw. Verfassungswidrigerklärung auf, die das deutsche
Bundesverfassungsgericht in Fällen praktiziert, in denen ein Gesetz oder
eine Gesetzesvorschrift für verfassungswidrig erklärt wird, ohne deren
Nichtigkeit festzustellen. Dieser Entscheidungstyp bezweckt, «uner-
antrag des Beschwerdeführers zu entsprechen. Vgl. Herbert Wille, Normenkon-
trolle, S. 326 f. Es ist allerdings zweifelhaft, ob ein solcher Zeitrahmen auch bei
komplexen gesetzlichen Regelungen ausreicht. Siehe Wolfram Höfling, Die Verfas-
sungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 198 f.
405 StGH 1995/20, Urteil vom 24. Mai 1996, LES 1/1997, 5. 30 (38 f.).
406 StGH 1982/65/V, Urteil vom 15. September 1983, LES 1984, S. 3 f. Hier weist der
Staatsgerichtshof darauf hin, dass die Stellung und Funktion des Staatsgerichtshofes
als Rechtsprechungsorgan zu beachten sind: «Die Rechtsetzung und -fortbildung ist
Vorrang der Legislative.»
407 Siehe vorhin S. 669 f. Fn. 392 und Fn. 394 die Aussage in SGH 2006/5, Urteil vom
3. Juli 2006 (im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>) mit Verweis
auf SEGH 2003/16, Entscheidung vom 3. Mai 2004, Erw. 2 (nicht veröffentlicht) und
StGH 2004/14, Entscheidung vom 9. Mai 2005, Erw. 3a und 5d (im Internet abruf-
bar unter: <www.gerichtsentscheide.li>); siehe auch StGH 2006/90, Beschluss vom
4. Dezember 2006, Erw. 5 (nicht veröffentlicht).
408 Vgl. zu dieser Thematik ausführlich Herbert Wille, Probleme des gesetzgeberischen
Unterlassens, S. 449 ff.; siehe auch Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde
zum Staatsgerichtshof, S. 194 ff.
672
Staatsgerichtshof und Gesetzgeber
wünschte Rechtsfolgen einer an sich fälligen Nichtigerklärung abzu-
wenden».
Der Staatsgerichtshof versteht die Appellentscheidung als einen
«den Gesetzgeber schonenden Urteilsspruch».*1° Eine solche Aussage ist
wohl nicht zutreffend. Geht der Staatsgerichtshof von einer verfassungs-
widrigen Gesetzesregelung aus und sieht von einer Kassation ab, bleibt
sie vorerst als solche bestehen. Der Staatsgerichtshof schöpft seine Ent-
scheidungskompetenz nicht aus, da die Verfassung in diesem Fall die
Kassation vorschreibt. Liegt eine Verfassungswidrigkeit noch nicht vor
und macht der Staatsgerichtshof Vorgaben, nimmt er in unzulässiger
Weise Einfluss auf den Gesetzgeber, da er damit dessen Gestaltungsfrei-
heit einschränkt.*!!
Der Staatsgerichtshof wird zum Ersatzgesetzgeber*?, wenn er
gestaltend eingreift und eine Art legislatives «Selbsteintrittsrecht»*!3
praktiziert. Er setzt sich damit selbst an die Stelle des Gesetzgebers und
übt gesetzgeberische Befugnisse aus.*!4
bb) Verfassungskonforme Auslegung
Bei der verfassungskonformen Auslegung handelt es sich um einen
Anwendungsfall der systematischen Auslegung.“!5 Sie wurde entwickelt,
409 Vgl. Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Bundesverfassungsgericht, S. 281 Rz. 396; Ernst
Benda/Eckart Klein/ Oliver Klein, Verfassungsprozessrecht, S. 553 ff. Rz. 1392 ff.;
Werner Heun, Funktionell-rechtliche Schranken, 5. 21 ff.
410 Vgl. Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 195.
411 Appellentscheidungen können, auch wenn sie nicht bindend sind, «den Gesetzgeber
faktisch-psychologisch bei der Gesetzgebung dahingehend beeinflussen, dass eine
der Appellaussage entgegengesetzte Normierung oder gar der Appell (geradezu)
wortwörtlich Gesetz wird». So Philipp Austermann, Die rechtlichen Grenzen des
Bundesverfassungsgerichts, S. 271. Der Gesetzgeber wird wohl vielfach den Erwä-
gungen des Staatsgerichtshofs folgen, um eine Verfassungswidrigkeit zu vermeiden.
412 Kritisch zum Begriff des Verfassungsgerichts als «Gesetzgeber» Matthias Jestaedt,
Phänomen Bundesverfassungsgericht, S. 324.
413 Dieser Begriff ist Fritz Ossenbühl, Bundesverfassungsgericht und Gesetzgeber,
S. 45 entlehnt.
414 Vgl. Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 51 f.
415 Siehe zur verfassungskonformen Auslegung Herbert Wille, Normenkontrolle,
S.307 ff. und ders., Probleme des gesetzgeberischen Unterlassens, S. 448; Tobias
Michael Wille, Verfassungs- und Grundrechtsauslegung, S. 170 ff.; Andreas Kley,
Grundriss, S. 25 ff.; Wolfgang Löwer, Zuständigkeiten und Verfahren, S. 1416 ff.
Rz. 126 f.
673
Verhältnis zu anderen Staatsorganen
um eine Norm zu erhalten und die Autorität des Gesetzgebers zu scho-
nen.416 Wenn die anerkannten Auslegungsmethoden nicht zu eindeuti-
gen Ergebnissen führen, ist es gängige Praxis, die verfassungskonforme
Auslegung heranzuziehen.“!7 Gegenstand ist das Gesetz oder eine Geset-
zesbestimmung. Der Staatsgerichtshof sucht eine Auslegung des einfa-
chen Rechts, die mit der Verfassung vereinbar ist. Anlass zu einem sol-
chen Vorgehen besteht immer dann, wenn ein Gesetz oder eine Geset-
zesbestimmung mehrere Auslegungen zulässt und nicht alle mit der
Verfassung übereinstimmen bzw. auch eine Interpretation möglich ist,
bei der sich kein Widerspruch zur Verfassung ergibt.“ Es wird diejenige
Methode bevorzugt, die zu einem verfassungsmässigen Ergebnis führt.
In diesem Fall übernimmt die verfassungskonforme Auslegung die
Funktion einer «Vorzugsregel».*!1? Voraussetzung ist, dass sich diese
gesetzeserhaltende Normdeutung innerhalb des Wortlauts und des Sinns
der geprüften Gesetzesbestimmung bewegt. Sie bilden die Grenze der
verfassungskonformen Auslegung. Die vom Staatsgerichtshof
bestimmte Auslegung muss sich mit dem vom Gesetzgeber intendierten
Norminhalt decken, um nicht die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers
zu beeinträchtigen.*! Dies ist der Fall, wenn er einen ganz anderen Sinn
bekommt, der vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen ist.“
Die verfassungskonforme Auslegung begegnet grosser Zustim-
mung und hat auch in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung
416 So Helmut Simon, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 1669 Rz. 53. Michael Kloepfer,
Verfassungsrecht I, S. 658 Rz. 124 spricht von «Normerhalt durch Norminterpreta-
tion». Gunnar Folke Schuppert, Funktionell-rechtliche Grenzen, S. 6 weist darauf
hin, dass die verfassungskonforme Auslegung aus dem Bestreben entstanden ist,
«den demokratisch legitimierten Gesetzgeber vor zu weitgehenden, unnötigen Kor-
rekturen durch den Richter zu schützen».
417 Zur Praxis des Staatsgerichtshofes vgl. Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 307 und
Tobias Michael Wille, Verfassungs- und Grundrechtsauslegung, S. 170 ff.; zur ver-
fassungskonformen Auslegung im Zusammenhang mit der Lückenfüllung siehe
Herbert Wille, Probleme des gesetzgeberischen Unterlassens, S. 448 f.
418 Vgl. Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 308 f. mit weiteren Literaturhinweisen.
419 Vgl. Ulrike Lembke, Einheit aus Erkenntnis, S. 32 f.
420 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungs- und Grundrechtsauslegung, S. 171 f. mit
Hinweisen auf die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs.
421 Vgl. Werner Heun, Funktionell-rechtliche Schranken, S. 28 f.; Christian Starck, Das
Bundesverfassungsgericht im politischen Prozess, S. 27 f.
422 Vgl. Philipp Austermann, Die rechtlichen Grenzen des Bundesverfassungsgerichts,
S. 271.
674
Staatsgerichtshof und Gesetzgeber
ihren gefestigten Platz. Sie ist im Normenkontrollverfahren als norm-
erhaltendes Prinzip von Bedeutung. Macht der Staatsgerichtshof von
dieser Auslegungsmethode Gebrauch, spricht er zugleich auch aus, «dass
eine bestimmte andere, auch mögliche Gesetzesauslegung der Verfas-
sung widerspricht».*? Er eliminiert mit anderen Worten die nicht ver-
fassungsgemässen Auslegungsalternativen. Ein solches Verfahren
kommt in seiner faktischen Wirkung einer teilweisen Kassation eines
Gesetzes gleich.‘
Die verfassungskonforme Auslegung stösst mitunter auch auf Kri-
tik. Sie wirft im Verhältnis zum Gesetzgeber und zu den anderen (Fach-)
Gerichten Fragen auf.“ So legt der Staatsgerichtshof das einfache Recht
für die anderen (Fach-)Gerichte verbindlich aus und «diktiert zugleich
dem Gesetzgeber seine Norminhalte».%* Ein solches Vorgehen rückt ihn
ın die Nähe einer «Superrevisionsinstanz»*?7 bzw. eines «Ersatzgesetzge-
bers»#8, Es wird in der deutschen Lehre auch eingewendet, dass die ver-
fassungskonforme Auslegung «gar keine echte (Gesetzes-)Auslegung,
sondern eine Normverwerfung in anderem Gewande» darstellt. Sie ziehe
«ihre Rechtfertigung aus der Verwechslung oder doch zumindest Vermi-
schung von Inhalts- und Geltungsfrage».?? Inhalt und Geltung einer
Rechtsnorm seien auseinanderzuhalten. Ob eine Rechtsnorm verfas-
sungsgemäss sei, lasse sich erst feststellen, wenn der betreffende Inhalt
423 Formulierung nach Joachim Burmeister, Verfassungsorientierung, S. 121 unter Be-
zugnahme auf Harald Bogs, Die Bindung des Fallrichters an eine verfassungskon-
forme Gesetzesauslegung des Normenkontrollrichters, in: DVBI 1965, S. 633.
424 Vgl. Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 308 f. unter Bezugnahme auf Peter Obern-
dorfer, Die Verfassungsrechtsprechung im Rahmen der staatlichen Funktionen,
S. 201; zur Überschneidung von verfassungskonformer Gesetzesauslegung und
Teilnichtigerklärung von Rechtsnormen im deutschen Recht siehe Joachim Bur-
meister, Verfassungsorientierung, S. 120 ff.
425 Einen Überblick über die Auffassungen, die in der deutschen Judikatur und Literatur
vertreten werden, gibt Ulrike Lembke, Einheit aus Erkenntnis, S. 23 ff.; aus österrei-
chischen Sicht siehe Anna Gamper, Regeln der Verfassungsinterpretation, S. 216 ff.
426 Formulierung in Anlehnung an Ulrike Lembke, Einheit aus Erkenntnis, S. 116.
427 Siehe hinten S. 680 und S. 684.
428 Kritisch Gunnar Folke Schuppert, Funktionell-rechtliche Grenzen, S. 6 f., der die
verfassungskonforme Auslegung eine «sehr wirkungsvolle Methode der Bevormun-
dung von Regierung und Parlament» nennt.
429 Matthias Jestaedt, Phänomen Bundesverfassungsgericht, S. 140; ders., Rechtspre-
chung und Rechtsetzung, 5.42 f.; vgl. zu weiteren kritischen Einwendungen auch
Wolfgang Löwer, Zuständigkeiten und Verfahren, S. 1418 Rz. 126.
675
Verhältnis zu anderen Staatsorganen
der Rechtsnorm an der Verfassung gemessen werde. Ebenso könnten
auch die Geltungsbedingungen keine Auskunft über den Inhalt einer
Rechtsnorm geben.“
In eine andere Richtung geht die Kritik, dass die verfassungskon-
forme Auslegung dazu tendiere, «gesetzliche Alternativen auszuschlies-
sen und auf diese Weise die geltende Rechtsordnung zu zementieren».*?!
$50 STAATSGERICHTSHOF UND DIE
ANDEREN (FACH-)GERICHTE
I. Ausgangslage
Der Staatsgerichtshof prüft im Rahmen des Individualbeschwerdever-
fahrens, ob das betreffende Gericht — ordentliches Gericht und Verwal-
tungsgerichtshof*? — in seinem Verfahren oder in der Auslegung und
Anwendung des einfachen Rechts verfassungsmässig gewährleistete
Rechte (Grundrechte) verletzt oder zu Unrecht nicht beachtet hat.“
Der Staatsgerichtshof entscheidet nämlich über Individualbeschwerden
wegen behaupteter Verletzungen von verfassungsmässig gewährleisteten
Rechten und von Rechten, die durch internationale Übereinkommen
garantiert sind und für die der Gesetzgeber ein Individualbeschwerde-
recht ausdrücklich anerkannt hat.“* Der Staatsgerichtshof ist aber in die-
430 Vgl. Ulrike Lembke, Einheit aus Erkenntnis, S. 227 und die Zusammenfassung auf
S. 334/Ziff. II1/6.
431 Georg Hermes, Verfassungsrecht und einfaches Recht, S. 140.
432 Vgl. Art. 97 ff. LV und Art. 102 f. LV. In diesem Zusammenhang wird in der Litera-
tur auch von «Fachgerichtsbarkeit» gesprochen. Siehe Herbert Wille, Normenkon-
trolle, S. 73 Fn. 21; Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsge-
richtshof, S. 129; Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 49; Hugo Vogt,
Das Willkürverbot und der Gleichheitsgrundsatz, S. 443; Hilmar Hoch, Staatsge-
richtshof und Oberster Gerichtshof, S. 418 f.
433 Es ist in diesem Sinne «ein Spezialgericht für den Grundrechtsschutz». Diese For-
mulierung ist Ralf Alleweldt, Bundesverfassungsgericht, S. V (Vorwort) entnom-
men. Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 166
spricht in diesem Zusammenhang von einer «Verfassungsgerichtsbarkeit mit ausge-
prägter Grundrechtsschutzfunktion», zu deren Kernproblemen «die (funktionell-
rechtliche) Aufgabenabgrenzung gegenüber der sog. Fachgerichtsbarkeit>» zählt.
434 Vegl. Art. 15 bis 17 SIGHG.
676
Staatsgerichtshof und die anderen (Fach-)Gerichte
ser Funktion nicht einfach eine weitere, höhere Gerichtsinstanz. In stän-
diger Rechtsprechung erklärt er, dass er keine weitere instanzenmässige
Tatsachen- und Rechtsinstanz («Superberufungs- und Superrevisions-
instanz») ist.*5
Es gilt der Vorrang der Fachgerichtsbarkeit bzw. der Grundsatz der
Nachrangigkeit bzw. Subsidiarität der Individualbeschwerde.*®* Danach
kann eine Individualbeschwerde erst dann an den Staatsgerichtshof
gerichtet werden, wenn die Entscheidung oder Verfügung der öffentli-
chen Gewalt enderledigend und letztinstanzlich ist. Die prozessualen
Rechtsmittelmöglichkeiten müssen ausgeschöpft sein. Es handelt sich
bei ihr um einen «ausserordentlichen Rechtsbehelf» und nicht um ein
«zusätzliches Rechtsmittel».*”7 Die Feststellung und Würdigung des
Sachverhalts sowie die Auslegung des einfachen Rechts und seine
Anwendung auf den einzelnen Fall ist Sache des zuständigen Fachge-
richts. Das Erfordernis der Erschöpfung des Instanzenzuges soll denn
auch nach den Worten des Staatsgerichtshofes sicherstellen, «dass die
ordentlichen Instanzen sich mit dem Standpunkt eines Betroffenen aus-
einandersetzen und insbesondere geltend gemachte Grundrechtsverlet-
zungen selbst verhindern oder beheben können».*8
Die Fachgerichte sind bei ihren Entscheidungen an die Verfassung
gebunden und haben sie einzuhalten. Die Fachgerichte sind «daher
gegenüber einer Nachprüfung durch den Staatsgerichtshof nicht
immun».*9 Der Staatsgerichtshof prüft ihre Entscheidungen am Mass-
stab der Verfassung.
435 Siehe die Judikaturangaben bei Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht,
S.52; vgl. auch Hugo Vogt, Das Willkürverbot und der Gleichheitsgrundsatz,
S. 445. Mit dem Ausdruck «Superberufungs- bzw. Superrevisionsinstanz» ist eine
höhere oder zusätzliche Instanz gemeint, die die angegriffene fachliche Entschei-
dung am Massstab des (gesamten) einfachen Rechts prüft.
436 Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 130 f,;
Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 51.
437 Siehe die bei Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 51 Fn. 158 und bei
Hugo Vogt, Das Willkürverbot und der Gleichheitsgrundsatz, S. 432 Fn. 32 ange-
gebene Judikatur.
438 StGH 2006/30, Urteil vom 2. Oktober 2006, nicht veröffentlicht, Erw. 8.1 unter
Bezugnahme auf StGH 2003/10, Entscheidung vom 30. Juni 2003, Erw. 2, nicht ver-
öffentlicht.
439 StGH 1974/15, Entscheidung vom 12. Januar 1976, nicht veröffentlicht, S. 10 zitiert
nach Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 130
Fn. 568.
677
Verhältnis zu anderen Staatsorganen
Schwierigkeiten bereitet die Abgrenzung der Verfassungsgerichtsbarkeit
von der Fachgerichtsbarkeit, wenn es um die Bestimmung der Kontroll-
befugnis des Staatsgerichtshofes im Individualbeschwerdeverfahren
bzw. um die Frage geht, wo die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit
bei der Überprüfung fachgerichtlicher Entscheidungen liegen. Im Mit-
telpunkt der Diskussion stehen der Prüfungsmassstab sowie der Prü-
fungsumfang und die Prüfungsdichte der verfassungsgerichtlichen Kon-
trolle.+40
II. Verfassungsgerichtliche Kontrolle der Fachgerichte
1. Begrenzung der Prüfungsbefugnis
Es ist ständige Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes, dass er sich im
Individualbeschwerdeverfahren darauf beschränkt, «spezifisch zu prü-
fen, ob eine ihm vorgelegte Entscheidung gegen eines der von der
Verfassung garantierten Rechte verstösst».*1 Der Staatsgerichtshof
untersucht, ob Entscheidungen der Fachgerichte «spezifisches Verfas-
sungsrecht»*2 verletzen.“ Seine «Kognition» ist demnach auf die
440 Vgl. Matthias Jestaedt, Verfassungsrecht und einfaches Recht, S. 1309; vgl. auch
Hugo Vogt, Das Willkürverbot und der Gleichheitsgrundsatz, S. 456 mit weiteren
Literaturhinweisen, der feststellt, dass der Staatsgerichtshof «bewusst eine klare,
eindeutige Kompetenzabgrenzung im Verhältnis zur Fachgerichtsbarkeit» vermei-
det. Dieses Verhältnis werde «auch in Zukunft problematisch bleiben». Einen Über-
blick über die SSGH-Rechtsprechung «im Lichte der Rechtsprechung zur Fachge-
richtsbarkeit» vermittelt Hilmar Hoch, Staatsgerichtshof und Oberster Gerichtshof,
S. 421 ff.
441 StGH 1996/38, Urteil vom 24. April 1997, nicht veröffentlicht, S. 12 f.; siehe auch
Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 54.
442 Stefan Korioth, Bundesverfassungsgericht und Rechtsprechung, S. 62 bezeichnet
diesen Ausdruck als einen «sprachlich unglückliche(n) Zusatz», der nicht bestimmte
Normgruppen des Grundgesetzes von anderen «unspezifischen» Inhalten der Ver-
fassung abgrenze. Diese Formel schliesse vielmehr den Verfassungsverstoss durch
(blosse) richterliche Gesetzesverletzung als Gegenstand einer Entscheidungsverfas-
sungsbeschwerde aus.
443 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 645 f. und die dort in Fn. 1072
zitierte Judikatur. Nach Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staats-
gerichtshof, S. 179 Fn. 794 dient diese Formel vom spezifischen Verfassungsrecht,
die der Staatsgerichtshof in StGH 1994/19, Urteil vom 11. Dezember 1995, LES
678
Staatsgerichtshof und die anderen (Fach-)Gerichte
«Grundrechtsfragen» eingeengt,** die dem Staatsgerichtshof in erster
Linie als verfassungsrechtliche Prüfungsmassstäbe zur Verfügung ste-
hen. Die Grundrechte strahlen auf die gesamte Rechtsordnung aus. Sie
sind nicht nur auf die Abwehr staatlicher Eingriffe beschränkt,*5 sodass
auch die Fachgerichte angehalten sind, die Grundrechte zu wahren.
Damit kann jede Gesetzesauslegung zu einer Frage des spezifischen Ver-
fassungsrechts werden und der Prüfungszuständigkeit des Staatsge-
richtshofes unterliegen.‘46
In Anlehnung an die Judikatur des deutschen Bundesverfassungs-
gerichts verletzt ein Fachgericht «spezifisches Verfassungsrecht»*"7,
wenn es bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts über-
sehen hat, welche Grundrechte einschlägig sind oder wenn seine Ent-
scheidung auf Auslegungsfehlern beruht, denen eine grundsätzlich
unzutreffende Anschauung von der Bedeutung und Tragweite eines
Grundrechts zugrunde liegt.*#$
Diese Begrenzung der Kontrollkompetenz ergibt sich aus dem
Charakter der Individualbeschwerde als ausserordentlichem Rechtsbe-
helf,#9 der Stellung des Staatsgerichtshofes als Spezialgericht für Verfas-
2/1997, S. 73 (75), Erw. 5 aufgegriffen habe, dem deutschen Bundesverfassungsge-
richt zur prinzipiellen Umschreibung seiner Kontrollkompetenz gegenüber der
Fachgerichtsbarkeit.
444 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 647 und die dort in Fn. 1081
erwähnte Judikatur; siehe auch die bei Hugo Vogt, Das Willkürverbot und der
Gleichheitsgrundsatz, S. 446 wiedergegebene Formel des Staatsgerichtshofes (StGH
2003/67, Urteil vom 2. März 2004, 5. 16, nicht veröffentlicht), die er zur funktionell-
rechtlichen Abgrenzung gegenüber den Fachgerichten verwendet, und die dort in
Fn. 72 aufgeführte Judikatur und Literatur.
445 Zu den objektiv-rechtlichen Grundrechtsfunktionen siehe Wolfram Höfling,
Grundrechtsordnung, S. 47 ff. und 55 ff.; Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. IT1/2, S. 1337.
446 Vgl. für das deutsche Recht Ulrike Lembke, Freiheit aus Erkenntnis, S. 103 f.
447 Zur sogenannten «Heck’schen Formel» siehe Ernst Benda/Eckart Klein/ Oliver
Klein, Verfassungsprozessrecht, S. 205 f. Rz. 478 ff.
448 Vgl. zu diesen zwei Fallkonstellationen Wolfram Höfling, Die Verfassungsbe-
schwerde zum Staatsgerichtshof, S. 180 und 213 und ders., Adressaten der Grund-
rechte, S. 51 f. Rz. 18; Hilmar Hoch, Staatsgerichtshof und Oberster Gerichtshof,
S. 426 f. «Fallgruppen der Verkennung der Ausstrahlungswirkung» listet auch Ralf
Alleweldt, Bundesverfassungsgericht, S. 184 ff. auf. Siehe auch Reinhold Zippelius/
"Thomas Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 523 Rz. 46 ff.
449 Zur Doppelfunktionalität des Individualbeschwerdeverfahrens siehe Wolfram Höf-
ling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 68 f.
679
Verhältnis zu anderen Staatsorganen
sungsfragen und der damit verbundenen verfassungsrechtlichen Aufga-
benverteilung zwischen ihm und den Fachgerichten.*5
Soweit der Staatsgerichtshof die Beachtung verfassungsrechtlicher
Bindungen prüft, misst er die fachgerichtliche Entscheidung direkt bzw.
unmittelbar an den Grundrechten. Diese Art der Kontrolle erweist sich
als erheblich enger als die eines Revisionsgerichts. Der Staatsgerichtshof
ist nach seinen Worten denn auch keine «Superberufungs- und Super-
revisionsinstanz».*51 Das würde bedeuten, dass er sich als eine zusätzliche
Instanz begreifen würde, welche die bekämpfte fachgerichtliche Ent-
scheidung am Massstab des einfachen Rechts beurteilt. Zur verbindlichen
Entscheidung von Zweifelsfragen des einfachen Rechts sind nach der
Konzeption der Verfassung die Fachgerichte, d. h. ordentlichen Gerichte
bzw. der Verwaltungsgerichtshof, zuständig. Dem Staatsgerichtshof sind
verfassungsrechtliche Fragen zur Entscheidung zugewiesen.“2 Er ver-
neint seine Zuständigkeit, im Individualbeschwerdeverfahren letzt-
instanzliche gerichtliche Entscheidungen zu prüfen, die lediglich das ein-
fache Gesetz auslegen und anwenden.“ Der Staatsgerichtshof ist inso-
weit keine «Superberufungs- und Superrevisionsinstanz». Er kann des-
halb die Einhaltung des einfachen Rechts nur am Willkürraster kontrol-
lieren, der sich im Prüfungsumfang und in der Prüfungsdichte von der
spezifischen Grundrechtsprüfung unterscheidet.“* Willkür ist dann ge-
geben, wenn eine fachgerichtliche Entscheidung ein Gesetz in erhebli-
chem Masse fehlerhaft bzw. qualifiziert falsch auslegt und anwendet, so-
dass sie nicht mehr «vertretbar» bzw. «stossend» ist.“
450 Vgl. Art. 97 ff. LV (ordentliche Gerichte) und Art. 102 f. LV (Verwaltungsgerichts-
hof) sowie Art. 104 f. LV (Staatsgerichtshof).
451 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 51 f. mit Rechtsprechungs-
hinweisen.
452 So wenn fachgerichtliche Rechtsauslegung und Rechtsanwendung Grundrechte ver-
letzen. Siehe Hugo Vogt, Das Willkürverbot und der Gleichheitsgrundsatz, S. 451;
zum deutschen Recht vgl. Ralf Alleweldt, Bundesverfassungsgericht, S. 173.
453 Vgl. Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 55.
454 Nach Hilmar Hoch, Schwerpunkte, S. 74 «kann bei der Durchsetzung des Willkür-
verbots nicht der gleich strenge Prüfungsmassstab angewendet werden wie bei den
spezifischen, nur punktuell geltenden Grundrechten». Es werde deshalb insbeson-
dere auf eine differenzierte Verhältnismässigkeitsprüfung verzichtet. «Andernfalls
würde das Verfassungsgericht zu einer zusätzlichen Revisionsinstanz.» Vgl. auch
hinten 5. 683 ff.
455 Vgl. StGH 1988/19, Urteil vom 27. April 1989, LES 3/1989, S. 122 (125); SIGH
1995/28, Urteil vom 24. Oktober 1996, LES 1/1998, S. 6 (11 Erw. 2.2) und dazu
680
Staatsgerichtshof und die anderen (Fach-)Gerichte
2. Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts
Fachgerichte haben die Gesetze im Rahmen der Verfassung auszulegen
und anzuwenden. Die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes
kann Grundrechte verletzen. Dementsprechend kann der Staatsgerichts-
hof im Individualbeschwerdeverfahren inzident auch die Verfassungs-
mässigkeit des angewendeten Gesetzes prüfen.“
Der Staatsgerichtshof prüft die fachgerichtliche Auslegung und
Anwendung von Gesetzen am Massstab des spezifischen Verfassungs-
rechts bzw. der Grundrechte.
a) Mass und Umfang der verfassungsgerichtlichen Kontrolle
aa) Grundrechtsauslegung — Materieller Gehalt des Grundrechts
Der Prüfungsumfang fachgerichtlicher Entscheidungen hängt wesent-
lich davon ab, wie der Staatsgerichtshof die einzelnen spezifischen
Grundrechte auslegt. Je nachdem, ob er eine Rechtsposition dem sachli-
chen Gewährleistungsbereich eines Grundrechts zuordnet, prüft er eine
fachgerichtliche Entscheidung umfangreich oder weniger umfangreich.
Eine zu extensive Auslegung hat allerdings zur Folge, dass die Fachge-
richte das von ihnen anzuwendende Recht zunehmend vom Staatsge-
richtshof anstatt vom Gesetzgeber erhalten. Es besteht auch die Gefahr,
dass es dadurch zu einer Abwertung der Fachgerichtsbarkeit kommt.“
Der materielle Gehalt bzw. der Gewährleistungsbereich der spezi-
fischen Grundrechte lässt sich jedoch, wie der Staatsgerichtshof zu ver-
stehen gibt, nicht definitiv festlegen, da er sich vorbehält, neu auftreten-
den Gefährdungslagen für Menschen durch geänderte Grundrechtsin-
Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 56 f,;
Hilmar Hoch, Schwerpunkte, S. 75. Siehe auch hinten S. 684.
456 Siehe Art. 18 Abs. 1 Bst. c SSGHG und zum konkreten Normenkontrollverfahren
Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 189 ff.
457 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 53 f. mit weiteren Literatur-
hinweisen und Hugo Vogt, Das Willkürverbot und der Gleichheitsgrundsatz, S. 452;
vgl. zur Gefahr der «Ausuferung» des sachlichen Geltungsbereiches von Grund-
rechten und zu dessen Eingrenzung unter dem Gesichtspunkt des Prüfungsumfangs
bzw. der Prüfungsdichte in der Praxis des Staatsgerichtshofes Hilmar Hoch, Schwer-
punkte, S. 79 ff. mit Rechtsprechungshinweisen.
681
Verhältnis zu anderen Staatsorganen
terpretationen Rechnung zu tragen.“8 Es ist denn auch nach seiner
Ansicht «die Umschreibung der <«verfassungsmässig gewährleisteten
Rechte regelmässig bewusst so flexibel gehalten, dass sich eine Ausle-
gung aufdrängt, die es gestattet, allen wesentlichen Schutzbedürfnissen
von Verfassungswesentlichkeit gerecht zu werden».*° Es erweist sich
deshalb vereinzelt auch als schwierig festzustellen, ob ein Sachverhalt
vom Schutzbereich eines der spezifischen Grundrechte erfasst wird oder
ob er am Massstab des subsidiären Grundrechts «Willkürverbot» zu
prüfen ist.469
ab) Intensität des Grundrechtseingriffs
Die Besonderheit der Verfassungsverletzung kann auch ihre Intensität
ausmachen. So verbindet etwa der Staatsgerichtshof den Umfang der
Kontrolle mit der Intensität des betreffenden Grundrechtseingriffs.
Demzufolge ist der Prüfungsumfang bei spezifischen Grundrechten
vom Ausmass des Eingriffs abhängig und variiert, je nachdem ob die
fachgerichtliche Entscheidung einen schweren oder einen leichten
Grundrechtseingriff beinhaltet. Der Staatsgerichtshof verwendet dieses
Kriterium der Intensität des Grundrechtseingriffs, um den Prüfungs-
umfang von fachgerichtlichen Entscheidungen flexibel zu bestimmen.*1
458 Vgl. Hugo Vogt, Das Willkürverbot und der Gleichheitsgrundsatz, S. 391.
459 StGH 1984/14, Urteil vom 28. Mai 1986, LES 2/1986, 5. 36 (38 Erw. 1); siehe auch
Hugo Vogt, Das Willkürverbot und der Gleichheitsgrundsatz, S. 332.
460 Vgl. Hugo Vogt, Das Willkürverbot und der Gleichheitsgrundsatz, S. 391 f. Er ver-
merkt, dass der Staatsgerichtshof in diesem Zusammenhang teilweise versucht,
Grundrechtskonkurrenzen «durch genaue Tatbestandsauslegung und Tatbestands-
abgrenzung>» zu vermeiden. Siehe zum Willkürverbot hinten S. 683 ff.
461 Vgl. Hugo Vogt, Das Willkürverbot und der Gleichheitsgrundsatz, S. 453 ff., der
sich kritisch mit der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes auseinandersetzt. Auch
das deutsche Bundesverfassungsgericht verwendete zwischen 1973 und 1990 Inten-
sitätsformeln, rückt in neueren Entscheidungen allerdings davon ab und geht prag-
matisch vor. Siehe Ralf Alleweldt, Bundesverfassungsgericht, S. 89 ff. und 92 ff.; vgl.
auch Roman Herzog, Bundesverfassungsgericht, S. 439 ff. Jörg Berkemann, Bun-
desverfassungsgericht, S. 1038 f. nennt das Kriterium der Intensität ein «argumenta-
tives Raster», das dem Gericht «einen flexiblen Zugriff oder eine begründungsfähige
Abwehr eröffnet».
682
Staatsgerichtshof und die anderen (Fach-)Gerichte
b) Arten von Grundrechtsprüfungen
ba) Differenzierte Grundrechtsprüfung
Wiegt der Grundrechtseingriff, der im Individualbeschwerdeverfahren
geltend gemacht wird, schwer, unterzieht ihn der Staatsgerichtshof einer
differenzierten Prüfung.“ Dies trifft beispielsweise zu, wenn eine fach-
gerichtliche Entscheidung stark in die persönliche Position des
Beschwerdeführers eingreift. Die differenzierte Prüfung orientiert sich
an den materiellen Eingriffsschranken des überwiegenden öffentlichen
Interesses, der Verhältnismässigkeit (aufgegliedert nach Geeignetheit,
Erforderlichkeit und Zumutbarkeit)‘® und der Kerngehaltsgarantie,*°*
wobei auch der Schutzbereich des jeweils infrage stehenden Grund-
rechts eine Rolle spielt.*5 Eine Grundrechtskontrolle nach diesen diffe-
renzierten Prüfungskriterien ist jedoch nur bei Grundrechten mit genü-
gend klar abgrenzbaren sachlichen Schutzbereichen möglich. Anders
verhält es sich beim Willkürverbot.*%
bb) Willkürprüfung
Handelt es sich bei einer fachgerichtlichen Entscheidung mit Blick auf
die geltend gemachten Grundrechte nur um eine leichte Grundrechts-
einschränkung, prüft sie der Staatsgerichtshof lediglich auf Willkür.*7
462 Siehe StGH 1997/1, Urteil vom 4. September 1997, LES 4/1998, S. 201 (205 Erw. 4),
wo es heisst: «Bei der Überprüfung von Eingriffen in spezifische, in der Verfassung
normierte Grundrechte nimmt der Staatsgerichtshof nach seiner neueren Recht-
sprechung indessen nicht nur eine Willkürprüfung, sondern jedenfalls bei schweren
Grundrechtseingriffen eine differenzierte Prüfung vor.» Vgl. auch Hugo Vogt, Das
Willkürverbot und der Gleichheitsgrundsatz, S. 453 f.; Wolfram Höfling, Die Ver-
fassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 174; Herbert Wille, Verfassungsge-
richtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 59.
463 Zum Grundsatz der Verhältnismässigkeit siehe Kuno Frick, Schranken, S. 110 ff.
464 Vgl. zu den Eingriffsschranken Kuno Frick, Handels- und Gewerbefreiheit,
S. 210 ff. (Eingriffsvoraussetzungen), S. 265 ff. (öffentliches Interesse), S. 280 ff.
(Grundsatz der Verhältnismässigkeit), S. 294 ff. (Kerngehaltsgarantie); vgl. auch
Wolfram Höfling, Schranken der Grundrechte, S. 95 ff. Rz. 23 ff.
465 Vgl. Hilmar Hoch, Schwerpunkte, S. 73.
466 Vgl. Hilmar Hoch, Schwerpunkte, S. 74; Wolfram Höfling, Die Verfassungsbe-
schwerde zum Staatsgerichtshof, S. 178 Fn. 790.
467 Vgl. Hugo Vogt, Das Willkürverbot und der Gleichheitsgrundsatz, S. 392 f. und
453 f. mit Literatur- und Rechtsprechungshinweisen. Unter dem Aspekt des Will-
kürverbots als funktionell-rechtliches Kriterium weist er darauf hin, dass die Prü
683
Verhältnis zu anderen Staatsorganen
Fachgerichtliche Entscheidungen verletzen das Willkürverbot,*® wenn
sie das einfache Recht qualifiziert falsch auslegen bzw. qualifiziert falsch
anwenden. Eine an einfachgesetzlichen Bestimmungen gemessene fach-
gerichtliche Entscheidung ist aber nicht schon dann willkürlich, wenn
sie objektiv fehlerhaft oder falsch ist.*°° Ein Verstoss gegen das Willkür-
verbot stellt eine Grundrechtsverletzung dar, die der Staatsgerichtshof
«nicht anders als eine vierte Rechts- oder allenfalls sogar Sachinstanz»
genau prüft.”/° Im Unterschied zur differenzierten, inhaltlich vollen
Grundrechtsprüfung führt er keine differenzierte Verhältnismässigkeits-
kontrolle durch, um als Verfassungsgericht nicht zu einer «zusätzlichen
Revisionsinstanz» zu werden.“*!
Auch wenn der im Individualbeschwerdeverfahren geltend
gemachte Sachverhalt nicht den Schutzbereich eines spezifischen
fungsdichte (Willkürprüfung) in diesen Fällen die Frage des materiellen Gehalts der
spezifischen Grundrechte überlagere, wie dies beispielsweise auf die Eigentumsga-
rantie, das Recht auf den ordentlichen Richter und den Anspruch auf rechtliches
Gehör zutreffe.
468 Nicht deutlich wird in der Rechtsprechung, so Hugo Vogt, Das Willkürverbot und
der Gleichheitsgrundsatz, S. 392 f., ob der Staatsgerichtshof das Willkürverbot als
Grundrecht im Verhältnis zu den spezifischen Grundrechten ansieht (Grundrechts-
konkurrenz) oder ob er ein spezifisches Grundrecht im Rahmen einer reduzierten
Prüfungsdichte (Willkürprüfung) untersucht. Er vermerkt in diesem Zusammen-
hang auch, dass materiell-rechtliche Fragen, wie der inhaltliche Schutzbereich eines
Grundrechts, und funktionell-rechtliche Überlegungen auseinanderzuhalten sind.
469 Zur «Vertretbarkeitskontrolle» siehe Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im
Fürstentum Liechtenstein, S. 58 f. mit Rechtsprechungshinweisen. Die Grenzen
zwischen einer noch vertretbaren und einer bereits stossenden bzw. willkürlichen
fachgerichtlichen Entscheidung sind fliessend und können nicht trennscharf gezo-
gen werden. Sie lassen sich nur im Einzelfall bestimmen.
470 Zur Begründung dieses Vorgehens führt er in SSGH 1997/1, Urteil vom 4. September
1997, LES 4/1998, S. 201 (205 Erw. 3) aus: «Denn ob eine ihm vorgelegte Entschei-
dung nur unrichtig und somit noch vertretbar oder aber geradezu unhaltbar und
folglich willkürlich ist, kann der Staatsgerichtshof nur dann fundiert beurteilen,
wenn er sich mit den Einzelheiten des Falles eingehend befasst.» Vgl. auch Hugo
Vogt, Das Willkürverbot und der Gleichheitsgrundsatz, S. 452 f. mit zahlreichen Ju-
dikatur- und Literaturhinweisen. Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde
zum Staatsgerichtshof, S. 178 meint, dass eine Verletzung dieses «unspezifischen
Grundrechts auf Willkürfreiheit», zwar durchaus eine «weite und umfassende Prü-
fung» eröffne, aber «angesichts des gleichsam zurückgenommenen normativen Di-
rektionsgehalts nur in Ausnahmefällen die Feststellung der Grundrechtswidrigkeit
einer fachgerichtlichen Entscheidung mit der Folge der Kassation» erlauben werde.
471 Vgl. Hilmar Hoch, Schwerpunkte, S. 74.
684
Staatsgerichtshof und die anderen (Fach-)Gerichte
Grundrechts berührt, nimmt der Staatsgerichtshof «auf entsprechenden
Antrag»*2 eine Willkürkontrolle vor.*”3 Das Willkürverbot kann als
eigenständiges Grundrecht** auch für sich allein Gegenstand einer Indi-
vidualbeschwerde sein.”5 In der Praxis des Staatsgerichtshofes über-
nimmt es die Funktion eines Auffanggrundrechts, «das nur dann eine
selbständige Bedeutung hat, wenn kein spezifisches Grundrecht betrof-
fen ist»>.”° Demzufolge kommt es neben spezifischen Grundrechtsrügen
subsidiär zur Anwendung.“77
Um am «punktuellen Charakter» des spezifischen Grundrechts-
schutzes gegenüber dem als Auffanggrundrecht dienenden Willkürver-
bot festhalten zu können, hat der Staatsgerichtshof den sachlichen Gel-
tungsbereich von bestimmten Grundrechten,*® den er im Laufe der letz-
ten Jahrzehnte erheblich ausgeweitet hatte,”? eingeschränkt. Diese
472 Zur Rügepflicht siehe Hugo Vogt, Das Willkürverbot und der Gleichheitsgrund-
satz, S. 437 ff. Er hält fest, dass in der Praxis eine «implizite Rüge genügt» (S. 438 f.).
473 Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 181 macht
darauf aufmerksam, dass bei einem solchen «Prüfprogramm» zu berücksichtige sei,
«dass die Grenze zwischen Fachgerichtsbarkeit und Verfassungsgerichtsbarkeit
nicht starr, sondern fliessend ist». Die verfassungsgerichtliche Kontrollkompetenz
stehe deshalb «immer unter dem Vorbehalt des besonderen Einzelfalles». So auch
StGH 1995/28, Urteil vom 24. Oktober 1996, LES 1/1998, S. 6 (11 Erw. 2.2).
474 StGH 1998/45, Urteil vom 22. Februar 1999, LES 1/2000, 5. 1 (5 f. Erw. 4 ff.); siehe
auch StGH 2005/34, Urteil vom 16. Mai 2006, LES 4/2007, S. 379 (386 Erw. 4.1).
475 StGH 2005/35, Urteil vom 6. Februar 2006, LES 2/2007, 5. 89 (94 f. Erw. 4.1 ff.).
476 StGH 2005/23, Urteil vom 27. September 2005, LES 2/2007, S. 77 (82 Erw. 2.1).
477 Zum Willkürverbot als subsidiäres Grundrecht ausführlich Hugo Vogt, Das Will-
kürverbot und der Gleichheitsgrundsatz, S. 384 ff. mit zahlreichen Hinweisen zu
Rechtsprechung und Lehre, die er kritisch bespricht, da sie zu Missdeutungen
Anlass geben. Er vertritt die Auffassung, dass das Willkürverbot «gegenüber ande-
ren Grundrechten rechtlich gleichwertig (ist), wobei allenfalls gesagt werden kann,
dass das Willkürverbot aus praktischen Gründen subsidiär ist» (S. 388).
478 Hilmar Hoch, Schwerpunkte, S. 79 ff. nennt die Eigentumsgarantie, das Recht auf
den ordentlichen Richter und das Grundrecht der persönlichen Freiheit. Zum sach-
lichen Schutzbereich des Rechts auf den ordentlichen Richter siehe Tobias Michael
Wille, Recht auf den ordentlichen Richter, S. 342 ff. Rz. 11 ff; zum sachlichen
Gewährleistungsbereich der Eigentumsgarantie Klaus A. Vallender/Hugo Vogt,
Eigentumsgarantie, S. 701 ff. Rz. 23 ff. und Herbert Wille, Verwaltungsrecht,
5.56 ff; zum sachlichen Schutzbereich des Grundrechts auf Freiheit der Person
Marzell Beck/ Andreas Kley, Freiheit der Person, S. 136 ff. Rz. 11 ff. und Wolfram
Höfling, Grundrechtsordnung, S. 110 ff.
479 Vgl. zum Grundrecht auf den ordentlichen Richter Tobias Michael Wille, Recht auf
den ordentlichen Richter, S. 342 f. Rz. 12.
685
Verhältnis zu anderen Staatsorganen
Reduzierung ermöglicht es ihm, innerhalb des begrenzten Schutzbe-
reichs im Unterschied zum generell geltenden Willkürschutz eine diffe-
renzierte Prüfung vorzunehmen.“
3. Sachverhaltsermittlung — Tatsachenfeststellungen
Neben den Bereichen der Rechtsauslegung und Rechtsanwendung stel-
len sich im Individualbeschwerdeverfahren auch Fragen, welchen Sach-
verhalt der Staatsgerichtshof seinen Entscheidungen zugrunde zu legen
hat und wie weit seine Ermittlungskompetenzen reichen. Obwohl im
verfassungsgerichtlichen Verfahren der Untersuchungsgrundsatz gilt,
versteht sich der Staatsgerichtshof wie bei der Prüfung von Rechtsfragen
auch bei der Sachverhaltsermittlung nicht als «weitere Tatsachenin-
stanz», da er im Individualbeschwerdeverfahren «spezifisch» zu prüfen
hat, «ob eine ihm vorgelegte Entscheidung gegen eines der von der Ver-
fassung garantierten Grundrechte verstösst». Die Sachverhaltsfeststel-
lung obliegt wesentlich den Fachgerichten. Zur Klärung der Verfas-
sungskonformität der fachgerichtlichen Entscheidung nimmt der Staats-
gerichtshof aber «sehr wohl ergänzende Beweise» auf und trifft
«Tatsachenfeststellungen». Das heisst mit anderen Worten, dass der
Staatsgerichtshof «nicht zwingend an die tatbeständlichen Erhebungen
der Vorinstanz gebunden» ist und er «bei Bedarf ein eigenes Ermitt-
lungsverfahren durchführen» kann.*$!
Der Staatsgerichtshof nimmt grundsätzlich nicht nochmals eine
volle tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes vor.
480 Vgl. Hilmar Hoch, Schwerpunkte, S. 79 ff. Wolfram Höfling, Die Verfassungsbe-
schwerde zum Staatsgerichtshof, S. 178 f. spricht sich für eine «differenzierende
Weiterentwicklung der Judikatur des Staatsgerichtshofs in der Bestimmung des Ver-
hältnisses von speziellen Grundrechten zum Auffanggrundrecht auf Willkürfrei-
heit» aus. Aus dem mit Individualbeschwerde angegriffenen Hoheitsakt sei oftmals
ersichtlich, «dass etliche fachgerichtliche Entscheidungen gleichsam im» Gewähr-
leistungsbereich eines besonderen Freiheitsrechts ergehen», sodass «die Rüge einer
willkürlichen Rechtsanwendung in solchen Fällen dann eigentlich die Geltendma-
chung einer Verletzung spezifischen Verfassungsrechts» beinhalte.
481 StGH 1996/38, Urteil vom 24. April 1997, LES 4/1998, S. 177 (180); siehe zur Tat-
sachenermittlung Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 643 ff. und
Hugo Vogt, Das Willkürverbot und der Gleichheitsgrundsatz, S. 448 ff.; Herbert
Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, 5. 56 ff.
686
Staatsgerichtshof und die anderen (Fach-)Gerichte
Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Sachverhalt so weit
geklärt ist, «dass eine weitere Beweisaufnahme aus grundrechtlicher
Sicht nicht zwingend erforderlich ist»>.*2 Es dürfen aber an der Richtig-
keit des massgeblichen Sachverhalts der fachgerichtlichen Entscheidung
keine Zweifel bestehen.“ Gelangt der Staatsgerichtshof zur Auffassung,
dass die Fachgerichte den Sachverhalt willkürlich ermittelt haben, hat er
eigene Beweise zu erheben und eigene Tatsachenfeststellungen zu tref-
fen, zumal er als Verfassungsgericht die Letztverantwortung für einen
effektiven Grundrechtsschutz trägt. «Krasse Fehler» bei der Sachver-
haltsermittlung, z. B. eine krasse Aktenwidrigkeit,** verletzen das Will-
kürverbot. Fachgerichtliche Willkür ist denn auch der verfassungsrecht-
liche Grund, warum der Staatsgerichtshof die Tatsachen, die die Vorin-
stanz festgestellt hat, wie eine «vierte Sachinstanz» gründlich prüft.“
III. Zusammenfassung
Die funktionellen Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit lassen sich
nicht exakt ziehen,‘ da es kaum möglich ist, das spezifische Verfas-
sungsrecht vom einfachen Gesetzesrecht genau zu trennen. Es kommt in
diesem Fall darauf an, wie weit der Staatsgerichtshof jeweils den Rahmen
seiner Kontrolle bestimmt, «ohne zu sehr in den Kompetenzbereich der
ordentlichen Gerichte und der anderen Verfassungsorgane einzugrei-
fen».*57 Die Individualbeschwerde ermöglicht es ihm, anhand des Prü-
fungsmassstabs und des Prüfungsumfangs bzw. der Kontrolldichte die
konkrete Ausformung der einfachen Gesetzgebung, die im Kompetenz-
bereich der Fachgerichte liegt, auf die Verfassung abzustimmen. Dabei
482 StGH 1998/63, Entscheidung vom 27. September 1999, LES 2/2000, S. 63 (65).
483 Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 648.
484 Andreas Kley, Staatsgerichtshof und übrige einzelstaatliche Rechtsprechungsor-
gane, S. 47.
485 Hugo Vogt, Das Willkürverbot und der Gleichheitsgrundsatz, S. 449 f.
486 Nach Matthias Jestaedt, Verfassungsrecht und einfaches Recht, S. 1309 zählt die Ab-
grenzung der Verfassungsgerichtsbarkeit von der Fachgerichtsbarkeit «zu den letzt-
lich wohl nicht befriedigend lösbaren Dauerproblemen der Verfassungsdogmatik>.
487 Formulierung in Anlehnung an Hilmar Hoch, Schwerpunkte, S. 81, der diesbezüg-
lich auf die differenzierte materielle Grundrechtsprechung des Staatsgerichtshofes
verweist.
687
Verhältnis zu anderen Staatsorganen
legt er selbst fest, welches namentlich die grundrechtlichen Massstäbe
sind, auf die die ordentlichen Gerichte und der Verwaltungsgerichtshof
verpflichtet sind.
Der Staatsgerichtshof verschafft sich einen Entscheidungsspiel-
raum, der es ihm im Einzelfall erlaubt, flexibel vorzugehen. Er richtet
sich vor allem nach dem Intensitätskriterium, das auch in der Heck’schen
Formel angelegt ist.*®® Danach fällt seine Nachprüfung umso intensiver
aus, je mehr die fachgerichtliche Entscheidung auf grundrechtliche Posi-
tionen der davon betroffenen Person einwirkt. Was ein besonders
schwerer Grundrechtsverstoss ist, ist eine Frage des materiell-rechtli-
chen Grundrechtsgehalts, den letztlich der Staatsgerichtshof als Verfas-
sungsgericht festlegt.“ Die Intensität des Grundrechtseingriffs stellt so
gesehen ein «subjektives Entscheidungskriterium (dar), das sich einer
objektiven Nachprüfung entzieht.»*%
Das Willkürverbot als subsidiäres Auffangkriterium birgt, wie die
Spruchpraxis des Staatsgerichtshofes zum Recht auf den ordentlichen
Richter darlegt,*” die Gefahr in sich, dass es die «spezifischen» Grund-
rechte verdrängt. Es sollte sich im Gegenteil das als ungeschriebenes
Grundrecht anerkannte Willkürverbot gegenüber den «spezifischen»
Grundrechten subsidiär verhalten.“
Alles in allem praktiziert der Staatsgerichtshof ein «von ıhm selbst
steuerbares Prüfungsprogramm», das von einer «auf richterrechtlicher
Pragmatik beruhenden Flexibilität» zeugt.“
488 Vgl. Ernst Benda/ Eckart Klein/Oliver Klein, Verfassungsprozessrecht, S. 205 f.
Rz. 478 und 479.
489 Vgl. Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. II1/2, S. 1340.
490 Stefan Korioth, Bundesverfassungsgericht und Rechtsprechung, S. 71 mit Literatur-
hinweisen.
491 Vgl. Tobias Michael Wille, Recht auf den ordentlichen Richter, S. 371 mit zahlrei-
chen Rechtsprechungshinweisen.
492 Tobias Michael Wille, Recht auf den ordentlichen Richter, S. 370 unter Bezugnahme
auf Hugo Vogt, Willkürverbot, S. 384 ff., der zu Rechtsprechung und Lehre kritisch
Stellung bezieht. Siehe schon vorne S. 683 ff.
493 Formulierungen in Anlehnung an Stefan Korioth, Bundesverfassungsgericht und
Rechtsprechung, S. 63 bzw. 65.
688
5. Abschnitt
Das Verhältnis zum Europäischen Gerichtshof
für Menschenrechte und zum EFTA-Gerichtshof
$ 51 STAATSGERICHTSHOF UND EUROPÄISCHER
I.
GERICHTSHOF FÜR MENSCHENRECHTE
Allgemeines
Die liechtensteinische Rechtsordnung zeichnet sich seit der Ratifikation
der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und
Grundfreiheiten (EMRK)** durch eine «gewisse Duplizität der grund-
rechtlichen Gewährleistungsebene» aus, da das Verfassungs- und Kon-
ventionsrecht weitgehend inhaltlich gleichgerichtete Schutzbereiche auf-
weisen.‘®5 Neben dem Staatsgerichtshof besteht mit dem Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein weiterer Gerichtshof
mit Zuständigkeiten im Bereich der Grund- und Menschenrechte. In
dieser Hinsicht handelt es sich bei ihnen um funktional vergleichbare
494
495
Sie erfolgte am 8. September 1982. Siehe LGBI. 1982 Nr. 60. Liechtenstein hat mit
Ausnahme des 12. alle Zusatzprotokolle zur EMRK ratifiziert. Siehe Mark E. Villi-
ger, Quellen der Grundrechte, S. 36.
Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 21 und 29. Vgl. auch Hilmar Hoch, Kri-
terien der Einschränkung von Grundrechten, S. 643, der darauf hinweist, dass der
Grundrechtskatalog der Verfassung weitgehend auch denjenigen der EMRK
umfasst. Einzig das Recht auf Ehe und Familie gemäss Art. 8 EMRK habe keine
inländische Entsprechung erfahren. In einzelnen Bereichen habe die EMRK zu
wichtigen Erweiterungen des von den inländischen Grundrechten gewährleisteten
Schutzes geführt, so insbesondere der Anspruch auf ein Verfahren vor einem unab-
hängigen Gericht gemäss Art. 6 Abs. 1 EMRK auch für das Verwaltungsverfahren.
Siehe zum Anspruch auf den unabhängigen Richter auch Tobias Michael Wille,
Recht auf den ordentlichen Richter, S. 336 f. Rz. 5 und 5. 376 ff. Rz. 54 ff.
689
Europäischer Gerichtshof und EFTA-Gerichtshof
Rechtsprechungsinstitutionen, auch wenn ihr normativer Bezugsrahmen
verschieden ist.*%
II. EMRK und nationale Rechtsordnung
Die Europäische Menschenrechtskonvention ist Bestandteil der liech-
tensteinischen Rechts- und Verfassungsordnung. Sie ist ihrer Rechtsna-
tur nach ein völkerrechtlicher Vertrag, der als solcher rechtliche Bindun-
gen der Konventionsstaaten bewirkt. Die Individualrechte der EMRK
und der Protokolle stellen unmittelbar anwendbares Recht dar und
können direkt gegenüber allen staatlichen Behörden geltend gemacht
werden.
Der Staatsgerichtshof spricht in seiner Praxis der Europäischen
Menschenrechtskonvention und den Protokollen «faktisch» Verfas-
sungsrang zu.“ Sie stehen demnach in der Normenhierarchie formell
über den einfachen Gesetzen, aber unter der Verfassung, die ihnen seit
ihrer Revision von 2003 «Unterverfassungsrang» einräumt. Sie gelten als
verfassungsmässig gewährleistete Rechte, sodass ihre Verletzung mit
Individualbeschwerde beim Staatsgerichtshof angefochten werden
kann.“% Als «materielles Verfassungsrecht» kontrolliert er die staatlichen
Gesetze und Verordnungen auf ihre Übereinstimmung mit ihm. Der
496 Stefan Mückl, Kooperation oder Konfrontation, S. 412. Ihre Begrenzungsfunktion
ist materiell und prozedural (verfahrensrechtlich) vergleichbar ausgebildet. So Frank
Hoffmeister, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 380. Luzius Wildhaber,
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, S. 569 charakterisiert den EGMR als
«Quasi-Verfassungsgericht sui generis». Man könne ihn jedenfalls, so führt er aus,
«von der Art her einem Verfassungsgericht gleichsetzen». Die EMRK-Grund- und
Menschenrechte (Art. 2 bis Art. 14) werden innerstaatlich nach Art. 15 Abs. 2 Bst. a
StGHG als verfassungsmässig gewährleistete Rechte betrachtet, die im Wege der In-
dividualbeschwerde verfassungsgerichtlich geltend gemacht werden können.
497 Dazu ausführlich Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 64 ff. und
260 ff; vgl. auch Wolfram Höfling, Liechtenstein und die Europäische Menschen-
rechtskonvention, S. 141 ff.
498 Vgl. StGH 2004/45, Urteil vom 29. November 2004, Erw. 2.1 (im Internet abrufbar
unter: <www.stgh.li>); StGH 2005/89, Urteil vom 1. September 2006, Erw. 4 (im
Internet abrufbar unter: <www.stgh.li>). Danach handelt es sich bei den EMRK-
Grund- und Freiheitsrechten «um auf der Verfassungsstufe stehende und somit
gleichrangige Normen».
690
Staatsgerichtshof und Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Staatsgerichtshof interpretiert denn auch die Grundrechte der Verfas-
sung ım Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für
Menschenrechte (EGMR), indem er die entsprechenden Normen der
EMRK und ihrer Protokolle im Sinne der Rechtsprechung des EGMR
auslegt und in die eigene Normkonkretisierung einfliessen lässt,*®
sodass es trotz sachlicher Überschneidung der Jurisdiktionsbereiche
kaum zu einer Konkurrenzsituation kommt.” Ganz auszuschliessen
sind jedoch divergierende Entscheidungen in derselben Beschwerde-
sache nicht.5!
II. Entscheidungswirkungen
Die Entscheidungen des Staatsgerichtshofes erzeugen eine umfassende
rechtliche Wirkung. Sie erwachsen in formelle und materielle Rechts-
499 Dies war schon vor der Ratifikation der EMRK der Fall (StGH 1977/4 und StGH
1978/12), sodass, wie Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 29 ausführt, der
Staatsgerichtshof angenommen hat, dass die Grundrechte der Verfassung in Zwei-
felsfällen so gedeutet werden könnten, «dass ihr Gehalt dem durch die EMRK ge-
forderten Mindeststandard entspricht». Vgl. auch Hilmar Hoch, Kriterien der Ein-
schränkung von Grundrechten, S. 643 und ders., Grundrechtliche Verfahrensgaran-
tien, S. 116. Eine andere Position nimmt der österreichische Verfassungsgerichtshof
ein, der sich an die Judikatur des EGMR nicht strikt gebunden fühlt und die grund-
sätzliche Eigenständigkeit seiner eigenen Interpretationen auch schon ausdrücklich
betont hat. So Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Die Beziehungen zwischen dem Ver-
fassungsgerichtshof und den anderen Gerichten, S. 28.
500 Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Bundesverfassungsgericht, S. 265 Rz. 365, sprechen
in diesem Zusammenhang für Deutschland von einer «tatsächlichen Konkurrenz»
der beiden Gerichte. Vgl. auch Stefan Mückl, Kooperation oder Konfrontation,
5. 403 ff.
501 Vgl. etwa StGH 2006/111, Urteil vom 3. Juli 2007 (im Internet abrufbar unter:
<www.stgh.li>). Gemäss Art. 35 Abs. 1 EMRK sind die innerstaatlichen Rechtsmit-
tel auszuschöpfen. Macht eine Individualbeschwerde eine Verletzung durch die
öffentliche Gewalt geltend, so entscheidet der Staatsgerichtshof als letzte Instanz. Es
ist also ein Verfahren vor dem Staatsgerichtshof durchzuführen, bevor der EGMR
angerufen werden kann. Demzufolge wird sein Urteil zum Gegenstand der EGMR-
Rechtsprechung. Siehe auch Andreas Kley, Staatsgerichtshof und übrige einzelstaat-
liche Rechtsprechungsorgane, S. 56. Nach Mark E. Villiger, Quellen der Grund-
rechte, S. 36 f. Rz. 7 hat der EGMR von den insgesamt 85 Beschwerden, die seit 1982
gegen Liechtenstein in Strassburg eingereicht worden sind, in vier Fällen Urteile
gefällt, die auf S. 37 in Fn. 6 aufgelistet werden. Vgl. dazu auch Hugo Vogt, Inner-
staatliche Durchsetzung, S. 69 f., der noch einen weiteren Fall nennt.
691
Europäischer Gerichtshof und EFTA-Gerichtshof
kraft. Darüber hinaus binden sie alle Behörden des Landes und der
Gemeinden sowie alle Gerichte. In den Normenkontrollverfahren hat
der Spruch der Entscheidung eine allgemein verbindliche Wirkung.®@2
Die Entscheidungen des EGMR sind verbindliche und unanfecht-
bare Feststellungsurteile, d. h. sie entscheiden die Streitigkeiten zwischen
den Parteien, ob ein Staat die Konvention verletzt hat. Sie haben demzu-
folge «individuelle Wirkung»* bzw. werden «formell rechtskräftig»
und haben keine Bindungswirkung, die über den konkret entschiedenen
Fall hinausreicht. Zwischen den Sachentscheidungen des Staatsgerichts-
hofes und denen des EGMR besteht ein «grundlegender struktureller
Unterschied», wenn man die Verbindlichkeit in Betracht zieht.” Eine
dem Art. 54 SEGHG vergleichbare Norm kennt die EMRK nicht.
Wie sich die Rechtskraft der verfahrensbeendenden Entscheidun-
gen des EGMR innerstaatlich auswirkt, überlässt Art. 46 EMRK den
Mitgliedstaaten. Sie legt lediglich fest, dass sich die Hohen Vertragspar-
teien verpflichten, «in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das
endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen».% Insofern verhält sich
die EMRK «grundsätzlich indifferent zur innerstaatlichen Rechtsord-
nung und soll anders als das Recht einer supranationalen Organisation
nicht in die staatliche Rechtsordnung unmittelbar eingreifen».5” Es fehlt
dem Gerichtshof die Kompetenz, staatliche Akte von Konventionsstaa-
502 Vgl. Art. 50 und 54 StGHG und dazu Tobias Michael Wille, Verfassungsprozess-
recht, S. 808 ff. und 811 ff. sowie S. 840 ff. Siehe auch schon vorne S. 653 f.
503 Siehe Art. 46 Abs. 1 und Andreas Kley, Staatsgerichtshof und übrige einzelstaatliche
Rechtsprechungsorgane, S. 54.
504 StGH 2006/111, Urteil vom 3. Juli 2007, Erw. 4.1 (im Internet abrufbar unter:
<www.stgh.li>). So auch Hans-Joachim Cremer, Entscheidungen und Entschei-
dungswirkung, S. 2074 f. Rz. 49, der im Sinne von Art. 37 Abs. 2 EMRK die Unan-
fechtbarkeit und Unabänderlichkeit als «formelle Rechtskraft» bezeichnet, sodass
die Parteien des Verfahrens die entschiedene «Sache» nicht erneut zum Gegenstand
eines Überprüfungsverfahrens machen können.
505 Hans-Joachim Cremer, Entscheidungen und Entscheidungswirkung, S. 2118 f.
Rz. 111.
506 Das heisst, dass die Entscheidungen des EGMR auch in materielle Rechtskraft
erwachsen. Zur formellen und materiellen Rechtskraft siehe Hugo Vogt, Innerstaat-
liche Durchsetzung, S. 79 ff. mit weiteren Literaturhinweisen; vgl. auch Alexander
Proelss, Bundesverfassungsgericht, S. 116 ff.
507 StGH 2006/111, Urteil vom 3. Juli 2007, Erw. 4.2 unter Bezugnahme auf BVerfGE,
Beschluss vom 14.10.2004, in: NJW 47/2004, S. 3407 ff. (3409/I. 2d) (im Internet
abrufbar unter: <www.stgh.li>).
692
Staatsgerichtshof und Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
ten zu ändern bzw. zu kassieren, wenn er feststellt, dass die EMRK oder
ihre Protokolle verletzt worden sind.
Da die Verbindlichkeit und die Umsetzung der Entscheidungen des
EGMAR innerstaatlich nicht geregelt sind, gilt es aus der Sicht des Art. 46
Abs. 1 EMRK «zwei wesentliche Fälle» auseinanderzuhalten: Verstösst
eine gerichtliche Entscheidung gegen die EMRK und ihre Protokolle,
hat dies für die verletzte Partei zur Folge, dass die «neue rechtliche Beur-
teilung durch den EGMR>» keinen Wiederaufnahmegrund darstellt. Eine
Verpflichtung zur Wiederaufnahme innerstaatlicher Verfahren besteht
in diesem Fall für die Konventionsstaaten nicht.” Diese Auffassung
wird noch mehrheitlich in der Lehre vertreten, doch gibt es auch ver-
einzelt gewichtige Stimmen, die fordern, «dass die Vertragsstaaten die
Möglichkeit zur Wiederaufnahme eines innerstaatlichen Verfahrens nach
Feststellung einer Konventionsverletzung durch den EGMR vorsehen
müssen».5%
Erfolgt die Konventionsverletzung, die der EGMR feststellt, durch
den Gesetzgeber, löst dies für ihn eine völkerrechtliche Pflicht zur
Gesetzesänderung aus.>1° Er ist gehalten, die fragliche Norm ab Ver-
kündung des Urteils nicht mehr anzuwenden und die Norm möglichst
bald zu novellieren.!! Auch dann, wenn in einem konkreten Fall der
Vollzug eines Gesetzes verfassungsmässig gewährleistete EMRK-Rechte
508 StGH 2006/111, Urteil vom 3. Juli 2007, Erw. 5 (im Internet abrufbar unter:
<www.stgh.li>). Die EMRK verpflichtet die Konventionsstaaten nicht dazu, dem
EGMR-Urteil «eine die Rechtskraft beseitigende Wirkung beizumessen». Der
Staatsgerichtshof weist in diesem Urteil darauf hin, dass die Rechtslage in Liechten-
stein derjenigen ähnlich ist, die in der Schweiz vor der Einführung von Art. 139a
OG (heute Art. 122 BGG) bestanden hat. Auch hier habe in der Regel «nicht ein-
mal das urteilende Gericht selbst auf sein formell rechtskräftiges Urteil zurück-
kommen» können, da die traditionellen Revisionsgründe auf das Urteil des Euro-
päischen Gerichtshofs nicht zutrafen. Vgl. auch Andreas Kley, Staatsgerichtshof
und übrige einzelstaatliche Rechtsprechungsorgane, S. 54 f.
509 So Hugo Vogt, Innerstaatliche Durchsetzung, S. 85 ff. Mit Blick auf Liechtenstein
stimmt er dem Staatsgerichtshof zu, wonach «das Ergebnis des Fehlens eines Wie-
deraufnahmeverfahrens für diejenigen Fälle unbefriedigend ist, in denen die Wie-
deraufnahme zur Abhilfe einer EMRK-Verletzung erforderlich ist». Aus diesem
Grund postuliert er für solche Fälle, «Regelungen zur Wiederaufnahme eines Ver-
fahrens in die liechtensteinischen Prozessordnungen aufzunehmen» (S. 99).
510 Vgl. Stefan Mückl, Kooperation oder Konfrontation, 5. 417 mit weiteren Hinweisen.
511 Vgl. Andreas Kley, Staatsgerichtshof und übrige einzelstaatliche Rechtsprechungs-
organe, S. 54 f.
693
Europäischer Gerichtshof und EFTA-Gerichtshof
eines bestimmten Beschwerdeführers verletzt, ist der verurteilte Staat
aus Art. 46 Abs. 1 EMRK verpflichtet, die «normative» Ursache zu be-
seitigen.>!2
$52 STAATSGERICHTSHOF
UND EFTA-GERICHTSHOF
I. Allgemeines
1. Beschreibung und Umfang des EWR-Rechts
Das EWR-Abkommen (EWRA)>!? ist für das Fürstentum Liechtenstein
am 1. Mai 1995 in Kraft getreten.514 Es bildet das Primärrecht und
umfasst die Kernpunkte des EG-Vertrages und Regeln in flankierenden
und horizontalen Politikbereichen, wie Sozialpolitik, Verbraucher-
schutz, Umwelt und Gesellschaftsrecht sowie verstärkte Zusammenar-
beit auf mehreren Gebieten ausserhalb der vier Marktfreiheiten.!> Die
substanziellen Bestimmungen bzw. das materielle EWR-Recht setzt sich
einerseits aus den eigentlichen materiell-rechtlichen Bestimmungen im
Hauptabkommen, andererseits aus den in den Anhängen durch Verweis
aufgeführten EU-Sekundärrechtsakten zusammen.*!® Zum Sekundär-
recht zählen hauptsächlich Richtlinien, Verordnungen und Entscheidun-
512 Vgl. Hans-Joachim Cremer, Entscheidungen und Entscheidungswirkung, S. 2120 ff.
Rz. 114 ff. Er ist der Ansicht, dass der verurteilte Staat auch als verpflichtet angese-
hen werden müsse, zu verhindern, «dass es in sachlich parallel liegenden Fällen, die
andere Personen als den Bf. (Beschwerdeführer) betreffen, zu entsprechenden Kon-
ventionsverletzungen kommt» (S. 2122 Rz. 115 mit weiteren Literaturangaben).
513 Siehe LGBl. 1995 Nr. 68. Es wird in der Literatur als Haupt- oder Grundabkom-
men bezeichnet. Vgl. Astrid Epiney/Beate Metz/ Benedikt Pirker, Parallelität der
Rechtsentwicklung, S. 74 und Halvard Haukeland Fredriksen, Europäische Vorla-
geverfahren, S. 25.
514 Das EWRA umfasst 129 Artikel, an die sich 49 Protokolle und 22 Anhänge
anschliessen. Einen informativen Überblick über seinen Aufbau und Inhalt ver-
schaffen Astrid Epiney/Beate Metz/Benedikt Pirker, Parallelität der Rechtsent-
wicklung, S. 74 ff.
515 Halvard Haukeland Fredriksen, Europäische Vorlageverfahren, S. 25.
516 Astrid Epiney/Beate Metz /Benedikt Pirker, Parallelität der Rechtsentwicklung,
S. 74.
694
Staatsgerichtshof und EFTA-Gerichtshof
gen, die in den Anhängen zum EWR-Hauptabkommen enthalten sind,
wobei das relevante Sekundärrecht laufend nachgeführt wird.5!7
EWR-Grundrechte werden im EWR-Abkommen nur am Rande
erwähnt. Der EFTA-Gerichtshof geht aber davon aus, dass das EWR-
Recht Grundrechte einschliesst und dass die EMRK und die Rechtspre-
chung des EGMR zu beachten sind.5!9
Um eine möglichst identische Auslegung und Anwendung zu
erzielen bzw. um die Rechtshomogenität des EWR zu gewährleisten,
werden neue Gemeinschaftsvorschriften, soweit sie den Anwendungs-
bereich des Abkommens betreffen, vom gemeinsamen EWR-Ausschuss
in das EWR-Recht transferiert. Auf diese Weise wird der Rechtsbestand
parallel zum EU-Recht ständig weiterentwickelt.
2. Errichtung eines EFTA-Gerichtshofs
In institutioneller Hinsicht ist auch der EFTA-Gerichtshof zu erwäh-
nen,21 wie er in Art. 108 EWRA vorgesehen und in einem eigenen
Abkommen geschaffen worden ist. Er legt im Vorlageverfahren nach
Art. 34 UGA das EWR-Recht mit verbindlicher Wirkung für die EFTA-
Staaten aus.23 Dabei hat er die einschlägige Rechtsprechung des EuGH
einzubeziehen, und zwar sowohl diejenige, die vor dem 2. Mai 1992
ergangen ist, als auch aus Gründen des Homogenitätsgrundsatzes die
neuere Rechtsprechung. Dies geht auch aus Art. 3 Abs. 2 ÜUGA hervor,
517 Vgl. Carl Baudenbacher, Grundfreiheiten und Grundrechte, S. 779 Rz. 1; Herbert
Wille, Das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, S. 111 ff.
518 Siehe die Begründungserwägung 1 der Präambel.
519 Carl Baudenbacher, Grundfreiheiten und Grundrechte, S. 851 f. Rz. 112 f.; vgl. auch
StGH 2007/127, Urteil vom 11. Februar 2008, Erw. 4.2 (im Internet abrufbar unter:
<www.gerichtsentscheide.li>), wonach das EWR-Recht die Grundrechte und ins-
besondere auch die EMRK anerkennt.
520 Vgl. Astrid Epiney/Beate Metz /Benedikt Pirker, Parallelität der Rechtsentwick-
lung, S. 73 und Halvard Haukeland Fredriksen, Europäische Vorlageverfahren, S. 26.
521 Zur Entstehungsgeschichte siehe Halvard Haukeland Fredriksen, Europäische Vor-
lageverfahren, S. 29 ff.
522 Siehe Abkommen vom 2. Mai 1992 zwischen den EFTA-Staaten zur Errichtung
einer Überwachungsbehörde und eines Gerichtshofs, LGBI. 1995 Nr. 72.
523 Vgl. Astrid Epiney/Beate Metz /Benedikt Pirker, Parallelität der Rechtsentwick-
lung, S. 77; siehe auch hinten S. 702 f.
695
Europäischer Gerichtshof und EFTA-Gerichtshof
wonach der EFTA-Gerichtshof bei der Auslegung und Anwendung des
EWR-Abkommens die Rechtsprechung des EuGH «gebührend zu
berücksichtigen» hat.2*
Neben dem Vorlageverfahren ist der Gerichtshof für Entscheidun-
gen über Abkommensverletzungsklagen der Überwachungsbehörde
gegen EFTA-Staaten,®5 für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen
zwei oder mehreren EFTA-Staaten”® sowie für die Entscheidung von
Nichtigkeits-, Untätigkeits- und Schadenersatzklagen gegen die Über-
wachungsbehörde?? zuständig.528
3. Rechtsnatur des EWR-Abkommens
Das EWR-Abkommen und sein Recht zählen zum Völkerrecht.”? Auch
die Beschlüsse des Gemeinsamen EWR-Ausschusses5 über die Ände-
rung der Anhänge des EWR-Abkommens haben den Charakter völker-
rechtlicher Verträge. Sie unterstehen als solche den verfassungsrechtli-
chen Regeln über den Abschluss von Staatsverträgen. Sie bedürfen zu
ihrer Gültigkeit der Zustimmung des Landtages.!
524 Vgl. Astrid Epiney/Beate Metz/Benedikt Pirker, Parallelität der Rechtsentwick-
lung, S. 79 f.
525 Siehe Art. 108 Abs. 2 Bst. a EWRA und Art. 31 UÜGA.
526 Siehe Art. 108 Abs. 2 Bst. c EWRA und Art. 32 UGA.
527 Siehe Art. 36, 37 und 39 UGA.
528 Vgl. Halvard Haukeland Fredriksen, Europäische Vorlageverfahren, S. 32.
529 StGH 1995/14, Beschluss (Gutachten) vom 11. Dezember 1995, LES 3/1996, S. 119
(122). Nach StGH 2011/200, Urteil vom 7. Februar 2012, Erw. 3.2 (im Internet
abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>) wurde mit dem EWR-Abkommen
«im Gegensatz zu den Europäischen Gemeinschaften keine supranationale Gemein-
schaft» begründet. Vgl. auch Daniel Thürer, Liechtenstein und die Völkerrechts-
ordnung, S. 112 f. mit weiteren Hinweisen und Stefan Becker, Völkerrecht und Lan-
desrecht, S 201 f. mit weiteren Hinweisen.
530 Siehe Art. 92 ff. EWRA. Der Gemeinsame EWR-Ausschuss nimmt eine Schlüssel-
stellung ein. Er überwacht die parallele Entwicklung der Rechtsprechung des
EuGH und des EFTA-Gerichtshofs. Er entscheidet auch über die Einführung neuer
Rechtsakte und bietet ein Forum für die Schlichtung von Streitigkeiten. Vgl. Astrid
Epiney/ Beate Metz / Benedikt Pirker, Parallelität der Rechtsentwicklung, S. 78.
531 StGH 1995/14, Beschluss (Gutachten) vom 11. Dezember 1995, LES 3/1996, S. 119
(123).
696
Staatsgerichtshof und EFTA-Gerichtshof
Der EFTA-Gerichtshof bezeichnet das EWR-Abkommen als einen Ver-
trag sui generis, der eine von den Rechtsordnungen der EWR/EFTA-
Staaten zu unterscheidende eigene Rechtsordnung einbezieht.”? Diese
Charakterisierung ist auf Kritik gestossen, da sie im EWRA keine Stütze
findet. Es wird argumentiert, aus der Kennzeichnung des EWRA «als
Grundlage einer eigenständigen Rechtsordnung» liessen sich jedenfalls
keine rechtlichen Folgen schliessen, die über die Reichweite des Homo-
genitätsgrundsatzes hinausgehen, sodass es nach wie vor als völkerrecht-
licher Vertrag eingestuft wird.
4. Vorrang und Direktwirkung des EWRA bzw. des EWR-Rechts
Der EFTA-Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung festgehalten,
dass die Vorschriften des EWR-Rechts, die in die Rechtsordnung der
EWR/EFTA-Staaten umgesetzt worden sind, der Direktwirkung fähig
sind und gegebenenfalls konfligierendem nationalem Recht vorgehen.
So können sich Einzelpersonen und Unternehmen vor nationalen Ge-
richten direkt auf die implementierten Vorschriften des EWR-Abkom-
mens berufen, wenn diese unbedingt und hinreichend präzise sind.
Das Protokoll 35 verpflichtet die EFTA-Staaten, für Fälle mögli-
cher Konflikte zwischen den durchgeführten EWR-Bestimmungen und
den sonstigen gesetzlichen Bestimmungen nötigenfalls eine Vorschrift
des Inhalts einzuführen, dass in diesen Fällen das EWR-Recht den Vor-
rang hat.
532 Vgl. Carl Baudenbacher, Grundfreiheiten und Grundrechte, S. 794 f. Rz. 22 f. Nach
der Rechtsprechung des EFTA-Gerichtshofs weise das EWRA zwar nicht densel-
ben Integrationsgrad auf wie die EU-Verträge, doch gingen Anwendungsbereich
und Zielsetzung über das hinaus, was bei einem völkerrechtlichen Vertrag üblich ist.
Dass das EWR-Recht dem Unionsrecht viel näher stehe als dem Völkerrecht,
schlage sich in den Auslegungsmethoden nieder. Der EFTA-Gerichtshof folge
grundsätzlich den gleichen Maximen wie der EuGH. Vgl. auch Halvard Haukeland
Fredriksen, Europäische Vorlageverfahren, S. 42 f.
533 Halvard Haukeland Fredriksen, Europäische Vorlageverfahren, S. 44 f.
534 Zur Frage der Direktwirkung und des Vorrangs des EWR-Rechts nach innerstaatli-
chem Recht siehe im Folgenden.
535 Carl Baudenbacher, Grundfreiheiten und Grundrechte, S. 779 f. Rz. 2 und S. 791 ff.
Rz. 20; vgl. auch Halvard Haukeland Fredriksen, Europäische Vorlageverfahren,
S. 41; Hans Petter Graver, Der Europäische Wirtschaftsraum, S. 935 Rz. 49.
697
Europäischer Gerichtshof und EFTA-Gerichtshof
II. Verfassung und EWR-Recht
1. Direkte Geltung des EWR-Rechts>%
Dem EWR-Recht kommt wie dem Völkerrecht in der Regel «direkte
Geltung (Durchgriffswirkung)» zu. Es entfaltet ohne besonderen natio-
nalen Transformationsakt vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an als
Völkerrecht innerstaatliche Wirksamkeit. Das EWR-Recht ist, wie der
Staatsgerichtshof erklärt,>” auf die Individuen und Wirtschaftsunterneh-
mungen insoweit unmittelbar anwendbar (self-executing), «als es sein
Sinn ist, diesen als solchen Rechte zu gewähren und Pflichten aufzuerle-
gen und die betreffenden Bestimmungen vorbehaltlos sowie klar genug
gefasst sind, um von Gerichten und Verwaltungsbehörden auf konkrete
Fälle angewandt werden zu können». Die Gerichte wenden dementspre-
chend das EWR-Recht wie innerstaatliches Recht an.5%
2. Vorrang des EWR-Rechts>*
Das EWR-Abkommen, das einen homogenen Wirtschaftsraum zum Ziel
hat, setzt notwendigerweise den Vorrang seiner Rechtsordnung vor lan-
desinternem Recht voraus, wobei er sich nicht nur auf das «positiv nor-
mierte EWR-Recht, sondern auch auf dessen Auslegung durch den
EFTA-Gerichtshof» erstreckt.**° Diese Vorrangregel gebietet, staatliches
536 Vgl. Herbert Wille, Das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum,
S.114 f.
537 StGH 1995/14, Beschluss (Gutachten) vom 11. Dezember 1995, LES 3/1996, S. 119
(122 Erw. 2.1); vgl. auch SIGH 2013/196, Urteil vom 27. Oktober 2014, nicht ver-
öffentlicht, S. 21 Erw. 2.6.2.
538 Vgl. etwa SEGH 2003/12, Urteil vom 1. März 2004, nicht veröffentlicht, S. 9 ff. oder
VBI 1997/17, Entscheidung vom 17. September 1997, LES 4/1998, S. 207 ff.; SIGH
1998/41, Urteil vom 22. Februar 1999, nicht veröffentlicht, S. 13; so auch StGH
2000/50, Urteil vom 24. Oktober 2000, nicht veröffentlicht, S. 20; StGH 2013/196,
Urteil vom 27. Oktober 2014, nicht veröffentlicht, S. 13 f. Erw. 2.2.1 mit Rechtspre-
chungshinweisen; siehe auch Stefan Becker, Völkerrecht und Landesrecht, S. 405.
539 Vgl. Herbert Wille, Das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum,
S.115f.
540 Vgl. SEGH 2011/200, Urteil vom 7. Februar 2012, Erw. 3.2 (im Internet abrufbar
unter: <www.gerichtsentscheide.li>), wo der Staatsgerichtshof unter Bezugnahme
698
Staatsgerichtshof und EFTA-Gerichtshof
Recht, d. h. auch Gesetze, die nicht oder nicht direkt europäisches Recht
umsetzen, im Einklang mit dem EWR-Recht auszulegen.5*! Diese EWR-
konforme Auslegung findet aber dort seine Grenzen, «wo Grundprinzi-
pien und Kerngehalte der Grundrechte der Landesverfassung tangiert
würden». 2 Der Staatsgerichtshof überprüft denn auch «EWR-Recht
bzw. sich direkt darauf stützendes Landesrecht in aller Regel nicht auf
seine Verfassungsmässigkeit [...]».
3. EWR-Recht als materielles Verfassungsrecht
Das EWR-Abkommen wird in Lehre>** und Rechtsprechung als ein
materiell verfassungsändernder und -ergänzender Vertrag eingestuft. So
auf SIGH 1998/61, LES 2001, S. 126 (130 f. Erw. 3.1) vermerkt, dass das Protokoll
35 zum EWRA die EFTA-Staaten verpflichte, für alle Fälle möglicher Konflikte
zwischen EWR-Bestimmungen und innerstaatlichem Recht nötigenfalls eine ge-
setzliche Bestimmung des Inhalts einzuführen, dass in diesen Fällen die EWR-Be-
stimmungen vorgehen. Obwohl mit dem EWRA im Gegensatz zu den Europäi-
schen Gemeinschaften keine supranationale Gemeinschaft begründet wurde, setzt
der vom EWRA bezweckte homogene Wirtschaftsraum (Präambel, Abs. 4) die ein-
heitliche Durchsetzung des EWR-Rechts in den Verfassungsstaaten voraus.
541 Andreas Batliner, Anwendung des EWR-Rechts, S. 139 mit Rechtsprechungshin-
weisen; vgl. auch StGH 1998/9, Urteil vom 3. September 1998, LES 3/1999,
8. 178 ff. (183).
542 StGH 2007/127, Urteil vom 11. Februar 2008, Erw. 4.2 mit weiteren Hinweisen (im
Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>). Der Staatsgerichtshof
schliesst einen solchen Konfliktfall praktisch aus, «nachdem das Recht der Europäi-
schen Gemeinschaften und somit auch das EWR-Recht die Grundrechte und insbe-
sondere auch die Europäische Menschenrechtskonvention anerkennen». Vgl. auch
StGH 1998/61, Urteil vom 3. Mai 1999, LES 3/2001, S. 126 (130 f.) unter Bezug-
nahme auf Daniel Thürer, Liechtenstein und die Völkerrechtsordnung, S. 120 f. und
die Botschaft des schweizerischen Bundesrates zum EWRA, BBI 1992 I, S. 1 (92);
StGH 2013/196, Urteil vom 27. Oktober 2014, nicht veröffentlicht, S. 16 Erw. 2.4.1
mit weiteren Rechtsprechungshinweisen.
543 StGH 1998/61, Urteil vom 3. Mai 1999, LES 3/2001, S. 126; SIGH 2013/196, Urteil
vom 27. Oktober 2014, nicht veröffentlicht, S. 18 f. Erw. 2.5.1 mit Rechtspre-
chungshinweisen; vgl. auch Hilmar Hoch, Schwerpunkte, S. 83 Fn. 85 mit weiteren
Rechtsprechungshinweisen. Kritisch zum Prüfungsmassstab der «Grundprinzipien
und Kerngehalte der Grundrechte der Landesverfassung» Stefan Becker, Überprü-
fung von Staatsverträgen, S. 20 f.
544 Vgl. Thomas Bruha/Markus Büchel, Grundfragen einer EWR-Mitgliedschaft, S. 5 f.
und Herbert Wille, Staatliche Ordnung und europäische Integration, 5. 88 f.
699
Europäischer Gerichtshof und EFTA-Gerichtshof
heisst es übereinstimmend in mehreren Entscheidungen des Staatsge-
richtshofes,55 dass er materiell einen «verfassungsändernden und -ergän-
zenden Charakter» habe.
Der Staatsgerichtshof anerkennt das Staatsvertragsrecht, wie dies
beim EWR-Abkommen der Fall ist, als «materielles Verfassungs-
recht». Er wendet demnach das EWR-Recht wie Verfassungsrecht
bzw. «materielles» Verfassungsrecht an und prüft innerstaatliches Recht
am Massstab des EWR-Rechts.57 Eine EWR-Rechtswidrigkeit stellt so
gesehen auch eine «Verfassungswidrigkeit» dar.548
4. EWR-Recht als «verfassungsmässig gewährleistetes Recht»
Das EWR-Recht zählt zu den verfassungsmässig gewährleisteten Rech-
ten. Es können, wie der Staatsgerichtshof judiziert, auch andere Grund-
rechte, die auf Staatsvertragsrecht beruhen, direkt als verfassungsmässige
Rechte im Sinne von Art. 15 Abs. 1 SSGHG vor dem Staatsgerichtshof
geltend gemacht werden, auch wenn die EWR-Grundfreiheiten nicht
wie die EMRK-Grundrechte explizit im Katalog staatsvertraglich ver-
ankerter Individualrechte gemäss Art. 15 Abs. 2 StGHG aufgeführt
werden.549
545 StGH 1996/34, Urteil vom 24. April 1997, LES 3/1998, S. 74 (80) und StGH 1998/3,
Urteil vom 19. Juni 1998, LES 3/1999, S. 169 ff. (171); SEGH 2000/33, Entscheidung
vom 5. Dezember 2000, nicht veröffentlicht, S. 23.
546 Der Staatsgerichtshof vertritt ein materielles Verfassungsverständnis, das sich nicht
nur auf das formelle, in der Verfassungsurkunde kodifizierte Verfassungsrecht
beschränkt. Siehe SIGH 1995/21, Urteil vom 23. Mai 1966, LES 1/1997, S. 18 (28)
und StGH 1998/45, Urteil vom 22. Februar 1999, LES 1/2000, S. 1 (6); vgl. auch
Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 218 f. und Tobias Michael Wille, Verfassungs-
prozessrecht, S. 69.
547 Vgl. StGH 2003/16, Urteil vom 3. Mai 2004, nicht veröffentlicht, 5. 4 ff.
548 Vgl. StGH 1998/3, Urteil vom 19. Juni 1998, LES 3/1999, S. 169 (171 f.); vgl. auch
StGH 2003/16, Urteil vom 3. Mai 2004, nicht veröffentlicht, 5. 4.
549 StGH 2005/89, Urteil vom 1. September 2006, Erw. 4, in dem der Staatsgerichtshof
auf SIGH 2004/45, Erw. 2.1 verweist (im Internet abrufbar unter: <www.gerichts
entscheide.li>). Zur Kritik an dieser Zuständigkeitserweiterung ohne verfassungs-
bzw. einfachgesetzliche Positivierung in Art. 23 SSGHG 1925 (neu: in Art. 15 Abs. 2
StGHG, LGBl. 2004 Nr. 32) siehe Andreas Kley, Staatsgerichtshof und übrige ein-
zelstaatliche Rechtsprechungsorgane, S. 56.
700
Staatsgerichtshof und EFTA-Gerichtshof
III. Gutachten des EFTA-Gerichtshofs und verfassungs-
gerichtliche Normenkontrolle
1. Ausgangslage
Der Staatsgerichtshof hebt innerstaatliche Rechtsvorschriften, Gesetze
und Verordnungen, auf, wenn sie mit dem EWR-Recht unvereinbar
sind. Dies entspricht seiner Funktion als Verfassungsgerichtshof im ver-
fassungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren. So hat er in StGH
2006/94 die ZPO-Regelung der aktorischen Kaution als «EWR-rechts-
bzw. verfassungswidrig» kassiert.
Der EFTA-Gerichtshof gibt gemäss Art. 34 UGA gutachtliche
Stellungnahmen über die Auslegung des EWR-Rechts ab, wenn ihn ein
nationales Gericht um die Auslegung des EWR-Rechts ersucht.!
2. Gutachten bzw. «Vorabentscheidung» des EFTA-Gerichtshofes
a) Vorlageverfahren
Die nationalen Gerichte der Mitgliedstaaten sind berechtigt, nicht
jedoch verpflichtet, beim EFTA-Gerichtshof Gutachten zu Fragen der
Auslegung des EWR-Rechts einzuholen. Das Gutachtenersuchen ist
zwar dem Vorabentscheidungsverfahren des EuGH nachgebildet.2 Es
lässt sich indes Art. 34 UGA keine Vorlagepflicht entnehmen, sodass die
nationalen Gerichte davon ausgehen, dass es ihnen frei steht, ein Gut-
achtenersuchen an den EFTA-Gerichtshof zu stellen. Diese Auffas-
550 StGH 2006/94, Urteil vom 30. Juni 2008, Erw. 2 und 3 (im Internet abrufbar unter:
<www.stgh.li>); vgl. auch SEGH 2007/70, Urteil vom 30. Juni 2008, Erw. 4.3 (im In-
ternet abrufbar unter: <www.stgh.li>).
551 Vgl. Carl Baudenbacher, Das Verhältnis des EFTA-Gerichtshofs zum Gerichtshof
der Europäischen Gemeinschaften, S. 85; ders., Grundfreiheiten und Grundrechte,
$. 785 Rz. 11.
552 Siehe Art. 243 EGV und dazu Halvard Haukeland Fredriksen, Europäische Vorla-
geverfahren, S. 4.
553 Vgl. Carl Baudenbacher, Das Verhältnis des EFTA-Gerichtshofs zum Gerichtshof
der Europäischen Gemeinschaften, S. 85. Er spricht in diesem Zusammenhang
von «Unzulänglichkeiten» des Vorlageverfahrens. Vgl. auch Andreas Batliner, Die
701
Europäischer Gerichtshof und EFTA-Gerichtshof
sung teilt das neuere Schrifttum nicht. Es wendet ein, dass letztinstanz-
liche Gerichte unter Umständen zur Vorlage verpflichtet sind. Wenn sie
ohne sachliche Gründe von einer Vorlage absehen, verstosse ein solches
Vorgehen gegen das in Art. 3 EWRA verankerte Loyalitätsgebot. Sie
dürften nur dann von einer Vorlage Abstand nehmen, «wenn kein ver-
nünftiger Zweifel über die richtige Auslegung der in Rede stehenden
EWR-rechtlichen Normen besteht». * Sollte das Vorlagerecht durch
eine Vorlagepflicht ersetzt werden, müsste allerdings das ÜUGA dement-
sprechend geändert werden.
b) Rechtscharakter des Gutachtens
Die Auslegungsgutachten des EFTA-Gerichtshofs sind für die vorlegen-
den Gerichte, wie dies aus dem Vorlageverfahren gemäss Art. 34 UGA
hervorgeht, zwar nicht formell-rechtlich verbindlich.» Sie entfalten
jedoch, betrachtet man sie unter einem teleologischen Aspekt, wie es
vorherrschende Auslegungsmethode des EFTA-Gerichtshofs ist,” und
«aus dem System der gerichtlichen Kontrolle im UGA», nicht nur eine
tatsächliche, sondern indirekt*® auch eine «systemimmanente rechtliche
Bindungswirkung»,° die in ihrer Bedeutung weitgehend der Vorabent-
Anwendung des EWR-Rechts, S. 140; Hans Petter Graver, Der Europäische Wirt-
schaftsraum, S. 928 Rz. 26, S. 931 Rz. 33.
554 Carl Baudenbacher, Grundfreiheiten und Grundrechte, S. 786 ff. Rz. 13 und 14 mit
zahlreichen Hinweisen auf Rechtsprechung und Literatur; vgl. ders., Interview im
Liechtensteiner Vaterland vom 28. Dezember 2012, 5. 11.
555 Siehe Carl Baudenbacher, Grundfreiheiten und Grundrechte, S. 788 Rz. 15.
556 Darauf weist auch die Entstehungsgeschichte hin, wonach «formell bindende» Gut-
achten aufgrund der Souveränität der EFTA-Staaten und der Unabhängigkeit ihrer
Gerichte ausgeschlossen sind. Siehe dazu Halvard Haukeland Fredriksen, Europäi-
sche Vorlageverfahren, S. 4, 29 ff. und 234.
557 Astrid Epiney/Beate Metz /Benedikt Pirker, Parallelität der Rechtsentwicklung,
S. 86.
558 Auslegungsgutachten des EFTA-Gerichtshofs zeitigen eine indirekte, nicht aber
eine direkte Bindungswirkung nach Art. 34 UGA. Siehe zur Begründung der indi-
rekten Bindungswirkung «kraft des Systems der gerichtlichen Kontrolle im EFTA-
Pfeiler des EWR» Halvard Haukeland Fredriksen, Europäische Vorlageverfahren,
5.234 £.
559 Halvard Haukeland Fredriksen, Europäische Vorlageverfahren, S. 16 f. und 247 f,;
vgl. auch Astrid Epiney/Beate Metz /Benedikt Pirker, Parallelität der Rechtsent-
wicklung, S. 78 f. Nach der Kurzinformation der Stabsstelle EWR «Der Europäi-
sche Wirtschaftsraum» 2012, S. 9, entfalten die Entscheidungen des EFTA-Gerichts-
702
Staatsgerichtshof und EFTA-Gerichtshof
scheidung des EuGH gleichkommt,*©° sodass der EFTA-Gerichtshof
seine Auslegungsentscheidungen, die von den nationalen Gerichten
anerkannt werden,°1 im Rubrum als «Urteile» oder «Vorabentscheidun-
gen» und im Dispositiv als «Gutachten» bezeichnet.
3.
a)
Rechtsanwendungsvorrang des EWR-Rechts und Kassation
des innerstaatlichen Rechts
Stellung des Staatsgerichtshofes
Da das EWRA bzw. das EWR-Recht materiell einen «verfassungsän-
dernden und -ergänzenden Charakter» aufweist, hat der Staatsgerichts-
hof seine «Normenkontrollfunktion auch in Bezug auf die Über-
einstimmung innerstaatlicher Gesetze und Verordnungen mit dem
EWR-Recht» wahrzunehmen. Das heisst, dass auch die EWR-Rechts-
widrigkeit von Gesetzen und Verordnungen beim Staatsgerichtshof gel-
tend gemacht werden kann. Er überprüft EWR-Recht und sich darauf
stützendes Landesrecht in der Regel» nicht auf seine Verfassungsmäs-
560
561
562
563
564
hofes zu Vorlagefragen rechtlich gesehen «keine bindende Wirkung, da es sich um
Gutachten handelt». Nach Andreas Batliner, Die Anwendung des EWR-Rechts,
S. 140 sind die Gutachten für die nationalen Gerichte «theoretisch» nicht verbindlich.
Siehe Art. 267 AEUV und Halvard Haukeland Fredriksen, Europäische Vorlage-
verfahren, S. 5 und 16. Carl Baudenbacher, Grundfreiheiten und Grundrechte,
$. 789 Rz. 16 konstatiert, dass Vorabentscheidungen des EFTA-Gerichtshofs «in ih-
rer Normativität> kaum schwächer sind als diejenigen des EuGH.
Siehe für den Verwaltungsgerichtshof Andreas Batliner, Die Anwendung des EWR-
Rechts, S. 140 und für den Staatsgerichtshof SCGH 2011/200, Urteil vom 7. Februar
2012, Erw. 3.2 (im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>).
Vgl. Halvard Haukeland Fredriksen, Europäische Vorlageverfahren, S. 17 und
247 f.; Carl Baudenbacher, Grundfreiheiten und Grundrechte, S. 789 Rz. 16.
StGH 1996/34, Urteil vom 24. April 1997, LES 3/1998, S. 74 (80); SEGH 1998/3,
Urteil vom 19. Juni 1998, LES 3/1999, S. 169 ff. (171); SEGH 2000/33, Entscheidung
vom 5. Dezember 2000, nicht veröffentlicht, S. 23.
StGH 1998/61, Urteil vom 3. Mai 1999, LES 2/2001, 5. 126 (130 f. Erw. 3.1); SIGH
2008/36, Urteil vom 30. Juni 2008, Erw. 2.1 (nicht veröffentlicht); StGH 2006/94,
Urteil vom 30. Juni 2008, Erw. 2.1 (im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsent
scheide.li>). Nach der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs darf EWR-Recht
nicht gegen «Grundprinzipien und Kerngehalte der Grundrechte der Landesver-
fassung verstossen». Da, wie der Staatsgerichtshof in SSGH 2007/127, Urteil vom
11. Februar 2008, Erw. 4.2 (im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentschei
de.li>) ausführt, «auch das Recht der Europäischen Gemeinschaften und somit auch
703
Europäischer Gerichtshof und EFTA-Gerichtshof
sigkeit, wobei das EWR-Recht nicht gegen «Grundprinzipien und
Kerngehalte der Grundrechte der Landesverfassung verstossen darf».
Ebenso überprüft der Staatsgerichtshof die Rechtsprechung des EFTA-
Gerichtshofs nicht.
Der Staatsgerichtshof respektiert die Auslegungskompetenz des
EFTA-Gerichtshofs, die mit dem Vorrang des EWR-Rechts verbunden
ist.55 Er orientiert sich auch an der Rechtsprechung des EFTA-Gerichts-
hofs oder des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH),
wenn er innerstaatliches Recht am EWR-Recht zu beurteilen hat. Er
kann im Zweifelsfalle die Rechtssache auch dem EFTA-Gerichtshof zur
Vorabentscheidung vorlegen. Der Vorrang des EWR-Rechts schränkt
insoweit die Prüfungskompetenz des Staatsgerichtshofs ein.
b) Imnnerstaatliches Normenkontrollverfahren
Holt ein Gericht, insbesondere bei «kontroversen Fällen», in einem bei
ihm anhängigen Verfahren beim EFTA-Gerichtshof ein Gutachten ein
und stellt dieses eine EWR-Rechtswidrigkeit einer innerstaatlichen
Norm fest, so hat das Gericht von Gesetzes wegen beim Staatsgerichts-
hof einen Normenkontrollantrag zu stellen. Es hat nämlich, wenn ihm
ein Gesetz oder einzelne seiner Bestimmungen ın einem bei ihm anhän-
gigen Verfahren als verfassungswidrig «erscheint», einen solchen Antrag
zu unterbreiten. Das Gutachten des EFTA-Gerichtshofs verschafft dem
Gericht die Gewissheit der EWR-Rechtswidrigkeit der innerstaatlichen
Norm. Die EWR-Rechtswidrigkeit entspricht der Verfassungswidrig-
das EWR-Recht die Grundrechte und insbesondere auch die Europäische Men-
schenrechtskonvention anerkennen, wird dieser Konfliktfall in der Praxis kaum ein-
mal auftreten».
565 Nach StGH 2011/200, Urteil vom 7. Februar 2012, Erw. 3.1 (im Internet abrufbar
unter: <www.gerichtsentscheide.li>) setzt der vom EWR-Abkommen bezweckte
homogene Wirtschaftsraum die einheitliche Durchsetzung des EWR-Rechts in den
Vertragsstaaten voraus. Zum Vorrang des EWR-Rechts hält der Staatsgerichtshof
fest, dass dieser «nun aber zwangsläufig nicht nur den Vorrang des positiv normier-
ten EWR-Rechts, sondern auch von dessen Auslegung durch den EFTA-Gerichts-
hof beinhaltet. Demnach hat der Staatsgerichtshof konsequenterweise in der Regel
auch die Verfassungskonformität der Rechtsprechung des EFTA-Gerichtshofes
nicht zu überprüfen.»
566 Vgl. Vorlage (Antrag) des Staatsgerichtshofs in: SYGH 2013/44, Urteil vom 16. De-
zember 2014 (Casino-Fall) und dazu das Gutachten des EFTA-Gerichtshofs vom
29. August 2014 in der Rechtssache E-24/13.
704
Staatsgerichtshof und EFTA-Gerichtshof
keit, sodass es gleich zu verfahren hat wie bei einer Verfassungswidrig-
keit des entsprechenden innerstaatlichen Rechts. Demzufolge besteht
eine Antragspflicht.7 Das Vorlageverfahren an den EFTA-Gerichtshof
ersetzt dem Gericht nicht das innerstaatliche Normenkontrollverfahren,
das es einzuhalten hat.
Der Staatsgerichtshof wird, da er sich an die Entscheidung des
EFTA-Gerichtshofs hält, dem Antrag stattgeben und die vom EFTA-
Gerichtshof als EWR-widrig erkannte Norm aufheben bzw. wegen Ver-
fassungswidrigkeit aus dem Rechtsbestand ausscheiden. Es ist nicht ein-
zusehen, aus welchem Grund ein solches innerstaatliches Normenkon-
trollverfahren die Vorrangwirkung des EWR-Rechts missachtet,*® wenn
das Gericht einen Normenkontrollantrag, dem ein Gutachten des
EFTA-Gerichtshofs zugrunde liegt, dem Staatsgerichtshof unterbrei-
tet.569 Es steht einem solchen Verfahren auch nicht im Wege, wenn der
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften den Vorrang als Anwen-
dungsvorrang präzisiert,”° der eine innerstaatliche Regelung, die dem
EWR-Recht widerspricht, nicht ausser Kraft setzt, sondern nur unan-
wendbar macht.”! Solange der Vorrang des EWR-Rechts bzw. die
567 Vgl. Art. 18 Abs. 1 Bst. b SSGHG und dazu Tobias Michael Wille, Verfassungspro-
zessrecht, S. 172; zur Verordnungsprüfung siehe Art. 20 Abs. 1 Bst. a SSGHG.
568 So Peter Bussjäger, Rechtsfragen, S. 145, der aus der Rechtsnatur des EWR-Rechts
mit seiner Vorrangwirkung folgert, dass in diesem System kein Platz für einen Nor-
menkontrollantrag an den Staatsgerichtshof ist.
569 Siehe auch StGH 2006/94, Urteil vom 30. Juni 2008, Erw. 3 (im Internet abrufbar
unter: <www.gerichtsentscheide.li>), das unter Bezugnahme auf Herbert Wille, Das
Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, S. 132 der Auffassung wider-
spricht, dass es gar nicht zulässig sei, EWR-rechtswidrige innerstaatliche Normen
überhaupt formell aufzuheben. Es sei nicht ersichtlich, führt der Staatsgerichtshof
aus, «inwieweit dadurch gegen EWR-Recht verstossen werden soll, dass EWR-
rechtswidrige Normen auch formell aus dem innerstaatlichen Rechtsbestand ausge-
schieden werden — auch wenn dies zur Durchsetzung des Vorrangs des EWR-
Rechts nicht zwingend erforderlich ist».
570 Vgl. Theo Öhlinger, Rechtsquellen, S. 151.
571 So erklärt es denn auch der Staatsgerichtshof in StGH 2013/196, Urteil vom
27. Oktober 2014, nicht veröffentlicht, S. 17 Erw. 2.4.2 zur Pflicht des Gesetzgebers,
EWR-widriges innerstaatliches Recht an vorrangiges EWR-Recht anzupassen. Er
hält dazu fest, dass aufgrund der EWR-rechtlichen Vorgaben eine Anpassung der
liechtensteinischen Rechtsordnung an vorrangiges EWR-Recht überall dort zu
geschehen hat, «wo unmittelbar anwendbares EWR-Recht nationales Recht dero-
giert und erst die formelle Revision vertragswidriger nationaler Normen die erfor-
derliche Rechtssicherheit für die privaten und behördlichen Adressaten des EWR-
705
Europäischer Gerichtshof und EFTA-Gerichtshof
«Effektivität der Verpflichtungen», die Liechtenstein eingegangen ist,
gewahrt bleibt, kann es auf die Art und Weise des innerstaatlichen Ent-
scheidungsverfahrens nicht ankommen.”
572
573
706
Rechts schaffen kann», wobei diese Pflicht aber nicht bedeute, «dass das vorrangige
EWR-Recht nicht bereits vor der Anpassung der liechtensteinischen Rechtsord-
nung innerstaatlich angewendet werden kann». Zum Gebot der Rechtssicherheit
vgl. auch SEGH 2006/94, Urteil vom 30. Juni 2008, Erw. 3 (im Internet abrufbar un-
ter: <www.gerichtsentscheide.li>).
Formulierung von Georges Baur, Kohärente Interpretationsmethode, S. 55.
Vgl. auch Hans Petter Graver, Der Europäische Wirtschaftsraum S. 936 Rz. 52. Aus
dem EWRA ergibt sich für die EFTA-Staaten nur die Verpflichtung, nationales
Recht so zu gestalten, dass «Wirkungshomogenität» entstehen kann.
4. TEIL
ZUSAMMENFASSUNG UND
SCHLUSSBETRACHTUNG
Einleitung
In dieser Schlussbetrachtung wird der Übergang vom monarchischen
Konstitutionalismus der Verfassung von 1862 zum Konstitutionalismus
der Verfassung von 1921 angesprochen. Die Verfassung von 1921 hat die
Erbmonarchie auf eine demokratische und parlamentarische Grundlage
gestellt, wobei massgebliche Veränderungen und Neuerungen der poli-
tisch-rechtlichen Ordnung zusammengefasst werden. Da die Verfassung
von 1921 in einer Tradition zur Konstitutionellen Verfassung von 1862
steht und ihr Strukturelemente entlehnt, hat die Auf- und Zuteilung der
Kompetenzen «manche (In)konsequenz(en)»! zur Folge, auf die ver-
schiedentlich kritisch hingewiesen wird.
1 Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, S. 3, der an-
merkt, dass es sich aus Pietätsgründen gegenüber «alter gutbehüteter Tradition»
nicht vermeiden liess, dass auf Kosten des gefundenen «Compromisses» «so man-
che Unkonsequenz zu buchen war.»
709
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
$1 STAATSBESTIMMENDE GRUND-
ENTSCHEIDUNGEN
I. Fürst und Volk als Träger der Staatsgewalt
1. Monarchisches und demokratisches Prinzip
Die Verfassung bezeichnet das Fürstentum Liechtenstein als eine «Erb-
monarchie» auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage und
verankert die Staatsgewalt im Fürsten und im Volke. Damit anerkennt
sie zwei unterschiedliche bzw. gegensätzliche Legitimationsprinzipien.
Die Schwierigkeit, zwei so unterschiedlich legitimierte Träger der
Staatsgewalt in der konstitutionellen Monarchie staatsrechtlich mitei-
nander zu verbinden, zeigt sich schon in Art. 2 LV, der so heterogene
Eigenschaftswörter wie «konstitutionell», «demokratisch» und «parla-
mentarisch» verwendet, die «gewöhnlich nicht nebeneinander gebraucht,
sondern als gegensätzlich betrachtet werden».? Es ging aufgrund der
damaligen politischen Gegebenheiten, die von einer konservativen Stim-
mung geprägt waren,? um die «Vermittlung» zwischen Monarchie und
Volkssouveränität,* obwohl man zur Kenntnis nehmen musste, dass der
monarchische Konstitutionalismus in Deutschland und Österreich
beseitigt worden war. In diesem Bemühen wird die eigene Geschichte
offenbar, die mit einer von diesen Staaten unterschiedlichen Mentalität
begründet werden kann. Es ist letztlich das konstitutionelle System mit
seinem doppelten Legitimationsstrang, der monarchischen und der demo-
kratischen Legitimation, bestehen geblieben. Das demokratische Prinzip
hat sich als alleinige oder zumindest absolut vorrangige Begründung der
staatlichen Herrschaft nicht durchsetzen können.® Mit der Entscheidung
für die Erbmonarchie hat das Volk keinen Einfluss auf die Person des
2 Hans Nawiasky, Rechtsgutachten, S. 4.
3 Vgl. zur vorherrschenden konservativen Grundstimmung Herbert Wille, Monar-
chie und Demokratie, S. 176 ff.
4 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Verfassungsprobleme und Verfassungsbewe-
gung, S. 100.
5 Vgl. dagegen Art. 1 Abs. 2 der spanischen Verfassung vom 31. Oktober 1978, aus-
zugsweise abgedruckt in: Antonio Lopez Pina (Hrsg.), Spanisches Verfassungsrecht,
Heidelberg 1993, S. 555 (556). Dieser lautet wie folgt: «Träger der nationalen Sou-
veränität ist das spanische Volk, von dem alle Staatsgewalt ausgeht.»
710
Staatsbestimmende Grundentscheidungen
Fürsten als Staatsoberhaupt. Die Einsetzung in sein Amt bzw. die Amts-
übernahme ist nicht auf einen Akt des Volkes zurückzuführen. Das Amt
des Fürsten als Staatsoberhaupt ist erblich.® Der Fürst wird durch das
Erbprinzip im Hausgesetz und der Landtag in der Volkswahl bestimmt.”
Die Verfassung fügt, wie Dietmar Willoweit es formuliert, die beiden
Prinzipien «in durchaus eigentümlicher Weise zu einem jeweils beson-
deren System des Staatsrechts zusammen».$
Die Verfassung von 1921 legt sich in der Souveränitätsfrage nicht
fest, indem sie sich weder für die Fürsten- noch für die Volkssouveräni-
tät ausspricht. Sie hält zwar an der Erbmonarchie fest, rückt aber vom
bisherigen monarchischen Prinzip ab, indem sie die Staatsgewalt zwi-
schen Fürst und Volk teilt. Er ist nicht mehr der Souverän, wie ihn die
Konstitutionelle Verfassung von 1862 in $ 2 ausweist.? Die Verfassung
von 1921 zieht die staatsrechtliche Konsequenz aus der widersprüchli-
chen Stellung des konstitutionellen Fürsten. Daran kann auch die aus der
Konstitutionellen Verfassung von 1862 tradierte Einleitungsformel, die
von einem «souveränen Fürsten» von Gottes Gnaden spricht, nichts
6 Vgl. auch Gerard Batliner, Aktuelle Fragen, S. 43 Rz. 78, wo es heisst: «Der Fürst
verdankt seine Stellung nicht einer Wahl durch das Volk oder den Landtag oder
durch sonst ein Wahlgremium unter mehreren Mitkonkurrenten, sondern unmittel-
bar und von Rechts wegen der Verfassung und den Hausgesetzen sowie der Tatsa-
che der männlichen Erstgeburt in der regierenden Linie des Hauses Liechtenstein
und dem Eintritt des Thronfolgefalles (Art. 3 LV).» Siehe im Weiteren Christine We-
ber, Gegenzeichnungsrecht, S. 151.
7 Eine andere Auffassung vertritt die Regierung in ihrem BuA Nr. 87/2001 vom
20. November 2001, S. 15 f., wonach aufgrund der Volksinitiative zur Abschaffung
der Monarchie (Art. 113 LV 2003) nur noch der Wille des Volkes für die Trägerschaft
der Staatsgewalt durch den Landesfürsten ausschlaggebend ist, sodass man es mit
«zwei im Volkswillen verankerte(n) Träger(n) der Staatsgewalt» zu tun hat. Das
heisst, dass «ab dem Inkrafttreten der geplanten Reform zur Rechtfertigung der
Staatsgewalt nur mehr von einem <«Souveräm die Rede sein kann: vom Volk des
Staates Liechtenstein». Vgl. auch Günther Winkler, Verfassungsrecht, S. 170, der
zurückhaltender formuliert, wenn er davon spricht, dass die Befugnisse des Fürsten
als Staatsoberhaupt und seine Rechtsstellung als einer der beiden Träger der Staats-
gewalt explizit demokratisch und rechtsstaatlich stärker in die Willensbildung des
Staatsvolkes eingebunden werden sollen.
8 Dietmar Willoweit, Verfassungsinterpretation im Kleinstaat, S. 198.
9 So heisst es im Referat von Wilhelm Beck zum Gesetz betr. die Ausübung der poli-
tischen Volksrechte in Landesangelegenheiten, dass das Volk gemäss Art. 2 LV 1921
zu einem «Mitträger und Mitinhaber der Staatsgewalt (Souveränität)» geworden ist.
Siehe auch vorne S. 179 Fn. 105 und 108.
711
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
ändern. An diese ehemals souveräne Stellung des Fürsten erinnern auch
bedeutsame Sonderrechte des Landesfürsten gegenüber Volk und Land-
tag. Sie präsentieren sich heute als fürstliche Dominanz!® und sind neben
den demokratischen und verfassungsstaatlichen Einrichtungen auch Teil
der Verfassung von 1921.
Es sind in der Einleitungsformel überholte Legitimationsvorstel-
lungen erhalten geblieben, die den Fürsten zum Verfassunggeber erklä-
ren. Sie widersprechen der Grundkonstruktion der Verfassung, die die
souveräne Staatsgewalt zwischen Fürst und Volk aufgeteilt hat. Der
Fürst der Verfassung von 1921 ist entgegen dem im Ingress gebrauchten
Gottesbezug kein Fürst von Gottes Gnaden.!! Er leitet seine Position
und seine Kompetenzen aus der Verfassung ab. Demzufolge beruht auch
das Fürstenamt nicht auf eigenem historischen Recht der Dynastie. Es ist
wohl der «Pietät gegenüber dem geschichtlich Gewordenen»!? und dem
10 Kritisch äussert sich dazu Peter Häberle, Monarchische Strukturen, S. 376, wenn er
festhält: «Die Staatsoberhaupt-Rolle, die Potenz, einer von zwei Souveränen zu sein
(Art. 2), die Fülle der Kompetenzen bis hin zum Notstandsrecht (Art. 10) — all das
zeigt, wie <al» Liechtensteins monarchische Strukturen noch 1921 in Verbindung
mit durchaus modernen Verfassungsstaatselementen wie dem Grundrechtskatalog
(Art. 28 bis 44) geblieben sind. Man mag sich fragen, wann in Vaduz der Weg von
'T. Hobbes zu J. Locke bis hin zur Charta von Paris (1990) verfassungstextlich und
wirklich «wiederholt? wird.» Die Charta von Paris ist für das Fürstentum Liech-
tenstein am 1. März 1998 in Kraft getreten (siehe LGBl. 1998 Nr. 9). Die Kritik von
Zoltän Tibor Pällinger, Monarchien, S. 5, geht daher dahin, dass unter dem Ge-
sichtspunkt des Demokratieprinzips Monarchen, die nicht gewählt werden, sondern
aufgrund der Erbfolge in ihr Amt gelangen, nur repräsentative Funktionen ausüben
dürfen.
11 Nach Roman Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 199 f. kann die Berufung auf eine
göttliche Einsetzung, wie sie dem Gottesgnadentum vorschwebte, in einer säkula-
ren, durch weltanschauliche Pluralität der Gesellschaft und weltanschauliche Neu-
tralität des Staates geprägten Umwelt kein Legitimationsprinzip mehr sein, auf dem
sich wirklich noch ein Staat aufbauen liesse. Vgl. zum Gottesgnadentum auch BuA
Nr. 87/2001 der Regierung vom 20. November 2001, S. 16, der im Zusammenhang
mit Art. 7 Abs. 2 LV von einer «systemgerechte(n) Bereinigung in der Form einer
verbindlichen Feststellung des Untergangs des Gottesgnadentums des Landesfürs-
ten durch den Verfassungsgesetzgeber» spricht. In der Konstitutionellen Verfassung
von 1862 habe die Formel «von Gottes Gnaden» zur Aufgabe gehabt, die Erbmo-
narchie zu legitimieren und zugleich das monarchische Prinzip zu stützen. Vgl. auch
Annette Papenheim, Präambeln, S. 31.
12 In Anlehnung an eine Formulierung von Friedrich Julius Stahl, zitiert nach Otto
Brunner, Gottesgnadentum, S. 132; siehe auch Otto Ludwig Marxer, Die Organisa-
tion der obersten Staatsorgane, S. 3.
712
Staatsbestimmende Grundentscheidungen
Einfluss der katholischen Kirche mit ihrer Obrigkeitslehre zuzuschrei-
ben,!3 dass an dieser Formel festgehalten worden ist, obwohl das her-
kömmliche monarchische Prinzip im Grundsatz aufgegeben worden ist.
Es fragt sich allerdings, warum der Gottesbezug im Ingress anläss-
lich der Verfassungsrevision von 2003 nicht fallen gelassen wurde und
die Verfassung die (Erb-)Monarchie nach wie vor in die religiöse Konti-
nuität des Gottesgnadentums stellt.!* Eine solche Formel ist in Anbe-
tracht der geänderten verfassungsrechtlichen Situation kein tragfähiges
Konzept mehr, um die politische Herrschaftsgewalt zu rechtfertigen,
zumal sie nicht nur im Fürsten, sondern auch im Volk verankert ist.
Eine Verfassung kommt an sich ohne Einleitungsformel aus. Wenn
sie aber eine solche enthält, sollte sie stimmen,!® auch wenn sie nicht den
Charakter einer Norm aufweist. !®
Am Beispiel der Verfassung von 1921 wird deutlich, dass es sich
beim Konstitutionalismus liechtensteinischer Prägung um einen Kom-
promiss zwischen monarchischer Souveränität und Volkssouveränität
handelt,!” sodass sie sich bisweilen noch am hergebrachten konstitutio-
nellen Muster orientiert, wie dies an der Vorrangstellung des Fürsten
zu erkennen ist. Eine grundlegende Änderung wäre nur dann eingetre-
ten, wenn sich die verfassunggebende Gewalt des Volkes durchgesetzt
13 Siehe Herbert Wille, Monarchie und Demokratie, 5. 166 ff.
14 Der Hinweis von Günther Winkler, Verfassungsreform, S. 170, der im Zusammen-
hang mit der Immunität des Fürsten (Art. 7 Abs. 2i. d. F. LGBl. 2003 Nr. 186) aus-
führt, dass es ein «erklärtes Anliegen der Reform» gewesen sei, die veraltete, aus der
Zeit des «Gottesgnadentums» stammende und noch immer in Geltung stehende Ter-
minologie «durch eine zeitgemässe Formulierung» abzulösen, widerspricht aller-
dings dem Ingress, der am Gottesgnadentum festhält.
15 Formulierung in Anlehnung an Wolfgang Huber, Aussprache zu Kirche und Ver-
fassungsordnung, S. 44. Siehe zur Gottesgnadenformel schon vorne S. 137 ff. und
S. 181.
16 Vgl. Wolfgang Graf Vitzthum, Form, Sprache und Stil der Verfassung, S. 378 Rz. 10
hält fest, dass der Status von Vorsprüchen als positives Recht umstritten ist. Vgl.
auch Walter Mallmann, Sanktion, 5.115, der ausführt, dass Eingangsformeln «nie
Quelle der in dem Gesetzgebungsverfahren bestehenden Rechtslage» sind. Nach
Alexander Proelss, Bundesverfassungsgericht, S. 15 wird die Frage nach der Ver-
bindlichkeit von Präambeln nach wie vor nicht einheitlich beantwortet.
17 Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, S. 3 spricht von
einem Kompromiss zwischen der in der Verfassung von 1862 zur «blossen Fiktion»
gewordenen Fürstensouveränität und der in der Verfassung von 1921 vordrängen-
den «Idee der Volkssouveränität».
713
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
hätte.!® Das Ergebnis - eine Verankerung der Staatsgewalt in Fürst und
Volk - stellt eine aus den damaligen Zeit- und innenpolitischen Verhält-
nissen erklärbare und naheliegende staats- und verfassungsrechtliche
Lösung dar.!?
2. Verfassung als verbindliche Grundlage
Die Verfassung von 1921 stellt die beiden gegensätzlichen Legitima-
tionsprinzipien, das monarchische Prinzip bzw. die Fürstensouveränität
und das demokratische Prinzip bzw. die Volkssouveränität, auf eine
gemeinsame Grundlage. Sie bildet den höherrangigen verbindlichen
Grundkonsens, mit dem sich beide Seiten identifizieren.?° Dies war im
monarchischen Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts noch nicht
möglich. Wie die Konstitutionelle Verfassung von 1862 darlegt, fehlte es
ihr an einer solchen durchgehenden gemeinsamen Legitimitätsgrundlage
für Fürst und Volksvertretung.?! Die Verfassung von 1921 unternimmt es
mit anderen Worten, Volks- und Fürstensouveränität miteinander zu
verknüpfen, indem sie für sie zur einheitlichen verbindlichen Basis
umgestaltet wird. Sie stellt selbst den rechtswirksamen Kompromiss dar.
Der Fürst bleibt zwar kraft dynastischem Recht, das die Verfassung
anerkennt, Erbmonarch und ist im dualistischen Verfassungssystem
neben dem Volk der andere Faktor, mit dem er die Staatsgewalt teilt. Er
ist selbst nicht mehr souverän und hat kein eigenes Recht. Er übt denn
auch die Staatsgewalt gemeinsam mit dem Volk aus und zwar so, wie es
die Verfassung festlegt. Das heisst, dass sie «von beiden nach Massgabe
der Bestimmungen dieser Verfassung ausgeübt» wird.??
18 Vsl. als Beispiel Art. 1.2 der spanischen Verfassung von 1978 vorne S. 710 Fn. 5.
Siehe dazu Francisco Balaguer Callejön/Miguel Azpitarte Sänchez, Grundgesetz,
5.25 ff.
19 Vgl. Herbert Wille, Monarchie und Demokratie, S. 189 f.
20 Formulierungen in Anlehnung an Werner Heun, Das monarchische Prinzip und der
deutsche Konstitutionalismus, S. 54 f.
21 Vgl. Rainer Wahl/Frank Rottmann, Die Bedeutung der Verfassung, S. 351; zur
Legitimität der konstitutionellen Monarchie siehe auch Ernst-Wolfgang Böcken-
förde, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie, S. 301 ff.
22 Vgl. Art. 2 LV und die auf den Landesfürsten bezogene Formulierung in Art. 7
Abs. 1 LV.
714
Staatsbestimmende Grundentscheidungen
Die Verfassung berechtigt bzw. legitimiert Fürst und Volk bzw. Landtag,
die ihnen aus der Verfassung zukommenden Rechte und Pflichten wahr-
zunehmen. Sie haben sich dabei an die Verfassung zu halten, die ihnen
die Grenzen aufzeigt. Es tritt ihnen denn auch der Staatsgerichtshof als
«Hüter der Verfassung» gegenüber.?
3. Verfassunggebende Gewalt
Aus der Entstehung der Verfassung von 1921 lässt sich der Schluss zie-
hen, dass Fürst und Volk bzw. Landtag die verfassungsgebende Gewalt
beanspruchen.?* Sie äussert sich im «Akt der Verfassunggebung».?>
Verfassungsgeschichtlich gesehen wurde der Fürst im Jahre 1806
nach der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches voll souveräner
«Landesherr», wie dies in der Landständischen Verfassung von 1818
sichtbar wird. In der Konstitutionellen Verfassung von 1862 bindet er
sich an die Verfassung. Auch wenn sie ihn nach wie vor als alleinigen
Inhaber der gesamten Staatsgewalt versteht,? besteht für ihn eine verfas-
sungsmässige Bindung. Sie kommt darin zum Ausdruck, dass er nach
deren $ 121 nur zusammen mit dem Volk bzw. Landtag die Verfassung
ändern kann,? sodass sie sich, wie es die Verfassung von 1921 festhält,
gemeinsam als Verfassunggeber ausgeben.
II. Volk und Landtag
1. Der Landtag als Volksvertretung
Der Landtag besteht nunmehr ausschliesslich aus Abgeordneten, die
vom Volk gewählt sind. Von der Institution der fürstlichen Abgeordne-
23 Siehe vorne S. 602.
24 Siehe Art. 111 Abs. 2 LV 1921; heute: Art. 112 Abs. 2 LV 2003. Dieser Hinweis ist
ein wichtiges Indiz dafür, dass der hier verwendete Begriff «Regierung» in einem
weiten Sinn als «Landesfürst» aufzufassen ist, da nur er neben dem Volk (Landtag)
Teil der verfassunggebenden Gewalt ist.
25 Formulierung in Anlehnung an Dieter Grimm, Souveränität, S. 72; siehe vorne 5. 175 ff.
26 Vgl. $2 KV 1862 und vorne S. 81 f.
27 Vgl. vorneS. 83 f.
715
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
ten wurde abgesehen.?® Sie war mit der Forderung nach einem Ausbau
der Volksrechte, die neben Volksabgeordneten auch direktdemokrati-
sche Einrichtungen wie Referendum und Initiative auf Gesetzes- und
Verfassungsebene umfasste, nicht zu vereinbaren. Der demokratische
Legitimitätsgedanke war so stark geworden, dass der Fürst aus dem
dynastischen Prinzip keinen Anspruch mehr ableiten konnte, um auf die
Wahl zum Landtag durch die Ernennung von fürstlichen Abgeordneten
rechtlich und politisch Einfluss zu nehmen.
Merkwürdig und nicht einsichtig für ein duales Verfassungssystem
mit zwei Trägern der Staatsgewalt, Fürst und Volk, ist allerdings, dass es
nach Art. 45 Abs. 1 LV 1921 ebenfalls zur Obliegenheit des Landtages als
«Rechts- und Interessenvertreter» des Volkes gehört, nicht dessen Wohl,
sondern das «Wohl des Fürstlichen Hauses» - in $ 39 KV 1862 hiess es
noch das «allgemeine Wohl des Fürsten» — «möglichst zu fördern».?? Der
Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck hat demgegenüber dem Landtag
entsprechend seiner Stellung folgerichtig aufgetragen, «die Interessen
des Landes und Volkes nach den Bestimmungen dieser Verfassung wahr-
zunehmen».? So unterstreicht denn auch Dietmar Willoweit, dass aus
dem Demokratieprinzip (Art. 2 LV) in seiner parlamentarischen Ausge-
staltung folge, dass die Abgeordneten in ihre politische Arbeit nur das
Meinungsspektrum des Volkes einzubringen haben.?!
2. Inhalt und Umfang der Mitwirkungsrechte
a) Allgemeines
Inhalt und Umfang der demokratischen und parlamentarischen Beschaf-
fenheit der konstitutionellen Erbmonarchie bestimmt die Verfassung. Sie
gibt darüber Aufschluss und bildet den Massstab. Sie legt den Umfang
28 Siehe Ziffer 6 der Schlossabmachungen vom September 1920 und dazu Rupert Qua-
derer, Der historische Hintergrund der Verfassungsdiskussion, S. 129.
29 Vgl. Luc Heuschling, Le citoyen monarque, S. 172 f., der bemerkt, dass es in ande-
ren deutschen Verfassungen des 19. Jahrhunderts keine vergleichbare Bestimmung
gibt.
30 Siehe Art. 35, publiziert in: O.N. Nr. 49 vom 19. Juni 1920.
31 Dietmar Willoweit, Verfassungsinterpretation im Kleinstaat, S. 206.
716
Staatsbestimmende Grundentscheidungen
und die Grenzen fest und regelt, in welcher Art und in welchem Verfah-
ren das Volk bzw. der Landtag neben dem Landesfürsten an der Herr-
schaftsausübung beteiligt ist.”
Die demokratischen Bestrebungen haben unverkennbar eine Ent-
wicklung in Richtung Ausbau und Stärkung der Volksrechte in den For-
men der Verfassungs-, Gesetzes-, und Finanzinitiative sowie des Refe-
rendums in Gang gesetzt, sodass es in der Verfassung von 1921 gegen-
über der Konstitutionellen Verfassung von 1862 zu einer Erweiterung
der Mitsprache des Landtages bzw. des Volkes im Sinne eines (Mit-)
Gesetzgebers neben dem Fürsten gekommen ist, was einen demokrati-
schen Machtgewinn in legislativer und exekutiver Hinsicht bedeutet.
Formen der Parlamentarisierung sind etwa die Mitwirkung des
Landtages bei der Wahl und der Abberufung der Regierung. Die Initia-
tive und das Referendum des Stimmvolkes auf Gesetzes- und Verfas-
sungsebene sind Beispiele für den demokratischen Charakter der
Monarchie.
Die Volksrechte sind allerdings in ihrer verfassungsrechtlichen
Bedeutung nicht mit Volksrechten in einem demokratischen Staatswesen
vergleichbar, wie etwa demjenigen der Schweiz, wo das Volk in letzter
Instanz entscheidet. In Liechtenstein ist dies nicht der Fall, da jedes
Gesetz zu seiner Rechtsgültigkeit die Sanktion des Landesfürsten
bedingt.? Die direkten Volksrechte, wie das Initiativ- und Referen-
dumsrecht, unterstehen demnach dem Sanktionsvorbehalt bzw. dem
generellen Vetovorbehalt des Landesfürsten. Aus diesem Grund kann
das Volk als Teil der Legislativgewalt nicht eigenständig bzw. selbständig
eine gesetzespolitische Entscheidung treffen. Daraus folgt auch, dass
sich in der Verfassung von 1921 nicht ein Modell des Konstitutionalis-
mus mit «ausgeprägtem parlamentarischem (bzw. demokratischem)
Schwerpunkt» durchgesetzt hat.**
32 Vel. für die parlamentarische Grundlage die Art. 79 und 80 IM, für die demokrati-
sche Grundlage die Art. 64, 66 und 66bis LV. Einen Akt der Demokratisierung der
konstitutionellen Monarchie stellt auch die 1918 geänderte Landtagswahlordnung
dar, die an die Stelle des sechsten Hauptstückes und des $ 101 der Konstitutionellen
Verfassung von 1862 getreten ist. Siehe dazu LGBl. 1918 Nr. 4.
33 Siehe Art. 9 und 65 Abs. 1 IM.
34 Formulierung in Anlehnung an Arthur Schlegelmilch, Die Alternative des monar-
chischen Konstitutionalismus, S. 189.
717
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
b) Legislativbereich
Die Verfassung von 1921 hat die Stellung von Volk und Landtag gegen-
über dem Landesfürsten massgeblich verändert. Volk und Landtag sind
zu Mitgesetzgebern geworden. Unter der Konstitutionellen Verfassung
von 1862 galt der Landesfürst noch als alleiniger Gesetzgeber, auch
wenn dies faktisch nicht mehr zutraf, da der Landtag eine Mitsprache in
Form einer Zustimmung hatte, die jedoch für die Gesetzgebung nicht
ausreichte.? Der Wortlaut des Art. 65 Abs. 1 LV,” der sich an $ 24 Abs. 1
KV 1862 anlehnt, wird dieser neu gewonnenen Position des Landtages
nicht gerecht, weil er die Verfassungslage von 1862 kopiert, wonach der
Landtag einem Gesetz, das vom Fürsten erlassen wird, zustimmt. Das
heisst, dass er lediglich befugt ist, die Legislativgewalt des Fürsten zu
beschränken. In diesem Sinne ist aber die «Mitwirkung des Landtages»
nicht mehr zu verstehen, der ein Gesetz beschliesst, dem der Fürst mit
seiner Sanktion zustimmt, wie dies in der Einleitungsformel eines Geset-
zes zum Ausdruck kommt, die den Gesetzgebungsvorgang nachzeichnet
und wie folgt lautet: «Dem nachstehenden vom Landtag gefassten
Beschluss erteile Ich Meine Zustimmung.» Aus dieser Gegenüberstel-
lung von alter und neuer Rechtslage folgt, dass Art. 65 Abs. 1 LV, der
nach wie vor noch von der «Zustimmung des Landtages» spricht, den
gegebenen Verfassungswandel nicht vollzieht bzw. ihn nicht in der gebo-
tenen Weise textlich umsetzt und wiedergibt. Dies trifft im Übrigen auch
auf den Ingress der Verfassung zu, wonach der Landtag der vom Lan-
desfürsten geänderten Verfassung zugestimmt hat,* obwohl sie im
35 Siehe Art. 62 Bst. ai. V. m. Art. 65 Abs. 1, 66 und 66bis LV.
36 Vgl. vorne S. 104 ff; Cyrus Beck, Der Vorbehalt des Gesetzes der liechtensteini-
schen konstitutionellen Verfassung von 1862, S. 96 und Dieter Grimm, Deutsche
Verfassungsgeschichte, S. 116.
37 Dort heisst es u. a.: «Zur Gültigkeit eines jeden Gesetzes ist ausser der Zustimmung
des Landtages die Sanktion des Landesfürsten [...] erforderlich.»
38 Diese Bestimmung lautet: «Ohne Mitwirkung und Zustimmung des Landtages darf
kein Gesetz gegeben, aufgehoben, abgeändert oder authentisch erklärt werden.»
39 Diese Einleitungsformel hat sich nach Inkrafttreten der Verfassung von 1921 einge-
bürgert, auch wenn gelegentlich noch Formeln verwendet werden wie: «Mit Zu-
stimmung des Landtages Meines Fürstentumes verordne Ich wie folgt: [...]». So
LGBl. 1922 Nr. 25. Vgl. auch Herbert Wille, Landtag und Wahlrecht, S. 128 Fn. 22.
40 Vgl. dagegen das Schreiben des Fürsten Johann II. an seinen Neffen Prinz Karl (im
Anhang des Originals der Verfassungsurkunde), aus dem klar hervorgeht, dass der
718
Staatsbestimmende Grundentscheidungen
Grunde schon die Konstitutionelle Verfassung von 1862 zur Verfas-
sungsänderung ermächtigt, d. h. als künftige Träger der Verfassungge-
bung ausgewiesen hat.“! Sie sind denn auch, wie die Entstehungsge-
schichte illustriert, als Träger der Verfassunggebung aufgetreten, sodass
die Verfassung von 1921 mehr ist als nur ein Akt der Selbstbeschränkung
monarchischer Staatsgewalt, wie dies für die konstitutionelle Verfassung
von 1862 kennzeichnend gewesen ist.
3. Fxekutivbereich
Die Stellung der Regierung hat sich grundlegend geändert. Sie ist in
funktionell-rechtlicher Hinsicht eigenständig geworden.
Wie das parlamentarische Kontrollrecht des Landtages über die
Regierung, das sich nach Art. 63 Abs. 1 LV über die gesamte Landesver-
waltung erstreckt, zeigt, nehmen Landtag und Regierung im Verhältnis
zum Landesfürsten eine Position ein, die sich von der unter der Konsti-
tutionellen Verfassung von 1862 unterscheidet, als noch der Exekutivbe-
reich vollständig der Kontrolle des Landesfürsten unterstand, da die
Institution der Regierung mit ihm identisch gewesen ist. So war die
Regierung ausschliesslich Sache des Landesfürsten. Der Landtag hatte
auf sie keinen Zugriff.
Da die Verfassung dem Landtag das Kontrollrecht über die Regierung
zuweist, ist es nicht einsichtig, warum Art. 63 Abs. 2 LV ein Stück weit
die Regelung der Konstitutionellen Verfassung von 1862 fortschreibt
und dem Landtag die Möglichkeit einräumt, die von ihm wahrgenom-
menen Mängel oder Missbräuche in der Staatsverwaltung «im Wege der
Vorstellung oder Beschwerde direkt zur Kenntnis des Landesfürsten zu
bringen [...] und ihre Abstellung zu beantragen.»* Diese Formulierung
Landtag in seiner Sitzung vom 24. August 1921 die Verfassung beschlossen und
Fürst Johann II. sie sanktioniert hat.
41 Siehe $ 121 KV 1862.
42 Siehe Art. 63 Abs. 2 LV in der Urfassung und in der Fassung LGBl. 2003 Nr. 186,
die neben dem Landesfürsten auch die Regierung erwähnt, die aber an sich schon
Adressatin der Kontrollmassnahmen des Landtages ist, sodass hier eine solche Auf-
führung überflüssig ist.
719
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
geht auf $ 42 KV 1862 zurück und widerspiegelt die damals geltenden
Verfassungsverhältnisse.®
Nachdem der Landtag selber der Kontrolleur der Regierung
geworden ist, erübrigt sich eine solche Bestimmung, da er über eigene
Aufsichtsmittel verfügt, die er in geeigneter Weise zur Anwendung brin-
gen kann.“ Abgesehen davon fehlt es an der gesetzlichen Ausführung
eines entsprechenden «Beschwerdeverfahrens». Davon hat der Gesetz-
geber zu Recht bis heute Abstand genommen.
III. Rechtsstaatlichkeit und Verfassungsstaatlichkeit
1. Verfassungsrechtliche Grundgehalt
Auch wenn die Verfassung von 1921 dem bisherigen monarchisch-kon-
stitutionellen Verfassungssystem verhaftet bleibt, wie dies an der Stel-
lung des Landesfürsten besonders deutlich wird, da ihm die Verfassung
nach wie vor substanzielle Hoheitsrechte zuweist,* hat sich die Grund-
lage geändert, auf der die konstitutionelle Erbmonarchie aufbaut. Sie
unterscheidet sich in ihrem verfassungsrechtlichen Gehalt von derjeni-
gen der Konstitutionellen Verfassung von 1862.
Die konstitutionelle Erbmonarchie ist verfassungs- und rechts-
staatlich ausgerichtet worden, sodass das Verfassungsrecht nicht nur
Schranke ist. Es «konstituiert, verfasst und begrenzt die Staatsgewalt
und ihre Zuständigkeiten. Zuständigkeiten bestehen nur, insofern und
43 Siehe schon vorne S. 530 f.
44 Vgl. Thomas Allgäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 176 ff.
und S. 303 ff.; Roger Beck, Landtag, S. 245 ff. Nach Gerard Batliner, Schichten,
S. 293 ist diese Bestimmung «seit 1921 toter Buchstabe» geblieben. Siehe auch vorne
S.531£.
45 Jedes vom Landtag beschlossene oder vom Stimmvolk in einer Volksabstimmung
angenommene Gesetz unterliegt dem Sanktionsvorbehalt des Fürsten, der den Wir-
kungsgehalt der Volksrechte schmälert. Siehe vorne S. 374 ff. und 453 f. Das Sank-
tionsrecht des Fürsten stiess auch im Zusammenhang mit der Verfassungsrevision-
von 2003 auf die Kritik des Europarates. Siehe Michael Elicker, Gedanken zum
Ende der Monarchie, 5. 222 mit weiteren Hinweisen.
720
Staatsbestimmende Grundentscheidungen
insoweit sie verfassungsrechtlich konstituiert sind.»* Unter diesem
Aspekt ist die konstitutionelle Erbmonarchie grundsätzlich als eine
durch die Verfassung «moderierte Monarchie» zu verstehen.” Sie ist
nicht mehr der Kategorie der konstitutionellen Monarchie im her-
kömmlichen Sinn, in «reiner Form»*®, zuzurechnen.“ Auch wenn der
Begriff der «konstitutionellen (Erb-)Monarchie» an die «nachträgliche
verfassungsrechtliche Beschränkung «ursprünglich» vorhandener monar-
chischer Staatlichkeit erinnert», stimmt er mit dieser Verfassungslage
insoweit nicht mehr überein. Man hat es mit einer durch die Verfassung
konstituierten Staatlichkeit zu tun, die auch verfassungsrechtlich gesi-
chert ist.
2. Verfassungsgerichtsbarkeit
Die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Ausgestaltung des
Staatsgerichtshofes verträgt sich weder mit dem monarchischen Prinzip
noch mit einer dualistischen Legitimationsordnung, wie sie der Konsti-
tutionellen Verfassung von 1862 eigen waren. Sie setzt eine Verfassung
voraus, die für Fürst und Volk als Träger der Staatsgewalt die gemein-
same verbindliche Grundlage bildet. Die Prüfung der Verfassungsmäs-
sigkeit von Gesetzen und Regierungsverordnungen verlangt, dass der
Verfassung ihnen gegenüber ein normativ höherer Rang zukommt.”
Dabei ist eine inhaltliche Kontrolle nur möglich, sofern die Verfassung
auch materielle Massstäbe zur Verfügung hält. Neben diesem Vorrang
46 Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 57; zum
Ausbau des Rechts- und Verfassungsstaates siehe vorne S. 222 ff.; vgl. auch Herbert
Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, 5. 18 ff.
47 Gerard Batliner, Aktuelle Fragen, S. 16 Rz. 19.
48 So Ernst Pappermann, Das Verordnungsrecht der Regierung, S. 367.
49 Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 144.
50 Formulierung in Anlehnung an Peter Häberle, Monarchische Strukturen, S. 382.
51 So Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 57.
52 Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 galt gegenüber den übrigen Gesetzen
nicht als höherrangig, sodass diese auch galten, wenn sie gegen die Verfassung ver-
stiessen. Sie waren nicht anfechtbar. Demnach konnten auch neue und geänderte
Rechtsregeln ohne förmliche Verfassungsänderung in die Rechtsordnung eingeführt
werden. Siehe zur damaligen Staatsrechtslehre Alexander Rossnagel, Verfassungsän-
derung und Verfassungswandel, S. 551 f.
721
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
der Verfassung setzt eine Normenkontrolle Gewaltenteilung voraus. Die
prüfende Instanz muss von derjenigen, deren Akte kontrolliert werden
sollen, funktionell wie organisatorisch verschieden sein. Diese neue Ver-
fassungslage erklärt, warum es im konstitutionell-monarchischen Sys-
tem der Verfassung von 1862 eine solche unabhängige Einrichtung wie
den Staatsgerichtshof, der allgemein verbindlich entscheidet, nicht geben
konnte.
Der Streit um den Schutz grundrechtlicher Freiheit musste unter
der Konstitutionellen Verfassung von 1862 anlässlich der Gesetzgebung
ausgetragen werden. Zu konkretisieren waren die Grundrechte durch
die Politik. Sie sind textlich als Rechte und Pflichten der Staatsbürger
ausgewiesen, nicht als Menschenrechte, und hatten nur eine begrenzte
Wirkung. Sie bildeten keine rechtlichen Schranken für die Gesetzge-
bung. Sie stellten kein unmittelbar geltendes Recht dar und konnten vom
Einzelnen nicht eingeklagt werden. Es gab kein Verfassungsgericht, das
die Geltung der Verfassung auch in Konfliktfällen durchgesetzt hätte.
3. Bedeutung
Die Einführung einer umfassenden Verfassungsgerichtsbarkeit® und die
Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung und damit an die von ihr
garantierten Grundrechte sind neben den direkten Volksrechten innova-
tive Neuerungen, die das Gesamtgefüge der Verfassung nachhaltig ver-
ändert haben. Sie bedeuten mit anderen Worten eine wesentliche Struk-
turentscheidung der Verfassung. Streitigkeiten über den Inhalt des mate-
riellen Verfassungsrechts entscheidet der Staatsgerichtshof und nicht die
Politik, die dadurch verrechtlicht wird. Es steht ihm die Befugnis zur
Normkassation zu, die der Sicherung der Verfassung dient.
Ablesbar ist diese rechtsstaatliche Veränderung der Verfassungs-
struktur auch am Gesetzmässigkeitsprinzip der Verfassung von 1921,
wie es heute in der Literatur und Rechtsprechung verstanden wird. So
53 Siehe Art. 104 LV und das Staatsgerichtshofgesetz vom 5. November 1925, LGBl.
1925 Nr. 8 bzw. heute: Staatsgerichtshofgesetz vom 27. November 2003, LGBl.
2004 Nr. 12.
722
Staatsbestimmende Grundentscheidungen
muss die gesamte Verwaltungstätigkeit gesetzlich abgestützt sein.” Eine
Kompetenzvermutung zugunsten der exekutiven Gewalt - Fürst und
Regierung — kann nicht mehr wie bisher aus dem «Wesen der konstitu-
tionellen Monarchie» abgeleitet werden. Vormals ging es im Konsti-
tutionalismus darum, die staatliche bzw. fürstliche Macht zu begrenzen,
heute geht es unter dem Aspekt der Teilung der Staatsgewalt und der
demokratischen und parlamentarischen Grundlage um die Mitgestal-
tung der staatlichen Macht.” Es überzeugt nach der Verfassung von 1921
auch die Auffassung von den monarchischen Prärogativrechten nicht
mehr, die noch ein Teil des Schrifttums zur konstitutionellen Monarchie
vertritt.
Der Staatsgerichtshof erklärt dezidiert, dass der Regierung kein
eigenes Rechtsverordnungsrecht übertragen ist, sondern nur ein solches
zur Durchführung von Gesetzen, wobei sich Durchführungsverordnun-
gen innerhalb des Rahmens des Gesetzes halten und dessen Zweck, Sinn
und Geist beachten müssen. Sie dürfen das Gesetz weder abändern noch
erweitern noch aufheben. Die Ergänzung des Gesetzes durch grundle-
gende, wichtige, primäre und nicht unumstrittene Bestimmungen darf
nicht mittels Durchführungsverordnung erfolgen, sondern nur in Geset-
zesform.5? Rechtsetzungskompetenzen dürfen nur in diesem Rahmen an
54 Siehe Art. 78 Abs. 1 und Art. 92 Abs. 2 und 4 LV 2003. Die Bindung aller Hoheits-
gewalt an das Recht bzw. das Gesetz macht den Kern des Rechtsstaates aus. So An-
dreas von Arnauld, Rechtsstaat, S. 713 f. Rz. 18.
55 So aber noch Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein,
S.71 f. und 80 f.
56 Vgl. Gerard Batliner, Parlament, S. 26 ff. Fn. 40, der sich ausführlich mit dem
Gesetzmässigkeitsprinzip der Rechtsverordnungen und der Rechtsbindung der Ver-
waltung auseinandersetzt. Vgl. auch Andreas Schurti, Verordnungsrecht der Regie-
rung, S. 133 f. und ders., Verordnungsrecht — Finanzbeschlüsse, S. 246 f.; Andreas
Kley, Grundriss, S. 167-169 und S. 174-180 mit Rechtsprechungshinweisen.
57 Vgl. auch Andreas Schurti, Verordnungsrecht — Finanzbeschlüsse, S. 246 f.
58 Vgl. Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 233 Fn. 141. Aus Gründen der
Rechtsstaatlichkeit (Verfassungs- und Gesetzesbindung des Landesfürsten) ist es
nicht zutreffend, von Prärogativrechten des Landesfürsten zu sprechen, insoweit er
sich über die bestehende Rechtsordnung hinwegsetzen könnte. Siehe zu dieser Pro-
blematik Norbert Campagna, Prärogative und Rechtsstaat, S. 553 ff. (S. 554 f. und
576 ff).
59 StGH 1977/11 vom 25. April 1978, nicht veröffentlicht; zitiert nach Gerard Batliner,
Parlament, S. 30 Fn. 40.
723
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
die Regierung übertragen werden. Globalermächtigungen sind ausge-
schlossen. Damit grenzt sich der Staatsgerichtshof gegen das konstitu-
tionell-monarchische Staatsrecht des 19. Jahrhunderts klar ab.
$2 STAATS- UND REGIERUNGSFORM
I. Eigenständige Mischform monarchischer und
demokratischer Strukturelemente
Das Verfassungssystem des monarchischen Konstitutionalismus ist, so
Rainer Wahl®, «entwicklungsoffen». Es gibt in der Ära des Konstitutio-
nalismus des 19. Jahrhunderts eine Vielfalt von Erscheinungsformen
bzw. verschiedene Varianten des Konstitutionalismus,*! da ihre Struktur
nicht völlig eindeutig ist.® Es ist in der Verfassung von 1921 zu einer
«eigenständigen Mischform»® weiterentwickelt worden und stellt so
gesehen eine Variante des monarchischen Konstitutionalismus dar.
Die Staats- und Regierungsform lässt sich, wie Edwin Loebenstein“*
meint, unter keinen der herkömmlichen, in Staatslehre und Staatsrecht
entwickelten Schulbegriffe und Typen einordnen.® Man könnte sie auch
60 Rainer Wahl, Der Konstitutionalismus als Bewegungsgeschichte, S. 576. Siehe zum
Begriff des Konstitutionalismus schon vorne S. 77 ff.
61 Vgl. auch Dieter Gosewinkel /Johannes Masing, Die Verfassungen in Europa, S. 49.
Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 670 sieht noch 1914 in der «grossen
Anpassungsfähigkeit der Monarchie an die verschiedensten sozialen Verhältnisse
ihre grosse, auch in die ferne Zukunft fortdauernde Bedeutung». Er bemerkt aller-
dings einschränkend, dass die Monarchie infrage gestellt würde, «wenn sie unauf-
hörlich mit Erscheinungen verkettet wäre, die unwiederbringlich der Vergangenheit
angehören». Vgl. auch Richard Dietrich, Probleme verfassungsgeschichtlicher For-
schung, S. 11 ff; Hans Gangl, Der deutsche Weg zum Verfassungsstaat, S. 50 ff.
62 Dieser Befund lässt sich, so Hans Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 271
aus einer Analyse, «die nach Status, Rolle und Funktion, Kompetenzen und Legiti-
mation der einzelnen Faktoren fragt, feststellen».
63 Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 146 mit weiteren Literaturhinweisen;
vgl. auch Arno Waschkuhn, Politisches System Liechtensteins, S. 40 f.; Alois Riklin,
Mischverfassung, S. 21.
64 Edwin Loebenstein, Die Stellvertretung des Landesfürsten, S. 78.
65 Arno Waschkuhn, Bedeutung der Monarchie, S. 41 qualifiziert die liechtensteinische
Monarchie als eine «Modifikation und spezifische Weiterentwicklung des deutschen
Konstitutionalismus>.
724
Staats- und Regierungsform
mit Christine Weber® als eine «Mittellösung zwischen konstitutioneller
und parlamentarischer Monarchie» bezeichnen,” auch wenn solche
Umschreibungen zu ungenau sind und Fragen offen lassen. Auf die Aus-
gestaltung der staatlichen Funktionen und ihre Zuordnung auf die
Staats- und Verfassungsorgane kommt es an und nicht auf die Staats-
form. Die «blosse Staatsform» ist, so Heinz Gollwitzer®, von «zweit-
rangiger Bedeutung».
Andere, vormals bestehende Monarchien, haben den Ersten Welt-
krieg nicht überdauert. In diesem Zusammenhang ist von der konstitu-
tionellen Monarchie als einer «verfassungshistorischen Übergangsform»
die Rede,® während im Fürstentum Liechtenstein der Verfassungstyp
des monarchischen Konstitutionalismus fortbesteht. Die konstitutio-
nelle Erbmonarchie hat allerdings einen eigengearteten Zuschnitt erhal-
ten, indem sie auf eine neue, d. h. demokratische und parlamentarische
Grundlage gestellt und rechts- und verfassungsstaatlich ausgebaut und
gefestigt worden ist. Sie hebt sich in dieser Beziehung wesentlich von der
bisherigen Konstitutionellen Verfassung von 1862 ab.
66 Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 146; siehe dort auch S. 137-146, wo die
unterschiedlichen Lehrmeinungen zur Sprache kommen. Vgl. auch Thomas All-
gäuer, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung, S. 107 f.
67 Nach Burkhard Schöbener, Allgemeine Staatslehre, S. 179 Rz. 87 bewegt sich das
Fürstentum Liechtenstein «im Schnittbereich von konstitutioneller und parlamen-
tarischer Monarchie».
68 Heinz Gollwitzer, Die Endphase der Monarchie, S. 363. Er macht darauf aufmerk-
sam, dass eine Monarchie «das Gehäuse einer vollauf demokratischen Staatsordnung
sein (könne) und umgekehrt», und es könne «eine Republik ein demokratisches, ein
autoritäres oder totalitäres System zum Inhalt haben».
69 Hans-Christof Kraus, Monarchischer Konstitutionalismus, S. 617. Die Aussage von
Rainer Wahl, Der Konstitutionalismus als Bewegungsgeschichte, S. 581 Fn. 31,
wonach nach 1918 nur solche Monarchien überdauert haben, die sich auf Repräsen-
tation und Symbolfunktionen zurückgezogen haben, trifft auf das Fürstentum
Liechtenstein nicht zu.
725
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
II. Abgrenzungen und Begriffsbestimmungen
Die konstitutionelle Monarchie ist mit dem Begriff der Demokratie
durchaus vereinbar,”® nicht aber mit demjenigen der Republik,’! die das
Gemeinwesen dem Volk überantwortet.”? Danach wird das Staatsober-
haupt durch einen Legitimationsakt des Volkes zur Amtsausübung beru-
fen, die üblicherweise zeitlich begrenzt ist und die Möglichkeit umfasst,
den Amtsträger abzusetzen.’3 Republik im formellen Sinn bedeutet
damit schlicht «Nicht-Monarchie»,/* wobei hiermit über die Machtbe-
fugnisse des Staatsoberhauptes allerdings keine Aussagen getroffen wer-
den.”
Demokratische Regierungsformen sind zwar in einer Monarchie
möglich. Es sind jedoch der Demokratie gewisse Prinzipien eigen, die
nicht ohne Auswirkungen auf die Stellung, Kompetenzen und Funktio-
nen des monarchischen Staatsoberhauptes bleiben können. Demzufolge
ist ein Staat, in dem ein unverantwortlicher Monarch’® politische Macht
ausübt, nicht als demokratisch zu betrachten. Auch in seinem Legitimie-
rungsgrund unterscheidet sich ein Erbmonarch von einem Präsidenten
der Republik.”
70 Vgl. Ludwig K. Adamovich/Bernd-Christian Funk/ Gerhart Holzinger, Österrei-
chisches Staatsrecht, Bd. 1, S. 156 Rz. 12.002.
71 Vgl. Dieter Grimm, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 199. Siehe auch Art. 113 LV
2003, der der geltenden Verfassung eine Verfassung «auf republikanischer Grund-
lage» gegenüberstellt. «Republik» als Staatsform wird heute überwiegend als Ge-
gensatz zur Monarchie verstanden. In diesem Sinne auch Art. 113 Abs. 1LVi.d.E
LGBl. 2003 Nr. 186. Vgl. Ekkehart Stein/ Götz Frank, Staatsrecht, S. 59; vgl. auch
Reinhold Zippelius/Thomas Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 80 Rz. 1 f;;
Andras Jakab, Die Dogmatik des österreichischen Rechts aus deutschem Blickwin-
kel, S. 277.
72 Karl Doehring, Allgemeine Staatslehre, S. 134 f. Rz. 322.
73 Beim Misstrauensvotum gegen den Landesfürsten nach Art. 13ter LV 2003 kann
nach Art. 16 HG nur die Gesamtheit der stimmberechtigten Mitglieder des Fürstli-
chen Hauses den Fürsten absetzen.
74 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 373; vgl. auch
Peter Unruh, Der Verfassungsbegriff des Grundgesetzes, S. 574 und dazu kritisch
Hans-Christof Kraus, Eine Monarchie unter dem Grundgesetz, S. 67 f.; Walter Hal-
ler/ Alfred Kölz/Thomas Gächter, Allgemeines Staatsrecht, S. 45 Rz. 148.
75 Christoph Gröpl, Staatsrecht I, S. 124 Rn. 551 ff.
76 Siehe Art. 7 Abs. 2 LV.
77 Siehe auch das Verfahren zur Amtsenthebung des Fürsten in Art. 13ter LV 2003
1. V.m. Art. 14 HG.
726
Staats- und Regierungsform
Die konstitutionelle Erbmonarchie als Staatsform wie auch das der Erb-
monarchie inhärente Erbprinzip sind in der Verfassung festgeschrie-
ben.’® Danach wird die Person des Staatsoberhauptes nach spezifisch
familien- und erbrechtlichen Regeln bestimmt und grundsätzlich auf
Lebenszeit eingesetzt.”? Das Volk hat keinen Einfluss auf die Person des
Fürsten als Staatsoberhaupt. Von einer demokratischen Erbmonarchie
kann man demnach nicht sprechen, da die Staatsordnung nicht durch-
gängig demokratisch ist, wie dies an der erblichen Thronfolge des Lan-
desfürsten manifest wird.®
Als «parlamentarische Monarchie» kann nach Otto Kimminichs!
nur diejenige Monarchie gelten, in der das parlamentarische System
unbeschränkt herrscht. Das trifft auf die liechtensteinische Staats- und
Verfassungsordnung nicht zu. Es wird die konstitutionelle Monarchie
auch als «Gegenbegriff» zu parlamentarischer oder demokratischer
Staatsform verstanden. Wie man nicht von einer parlamentarischen
Monarchie sprechen kann, so ist auch ein parlamentarisches Regierungs-
system zu verneinen, auch wenn eine Parlamentarisierung unverkennbar
in der Verfassung angelegt ist.® Die Entwicklung ist aber in Ansätzen
stecken geblieben. Es handelt sich um eine reduzierte Form der Parla-
mentarisierung, die beispielsweise in einer Mitsprache des Landtages bei
der Regierungsbestellung und -entlassung besteht, an der auch der Lan-
desfürst in einem mitentscheidenden Ausmass beteiligt ist.
78 Siehe Art. 2 und 3 LV 1921.
79 Vgl. Art. 12 HG.
80 Siehe auch Siegbert Morscher, Zu Versäumnissen der Allgemeinen Staatslehre, S. 452
Ziffer 4.
81 Vgl. Otto Kimminich, Staatsoberhaupt, S. 43.
82 So Hans Nawiasky, Rechtgutachten, S. 4. Im vormärzlichen Konstitutionalismus
des 19. Jahrhunderts ist die konstitutionelle Monarchie «der Gegenbegriff zu abso-
luter Monarchie oder zu parlamentarischer Regierung». Siehe Thomas Würtenber-
ger, Der Konstitutionalismus des Vormärz, S. 175.
83 Siehe in Art. 2 LV den in Klammer gesetzten Verweis auf Art. 79 und 80 IV, die die
Bestellung und Abberufung der Regierung zum Gegenstand haben.
727
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
III. Ergebnis
Das Fürstentum Liechtenstein ist weder eine demokratische noch eine
parlamentarische Monarchie,* wie man dies aus verschiedenen Struk-
turmerkmalen folgern könnte. Einerseits baut die Verfassung die demo-
kratisch-politische Bestimmungsgewalt des Volkes aus und verstärkt sie
durch direktdemokratische Einrichtungen.® Andererseits behält sie die
Verfassungsform des monarchischen Konstitutionalismus bei, der im
Fürsten eine starke monokratische Spitze hat® und insoweit dualistisch
strukturiert ist, als im Legislativ- und Exekutivbereich Fürst und Volk
bzw. Landtag notwendig aufeinander angewiesen sind,? damit die Ver-
fassung funktioniert,® sodass für beide Teile systembedingt eine Pflicht
zum Kompromiss besteht.®®
Die innere Struktur der Verfassung von 1921 samt ihrer Machtver-
teilung zwischen Fürst und Volk bzw. Landtag entspricht trotz der Ver-
knüpfung mit demokratischen und parlamentarischen Elementen im
grossen Ganzen nach wie vor dem Grundschema des monarchischen
Konstitutionalismus. Dafür spricht die starke Position des Landesfürs-
84 Es existierten in der Verfassungsdiskussion von 1921 verschiedene Ansichten zur
Parlamentarisierung der Regierung. Siehe dazu Herbert Wille, Monarchie und De-
mokratie, S. 170 und S. 180 ff. Zu weit gehend Günther Winkler, Verfassungsrecht,
S. 30, wenn er in einer Gegenüberstellung der Verfassung von 1921 zur Konstitu-
tionellen Verfassung von 1862 festhält: «Die Regierungsform der autokratisch be-
schränkten konstitutionellen Monarchie wurde durch die Regierungsform einer voll
ausgebildeten demokratischen und parlamentarischen konstitutionellen Monarchie
abgelöst.»
85 Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch zu bemerken, dass jeder Gesetzesbe-
schluss des Landtages einem generellen Sanktions- bzw. Vetovorbehalt des Landes-
fürsten untersteht.
86 Die Fortschrittliche Bürgerpartei, die die Mehrheit im Landtag stellte, stand dem
Parteiwesen reserviert gegenüber, sodass sie einen Ausgleich in der starken Stellung
des Fürsten als Staatsoberhaupt suchte. Vgl. Herbert Wille, Monarchie und Demo-
kratie, S. 178 ff.
87 Auch die gesamte Gerichtsbarkeit wird nach Art. 95 Abs. 1 LV 2003 im Namen des
Fürsten und des Volkes durch verpflichtete Richter ausgeübt.
88 Das sind nach Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 45 und
65 die zwei zentralen Kriterien, die die konstitutionelle Monarchie kennzeichnen.
89 Vgl. Jörg-Detlef Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, S. 468, der aus der
1848 geschaffenen zweieinheitlichen Staatsleitung von Fürst und Volk eine Kom-
promisspflicht folgert.
728
Staats- und Regierungsform
ten ım Staatsgefüge. Er gestaltet die Verfassungspolitik massgebend mit.
In manchen Bereichen sind noch Elemente des seinerzeitigen monar-
chischen Prinzips, die an die souveräne Stellung des Fürsten erinnern,
anzutreffen, die allerdings durch die Verfassungsbindung herabgemin-
dert werden.” Der Landesfürst ist nicht auf eine repräsentative Rolle
zurückgedrängt worden. Das geht schon daraus hervor, dass er nicht nur
gemäss Art. 7 Abs. 1 LV «Oberhaupt des Staates», sondern gemäss Art. 9
LV zur Sanktion eines jeden Gesetzes berufen ist. Der Landesfürst ist
auch alleiniger Inhaber der Notstandsgewalt und erhält in dieser
Ermächtigung eine «Sondersouveränität».?! Es kann ihn in «dringenden
Fällen» kein Verfassungs- oder Staatsorgan unter den in Art. 10 LV
genannten Bedingungen daran hindern, für die Dauer bis zu sechs
Monaten sämtliche staatlichen Gewalten an sich zu ziehen. Weder dem
Volk noch dem Landtag stehen während dieses Zeitraumes Befugnisse
zu. Der Landesfürst erlangt dadurch einen deutlichen Vorrang im
Machtsystem der Verfassung. Es steht ihm aber kein Selbstregierungs-
recht zu.”
90 Es ist aus diesem Grunde nicht zutreffend, von Prärogativrechten des Landesfürs-
ten zu sprechen. Siehe auch vorne S. 378 und S. 723 Fn. 58.
91 Formulierung in Anlehnung an Markus C. Kerber, Ausnahmezustand, S. 545.
92 So Dietmar Willoweit, Verfassungsinterpretation im Kleinstaat, S. 206.
729
ANHANG
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Die Literatur wird im Text mit zum Teil abgekürzten Titeln zitiert, die es
ermöglichen, die jeweilige Arbeit ohne weitere Hilfsmittel aufzufinden.
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769
Verfassungsdokumente
Die Verfassungen in Europa 1789-1949. Wissenschaftliche Textedition unter Einschluss
sämtlicher Änderungen und Ergänzungen sowie mit Dokumenten aus der englischen
und amerikanischen Verfassungsgeschichte, hrsg. von Dieter Gosewinkel und Johannes
Masing unter Mitarbeit von Andreas Würschinger, München 2006.
Deutsche Verfassungsdokumente 1803-1850, in: Dokumente zur deutschen Verfassungsge-
schichte, hrsg. von Ernst Rudolf Huber, Bd. 1, 3. Aufl., Stuttgart /Berlin/ Köln / Mainz
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Europäische Verfassungsgeschichte. Rechtshistorische Texte, hrsg. von Dietmar Willo-
weit/ Ulrike Seif, München 2003.
Verfassung von Hohenzollern-Sigmaringen (1833), hrsg. von Werner Heun, in: Horst Dip-
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pel (Hrsg.), Verfassungen der Welt vom späten 18. Jahrhundert bis Mitte des 19. Jahr-
hunderts, Bd. 2, München 2005, S. 293-334.
770
Sachverzeichnis
Abgeordnete, 5. 473 ff.
— Amtsdauer, S. 481
— Entschädigung, S. 480 f.
— Erscheinungspflicht, S. 482
— Immunität, S. 460 £., 475 ff.
— Indemnität, S. 461, 469
— Mitwirkungsrechte, S. 481 ff.
— Stellvertretung, S. 479 f.
— Unvereinbarkeit, S. 479
Abolition, S. 342, 350 ff., 662
Absolutismus, S. 58
Abstimmungsbeschwerde, S. 446 f., 448,
642
Altständische Verfassung, S. 52 f., 58
Amnestie, S. 344
Appellentscheidung, S. 629, 672 ff.
Auslegung
— verfassungskonforme, S. 673 ff.
Auswärtige Gewalt, S. 359
— formelle, S. 360 f.
— materielle, S. 361 f.
Autonomiebeschwerde der Gemeinden,
5.637 ff.
Bedeckungsvorschlag, S. 170, 419 f.
Begnadigung, S. 344 ff., 527, 662 f.
Behördenreferendum, S. 433
Bundespolitik, S. 34, 72
Bundesschiedsgericht, S. 128, 224 f., 227,
599 f.
Delegationsnorm, S. 593
Departementalsystem, S. 579
Deutsche Bundesakte, S. 52 f., 245
Dienstinstruktionen von 1808, 5. 45 ff.
Direktdemokratische Rechte, S. 192 ff.
Disziplinarverfahren
— gegen Mitglieder des Staatsgerichtsho-
fes, S. 663 f.
Dringlichkeitsbeschluss, S. 430 f., 510,
518 f.
Dynastische Erbfolge, S. 242, 243, 451
EFTA-Gerichtshof, 5. 695 f.
— Gutachten, S. 701 ff.
Einheit der Materie, 5. 417 ff.
Einleitungsformel (siehe auch Ingress und
Präambel), S. 176, 181, 235, 711, 712, 718
Erbmonarchie, S. 139, 243, 259
Ersatzrichter, 5. 625
Europäischer Gerichtshof für Menschen-
rechte, 5. 689 ff.
— Entscheidungswirkungen, S. 691 ff.
— nationale Rechtsordnung, S. 690 f.
EWR-Abkommen, 5. 696 ff.
— Direktwirkung, S. 697 f.
— Rechtsnatur, S. 696 f.
— Vorrang, S. 697 f.
EWR-Recht, S. 694 f., 697 ff.
— als materielles Verfassungsrecht,
5.699.
— direkte Geltung, S. 698
— Vorrang, S. 424 f., 698 f.
Fachgerichte, S. 604, 676 ff.
Finanzbeschluss, S. 517 f., 519, 523 f.
Finanzhoheit, S. 520 f.
Finanzinitiative, S. 717
Finanzkontrolle, S. 520 ff.
771
Sachverzeichnis
Fraktion, 5. 474, 486 ff., 491
— Bildung, S. 487
— parlamentsinternes Organ, S. 486 f.
Fraktionsdisziplin, S. 475
Freiheit des Mandats, 5. 474 f.
— Ausschluss aus der Partei, S. 475
Fürstliches Haus, S. 278 ff.
— Disziplinarmassnahmen, 5. 298 ff.
— Mitgliedschaft, S. 292 f.
— Organe, S. 294 ff.
Fürstliche Regierung, S. 111 ff.
Gegenzeichnung, S. 311 ff., 348 f., 566
Gemeinde
— Aufsicht, S. 586
— Autonomie, 5. 637 ff.
— Initiative, S. 192, 394
— Referendum, S. 193
Gerichtshoheit, S. 366
Geschäftsordnung
— Landtag, S. 514
— Regierung, S. 568
— Staatsgerichtshof, S. 608, 626
Gesetzesbegriff, S. 517
Gesetzesinitiative, S. 192, 394, 417
— Vorprüfung, S. 426, 484, 520
Gesetzesvorbehalt, S. 117, 517, 518, 574
Gesetzesvorlagen, S. 509 f., 584 f.
— Eintretensdebatte, S. 509
— Detailberatung, S. 509 f.
— Schlussabstimmung, S. 510
— Dringlicherklärung, S. 510
Gesetzgebungsverfahren, S. 129, 515 ff.
Gewaltenteilung, S. 81, 234, 370 f., 479,
498, 622
Gnadenakt, 5. 345 ff.
— Rechtscharakter, S. 345 ff.
— Gegenzeichnung, S. 348 f.
Gottesgnadentum, S. 57, 137 ff., 181, 713
Grundrechte
— notstandsfeste, S. 321, 423
Grundrechtseingriff, S. 662 f., 688
Grundrechtsprüfung, S. 682 ff.
— differenzierte, S. 682 f.
— Willkürprüfung, S. 683 ff.
772
Hausgesetz, S. 242 ff.
— Autonomie, S. 245, 258 ff., 277
— Begriffsgehalt, S. 244 ff.
— Entstehung, 5. 242 ff.
— Rechtsnatur, S. 281 ff.
Hausgesetzmaterien, 5. 281 ff.
— familieninterne, S. 281 f.
— nicht-staatsrelevante, 5. 281 f.
— staatsrelevante, S. 283 f.
Herrschertheorie, S. 58 f., 272
Hofkanzlei, S. 35, 47, 75, 125 f., 341
Hüter der Verfassung, S. 234, 602, 606,
715
Immediateingaben, S. 98
Immunität, S. 314, 460 f., 469, 475 ff.
— absolute, S. 475 ff.
— eingeschränkte, S. 477 f.
Indemnität, 5. 461 f., 469
Individualantrag, S. 629, 630, 634 ff.
Individualbeschwerde, S. 447 f., 632 ff.,
687 f.
Ingress (siehe auch Einleitungsformel und
Präambel), S. 84, 140, 261, 260, 712, 713,
719
Initiative (Volksinitiative)
— einfache Initiative, S. 414 f.
— formulierte Initiative, S. 413 f.
— Gültigkeit, S. 415 ff.
Initiativrecht, S. 192, 412 ff.
Interimistische Regierung, S. 215, 339 f.,
338
Interpellation, S. 484, 485, 486
Justizverwaltung, S. 497, 532 ff.
Kassation, S. 633 f., 670 f., 673
Kassationsaufschub, S. 671 f.
Kollegialregierung, S. 575 ff.
Kompetenzkonfliktverfahren, S. 655 ff.
Konstitutionalismus, 5. 77 ff.
— im engeren Sinn, S. 77 f.
— 1m weiteren Sinn, S. 78
— Erscheinungsformen, S. 79
— monarchischer, S. 78
Konstitutionelle Übergangsbestimmun-
gen, 5. 68 ff., 252
Sachverzeichnis
Konsultativabstimmung, S. 395, 433 f.
Landammannverfassung, S. 45 f., 50, 169
Landesausschuss, S. 471 ff.
Landesfürst (siehe auch Staatsoberhaupt)
— als Person, S. 451 f.
— als verfassungsgebundenes Staatsorgan,
S. 234 f., 308 £.
— Amt, S. 451 f.
— Immunität, S. 310 ff., 460 f.
— Initiative, S. 104, 369 f., 394
— Justizhoheit, S. 124 f.
— Verleihung von Orden und Titeln,
S. 355
— Völkerrechtliche Vertretung, S. 358 ff.
— Weisungsrecht, S. 370 f.
— Zuständigkeitsvermutung, S. 184
Landesgebrauch, Landsbrauch, S. 45, 47,
48, 50
Landesrechnung, S. 524
Landesverwaltung, S. 154, 222, 542 f., 573,
575 ff.
— Beaufsichtigung, S. 583 f.
— Leitung, S. 583 f.
Landesverweser, S. 34 f., 64 ff., 112 ff.,
125 ff.
Landesverweserfrage, S. 147 ff.
Landesvoranschlag, S. 521 ff.
Landmannschaft, S. 55
Landstandschaft, S. 54 f.
Landstände, S. 52, 53, 54
— Bedeutung, S. 56
— Verhältnis zum Landesfürsten, 5. 55 f.
Landständische Verfassung, S. 189
Landständischer Ausschuss, 5. 74 f.
Landtag
als Staatsorgan, 470 f.
— als «Verwaltungsbehörde», S. 95, 532
— als Volksvertreter, S. 92 f., 467 ff.
— als Wahlbehörde, S. 525 ff., 534 f.
— Auflösung, S. 333 ff., 435 f., 461 f.
— Einberufung, S. 333, 435
— Geschäftsordnungsautonomie, S. 470 f.
— Mitwirkungsrechte, S. 106
— Oberaufsicht, S. 497 f., 499
— Stimmzwang, S. 570
— Schliessung, S. 333
— Vertagung, S. 333 ff.
Landtagsdelegationen, S. 503 f.
Landtagskommissionen, S. 484 ff.
— Aussenpolitische Kommission, S. 500
— EWR-Kommission, S. 501 f.
— Finanzkommission, 5. 495
— Geschäftsprüfungskommission,
5. 496 ff.
— Untersuchungskommission, S. 502 f.
Landtagspräsidium, S. 489 ff.
Landvogt, S. 45, 48, 49, 54, 64
Legalitätsprinzip, S. 518
Legislaturperiode, S. 192, 462
Letztentscheidungsrecht
— Staatsgerichtshof, S. 603, 606, 667
Märzausschüsse, S. 60 ff.
— Forderungen, S. 60 f.
— monarchische Konzessionen, 5. 61 f.
Milizparlamentarier, S. 473 f.
Ministeranklage, S. 350 ff., 528 ff.
Misstrauensantrag bzw. -votum
— Landesfürst, S. 299, 315 ff., 438 ff.
— Regierung, S. 216, 525, 546, 550 ff.
— Regierungsmitglied, S. 216, 525, 546,
550 ff.
Ministerien, S. 578 ff.
Monarchie
— Abschaffung, S. 185 ff., 441 ff.
— absolute, S. 58, 134, 135
— konstitutionelle, S. 79, 83, 139, 158,
160, 727
— parlamentarische, S. 138, 161, 169, 194,
727
Monarchisches Prinzip, S. 81 f., 137 f.
Negativer Gesetzgeber, S. 607
Niederschlagung strafgerichtlicher Verfah-
ren (siehe auch Abolition), S. 350, 662
— von Ministeranklageverfahren,
S. 350 ff.
Normenkontrolle, S. 642 ff.
— abstrakte, 5. 645 ff.
— konkrete, S. 648 ff.
Notstandsfall, S. 321, 323, 325
Notstandsmassnahmen, S. 171, 324, 325,
327
Notstands- bzw. Notverordnungsrecht,
S. 121, 153, 319 ff., 648
773
Sachverzeichnis
Oberamt, S. 46, 47, 58
Oberaufsichtsrecht, S. 496 f., 594
Ordensverleihung, S. 355 f.
Organsouveränität, S. 135
Organstreit, S. 230
Parlamentarische Eingänge, S. 484 ff.
— «Aktuelle Stunde», 5. 485 f.
— Anfragen, S. 485
— Initiative, S. 192, 484
— Interpellation, S. 485
— Motion, 5. 484 f.
— Postulat, S. 485
Parlamentarische Kommissionen (siehe
Landtagskommissionen), S. 493 ff.
Parlamentarisches Verfahren, S. 505 ff.
— Abstimmungen, S. 510 ff.
— Beschlussfähigkeit, S. 508
— Dringlicherklärung, S. 510, 519
— Öffentlichkeit, S. 507
— Sitzungsdisziplin, S. 507
— Sitzungsperiode, S. 505
— Wahlen, S. 511 £.
Parlamentsdienst, S. 492
Patrimonialtheorie, S. 59, 252
Paulskirchenverfassung, S. 34, 71, 76
Politische Rechte (siehe auch Volksrechte),
S. 388 f., 392, 396 ff.
— Ausschluss, 5. 388 f.
— Einschränkungen, S. 388 f.
— Organfunktion, S. 398
— verfassungsmässig geschütztes Indivi-
dualrecht, S. 397
— Sanktionsvorbehalt, S. 388
Polizeigeneralklausel, S. 325
Polizeirecht, S. 325, 326
Postulantenlandtag, S. 56
Präambel (siehe Ingress und Einleitungs-
formel), S. 57, 138, 270, 272
Prärogative, Prärogativrechte, S. 88, 90,
115, 119, 378, 723
Primat der Monarchie, S. 58 f.
Privatfürstenrecht, S. 242 f., 245 f.
Reaktionserlass, S. 71 f., 85, 189
Regentschaft, S. 300 f.
Rechtsstaatlichkeit, S. 222 ff.
774
Rechtsstaatsprinzip, S. 274 f.
Referendum, S. 193, 394 f.
Referendumsbeschluss, S. 518 f.
Referendumsrecht, 5. 428 ff.
Ausschluss, S. 430 f.
Begriff und Wesen, S. 428 ff.
Erscheinungsformen, 5. 431 ff.
fakultatives, S. 433
obligatorisches, S. 433
Regentschaft, S. 300 f.
Regierung
als Staatsorgan, S. 541 ff.
Amtsdauer, S. 548 f.
Beendigung des Amtes, S. 545 f.
Bestellungsverfahren, S. 206, 212,
367 ff., 544 f.
Entlassungsverfahren, S. 213 ff., 367 ff.
Ernennung, S. 111
Geschäftsverkehr, S. 568 ff.
Geschäftsverkehr mit dem Landtag,
S. 570 ff.
Nationalität, S. 206
Oberaufsicht, S. 527, 532 f., 584
parlamentarische, S. 148 f., 194 ff.
Unvereinbarkeit, S. 548
Verhältnis zum Landtag, S. 130 ff.
Wählbarkeit, S. 547
— Zuständigkeiten, S. 582 ff.
Regierungschef, S. 565 ff.
Amtsdauer, S. 200
Stellung, S. 565 ff.
Regierungsprogramm, S. 583
Regierungsreform, S. 573 ff.
Regierungssekretär, S. 581
Regierungssystem, S. 148 ff., 161 ff., 169,
208 {f., 219 ff., 559 ff.
Kollegialprinzip, S. 560 f.
Präsidialprinzip, S. 563 f.
Ressortprinzip, 5. 562 f.
Rheinbund, S. 43, 45, 51, 249, 250
Rheinbundakte, 5. 45, 50
Richterauswahlgremium, S. 617 ff.
Richterbestellung bzw. -wahlen, S. 362 ff.,
436 ff.
Rückzugsklausel, S. 394, 414
Sanktionsrecht, S. 371 ff., 398 ff.
Sanktionsverweigerung, S. 378 f.
Sachverzeichnis
Sanktionsvorbehalt, S. 388
Sanktionsunterlassung, S. 378 f.
Schlossabmachungen, S. 157 ff.
Selbsteintrittsrecht, S. 578 f., 584
Souveränität, S. 180 f., 132 ff., 176 f.
— Organsouveränität, S. 135
— Staatssouveränität, S. 134 ff.
Sperrklausel, S. 408
Staat
— als oberste Autorität, S. 269 f.
— als Rechtsperson, S. 135 f., 248, 252 ff.
Staatsform, 5. 725, 726 f.
Staatsgerichtshof
— Amtsdauer, S. 623
— Amtseinstellung, S. 624
— Amtsenthebung, S. 624
— Errichtung, S. 599 ff.
— Ersatzrichter, S. 625
— ordentlicher Richter, S. 625
— Präsident, S. 626
— verfassungsrechtliche Stellung,
5. 603 ff.
— Wahl, S. 613 ff.
— Verhältnis zu den Fachgerichten,
5. 676 ff.
— Verhältnis zum Gesetzgeber, S. 665 ff.
— Zuständigkeiten, S. 629 ff.
Staatsgewalt
— als höchste Gewalt, S. 65, 177, 270 f.
— Inhaber, S. 81 f., 85, 387
_ Teilung, S. 70, 175, 177 ff., 181 f., 255
— "Träger, S. 179
Staatsoberhaupt
— Landesfürst, S. 86 ff., 307 ff.
— Legitimation, S. 309 f.
Staatsorgan
— Verfassungsbindung, S. 308, 602
Staatstheorien
— legitimistische, S. 248 f.
— staatsrechtliche, 5. 247 f.
Staatsverträge, S. 536 f.
— Prüfung, S. 652 f.
— Aufhebung der Verbindlichkeit, S. 670
Stellvertretung des Landesfürsten, S. 354 f.
Stimmrechtsbeschwerde, S. 444
Ständischer Landtag, S. 54 ff.
Stimm- und Wahlrecht, S. 392 ff.
Stimmregister, S. 444
Stimmzettel, S. 411, 465
— amtliche, S. 411
— nicht amtliche, S. 411, 465
Territorium, S. 249 ff., 269 f.
Titelverleihung, S. 355 f.
Thronfolge, S. 297
Thronverzicht, S. 297 f.
— Verzicht auf Thronfolge, S. 298
Verantwortlichkeit der Regierung,
$. 113 ff., 201 ff., 215 ff., 549 ff.
— politische, S. 550 ff.
— rechtliche, S. 552 ff.
Verfassung
— als konstitutive Grundlage, S. 182 ff.
— Normativität, S. 233
— oktroyierte, S. 84 ff.
— paktierte, S. 84 ff., 174 f.
— Sicherung, 5. 233 f.
— Vorrang, S. 231, 274
Verfassungsänderung bzw. -revision, S. 83,
172, 414
— Partialrevision, S. 157, 173
— Totalrevision, S. 156 f., 173 f., 186
Verfassungsbeschwerde (siehe auch Indivi-
dualbeschwerde), S. 163, 423, 632, 639
Verfassungsentwürfe 1848, S. 189
Verfassungsentwürfe 1920, S. 153 ff.
Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 163, 167
Verfassungshoheit, S. 175 f.
Verfassungsinitiative, S. 186, 192, 417,
424 £.
Verfassungskompromiss, S. 149 ff.
Verfassungsrecht
— materielles, S. 42, 690, 699 f.
Verfassungsstreitigkeiten, S. 224 ff., 229 f.
Verfassungsstruktur
— duale, S. 224, 227 ff., 286
Verordnung
— Durchführungs- bzw. Vollziehungsver-
ordnung, S. 370, 593, 723 f.
— Verwaltungsverordnung, S. 593
— zu direkt anwendbaren Staatsverträgen,
S. 594
Verpflichtungskredit, S. 523 f.
Verwaltungsreform, S. 573 ff.
775
Sachverzeichnis
Verwaltungsvereinbarung, S. 589
Vollzugsausschuss, S. 147 f., 196
Volk
— als Mitgesetzgeber, S. 398 ff., 450 f.
— als Staatsorgan, S. 391
— Rechtsstellung, S. 387 f.
Volksbefragung, S. 395, 433 f.
Volksinitiative (siehe auch Initiative)
— Nichtigerklärung, S. 444 f.
— Zurückweisung, S. 444 f.
Vollzugsausschuss, S. 147 f.
Volksrechte, S. 165 f., 452 ff. (siehe auch
Initiative und Referendum)
Vorausveto, S. 399 ff.
Wahl- und Abstimmungsfreiheit, S. 396
Wahl zum Landtag, S. 100 ff.
— Wählbarkeit, S. 464
— Wahlakt, 5. 465 £.
— Wahlbeschwerde, S. 445 f.
Wahlbezirk bzw. -kreis, S. 463 f.
Wahlergebnis, S. 466
Wahlliste, S. 465
Wahlmännerwahl, S. 101
Wahlmodus, S. 103 f.
Wahlordnung
— provisorische, S. 69, 103
Wahlprüfung, S. 467, 656 ff.
Wahlrecht, S. 100 £., 146 £., 392 f.
— aktives, S. 402 f.
— passives, S. 402 f.
Wahlrechtsgrundsätze, S. 404 ff.
— Allgemeinheit der Wahl, S. 404 ff.
— freie Wahl, S. 411 f.
— geheime Wahl, S. 408 ff.
— Gleichheit der Wahl, S. 406 ff.
unmittelbare Wahl, 5. 410 f.
Wahlsystem, S. 403 f., 463 f.
— Grundmandat, S. 403, 407, 466
— Kandidatenproporz, S. 403, 463
Wahlvorschlag, S. 465
Wiener Schlussakte, S. 136 f.
Willkür, S. 680
Willkürverbot, S. 327, 682
— als ungeschriebenes Grundrecht, S. 425
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Zum Autor
Herbert Wille, 1944 in Balzers geboren. Studium der Rechtswissenschaf-
ten an der Universität Freiburg/Schweiz. 1968 Lizentiat. 1972 Promo-
tion zum Dr. iur. utriusque mit der Dissertation über «Staat und Kirche
ım Fürstentum Liechtenstein». Ressortsekretär der Regierung von 1970
bis 1986. Mitglied der Regierung als Regierungschef-Stellvertreter von
1986 bis 1993. Vorsitzender der Verwaltungsbeschwerdeinstanz (ab 2003:
Verwaltungsgerichtshof) von 1993 bis 1997. Seit Juni 1993 Forschungsbe-
auftragter am Liechtenstein-Institut.
Zahlreiche Veröffentlichungen zum liechtensteinischen Recht, insbeson-
dere zum Staats- und Verwaltungsrecht, zum Staatskirchenrecht sowie
zur Rechtsgeschichte.
777
Zu diesem Buch
1 AS N NS INNEN
stalt und seinen Institutionen auseinander. Ausgangspunkt bildet eine
verfassungshistorische Analyse, da es sich beim Staats- und Verfas-
sungsrecht um «historisch bedingtes Recht» handelt. Der enge Zu-
sammenhang zwischen Verfassungsgeschichte und geltender Staats-
und Verfassungsordnung bestimmt denn auch den methodischen
Blickwinkel der Abhandlung. Sie erläutert zunächst den geschichtli-
chen Hintergrund und widmet sich dann dem Aufbau und der Tätig-
keit der obersten Staatsorgane, d. h. ihrer Organisation, ihrer Wahl
und ihren Zuständigkeiten. Behandelt werden die Staatsorgane Lan-
desfürst, Volk, Landtag, Regierung und Staatsgerichtshof. Neben
ihrer Organisation und Zuständigkeit wırd auch ıhre Stellung ım Ge-
AUT SEELEN SIENA N
SA ALS
Monarchie liechtensteinischer Prägung aus der entstehungsgeschicht-
lichen Perspektive zu untersuchen und im Lichte der heutigen Staats-
und Verfassungsordnung zu hinterfragen sowie andererseits das Ver-
hältnis der einzelnen obersten Staatsorgane zueinander systematisie-
rend zu verdeutlichen.
ISBN 978-3-7211-1095-1