JAHRBUCH
DES HISTORISCHEN VEREINS
FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN
BAND 98
)
JAHRBUCH
DES HISTORISCHEN VEREINS
FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN
VS:
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47
BAND 98
VADUZ, SELBSTVERLAG DES HISTORISCHEN
VEREINS FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN, 1999
Zum Bild auf dem Ein-
pand:
N richtiger Form zusam-
nengefügte Ausschnitte
us zweı Planblättern,
lie im Jahre 1797 von
Jen beiden Feldmessern
Kaspar und Johann
Michael Möser, Vater und
sohn, aus Dornbirn erstellt
wurden. Die Planblätter
lokumentieren die 1797
erfolgte Bodenaufteilung
zwischen den Gemeinden
Schaan und Vaduz. Das
arste Blatt zeigt die
«Obere Au» am Rhein
ei Vaduz, wobei die
Jlunkelgelbe Fläche der
zemeinde Vaduz und
die hellgelbe Fläche der
Gemeinde Schaan zugeteilt
wurde. Auf dem zweiten
Blatt sind die Rheinauen
zei Schaan sowie der
aördlich von Schaan gele-
zene Rietboden zu sehen.
Auch hier wurde die
dunkelgelbe Fläche den
Vaduzern und die hell-
zelbe Fläche den Schaa-
nern zugesprochen.
Vorläufig noch nicht auf-
zeteilt wurden die grün
Narkierten Flächen, altes,
von den Gemeinden
Schaan, Vaduz und Plan-
ken gemeinsam bewirt-
schaftetes Gebiet.
Sine blattübergreifende
Markierung bezeichnet
Jen Punkt, an welchem
lie beiden Kartenteile
zusammengefügt gehören.
Jie zwischen Schaan und
Vaduz aufgeteilten Gebiete
wurde so auf den zwei
3lättern dargestellt, dass
ANöglichst wenig Papier
jenötigt wurde. Dennoch
jeeindrucken die beiden
Driginaldokumente aus
lem Jahre 1797 durch
ıre Ausmasse: Das erste
3latt misst 76 mal 54
Zentimeter, während das
zweite, grössere Blatt
sogar die Ausmasse von
74,5 mal 104 Zentimeter
aufweist.
Vorsatz:
Ausschnitt aus der «Kol-
effel-Karte» von 1756
nit den Rheinauen, dem
Jorf Schaan, und der
1errschaftlichen Mühle im
«Möliholz». Auf dieser
Karte lässt sich die Ent-
wicklung der Boden-
ıutzung gut erkennen.
3isher gemeinsam bewirt
schafteter Boden wurde
Jereits für den privaten
Vutzen ausgeschieden und
dementsprechend um-
zäunt. Die anlässlich der
Auteilung im Jahre 1704
"estgelegten Fahr- und
"riebwege können auf
lieser Karte nachgezeich-
1ıet werden.
Auslieferung:
listorischer Verein für das
Jürstentum Liechtenstein
Geschäftsstelle
>ostfach 626
Aessinastrasse 5
+L-9495 Triesen
‚elefon 00423/392 17 47
Telefax 00423/392 19 61
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rischen Vereins für das
Fürstentum Liechtenstein
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Produktionsleitung:
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druckerei Anstalt
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Buchbinder:
Buchbinderei Thöny
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41-9490 Vaduz
Gedruckt auf
lanno Art top silk,
chlorfrei, 135 g/m®
© 1999 Historischer
Verein für das Fürstentum
„lechtenstein, Vaduz
Alle Rechte vorbehalten
Gedruckt in Liechtenstein
ISBN 3-906393-26-7
Inhaltsverzeichnis
200 Jahre Gemeindegrenzen
Schaan/Vaduz/Planken
Alois Ospelt
Uli Mariss —- «Verräter und Wetterdäimon»
Manfred Tschaikner
«Der einzige Mann, der die Sache auf sich
nehmen könnte ...»
Jürgen Schremser
Landesverrat:
Der Fall des 1944 in der Schweiz hinge-
richteten Alfred Quaderer
Peter Geiger
+1
"4 ü
}
Das alte Pfarrhaus auf dem Kirchhügel
Bendern
Georg Malin
Zur Baugeschichte des Hotels Löwen —
ainer jJahrhundertealten Taverne
Peter Albertin
Rezensionen
Jahresbericht des Historischen Vereins
für das Fürstentum Liechtenstein 1998
Liechtensteinisches Landesmuseum 1998
Das Liechtensteinische Landesmuseum
vor dem Neubeginn
Michael Pattyn und Norbert W. Hasler
„ff
251
257
291
s
Der Historische Verein für
das Fürstentum Liechten-
stein verfolgt den Zweck,
Jie vaterländische Ge-
schichtskunde einschliess-
ich der Urgeschichte zu
“Ordern und die Erhaltung
der natürlichen und ge-
schichtlich gewordenen
jechtensteinischen Eigen-
art zu pflegen.
Art. 1 der Statuten des
Historischen Vereins für
las Fürstentum Liechten-
stein
Für den Inhalt der einzel-
nen Beiträge zeichnen die
Verfasserinnen und Verfas-
ser allein verantwortlich.
200 JAHRE
GEMEINDEGRENZEN
SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN
DIE RECHTE AM BODEN, FRAGEN DES
EIGENTUMS, DES BESITZES UND DER NUTZUNG
IM KIRCHSPIEL SCHAAN
ALOILS
t
\ ”
SH
Inhalt
EINLEITENDE VORBEMERKUNG
FRÜHE ENTWICKLUNGEN BIS INS
14. JAHRHUNDERT
Das Kirchspielterritorium im Talraum
Die Eigentumsbildung im Alpengebiet
1
1
15. BIS 18. JAHRHUNDERT:
NUTZUNGSSTREIT UM DIE GEMEINE MARK —-
ENTSTEHUNG DER GEMEINDEGRENZEN
Der Talraum
- Die Grenzen nach aussen
Die Eigentums- und Nutzungsverhältnisse
innerhalb des Kirchspiels
Die Verhältnisse im Alpengebiet
8
il)
$
19
DIE AUFTEILUNG DER GEMEINSAMEN
MARK ZWISCHEN SCHAAN, VADUZ UND
ALANKEN, 1787 BIS 1811
AUSBLICK UND SCHLUSS
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
Einleitende Vorbemerkung‘
Das Mittelalter in Liechtenstein, besonders die Aus-
gestaltung der Grundherrschaft und des Genossen-
schaftswesens mit all den Auswirkungen und Ent-
wicklungen bis ins 19. Jahrhundert, ist bis anhin
nur spärlich erforscht. Viele Fragen um die Ent-
stehung der Gemeinden, die Herausbildung ihrer
Territorien, ihrer Rechtspersönlichkeit, Organe und
Satzungen, sind bis heute nur in Ansätzen geklärt,
die entsprechenden Quellen noch nicht eingehend
untersucht worden.
Im folgenden soll am Beispiel der Siedlungen
von Schaan, Vaduz und Planken versucht werden,
einzelne solcher Fragen zu klären. Anlass dazu
bildet die vor 200 Jahren erfolgte Güteraufteilung
zwischen den drei Dörfern. Am 13. August 1797
haben bevollmächtigte Vertreter von Schaan und
Vaduz den Teilungsschlüssel bestätigt, am 19. Au-
gust 1797 beeidigte Schiedsrichter den Marken-
beschrieb deponiert. Damit waren die Gemeinde-
territorien von Schaan, Vaduz und Planken bis auf
wenige Ausnahmen abgesteckt. Die gebietsmässige
Grundlage zur Entstehung der heutigen Gemeinde-
hoheiten war geschaffen. In diesem Sinne konnten
1997 die drei Gemeinden ihren 200. Geburtstag
feiern.
Das Thema des Beitrags wird nicht abschlies-
send behandelt. Es wird lediglich ein vorläufiges
Resultat historischer Forschung grob skizziert, die
noch vertieft werden muss.
Es handelt sich um einen Versuch einer Besitz-
und Nutzungsgeschichte des Bodens im Kirchspiel,
in der Ur- oder Mutterpfarrei Schaan. Diese um-
fasste neben Planken bis 1768 auch den nördlichen
Teil von Triesenberg mit den Weilern Rotaboda,
Fromahus und Prufatscheng.? Vaduz gehörte bis
1842 dazu.
Der Gang durch die Geschichte ist in drei Ab-
schnitte gegliedert. Wir sehen zunächst in ältester
Zeit den Talboden und die Alpen als gemeinsame
Mark kleiner Bauernsiedlungen in Schaan, Vaduz
und Planken, dann in gemeinsamer Nutzung der
drei Dörfer, wobei sich zuerst bei Planken, später
auch bei Schaan und Vaduz, getrennte Nutzungen
abzeichneten. Schliesslich haben wir dann Schaa
ner, Vaduzer und Plankner Gemeindegut vor uns,
das in der Folge nach und nach in den privaten
Nutzen oder ins Eigentum der einzelnen Haushal-
tungen aufgeteilt wurde.
1) Der vorliegende Beitrag wurde als Vortrag am 4. September 1997
im Rathaussaal in Vaduz im Rahmen einer Veranstaltungsreihe
zum 200-Jahrjubiläum der Aufteilung des Gemeingutes zwischen
Schaan, Vaduz und Planken und der Entstehung der Gemeinde-
grenzen präsentiert. Die gleiche Materie wurde teilweise bereits am
4. Februar 1997 im Rahmen einer Ringvorlesung des Historischen
„exikons für das Fürstentum Liechtenstein und des Liechtenstein-
Instituts zur Geschichte der liechtensteinischen Gemeinden in
Bendern vorgelegt. Der Beitrag basiert auf den vor längerer Zeit
zemäachten Studien des Autors (Wirtschaftsgeschichte des Fürsten
jums Liechtenstein im 19. Jahrhundert. In: JBL 1972) und auf
der Sichtung einschlägiger Quellen im Landesarchiv. Anmerkungen
and Nlustrationen sind beigefügt.
2) 1768 erfolgte die Abkurung von Schaan durch Errichtung einer
eigenen Pfarrpfründe für Triesenberg.
3) 1842 löste sich Vaduz von der Mutterpfarrei Schaan und wurde
selbständige Kuratie, 1873 Pfarrei
Frühe Entwicklungen
bis ins 14. Jahrhundert
Der Entstehung und Entwicklung des Eigentums-
begriffes kann hier nicht nachgegangen werden. Es
wäre dies ein eigenes grosses, separat zu behan-
delndes Thema. Es sei lediglich betont, dass die
heutigen Vorstellungen von Eigentum und Besitz
denjenigen früherer Zeiten nicht gleichgesetzt wer-
den dürfen. Die heutigen Begriffe lassen sich nur
mit erheblichem Vorbehalt auf frühere rechtsge-
schichtliche Perioden anwenden.
Privates Eigen gab es in früher Zeit nur bei den
Hofstätten, in unmittelbarer Siedlungsnähe. Das
übrige Land, Riede, Auen, Wälder, Alpen und aller
unproduktive Boden bildeten die freie Mark. Es
war dies Gemeingut der bäuerlichen Siedlungen,
an dem hoheitliche Gewalthaber, der römische
Staat, das karolingische Königtum und später ade-
ige Landesherren, Obereigentum inne hatten. Die
Wurzeln des Eigentums sind im einzelnen unklar.
Rechte am Boden, wie sie uns in den ältesten
schriftlichen Quellen begegnen, sind jedenfalls rö-
mischen und germanischen Ursprungs.
Für die älteste Zeit gibt es kaum Belege für die
Eigentums- und Besitzverhältnisse am Boden. Ar-
chäologische Funde und Namenforschung geben
wenige Hinweise auf die Siedlungsgeschichte und
die Art der Nutzung des Bodens. Aus einzelnen
urkundlichen Quellen, aufgrund der Flurnamen
und der topographischen Gegebenheiten, lassen
sich verschiedene Nutzungsarten wohl lokalisieren,
nicht aber sicher zeitlich einordnen. Wie die Nut-
zungsverhältnisse sind auch die Besitzverhältnisse
anhand der spärlichen zeitgenössischen Quellen-
belege bis ins 14. Jahrhundert nur. ungenau zu
rekonstruieren.
Bei den in den Urkunden dieser Zeit aufgeführ-
ten Grundstücken im Talraum handelt es sich
durchwegs um KEigengüter. Gemeinbesitz ist hier
nirgends direkt erwähnt. Es gab ihn aber sehr
wohl, wie sich aus den späteren urkundlichen
Quellen des 15. und 16. Jahrhunderts erschliessen
jässt. In den Alpen hingegen ist Gemeinbesitz
schon im 14. Jahrhundert urkundlich eindeutig
gelegt.
Der Gemeinbesitz bildete bereits in dieser frü-
nen Zeit einen wichtigen Bestandteil des bäuer-
lichen Betriebes. Hofstätten und Eigengüter (Acker-
und Wiesland, Wein- und Baumgärten) wurden
denn auch «mit aller Zubehör» verkauft, «mit
Weiden, Wäldern, Gestäuden», «mit Weg und Steg,
mit Holz und Feld, mit Stock und Stein, mit Wasen
und Zweig» oder «mit Wunn und Weid, mit Holz
und Feld». So werden in den zeitgenössischen
Urkunden die Nutzungs- und Gewohnheitsrechte
an der gemeinen Mark umschrieben, die an den
einzelnen Höfen und ihren Gütern hafteten. Damit
sind neben Lasten vor allem Rechte am Gemein-
besitz gemeint. Wunn und Weid, Wald und Wasser,
Wege und Stege, bildeten die gemeinsame Mark.
An dieser hatten die Nachbarschaften von Schaan,
Vaduz und Planken Anteil, diese nutzten und ver-
walteten sie zumindest teilweise gemeinschaftlich.
Ein entsprechend organisierter Zusammenschluss
zu einer Markgenossenschaft mit eigenen Satzun-
gen und Organen ist jedoch nicht nachzuweisen.
Die Mark wurde aber als Gemeingut der drei Dorf-
schaften angesehen. Jede nahm das ihr zunächst
gelegene Stück Weide und Wald in ihre Nutzung.
Nutzungseigentum war aber noch nicht ausge-
schieden, Nutzungsgrenzen waren noch nicht vor-
ıanden. Es war dies auch nicht nötig, da für die
damaligen kleinen Siedlungen die Mark als unbe-
schränkt vorhandenes Gut erscheinen musste. Pri-
vatbesitz war beschränkt auf den vom Gemeinland
abgegrenzten engeren Dorfbereich mit seinen Hof-
stätten, Weingärten und Ackerfluren. Die Abgren-
zung erfolgte durch den sogenannten Etter oder
Dorfzaun, der auch als Hecke oder Mauer ausgebil-
det sein konnte.
DAS KIRCHSPIELTERRITORIUM IM TALRAUM
Im Talraum war das Territorium des Kirchspiels
von Schaan, Vaduz und Planken schon seit alter
Zeit abgesteckt. Gegen Norden bildete die Grenze
zwischen Ober- und Unterland auch seine Grenze.
Sie entsprach einer frühkirchlichen Unterteilung
des Landes aus der Spätantike. Die Grenze gegen
Süden bildete in etwa die heutige Gemeindegrenze
zwischen Vaduz und Triesen.
JAHRBUCH
DES HISTORISCHEN VEREINS
FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN
B A N D 98
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
Das Territorium des Kirchspiels deckte sich
wohl mit demjenigen einer Hundertschaft inner-
halb der karolingischen Reichsorganisation oder
einer noch älteren Verwaltungseinheit aus römi-
scher Zeit. In dieser war die Urpfarrei mit der Tauf-
kirche St. Peter in Schaan entstanden. In der
Jrpfarrei sind auch die Anfänge des markgenos-
senschaftlichen Verbandes zu suchen. Kirchliche
Zugehörigkeit, Befugnisse und Pflichten sowie ge-
nossenschaftliche Aufgaben und Leistungen wirk-
ien gemeindebildend. Diese Feststellung gilt auch
für die auf einer Versammlungsstätte ausgeübte
Gerichtsbarkeit, wie sie in Vaduz schon früh nach-
gewiesen ist. Am Anfang der Entwicklung zu den
heutigen Gemeinden Schaan, Vaduz und Planken
standen kleine Gruppen von Bauernhöfen, die zu-
sammen eine markgenossenschaftliche und kirch-
üiche Einheit bildeten.
DIE EIGENTUMSBILDUNG IM ALPENGEBIET
Im Alpengebiet war im 14. Jahrhundert, anders als
im Talraum, die Eigentumsbildung noch im vollen
Gange. Die Einwanderung der Walser im Jahrhun-
dert zuvor war auf Veranlassung der damaligen
adeligen Landesherren erfolgt, auf Siedlungsraum,
iber den diese offensichtlich rechtlich verfügten.
Aus diesem landesherrlichen Obereigentum im
Alpengebiet wurden später weitere Stücke verkauft
und Rechte abgelöst, an einzelne Private und an
Jorfgenossenschaften. Einige solcher Rechtsge-
schäfte aus dem 14. Jahrhundert sind uns bekannt.
In diese Zeit zurück reichen Besitz und Nutzung
des ganzen Malbuntales mit den heutigen Alpen
Bärgi und Grosssteg durch das Schaaner Kirch-
spiel. Das geht aus der Belehnung einiger Walser
mit einem Teil dieses Gebiets hervor, die im Jahre
1355 durch die in das Kirchspiel Schaan gehörigen
Leute erfolgte.*
Die Alpe Guschg wurde 1361 durch die «Gebur-
sami und Genossami» in der Pfarrei Schaan
gekauft, wozu ausdrücklich die in Vaduz ansäs-
sigen Leute gezählt werden.” Der Erwerb des Alp-
besitzes durch das Kirchspiel Schaan im Valorsch-
tal und auf Gritsch ist urkundlich nicht belegt. Er
Jlürfte wohl ebenfalls bereits im 14. Jahrhundert
erfolgt sein.
Über die Art und Verteilung der Nutzung des
Alpbesitzes durch die zum Kirchspiel gehörenden
Dorfschaften haben wir keine Kenntnis. Auch über
Nutzungskonflikte ist nichts bekannt. Solche Infor-
mationen haben wir erst aus den schriftlichen
Quellen des 15. Jahrhunderts.
4) LUB 1/4. Nr. 9, 5. 55-66 und Nr. 52, S. 243-245: Urkunde vom
29, Oktober 1355. - Es ist erstaunlich und kaum bekannt, dass eine
vohl aus dieser frühen Zeit stammende Nutzungsregelung im
Malbun und im Steg bis in unsere Zeit nachwirkt. Die zunächst in
jrivatem Nutzen und später im Eigentum der Walser befindlichen
/Heu-)Wiesen im Talkessel von Malbun (Malbuner Wiesen) mussten
1ämlich seit urdenklichen Zeiten jeweils nach dem 15. August
Viehtrieb und Weide aus den umliegenden Alpen dulden. Dieses
sogenannte Atzungs- oder Trattrecht stand ausdrücklich nicht nur
ler Triesenberger sondern auch der Vaduzer Alpe Malbun zu. Dieser
Umstand weist darauf hin, dass das Servitut in die Zeit der Beleh-
zung von 1355 zurückreicht. Die erwähnte Nutzungsordnung im
raigrund von Malbun (und wohl auch diejenige im Grosssteg) muss
wohl bereits vor der Abgabe eines Gebietsteils an die Walser erfolgt
sein. Der Viehtrieb in die Malbuner Wiesen wurde erst um 1885
(ufgegeben, Die Malbuner Wiesenbesitzer übernahmen auf («ewige
Zeiten» die alleinige Zäunungspflicht gegenüber den umliegenden
Gemeinweiden (vgl. dazu LLA RE 1869, Nr. 258; 1872, Nr. 715;
1900, Nr. 427). Diese Pflicht wurde durch Urteil des Staatsgerichts-
nofes vom 31. Mai 1990 bestätigt (StIGH 1989/14)
3} LUB 1/4, Nr. 12: Urkunde vom 20. April 1361
Die Gemeindeterritorien
uf der «Gemarkungs-
<arte des Fürstentums
Liechtenstein»
\uf der Karte sind die
Grenzen des Schaaner
Kirchspiels markiert:
aördlich die uralte Grenze
zum heutigen Unterland,
südlich die Grenze zu
Triesen und das kirchlich
jis 1768 zur Pfarrei
schaan gehörige Triesen-
jerger Gebiet mit Rota-
oda, Fromahus, Prufa-
:scheng. Gaflei gehörte
is 1615 ebenfalls zum
Schaaner Kirchspiel.
Jer Rhein bildete bis zur
arsten Hälfte des 19.
Jahrhunderts keine feste
Grenze. Auf der Rheintal-
;eite, am Westhang
ler Rätikonkette, sind die
Jlörflichen Siedlungen
antstanden. Im Alpen-
zebiet umfasste das Kirch-
;pielterritorium neben
len Plankner Alpen drei
<uhalpen (Malbun, Gritsch
ınd Guschg) und drei Galt-
viehalpen im Valorschtal.
Zu beachten sind auch die
“lächengrössen. Wenn
nan den Teil des Triesen-
jerger Gebiets mitberück-
sichtigt, entspricht die
Mark der Urpfarrei
Schaan grössenmässig
Jlerjenigen der Dörfer um
len Eschnerberg, dem
1eutigen Unterland. Bal-
zers, Triesen und Triesen-
berg hatten bis Ende des
18. Jahrhunderts ebenfalls
gemeinsamen Besitz.
Diese Mark umfasste in
etwa einen weiteren
Drittel der heutigen Lan-
lesfläche. Dieser Sach-
verhalt wäre einmal einge:
naend zu hinterfragen.
772)
2 MUIOCK
1: ANTEN (politisch. selbstän.
Nafen politisch unselbst5
Tiesenberg
/Zers
hen
nar
L.
..-
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
Schellenberg
Gamprin
Ruggel
=
Prufatscheng
Rotaboda
Erbi
Fromahus
Grenze Kirchspiel
Schaan
Srblehen 1355,
<auf 1652. Der
Grenzverlauf
Grosssteg ist nicht
eindeutig identifi-
ziert
Vermutliche Ab-
zrenzung zwi-
schen Kirchspiel
Schaan und
Triesen
Gebirgsgrat
15. bis 18. Jahrhundert:
Nutzungsstreit um die gemeine
Mark —- Entstehung der
Gemeindegrenzen
Allmähliches Wachstum der Bevölkerung und der
Siedlungen liess das ursprünglich unbeschränkte
Gut der gemeinen Mark mit der Zeit zum be-
schränkten Gut werden. Bei der Nutzung des
Gemeinlandes kam es zu Zusammenstössen zwi-
schen den benachbarten Dorfgenossenschaften.
Nutzungsgrenzen wurden festgelegt. Aus fortge-
setzten Streitigkeiten um die Nutzung resultierte
schliesslich die Aufteilung der gemeinen Mark an
die einzelnen Nachbarschaften. Im folgenden soll
dieser Prozess anhand der Nutzungs- und Besitz-
verhältnisse im Schaaner Kirchspiel vom 15. bis ins
18. Jahrhundert verfolgt werden.
DER TALRAUM
DIE GRENZEN NACH AUSSEN
Im Talraum waren die Grenzen des Kirchspiels
nach aussen mit Ausnahme des unsicheren und
stets umstrittenen Grenzverlaufs am Rhein im
wesentlichen seit langem abgesteckt. Nur verein-
zelt kam es zu Nutzungskonflikten mit den Nach-
barn. So entschied 1481 Freiherr Sigmund von
Brandis Streitigkeiten zwischen den Kirchspielen
Eschen-Bendern und Schaan-Vaduz um Holznut-
zung und Viehweide hinter Planken. Das den Kon-
fliktparteien künftig alleinig zugehörende sowie
das von ihnen gemeinsam zu nutzende Gebiet
wurde durch eine mit Marksteinen gesicherte
Grenze festgelegt.®
In einer Urkunde aus dem Jahre 1497 über
Weidestreitigkeiten zwischen Triesen und den Wal-
lisern am Triesnerberg wird die offensichtlich nie
umstrittene Grenze zwischen Vaduz und Triesen
genannt: «... abwert gegen Trysen Rüffen Egg jn
Ac«manm»schlinnen zun unnd dann daselben grede
usshin jn das tobel, das zwüschend den Vadutzer
und den Tryssneren schnürrichtigs usshin gat ...».
1592 wurden von Graf Karl Ludwig von Sulz
Streitigkeiten zwischen Schaan-Vaduz und den
Leuten im Rotaboda am Triesnerberg um Viehwei-
de und Obstnutzung im Erbi entschieden. Auch
hier wurde das den Konfliktparteien künftig allei-
nig zugehörende sowie das von ihnen gemeinsam
zu nutzende Gebiet durch eine mit Marksteinen
gesicherte Grenze festgelegt.©
DIE EIGENTUMS- UND NUTZUNGSVER-
HÄLTNISSE INNERHALB DES KIRCHSPIELS
Zunächst ist auf die Sonderstellung von Planken
.nnerhalb des Markverbands hinzuweisen. Schon
‚rüh gab es Streitigkeiten, in denen Planken den
Dörfern Schaan und Vaduz entgegen stand. So wies
ain von Graf Rudolf von Sulz 1513 besiegelter Ver-
gleich Vaduz und Schaan das Recht zu, «wie bis-
1er» die Plankner Wälder in Bann zu legen. Die
Plankner durften lediglich Brenn- und Bauholz für
aigenen Bedarf schlagen, Bauholz nur an Vaduz
und Schaan verkaufen. Rodungen durften sie nur
nit Bewilligung der Vaduzer und Schaaner vorneh-
men. Schliesslich wurden auch der Weidgang und
das Obstleserecht für die Plankner geregelt.”
1596 klagte Planken wegen des Obstleserechts
erneut gegen Schaan und Vaduz. Planken wurde
das Recht innerhalb festgelegter Grenzen zugestan-
den. '9
Holz-, Weide- und andere Nutzungsrechte wa-
ren auch später bis zur Aufhebung der Mark und
Aufteilung des Gemeinbesitzes Gegenstand einer
Reihe von Konflikten zwischen Planken und den
beiden Dörfern im Tal. Planken blieb aber bis
dahin mit der Mark verbunden. Wenn im Kirch-
spiel Gemeinbesitz «eingelegt» und zur privaten
Nutzung ausgegeben wurde, erhielt jeweils auch
Planken seine Gemeindsteile zugewiesen. So be-
schlossen 1738 die Gerichtsleute und Geschwore-
nen von Vaduz und Schaan, jeder der 28 Haushal-
jungen von Planken 200 Klafter Land zuzuteilen.!!
Noch 1794 teilten die Bevollmächtigten von Schaan
and Vaduz der Gemeinde Planken auf ihr Ansu-
;hen hin zu bisherigen 11 an der «Melchegg» gele-
zenen Gemeindeteilen 17 neue zu.'®
Die erwähnten Streitfälle sowie der Umstand,
dass Planken weder in den Ordnungen über Wald
ınd Aunutzung noch bei Alpkäufen, -verkäufen
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
und -streitigkeiten neben Schaan und Vaduz als
Partei aufscheint, sind Hinweise auf eine frühe
Eigenentwicklung und Absonderung der abgelege-
nen Bergsiedlung.
Auch alle in sogenannten Gemeindsbriefen ge-
troffenen Regelungen über Einkäufe und Verteilung
von Ein- und Abzugsgebühren zeigen die Sonder-
stellung von Planken innerhalb des Kirchspiels.'®
Nun zur Nutzung der Talebene.‘* Neben ver-
schiedenen Wuhrbriefen können zwei bislang nicht
ausgewertete Urkunden dazu einigen Aufschluss
geben. 1504 vermittelte Freiherr Ludwig von Bran-
dis einen Vergleich zwischen seinen «armen lütten,
der von fadutz, und schan» in Sachen Sstrittige
Auen. Es wurde festgelegt, welche Auwälder gero-
det werden durften, und welche in Bann bleiben
mussten. Eine Nutzungszuteilung erfolgte nicht.
Gebannte und nicht gebannte Auen sollten die
Schaaner und Vaduzer «zu beider sitten, mitt ain
annder, wunen, niessen, und bruchen und ha-
ben».!® Die Rheinebene wurde also zu dieser Zeit
von den beiden Dörfern gemeinsam genutzt. Aus
den gebannten Auwäldern wurde das für die
Rheinwuhre benötigte Holz geschlagen.
Bereits um 1600 war ein erster Teil der gemein-
samen Mark eingelegt und in den privaten Nutzen
ausgeteilt worden. Im sulzisch-hohenemsischen
Urbar, datiert um 1617/19, werden nämlich «108
neu ausgestockte Mühleholzteile» erwähnt, die mit
einem jährlichen Zins von zwei Schilling pro Teil an
die Landesherrschaft belegt sind.!® Es handelt sich
dabei um eine Abgabe für den Jagdnutzen, der der
Herrschaft durch die Urbarisierung des Bodens
entgangen war. Die 108 Gemeindsteile entsprechen
der Zahl der damals in Schaan und Vaduz nut-
zungsberechtigten Haushaltungen und erlauben
einen Rückschluss auf die Grösse der beiden dörf-
lichen Siedlungen.
Interessant im Zusammenhang mit den Fragen
um <«Gemeineigentum> und <Herrschafts- oder
Obereigentum)» ist der auf Bitten der «underthanen
beeder gemainden Vadutz unnd Schan» im Jahre
1672 erfolgte Verkauf von Gütern in den Rheinauen
durch Graf Karl Friedrich von Hohenems. Die
Gemeindsleute hatten die überschwemmten Güter
6) GAV U1, GAG U2, Urkunde vom 1. Februar 1481.
7) GAT U16, Urkunde vom 5. Mai 1497. Beschreibung der Grenze zu
Triesen südlich der Flur Maschlina.
8) GAV U2, GATb U33, Urkunde vom 20. April 1592.
9) GAP U1, GAS U7, AlpAV U19, Urkunde vom 20. Mai 1513.
10) GAP U4, Urkunde vom 9. August 1596.
11) GAP 8, Bestätigung eines am 18. Juni 1738 abgeschlossenen
Vertrags «Entzwischen der Ehrsamben Gemeint Vadutz und Schann
dan denen Gemeintsleuthen ab Blankhen» durch die fürstliche
Kanzlei, 15. Dezember 1740, sowie GAP 7, Regelung für die Vergabe
von Gemeindeteilen an die Einwohner von Planken, 12. Juni 1740.
12) GAP 21, «Teilungsschrift von den klagenten gemeinds genoss
von der gemeind blanken für neu aus gebente gemeinds gütcr ab der
9ber blancken ab den Rütenen» vom 9. April 1794.
13) 1605 wurde ein Streit über Ein- und Abzugsgebühren zwischen
Planken einerseits und Vaduz und Schaan andererseits beigelegt.
Die Gebühren für nach Planken einheiratende Frauen wurden
zwischen den Konfliktparteien hälftig geteilt (GAP U6, Urkunde vom
7, Januar 1605). Nach einem vom OÖberamt vermittelten Vergleich
von 1733 betreffend den «Einkauf der {remden Weibspersonen in
den Gemeinden der obern Herrschaft» wurde die Einkaufstaxe für
von Balzers, Triesen oder Triesenberg «in die gemeindt schaan und
Vaduz» einheiratende Frauen mit 25 Gulden festgelegt. Die Braut-
einkaufstaxe für eine nach Vaduz oder Schaan heiratende Plank-
nerin betrug hingegen 18 Gulden. Zwischen Schaan und Vaduz, die
einen einzigen Bezirk bildeten, waren keine Taxen zu entrichten
(LLA RA 29/1/3, Vergleich vom 14. Januar 1733). 1740 verglich sich
die «gemaindt vaduz und schan» mit der «unteren Herrschaft
Schellenberg» wegen des strittigen Abzugsgeldes. Dabei wurde
ausdrücklich festgehalten, dass aber der «ein Kauff in die gemaind
‚en und alpen» solle «in seiner sach verbleiben, wie solches allzeit
ist geübt worden» (GAS Nr. 129, Vergleich vom 25. März 1740).
1759 erliess «ein ehrsamme gemeindt Vaduz und Schan» eigene
Einkaufsbestimmungen gegenüber der Herrschaft Schellenberg und
dem Ausland (GAV U5a, vom Oberamt bestätigter Gemeindsbrief,
23. Juli 1759). Planken erliess 1760 separate Einkaufsbestim-
mungen (LLA RA 42/2 sowie LLA RA 29/1/4, Einkaufsregelungen
der «Gemeind» oder «Gnoss auf Plankhen» vom 20. Oktober und
19. November 1760). 1781 einigten sich die Vertreter der Gemein-
den Schaan, Vaduz und Planken bezüglich des strittigen Einkaufs-
geldes von nach Planken einheiratenden Frauen. Die 1605 beschlos
sene hälftige Teilung wurde bestätigt (GAP P17, Vertrag vom 25. Ma
1781).
14) Vgl. dazu Schläpfer, Reto: Lebensgrundlage oder Lebensbe-
drohung. Nutzung der Rheinauen zwischen Balzers und Sennwald
im 15. Jahrhundert. Lizentiatsarbeit am Historischen Seminar der
Universität Zürich, 1997
5) LLA RA 10/2/8/1, Urkunde vom 29. Oktober 1504.
(16) LUB 1/4. S. 410.
dem Rhein wieder «aus dem Rachen gezogen» und
nutzbar gemacht. Um 50 Gulden überliess der
Graf die ihm «iure zu einem Wildtstandt zue-
khommene guetter». Künftig sollten die beiden Ge-
meinden mit den genannten Auen und Wiesen
nach Belieben schalten und walten, sie ohne jede
Einrede aufwachsen lassen oder roden dürfen.‘
In diesem Rechtsgeschäft berühren sich Gemein-
und Obereigentum. Der Kauf von 1672 erhellt eine
jahrhundertalte Rechtsentwicklung: Auf Jagdrecht
reduziertes Obereigentum wird von gemeinen, zu
Eigentum sich wandelnden Nutzungsrechten ver-
drängt. Im sulzisch-hohenemsischen Urbar (um
1600) werden die Schaaner und Vaduzer Au als
«der Herrschaft eigen» bezeichnet.'® Noch 1805,
als die Privatisierung der Auen zur Diskussion
stand, erwähnte Landvogt Menzinger dieses Herr-
schaftseigentum an den Auen als «dominium di-
rectum». Er räumte dabei aber ein, dass das Nut-
zungseigentum, das «dominium utile», nämlich
Weiderecht und Holznutzen, unstrittig der Gemein
de gehöre.'?
1704 beschloss die «Gemaindt Vaduz unnd
Schan» die «aussgebung der aigenthumblichen Aw
unnder den Schaner Wisen».“° Wo ist diese Au, wo
sind die Schaaner Wiesen zu lokalisieren? Eine
Skizze des Rheinverlaufs aus dem Jahre 1790*' gibt
uns eine Antwort. Danach dürfte die Au nördlich
der heutigen Zollstrasse gegen den Rhein zu gele-
gen haben.
Gemäss Beschluss von 1704 wurde die Au aus-
gemessen, die Teile wurden als fällige Gemeinds-
teile zur privaten Nutzung an die Gemeindsleute
ausgegeben. Die Au sollte als «Wieswachs»>, das
heisst als Heuwiese gebraucht, der Zu- und Abtrieb
von Vieh sollte wie bei den anderen Wiesen beste-
hen bleiben. Gleichzeitig wurde das Anrecht auf
einen Gemeindsteil umschrieben und das Einkaufs-
geld für Fremde und für eingeheiratete Frauen
festgelegt. Und «weilen vor hochnothwendig dem
Newen Gueth unnder dem Hoch Gericht“, sein
Steeg und Weeg ab- und darzuezuefahren, zue zai-
gen, unnd zuenambsen», d.h. weil es für dringend
nötig erachtet wurde, vom Galgen an der Triesner
Grenze angefangen, jedem die Zufahrtswege zum
neu eingelegten Gut anzuweisen, wurden die Trieb-
und Fahrrechte im ganzen gemeinsamen Gebiet
geregelt. Dabei wurden den einzelnen Siedlungs-
teilen eigene Wege und Triebe von und zur einge-
ıegten Au zugeordnet:“*
«Die Vaduzner, unnd die von der Guschg, nam:
mens OberGass- und Winckhel“*, wie auch die Zu-
schger»? (sollten) «nach ihrer Komblichkheit an-
fengklich von der Aw dem Rhein nach, neben der
Gemeindtwis an denen gewöhnlichen weeg, unnd
dan hinauff dem alten wisen weg nach auf die alte
weegsame zwischen dem Schaner Äwle% und
17) GAS U35, Urkunde vom 20. Dezember 1672,
18) LUB 1/4, S. 340.
19) LLA RA 32/2/29, Menzinger an fürstliche Hofkanzlei, 1. März
1805.
20) GAS 38/10/147, «Proiect» vom 13. Dezember 1704, vom Ober-
amt am 21. April 1713 bestätigt.
21) LLA RA 41/6/2/31: Skizze des Rheinverlaufs von Landvogt
Menzinger, 1790.
22) Richtstätte «bim Galga» in der Rütti, westlich vom Meierhof, an
der Gemeindegrenze zu Triesen.
23) Die Zuordnung erfolgt in der Reihung der geographischen Lage
der verschiedenen Dorfteile von Süden nach Norden, von der
Triesner Grenze bis an den nördlichen Dorfrand von Schaan.
24) Mit «die von der Guschg, nammens Öhbergass- und Winckhel» ist
der Dorfteil von Schaan bezeichnet, dessen alpberechtigte Hofstätten
zemäss Teilungsbeschluss von 1503 zur Alpgenossenschaft Guschg
zugeordnet sind.
25) Die Bezeichnung «Zuschger» ist nicht sicher zu identifizieren
und zu lokalisieren. Gemeint sind vermutlich entweder die Rodfuhr
'eute oder die bei der Zuschg, der Verladestation für Waren im
zodfuhrverkehr, wohnhaften Leute. Der Standort der Zuschg wäre
dann im Bereich der Strassenkreuzung St. Peter/Wiesengasse zu
suchen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Schaan 1703
gine neue Zuschg errichtete und 1704 an einer Zusammenkunft in
Bregenz eine neue Rodordnung beschlossen wurde (vgl. Bieder-
mann, Klaus: Das Rod- und Fuhrwesen im Fürstentum Liechten
stein. In: JBL 97, 1999, 5. 77 £.).
26) Das «Schaner Äwle» ist wohl im Bereich der heutigen Flur
«Äule», nördlich der Rüttigass rheinwärts, an der Grenze zu Vaduz
zu lokalisieren.
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
«Rheinverlauf 1790»
Situierung der Au auf der
Landeskarte der Schweiz,
1998
Vermutliche
Situierung der im
Plan von 1790
eingezeichneten
Güter von Schaan
1790 ist die Landesgrenze
‚Mm Rhein noch nicht
ausgebildet. So liegen die
Schweizer oder Buchser
Wiesen b) rechts-, die mit
a) bezeichneten Triesner
Heuwiesen linksrheinisch.
Die 1704 eingeschlagenen
Schaaner Wiesen dürften
auf dieser Skizze den mit
dem Buchstaben (€) als
«Schaner Güter» bezeich-
neten Grundstücken
entsprechen. Die mit dem
Buchstaben @) gekenn-
zeichneten «Schaner
Wiesen» entsprechen wohl
dem 1704 verbliebenen
«Rest» an gemeinsam ge-
nutztem Wiesland.
Ausschnitt aus der «Kollef-
‚el-Karte» von 1756
Auf dieser Karte lässt
sich die skizzierte Ent-
wicklung der Gemein-
ıeitennutzung und -teilung
m Talraum gut erkennen.
?rivatgüter, vor allem aber
zum privaten Nutzen
angelegte, eingeschlagene
Gemeinheiten deckten
damals grössere Teile der
gesamten Landesfläche.
Auch den 1704 anlässlich
der Auteilung festgelegten
Fahr- und Triebwegen
<ann auf dieser Karte gut
nachgegangen werden.
vermutliche
Trieb- und Fahr-
wege 1704
..-.
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
PL
FA
NÜCTT <=
6
Hz ;
Gapetsch*‘ schnurgrad der BarthlenGrossGassen*®
zue» (fahren) «und sich der Gemainen Aw des Fah-
rens halber, es seye mit vollem, und lährem Waa-
gen, wie von altershero, bemüssigen».
Die «schaner aber»“ sollten «ihren gewohn-
lichen abranckh nehmen auff die wisen Gassen“®,
unnd alldan fern eines ieden schaden unnd Nach-
theill fahren, unnd in dem Weeg verbleiben».
- Die «Speckner* unnd «Lindawer»*? sollten das
gdied in Stegen und Wegen «zum wenigsten Scha-
den» gebrauchen und «nit einem weeg nachfah-
ren». Im Feld «Boffel»?** aber sollten sie keine
Fahrrechte haben. Allenfalls zugefügter Schaden
sollte gebührend abgetragen werden.
Diese Auteilung und Fahrregelung aus dem Jah-
ce 1704 zeigt es: Der Boden der Talebene wurde
damals von den Bewohnern von Schaan und Vaduz
gemeinsam genutzt. Die als Heuwiesen zur priva-
‚en Nutzung eingelegten und ausgegebenen Auteile
wurden von allen Hofstätten der beiden Dörfer aus
venutzt. Die Nutzung wurde in einer gemeinsam
geschlossenen Gemeindsordnung geregelt.
Ähnlich wie der Talboden wurden auch die Wäl-
der von Schaan und Vaduz gemeinsam genutzt.
1530 erliess Graf Karl Ludwig von Sulz eine Ord-
aung über die Bannung der Wälder in Vaduz und
Schaan. 1559 gaben sich die beiden Dörfer eine
von der gräflichen Obrigkeit genehmigte Holzord-
nung. Sie wurde später im wesentlichen unver
ändert verschiedentlich bestätigt und diente sogar
als Vorlage für die hohenemsische Waldordnung
(ür die Herrschaften Vaduz und Schellenberg. Da-
nach hatte jede Hausstätte jährlich ein bestimmtes
Quantum Brennholz zugut. Bau- und Zimmerholz
durfte nur auf Anweisung der Geschworenen ge-
schlagen oder verkauft werden. Ähnlich wie in den
Auwäldern waren auch in den Wäldern am Berg-
hang eigens bestimmte Partien in Bann gelegt. Hier
war der Holzschlag verboten.
Vor der Ende des 18. Jahrhunderts erfolgten
Bodenteilung zwischen den drei Dörfern kann
nan die Nutzungs- und Besitzverhältnisse zusam-
menfassend so schildern: Private Eigengüter befan-
den sich im engen Bereich der dörflichen Sied-
lungen, die durch Zäune vom angrenzenden Ge-
meinland abgetrennt waren. Am Rande der Dörfer
und auf geeigneten Lagen des Talraums gab es
ebenfalls intensiv genutztes Land (Wiesen, Äcker,
Gärten). Es handelte sich um zugewiesenes Ge-
meingut. Auf den ursprünglich gemeinsam, in
dieser Zeit aber privat und intensiver genutzten
eingelegten Flächen, den sogenannten Gemeinds-
‚eilen, haftete das Atzungsrecht. Diese mussten im
Frühjahr und Herbst für den gemeinschaftlichen
Viehtrieb, für die sogenannte Gemeinweide geöff-
net werden. Die grossen Flächen des nicht einge-
legten Gemeingutes (Auwälder, Auwiesen, Streue-
ınd Weideriede) wurden gemeinsam genutzt. Vieh-
auftrieb und Nutzung wurden von den Geschwore-
1en der drei Dörfer geregelt.
Die gemeinsame Nutzung der Gemeinheiten gab
immer wieder Anlass zu mancherlei Auseinander-
setzungen zwischen den benachbarten Dörfern.
Bald ging es um die Holz- und Weidenutzung, bald
um die Verteilung von Lasten und Pflichten, wie
Unterhalt von Wegen, Brücken, Zäunen und Wuh-
ren.
Mit dem Wachstum der Bevölkerung wurde es
nötig, Gemeindsteile für neue Hofstätten bereit-
zustellen. So wurden denn nach gemeinsamer Ab-
sprache in Schaan und Vaduz weitere Teile des ge-
meinschaftlich genutzten Talbodens eingelegt und
in den privaten Nutzen verteilt. Gemäss Gemeinds-
brief von 1740 gab es Mühleholz-, Aule(Au)-, Rüti-
und Gartenteile. Eine Haushaltung, die von allen
Teilen nutzte, hatte jährlich zwei Gulden zu bezah-
‚en. Jede Einlegung bedeutete eine Schmälerung
des Gemeingutes. Die Mehrheit der Gemeindsleute,
die alte Gemeindsteilungen nutzten, wehrten sich
gegen eine weitere Verringerung des für den ge-
meinsamen Nutzen verbliebenen Bodens. So er-
gaben sich Spannungen, nicht nur zwischen den
Nachbarschaften, sondern auch innerhalb dersel-
ben.
Die Mehrheit der Viehbesitzer, die bereits über
alte, zum Sondernutzen gewordene Gemeindsteile
verfügte, stand einer Minderheit von Haushaltvor-
ständen gegenüber, die teils schon seit vielen Jah-
ren vergeblich auf eine Gemeindsteilung warteten.
Solche Ungleichheiten schürten Hass und Streit in
+
J A H R B U C H
DES HISTORISCHEN VEREINS
FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN
BAND 98
VADUZ, S E L B S T V E R L A G DES HISTORISCHEN
VEREINS FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN, 1999
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
den Dörfern. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts
kam es schliesslich zur Aufteilung des Gemeingutes
zwischen Schaan und Vaduz. Diese Aufteilung zwi
schen den Dörfern war Voraussetzung für weitere
Nutzungszuteilungen und für die spätere Privati-
sierung grosser Teile des Gemeinguts.
DIE VERHÄLTNISSE IM ALPENGEBIET
Im Gegensatz zum Talraum erfuhr das Kirch-
spieleigentum im Alpengebiet noch bis ins 17. Jahr
hundert verschiedene Veränderungen. Die Leute
und Vertreter der beiden Dörfer Schaan und Va-
duz, oder die «ganze Gemeind zu Schaan und Va-
duz», oder die «Gemeinden der zwei Dörfer Vaduz
und Schaan», erscheinen verschiedentlich als Par
teien in Grenz- und Nutzungsstreitigkeiten mit
Triesen (1514, 1516, 1602)°® und Triesenberg (1516,
1569, 1589, 1643)*. Auch als gemeinsame Verkäu
fer von Alpen begegnen uns Schaan und Vaduz.
1615 verkauften sie einigen Triesenbergern
Gaflei,*® 1652 den «Gemeindsleuten am Triesner-
berg» jene Alpen, die sie ihnen 1355 als Erblehen
überlassen hatten.*! Gaflei wurde übrigens 1952
und 1955 auf Beschluss der Bürgerversammlung
wieder in Vaduzer Gemeindebesitz gebracht.“
Auffällig ist, dass Planken neben Schaan und
Vaduz in allen Urkunden zu den genannten Rechts-
geschäften nie als Partei erwähnt wird. Offenbar
hatte Planken, das in der gleichen Zeit auf der
Rheintalseite in ständigem Nutzungskonflikt mit
Schaan und Vaduz stand, gar kein Miteigentum an
den Alpen.
Die Alpen sind spätestens im 15. Jahrhundert
zwischen den einzelnen Dorfschaften des Kirch
spiels in den Nutzen aufgeteilt worden. 1503 trenn-
ten die Schaaner die Benützung von Guschg und
Gritsch.*® Es handelte sich um eine sehr differen-
zierte Aufteilung mit genau festgelegtem Wertaus-
gleich. Vaduz wurde in diesem Teilungsgeschäft
mit keinem Wort erwähnt. Man muss daher anneh-
men, dass die Vaduzer in dieser Zeit die dritte gros-
se Alpe im Malbun bereits allein bewirtschaftet
hatten. Und in der Tat befanden sich die «gemai-
27) Gapetsch, Schaaner Flur südwestlich des Dorfes, westlich der
Sax, südlich der Wiesengasse, die auch Wesagass genannt wird
(vgl. Anm. 30).
28) Die «BarthlenGrossGasse» ist wohl mit der Lochgasse, einer
alten Wegverbindung zum Rhein in der Vaduzer Flur Bartlegrosch,
zu identifizieren.
29) Die «schaner» werden im Text von den Guschgern unterschie-
den. Ihnen wird ein eigener Fahr- und Triebweg gewiesen. Die
Vermutung liegt nahe. dass mit den Schaanern die Leute nördlich
der Obergass und von St. Peter gemeint sind, also die in dem der
Alpgenossenschaft Gritsch zugewiesenen Dorlteil Wohnhaften.
30) Wesagass, Gasse unter St. Peter, in westlicher Richtung über die
Wesa zum Rhein, zur früheren Rheinfähre führend.
31) Gemeint sind die in der Specki, dem nördlichen Dorfteil von Schaan,
unterhalb der alten Pfarrkirche und des Friedhofs wohnhaften Leute
32) Mit «Lindawer» sind die im «Lindauer Dorfteil» in Schaan wohn-
ıaften Leute gemeint. Der Name «Lindauer» ist heute nicht mehr
geläufig und kommt auch in der Datensammlung des Liechtensteiner
Namenbuchs nicht vor. Über einen Hinweis von Dr. Rupert Quaderer
din ich im Gemeindearchiv Schaan auf ein «Gesuch des Lindauer-
dorftheiles zu Schaan» vom 17. Juli 1877 um Erstellung eines Lauf-
prunnNens in diesem Dorfteil gestossen. Danach dürfte es sich um die
zur Alpgenossenschaft Gritsch gehörenden Hofstätten entlang der
„andstrasse, nördlich von St. Peter und südlich des Lindenplatzes,
gehandelt haben. Der Dorfteil grenzte also an die nördlich des Lin-
denplatzes gelegenen Specki, am Rande des Rieds. Vgl. dazu auch
unten, S. 28, Anmerkung 98 und Abbildungen auf Seite 30 und 31
33) Das heisst wohl möglichst direkt und nicht über die anderen Wege.
34) In Schaan gibt es zwei Fluren namens Bofel, eine südwestlich
des Dorfes zwischen Wesa und Gapetsch, die andere nordwestlich
des Dorfes, im Meder. Es ist nicht eindeutig, wo das hier genannte
zeld «Boffel» zu lokalisieren ist. Das Fahrverbot für die Leute ans
nördlichen Dorfteilen dürfte aber doch eher für die südlich gelegene
Flur gedacht gewesen sein.
35) LLA RA 10/2/8/2/4 und 5, Urkunde vom 30. April 1559.
36) Zur Waldnutzung vgl. Ospelt. Alois: Zur Geschichte des Vaduzer
Waldes. In: Der Vaduzer Wald. Hrsg. Gemeinde Vaduz. Vaduz, 1981.
S. 43-45.
37) LLA RA 42/2, Gemeindsbrief, beschlossen am 31. März 1739,
vom Oberamt bestätigt am 30. März 1740.
38) GAS U8a, Urkunde vom 10. Oktober 1514, GAS U8, Urkunde
vom 1. Mai 1516, GAT U40, Urkunde vom 1. Mai 1602.
39) GATb U32, AIlpAV U20, Protokollauszüge des Landgerichts
Rankweil vom 30. Juni 1516: AIpAV U7, Urkunde vom 27. Septem-
ber 1569; AIpAV U22b, Urkunde vom 22. September 1589;
AIlpAV U9, Urkunde vom 1. August 1643.
40) GAV U4, Urkunde vom 25. Juli 1615.
11) GATb U6, AlpAV U8, Urkunde vom 26. Februar 1652
42) Seger, Otto: Vaduz. Ein Heimatbuch. Vaduz, 1956, 5. 52.
43) GAS U5, Urkunde vom 12. März 1503.
u
nen nachgepuren und alpgnossen von vadutz der
alpp albon» bereits 1483 im Streit mit einem Wal-
ser am Triesenberg, der ihnen den Viehtrieb über
seinen Boden zu ihrem Stafel im Malbun versperr
te. Sigmund Freiherr von Brandis erzielte einen
Vergleich in einer Rechtsache, die mit dem 1355
degründeten Erblehen zusammenhing.** Das Bran
disische Urbar, entstanden zwischen 1505 und
1510, führt unter den Alpen wörtlich an: Die
«Vaduzer Alp, heisst Malbun».* Die grossen Kuh-
alpen des Kirchspiels, Guschg, Gritsch und Malbun.
waren also nicht, wie verschiedentlich angenom
men, erst im 17., sondern mindestens zwei Jahr-
nunderte früher zwischen Schaan und Vaduz ge-
‘eilt worden. Das Teilungsverhältnis erlaubt einen
Rückschluss auf das bevölkerungsmässige Grös-
senverhältnis der beiden Dörfer zueinander.
Je nach Interessenlage konnten sich auch unter-
schiedliche Allianzen zwischen den Dörfern, ja
zwischen den einzelnen Dorfteilen oder Alpgenos-
senschaften, ergeben. Dies zeigt ein Konflikt aus
dem Jahre 1627.*® Es ging um die im Erblehenver-
rag von 1355 vorgesehene gemeinsame Nutzung
des sogenannten Gamswaldes durch die Walser
ainerseits und die Schaaner und Vaduzer anderer-
zeits. Konfliktparteien waren nun aber nicht das
Kirchspiel Schaan-Vaduz und die Triesenberger.
Vielmehr stellen sich die Triesenberger und Vadu-
zer gemeinsam gegen die Guschger Alpgenossen,
während die Gritscher sich ausdrücklich aus dem
Streit heraushielten. Letztere waren im strittigen
Bereich nicht Anstösser, hatten keine eigenen In-
‚eressen zu vertreten und mieden daher allfällige
Prozesskosten.
Eine «wunderschöne Pergamenturkunde» war
noch vor wenigen Jahrzehnten die Zierde des Ar-
chivs der Alpgenossenschaft Vaduz. Sie ist leider
abhanden gekommen, ihr Inhalt nur noch in einer
Abschrift*” überliefert: Auf den St. Peter und Pauls-
tag, 29. Juni 1643, bot der amtierende Landam-
nann Thomas Hilti aus Vaduz alle Einwohner von
Schaan und Vaduz «zu einer öffentlichen Gemeinde
zwischen den beiden Dörfern bei dem Mühlbach»**
auf. Um «Missverstand» zu beseitigen, der sich
zwischen den Gemeindsleuten von Schaan und
Vaduz ergeben hatte «wegen Irer gemeinde Oxen
Alp Falorss deren Weidniessung halben», vermit-
telte der Landammann eine Alpteilung. Den Vadu-
zern wurde «hinden gegen Guschg auf dem wissli»
ein eigener Teil, die heutige Alpe Hintervalorsch, in
gesetzten Marken zugewiesen. Ein beachtenswer-
ter Vorgang ist hier bezeugt, eine Versammlung der
Gemeindsleute von Schaan und Vaduz, die sich ein-
hellig für eine Alpteilung aussprechen. Es siegelte
“ür die Schaaner alt Landammann Adam Walser,
‚ur die Vaduzer Landammann Thomas Hilti.
In etwa seit dieser Zeit halten die «Gnoss-
bücher» der Alpgenossenschaft Vaduz in ununter-
brochener Folge die Einkäufe in die Genossen-
schaft fest.” Es handelte sich dabei ausnahmslos
um in Vaduz sesshafte Leute.
Spätestens seit dem 17. Jahrhundert standen die
Alpen im Nutzungseigentum von eigenen, von der
Dorfgenossenschaft losgelösten Alpgenossenschaf-
ten. Dies belegen die erwähnten Vaduzer «Gnoss-
bücher» und die ältesten Gemeindsbriefe.”“ Dort
wird eigens darauf hingewiesen, dass der Gemein-
deeinkauf ohne den Alpeinkauf erfolgt. Dieser ist
separat zu entrichten. In den Gemeindsbriefen
oder Gemeindeordnungen finden sich keinerlei
Hinweise auf den Alpnutzen. Gemeindsrecht be-
deutete in Schaan und Vaduz nicht auch Alprecht.
Bei der Einführung des Grundbuchs im Jahre 1809
wurde denn auch nicht die Gemeinde als Eigen-
tümerin der Alpen eingetragen, sondern die da-
mals alpberechtigten Gemeindebürger.”'
| {°
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
Die Aufteilung der
gemeinsamen Mark zwischen
Schaan, Vaduz und Planken,
1787 bis 1811
Am Ende des 18. Jahrhunderts setzte ein mehr-
jähriger Streit zwischen Schaan und Vaduz ein, in
den später auch Planken einbezogen wurde. Der
Streit endete mit der Auflösung der ehemaligen
gemeinsamen Mark und führte zur Aufteilung des
Gemeinguts. Auf diese Weise sind die heutigen Ge-
meindeterritorien entstanden.
Gestritten wurde einerseits zwischen den Dör-
fern, andererseits zwischen denen, die bereits
Gemeindsteile hatten, und denen, die darum an-
standen. Es ging nicht nur um die Bodenteilung,
sondern auch um die Gemeinleistungen, sogenann
te Gemeinfronen oder Gemeinwerke wie Wuhr-
und Dammarbeit, Grabenöffnung, Weideräumung
und Strassenunterhalt. Die Meinungen der Ge-
meindevorstände und der Bewohner beider Dörfer
waren geteilt. Das Oberamt erstrebte nicht nur die
Teilung zwischen den Gemeinden, sondern gar die
Auflösung und letztlich Privatisierung der Gemein-
heiten. Die Vaduzer Vorgesetzten sahen in der
Trennung von Schaan die einzige Möglichkeit, um
die Bittsteller zu befriedigen. Schaan sah seine
Vorteile gefährdet und unternahm alles, um die
Teilung zu verhindern oder wenigstens hinaus-
zuschieben. Das Teilungsgeschäft war eine äus-
serst schwierige und verwickelte Angelegenheit.
Auch die Plankner und gar die Buchser Gemeinds-
leute waren einzubeziehen. Die Oberamtsakten
darüber füllen zwei Archivschachteln.”* Die Akten
enthalten eine Fülle von Informationen zur Ge-
meindegeschichte. Im folgenden seien einige der
Dokumente herausgegriffen und deren Inhalt in
chronologischer Abfolge auszugsweise wiederge-
ben. Die ganze Teilungsgeschichte ist sehr weitläu-
fig und böte Stoff für eine grössere Abhandlung.
Die Oberamtsakten über die Streitigkeiten set-
zen 1787 ein. Die Frage der Bodenteilung zwischen
Schaan und Vaduz hatte das Oberamt aber schon
früher beschäftigt. Dies .belegt ein nicht datierter,
aber eindeutig älterer «Ohnvorgreifl.[icher] für-
schlag, wie die Hölzer undt Auwen Zwischen der
Gmaind Vaduz und Schan ohngevärlich abzutailen
sein möchten». Das Dokument enthält detaillierte
Angaben für die Teilung und Grenzziehung zwi-
schen den beiden Dörfern.
1787 ging es noch nicht um eine Gebietsauf-
teilung zwischen den beiden Dörfern. Es sollte le-
diglich, wie schon in früheren Jahren, erneut «ein
gewisses Stuckh au zu Heu wachs mit Mayen, und
gemeiner Herbst azung» eingelegt werden. Die
Rede war von einem «schon lang herumgezogenen
Geschäfft». Die Teilungsbestrebungen hatten dem-
aach schon seit längerer Zeit bestanden. Da die
MVühleholzteile durch einen Rüfegang beschädigt
worden waren, sollte jetzt durch eine Neueinlegung
von Gemeingut Ersatz geschaffen werden. Eine
Einlegung sollte im Neugut, eine zweite unterhalb
des Möliholz erfolgen. Entsprechende Beschlüsse
wurden an getrennt stattfindenden Gemeindever-
sammlungen in Schaan und Vaduz gefasst. Das Tei-
lungsgeschäft führte zu Streitigkeiten zwischen den
14) AIpAV U18, Urkunde vom 1. Januar 1483.
45) LUB 1/4, S. 273.
416) LLA RA 10/2/8/3/7-12, Gräfliche Amtsakten 5. Juli bis 16. Sep-
‚ember 1627.
17) AIpAV U2, Urkunde vom 29. Juni 1643 (Abschrift von Josef
Ispelt).
18) Die «Gemeinde», d. i. die Versammlung der stimmberechtigten
Haushaltvorstände fand auf der halben Distanz zwischen den beiden
Dörfern im Möliholz statt.
49) AIpAV, «Gnossbuch», ältestes Genossenschaftsbuch mit Einträ-
zen über Einkäufe, Rechnungswesen etc. 1641 bis 1732; Genossen-
schaftsbuch (Fortsetzung), 1733 bis 1834.
50) In der am 14. Januar 1733 vom Oberamt vermittelten und
jestätigten Übereinkunft über den «Einkauf der fremden Weibs-
Jersonen in den Gemeinden der obern Herrschaft» wurde ausdrück-
ich festgehalten, dass die Einkäufe in die «gemeindt schaan und
Yaduz» ohne den Alpeinkauf erfolgen. Dieser sei gesondert zu
»ezahlen (LLA RA 29/1/3, Urkunde vom 14. Januar 1733; vgl. Anm.
13 oben). Der Gemeindsbrief der «Löbl. gemaindt Vaduz und
Schaan», beschlossen am 31. März 1739, vom Oberamt bestätigt am
30. März 1740, regelt die Einzelheiten der Voraussetzungen für
die Zuteilung und Nutzung von Gemeindsteilen, sowie die Rechte
ind Pflichten der teilnehmenden Gemeindsleute. Er enthält keinerlei
linweise auf die Alprechte (LLA RA 42/2; vgl. Anm. 37 oben}.
31) Als Eigentümer der Vaduzer Alpen wurden 1809 eingetragen
«die Bürger von Vaduz als Alpgenossen mit Ausschluss der
Nummern ... [es folgen die Hausnummern der nicht alpberechtigten
Haushaltungen]».
32) LLA RA 32/1 und 2.
33) LLA RA 32/1/1, o..D.
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Jriginal der Beschwerde
‚om 28. Dezember 1789,
ınterzeichnet von 34
Gemeindsleuten: «Johan-
nes Rheinberger, Johannes
Risch Jung, auch im
Namen des Davidt boss,
Johannes Gassner, Michel
Ospelt, Johannes Ospelt,
Geschworner, Joseph Willi,
Adam Straub, Johannes
‘Tilty, Joseph Antony
Amann, Christofell Boss,
Johannes Tresel, Hauszei-
chen des H. Jörg Gassner,
Joseph Antony Ospelt,
Joseph Hemmerle, Joha-
nes Ospelt, Thadeus Wach:
‚er, Jacob Reinberger,
Andreas Beck, Johan Jörg
Thöni, Franz Joseph
Thöni, Joseph Hilti und im
ıamen meines schwähers
d.i. Schwagers) Johanes
Hochler (?), Michell Kauff-
man, Ignatzi bos, Andreas
strub innamen meins
schwager Mang lantwins
(?), Michael Willy, Haus-
zeichen des Tomas Hilty,
Michel Ospelt ... imnah
men des Joseph Wolf,
Johannes Ospelt, Jacob
Gassner, Johanes Jürg
Reinberger»
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
Gemeindevorständen, aber auch unter den Ge-
meindsleuten der beiden Dörfer.**
Am 25. Januar 1790 vermerkte die Oberamts-
kanzlei den Eingang einer Beschwerde einer statt-
lichen Zahl von Vaduzer Gemeindsleuten. Die Be-
schwerde datiert vom 28. Dezember 1789. Das
Original trägt 34, die vom Oberamt erstellte Ab-
schrift verzeichnet 43 Unterschriften.” Die Unter-
zeichneten führten an, sie hätten keinen Gemeinds-
nutzen und auch nicht «einige Aussicht, ... ihn in
ihrem Leben erlangen zu können.» Sie müssten
aber wie jene mit ganzer Gemeindsteilnutzung
Frondienste, Strassenbau-, Damm-, Wuhr- und an-
dere Beschwernisse und Kosten tragen. Die Unter
zeichneten verlangten eine «billige Verteilung des
Gemeindebodens». Wenn die Gemeindsvorstände
die Verteilung verweigerten, wollten sie «ihr Fle-
hen bis an den Thron Sr. Hochfürstl. Durchlaucht
gelangen lassen».
In etwa gleichzeitig mit den Vaduzern reichten
23 Schaaner Gemeindsleute eine Bittschrift ähn.
ichen Inhalts ein.®®
Das Oberamt liess die Beschwerden den Ge:
meindevorgesetzten von Schaan und Vaduz zustel-
len. Diese sollten die Bittsteller «ihrer dem An-
schein nach wohl gegründeten Beschwerde halber
von selbst klaglos stellen» oder innerhalb 14 Tagen
gegenüber dem Oberamt begründen, «aus was für
Ursachen sie sich bewogen finden, ihre Mitbürger,
die mit ihnen die Beschwerden der Gemeind tra-
gen, mit einem solchen Ansuchen abzuweisen».?/
Die Antwort der Gemeindeobrigkeit liess auf
sich warten. Das Oberamt mahnte Landammann
Ischetter am 26. April 1790: «Die Untertanen trei-
pen auf eine Resolution». Wenn die schon lange
ausstehende Stellungnahme der Gemeindsvorge-
setzten nicht beigebracht werde, gehe das Bitt-
gesuch ohne weiteres an den Fürsten.”®
Am 29. April traf dann die verlangte Stellung-
nahme ein. Sie war offensichtlich von einem
Rechtsbeistand verfasst und von Landammann
Lorenz Tschetter, den Säckelmeistern und je drei
Mitgliedern «des Gerichts» der beiden Gemeinden
eigenhändig unterschrieben worden. Darin wurde
angeführt, die Beschwerden seien nur dem An-
schein nach begründet. Wörtlich hiess es: «... In
der Regel sollte zwar jeder Gemeindsmann glei-
chen Antheil an den Gemeindsnutzungen haben,
ınd hat es auch wirklich in Wunn und Waid, Trieb
ınd Tratt, da nämlich in diesen Gemeinden ein
‚eder soviel Stück Vieh austreiben kann, als er will,
wo doch von Rechts wegen jeder nur soviel treiben
zollte, als er zu überwintern oder im Stalle zu
ernähren vermag. Was aber die Benützung der
)jesonderen eingeschlagenen Plätze auf den ver-
schiedenen Gemeindsdistrikten anbetrifft, hieran
<önnen nicht alle Anteil nehmen und bekommen;
die Lokalität, die Umstände und die Bedürfnisse
der Gemeinden und des Landes müssen hier die
Bestimmung geben. Eine Herde von ca. 1400 Stück
Vieh braucht einen grossen Platz, und die Hegung
der Stauden-Gewächse zur Faschinierung an dem
Rhein-Wuhrbau erfordert gleichfalls einen grossen
Distrikt; diese zwey Umstände sind es, welche
unsere Vorfahren bewogen haben, nicht mehr Plät
ze zum privativen Gebrauch einzuschlagen, um
ıicht den Waidgang und Nachwuchs der Stauden
zu verkürzen; diese guten Gründe walten noch für
und hindern uns, mehr Plätze einzuschlagen. Wir
und unsere Väter, wie der Kläger Väter haben uns
diese zum allgemeinen Besten gemachte Anord-
nung müssen gefallen lassen, haben oft viele Jahre
lang auf die Erledigung einiger Gemeindsteile war-
ten müssen; mancher hat es gar nicht erlebt, nun
aber in den neueren Zeiten und bei den jüngeren
Einrichtungen währt es nicht mehr halb so lang;
54} LLA RA 10/28/5/22-23, Oberamt an Landammann, Richter.
Säckelmeister, Geschworene und Gemeindsleute zu Schaan und
Vaduz, 3. und 7. März 1787.
35) LLA RA 29/3/1/1 und 2, Beschwerde vom 28. Dezember 1789
eingegangen am 25. Januar 1790
56) Die Schaaner Petition mit der Anzahl der Petitionäre ist erwähnt
n der Stellungnahme der Ortsvorstände von Schaan und Vaduz
zu den eingereichten Bittschriften (LLA RA 29/3/1/4, Schriftsatz.
o. D., eingegangen am 29. April 1790: vgl. Anm. 59).
57) LLA RA 29/3/1/1, Oberamtsvermerk auf Beschwerde vom
28. Dezember 1789
58) LLA RA 29/3/1/3. Oberamt an Landammann Tschetter. Schaan.
26. April 1790
| —
mancher erhält in zwei, drei Jahren einige Stücke;
Die Sache ist auch nicht wohl zu ändern, denn es
müsste beinahe alle zwei, drei Jahre eine neue
Austeilung vorgenommen werden, wenn wiederum
einige Familien entstehen, und endlich würde
deren Weidgang für die so grosse Herde und dem
Wuhrbau kein Terrain mehr übrig bleiben. Die
so hoch angerühmte Tragung der Gemeindslasten
der Supplikanten steht in Rücksicht ihrer Kräfte
gegen die anderen Gemeindsmänner in einem sehr
schwachen Verhältnis. Weilen es aber allgemeinen
Rechtens und besonders in dem Hochlöbl.[ichlen
Schwäbischen Kreis bei allen wohlpolizierten Herr-
schaften in Gebrauch und Übung ist, dass bei sol-
chen wohlhergebrachten Gemeindseinrichtungen
nichts abgeändert werden darf, wenn nicht eine
übergrosse Stimmenmehrheit bey einer versam-
melten Gemeinde nicht just dem Personen-, son-
dern Possessions-Stand oder der Ansässigkeit nach
auf die Abänderung stimmet, so berufen wir uns
auf dieses Recht und behelfen uns dessen, und da
der Supplicanten in Vaduz nur 34, in Schaan aber
nur 23 sind, mithin die andern der neuen Abthei-
lung widersprechende Gemeindsleuthe mehr als %
von beyden Gemeinden sind, so müssen wir uns
gegen dieses Ansinnen verwahren und ein Hoch-
löbl.Lich] Hochfürstl.[iches] Oberamt untertänig bit-
ten, die Supplikanten mit ihrem Gesuch ab- und
auf die bisherige Observanz zu verweisen.»
Auf diese Stellungnahme hin ruhte die ganze
Angelegenheit wieder. Jedenfalls fand sie keinen
Niederschlag in den Akten des Oberamts.
Am 21. Dezember 1791 erging ein Oberamts-
befehl an die Schaaner Gemeindevorstände. Vier
Vaduzer Gemeindsleute hätten sich beim Oberamt
beschwert, «weil die Vorsteher zu Schan auf ihr bil-
liches Ansuchen, womit ihnen ein Stückel von
ihren Gemeindswaldungen zu Schan nach dem
Landesbrauch und den Gemeindsrechten auf ihre
Häuser angewiesen werden möchte, zur Antwort
gegeben haben, sie geben ihnen Vaduznern bey
ihnen drausen nichts». Auf Anraten der Vaduzer
Vorsteher hätten die Gemeindsleute das Oberamt
ersucht, die Vorsteher von Schaan anzuhalten,
ihnen etwas zuzuteilen. ansonsten wären sie und
'hre Gemeindsleute bemüssigt, «auf Absonderung
and Vertheilung der Gemeinheiten anzudringen».
Das Oberamt brachte die Beschwerde den Schaa-
ner Vorständen zur Kenntnis mit dem Auftrag, den
Klägern zu willfahren «und dadurch Trennung und
Zwistigkeiten zu verhüten» oder aber sich vor dem
Jberamt zu äussern, warum sie dem Gesuch nicht
ztattgeben wollten.“
Am 31. Dezember 1791 gaben die Schaaner
Vorstände zu Protokoll, man sei nicht dagegen, den
Klägern ihren gebührenden Teil von den Ge-
nNeindswaldungen zu geben, «nur sei dermal keine
Zeit, dieses Geschäft vorzunehmen; dann aber sey
es auch billig, dass sie Klläger] ihre Häuser in die
steuer geben.» Diese Antwort wurde den Klägern
mitgeteilt.°* Die Angelegenheit schien vorläufig
arledigt.
Am 8. März 1793 klagte Joseph Boss, Bürger von
Vaduz, beim Oberamt gegen die Gemeindsvorste-
her von Vaduz wegen «entrissener Gemeindsgüter
und Vortheile allda». Die Vorsteher von Vaduz hät-
(en Boss im vorigen Jahr die Gemeindsnutzungen
antzogen, weil er nach Schaan gezogen sei. Boss
habe 17 Jahre lang Gemeindsdienste geleistet. Das
Jberamt solle «die Herren Vorsteher zu Vaduz»
anhalten, ihm sowohl die entrissenen Gemeinds-
güter «als auch die durch 17-jährige Leistung
der GemeindsBeschwerden erworbenen Vorrech-
je» zurückzugeben. Die Beschwerde wurde den
Vorstehern der Gemeinde Vaduz zugestellt mit dem
Auftrag, sich innert acht Tagen dazu zu äussern.“
Eine Antwort erfolgte zunächst nicht.
Etwas später meldeten sich die Gemeindsleute,
die bereits früher Beschwerde geführt hatten, er-
aeut beim Oberamt. Mit Schreiben vom 5. Novem-
ber 1793 beruhigte sie das Amt. Es habe ihre
Beschwerde keineswegs vergessen und wolle ih-
nen helfen, da ihre Beschwerde begründet sei.
Dann folgten längere Ausführungen über die
schwierigkeiten einer gerechten Verteilung der
Gemeindsteile. Schliesslich schlug das Oberamt
vor, jene Beschwerdeführer, die die Gemeinds-
‚asten schon länger tragen, sollten umgehend einen
Teil zugewiesen erhalten. Zudem sollte der gelten-
de Gemeindsbhrief geändert werden. Danach sollte
AA
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
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ein fälliger Gemeindsteil nicht mehr vom Vater auf
den Sohn, sondern auf den jeweils ältesten Anwär:
ter übergehen.®*
Ein inhaltlich fast gleiches Schreiben ging am
selben Tag an die Gemeindevorgesetzten von Va-
Jduz mit dem Schluss: «Man zweifelt nicht, die Vor-
gesetzten werden als Männer, die die Billigkeit
lieben, diese Beschwerden gar wohl einsehen, und
selbst trachten, dass eine Ungleichheit abgestellet
und künftighin gegründete Klagen vermieden blei-
ben».°?
Die erwähnten verschiedenen Klagen hatten
das Verhältnis zwischen Schaan und Vaduz offen-
sichtlich zusehends belastet. Am 27. Juni 1793
führte die Gemeinde Vaduz erstmals Klage gegen
Schaan.® Seit einiger Zeit bestünden Klaggründe
gegen Schaan. Jetzt würden sie schriftlich vorge-
bracht, um eine Regelung zu erreichen. Es handel-
te sich um folgende Klagpunkte: Erstens brächte
das Schaaner Sommerried nicht den möglichen
Nutzen; ein Teil des Rieds sollte «gemeinschaftlich
egingegraben werden, damit das Streue-Ried von
dem Atzungs-Ried geschieden, und so jeder Thei)}
für den Gemeindsmann in allweg nützlicher und
brauchbarer werde». Zweitens sollte Schaan eini-
gen Vaduzer Gemeindsleuten im Schaaner Bezirk
nutzbare Waldungen anweisen. Drittens hätte
Schaan vor einigen Jahren herrschaftliche Güter
angekauft, davon aber bisher keine Steuer erlegt.““
Auch diese Güter müssten in die Steuer gelegt
werden. Das Oberamt wolle, so schloss die Klag-
schrift, «die Gemeinde Schaan und ihre Bürger
dahin anzuhalten geruhen, dass diesen unsern
Klägden nachbarlich abgeholfen, und unsere Wün-
sche erfüllet werden mögen». Die Beschwerde
wurde der Gemeinde Schaan zugestellt mit dem
Auftrag, sich innert 14 Tagen «darüber standhaft
vernehmen zu lassen». Ob und wie sich Schaan
dazu geäussert hat, ist aus den Akten nicht zu
entnehmen.
Wahrscheinlich waren alle bisher erwähnten
Vorstösse vorerst ergebnislos geblieben. Am 27.
März 1795 jedenfalls gelangten vier «minder ver-
mögliche Untertanen in der Gemeinde Vaduz», die
alle schon frühere Beschwerden mit unterzeichnet
hatten, an den Fürsten.® Sie nahmen sich «die
Freiheit, sich vor dem Throne Ihrer Herzoglichen
Durchlaucht in tiefster Ehrfurcht niederzuwerfen
und um eine Gnade demüthigst zu flehen.» Vor
etwa zwei Jahren, hiess es in der Bittschrift, hätte
der Fürst dem Oberamt den Auftrag erteilt, «dass
die Gemeinheiten zwischen Vaduz und Schaan
voneinander abgesöndert und einem jeden, wel-
cher keine Gemeindstheilung hat, ein Stück von der
Allmeind zugetheilet werden solle.» Bisher sei
«wegen besondern Umständen» der Auftrag nicht
erfüllt worden. Deshalb bäten die Unterzeichneten
um Vollzug des Auftrags. Es gäbe viele «arme
Gemeindsmänner», die schon 20, 30 und mehr
Jahre gleich wie die Bemittelten die «Gemeinds-
beschwerden» getragen hätten. Es herrsche harte
und drückende Teuerung, «dass sich der arme und
minder vermögliche Unterthan nebst den Seinigen
kaum mehr mit Ehren durchzubringen im Stande»
sei. Es wäre viel unkultivierter Boden vorhanden.
Wenn davon jedem Notdürftigen ein Stück zugeteilt
würde, könnte dem armen Untertanen «bey gegen-
wärtig üblen Kriegszeiten und in die Zukunft in den
so vielfachen Beschwerden einige Linderung ver:
59) LLA RA 29/3/1/4, Schriftsatz («Fürsteher der Gemeinden Vaduz
und Tschaan» an Oberamt), o. D., eingegangen am 29. April 1790.
60) LLA RA 29/3/1/5, Oberamtsbefehl an die Vorsteher der Gemein
de Schaan, 21. Dezember 1791.
61) LLA RA 29/3/1/6, Oberamtsprotokoll über die Antwort der
Schaaner Vorsteher, Landammann Lorenz Tschetter und Alexander
Frick, 31. Dezember 1791.
62) LLA RA 29/3/7: Joseph Boss an Oberamt, 8. März 1793, Ober-
amt an Vorsteher der Gemeinde Vaduz, 14. März 1793.
63) L1L.A RA 29/3/8, Oberamt an Thomas Hilti und Konsorten in
Vaduz. 5. Navember 1793,
64) LLA RA 29/3/9, Oberamt an Gemeindevorgesetzte zu Vaduz.
>. November 1793.
65) LLA RA 29/4, Gemeinde Vaduz an Oberamt wegen «schlechter
ınd ungleicher Benutzung der Gemeindegüter», 27. Juni 1793
66) Damit war wohl der von der Gemeinde Schaan erworbene
Gamanderhof gemeint.
67) LLA RA 32/1/2, Bittschrift von Johannes Ospelt, Thomas Hilty.
Joseph Hilty und Jörg Thöny an die Gemeinde Vaduz. 27. März
1795.
2]
schafft werden», ohne dass der Weidgang beträcht-
lich geschädigt würde.
Am 2. Mai 1795 schickte die fürstliche Hofkanz:
lei die Bittschrift an das Oberamt mit dem Auftrag,
«zu versuchen, ob nicht mit gütlicher Einverständ-
niss der beyden Gemeinden Vadutz und Schaan
eine schicksame Abtheilung ihrer Gemeinheiten
bewirket werden könne».® Nun kam Bewegung in
das bislang stockende Teilungsgeschäft.
Am 20. Juli 1795 vermerkte das Oberamt den
Eingang eines Protokolls über eine vermutlich am
gleichen Tag in Vaduz abgehaltene Gemeindever-
sammlung.® Danach war die «ehrsame Gemeind
.. auf den gewöhnlichen Gemeindsplatz zusam-
men berufen» worden. Der Versammlung war
‘olgendes eröffnet worden: Es sei «einem jeden
vdekannt, dass wir Vaduzer von unsern Mitge-
meindsgenossen zu Schaan sowohl auf den Waid-
gängen, in den Auen, im Holz, auf den Wiesen und
auf dem Ried, wie auch in Ansehung der Waldun-
gen, als überhaupt in all übrigem schon lange, und
je länger je mehr übervortheilet worden sind.» Die
Gemeinde Vaduz müsse «durch diese Gemeinheit
oder gemeinsame Benutzung jährlich grossen
Schaden und Nachtheil leiden». Deshalb habe man
schon mehrmals «darauf angetragen, mit der Ge-
meind Schaan alle Gemeinheiten abzutheilen». Es
hätten sich aber bisher immer «Hindernisse erge-
ben», so dass die Teilung nicht zustandegekommen
sei, Nun habe man es aber «in auswärtig benach:
barten Herrschaften als auch selbst in der untern
Herrschaft Schellenberg für besser und nützlicher
erfunden, sich von der Gemeinheit abzusöndern».
Dieses Beispiel habe auch «viele von uns» ange-
eifert, die den Fürsten mit einer Bittschrift um Ge-
meinheitenteilung ersucht hätten. Der Fürst habe
diese Bitte erhört und das Oberamt beauftragt,
«eine gütliche Abtheilung aller Gemeinheiten zwi-
schen Vadutz und Schaan« zustande zu bringen.
Dieses Vorhaben wurde der versammelten Ge-
meinde nicht nur vorgetragen. Es wurden auch
«die Stimmen aufgenommen, welche ... abtheilen
wollen oder nicht, und zwar auf folgende Art:
itens Es solle, ehe und bevor man wirklich zur
Abtheilung mit der Gemeind Schaan schreite, ein
öffentliches Instrument oder schriftliche Verab-
kommniss von uns Gemeindsleuten zu Vadutz
errichtet, von allen Gemeindsleuten unterschrie-
ben, und sodann obrigkeitlich ratifiziert werden,
dass nach wirklich erfolgender und beschehener
Abtheilung alle die uns betreffenden Gemeinheiten
zu allen Zeiten für die Zukunft ein gemeinsames
Wesen für unsere Gemeind Vadutz seyn und ver
oleiben sollen. Und dass
2tens Wenn wir miteinander dahin übereinkom-
men würden sowohl in Ansehung des Waidgangs
als der Waldungen eine bessere und nützlichere
Ordnung einzurichten, dennoch kein Gemeinds-
nann befugt seyn solle, eine weitere Theilung oder
Forderung eines Eigenthumes verlangen zu kön-
nen.
Wer nun auf solche Art zu Abtheilung von der Ge-
meind Schaan sich einlassen will, der solle seinen
Namen eigenhändig hieher unterschreiben.»
Es folgten 82 Unterschriften oder Stimmen und
eine «Pro Nota» des Oberamts auf dem Protokoll.
Danach wurde dieser Antrag der Gemeinde Vaduz
«den Vorgesetzten zu Schaan durch ein Befehl ...
nit dem zu wissen gemacht, dass sie sich in mög-
lichster Bälde hierüber äussern sollen, um mit dem
Oberamte die Wege überlegen zu können, wie diese
Theilung zum schicklichsten, wohlfeilsten und ge-
schwindesten vorgenommen werden könne.»”9
Mit Protokollauszügen belegte das Oberamt am
25. Februar 1796 gegenüber der fürstlichen Hof-
kanzlei in Wien, dass es sich sehr wohl bemüht
habe, zwischen Schaan und Vaduz «eine schick-
liche Abtheilung‘ der Gemeinheiten» zu erzielen.
«... Wir haben aber biesher nichts ausgerichtet, die
Vadutzer dringen zwar mit Ungeduld auf die Ab-
iheilung, die Schaner hingegen, die den biesher
bezogenen Vortheil nicht gern aus den Händen las-
sen, suchen die Abtheilung zu verhindern; und
da sie aus Erfahrung wissen, dass sie dieses direc-
te nicht bewirken können, so suchen sie es indi-
recte zu erlangen; das ist, sie setzen Bedingnussen
voraus, die mit einer vernünftigen Abtheilung nicht
bestehen können, z. B. sie wollen vor allem ver-
sicheret seyn, dass man ihnen ihren betreffenden
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
Antheil an der Vadutzer Au in nal(tur)a wolle zu-
kommen lassen. Nun ist zu bemerken, dass Vadutz
104, Schaan hingegen über 140 Bürger zählet; und
da sich die Au gegen Schan zu ausspitzet, ober
Vadutz aber sehr ausbreitet, so würde das Terrain
um Vadutz grösstentheils den Schanern zufallen,
und die Vadutzer bekämen ihre Besitzungen unter
Schaan. Die Vadutzer, die das Unzulässliche einer
solchen Abtheilung wohl einsehen, wollen alles auf
Sachverständige ankommen lassen, und diesen
anheimstellen, in wie weit ein solches Verlangen
stattfinden könne; die Schaner hingegen, die ihrer
Sache selbst nicht trauen, wollen vorher versiche:
ret seyn, dass ihnen ihr Antheil an der Au bleiben
solle, und sich vorher weder auf Sachverständige
noch Schiedsrichter einlassen. Vadutz verlangte,
das Oberamt möchte erkennen; und da man den
Schanern zu verstehen gab, dass es allerdings
der Natur der Sache angemessen sey, zuerst unpar
teyl.[iche] Sachverständige zu erwählen, ehe man
sich in die Theilung selbst einlasse, so war dies den
Schanern genug, das Oberamt als parteyl.[ich] aus-
zurufen und demselben, so ungegründete als un-
billige Vorwürfe wegen Hinauslassung des Frucht:
quantums zu machen; wie ich der Landvogt dieser
Tagen mit einem andern Anlass umständl.[ich]
zeigen werde, Dieses veranlasste uns, uns heraus
zuziehen und beide Theile anzuweisen, sich ent-
weder sachverständige Schiedrichter zu wählen.
oder die Sache an Se.[ine] Durchlaucht selbst ge-
langen zu lassen, wie wir diese auf Ansuchen der
Vadutzer anmit gehorsamst einsenden.»"'
Am 3. März 1796 schickte das Oberamt die
zwischenzeitlich eingetroffene Gegenäusserung der
Gemeinde Schaan, «um allem Vorwurf, dass man
sie nicht genugsam angehört habe, auszuweichen»,
unverzüglich an die Hofkanzlei in Wien.‘“ Im Be
gleitschreiben“ hiess es wörtlich: «Sie Schaner
stellen darin vor, dass dieses Unternehmen auf die
dermaligen Zeiten, wo man die Abgaben ohnehin
nicht aufzubringen wisse, gar nicht schickl.[ich]
wäre. Allein die Vadutzer sind auf die Abtheilung
der Gemeinheiten so stark versessen, dass sie diese
unter gar keinem Vorwand verschieben lassen
wollen: nicht nur darum, weil sie ein für allemal
dermal einst zu dem ihnen gebührenden Genuss
der Gemeindsnutzungen gelangen wollen, sondern
auch darum, weil die Schaner diejenigen Waldun-
gen etc., die ihnen Vadutzern in der Abtheilung
zufallen möchten, auszuholzen suchen und derglei-
chen. Im übrigen suchen die Schaaner ihren Satz:
Sie werden sich weder auf Schiedsrichter noch
Sachverständige einverstehen, wenn man ihnen
nicht vorher gewisse Bedingnussen versichere> auf
eine andere gangbare Art einzuleiten; indem sie
gewisse Präliminarfragen ausgemacht wissen wol-
len, ehe man Sachverständige oder Feldmesser
anstelle. Zu diesem Ende aber sey eine Zusammen-
Tettung einsichtsvoller Männer nöthig. Hierzu aber
naben sich die Vadutzer schon lang aufs bereitwil-
igste erkläret, und nur die Schaner wollten nichts
davon wissen; es sey dann, dass man ihnen ihren
betr.[effenden] Antheil an der Vadutzer Au noch
vorher accordire und folgl.[ich] zuerst theile, und
dann erst Schiedsrichter und Sachverständige auf-
stelle. Wir überlassen den weitern Innhalt höherm
“rmessen und verharren in vollkommenstem Re-
spekt.»
Am 30. März 1796 antwortete die Hofkanzlei auf
die Oberamtsberichte und schickte die Bittschrift
der Gemeinde Schaan vom 29. Februar an das
Oberamt zurück mit dem Auftrag, diese der Ge-
meinde Vaduz zur Vernehmlassung mitzuteilen.“*
Falls die Gemeinde Vaduz die Teilungssache nicht
«bis zum Ausgang des gegenwärtigen Krieges in
Anbetracht der von der Gemeinde Schan angeführ-
ten Beweggründe» ruhen lassen wolle, habe sie
innert vier Wochen «einen ausführlichen und be-
68) LLA RA 32/1/3, Hofkanzlei an Oberamt, 2. Mai 1795.
69) LLA RA 32/1/4, Protokoll über einen Vaduzer Gemeindever-
sammlungsbeschluss, o. D. (20. Juli 1795}.
70) LLA RA 32/1/4, «Pro Nota» des Oberamts auf dem Gemeinde-
versammlungsprotokoll vom 20. Juli 1795 (?).
71) LLA RA 32/1/6. Oberamt an Hofkanzlei, 25. Februar 1796.
72) LLA RA 32/177, Oberamt an Hofkanzlei, 3. März 1796.
73) Ebenda.
74) LLA RA 32/1/8, Hofkanzlei an Oberamt, 30. März 1796.
v
5
stimmten schriftlichen Vorschlag oder Theilungs-
plan» vorzulegen und zu begründen, wie sie «auf
eine ausführbare, gerechte und billige Art» die Tei-
lung bewerkstelligen wolle, insbesondere
«1.die Gemeindslasten
a) der Wuhrungen
b) des Strassenbaues und
c) der Beholzung des Pfarrers, des Kaplans und
des herrschaftl.[ichen] Müllers, so wie auch
d) der allenfallsigen anderen gemeinschaftl.[ichen]
Obliegenheiten, als auch
2. der gemeinschaftl.[ichen] Realitäten
a) der Waldungen,
0) der Auen und Riedern, und zwar vorzüglich und
oesonders der sogenannten Auen wie nicht minder
c) der etwaigen anderen Realitäten, ..., und wobey
sie ferner
3. auf alle und jede dabey interessirte dritte Per:
son z.B. den Pfarrer, den Kaplan und den Herr-
schaftl.Lichen] Müller etc. oder resp. Gemeinden
wegen ihren Beholzungsrechten aus den Waldun-
gen besondere Rücksicht zu nehmen und rechts-
beständig anzuzeigen hätten, wie diese dritte Per-
sonen auf eine den Umständen angemessene Art
nach Recht und Billigkeit beruhiget werden und
abzufinden seyn würden.»
Diese Vernehmlassung der Gemeinde Vaduz samt
Plan sei vom Oberamt auf ihre Vollständigkeit zu
prüfen und anschliessend der Gemeinde Schaan
befristet zur Vernehmlassung zu übergeben. Falls
diese den Vaduzer Vorschlag nicht für ausführbar
oder gerecht erachte, habe sie ihre Meinung genau
zu begründen und ihrerseits dem Oberamt einen
detaillierten Gegenvorschlag zu unterbreiten. Auch
diesen habe das Oberamt genau zu prüfen. Sollte
die Gemeinde Schaan keine Stellungnahme abge-
ben oder diese unzulässig verzögern, würde «der
von der Gemeinde Vaduz vorgelegte Plan in con-
tumaciam zur Grundlage der vorzunehmenden
Theilung genommen werden». Die Gegenvernehm-
lassung der Gemeinde Schaan sei der Gemeinde
Vaduz «zur schlüsslichen Handlung, diese aber der
Gemeinde Schan zur schlüsslichen Gegenäusse-
rung mitzutheilen, und die eingekommene schlüss-
liche Gegenäusserung der Gemeinde Vaduz zuför-
derst noch ad notitiam zu communiciren, sodann
aber sämtliche Verhandlungen in Beisein beeder-
seitigen Gemeinds-Deputirten zu collationiren und
verschlossen anhero einzuschicken». Mittlerweile
sei der Gemeinde Schaan «zu ihrer einsweiligen
Beruhigung» auf ihre Bittschrift mitzuteilen, dass
diese der Gemeinde Vaduz zur Vernehmlassung
mitgeteilt worden sei und «nach deren Einlangung
ınd weiteren rechtlichen Verfahren in Sachen er-
gehen würde, was rechtens seye». Einstweilen sol-
(ie das Oberamt zwischen den beiden Gemeinden
ain Provisorium oder gütliches Einverständnis ein
leiten, «dass sie sich während dieser Verhandlung
der Vorbereitung zu dem abzweckenden Vergleich
<eine Excessen oder Missbrauch in denen abzu-
':heilenden Gemeinrealitäten über den bisherigen
zewöhnlichen Fruchtgenuss erlauben, weilen an:
sonsten ein oder andere Gemeinde bei der nach
erfolgtem Vergleich bestehenden Theilung und
Jibergaab oder Abtrettung der Realitäten über der-
selben einstweilige Deterioration‘” wieder eine Be-
schwerde führen könnte, folglich die Processe kein
Ende nehmen würden». Das Hofkanzleischreiben
schloss mit dem Bemerken: «Diese provisorische
Verfügung ist so nothwendig als wichtig, wird aber
auch von seiten des Oberamts am schwersten zu
erzielen sein, dahero solche desselben Gutbefund
und der Laage der Umstände überlassen wird.»
Damit war das Oberamt aufs Eis geschickt. Der
Auftrag aus Wien war überaus heikel.
Am 8. April 1796 teilte das Oberamt der Bürger-
schaft zu Vaduz den Bescheid und Auftrag der Hof-
kanzlei wörtlich mit.”®
Am 23. April 1796 erhielt die Bürgerschaft zu
Schaan vom Oberamt die Vaduzer Gegenäusserung
«zu dem Ende zugestellet, dass, wenn sie in dieser
ihrer Abtheilungssache etwas besseres und schick-
sameres an Handen zu geben im Stande ist, sie
solches längstens in Zeit 14 Tagen anher eingeben
solle».””
Am 12. Mai 1796 übersandte das Oberamt die
Stellungnahme der Gemeinde Vaduz und die Ge-
genäusserung der Gemeinde Schaan an die Hof-
kanzlei. Vaduz beantragte, dass zuerst, «wie es bey
X
Zum Bild auf dem Ein-
band:
In richtiger Form zusam-
mengefügte Ausschnitte
aus zwei Planblättern,
die im Jahre 1797 von
den beiden Feldmessern
Kaspar und Johann
Michael Moser, Vater und
Sohn, aus Dornbirn erstellt
wurden. Die Planblätter
dokumentieren die 1797
erfolgte Bodenaufteilung
zwischen den Gemeinden
Schaan und Vaduz. Das
erste Blatt zeigt die
«Obere Au» am Rhein
bei Vaduz, wobei die
dunkelgelbe Fläche der
Gemeinde Vaduz und
die hellgelbe Fläche der
Gemeinde Schaan zugeteilt
wurde. Auf dem zweiten
Blatt sind die Rheinauen
bei Schaan sowie der
nördlich von Schaan gele-
gene Rietboden zu sehen.
Auch hier wurde die
dunkelgelbe Fläche den
Vaduzern und die hell-
gelbe Fläche den Schaa-
nern zugesprochen.
Vorläufig noch nicht auf-
geteilt wurden die grün
markierten Flächen, altes,
von den Gemeinden
Schaan, Vaduz und Plan-
ken gemeinsam bewirt-
schaftetes Gebiet.
Eine blattübergreifende
Markierung bezeichnet
den Punkt, an welchem
die beiden Kartenteile
zusammengefügt gehören.
Die zwischen Schaan und
Vaduz aufgeteilten Gebiete
wurde so auf den zwei
Blättern dargestellt, dass
möglichst wenig Papier
benötigt wurde. Dennoch
beeindrucken die beiden
Originaldokumente aus
dem Jahre 1.797 durch
ihre Ausmasse: Das erste
Blatt misst 76 mal 54
Zentimeter, während das
zweite, grössere Blatt
sogar die Ausmasse von
74,5 mal 104 Zentimeter
aufweist.
Vorsatz:
Ausschnitt aus der «Kol-
leffel-Karte» von 1756
mit den Rheinauen, dem
Dorf Schaan, und der
herrschaftlichen Mühle im
«Möliholz». Auf dieser
Karte lässt sich die Ent-
wicklung der Boden-
nutzung gut erkennen.
Bisher gemeinsam bewirt-
schafteter Boden wurde
bereits für den privaten
Nutzen ausgeschieden und
dementsprechend um-
zäunt. Die anlässlich der
Auteilung im Jahre 1704
festgelegten Fahr- und
Triebwege können auf
dieser Karte nachgezeich-
net werden.
Auslieferung:
Historischer Verein für das
Fürstentum Liechtenstein
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FL-9494 Schaan
Buchbinder:
Buchbinderei Thöny
Inh. E. Lantpert
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Gedruckt auf
Hanno Art top Silk,
chlorfrei, 135 g/m 2
© 1999 Historischer
Verein für das Fürstentum
Liechtenstein, Vaduz
Alle Rechte vorbehalten
Gedruckt in Liechtenstein
ISBN 3-906393-26-7
IV
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
der Abtheilung der Gemeinheiten zwischen Ruckell
und Schellenberg geschehen ist, ein Plan und Be-
schrieb über das Ganze aufgenommen und dann
erst zur Abtheilung geschritten werden sollte. Und
weil hier in Vadutz und zu Schan kein einziger
Mann sey, welcher einen solchen Plan aufzuneh-
men im Stand wäre, so bittet dieselbe, dass der
Plan durch auswärtige Sachverständige aufgenom:
men werden möchte.» Schaan wolle es «der Ge-
meind Vadutz neml.[ich] zum Vergehen anrechnen,
dass sie keinen Plan machen könne, und ist doch
eben so wenig oder noch weniger im Stande, einen
Plan zu Wege zu bringen.»
Am 10. Juni 1796 erliess die Hofkanzlei folgen-
den Bescheid: Der Gemeinde Vaduz sollte es frei
stehen, eine «Abschätzung und Ausmessung der
Gemeinheiten durch die beeden Möser, Vater und
Sohn, oder allenfalls auch durch andere verstän-
dige und unpartheyische Männer, gegen welche die
Gemeinde Schaan irgend etwas Erhebliches und
Gegründetes einzuwenden nicht vermag, und wel-
che auch, falls sie nicht ohnehin schon zu solchen
Unternehmungen beeidiget sind, auf Verlangen der
Gemeinde Schaan annoch besonders zu beeidigen
wären, im Beyseyn eines oberamtl.lichen] Kom-
missärs vornehmen zu lassen.» Falls Vaduz die
Sache nicht bis zum Ende des Kriegs liegen lassen
wolle, habe die Gemeinde einstweilen die anfallen-
den Kosten allein zu tragen, «bis sich etwa in der
Folge näher bestimmen lassen würde, in wie weil
die Gemeinde Schaan hieran eine Vergütung zu
leisten gehalten seye.» Wenn das Oberamt die Ge-
meinde Schaan «zu gleicher oder verhältnismäs-
siger Tragung der Unkösten» bringen könne, wäre
dies umso besser, «diesen abermaligen künftigen
Streitgegenstand gleich derzeit zu vermindern.»
Die Gemeinde Schaan könne «Deputirte oder sonst
verständige Männer dem Ausmessungs- und Ab-
schätzungswerke» auf ihre Kosten beiwohnen las-
sen. Vaduz müsse Schaan Ort, Stelle und Zeitpunkt
der «zu veranstaltenden Ausmessung und Schät-
zung bey Zeiten» bekannt machen.“
Das Oberamt teilte den Gemeinden Vaduz und
Schaan den Bescheid der Hofkanzlei mit.®°
Am 27. November 1796 gelangte das Oberamt
an die Gerichtsschreiberei zu Dornbirn. Diese soll-
te den beeidigten Feldmesser Kaspar Möser anfra-
gen, ob er bereit wäre, einen Plan zur Verteilung
der Gemeinheiten zwischen Vaduz und Schaan zu
entwerfen. Möser habe bereits in einem ähnlichen
Geschäft zwischen Ruggell und Schellenberg seine
Geschicklichkeit erprobt.®*! Möser sagte zu.®%
Am 8. Januar 1797 teilte das Oberamt der Ge-
meinde Schaan mit, «dass die geschworenen Feld-
messer Möser Vater und Sohn von Dorrenbieren
wirkl.[ich] dahier [d.i. in Vaduz] angekommen sind,
um den Plan zur künftigen Abtheilung der Gemein-
heiten ... aufzunehmen. Da nun nichts mehrer zu
wünschen ist, als dass dieses Geschäft mit beider-
seitiger Einverständnuss vor sich gehen und durch
Missverständnuss keine weitere Kösten veranlasset
werden, als wird die Gemeind Schan erinnert, dass
sie zu Aufnehmung dieses Planes Abgeordnete er
wählen und zugeben sollen, damit solches in Ge-
genwart beider Theilen, wohin auch die höchste
Gesinnung abzielet, zu Stande gebracht werde.»**
Eine gleiche Mitteilung ging auch an die Gemeinde
Planken.$* In der Folge wurde das ganze Gebiet im
Beisein von Vertretern der drei Gemeinden ver-
messen.
Im März 1797 stand die Schätzung der ver-
messenen Gemeinheiten an. Auf Ansuchen der
75) Das heisst: Beschädigung.
76) LLA RA 32/1/9, Oberamt an Gemeinde Vaduz, 8. April 1796.
77) LLA RA 32/1/11, Oberamt an Gemeinde Schaan, 23. April 1796.
/8) LLA RA 32/1/12, Oberamt an Hofkanzlei, 12. Mai 1796.
79) LLA RA 32/1/13, Hofkanzlei an Oberamt, 10. Juni 1796, einge-
gangen am 26. Juni 1796.
50) LLA RA 32/1/14, Oberamt an die Gemeinden Vaduz und Schaan
28. Juni 1796.
81) LLA RA 32/1/15, Oberamt an Gerichtsschreiberei zu Dornbirn,
27. November 1796.
82) LLA RA 32/1/16, Gericht Dornbirn an Oberamt, 10. Dezember
1796.
83) LLA RA 32/1/18, Oberamt an Gemeinde Schaan, 8. Januar 1797.
84) Ebenda, Oberamtsvermerk.
a
Gemeinde Vaduz wurden der Richter Franz Joseph
Öhry von Ruggell und der Schellenberger Säckel-
meister Hans Jörg Wohlwend als unpartelische
Schätzer aufgeboten.® Auf Drängen des Oberamts
nominierte auch Schaan seine Schätzleute, nämlich
alt Landammann Rhomberg und Gerichtsschreiber
Ganahl, beide von Dornbirn.®® Auch die Gemeinde
Buchs wurde aufgefordert, ihre allfälligen Rechte
im Vermessungsgebiet nachzuweisen.®” An einer
Gemeindeversammlung wurden Ammann Hans
Jakob Senn, die Richter und Säckelmeister sowie
einige andere Private als Interessenvertreter be-
stimmt.®® Sie sollten gemeinsam mit den Vertretern
von Schaan und Vaduz die Grenzen ihrer Gemein-
heiten aufsuchen und «die nuzung bejder Theilen
aus ein andern zu sezen und zu sönderen».®
Am 26. März 1797 fand im Beisein von Amt-
schreiber Goldner in Schaan eine Gemeindever-
sammlung statt. Sie sollte entscheiden, ob sie mit
dem von den Feldmessern vorgeschlagenen Tei-
lungsplan einverstanden wäre und die Teilung den
unpartelischen Schiedsrichtern «zu geschlossener
Hand übergeben» wolle, oder ob sie eine gütliche
Teilung ablehne und die Sache den Gerichten über-
lassen wolle. Die Versammlung war einverstanden,
die Teilung letztlich den Schiedsrichtern zu überge-
ben. Vorher aber wollte Schaan mit der Gemeinde
Vaduz drei eigene Teilungsvorschläge verhan:
deln.®
Nun begann eine weitere Kette von Auseinan-
dersetzungen. Sie kann hier im einzelnen nicht
erörtert werden. Vaduz weigerte sich, auf die
Schaaner Vorschläge einzutreten.?' Auch ein Ver
mittlungsvorschlag seitens der von Schaan bestell-
ten Schiedsrichter aus Dornbirn wurde abgelehnt.
Diese beklagten sich beim Oberamt: «Es ist, wir
müssen bekennnen, ein wahres Unglück für die
ZWO0 streitenden Gemeinden, wenn sie im Wege der
Güte, wozu wir noch nicht alle Hoffnung aufgeben,
nicht auseinander gebracht werden können.» Die
Hoffnung war vergebens. Das Misstrauen beider-
seits war zu gross. Vaduz warf den Schaaner
Schiedsrichtern vor, das Teilungsgeschäft absicht-
lich zu verzögern.” Schaan klagte, dass das Tei
lungsergebnis von Vaduzer Bürgern schon vorweg-
genommen und dementsprechend widerrechtliche
Nutzungen vorkämen.?* Schadenklagen wurden
auch von Vaduz gegen Schaan erhoben.” Auch die
gewählten Gemeindevorgesetzten gerieten unter
den Druck ihrer eigenen Leute. So wollte Land-
ammann Tschetter von Schaan seinen Dienst quit-
tieren. In Schaan seien Aufwiegler am Werk. Er
werde in allen Häusern, Gassen und Strassen, bei
Jungen und Alten, Schelm, Spitzbub und Ketzer
gerufen. Seine ganze Familie, ja die unschuldigen
Enkel seien wie «verscheuchte Häslein» und müss-
;en nichts als Flüche über ihren Ehni hören.”
Nach mehreren vergeblichen Anläufen ordnete
das Oberamt die Schätzung der Gemeinheiten auf
den 3. August 1797 an. Per Amtsbefehl wurden
die Gemeindevertreter aufgeboten und gemahnt,
85) LLA RA 32/1/20, Oberamt an Richter Franz Joseph Öhry,
ıuggell, sowie an Säckelmeister Hans Jörg Wohlwend, Schellenberg,
2, März 1797.
36) LLA KA 32/1/22, Lorenz Tschetter, alt Landammann. namens
der Gemeinde Schaan an die Gemeinde Vaduz, o. D., beim Oberamt
eingegangen am 13. März 1797.
87) LLA RA 32/1/27, Oberamt an Landvogt zu Werdenberg,
9. März 1797.
88) LLA RA 32/1/28, Landschreiber Fridolin Luchsinger, Werden-
derg an Oberamt, 16. März 1797.
S9) Ebenda.
0) LLA RA 32/17/29, Protokoll von Amtsschreiber Johann Joseph
Goldner über eine Gemeindeversammlung in Schaan, 26. März
1797.
91) LLA RA 32/1/45, Vorgesetzte der Gemeinde Vaduz an Oberamt,
o. D., eingegangen am 8. Mai 1797.
92) LLA RA 32/1/42, Dr. Joseph Ganahl und Franz Martin Rhom-
berg, alt Landammann, an Oberamt, 23. April 1797.
J3) LLA RA 32/1/45, Vorgesetzte der Gemeinde Vaduz an Oberamt,
0. D., eingegangen am 8. Mai 1797.
24) LLA RA 32/71/37, alt Landammann Lorenz Tschetter an Oberamt,
„2, April 1797.
35) LLA RA 32/1/38, Oberamt an Dr. Ganahl, k. k. Gerichtssechreiber
zu Dornbirn, 12. April 1797: LLA RA 32/1/45, Vorgesetzte der
Gemeinde Vaduz an Oberamt, 0. D., eingegangen am 8. Mai 1797.
96) LLA RA 32/1/32, alt Landammann Lorenz Tschetter an Oberamt.
o. D.
Zu
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PLANKEN / ALOIS OSPELT
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Vollmacht der Vaduzer
Gemeindsleute, Vaduz,
8. August 1797
95 Versammlungsteil-
nehmer respektive stimm-
berechtigte Haushaltvor-
stände bestätigen mit ihrer
eigenhändigen Unter-
schrift, dass sie «in Sachen
lie Abtheilung der
Gemeinheiten zwischen
Vadutz und Schan betr.»
den Adlerwirt Johann
Rheinberger, Joseph Risch
und Johann Georg Thöny
«nebst den Richter, Säckel
meister und geschwohr-
nen als Ausschüsse erwäh:
let haben». Sie erteilen
ihnen auch «alle Vollmacht
und Gewalt, sich in Sachen
gütlich einzuverstehen,
über diejenigen Punckten,
über welche man nicht
gütlich überein komen
könnte, zu compromitiren
und diese Punckten zu
geschlosener Hand zu
übergeben, der gestalten,
dass sodan von dem Com-
promis Spruch kein weite-
res Rechtmittel Platz
greifen, sonder alles bey
solichem sein lediges
bewenden haben solle»
Die gewählten Vaduzer
Ortsvorstände (die vier Ge-
schworenen) waren, wie
aus den Oberamtsproto-
kollen zu entnehmen ist,
Ferdinand Rheinberger,
Johann Risch und Andreas
Verling, alle «des Ge-
richts», sowie Matthäus
Kaufmann, Säckelmeister.
x”
Aa
zes
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A
«durch Widersetzlichkeit zu Kosten und Zögerung
keinen Anlass zu geben».?”
Am 8. August 1797 fanden in allen beteiligten
Gemeinden Versammlungen statt. Es wurden be-
vollmächtigte Vertreter zu den eigentlichen Tei-
iungsverhandlungen gewählt. Die Vollmachten
wurden von allen Versammlungsteilnehmern un-
terschrieben.®®
Am 8. und 10. bis 16. August 1797 fanden beim
Oberamt getrennte und gemeinsame Verhandlun-
gen zwischen den Gemeindevertretern statt.” Den
Verhandlungen zugrunde lagen die Vermessung,
die vorgenommene Schätzung und der Teilungs-
vorschlag seitens der Geometer und Schiedsrichter.
Strittig waren nicht nur Einzelheiten der vorge-
schlagenen Bodenzuteilung, sondern vor allem die
Festlegung der Zahl der berechtigten Nutzungsteil-
nehmer in den beteiligten Gemeinden. Diese Zahl
bildete nämlich den Verteilungsschlüssel. Am 13.
August bestätigten die Vertreter von Schaan und
Vaduz die Zahl der Teilnehmer an der Teilung:
Schaan —- 146 %, Vaduz - 124, Mühleholz — 3 Teil-
nehmer.‘ Am 19. August 1797 deponierten die
Schiedsrichter den Markenbeschrieb.!'*! Die Ge-
meindeterritorien von Schaan, Vaduz und Planken
waren damit bis auf wenige Ausnahmen abge-
steckt.
Dann gingen die Streitereien aber erst rich-
tig los. Schaan beschuldigte Vaduz des Betrugs.
Vaduz habe «gegen die Abred und gegen den
vorliegenden Gemeindsbrief» (von 1740) zu viele,
beziehungsweise nicht berechtigte Teilhaber an
der Gemeindenutzung angegeben.'°*? Es folgte ein
Gerichtsprozess durch alle damaligen Instanzen.
Erneut reihten sich Äusserungen und Gegenäus-
serungen aneinander, verfasst von beigezogenen
Juristen. Stets wachsende Aktenpakete mit Rechts-
gutachten, beglaubigten Akten- und Protokollaus-
zügen, amtlichen Stellungnahmen und anderen
Dokumenten, wurden zwischen Wien und Vaduz
hin- und her versandt. Die Gemüter in den beiden
Dörfern erhitzten sich erneut.
Am 30. Mai 1798 klagten die Vaduzer beim
Oberamt, Schaan «treibe alles ihr Vieh auf den
Antheil im Sommerried, der nun der Gemeind
Vadutz zugehöre, und ruiniere ihn dergestalten,
dass sie von dem beträchtlichen Nutzen, den sie
sonst gehabt hätte, nichts zu hoffen habe.» Auch
die Pfaffenmäder hätten die Schaaner «gänzlich
ausgefrätzt».'®® Der Schaden wurde vor Ort durch
neutrale Schiedsrichter aus dem Unterland fest-
gestellt. Sie fanden das Sommerried so abgeätzt
wie seit mehreren Jahren nicht mehr und «einen
von der Gemeind Schan aufgestellten Kuhhirten
ınter einem dabey stehenden Felbenbaum schla-
end». 148 Stück Hornvieh wurden gezählt.!** Der
Schaden wurde später unter Beizug von Josef Leo-
old Gugger, vorarlbergisch ständischer Buchhal-
‚er, Landammann Nescher und Johann Georg Hel-
dert, des Gerichts, aus Eschen geschätzt. Er wurde
auf 248 Gulden beziffert, was 124 Fudern Streue
entsprach. !°
Am 26. November 1799 entschied schliesslich
ein 80-seitiges Rechtsgutachten der juristischen
Fakultät der Universität Freiburg i. Br.!% Es kam
zum Schluss, «dass die klägerische Gemeinde
Schaan mit ihrem ganz unbegründeten und un-
97) LLA RA 32/1/52, Oberamtsbefehl vom 3. August 1797.
98) LLA RA 32/1/58, Vollmacht für die Vertreter der Gemeinde
Schaan, 8. August 1797: LLA RA 32/1/59, Vollmacht für die
Vertreter der Gemeinde Vaduz, 8. August 1797; LLA RA 32/1/60,
Gemeindeversammlungsprotokoll Schaan, 8. August 1797
J9) LLA RA 32/1/61-63, Oberamtsprotokolle vom 8., 10. und 14.
August 1797.
00) LLA RA 32/1/64, Bestätigung, 13. August 1797.
101) LLA RA 32/1/75, Verzeichnis der abgemessenen und zuge-
wiesenen Gemeinheiten, 19. August 1797; LLA RA 32/1/76-78,
Oberamtsprotokolle vom 19. August 1797.
102) LLA RA 32/1/80, Oberamtsprotokoll vom 16. Dezember 1797
103) LLA RA 32/1/126, Oberamtsprotokoll vom 30. Mai 1798.
104) LLA RA 32/1/144, Bericht von Amtsschreiber Goldner, Land-
ammann Franz Josef Nescher und Sebastian Marxer, des Gerichts,
über einen Augenschein im Sommerried.
105) LLA RA 32/1/145, Kommissionsprotokoll vom 14. Dezember
1798.
106) LLA RA 32/1/166, «Rechtliches Gutachten in Sachen der
Gemeinde Schaan contra die Gemeinde Vadutz pto. streitiger Zahl
der Antheilnehmer an den Gemeinheiten, und Vibervortheilung
bei geschehener Abtheilung derselben», Freiburg, 26. November
1799.
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
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AK S RR 7. { va.
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«Tagfahrts»-Beschluss,
Schaan, 8. August 1797
Besonders interessant
ist die Art der Beschluss-
fassung in Schaan,
die aus dem dem Oberamt
übergebenen Dokument
zu ersehen ist. Danach
wurde eine «Tagfahrt»
anberaumt. Mit Tagfahrt
wird eigentlich eine
Vorladung zu einem Ge-
richtstermin bezeichnet.
Hier ist wohl eine Ge-
meindsversammlung ge-
meint. Möglicherweise
wurden die Unterschriften
aber auch «botweise»
durch die Geschworenen
eingeholt. In der Einlei-
tung wird festgehalten,
dass den Ausschüssen,
«welche das abtheilungs-
geschäft mit der gemeind
Vaduz abzuteilen, vor-
nehmen wolen», «von je-
dem gemeindsman» eine
Vollmacht gegeben werden
soll. Dies könne mit eigen-
händiger Unterschrift
««sovil schreiben kahn, mit
ıahm und geschlecht»),
nit Hauszeichen oder mit
Vollmacht an einen Drit-
ten geschehen. Zuerst
werden die Namen der
Vertreter der Gemeinde
Schaan aufgeführt, die
oevollmächtigt werden
sollen: Lorenz Tschetter,
alt Landammann, Johann
Peter Gutschalk und
Johann Risch, beide «des
Gerichts», sowie Andreas
Konrad, Johannes Qua-
derer, Andreas Risch und
Joseph Anton Beck.
Geschworenen bot in Winckler bot
(em Winckel»
«Specke bot»
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van.
„se; S-
ann folgen die Listen der
ıstimmenden Gemeinds-
‚ute (Haushaltvorstände),
gliedert nach «Geschwo-
'nenboten», d.h. einzel-
an Dorfteilen.
Aufgeführt werden das
«Geschworen bot in dem
Winckel» oder «Winckler
bot» mit 35 Namen, das
«Specke bot» mit 36 Na-
men, das «Lindauer bot»
mit 26 Namen und das Bot
«Obergass» mit 20 Namen
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
«Lindauer bot»
«Ober gass»
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Dieses Dokument ist ein
seltener Beleg für die
Jrganisation der alten
örtlichen Nachbarschaft
der Dorfgenossenschaft
or der Aufhebung der
alten Landammannverfas-
sung im Jahre 1808. Es
zeigt die Einteilung des
Jorfes in vier «Bote», d.h.
3ezirke. In diesen war
wohl jeweils ein Geschwo-
cener für das Aufgebot zu
jemeinwerk, für den
zZinzug von Umlagen
1.a.m. zuständig. Mögli-
;herweise wählte jedes
3ot seinen eigenen
jeschworenen. In den
„isten finden sich unter
len «Gemeindsmannen»
vereinzelt auch Frauen,
Nitwen, die einem Haus-
ıalt vorstanden. Auch der
ıeute nicht mehr bekannte
Vame «Lindau» für einen
Ortsteil respektive ein
«Bot» von Schaan scheint
m Dokument auf. Der
ame ist bereits in
ler Fahr- und Triebord-
ıung von 1704 enthalten,
vo «Lindauer» als Orts-
eilbewohner erwähnt
verden (vgl. S. 10, Anmer-
<ungen 24 und 25 sowie
5.15, Anmerkungen 31
ınd 32).
statthaften Klagwerke platterdings abgewiesen,
auch der beklagten Gemeinde Vadutz alle verur-
sachte Kosten nach richterlicher Ermässigung,
so wie den erweislich vermissten Nutzen, und ver
ursachten Schaden zu erstatten und zu ersetzen
schuldig erkannt, auch der Gemeinde Schaan und
ihrem Schriftverfasser die gebrauchte ungebührli-
che, anzügliche Schreibart, mit Anbedrohung einer
schärfern Ahndung für den Wiederbetretungsfall,
nachdrucksamst verwiesen, die beklagte Gemeinde
Vadutz dagegen mit der angestellten Injurienklage
auf Abbitte und Genugthuung, ebenfalls abgewie-
sen werden solle».
Schaan versuchte, weiter zu prozessieren. Das
Oberamt berichtete dazu an die Hofkanzlei:!% «Wir
äusserten zwar den Wunsch, dass sich die Ge-
meind Schan, die nicht nur den Prozess verloren
hat, sondern auch in alle Kösten und verursachte
Schäden verfällt worden ist, von weitern recht-
l.Lichen] Prozeduren abstehen möchte: allein die
Leute sind hievon nicht abzubringen; und damit sie
uns nicht wieder perhorreficiren und als par-
teyl.Llich] ausrufen: So haben wir den sichersten
Weg gewählt, und bitten gehorsamst uns die
Weisung zugehen zu lassen». Aus Wien kam dann
am 9. November 1801 der fürstliche Auftrag ans
Oberamt, die Gemeinde «weilen res judicata vor-
handen» schlechterdings abzuweisen.!'® Es blieb
bei der Teilung und den Grenzen von 1797. 1811
schliesslich wurde auch noch der gemeinsam
genutzte Wald bei Planken zwischen den drei Dör-
fern aufgeteilt.!”° Das Teilungsgeschäft war damit
abgeschlossen, die Gemeindegrenzen waren fest-
gelegt.
Anhand der zeitgenössischen Vermessungsplä-
ne!!9 und Verzeichnisse!!! aus dem Jahre 1797 lässt
sich das geschilderte Teilungsgeschäft etwas näher
illustrieren. Zur Verteilung zwischen Schaan und
Vaduz kamen 1797 unter der Landstrasse rhein-
wärts 1960 815 Klafter Auen, Wiesen und Riede, ob
der Strasse 1329035 Klafter an «Weidgang und
Waldungen». Schaan wurden unter der Landstras-
se 1260143 Klafter, ob der Strasse 739342 Klaf-
ter mit einem Schätzwert von total 74 527 Gulden
zugeteilt. Vaduz bekam unter der Landstrasse
700671 Klafter, ob der Strasse 589 692 Klafter mit
einem Schätzwert von insgesamt 63547 Gulden.
Pro teilnehmende Hausstätte errechnete sich so
ein Anteil von insgesamt etwa 12000 Klaftern
Boden.!!*
Noch nicht verteilt wurden die von Vaduz,
Schaan und Planken gemeinsam genutzten Böden
ınd die «MayenAtzung» auf dem Plankner Ried mit
einer Fläche von 213 217 Klaftern. Ebenso erst spä-
107) LLA RA 32/1/178, Oberamt an Hofkanzlei, 13. Oktober 1801
108) LLA RA 32/1/179, Hofkanzlei an Oberamt, 9. November 1801
109) LLA RB 58, Nr. 268pol.. GAP 106, Teilungsprotokoll vom
7. November 1811
10) Im Landesarchiv befinden sich dazu zwei grossflächige Plan-
Jlätter, 1797 erstellt von den beiden Feldmessern Kaspar und
johann Michael Möser, Vater und Sohn, aus Dornbirn (LLA K34 u.
<35). Das erste Blatt trägt den Titel «Mapa oder Blan von der Obern
Au am Rhein zu Fadutz alwo das Starkgelbe der Gemeinde Fadutz
ınd das Schwach gelbe der Gemeinde Schan zugetheilt worden»,
auf der Rückseite «Mapa oder Blan von der Au am Rhein, zu Fadutz
30 die Gemeinde Fadutz und Schan gehören, wie selbe jeder zu-
zetheilt worden». Das zweite Blatt ist bezeichnet mit «Mapa oder
3lan von dem Schan ried und Banried und Blangner Ried, wie auch
der Mayen trätigen Wiessen, alwo auf dem Algemeinen Ried und
Auen das Starck Gelb geduschte der Gemeind Fadutz und schwach
Gelbe der Gemeinde Schan zugetheilt worden», auf der Rückseite
nit «Mapa oder Blan von dem Schan- und Banried, wie auch der
Mayenträtigen Wiessen so der Gemeinde Fadutz und Schan in der
„jechtensteinischen Herrschaft Fadutz». Ebenfalls vorhanden ist ein
nicht datierter Plan über die Vermessung der Waldparzellen um
2lanken mit dem Titel « Mapa oder Blan von der Abgemessenen
Waldung auf Plaln]gen, was selbe von einem bezirg oder Linie bis an
die andere Mass hab, für die Löbl. Gemeind Schan und Faduz, so im
Jahrgang 1797 Abgemessen worden durch mein Joh: Kaspar
Mässer. Feldmesser von Dornbiern» (LLA o.S. bei RB S8 Nr. 268 pol./
neu in Plansammlung). Der Plan wurde zweifellos gleichzeitig mit
den genannten beiden Blättern von den Feldmessern Möser erstellt.
Die von diesen ebenfalls gezeichneten Pläne über die Vermessung
und Zuteilung des gesamten übrigen Waldbesitzes von Vaduz und
Schaan sind leider nicht mehr vorhanden.
111} LLA RA 3271/75. Flächen-, Schätzungs- und Teilungsverzeich-
ıisse, unterzeichnet in Vaduz von den Feldmessern Johann Michael
und Johann Kaspar Möser, sowie von den Schätzmännern Franz
Martin Rhomberg, alt Landammann, Franz Joseph Öhry und Rochus
Fehr, des Gerichts, Hans Jörg Wohlwend, Säckelmeister, 19. August
1707
112) In den Bitt- und Rekursschriften der Gemeinde Schaan an den
“ürsten vom 29. März und 5. April 1798 werden pro Teilnehmer
3660 Klafter Wald und Auen sowie 2 808 Klafter Maientrattwiesen
mit einem Gesamtwert von mindestens 1 000 Gulden angeführt (LLA
RA 32/71/85 und 86).
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200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
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Teilungspläne 1797
zwei Planblätter, 1797
erstellt von den beiden
Feldmessern Kaspar und
Johann Michael Möser,
Vater und Sohn, aus Dorn-
birn
a) Das erste Blatt trägt
den Titel «Mapa oder Blan
von der Obern Au am
Rhein zu Fadutz alwo das
Starkgelbe der Gemeinde
Fadutz und das Schwach
gelbe der Gemeinde Schan
zugetheilt worden», auf
der Rückseite «Mapa oder
Blan von der Au am
Rhein, zu Fadutz, so die
Gemeinde Fadutz und
Schan gehören, wie selbe
jeder zugetheilt worden»
A
U
b) Das zweite Blatt ist
bezeichnet mit «Mapa
oder Blan von dem Schan
ried und Banried und
Blangner Ried, wie auch
der Mayen trätigen Wies-
sen, alwo auf dem Alge-
meinen Ried und Auen
das Starck Gelb geduschte
der Gemeind Fadutz und
schwach Gelbe der Ge-
meinde Schan zugetheilt
worden», auf der Rück-
seite mit «Mapa oder Blan
von dem Schan- und
Banried, wie auch der
Mayenträtigen Wiessen so
der Gemeinde Fadutz
ınd Schan in der Liech-
;ensteinischen Herrschaft
Fadutz»
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Inhaltsverzeichnis
200 Jahre Gemeindegrenzen
Schaan/Vaduz/Planken
Alois Ospelt 1
Uli Mariss - «Verräter und Wetterdämon»
Manfred Tschaikner 41
«Der einzige Mann, der die Sache auf sich
nehmen könnte ...»
Jürgen Schremser 49
Landesverrat:
Der Fall des 1944 in der Schweiz hinge-
richteten Alfred Quaderer
Peter Geiger 109
Das alte Pfarrhaus auf dem Kirchhügel
Bendern
Georg Malin 143
Zur Baugeschichte des Hotels Löwen -
einer jahrhundertealten Taverne
Peter Albertin 203
Rezensionen 251
Jahresbericht des Historischen Vereins
für das Fürstentum Liechtenstein 1998 257
Liechtensteinisches Landesmuseum 1998 291
Das Liechtensteinische Landesmuseum
vor dem Neubeginn
Michael Pattyn und Norbert W. Hasler 307
V
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
c) zusammengesetzte
Pläne a) und b)
d) Plan über die Vermes-
zung der Waldparzellen
um Planken im Jahre 1797
mit dem Titel « Mapa
oder Blan von der Abge-
messenen Waldung auf
Pla[n]gen, was selbe von
einem bezirg oder Linie
bis an die andere Mass
nab, für die Löbl. Gemeind
Schan und Faduz, so im
Jahrgang 1797 Abgemes-
sen worden durch mein
Joh: Kaspar Mässer, Feld-
messer von Dornbiern»
ter, im Jahre 1811, wurden gemeinsam genutzte
Wälder auf Planken mit einer Fläche von 141226
Klaftern sowie weitere nicht vermessene Flächen
in schlecht nutzbarem Steilgelände geteilt. Ihr
Gesamtwert wurde mit 9829 Gulden geschätzt.‘®
Insgesamt betraf das Teilungsgeschäft zwischen
den drei Dörfern etwa 3,65 Millionen Klafter (zirka
13,1 km*) Boden mit einem damaligen Schätzwert
von zirka 145 000 Gulden.
Nachdem am 22. Januar 1804 32 Bürger eine
entsprechende Bittschrift beim Oberamt einge-
reicht hatten,'!* verteilte schliesslich Vaduz nach
entsprechenden Vorbereitungen und Abklärungen
im Jahre 1806 insgesamt zirka 685000 Klafter
der ehemaligen Mark. Es handelte sich dabei um
den grössten Teil des Bodens unter der Landstrasse
sowie um einige Flächen ob der Strasse. Für diese
Teilung erstellten die Feldmesser Johann und Jo-
seph Ellensohn, Vater und Sohn, aus Götzis, sowie
Andreas Büchel aus Balzers einen Plan.!'* 186 Teile
wurden ausgemessen und nach einem eigenen
Schlüssel an insgesamt 154 berechtigte Haushal-
tungen und Personen ausgegeben.
Der Schlüssel wurde in einer «Tabelle über die
Gemeindsgenossen dahier in Vadutz, wie solche
am 12ten Aprill 1806 bestanden»!!® umschrieben.
Danach hatten zu beziehen:
1. ein Ehepaar einen ganzen Teil,
2. ein Witwer oder eine Witwe einen halben Teil,
3. grossjährige Ganzwaisen, wenn zwei eine eige-
ne Haushaltung führen und alle Lasten tragen, mit-
einander einen ganzen, Minderjährige einen Fünf-
tel Teil,
4. Grossjährige Ganzwaisen, wo nur eines die
Haushaltung führt und die Lasten trägt, vier Sechs:
tel, und jeder Minderjährige einen Viertel Teil,
5. Grossjährige Waisen, die keine eigene, oder
wenn mehr als zwei eine eigene Haushaltung
führen, einen Drittel Teil,
6. Grossjährige Halbwaisen, denen Vater oder Mut-
ter gestorben, einen Viertel Teil, und jeder Minder-
Jährige einen Fünftel Teil,
7. Grossjährige, deren beide Eltern noch leben, ei-
nen Fünftel Teil,
8. Minderjährige, deren beide Eltern noch leben,
einen Sechstel Teil,
9. Witwer, Witwen und grossjährige Waisen, die
keine Haushaltung führen, einen Sechstel Teil.
Die Grossjährigkeit wurde mit vollendetem 18.
Altersjahr festgelegt.
Um das Ausmass der Privatisierung des Boden-
eigentums in Vaduz zu verdeutlichen, sei kurz
auf das Ergebnis einer Auswertung der erhalten
gebliebenen Steuererklärungen aus dem Jahre
180817 hingewiesen. Danach umfasste der im Pri-
vateigentum der Vaduzer Haushaltungen befind-
liche Boden (Gärten, Reben, Äcker, Wiesen, Streu-
mäder) vor der Aufteilung von 1806 eine Fläche
von total zirka 530 000 Klaftern. Insgesamt 826 000
Klafter an Acker-, Wies- und Streumäderfläche
wurde in den Fassionen noch als Gemeindeboden
(«sämtliche Gemeinden») geführt. Darin ist die
1806 ins Privateigentum überführte Fläche ehema-
liger Gemeinheiten von 684 630 Klaftern enthalten.
Das Privateigentum in Vaduz wurde also damals
mit einem Schlag mehr als verdoppelt. In Gemein-
besitz der Vaduzer Bürgerschaft verblieben neben
den Wäldern lediglich die Gemeinweidefläche (All-
mend) im Ebenholz mit 48950 Klaftern und die
Flur Äscher (Streumäder im Ried) mit 50 750 Klaf-
tern.'!® Letztere wurde 1834 um 1024 Gulden an
die Gemeinde Planken verkauft.!1®
S
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
Ausblick und Schluss
Auf die geschilderten Teilungsvorgänge folgte im
19. Jahrhundert eine Zeit tiefgreifender Umwäl-
zung und Reform von Wirtschaft und Gesellschaft.
Auf diese Vorgänge kann hier nicht eingegangen
werden. Nur stichwortartig sei die Ereigniskette
der Differenzen zwischen Schaan und Vaduz, der
allmählichen Loslösung der Tochter von ihrer Mut-
ter, weiter ausgelegt. Ein erstes Glied bildete die
1828 einsetzende und 1873 mit der Gründung der
Pfarrei Vaduz abgeschlossene kirchliche Trennung
von der Mutterpfarrei Schaan.!“® Auch dies war ein
spannungsgeladener, konfliktreicher Vorgang. Es
lolgte zu Beginn der 1880-er Jahre eine Auseinan-
Jersetzung um den Standort der Baumwollspinne-
cei Spoerry.!?! Und es reihte sich danach bis in die
Gegenwart weiter Glied an Glied in der Kette der
Rivalitäten. Es gibt die Rivalitäten noch heute. Sie
sind wohl bekannt, haben aber nicht mehr ganz so
ernsten Charakter.
Mit diesem Beitrag ist es hoffentlich gelungen,
die in der Geschichte liegenden Wurzeln der beson-
deren Verhältnisse und Beziehungen zwischen
Schaan und Vaduz aufzuzeigen. Es konnte nur
ein kleiner Abschnitt auf dem weiten Feld der
Gemeindegeschichte etwas gestreift werden. Uner-
wähnt blieben Einkaufsregelungen und Bürger-
rechte, die Organisation der verschiedenen dörf-
lichen Korporationen und der Gemeinde, ihre
Zuständigkeiten, ihr Verhältnis zum Staat, ihre Be-
deutung für die demokratische Tradition unseres
Landes; unerwähnt blieben auch die Grössen und
die Verteilung der verschiedenen Besitzarten, das
verworrene Geflecht von vielfältigen Abgaben und
Leistungen, erwachsen aus Herrschaft und Genos-
senschaft. Interessant wäre es auch gewesen, die
Zusammenhänge näher aufzuzeigen zwischen den
angesprochenen geschichtlichen Vorgängen und
den aktuellen Fragen der Reform des Gemeinde-
rechts!??, insbesondere denjenigen der Bildung
einer Bürgergenossenschaft.!“® Ortsgeschichte ist
ein wirklich anspruchsvolles, weites, und auch
aktuelles Feld der historischen Forschung!
1/13) LLA RB S8, Nr. 268pol., Teilungsprotokoll vom 7. November
1811. Schaan wurden 164, Vaduz 130, Planken 33 Teile zugerech-
1et.
114) LLA RA 32/2/1. Bittschrift vom 22. Januar 1804.
115) LLA RA 32/2/1-84, Akten betr. «Vadutz. Vertheilung und Ur-
jarmachung der Gemeinheiten der Gemeind», 1804-1808; GAV VS
lan über die Gemeinheitenaufteilung, d.h. der Privatisierung des
jemeindebodens: «Plan der löblichen Fürst-Lichtensteinische
‚emeind Vadutz im Jahr 1806».
116) LLA RA 32/2/55. «Tabelle über die Gemeindsgenossen dahier
1 Vadutz wie solche am 12ten April 1806 bestanden», 18. April
1806, Nachtrag, 29. April 1806.
117) GAV 11/1/6, «Steuerfassionen» (Steuerformulare, -erklärungen)
der Besitzer der Hausnummern 1-131 in Vaduz, o. D. (Juni 1808).
18) Der Autor hat einen Beitrag zur Privatisierung des Boden-
zigentums in Vaduz (1804 bis 1808) in Vorbereitung,
119) GAP 119, Kaufvertrag vom 19. Mai 1834, vom Oberamt
yestätigt, 11. Juni 1834.
120) Vgl. dazu Ospelt, Alois: Einige historische Notizen zu den
Anfängen der Vaduzer Ortskirchengemeinde. In: 125 Jahre Pfarrei-
gemeinschaft zu Sankt Florin Vaduz. Hrsg. Gemeinde und Pfarrei
Yaduz, 1999.
121) Vgl. dazu Ospelt, Alois: Gründung und Anfänge der Baum-
wollspinnerei Spoerry in Vaduz, 1880 bis 1885. In: Fabriklerleben:
ndustricarchäologie und Anthropologie. Triesen, 1994, S. 69-99
122) Die 1982 mit einer umfassenden Vernehmlassung einsetzende
ind mit Erlass des Gemeindegesetzes vom 20. März 1996 (LGBl.
‚996, Nr. 76) abgeschlossene Reform des Gemeinderechts hatte
‚uch die historische Entwicklung des Gemeindewesens in Liechten
;tein zu berücksichtigen (vgl. Bericht und Antrag der Regierung an
den Landtag, 1990, Nr. 67 und 1996, Nr. 10}.
123) Das gleichzeitig mit dem Gemeindegesetz erlassene Gesetz über
lie Bürgergenossenschaften vom 20. März 1996 (LGBl. 1996/77)
armöglicht das Fortleben der alten Dorfgenossenschaften und
Vachbarschaften in den Bürgergenossenschaften. Diese sollen die
"radition der alten Wirtschaftsgemeinde fortsetzen. Ihre Mitglieder
sind Nachkommen respektive Rechtsnachfolger der an den oben
geschilderten Teilungsvorgängen beteiligten Gemeindsgenossen. Bei
der erforderlichen Vermögensausscheidung mit den politischen
emeinde ist der Teil des oben erwähnten Bodens zu identifizieren.
der bis heute noch nicht privatisiert wurde. Er bildet den wesent-
lichen Kern der Existenzgrundlage für die Bürgergenossenschaften
‘vgl. Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag, 1990. Nr. 68
und 1996, Nr. 9)
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GEMEINDEGRENZE SCHAAN -VADUZ
1797 BIS 1952
© Durcn Beiiun zyakyene Gramze
NOENLEURBÜRO FROMMELT AG. 8400 Vacdur ;
Die bis zur Grenz-
regulierung zwischen
Schaan und Vaduz 1951/
52 geltende Gemeinde-
grenze von 1797, übertra
gen auf den neuesten
amtlichen Übersichtsplan
aus dem Jahre 1997
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DM
Die bis zur Grenz-
regulierung zwischen
Schaan und Vaduz 1951:
52 geltende Gemeinde-
grenze von 1797,
übertragen auf eine
jüngere Flugaufnahme
des Gemeindegebiets
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
ABBILDUNGSNACHWEIS
Ss. 6 f.: Walther Fach,
Landeskunde des Fürsten-
tums Liechtenstein. Dorn-
birn, 1938, S. 22 f.
5. 11 oben: LLA RA 41/6/
2/31, Skizze des Rheinver-
laufs von Landvogt Men-
zinger, 1790; vgl. dazu
auch: Ospelt, Alois: Wirt-
schaftsgeschichte des
Zürstentums Liechtenstein
'm 19. Jahrhundert. In:
JBL 72, 1972, S. 16-31,
und Anhang, Nr. 2,5. 7 f.
S. 11 unten: Landeskarte
der Schweiz 1:25 000,
Karte Nr. 1135 (Buchs).
Arsg. Bundesamt für Lan
destopographie. Wabern,
1998 (reproduziert
nit freundlicher Geneh-
nigung)
5. 12 f.: «Special-Charte
von dem innern Theile des
Reichs-Fürstenthums
Liechtenstein, nebst An-
zeigung dessen Landes
Beschaffenheit auf gnädig-
sten Befehl des regieren-
den Herrn Fürsten Iloseph
Wenzl von und zu Lichten-
stein aufgenommen und
verfertiget vom 28t. Octob-
ris bis ultimo Decembris
Anno 1756 durch Kolleffel,
Jbri. Lieutenant.» Aqua-
rellierte Federzeichnung.
Vormat 44,5 x 134,5 cm.
Jriginal Zentralbibliothek
Zürich. Fotoreproduktion
LLA
5. 18: LLA RA 29/3/1/1
und 2, Beschwerde vom
28. Dezember 1789,
eingegangen am 25. Ja-
nuar 1790
5. 27: LLA RA 32/17/59,
/ollmacht für die Vertreter
ler Gemeinde Vaduz,
3. August 1797
5. 29, 30 und 31: LLA RA
32/1/60, «Tagfahrts»-
3eschluss, Schaan, 8.
August 1797
S. 33, 34 und 35 oben:
„LA K 34 u. K 35
S. 35 unten: LLA 0o.S. bei
RB S8 Nr. 268 pol./neu in
Yansammlung
S. 38: Ingenieurbüro
“rommelt AG, Vaduz 1997
ANSCHRIFT DES AUTORS
Dr. phil. Alois Ospelt
Meierhofstrasse 45
FL-9490 Vaduz
ULI MARISS —
«VERRÄTER UND
WETTERDÄMON»
MANFRED TSCHAIKNER
ULI MARISS - «<VERRÄTER UND WETTERDÄMON»
MANFRED TSCHAIKNER
Vor nunmehr über einem halben Jahrtausend fand
die Schlacht bei Frastanz statt. Sie gilt als «eines
der bedeutendsten Kriegsereignisse in der Vorarl
berger Geschichte».! Es verwundert deshalb nicht,
dass diese Schlacht über Jahrhunderte hindurch
im Bewusstsein der Menschen geblieben ist und
sich darum einige Volkserzählungen gerankt ha-
ben. Dazu zählt die Überlieferung, dass die Nie-
derlage der österreichischen Seite massgeblich auf
den Verrat des Schaaner Bauern Uli Mariss zurück-
zuführen sei. Er soll einen Teil der Schweizer Trup:
pen über die Berge in den Rücken der Österreicher
geführt haben.
Vor einigen Jahrzehnten versuchte Alexander
Frick diesem Aspekt des Kriegsgeschehens den
Nimbus des Sagenhaften zu nehmen und seine his:
torische Realität nachzuweisen.“ Fricks Darlegun-
gen fanden breite Akzeptanz. Im Folgenden sollen
dem vermeintlichen Verräter Uli Mariss dennoch
einige weitere Überlegungen gewidmet sein, die
eine neue Interpretation seiner Rolle bieten.
DER HISTORISCHE ULI MARISS
Der bislang früheste historische Beleg für den Ver-
räter aus Schaan findet sich in der Kreyfeuer-
ardnung für die Herrschaften Bludenz und Sonnen-
berg aus dem Jahr 1652, Dort ist die Rede von
einem «Pauren von Schann, der Herrschaft Vadutz,
Ulrich bej der Kirchen genandt».* Gemeint war
wohl schon damals Uli Mariss, dessen Familien-
ıame jedoch erstmals in der Prugger’schen Chro-
nik aus dem Jahr 1685 aufscheint («ein falscher
und geldbegieriger Bauer, mit Namen Ulrich Mariss
von Schaan ab der Kirche»).*
Dass diese Angaben aus der zweiten Hälfte des
17. Jahrhunderts noch keinen Beleg für die Histo-
rizität des Uli Mariss und seines Verrats bilden,
steht wohl ausser Zweifel. Genauso wenig kann der
Umstand, dass für die Zeit kurz nach 1500 tatsäch-
ich ein bei der Schaaner Kirche wohnhafter Uli
Mariss in den Quellen fassbar ist, als Beweis dafür
gelten, dass er den Verrat begangen hat. Diese his-
torischen Nachweise gaben Alexander Frick über-
haupt mehr Rätsel auf, als sie zur Klärung der An-
gelegenheit beitrugen, denn laut Sage hatte der
Verräter seine Tat ja noch am Tag der Schlacht, am
20. April 1499, mit dem Leben büssen müssen.*
1) Burmeister, Karl Heinz: Die Schlacht bei Frastanz am 20. April
1499. In: Rheticus 21 (1999), S. 113-125, hier S. 120.
2) Frick, Alexander: Ist der Verrat des Uli Mariss nur eine vage
Sage oder geschichtliche Wirklichkeit? In: Jahrbuch des Historischen
Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Band 62 (1962), S. 81-101
ders.: Der Verrat des Uli Mariss wurde nicht in der Prugger’schen
Chronik 1685 erstmals aufgezeichnet, dies geschah schon etwa 150
Jahre früher. In: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürsten-
ijum Liechtenstein, Band 66 (1967). S. 37-45.
3} Burmeister (wie Anm. 1), S. 116.
4) Frick, 1962 (wie Anm. 2), 5. 85 £.
5) Frick. 1962 (wie Anm. 2). 5. 99 f.: Frick, 1967 (wie Anm. 2), S. 45.
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Eintragung im alten
Frastanzer Jahrzeitbuch
mit der Erwähnung des
Verräters von 1499:
«Traditor dictus [?] Urich
ob der Kirchen»
DIE EINTRAGUNG IM FRASTANZER JAHR-
ZEITBUCH
Die bislang wichtigste und gleichzeitig älteste Quel-
le zum Verrat bildet eine Eintragung im Frastanzer
Jahrzeitbuch. Sie lautet: Anno domini 1499 ist der
schwitzer Krig gesin den 20. tag Aprilis. Traditor
dictus [?] Urich ob der Kirchen.®
Wie die Schriftzüge erkennen lassen, handelt es
sich beim zweiten Satz der Aufzeichnung um einen
Nachtrag. In der Beschreibung des Generalvika-
riats Vorarlberg von Rapp und Ulmer heisst es,
dass «diese Eintragung zufolge ihres Schriftcha-
rakters noch mindestens der ersten Hälfte des 16.
Jahrhunderts an[gehört]». Diese zeitliche Zuord-
nung ist nachvollziehbar, nicht jedoch die Behaup-
tung, dass im Jahrzeitbuch auch schon der «Verrä-
ter Mariß von Schaan, genannt <ob der Kirchen»»,
angeführt sei. Diese Auffassung entspringt wohl
derselben Begeisterung für Sagen, auf Grund deren
ULI MARISS - «VERRÄTER UND WETTERDÄMON»
MANFRED TSCHAIKNER
die Autoren die Überlieferung vom Hirten auf
Amerlügen als «durchaus glaublich» bezeichneten:
Er soll beim Herannahen des Feindes zur Warnung
der österreichischen Truppen so lange ins Horn
geblasen haben, bis er tot umfiel.‘
Der Vermerk im Frastanzer Jahrzeitbuch, der
möglicherweise erst ein halbes Jahrhundert später
eingetragen wurde, bildet ebenfalls noch keinen
überzeugenden Beleg dafür, dass bei der Niederla-
ge von 1499 wirklich Verrat im Spiel war. Ja, selbst
wenn unmittelbar nach der Schlacht von Seiten der
Besiegten behauptet worden wäre, ihr Misserfolg
sei auf Verrat zurückzuführen, muss dies nicht
zutreffen.
Es lässt sich zwar einwenden, dass in der histo-
rischen Erinnerung der Eidgenossen möglicher-
weise auch deshalb keine Nachrichten über einen
Verräter erhalten sind, weil die Sieger wenig
Anlass sahen, sich dessen zu rühmen. Dagegen
spricht wiederum, dass aus Schweizer Sicht eine
bezahlte Führung der Truppen über den Berg-
rücken keinen Verrat dargestellt hätte, denn die
Bewohner der Grafschaft Vaduz hatten schon eine
Weile davor den Eidgenossen einen Untertaneneid
geleistet. Wenn Uli Mariss beim Übergang über die
nördlichen Ausläufer des Drei-Schwestern-Massivs
wirklich eine bedeutende Rolle gespielt hätte, wäre
dies also in der eidgenössischen Chronik nicht un-
bedingt zu vertuschen gewesen. Gleichzeitig kann
ein nicht erwähnenswerter Hilfsdienst kaum mit
der Entscheidung der Schlacht in Verbindung ge-
bracht werden.
DER FREMDE ULRICH OB DER KIRCHEN
War aber mit dem «traditor» (Verräter) im Frastan-
zer Jahrzeitbuch überhaupt Uli Mariss gemeint? In
den von Frick vorgestellten Quellen aus der Zeit um
1500 wird dieser nie allein als «Ulrich ob der Kir-
chen», sondern immer mit seinem Familiennamen
Mariss und der Zusatzangabe «zul[r] Kilchen» an-
geführt.
Schwerer wiegt jedoch der Umstand, dass im
Frastanzer Jahrzeitbuch kein Herkunftsort ver-
zeichnet ist, denn es gab in fast jedem Dorf einen
Bauern, der «ob der Kirchen» wohnhaft war. Wa-
rum ist die Herkunft aus Schaan nicht angeführt,
wenn ein Bewohner dieser Nachbargemeinde ge-
meint gewesen sein sollte? Wäre der Verräter all-
seits bekannt gewesen, hätte man seinen Namen
überhaupt nicht ins Jahrzeitbuch eintragen müs-
sen. War aber die Nachricht für spätere Jahrhun-
derte bestimmt, die von den Vorgängen nichts
mehr wussten, wäre die Herkunft des Verräters
ınbedingt zu erwähnen gewesen. Es drängt sich
die Vermutung auf, dass man diese eben nicht
(mehr) kannte.
Zum Zeitpunkt der Eintragung ins Frastanzer
Jahrzeitbuch wurde also wahrscheinlich noch eine
Person unbekannter Herkunft des Verrats beschul-
digt. Möglicherweise hatte sie sich früher arbeits-
bedingt eine gewisse Zeit lang in der Region um
Frastanz aufgehalten. Jedenfalls erfüllte ein Fremder
die Sündenbockfunktion viel unproblematischer als
Einheimische, deren soziale Ausgrenzung unter
Umständen tiefe Gräben zwischen Verwandtschaf-
ten aufgerissen hätte.
Für die Annahme, dass der Verrat einem Frem-
den zugeschrieben wurde, spricht auch das Kürzel
vor dem Namen, das wohl am ehesten wie bei
Burmeister mit «dictus» (= genannt) aufzulösen ist.
Bei Einheimischen würde damit höchstens der
Zuname angefügt sein (z. B. 1505: Virich Mares
genandt zur Kilchen); zumindest der Vorname
stand in jedem Fall fest. Wenn aber beide Namens-
formen unter dem Vorbehalt «dictus» angeführt
sind, deutet dies darauf hin, dass es sich um keinen
allseits bekannten Ulrich ob der Kirchen aus Fra-
stanz oder einem Nachbardorf handelte, sondern
dass man eben nur wusste, wie er genannt wurde.
6) Pfarrarchiv Frastanz, Altes Jahrzeitbuch, fol. 14a; bei der Auflö-
sung der Abkürzung nach dem Wort «traditor» halte ich mich an die
Lesung von Burmeister (wie Anm. 1), S. 118.
7) Rapp, Ludwig; Ulmer, Andreas: Topographisch-historische Be-
schreibung des Generalvikariates Vorarlberg. Bd. 6. Dornbirn, 1937,
S. 133
DIE ZUSCHREIBUNG DES VERRATS
AN ULI MARISS
Wie könnte es später zur Gleichsetzung des «Ulrich
ob der Kirchen» im Frastanzer Jahrzeitbuch mit
dem um 1500 in Schaan bezeugten Uli Mariss ge-
kommen sein? Auf eine heisse Spur wies bereits
Alexander Frick hin, indem er Darlegungen des
liechtensteinischen Historikers Peter Kaiser an-
führte, die Mariss in Verbindung mit den Hexen-
verfolgungen bringen. Kaiser schrieb um die Mitte
des 19. Jahrhunderts: «Das sonst angesehene Ge-
schlecht der Düntel in Schan, so wie das der Mariß
wurde besonders hartnäckig verfolgt. Beide Fami-
lien sind seitdem erloschen.»®
Hatte vielleicht die Namensähnlichkeit zwischen
der im Frastanzer Jahrzeitbuch eingetragenen Per-
son und dem Zunamen des Uli Mariss dazu geführt,
dass der Verrat von 1499 Jahrzehnte später eine
Rolle bei der Verfolgung eines oder mehrerer Mit-
glieder der Familie Mariss als Hexen oder Zauberer
spielte? Die Auffassung, dass sich die verderbliche
Bösartigkeit und der Hang zur Schädlichkeit ver-
erbten, gehörte jedenfalls zum Standardrepertoire
der Verfolger. Und für das Jahr 1598 ist tatsächlich
die Bezichtigung einer Els Mariss durch die Ge-
meindegeschworenen von Schaan belegt. Sie wur-
de in der Folge mit grosser Wahrscheinlichkeit als
Hexe hingerichtet.?
Die Abstammung von dem Verräter, der die
höchsten Menschenverluste seit unvordenklichen
Zeiten (mit)verursacht haben sollte, bildete für
die Mitglieder der Familie Mariss zusätzlich eine
starke Stigmatisierung. Bezeichnenderweise schei-
nen die Mariss kurz nach 1600 in Schaan nicht
mehr auf.!
Der Verrat von 1499 hatte sich noch verheeren:
der ausgewirkt als die Taten der Hexen. Diese gal-
ten ebenfalls als Verräter, und zwar an der gesam-
ten Christenheit; denn sie verbanden sich zu deren
Schaden mit den Mächten des Bösen und fügten
den Menschen heimtückisch unermesslichen Scha-
den zu.
Die Zuschreibung des Verrats an Uli Mariss
musste nicht in zynischer Absicht erfolgt sein,
sondern konnte durchaus derselben Überzeugung
entspringen wie die ernsthafte Bezichtigung des
Wetterzaubers und der magischen Schädigung von
Tieren.
Die Annahme einer nachträglichen Gleichset-
zung des Verräters von 1499 mit Uli Mariss im Zuge
der Hexenverfolgungen entkräftigt überdies einen
berechtigten Einwand Alexanders Fricks, der
meinte, die Bewohner von Schaan hätten sich
ınter gewöhnlichen Umständen «sicher dagegen
gewehrt, dass einer der ihrigen zu Unrecht so ver-
unglimpft werde».'! Wie sich zeigen lässt, erhielt
die Überlieferung von Mariss’ Verrat in Schaan
eine zumindest gleich schlechte Erinnerung wie
diejenige in Frastanz, obwohl die Region von
Schaan — anders als der Walgau und das Grosse
Walsertal - bei der Schlacht von 1499 keine Opfer
zu beklagen hatte. Dass die Liechtensteiner mit
ihrem Landsmann trotzdem so hart ins Gericht
zingen, passt gut zum Klima der Hexenverfolgun-
gen, die dort bekanntlich spätestens im 17. Jahr-
hundert beachtliche Ausmasse annahmen.
DIE VERFLUCHUNG DES ULI MARISS
Verstärkt wird die Vermutung, dass die Rolle des
Uli Mariss eng mit den Hexenverfolgungen zusam-
menhing, durch folgenden Brauch, den ebenfalls
schon Alexander Frick anführte: «Wenn ... das
Wetter sich gar nicht recht einstellen wollte, gingen
die Leute von Mauren in offizieller Prozession nach
St. Ilga in Tosters. Wenn das nichts nützte, griff
man zu einem richtigen Zauber. Eine Schar Mäd-
hen und Frauen fanden sich zusammen und pil-
gerten nach Maria Ebene. Dort beteten sie einen
Rosenkranz, aber statt eines Geheimnisses fügten
sie in der Mitte des Ave Maria immer die Verwün-
schung ein: «Verfluocht und vermaledeit sei der
Uoli Maris», Und wenn sie das fünfzigmal getan
hatten, so waren sie überzeugt, dass [sich] nun das
Wetter bessern werde. Das nannte man <den UVoli
Maris verfluchen».»'*
Hier zeigt sich die enge Verbindung zwischen
Mariss und dem Hexenwesen ganz deutlich: Der
tr
Der Historische Verein für
das Fürstentum Liechten-
stein verfolgt den Zweck,
die vaterländische Ge-
schichtskunde einschliess-
lich der Urgeschichte zu
fördern und die Erhaltung
der natürlichen und ge-
schichtlich gewordenen
liechtensteinischen Eigen-
art zu pflegen.
Art. 1 der Statuten des
Historischen Vereins für
das Fürstentum Liechten-
stein
Für den Inhalt der einzel-
nen Beiträge zeichnen die
Verfasserinnen und Verfas-
ser allein verantwortlich.
ULI MARISS —- «<VERRÄTER UND WETTERDÄMON»
MANFRED TSCHAIKNER
vermeintliche Verräter, der nach seinem Tod keine
Ruhe finden konnte und als Gespenst weiter sein
Unwesen treiben musste, erscheint nun als bedeu-
tender Wetterdämon. Seine verderbliche Tat von
1499 hatte Mariss, den Stammvater von Hexen,
noch stärker als diese - nämlich für alle Zeiten
zur Bedrohung für die (bäuerlichen) Menschen
gemacht. Als Herr über das Wetter versuchte man
ihn wie die Hexen magisch beziehungsweise durch
einen (volks-J)religiösen Ritus zu bannen.‘*
Blieb im Vergleich dazu die Rolle des Uli Mariss
in der Frastanzer Tradition nicht eigentlich be-
scheiden? In der Prugger’schen Chronik von 1685
heisst es nur, dass der Name des Verräters
während einer jährlichen Flurprozession im Mai
von den Frastanzern «verlesen» worden sei. Aus
der Geschichte Vorarlbergs von Weizenegger-Mer-
kle (1839) erfährt man allein, dass bei den Umgän-
gen für die Opfer des Verrats von Uli Mariss gebetet
wurde.!* Peter Kaiser schreibt kurze Zeit später
sogar noch deutlicher, dass «bei dem jährlichen
Umgang in der Bittwoche für die Seelen der Gefal-
lenen gebetet oder, wie das gemeine Volk glaubte,
der Fluch über Uli Mariß gesprochen wurde, des-
sen Verrath so viel fromme Männer in den Tod ge-
bracht» hatte.
Diese Diskrepanz in der Wahrnehmung ist noch
über ein Jahrhundert später dokumentiert: Bei
seinen Recherchen um 1960 erfuhr Alexander
Frick vom damaligen Frastanzer Pfarrer, dass er
von einer Erwähnung des Uli Mariss im Rahmen
der örtlichen Flurumgänge selbst bei alten Leuten
nichts gehört habe, während gleichzeitig der Histo-
riker Meinrad Tiefenthaler erklärte, eine Verflu-
chung habe einst sehr wohl stattgefunden.!® Die
Angelegenheit erscheint allgemein sehr vage und
ist darüber hinaus nicht vor dem 19. Jahrhundert
nachweisbar.
Für den heute liechtensteinischen Raum liegen
ebenfalls keine früheren Angaben über eine rituelle
Verfluchung vor. Dennoch verweist ihre stärkere
Ausprägung darauf, dass der Vorstellungskomplex
von Uli Mariss dort entstanden ist.
Im Gegensatz zu Frastanz war seine Verflu-
chung durch die Frauen von Mauren nicht in die
Flurumgänge während der Bittwoche im Mai inte-
griert. Sie erfolgte ohne zeitliche Festlegung und
wies auch nicht erinnernden Charakter auf, son-
dern galt der Bekämpfung eines Wetterdämons,
der noch in der Gegenwart als wirksam erlebt
wurde. Die Vorgangsweise der Maurer «gegen» Uli
Mariss lässt diesen geradezu als Gegenstück eines
vegionalen Heiligen erscheinen. Wurde von kirchli-
chen Heiligen durch Bittgänge Zuwendung erfleht,
so glaubte man, durch eine rituelle Verfluchung des
Schaaner Verräters im Rahmen einer Prozession
das Gegenteil erreichen zu können. Dadurch blieb
noch lange über die Zeit der Hexenprozesse hinaus
eine weitgehend akzeptierte Form von indirekter
Hexenverfolgung im öffentlichen Raum möglich.
ZUSAMMENFASSUNG
Der historisch nachweisbare Bauer Uli Mariss aus
Schaan soll laut Sage einen Teil der eidgenös-
sischen Truppen vor der Schlacht bei Frastanz
1499 über die Berge in den Rücken der Österrei-
cher geführt und damit deren verlustreiche Nie-
derlage wesentlich mitverursacht haben. Eine Ein
8) Kaiser, Peter: Geschichte des Fürstenthums Liechtenstein. Nebst
Schilderung aus Chur-Räuen’s Vorzeit. 1847. Hrsg. von Arthur
Brunhart. Vaduz, 1989. 5. 433.
9) Ebenda, S. 387 [.; Tschaikner, Manfred: «Der Teufel und die
Hexen müssen aus dem Land ...». Frühneuzeitliche Hexenverfolgun
gen in Liechtenstein. In: Jahrbuch des Historischen Vereins für das
7ürstentum Liechtenstein, Band 96 (1998), S. 1-197, hier S. 13
10) Tschugmell, Fridolin: Schaaner Geschlechter 1227-1950. Kurzer
Auszug aus dem allgemeinen Familienbuch Schaan. In: Jahrbuch
des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Band 60
(1960). S. 71-157. hier S. 99.
11) Frick, 1962 (wie Anm. 2), S. 100.
12) Frick, 1967 (wie Anm. 2), S. 40.
13) Vgl. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Hrsg. von
Hanns Bächtold-Stäubli. Band 2. Berlin-New York, 1987 (Nachdruck
v. 1927), Sp. 1637.
14) Frick. 1962 (wie Anm. 2), S. 86 und 88.
15) Kaiser (wie Anm. 8), S. 326.
16) Frick, 1962 (wie Anm. 2). 5. 96 f.
tragung im Frastanzer Jahrzeitbuch lässt jedoch
darauf schliessen, dass die Tat ursprünglich einem
ortskundigen Fremden zugeschrieben wurde, von
dem nur der Name, nicht jedoch die Herkunft
bekannt war.
Die Namensähnlichkeit (Ulrich ob der Kirchen —
Ulrich Mariss, genannt zur Kirchen) sowie die
Wesensverwandtschaft von Verrat und Hexerei er:
möglichten oder förderten vermutlich eine Gleich-
setzung des Verräters mit einem früheren Mitglied
der Schaaner Familie Mariss, die dadurch im Zuge
der örtlichen Hexenverfolgungen in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts zusätzlich stark stig:
natisiert wurde. Bald darauf übernahm die Bevöl-
kerung der Herrschaft Schellenberg und der Vor-
arlberger Nachbargemeinden die Identifizierung
des Verräters mit Uli Mariss.
Dieser galt nicht nur als Stammvater von Hexen,
sondern selbst als bedeutender Wetterdämon, der
für Unbilden der Witterung verantwortlich war. Als
solcher wurde er in Mauren bis ins 19. Jahrhundert
im Rahmen von eigens gegen ihn durchgeführten
Frauenprozessionen rituell bekämpft. Aufgrund ih-
ver Entstehungsgeschichte erscheint die dämoni-
sierte Gestalt des Uli Mariss als ein Gegenstück zur
Verdammung der Hexenverfolger in der Tobel-
hockersage.
BILDNACHWEIS
Diözesanarchiv Feldkirch
ANSCHRIFT DES AUTORS
Dr. Manfred Tschaikner
Beim Kreuz 42
A-6700 Bludenz
«DER EINZIGE MANN,
DER DIE SACHE
AUF SICH NEHMEN
KONNTE ...»
ZUR ROLLE VON DR. ALOIS VOGT IN DEN
LIECHTENSTEINISCH-DEUTSCHEN BEZIEHUNGEN
1938 BIS 1945
JUAGEN SCHRKEMSER
{inhalt
VORWORT
53
VOR 1938:
ALOIS VOGTS ENGAGEMENT IM
LIECHTENSTEINER HEIMATDIENST UND
IN DER VATERLÄNDISCHEN UNION
Ständestaatsidee und Antisemitismus
Alois Vogts Studien in Wien:
Jeutschnationale und antisemitische
Bewegungen auf Universitätsboden
Machtkompromisse und soziale Quer-
verbindungen
55
55
57
58
ALOIS VOGTS EINTRITT IN DIE REGIERUNG
A0OP 1938:
WEICHENSTELLUNGEN UND ZUSAMMEN-
ARBEIT
Erste Weichenstellung 1938:
Vorgaben Hoops und Einbindung Vogts 60
Zweite Weichenstellung 1938:
Selbstverpflichtung der VU - Distanzierung
von der Volksdeutschen Bewegung in
Liechtenstein (VDBL) 63
Wahrnehmung Alois Vogts im Deutschen
teich:
Zrwartungen und Unsicherheiten 64
Der Putschversuch 1939:
Testfall und Muster für die Zusammenarbeit
Hoop - Vogt
DIE REICHSDEUTSCHEN VERBINDUNGEN
VON ALOIS VOGT 1938 BIS 1945 68
Vogts deutsche Verbindungen im Überblick 68
Umstände der Verbindungsaufnahme:
Geheimdiplomatie und Nachrichtendienste 75
Abstimmung von Vogts Verbindungen
mit Regierungschef Hoop und Fürst Franz
Josef IL? 78
KONTAKTNAHMEN ALOIS VOGTS ZUR ZEIT
DER DEUTSCHEN SIEGE 1940 UND 1941 80
Alois Vogts Kontaktvorstösse in den
deutschen Quellen 80
Zwiespältiger Eindruck der Kontaktdiplomatie
der Jahre 1940 und 1941 81
Das Gedächtnisprotokoll vom 14. Oktober
1940 als Nachrichtenvorgang 82
Das Gedächtnisprotokoll vom 14. Oktober
1940 als politisches Verhandlungsdokument:
Rücksichten auf das Deutsche Reich und
die VDBL
IM VORFELD UND NACHGANG ZUR
BESPRECHUNG VON FRIEDRICHSHAFEN
AM 13. UND 14. MÄRZ 1943
Kontaktvorstösse Alois Vogts in den Jahren
1940 und 1941:
Vorsprachen im Auswärtigen Amt und bei
der Volksdeutschen Mittelstelle (VOMI) 87
Kooperationspläne VU — VDBL:
Deutsche Divergenzen und Alois Vogts
Lavieren
85
Disposition, Verlauf und Folgen der
Friedrichshafner Besprechung vom 13. und
14. März 1943
IC
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
ALOIS VOGTS INVOLVIERUNG IN DEUT-
SCHE GEHEIMDIENSTUNTERNEHMEN
1942 BIS 1944
Verhaftung des deutschen Devisenhändlers
Rudolf Blaschke:
Ein schweizerisch-liechtensteinischer
Kriminalfall
Gestapo Feldkirch:
«Weil uns die liechtensteinische Regierung
tatsächlich hilft wie sie nur kann» 95
«Der Fall ist einer der delikatesten über-
haupt»
Zwei Anfragen des SD-Auslandsgeheim-
dienstes an Alois Vogt:
Aktion Rosl und Steimle
RESÜMEE:
ZU UMSTÄNDEN UND INTERESSENLAGEN
DER REICHSDEUTSCHEN KONTAKTE ALOIS
VOGTS
Quellenverzeichnis
Verwendete Literatur
Abkürzungen
102
105
105
107
Jnsicherheiten und Zu-
rauen in der Koalitions-
regierung nach 1938
V.l.n.r.): Vizeregierungs-
chef Alois Vogt (VU), VU-
Parteichef Otto Schaedler,
Regierungschef Josef loop
/FBP). Mit abgenomme-
nem Hut: Dr. Ludwig
Marxer (FBP), Regierungs-
chef-Stellvertreter 1928
3is 1933
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Vorwort
Im Herbst des Jahres 1996 wurde der Verfasser
dieses Forschungsberichts von den Nachkommen
des liechtensteinischen Juristen und Politikers Dr.
Alois Vogt (1906-1988)' beauftragt, Nachforschun-
gen zur politischen Biographie ihres Vaters anzu-
stellen. Der Verfasser übernahm diese Aufgabe als
ausgebildeter Fachhistoriker. Abzuklären war die
politische Tätigkeit Vogts in den Jahren 1933 bis
1945, insbesondere die Phase seiner Regierungs-
mitarbeit während des Zweiten Weltkrieges. Alois
Vogt bekleidete damals neben dem liechtensteini-
schen Regierungschef Dr. Josef Hoop das Amt des
Regierungschef-Stellvertreters.
Vor Beginn dieser Arbeit und hinsichtlich ihrer
möglichen Publikation war die Wissenschaftlichkeit
des Unterfangens abzusichern: die quellenmässige
Nachvollziehbarkeit der Forschungsergebnisse und
die Unparteilichkeit des Erkenntnisinteresses. Die-
sen Anforderungen des Verfassers entsprachen die
Auftraggeber in dreifacher Hinsicht: Erstens konn-
‚en die Nachforschungen ohne Rücksicht auf eine
familiär «günstige» Einschätzung Alois Vogts durch-
geführt und kommuniziert werden. Dem Verfasser
wurde zweitens ein zeitlich offener Horizont für die
ihm notwendig erscheinenden Abklärungen ge-
währt. Schliesslich ermöglichten die Auftraggeber
die Auswertung der Privatakten ihres Vaters. Diese
Quelle wird in der vorliegenden Arbeit als PAAV
(Privatakten Alois Vogt) gekennzeichnet und stellt
eine wertvolle Ergänzung zum öffentlichen Archiv-
material dar.“
Die Recherchen unterstellten einen umfassen-
den Begriff der «politischen Tätigkeit». Von Inter-
esse waren alle parteilichen und amtlichen Hand-
iungen Vogts sowie damit verknüpfte, diesen vor-
gelagerte oder daraus erwachsende persönliche
Beziehungen. Demgegenüber legt die vorliegende
Darstellung den Schwerpunkt auf Vogts Regie-
rungsmitarbeit 1938 bis 1945. Es interessieren vor
allem die informellen Beziehungen mit Stellen und
Personen im Deutschen Reich.
Drei Gründe sind für diese Einschränkung mass-
geblich:
- In der zeitgeschichtlichen Literatur zu Liechten-
steins Aussenbeziehungen ist die generelle Aus-
richtung «freundlich nicht-provokativer Diplomatie
gegenüber Hitlerdeutschland» (Geiger) wenig um-
stritten.? Bezüglich der einzelnen Hauptakteure
werden unterschiedliche Akzente gesetzt.* Fürst
Franz Josef Il., Regierungschef Dr. Josef Hoop und
Ir. Alois Vogt unterhielten jeder für sich persönli-
che und diskrete Beziehungen ins Reich, unter
Umgehung, teils unter Brüskierung der schweize-
rischen Vertretungen.” Wurden dabei Sonderinter-
essen geltend gemacht, wurde zur Wahrung der
Eigenstaatlichkeit (zu) weitgehendes Entgegen-
<ommen signalisiert, gar konspiriert? Alois Vogt
ıimmt in den liechtensteinisch-reichsdeutschen
Beziehungen eine ambivalente Stellung ein. Der
Historiker Peter Geiger weist auf Vogts Sympathien
für das nationalsozialistische Deutschland hin,
') Alois Vogt, geb. 19. Juli 1906 in Balzers, gest. 23. März 1988 in
/aduz, seit 1933 Advokaturbüro in Vaduz, 1938-1945 stellvertre-
‚ender Regierungschef des Fürstentums Liechtenstein. Nach 1945 in
zahlreichen parteilichen und amtlichen Funktionen tätig
2) Nicht verwendet wurden die Akten aus dem fürstlichen Haus-
archiv. Betreffend Dr. Alois Vogt konnten die abzuklärenden Vor-
gänge durch andere Quellen und die bisherige Literatur erfasst
werden. Solches betrifft den Putschversuch 1939, die Überführung
‘üUrstlicher Gemälde nach Liechtenstein und den Konflikt zwischen
Zürst Franz Josef II. und der liechtensteinischen Regierung um die
"rrichtung der Berner Gesandtschaft 1944.
3) Zur freundlich-nichtprovokativen Politik gegenüber dem Deut-
schen Reich und der beibehaltenen Anlehnung an die Schweiz siehe
YJorst Carl: Liechtenstein und das Dritte Reich. Krise und Selbst-
behauptung des Kleinstaates. In: Liechtenstein-Fürstliches Haus und
;taatliche Ordnung. Hrsg. Volker Press, Dieter Willoweit. Vaduz/
München/Wien, 1987. S. 419-464; zur angesprochenen Frage der
zuswärtigen Politik siehe 5. 442 f.
<urzbeleg: Carl: Liechtenstein und das Dritte Reich. — Peter Geiger:
Anschlussgefahren und Anschlusstendenzen in der liechtensteini-
schen Geschichte. In: Liechtenstein. Kleinheit und Interdependenz
(LPS 14). Hrsg. Peter Geiger. Arno Waschkuhn. Vaduz. 1990, S. 83
1) In Bezug auf Alois Vogt bei Carl: Liechtenstein und das Dritte
Reich, S. 436; auch bei Gerhard Krebs: Zwischen Fürst und Führer.
‚jechtensteins Beziehungen zum «Dritten Reich». In: GWU 9 (1988),
S. 548-567. In dieser Frage siehe $S. 559.
<urzbeleg: Krebs: Zwischen Fürst und Führer.
5) Die Schweiz besorgte die diplomatische Vertretung Liechtensteins
m Ausland. Diese wurde bei der Vorbereitung und Durchführung
les offiziellen Berlin-Besuchs 1939 umgangen; siehe Peter Geiger:
X<risenzeit. Liechtenstein in den Dreissigerjahren 1938-1939, 2 Bde
/aduz/Zürich, 1997, S. 338-340 (Bd. 2).
Xurzbeleg: Geiger: Krisenzeit 1 (21
a
konstatiert andererseits: «Vogt stellte sich der Ver-
antwortung und arbeitete in der Koalitionsregie-
rung loyal zuammen.»° Es ist aufschlussreich zu
sehen, unter welchen Bedingungen diese Loyalität
herausgefordert wurde.
- Nach dem Krieg begannen die Behörden in
Liechtenstein und der Schweiz mit Abklärungen
zu Nachrichtendienstlich oder nationalsozialistisch
verdächtigen Personen. Alois Vogt wurde Gegen-
stand entsprechender Erhebungen. In Liechten
stein führten sie zur Erwägung einer Minister-
anklage,‘ in der Schweiz zur Verhängung einer
Einreisesperre gegen Alois Vogt vom April 1946 bis
zum Dezember 1947.® Alois Vogt wurde ausführ-
lich zu seiner Rolle in den deutsch-liechtensteini-
schen Beziehungen befragt. Die protokollierten
Aussagen Vogts beleuchten Motive und Umstände
der liechtensteinischen Beschwichtigungsdiplo-
matie und sind eine wichtige Ergänzung der zeit-
genössischen Quellen.
Schliesslich war Vogts Ernennung zum stellver-
tretenden Regierungschef im März 1938 für die
politische Laufbahn des jungen Juristen sowohl
retro- wie prospektiv eine Zäsur. Vogts Regierungs-
eintritt bedeutete für dessen Partei, die Vaterländi-
sche Union (VU), die Besetzung ihrer bis dahin ein-
Nussreichsten landespolitischen Position. Zugleich
hatte sich die VU als Koalitionspartner zu be-
währen; Vogt zählte zusammen mit dem Parteiprä-
sidenten Dr. Otto Schaedler zum rechten deutsch-
völkischen Lager der einstigen Oppositionspartei.
Was an ihrer Spitze vor 1938 ideologisch und tak-
tisch erwogen wurde, Allianzen mit dem Dritten
Reich, konnte nach dem Anschluss des Nachbar-
landes Österreich verbindlich und riskant werden.
Der Krieg verschärfte diese Situation, gerade für
Vogt. Der Bestand einer liechtensteinischen Staat-
ichkeit war nach 1939 elementar mit einer funk-
tionierenden Landesversorgung und dem Wohl-
wollen der deutschen Kriegsmacht verknüpft. Alois
Vogt stand als wirtschaftszuständiger Regierungs-
rat an zentraler Stelle der liechtensteinischen
Kriegsvorsorge und zusehends auch der reichsbe-
zogenen Kontaktdiplomatie. An ihn, das «deutsch-
freundliche» Regierungsmitglied. waren von an-
schlusswilligen Gruppen in Liechtenstein und im
Deutschen Reich Erwartungen geknüpft. Der Hin-
tergrund dieser Erwartungen, Alois Vogts Einsatz
in rechtsgerichteten Oppositionsgruppen der Dreis-
sigerjahre, ist eingangs dieses Forschungsberichts
kurz zu beleuchten.
Jennoch bleibt der Darstellungsanspruch ein-
geschränkt. Von Vogt lagen dem Verfasser keine
intentionalen Quellen: keine persönlichen Auf-
zeichnungen, kein «Kriegstagebuch» vor. Absich
ten und Motive des Handelnden müssen aus Amts-
dokumenten, Protokollen und Einschätzungen von
Gesprächspartnern erschlossen werden. Zahlrei-
che Kontaktnahmen Vogts sind zudem allein durch
deutsche Quellen überliefert,” hier sind Kontexte
abzuklären, Verbindungen zwischen scheinbar iso-
lierten Dokumenten aufzuweisen und Fragen an die
Involvierung Vogts zu stellen. Schliesslich wird kei-
ae zusammenhängende Darstellung der Kriegszeit,
auch keine Biographie des Politikers und Juristen
Alois Vogt vorgelegt. Durchsichtiger werden soll
Vogts Einbindung in die Kriegsdiplomatie, damit —
so hofft der Verfasser - auch deren kleinstaatliche
Voraussetzungen und «ungewöhnliche Mittel».'9
Ye
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Vor 1938:
Alois Vogts Engagement im
Liechtensteiner Heimatdienst
und in der Vaterländischen
Union
Vor Eintritt in die Regierung Hoop hatte sich Vogt
fünf Jahre politisch exponiert. Er gehörte am 1. Ok-
tober 1933 zu den Mitbegründern der oppositio-
nellen Gruppierung Liechtensteiner Heimatdienst
(LHD). Deren anfänglich reformerische Bekennt-
nisse wurden bald durch völkische und autoritäre
Positionen überlagert. Zahlreiche Gründungsmit-
glieder trennten sich deshalb vom LHD. Alois Vogt
blieb, neben Otto Schaedler und Carl von Vogel-
sang, in der Landesleitung. Nach Zusammen-
schluss des LHD mit der christlich-sozialen Volks-
partei (VP) zur Vaterländischen Union (VU) auf den
Jahreswechsel 1935/36 gehörte Vogt erneut als Se-
kretär dem Parteivorstand an. Zusammen mit Otto
Schaedler und Carl von Vogelsang zählte er zum
einflussreichen «rechten» Flügel der erweiterten
Opposition. Vogelsang war wie zuvor im LHD lei-
tender Redaktor der Parteizeitung, des nunmeh-
rigen «Liechtensteiner Vaterland».
Politische Praxis und personelle Zusammenset-
zung des LHD als rechtsgerichtete liechtensteini-
sche Oppositionsbewegung sind andernorts aus-
führlich dargestellt.'!! In Bezug auf Alois Vogt sollen
zwei Eigentümlichkeiten des LHD kurz beleuchtet
werden. Von Belang sind erstens die ideologische
Annäherung an völkische, antiliberale und autori-
täre Positionen in der europäischen Rechten der
Dreissigerjahre, zum zweiten die organisatorische
Verbindung mit Stellen und Personen im national-
sozialistischen Deutschland. Für die politische Prä-
gung Vogts und für seine spätere Zusammenarbeit
mit Regierungschef Dr. Josef Hoop sind weitere
Hintergründe benennbar: Vogts Studienzeit in
Österreich und soziale Querverbindungen in der
liechtensteinischen Kleingesellschaft.
STÄNDESTAATSIDEE UND ANTISEMITISMUS
Der LHD hatte kaum eigenes ideologisches Profil
Er bediente sich ausländischer Modelle. In Rhe-
torik und organisatorischer Selbstdarstellung wur-
den Elemente des deutschen Nationalsozialismus
und italienischen Faschismus, der österreichischen
Ständestaatsidee und der schweizerischen Erneue-
rung übernommen. Ausdrücklich lehnte man sich
an die katholische Gesellschaftslehre an. Die kirch-
liche Kritik an wirtschaftlicher und kultureller Mo-
dernisierung traf sich mit dem Wunsch nach einer
konservativ-autoritären Wende. Auch die antisemi-
tischen Ausfälle des LHD konnten an eine katholi-
sche Tradition anknüpfen und fanden über die
Grenzen der Organisation Gehör. '*
Ideologisch exponierte sich Alois Vogt von An-
fang an. Er verfasste zahlreiche Leitartikel in der
LHD-Zeitung und trat an den LHD-Versammlungen
neben Otto Schaedler als Redner auf. Zentral in
Vogts Texten ist die Propagierung eines liechten-
steinischen Ständestaates zur Überwindung von
Parteienstreit und Wirtschaftskrise. Vogt beschwor
den Gemeinnutz und die «religiösen und kulturel-
len Güter» Liechtensteins, die es gegen Atheismus
6) Geiger: Krisenzeit 2, 5. 180.
7) In den liechtensteinischen Landtagsakten 1946 finden sich die
staatsanwaltlichen Grundlagen zu dieser Überlegung: LLA LTA 1946
L 26.
8) Dokumentiert im Bundesarchiv Bern (BAB): BAB E 2001 (E)
1969/262 Bd. 40 sowie ebenda E 4320 (B) 1990/133 Bd. 52.
9) Zu dieser Quellenproblematik ergab sich eine Kontroverse Zwi-
schen den deutschen «Liechtenstein-Historikern» Horst Carl und
Gerhard Krebs. Siehe Horst Carl: Vom Handlungsspielraum eines
Kleinstaates - zu Gerhard Krebs: Zwischen Fürst und Führer.
Liechtensteins Beziehungen zum «Dritten Reich». In: GWU 8 (1989).
5. 486-493.
Kurzbeleg: Carl: Vom Handlungsspielraum eines Kleinstaates.
0) Formulierung von Alois Vogt in einem Schreiben an Dr. Alfred
Zehnder (EPD) vom 8. Juli 1946. Siehe BAB E 4320 (B) 1990/133
Bd. 52.
11) Ich stütze mich auf folgende Arbeiten: Joseph Walk: Liechten-
stein 1933-1945. Nationalsozialismus im Mikrokosmos. In: Das Un-
rechtsregime. Hrsg. Ursula Büttner. Hamburg 1986, Bd. 1,
S. 376-425. Kurzbeleg: Walk: Liechtenstein 1933-1945,
Klaus Biedermann: Der Liechtensteiner Heimatdienst 1933-1935.
Drei Jahre Kampf gegen den Parteienstaat für eine berufsständische
Irdnung, Seminararbeit Univ. Bern, 1991.
Geiger: Krisenzeit 1, S. 365-413.
12) Antisemitismus artikulierte sich im Liechtenstein der Zwanziger-
bis Vierzigerjahre in der Presse, bei den Pfadfindern, in Landtags-
debatten und - bürokratisch kanalisiert - im Nachvollzug deutscher
Vertreibungs- und schweizerischer Einwanderungspolitik gegenüber
jüdischen Personen ab 1938. Siehe Walk: Liechtenstein 1933-1945,
S. 379-384, sowie Geiger: Antisemitismus und Liechtenstein, öffent-
licher Vortrag 26. Mai 1997. Derselbe: Krisenzeit 2, 5. 427-467
55
und Bolschewismus zu verteidigen gelte.'* Auf den
Modellcharakter rechter europäischer Bewegungen
wies Vogt hin, ohne ihn näher zu untersuchen.!*
Vogts Texte tragen stark rhetorische Züge, sie sind
im LHD-Jargon appellativ und behauptend, Diffe-
renzierungen finden sich bei der Ständestaatsidee.
Ein berufsständischer Staatsaufbau sei gerade dem
kleinen kulturell, religiös und wirtschaftlich «ziem-
lich gleichförmigen» Liechtenstein angemessen.!®
Antisemitisches wurde in Vogts LHD-Artikeln, so es
dort überhaupt eine Rolle spielt, indirekt ange-
tönt.!'° In der Praxis machte Vogt einen zwiespälti-
gen Eindruck. Er assistierte in den Jahren 1936 bis
1938 in der VU-Kampagne gegen den landesansäs-
sigen deutsch-jüdischen Sally Isenberg dem Kam:
pagnenführer Carl von Vogelsang rechtlich und in
der Materialbeschaffung.!‘ Vogt irug die antisemi-
isch versetzte Einbürgerungskritik mit, ebenso die
Assozlierung des Jüdischen mit übermächtigen
Finanzkräften. In persönlichen und geschäftlichen
Beziehungen relativierten sich Vogts antisemitische
Einstellungen. In Unterredungen mit Isenberg
verhielt sich Vogt ausweichend, distanzierte er sich
vom Rassenantisemitismus.'® 1936 vertrat er die
jüdische Mandantin eines österreichischen Kolle-
gen in einer Einbürgerungsfrage.'” Während des
Krieges sollte Alois Vogt die Regierungspolitik ge-
genüber jüdischen Personen mittragen, die Abwei-
sung zahlreicher Aufenthaltsgesuche nach 1938
wie die deutscherseits beargwöhnte Duldung einer
jüdischen Kolonie in Liechtenstein während des
Krieges,
Auch in persönliche LHD-Verbindungen mit
Stellen im Deutschen Reich war Alois Vogt einbe-
zogen. Die Kontakte bestanden vor allem zum na-
tionalsozialistisch geprägten deutschen Auslands-
institut in Stuttgart und dem damit verbundenen
Volksbund für das Deutschtum im Ausland (VDA).
Sie wurden vom rechten VU-Flügel nach 1936 auf-
rechterhalten. Es kam zu gegenseitigen Besuchen,
zur Einrichtung eines deutschvölkischen Fremden-
verkehrs und zur Belieferung des LHD mit Propa-
gandamaterial.“” Ein VDA-Mitarbeiter datierte die
Verbindungsaufnahme ins Frühjahr 1934,%! Vogt
selbst gab nach dem Krieg an, anlässlich einer
LHD-Reise nach Stuttgart VDA-Vertreter persönlich
kennengelernt zu haben.“ Für den LHD-Exponen-
ten Vogt erwiesen sich die Kontakte ins Reich als
zweischneidig: Sie bedeuteten einerseits eine Auf-
wertung der eigenen ausserparlamentarischen Be-
wegung. Indem man sich auf Staatlichkeit und Auf-
9au-«Leistungen» der NSDAP bezog, machte man
die eigene Organisation wichtiger, ihre vagen
Reformideen und Einflussschwäche überspielend.
in dieser Hinsicht wurde die Anlehnung auch im
Vokabular, über den LHD-Besuchsverkehr** und in
den antisemitischen, durch das Dritte Reich «auto-
eisierten», Spitzen der Einbürgerungskritik offen-
gelegt. Dennoch gestalteten sich die deutschen Ver-
bindungen nicht problemlos. Dies lag einerseits an
cinschätzungen im Deutschen Reich, aber auch an
ınterschiedlichen Ambitionen der LHD-Exponen-
:en. Der LHD wurde als zu schwach oder als zu
wenig profiliert eingeschätzt.“* Skeptisch wurde
der umtriebige Carl von Vogelsang beurteilt,“ der
sich Meriten im Reich erhoffte und weitgehende
Kooperationsideen nährte.“ Vogt und Schaedler
andererseits, laut Vogelsang «zwei junge CVer»,“
bekannten sich zu ihren Sympathien für Elemente
des Nationalsozialismus, teilten aber weder den
Eifer noch die Ziele ihres Redaktors. Ihr Augen-
merk galt der Landespolitik. Den engeren VDA-
Kontakt behandelte wohl auch Vogt diskret.“ Vo-
gelsang liess man gewähren, als nützlicher Fana-
tiker, wohl auch, da man vermeinte, die deutschen
Linien kontrollieren zu können,“ permanent um
sie gekümmert hat man sich nicht. In Vogelsangs
ımfangreicher, nach Deutschland gerichteter Kor-
respondenz taucht Vogt nur sporadisch auf, eine
für Kooperationsfragen anberaumte Neujahrsbe-
sprechung mit dem Stuttgarter Kontaktmann Dr.
Frank liess er 1936 platzen.*°
Als die Spitzeltätigkeit Vogelsangs für Reichs-
stellen im Januar 1937 aufflog, kippte die Nützlich-
keit der deutschen Verbindungen. Vogelsangs Ak-
tivitäten überraschten nicht in ihrem Bestehen,
aber in ihrem Ausmass den VU-Parteivorstand un-
ter Otto Schaedler, Alois Ritter und Alois Vogt. 1937
stand der innenpolitische Kredit, die Machtbetei-
ligung in Liechtenstein auf dem Spiel. Vogelsang
FA
200 JAHRE
GEMEINDEGRENZEN
S C H A A N / V A D U Z /
P L A N K E N
DIE RECHTE A M BODEN, FRAGEN DES
EIGENTUMS, DES BESITZES UND DER NUTZUNG
IM KIRCHSPIEL SCHAAN
ALOIS OSPELT
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
wurde ausser Landes geschafft,*' die deutschen
Linien in eigener Regie aufrechterhalten. Im März
1938, nach der Eingliederung Österreichs ins Deut-
sche Reich, erwiesen sie sich als innenpolitisches
Druckmittel, institutionelle Macht zu erlangen.
ALOIS VOGTS STUDIEN IN WIEN:
DEUTSCHNATIONALE UND ANTISEMITISCHE
BEWEGUNGEN AUF UNIVERSITÄTSBODEN
Alois Vogts Vertretung der ständischen Idee ver-
dankte sich einer österreichischen Prägung. Vogt
studierte in den Jahren 1928 bis 1933 in Innsbruck
und Wien Rechtswissenschaften.““ Bei Professor
Othmar Spann, dem prominentesten Theoretiker
eines ständisch-organischen Gesellschaftsaufbaus
in Österreich, belegte Vogt Volkswirtschaftslehre.
Über Vogts Zugehörigkeit zur katholischen Studen-
tenschaft Österreichs ergab sich eine weitere Nähe
zum Österreichischen Ständeregime. Auch anti-
semitische und völkische Haltungen hatten einen
Hintergrund in Vogts Studienzeit in Wien.** Dort
ereignete sich verbale und tätliche Judenhetze in
Hörsälen, ein einflussreicher deutschnationaler
Teil der Professorenschaft stützte dies. Der pronon
ciert deutschvölkische Wenzel Gleispach war Vogts
Strafrechtsprofessor. Gleispach forderte eine Un:
terteilung der Studentenschaft nach Volks- und
Sprachgruppen. Vogts deutschnationale und anti-
semitische Beeinflussung im Umkreis der Wiener
Universität ergeht aus knappen Eintragungen ın
den Inskriptionsbüchern; dort gibt Vogt unter der
Rubrik Volkszugehörigkeit einmal «deutsch», ein
ander Mal «deutsch-arisch» an.** Welche genaue
politische Zuordnung diese Kürzel einschlossen, ist
schwieriger zu bestimmen. Zu Vogts Studienzeit
und bis zum Anschluss 1938 war das deutschna-
13) LHD-Zeitung 14. Oktober 1933.
4) LHD-Zeitung 28. Oktober 1933; 13. Januar 1934.
'5) LHD-Zeitung 14. Februar 1934,
16) Etwa bei einer öffentlichen Verteidigung Vogelsangs in der LHD-
Zeitung 18. April 1934.
17) Geiger: Krisenzeit 1, S. 441-449.
18) PAAV/340, 23. Juni 1936; LLA RF 180/309, 25. Mai 1938.
19) LLA RF 161/041.
20) LLA RE 169/170 Korrespondenz Carl v. Vogelsang, Briefe
Nr. 117-119.
21) AA, PA Politisches 1922-1936. 19. September 1935: Walıher
Reusch (VDA) an AA.
22) BAB E 4320 (B)} 1990/133 Bd. 52. Vernehmungsprotokolle Alois
Vogt der schweizerischen Bundespolizei (Bupo) vom 24./25. Sep-
tember 1946 und 21. August 1947.
Kurzbeleg: BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946 (1947).
23) Bericht über LHD-Reisegesellschaft beim deutschen Auslands-
institut in LHD-Zeitung 23. November 1935.
274) AA, PA Polit. Schriftstücke 1923-1938, 29. November 1935:
Konsul Voigt an AA. Siehe auch Walk: Liechtenstein 1933-1945.
3. 388, über einen Bericht der Landesleitung LHD vom 22. Dezem-
per 1934.
25) AA, PA Polit. Schriftstücke 1923-1938, 17. Juni 1935: Schäfer-
Rümelin (Konsulat Zürich) an AA; ebenda Politisches 1922-1936,
15. August 1935: Steinacher (VDA) an Promi. Das Generalkonsulat
Zürich riet bei AA und Promi von einer Zusammenarbeit mit
Vogelsang ab. Dies wurde dem VDA mit Schreiben vom 5. August
1935 mitgeteilt.
26) LLA RE 169/170, Nr. 48-53, Nr. 117-119, Lageberichte aus
Liechtenstein und Vorschläge zur Zusammenarbeit mit LHD bzw.
VU.
27) LLA RE 169/170, Nr. 24, 19. Juni 1935.
28) LLA RE 169/170, Nr. 34-35, 8. November 1935: Dr. Frank
arsucht um «allerstrengstes Stillschweigen» über Arbeitsdienst-
Pläne, «nur der engste Führerrat des LHD» solle davon Kenntnis
aben.
29) AA, PA Politisches 1922-1936. 15. August 1935: Steinacher
(VDA) an Promi.
30) LLA RE 169/170, Nr. 36. 7. Januar 1936.
31) Siehe die dramatische Schilderung bei Geiger: Krisenzeit 1,
S. 456-460.
32) Das Sommersemester 1931 verbrachte er in Freiburg in der
Schweiz. Alois Vogt begann mit dem Wintersemester 1928/29 in
nnsbruck, wechselte im Wintersemester 1930/31 nach Wien über
ınd schloss dort seine Studien im März 1933, knapp 27-Jjährig.
mit der Promotion zum Dr. jur. ab.
33) Siehe hierzu Oliver Rathkolb: Die Rechts-und Staatswissenschaft
iche Fakultät der Universität Wien zwischen Antisemitismus,
Jeutschnationalismus und Nationalsozialismus 1938, davor und
danach. In: Willfährige Wissenschaft: die Universität Wien
1938-1945. Hrsg. Heiss, Mattl, Meisl et al. Wien, 1989, 5. 197-232.
34) UAW «Nationale» Juristen: Wintersemester 1931/32, Sommer-
semester 1932.
tionale Lager in Österreich gespalten. Vogt gehörte
einer Studentenverbindung des Katholischen Car-
tellverbands (CV) an.” Der CV sah sich im Gegen-
satz zu «schlagenden Verbindungen», das heisst
Duellwaffen tragenden und zusehends nationalso-
zialistisch gesinnten Burschenschaften. Mit wach-
sendem Einfluss des Nationalsozialismus auf öster
reichischem Universitätsboden und mit Hitlers
Machtübernahme 1933 rückte der CV von seiner
Anschlussorientierung ab und bekannte sich, zu-
mal offiziell, zum österreichischen Ständeregime.*°
Zu Vogts Haltung in diesen Fragen fanden sich kei-
ne Dokumente, allerdings blieb er auch nach seiner
Studienzeit dem CV verbunden. Eine Deutschland-
kritische Zeitung dieser Provenienz hatte Vogt bei
sich aufliegen.?”
MACHTKOMPROMISSE UND SOZIALE
QUERVERBINDUNGEN
Die Wende von der lärmigen Radikalopposition des
LHD zur Selbsteinbindung ins bekämpfte Parteien-
system Liechtensteins machte Alois Vogt mit, in lei-
tender Position, zugleich taktisch moderierend und
verhandlungsbereit.
1935 zählte Vogt zu den Befürwortern einer
Zusammenarbeit von LHD und VP mit der Regie-
rungspartei FBP.*® Vogt nahm an den entsprechen-
den «Friedensverhandlungen» zwischen Oktober
und Weihnachten 1935 teil. Die 1938 durchge-
setzte Regierungs-, Landtags- und Behördenbeteili-
gung wurde bereits in Vorschlag gebracht. Als es
im Gefolge des Anschlusses Österreichs zur liech-
tensteinischen «Märzkrise»*” und zum Abschluss
eines Parteienfriedens kam, war Alois Vogt in des-
sen Aushandlung einbezogen, zusammen mit Dr.
Alois Ritter und im Kontakt mit dem vermittelnden,
wirtschaftlich argumentierenden Holdingunterneh-
mer Guido Feger. Schaedler trat als Hardliner auf:
mit rigorosen Forderungen und über den nicht un-
gefährlichen, eigenmächtigen Umweg in Berlin.“
Am 29. März 1938 wurde Alois Vogt durch den VU-
Landesausschuss als Regierungschef-Stellvertreter
nominiert.
Vogts Beteiligung an der Regierungsmacht 1938
ist nicht allein mit Blick auf einen parteilich
gestützten Ehrgeiz zu beurteilen. Seiner «Anpas-
sungsfähigkeit» lagen überparteiliche Werthaltun-
gen und Beziehungen zugrunde.** Bereits hinter
der rhetorischen Kraftmeierei und Neuerungsgeste
des LHD fand sich ein breiter Konsens mit dem
ländlich-katholischen Liechtenstein. An kulturellen
Grundstrukturen wie Geschlechterrollen, Besitz-
verhältnissen und Machthierarchien rührte die
«Radikalopposition» nicht.** Die liechtensteinische
Kleingesellschaft funktioniert(e) schliesslich über
Beziehungen, die quer zu den parteilichen Einfluss-
sphären und amtlichen Abstufungen verlaufen.
Alois Vogt war diesbezüglich gut verknüpft: gebo-
ren 1906, in eine Zeit vor der Parteiengründung,
arfolgte seine politische Sozialisierung über ver-
wandtschaftliche Nähe, männerbündische Protekti-
ons- und Allianzbeziehungen. Der ältere Cousin
Otto Schaedler und die Verbindung zur entfernt
verwandten Familie Rheinberger standen beim
Eintritt Vogts in den LHD Pate.“** Die Rheinbergers
hatten kulturelle und familiäre Beziehungen nach
Deutschland. Sie wohnten auf Schloss Gutenberg in
Balzers, der Geburtsgemeinde von Alois Vogt.
Schliesslich kam der Student Vogt bereits vor Ein-
tritt in den LHD enger mit Regierungschef Dr. Josef
Hoop zusammen.
Aus den Jahren 1931 bis 1933 ist uns im Liech-
tensteinischen Landesarchiv eine Korrespondenz
zwischen dem Jus-Studenten Alois Vogt und Josef
Hoop überliefert.*” In den Briefen herrscht der Ton
studentischer Kameraderie, Vogt schreibt «Lieber
Alter Herr», Hoop begrüsst mit «Lieber Cartell-
bruder».*°
Im gesamten Briefwechsel schlägt sich auch ein
Protektionsverhältnis Hoops gegenüber dem elf
Jahre jüngeren Vogt nieder. Dieser überarbeitete
für den Regierungschef Korrekturabzüge neuer
Gesetzesregister. Hoop vermittelte ausserdem Stu-
dienstipendien und verwandte sich für eine Anstel-
(jung Vogts bei der Landesverwaltung. Aus Anrede
und Briefform spricht oft der Respekt des jungen,
von allerlei Geld- und Prüfungssorgen geplagten
Vogt gegenüber dem korrekt-väterlich auftretenden
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Regierungschef Hoop. Letzterer hatte seine Studien
ebenfalls in Österreich absolviert.*7
Anders als viele Anhänger des LHD und der
nachmaligen VU, aufgrund der politischen Majori-
sierung durch die FBP verbittert, durch die Wirt-
schaftskrise getroffen, anders auch als der «poli-
tisch naive Eiferer»* Vogelsang war Alois Vogt ein
integrierter Landesbewohner. Er war verwandt-
schaftlich weitläufig eingebettet, als Jurist mit dem
Treuhandpionier und VU-Mitglied Guido Feger
früh geschäftlich verbunden.“ Alois Vogt war
politisch ambitioniert, zur Erreichung konkreter
Machtziele aber auch kompromissfähig. Schliess-
lich dürfte er kein Hasardeur gewesen sein, die
Entwicklung Hitlerdeutschlands, anfänglich mit
Sympathie und Geltungsdrang begrüsst, rückte
1938 und danach in ein anderes Licht.
35) Siehe Korrespondenz Hoop-Vogt in LLA RF 117/066; RE 169/
170, Nr. 24, 19. Juni 1935, sowie PAAV/325, Oktober 1937: Brief-
wechsel Alois Vogt mit der katholischen Korporation Raeto-Bavaria
36) Zu dieser Thematik: Markus Juen: Waffenstudenten und
katholische Korporationen an der Universität Wien 1918-1938.
Versuch einer Bestandesaufnahme, Diplomarbeit Univ. Wien 1994
sowie Michael Gehler: Studenten und Politik. Der Kampf um die
Vorherrschaft an der Universität Innsbruck 1918-1938 (Innshrucker
Forschungen zur Zeitgeschichte. Hrsg. Rolf Steininger, Institut für
Zeitgeschichte der Universität Innsbruck. Bd.6, 1990).
37) LLA RE 169/170. Nr. 10, 9. Juni 1934: Vogelsang schreibt, dass
er den «Christlichen Ständestaat» öfters «bei Dr. Vogt» sehe und
beklagt sich über die Publikation, sie «glaubt nur in Form von Hetze
über Deutschland schreiben zu sollen.»
38) Geiger: Krisenzeit 1, 5. 421.
39) Siehe die ausführliche Darstellung in Geiger: Krisenzeit 2
5. 108-186.
40) Ebenda, S. 163-167.
41) PAAV/467, 29. März 1938: Protokoll VU-Landesausschuss-
sitzung.
42) Peter Geiger bemerkt, dass sich Alois Vogt veränderten poli-
tischen Situationen rasch anpasste, mit Regierungseintritt 1938 sei
zein Ehrgeiz befriedigt gewesen. Siehe Geiger: Krisenzeit 2. S$. 180
43) Peter Geiger weist auf den «rückwärtsgewandten» Zug von
Organisation und Programm des LHD hin; siehe Geiger: Krisenzeit 1
S. 379,
44) Interviews mit Rudolf Rheinberger, 27. Januar 1997, und
Emanuel Vogt, 9. Dezember 1996.
nn
45) LLA RF 1177066.
46) Alois Vogt und Josef Hoop gehörten zu den Gründern der ersten
liechtensteinischen Studentenverbindungen. Hoop war Mitbegründer
der Rhenania 1916, Vogt der Rheinmark 1925.
47) Dr. Josef Hoop. 1895-1959, studierte orientalische Sprachen an
der Universität Innsbruck und promovierte dort 1920. Von
1928-1945 war er Regierungschef des Fürstentums Liechtenstein.
18) Geiger: Krisenzeit 1, 5. 460.
19) PAAV/180. Alois Vogt hatte bereits 1933 eine Bürogemeinschaft
mit Guido Feger und war Prokurist von dessen Allgemeiner
Treuhand AG. Peter Geiger bemerkt, dass Alois Vogt «als Rechts-
anwalt noch wenig erfolgreich» war. Siehe Geiger: Krisenzeit 2,
S. 180. Diese Einschätzung wird man für den Verlauf der Dreissiger-
jahre differenzieren müssen. Im PAAV finden sich Hinweise auf
zahlreiche zivilrechtliche und notarielle Mandate. Alois Vogt erklärte
1946. dass er vor dem Regierungseintritt vermögender gewesen sei
als danach: BAB E 4320 (B) 1990/133 Bd. 52, 2. Mai 1946: Vogt an
Vizeregierungschef Nigg.
Alois Vogts Eintritt
in die Regierung Hoop 1938:
Weichenstellungen und
Zusammenarbeit
Die Koalition zwischen FBP und VU vom März
1938 band ungleiche, bislang gegnerische poli-
tische Kräfte ein. Sie hatte Kompromisscharakter
und musste sich als Entscheidungsstruktur erst be-
währen. Regierungschef Dr. Josef Hoop und sein
Stellvertreter Dr. Alois Vogt traten ihrerseits unter
diesen Vorzeichen an. Hoop hatte die auswärtigen
Beziehungen über Jahre geprägt, Vogt kam als
Neuling, mit deutschvölkischem Hintergrund und
einer Rückbindung an seine Partei, die VU. Deren
Präsident, Otto Schaedler, hatte eine eigene reichs-
deutsche Allianz noch nicht aus den Augen verlo-
ren. Wie wirkte sich diese Konstellation in den
deutsch-liechtensteinischen Beziehungen aus, wie
in Rücksicht auf die Schweiz?
Die kleinstaatliche Aussenpolitik blieb ein be-
sonders sensibler Bereich. Sie war nach dem An-
schluss Österreichs durch eine duale Ausrichtung
bestimmt. Nach wie vor galt die enge Anbindung
Liechtensteins an den Zollvertragspartner Schweiz.
sie sollte während des Krieges noch vertieft wer-
den. Andererseits wuchs der Einfluss Deutsch-
lands. Faktisch über die militärische Zugriffsmög-
lichkeit und das deutsche Wirtschaftspotential: Be-
schäftigungschancen und Handelsverbindungen.
Die deutsche Vormacht beeinflusste auch den Be-
reich spekulativer Erwartungen, die Befürchtungen
und Hoffnungen der Bevölkerung und der Behör-
den Liechtensteins. Abhängigkeiten und Erwartun-
gen sind aufeinander verwiesen. Beide Hinsichten
gelten auch bezüglich der Rolle Alois Vogts. Ein-
zuschätzen ist seine amtlich-diplomatische Einbin-
dung in den vorgegebenen aussenpolitischen Rah-
men und seine Ansprechbarkeit für Dienststellen
im nationalsozialistischen Deutschland. Für das
Gelingen des ersteren können einige Umstände be-
nannt werden, für letzteres gilt es auf Signale und
Details zu achten, Vorkehrungen und Kontaktver-
suche. In den Dokumenten klingen Spannungs-
momente im Regierungsgremium an, aber auch ge-
genseitiges Zutrauen.
Fragmentarisch ist die Quellenlage bezüglich der
von der VU-Spitze weitergeführten deutschen Kon-
(akte. Immerhin sind sie belegt. Belege dafür, dass
die Zusammenarbeit Hoop-Vogt vor Kriegsbeginn
eine persönliche Vertrauensbasis schuf, ergeben
sich nachträglich durch die gemeinsame Putschab-
wehr im März 1939. Sie gelang, während Vogt de
facto Chef der liechtensteinischen Exekutive war,
iiber Rückversicherung in Bern und durch wirksa-
men Einsatz der jeweiligen Sonderlinien ins Reich.
ERSTE WEICHENSTELLUNG 1938:
VORGABEN HOOPS UND EINBINDUNG VOGTS
Die ersten Verhandlungsschritte im zweiseitigen
Verhältnis Liechtensteins gegenüber der Schweiz
ınd dem neuen Nachbarn Deutschland setzte Re-
sierungschef Dr. Josef Hoop. Die Visiten Hoops in
Bern und Berlin erfolgten vor Alois Vogts Vereidi-
zung in Vaduz am 1. April und vor dem Regent-
schaftsantritt des nachmaligen Fürsten Franz Josef
T am 25. Juli. Hoop beschwichtigte nach aussen
angesichts der innenpolitischen «Märzkrise». Sie
hatte sich in den durch den VU-Präsidenten Otto
schaedler vermittelten Vorbehalten zur Eigenstaat-
lichkeit zugespitzt. Zugleich suchte Hoop die Hal-
‚ung der für Liechtensteins Souveränität massgeb-
ichen Nachbarstaaten abzuklären. Solches erfolgte
aicht ohne gewagte Annäherungssignale während
des Berlinbesuchs vom 20. bis 24. März.°9
Als die Behörden- und Regierungsbeteiligung
der VU verbindlich wurde, drängte die Partei auch
auf aussenpolitische Mitwirkung. Gleichzeitig mit
der Bestellung Vogts zum Stellvertreterkandidaten
“orderte der VU-Landesausschuss am 29. März
dessen Beizug zu den Verhandlungen mit ausländi-
schen Vertretern, ehestens solle Vogt den schweize-
rischen Behörden vorgestellt werden.°! Dieses Er-
suchen, welches auch an den Thronfolger Franz
Josef erging,“ zielte vorerst auf den Antrittsbesuch
in Bern am 4. April 1938. Er wurde noch in «klei-
ner» Besetzung vom Thronfolger und Hoop, ohne
50) Geiger: Krisenzeit 2, S. 171 f.
51) PAAV/467. 29. März 1938: Protokoll VU-Landesausschuss-
sitzung.
52) Ebenda, 2. April 1938: VU-Vorstand an Prinz Franz Josef.
Al}
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Ein Monat nach Vereidi-
gung Alois Vogts zum
Regierungschef-Stellver-
treter (unter dem Tor-
bogen v.1.n.r.): Regie-
rungschef Josef Hoop,
Thronfolger Franz Josef
und Alois Vogt in Balzers
8. Mai 1938. Im Vorder-
grund rechts Gemeinde-
vorsteher Georg Vogt
Hauptakteure der liechten-
steinischen Staatsführung
während des Krieges
(v.l.n.r.): Dr. Josef Hoop
(abgewendet), Fürst Franz
Josef II., Dr. Alois Vogt
nd Regierungsrat Pfarrer
Anton Frommelt an
der Huldigungsfeier am
29. Mai 1939
den Vizeregierungschef, eilends durchgeführt. Vom
erwünschten Einbezug Vogts in die offizielle Aus-
senvertretung war schliesslich auch die Volksdeut-
sche Mittelstelle (VOMI) unterrichtet.”
Hoop reagierte drei Tage nach den Besprechun-
gen in Bern auf das Drängen der VU, er notierte:
«Mit H. [Herrn, d. Verf.] Dr. Vogt vereinbart, fall-
weise sich über die Unterhandlungspartner zu eini-
gen», hiervon werde der VU-Parteiausschuss von
Vogt verständigt.“* Hoops Notiz ist für das Mitwir-
ken Vogts in der Aussenvertretung eigentümlich
Beide, Hoop wie Vogt, hatten sich auf ihre aussen-
politischen Auftritte zu einigen. Hier kam das koa-
litionäre Moment zur Geltung. Hoops knapper Ver-
merk deutet andererseits auf informelle Spielräu-
me in der auswärtigen Interessenwahrung. Hier
bestand keine feste Ressortordnung, sie konnte
«fallweise» nötig werden, mit wechselnden «Unter-
handlungpartnern». Hoop selbst war mit dem
improvisierten Charakter der liechtensteinischen
Diplomatie vertraut. Auch in den Kontakten mit
dem Deutschen Reich griff er ohne eigene aussen-
politische Bürokratie und Vertretung auf persönli-
che Beziehungen zurück. Einer dieser informellen
Drähte ins Reich war der liechtensteinische Brief-
markenberater und NSDAP-Funktionär Hermann
Sieger.
Sieger war Hoop bei dessen Berlinreise während
der Märzkrise behilflich. Dieser Besuch erfolgte
noch in Rücksprache mit Bern,°° der zweite, «offizi-
elle» Staatsbesuch vom 2./3. März 1939 wurde
unter Umgehung der schweizerischen Diplomatie
von Hoop und Fürst Franz Josef II. vorbereitet.”
‚mM Inland verteidigte Hoop die informelle Kontakt-
pflege mit dem Deutschen Reich. In seiner Eschner
Rede vom 11. Dezember 1938°®* meinte Hoop, dass
er mit «hohen Persönlichkeiten» im Reich ver-
kehre, er werde dabei nicht «wie ein Elephant in
einem Porzellanladen» auftreten, sondern «klug
und überlegend» handeln.” Dieses Rechtferti-
gungsmuster der Beschwichtigungspolitik — das
Wohlwollen des Reiches durch persönliche Kon-
taktpflege zu erhalten — wird im Laufe des Krieges
beibehalten, von Hoop und Vogt.“
In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass
Hoop trotz Bevorzugung der schweizerischen An-
bindung Liechtensteins an einer grundsätzlichen
Abklärung der eigenen Handlungsspielräume in-
teressiert war. Angeführt werden Hoops Erörterun-
gen eines allfälligen Zollanschlusses an das Deut-
sche Reich® und der Wunsch des Regierungschefs
nach einer Absicherung der liechtensteinischen
Neutralität. Eine entsprechende Anfrage wurde
nach Bern gerichtet.® Rechtliche Abklärungen
erfolgten aber auch an anderer Stelle. Die an-
schlussfreudige VOMI berichtete dem Auswärtigen
Amt über ein Gutachten, dass Hoop zur Frage der
Neutralität Liechtensteins und der Schweiz aus-
fertigen liess.® Die Rechtsauskunft an Hoop deckte
sich im Resümee mit der offiziellen Sprachregelung
der Reichsführung, die von einer weiteren Anleh-
nung Liechtensteins an die Schweiz abriet.°“ Der
echtensteinischen Souveränität wäre es demge-
zenüber dienlicher, «wenn sich das Fürstentum die
Pflege seiner diplomatischen Beziehungen zu Staa-
ten gleichfalls deutschen Volkstums gegebenenfalls
selber vorbehält.»° Schliesslich wurde ein Spiel-
raum für fallweise, völkerrechtliche Abmachungen
durch Staatschefs, Chefs der Regierung oder Be-
vollmächtigte eingeräumt.°® Im auswärtigen Ver-
kehr nach dem 30. März 1938 waren damit Regie-
rungschef Dr. Josef Hoop, Thronfolger beziehungs-
weise Fürst Franz Josef und der Regierungschef-
Stellvertreter Dr. Alois Vogt bezeichnet.
In die praktische Aussenvertretung Liechten-
steins wurde Alois Vogt von Regierungschef Hoop
im Laufe der ersten Regierungsmonate einbezogen.
Eine erste gemeinsame Besprechung mit deut-
schen Unterhändlern am 18. Juli 1938 betraf die
Durchführung eines HJ-Lagers in Liechtenstein.®
Jas Vorhaben wurde nach Rücksprache mit Bern
abgeblasen. Als die Frage der Errichtung einer
liechtensteinischen Vertretung aufgeworfen wurde,
verständigte Hoop den Fürsten darüber, dass allen-
falls sowohl in Bern wie in Berlin anzufragen wäre.
Dies teilte er auch Vogt mit.® Später, während des
Krieges, sollte Vogt diesen Standpunkt im Deut-
schen Reich erneuern.®
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Schliesslich verhandelte der Vizeregierungschef
auch hinsichtlich der Beschäftigung liechtensteini-
scher Arbeiter in Deutschland. Die entsprechende
Initiative war bereits 1936 von Hoop eingeleitet
worden,’° nun wurde Vogt als Wirtschaftszustän
diger damit betraut.‘ Alle drei Bereiche erforder-
ten Rücksichten auf das zweiseitige Verhältnis
Liechtensteins zur Schweiz und zum Reich, direkt
Jeim HJ-Lager und in der Gesandtschaftsfrage, in-
direkt bei der Arbeitsmarktpolitik, die sich auf-
grund erschwerten Zugangs in die Schweiz auf
Deutschland richtete. Dafür, dass Vogt in den an-
gesprochenen Fragen einen deutschfreundlicheren
Kurs als Hoop steuerte, finden sich keine Hinweise.
In der zitierten Eschner Rede resümierte Hoop
Ende 1938, dass die Zusammenarbeit mit den
1euen Regierungsräten «eine korrekte, verständ-
2isvolle, kollegiale und angenehme ist.»”“
Hoop ist der diplomatische Routinier und Taktie-
cer, auf dessen Verhandlungsvorgaben der Neuling
Vogt zunächst verwiesen war.’* Vogt habe während
des Krieges gegenüber dem SD-Offizier Klaus Hue-
gel geäussert, dass er Hoop nicht gewachsen sei,
der sei «ein viel zu raffinierter Fuchs», er, Vogt, sei
nur ein «Bauernbub».‘“ Das Drängen der VU, Alois
Vogt ehestens in der Schweiz vorzustellen, signa-
lisierte nicht nur Einflusssicherung, sondern auch
den Nachholbedarf des Juniorpartners.
ZWEITE WEICHENSTELLUNG 1938:
SELBSTVERPFLICHTUNG DER VU -
DISTANZIERUNG VON DER VOLKSDEUTSCHEN
BEWEGUNG IN LIECHTENSTEIN
(VDBL)
Unbesehen der diplomatischen Vorgaben Hoops
natte die VU durch Eintritt in die Landesbehörden
Liechtensteins selbst eine Weichenstellung im Ver-
hältnis zum Deutschen Reich eingeleitet. Die Be-
kenntnisse der VU zur Wahrung von Souveränität,
Dynastie und Zollvertragsgemeinschaft Liechten-
steins verpflichteten insbesondere den Heimat-
dienstflügel der Partei. Die entsprechende Zustim-
mung hatte nicht nur symbolisches Gewicht, sie
33) AA, PA Polit. Abt. 1] 1936-1939, 3. April 1938: VOMI-Bericht.
34) LLA RF 179/360, rückseitiger Vermerk.
55) Zu weiteren Kontaktleuten Hoops siehe Carl: Liechtenstein und
das Dritte Reich. S. 437; Geiger: Krisenzeit 2, S. 117 f. oder 167 f.
56) Geiger: Krisenzeit 2, S. 168.
57) Ebenda, S. 338-340.
58) Wiedergegeben in AA, PA Polit. Abt. IL 1936-1939, Rede Josef
Hoop. 11. Dezember 1938.
59) Ebenda, Rede Josef Hoop, 11. Dezember 1938, S. 3, 9.
60) Siehe LLA LTP 10. Oktober 1940. 23. April 1941, 7. Dezember
1944.
61) Carl: Vom Handlungsspielraum eines Kleinstaates, In: GWU 8
1989) S. 489; Geiger: Krisenzeit 2, 5. 171 f.; 391 f.
62) Geiger: Krisenzeit 2, S. 240.
63) AA, PA Polhusches II, 28. März 1938: VOMI an Rintelen (AA,
Polit. Abt. Westeuropa).
54) Siehe ADAP D V, 511., 18. März 1938: Weizsäcker an Köcher
‘deutsche Gesandtschaft Bern) sowie AA, PA Polit. Abt. II
1936-1939, 25. März 1938: Rintelen für Weizsäcker.
65) Siehe Anm. 63.
66) Falls dies nicht ausdrücklich in dem Abkommen über Licchten:
steins laufende diplomatische Vertretung durch die Schweiz ausge-
schlossen sei. Für Hoop. der um Abstimmung mit Bern bemüht war,
dürfte gerade diese Präzisierung wichtig gewesen sein.
67) LLA RF 179/332; Akten PK NSDAP Teil II Reg. Bd. 3, Dok.
Nr. 022436-022444,
68) AA, PA Polit. Schriftstücke 1923-1938. 12. Mai 1938: Voigt
(Generalkonsulat Zürich) an AA.
69) LLA 0. S. Sammelakt NS. Dok. Nr. 192037/38, 24. November
1942 und Dok. Nr. 192048, 27. Juni 1944. Dass. in AA, PA Büro des
Staatssekretärs.
70) Geiger: Krisenzeit 1, 5. 244-249.
71) PAAV/606, 15. April 1947: Schreiben Dr. Max Knözinger betr.
21. Oktober 1938: Verhandlungen mit den Arbeitsämtern Lindau
und Kempten.
72) AA, PA Polit. Abt. II 1936-1939, Rede Josef Hoop, 11. Dezember
1938, 5. 5.
73) Laut liechtensteinischer Verfassung von 1921 vertritt der Lan-
desfürst den Staat nach aussen «unbeschadet der erforderlichen
Vlitwirkung seiner Regierung». Der laufende Behördenkontakt in
3ern und Berlin wurde de facto von der Regierungsspitze unter-
nalten, nach 1938 in Absprache und Abstimmung mit Fürst Franz
Josef 11.
74} Interview mit Klaus Huegel, 1. Mai 1997. Alois Vogt entstammte
bäuerlichen Verhältnissen.
blieb fortan kritische” Voraussetzung der Macht-
beteiligung.
Zwei Umstände trieben die Einbindung der VU
in den liechtensteinischen Verfassungsbogen vor-
an: die zustimmende Haltung der Reichsführung
zur Frage der liechtensteinischen Eigenstaatlich-
keit und die Formierung einer anschlussorientier-
ten politischen Kraft im Fürstentum, der Volks-
deutschen Bewegung in Liechtenstein (VDBL).
Die in den Märztagen grundgelegte Nichteinmi-
schungspolitik der deutschen Entscheidungsspit
zen’ stabilisierte den liechtensteinischen Parteien-
kompromiss. Sie entsprach Hoops Bemühen um
die Erhaltung des zweiseitigen Status quo, die
deutscherseits geschonte liechtensteinische Staat-
lichkeit in der schweizerischen Zollunion. Sie stütz:
te andererseits den legalen, am administrativen
Einflussgewinn orientierten Kurs der VU-Spitze.
Mit dem organisierten Auftreten einer natio-
nalsozialistischen Anschlussbewegung wurde eine
Spaltung im deutschfreundlichen Lager der VU
eingeleitet. Alois Vogt trug ihre Konsequenzen mit,
als Amtsträger und als ehemaliger Heimatdienst-
Exponent. Eine gemeinsame politische Linie der
VU mit der VDBL sollte sich nicht ergeben.” Es gibt
keinen Hinweis, dass Vogt den Bruch mit den
«radikalen Gefolgsleuten der Vaterländischen Uni-
on»’® nach innen, d. h. durch politische Konzessio-
nen, überbrückt hätte, im Gegenteil. Als Amtsträ-
ger vollzog Alois Vogt die behördlichen Einschrän-
kungen der VDBL-Tätigkeiten mit. Nach aussen
versuchte er schliesslich über Reichsstellen die
VDBL als namhafte liechtensteinische Stimme aus-
zuschalten.”?
WAHRNEHMUNG ALOIS VOGTS
IM DEUTSCHEN REICH:
ERWARTUNGEN UND UNSICHERHETITEN
Die Regierungspartner Hoop und Vogt wurden von
deutschen Stellen, namentlich der VOMI und dem
Auswärtigen Amt, unterschiedlich wahrgenom-
men. Hoop galt als «katholisch-monarchisch-kon-
servativ»,°° 1940 gar als «liberal». In solchen
Kürzeln wurde Hoops ideologische Distanz zum
deutschen Regime wie sein Interesse an der be-
stehenden liechtensteinischen Staatlichkeit kom-
muniziert. Demgegenüber figurierte Vogt als Ver-
treter des deutschorientierten Lagers der VU. Alois
Vogt wurde vor Kriegsbeginn von der VOMI als
«Vertrauensmann»®“ geführt, eine Einschätzung,
die 1940/41 vom deutschen SD, dem Geheimdienst
der SS, und von der Deutschlandabteilung im Aus-
wärtigen Amt geteilt wurde.
Erste Einschränkungen einer stereotypen Ko-
operationserwartung an Vogt tauchen erst im
‚aufe des Krieges auf, als sich der Regierungschef-
Stellvertreter allein und mit unterschiedlichen
Dienststellen im Deutschen Reich besprach.
Worauf konnten sich die Einschätzungen an
fänglich stützen?
Bei der kritischen Beurteilung Hoops wird in
deutschen Quellen dessen Taktieren und Anpas-
sungsdiplomatie angeführt.®* Für deutsche Vor-
behalte lieferte Hoop auch inhaltliche Anhaltspunk-
te, etwa in jenen Passagen seiner Eschner Rede
1938, die auf kleinstaatliches Selbstbewusstsein
zielten. Vogt entwickelte für die deutsche Wahr:
nehmung 1938 kein mit Hoop vergleichbares indi-
viduelles Profil; die Quellen zeichnen ein wider
sprüchliches Bild des Partei- und Regierungsman-
nes Alois Vogt. Die deutschvölkische Charakterisie-
rung Vogts durch die VOMI gründete zunächst in
dessen LHD-Engagement. Die dortige Annäherung
an den Nationalsozialismus und die damals auf-
gebauten VDA-Kontakte wirkten in der deutschen
Wahrnehmung fort. Und diese wurde - trotz der
aufgedeckten Spitzeltätigkeit des Vaterland-Redak-
tors Carl von Vogelsang —- weiterhin bedient.
Ein Gesprächspartner aus dem Reich erinnert
im Juli 1938 sein Bekanntwerden mit Alois Vogt im
Herbst 1937; zu Weihnachten habe er Vogt eine
Aufsatzsammlung aus der 5SS-Zeitschrift «Das
Schwarze Korps» zukommen lassen.® Ein SS-
Bericht vom 21. März 1938 resümierte, dass die
VU gegen die «Verjudung Liechtensteins» gegrün-
det worden sei.*° Auch während und nach der
Märzkrise 1938 blieb die rechte VU-Spitze an eige-
nen Linien ins Deutsche Reiche interessiert. In den
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
diesbezüglichen Dokumenten tritt Parteipräsident
Dr. Otto Schaedler massgebend auf. Gegenüber der
VOMI vermittelte Schaedler im März 1938 den Ein-
druck, die VU halte eine nicht umsturzorientierte
und zugleich völkische Position inne. Der Regie-
rungseinsitz Vogts bedeute eine innenpolitische
Einflusssicherung.® Ein Moment aussenpolitischer
Einfluss-Rivalität® klingt bei einem späteren Kon-
taktversuch an, der Schaedler und Vogt mit den
Spitzen von SS und Auswärtigem Amt zusammen-
führen sollte. Der Vorstoss erfolgte im Oktober
1938. Der in den Quellen® aufscheinende Wunsch
der VU-Leute, mit dem Reichsführer SS Himmler,
dem Aussenminister Ribbentrop oder einem Ssei-
ner Vertreter zu sprechen, ist nur durch deutsche
Korrespondenz und hier wiederum durch eine
anonyme Vermittlungsinstanz überliefert. Dies er
schwert, wie bereits Geiger bemerkt, eine Deutung
der massgeblichen Motive und Absichten. Proble-
matisch und riskant erscheint der Kontaktversuch
gerade durch die Beteiligung des stellvertretenden
Regierungschefs Vogt - vermutlich ohne Rückspra-
che mit Hoop - und ob der angezielten Personen
in der deutschen Reichsführung. Geiger schliesst
Wünsche auf Änderung des bisherigen, regierungs-
loyalen VU-Kurses ebensowenig aus wie das Inter-
esse, den Status quo zu festigen.” Andere Momen
te sprechen unseres Erachtens für eine ehrgeizige,
riskante, gleichwohl nicht anschlusswillige?' Gele-
genheitsdiplomatie der VU-Spitzen: Der Vorstoss
arscheint singulär und ohne deutsche Interessen
begründende Vorverständigung. Das gewünschte
Treffen hat den Dokumenten nach zu schliessen
nicht stattgefunden. In einem Schreiben des Aus-
wärtigen Amtes wird schliesslich auf eine vorgän-
gige Vorsprache von Otto Schaedler, vermutlich
jene bei der VOMI in den kritischen Märztagen,
verwiesen. Anscheinend, so schliesst auch Geiger,
bestand für das Reich kein Grund, die im März
1938 festgehaltene Nichteinmischungspolitik ge-
genüber Liechtenstein zu ändern.‘
Die Anbindung Vogts an Schaedler stützte bei
Reichsstellen das herkömmliche Bild der Heimat-
dienst-Vertrauten. Aus anderer Quelle” ergeht,
dass Alois Vogt als Amtsträger seine Verbindungen
75) «Kritisch» im Doppelsinne der Kontrolle und der Kondition:
1. Die Verbindlichkeiten galten gegenüber interessierten Adressaten:
3idgenössischen Behörden, dem Landesfürsten und der überwie-
zend schweizorientierten Parteibasis der VU. 2. Die Verletzung des
Machtkompromisses hätte einen jahrelang angestrebten landespoli-
tischen Einfluss und damit konkrete Amtspositionen - etwa jene
Alois Vogts - aufs Spiel gesetzt.
76) Geiger: Krisenzeit 2, S. 140-146.
77) Weder in der Anschlussfrage noch in der antisemitischen Hetze
noch in der öffentlichen Verherrlichung des Dritten Reichs im
Kriege.
78) Formulierung von Alois Vogt in PAAV/639, Rede Alois Vogt,
15. Juli 1945, 5. 3.
79) Siehe S. 84-86. 90-92.
SO) AA, PA, Büro RAM, 21. März 1938: Heydrich (SD) an Kordt (AA)
81) LLA O0. S. Sammelakt NS, Dok. Nr. 484852. Dass. in AA, PA
nland Ig 409, Herbst 1940. Notiz im AA.
82) ADAP D VE141., 31. März 1939: Bericht Lorenz (VOMI)}.
83) LLA O0. S. Sammelakt NS, Dok. Nr. 484855, 24. Oktober 1940:
Schreiben Jost (SD); ebenda Dok. Nr. 484872 [f., 14. Mai 1941:
Jandnotiz Neuwirth (AA). Dass. in AA. PA Inland II g 409.
54) AA, PA Büro RAM, 19. März 1938: Notiz Stahmer für Ribben-
trop; ebenda Bern Polit. Schriftstücke 1923-1938, 1. Juli 1938: Voigt
an Köcher; ebenda Polit. Abt. II 1936-1939, 24. September 1938:
Kreisleiter Hammerbacher (Feldkirch) an AA.
85) Akten PK NSDAP, siehe Anm. 67; Geiger: Krisenzeit 2, S. 250,
36) AA, PA Büro RAM, 21. März 1938: Heydrich (SD) an Kordt (AA).
87) AA, PA Polit. Abt. II 1936-1939, 25. März 1938: Rintelen (AA) an
Gesandtschaft Bern.
88) AA, PA Büro RAM, 19. März 1938: Stier (VOMI) an Ribbentrop:
Hoop habe auf Schaedlers völkisch-antisemitische Forderungen hin
seine eigenen «Beziehungen zu höchsten Nationalsozialisten» an-
geführt. «Was Sie vorhaben, kann ich auch» soll Hoop geäussert
haben.
39) LLA O0, S. Samnımelakt NS, Dok. Nr. 117397-117401. Dass. AA, PA
3üro RAM.
30) Geiger: Krisenzeit 2, 5. 251.
31) Laut Bericht des VOMI-Leiters Lorenz sei die «radikale Gruppe»
der volksdeuischen Bewegung von der VU-Leitung bis zum Putsch-
versuch 1939 zurückgehalten worden, siehe ADAP D VI 141,
31. März 1939: Bericht Lorenz (VOMI). Zeitzeugen erinnern, dass
Vogt vom Anschlussgedanken grundsätzlich Abstand genommen
jatte: Interviews mit Rudolf Rheinberger, 23. Januar 1997, und
Klaus Huegel, 1. Mai 1997.
92) Geiger: Krisenzeit 2, 5. 251.
33) PAAV/325, 1. April 1938: Schreiben Alois Vogt an Dr. Eberharter,
Berlin.
b "J
ins Reich einer Neubewertung unterzog. Zu mög-
lichen deutschen Auskunftserwartungen räumte er
sich Distanz ein: In einem Schreiben einen Tag
nach Bestellung zum Vizeregierungschef bat Vogt
den Adressaten, Dr. Eberharter in Berlin, um Ent-
schuldigung «wegen der Zurückhaltung, die ich
anlässlich unseres letzten Telephongesprächs in
der Frage Liechtenstein zeigte». Erklärend führte
Vogt an, dass er Telefonüberwachung befürchte,
und er schloss vorsorglich: «Ich werde auch
zukünftig als Regierungschef-Stellvertreter mich
nicht anders einstellen können.»**
DER PUTSCHVERSUCH 1939:
TESTFALL UND MUSTER FÜR DIE ZUSAMMEN-
ARBEIT HOOP - VOGT
Am 24. März 1939 unternahm die nationalsozialis-
tische VDBL den Versuch eines Anschlussputsches
in Liechtenstein, mit Unterstützung von Parteifor-
mationen in Vorarlberg und in der Hoffnung auf
Rückendeckung durch Berlin. Die Abwehr dieses
Putschversuchs erfolgte koordiniert: im Zusam-
menwirken der liechtensteinischen Regierungsmit-
glieder, in Rücksprache mit dem Eidgenössischen
Politischen Departement (EPD) in Bern und unter
Aktivierung deutscher Verbindungen durch Regie-
rungschef Hoop und seinen Stellvertreter Vogt.
Letzterer war mittlerweile ein Jahr im Amt, die
zentrale Forderung seiner Partei nach einem Ver-
hältniswahlrecht war gesetzlich umgesetzt, in die
Aussenvertretungen Liechtensteins war Vogt einge:
bunden. In welchem Masse solches galt, wird mit
Blick auf den Putschversuch und seine erfolgreiche
Abwehr deutlicher. Peter Geiger hat die bislang
gründlichste Untersuchung der Putschvorgänge
vorgelegt.” Hinsichtlich der Rolle von Alois Vogt
lassen sich ein paar Ergänzungen anbringen.
Alois Vogt tritt vor, während und nach den
Ereignissen vom 24. März 1939 als einer der zen-
Liralen Akteure auf. Als mitentscheidend für das
Misslingen des lokalen Putschversuchs erwies sich
der fehlende Rückhalt in den Führungsstellen des
Deutschen Reiches. Während der Putsch im Rollen
war, intervenierten sowohl Vogt wie Hoop in der
Vermutung, dass die Entscheidungsspitzen in Ber-
lin die lokalen Nationalsozialisten nicht decken
würden. Vogts wiederholter Hinweis gegenüber
den Vorarlberger Behörden, notfalls Bern und Ber-
lin einzuschalten, zeigte Wirkung.’ Auf welche
Auskünfte konnten sich die Liechtensteiner stüt-
zen? Geiger weist darauf hin, dass sich Vogt durch
Besprechung mit Dr. Ernst Peter, dem damaligen
Leiter des Ausland-Nachrichtendienstes des SD in
Stuttgart, einer deutscherseits nicht drohenden
Aktion versicherte. Dies geschah Tage vor dem 24
März. Hoop hatte, durch Gerüchte beunruhigt, sei-
nerseits vorgefühlt. Zu Kommissar Josef Schreieder
von der Grenzpolizei Bregenz bestand «engerer
Kontakt». Schreieder sicherte Hoop zu, allfällige
Putschbestrebungen in Vorarlberg zu verhindern.”
Geiger bemerkt, dass die vorgängige Besprechung
Vogts mit dem SD-Mann Peter nur Parteifreund
Schaedler bekannt war. Während der turbulenten
Zreignisse sei dies der Grund gewesen, dass Vogt
den Putschführern und den Behörden in Vorarl-
Jerg «so sicher» entgegentreten konnte.’ Wusste
Vogt von Hoops Kontakten mit Kommissar Schrei-
eder? Wusste der Fürst um die Sonderlinien seiner
Regierungsspitze? Für eine laufende gegenseitige
Unterrichtung gibt es keine Hinweise. Aufschluss-
reich ist demgegenüber, wie trotz Kommunika-
tionslücken und Verunsicherung während des Ab-
(aufs des Putschversuches Zutrauen beansprucht
und eng kooperiert wurde. Letzteres galt auch für
die politische Bereinigung der Folgen des 24. März.
Während des Putschtages lag der Fürst krank in
Zürich, Hoop weilte mit seiner Frau in Lugano.
Vogt handelte in Liechtenstein und Feldkirch
gleichsam als «Chef vom Dienst», durch Bern
gedeckt, aber durch die konkreten Ereignisse ver-
unsichert,” durch die drängenden VDBL-Führer
in seinem Büro wurde er hautnah mit dem An-
schlusswunsch konfrontiert. Die Besprechung mit
dem SD-Mann Peter hatte ihn bezüglich der deut-
schen Haltung beruhigt, doch wie weit war auf ver-
mittelte Signale der Reichsführung Verlass? Ver-
bindliche Zusagen hatten die Liechtensteiner keine.
Im Oktober 1938 hatte Vogt von einem deutschen
t
Inhalt
EINLEITENDE VORBEMERKUNG 3
FRÜHE ENTWICKLUNGEN BIS INS
14. JAHRHUNDERT 4
Das Kirchspielterritorium im Talraum 4
Die Eigentumsbildung im Alpengebiet 5
15. BIS 18. JAHRHUNDERT:
NUTZUNGSSTREIT UM DIE GEMEINE MARK -
ENTSTEHUNG DER GEMEINDEGRENZEN 8
Der Talraum 8
- Die Grenzen nach aussen 8
- Die Eigentums- und Nutzungsverhältnisse
innerhalb des Kirchspiels 8
Die Verhältnisse im Alpengebiet 15
DIE AUFTEILUNG DER GEMEINSAMEN
MARK ZWISCHEN SCHAAN, VADUZ UND
PLANKEN, 1787 BIS 1811 17
AUSBLICK UND SCHLUSS 37
2
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Arbeitsamtsfunktionär auf Anfrage erfahren, dass
Hitler nach dessen Erachten an «traumatischer
Neurose» leide.!® Der Führer stehe angeblich un-
ter psychiatrischer Beobachtung.
Alle mit dem Putschversuch konfrontierten Ent-
scheidungsträger in Bern, Berlin, Vaduz und im
Gau Vorarlberg-Tirol waren an einer möglichst un-
auffälligen Abwicklung der Vorgänge vom 24. März
interessiert. Die publizistische, rechtliche und poli-
tische Durchführung dieses diplomatischen Vorsat-
zes dauerte in einer ersten Phase bis in den April
1939. Die deutschen Stellen hielten sich hierbei an
zwei liechtensteinische Gesprächspartner, an Re-
gierungschef Hoop und dessen Stellvertreter Vogt
In einer deutschen Darstellung der Putschereig-
nisse, dem Bericht des VOMI-Leiters, SS-Obergrup-
penführer Werner Lorenz,!® erscheint Vogt als
jener Vertrauensmann, der seinem Gesprächspart-
ner Günther Stier, dem VOMI-Referenten für Liech-
tenstein, Zusagen machte. Vogt, so der Lorenz-
Bericht, werde sich für die rechtliche Schonung der
Putschbeteiligten einsetzen. Beim Fürsten bestün-
de Amnestiemöglichkeit. «Verhandlungen durch
Mittelsleute schweben noch», bemerkte Lorenz. Zu
einer dieser Verhandlungen ist uns im Vorarlberger
Landesarchiv (VLA) ein Dokument überliefert.!* Es
handelt sich um die Aufzeichnung eines deutschen
Unterhändlers, welche dieser nach Besprechung
mit «Reg. Chef Dr. Hob» an seine vorgesetzte Stelle
in Berlin sandte. Hoop wurde ähnlich Vogt vom
deutschen Wunsch verständigt, die Strafverfahren
gegen die Putschisten niederzuschlagen und auch
die nach Vorarlberg geflüchteten Beteiligten unbe-
helligt zu lassen. Hoop erwiderte, dass ihm und
«einem grössten Teil der Regierungsmitglieder»
daran gelegen sei, dass die Angelegenheit in der
gewünschten Form bereinigt werde. Der Regie-
rungschef präzisierte, dass er dies nicht allein ver-
fügen könne, auch Regierungsrat Pfarrer Anton
Frommelt müsse zustimmen, ansonsten, So wird
nach Berlin berichtet, drohe «schwere Hetze gegen
Hob und Vogt» durch Frommelt, der «überhaupt
der Scharfmacher gegen die Nationalsozialisten»
sei. Hoop schlug dem deutschen Gesprächspartner
vor, ihn in Vaduz zu besuchen, «wo wir zusammen
mit dem Richter über die Möglichkeiten einer Nie-
derschlagung der eingeleiteten Strafverfahren re-
den könnten.»!°®
Yoop und Vogt blieben mit der stillen Abwick-
‚ung der Putschereignisse weiterhin befasst, be-
schwichtigten bezüglich der Rechtsfolgen, verhiel-
ten andererseits die Vorarlberger Behörden zur
Unterbindung künftiger Übergriffe.!°** Der Fürst zog
mit, sprach im Mai 1939 von der Verzögerung und
schliesslich Niederschlagung des Verfahrens, für
die Untersuchungen stellte er einen entsprechend
verschwiegenen Richter in Aussicht.'® Im Dezem-
ber 1939 wurden die Klageschrift gegen die liech-
tensteinischen Putschistenführer abgemildert und
— mit Rücksicht auf Hitlerdeutschland —- der Prozess
suspendiert.!® Die Weichen hierzu waren freilich
schon bald nach dem 24. März gestellt worden.
Regierungschef Dr. Josef Hoop und sein Stell-
vertreter Dr. Alois Vogt rücken in den Quellen zum
Putschversuch 1939 näher zusammen: im Rückgriff
94) Ebenda.,
95) Geiger: Krisenzeit 2. S. 346-408.
96) VLA Präs. 373/39, 25. März 1939: Bericht Landrat Dr. Ignaz
Tschofen an Gauleitung Innsbruck, u. a. über die Vorsprache Vogts
und die darauffolgende Warnung der SA-Leitung Feldkirch.
97) LLA O0. S. Sammelakt NS, Manuskript Schreieder, 17. Juni 1968.
Der Deutsche Josef Schreieder war nach dem Anschluss Österreichs
bei der Grenzpolizei (Gestapo) in Vorarlberg tätig. Im August 1940
wurde er zum SD in den Niederlanden versetzt, wo er an der Zer-
schlagung niederländischer Widerstandsgruppen gegen die deutsche
Besatzung mitwirkte.
98) Geiger: Krisenzeit 2, S. 390.
99) Vogt fuhr nachts ein zweites Mal nach Feldkirch, um sich zu
vergewissern, dass die Zusage der Vorarlberger Behörden, national-
sozialistische Grenzübergriffe zu verhindern, wirksam wurde; siehe
PAAV/523 Zeugenaussage Alois Vogt, 15. Januar 1946, S. 12“
L00) PAAV/606, 15. April 1947: Schreiben Dr. Max Knözinger betr.
21. Oktober 1938.
101) ADAP D VI 141., 31. März 1939: Bericht Lorenz (VOMD.
102) VLA Präs. 373/39 undat. Aufzeichnung nach 27. März 1939
103) Ebenda.
104) Weitere Akten in VLA Präs. 373/39.
105) Akten PK NSDAP Teil II Reg. Bd. 3, Dok. Nr. 022149 f.
106) Geiger: Krisenzeit 2, S. 404-408.
Die reichsdeutschen
Verbindungen von Alois Vogt
1938 bis 1945
auf die Kontaktdiplomatie, der punktuellen Ko-
operationsbereitschaft gegenüber deutschen Wün-
schen und in grundsätzlichen Vorbehalten zu einer
liechtensteinischen Integration ins militarisierte
Reich.
In den Verbindungen der liechtensteinischen Re-
gierungsspitze mit deutschen Unterhändlern griff
ein pragmatisches Räsonnement, das Anpassung
und gelegentliches Entgegenkommen einschloss.
Ein unbedingter moralischer Patriotismus, wie ihn
Regierungsrat Frommelt verkörperte, hätte dieses
Vorgehen nicht zugelassen. Nach innen rechtfer-
iigte Hoop seine Verbindungen mit deutschen Per
sönlichkeiten bereits 1938,!° im Laufe des Krieges
verteidigten beide, Hoop und Vogt, vor dem Land:
ag das Mittel der Kontaktdiplomatie im Deutschen
Reich. !'°®
Die nach Berlin gerichteten Interventionen am
24. März, die Vorabsprachen und Nachverhand-
lungen mit Reichsstellen wurden von Hoop und
Vogt getragen, Frommelt erscheint in der Putsch-
bereinigung als diplomatisch nicht involvierte, aber
auch ungeeignete Person. !®
Vogt machte sich im Zuge der Putschereignisse
ein Argument gegen den Anschluss zu eigen, das
einige Monate zuvor Regierungschef Hoop vertrat.
Hoop wies auf die von Hitler geforderte Opferbe:
reitschaft und die Militanz des deutschen Staates
nin, Umstände, welche sich mit der liechtenstei-
nischen Lebensweise nicht vertrügen.''° Als ihn die
Putschführer persönlich konfrontierten, verdeut-
ıichte ihnen Vogt diesen Gewalthintergrund. Zum
VDBL-Führer Theodor Schädler meinte Vogt, «es
werde sich in der ganzen Regierung niemand fin-
den, der die Verantwortung dafür übernehme, dass
Liechtensteiner in den Krieg gehen müssen.»!!
Die Verbindungsaufnahme und Zusammenarbeit
Alois Vogts mit deutschen Dienststellen hat sich
in zahlreichen Akten niedergeschlagen. Der grösste
Bestand stammt dabei aus dem deutschen Dienst-
verkehr selber. Er kann durch einige zeitgenössi:
sche Unterlagen aus Liechtenstein ergänzt werden.
Nach dem Krieg gaben sowohl Vogt wie ehemalige
Mitarbeiter deutscher Nachrichtendienste Auskunft
zu den inoffiziellen deutsch-liechtensteinischen Ver-
oindungen. Als zentrale Quelle darf die wichtigste
Kontaktperson Vogts, der SD-Offizier Dr. Klaus
Huegel'!!?, gelten. Huegel wurde nach dem Krieg
von der schweizerischen Bundespolizei einvernom-
men und auch zu seiner Verbindung mit Alois Vogt
befragt. Der Verfasser konnte Klaus Huegel auf-
grund dieser Dokumente im Jahre 1997 als Zeit-
zeugen befragen. Der vergleichende Zusammenzug
aller genannter Quellen erlaubt Präzisierungen
zu Zeiträumen, Ablauf und Zielsetzung von Vogts
Kontaktnahmen im Deutschen Reich. Sie sollen
zunächst in ihrem Umfang umrissen werden. Ei
nige Aspekte werden herausgehoben: die Umstän-
de der Kontaktaufnahme, die damit verbundenen
gegenseitigen Erwartungen und die Verankerung
solcher Sonderlinien im auswärtigen Verkehr von
Regierung und Fürst.
VOGTS DEUTSCHE VERBINDUNGEN
IM ÜBERBLICK
Als wichtigste Adressen für Vogts reichsdeutschen
Verkehr erwiesen sich während des Krieges Ab-
teilungen des Auswärtigen Amtes und zwei Äm-
ter der SS, namentlich der Auslandsnachrichten-
dienst des SD, der in den Dokumenten unter der
Kennziffer römisch VI aufscheint, und das Haupt-
amt Volksdeutsche Mittelstelle (VOMI). Beide hat-
ten ihre Befehlszentralen in Berlin,!!® der SD ver-
fügte über zahlreiche Dienststellen im Reichsge-
biet, deren Mitarbeiterstäbe Vorgänge im In- und
Ausland überwachten.
In VOMI-Berichten zu Liechtenstein wurde Vogt
seit 1938 als zugewandte Vertrauensperson ge-
führt. Eine erste persönliche Absprache ergab sich
a
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Dei der Bereinigung des Putschversuches vom
24. März 1939.!!* Die VOMI wurde vom SS-Führer
Werner Lorenz!!® geleitet. Der für Liechtenstein
zuständige VOMI-Mann war 1940 Dr. Günther
Stier. Im Juni 1941 wurde er vom SS-Offizier Dr.
Hans Sichelschmidt abgelöst. Mit beiden stand Vogt
im Kontakt, mit Sichelschmidt ergaben sich bezüg-
ich der VDBL mehrere Besprechungen in den Jah-
°en 1941 bis 1943.
in wiederholter Verbindung stand Alois Vogt mit
Vertretern des SD. Die wichtigste Kontaktperson
107) AA, PA Polit. Abt. II 1936-1939, Rede Josef Hoop, 11. Dezem-
jer 1938.
108) LLA LTP 10. Oktober 1940 und 23. April 1941.
109) Dies betrifft Frommelts Verhältnis zu deutschen Dienststellen.
Mit Alois Vogt war der ehemalige politische Gegner sehr wohl in
Verhandlungen eingebunden, etwa 1939 in der Schweiz zur Ellhorn:
crage und im Falle eines Industrieprojekts. Siehe Geiger: Krisenzeit
2, S. 305-308 sowie LLA LTP 5. Juli 1939.
110) AA, PA Polit. Abt. II 1936-1939, Rede Josef Hoop, 11. Dezem-
er 1938, S. 7: «... morgen schon kann ein Krieg auflodern, der
Europa in Brand steckt.»
111) PAAV/523 Zeugenaussage Alois Vogt, 15. Januar 1946, S. 13
112) Klaus Huegel, geb. 30. Januar 1912 in Freiburg i. Br., 1937
Promotion zum Dr. jur., ab 1938 Verwaltungsausbildung in der
Abteilung VI, dem Auslandsnachrichtendienst des SD Stuttgart unter
Dr. Ernst Peter, seit 1. August 1940 in Personalunion Leiter des
Auslandsnachrichtendienstes und des Alemannischen Arbeitskreises
AAK), seit März 1943 Beauftragter für Volkstumspolitik der VOMI
n Liechtenstein, ab 15. April 1943 im RSHA, Amt VI, in Berlin,
seit 21. Juni 1943 im Rang eines SS-Sturmbannführers (militär.
Majorsrang), am 6. März 1944 nach Verona versetzt, am 28. April
'945 in englische Kriegsgefangenschaft geraten, danach von den
Alliierten und der Bupo einvernommen, Ende der Vierzigerjahre aus
lem Entnazifizierungsverfahren als «minderbelastet» entlassen. —
Angaben bei Hans Rudolf Fuhrer: Spionage gegen die Schweiz. Die
zeheimen deutschen Nachrichtendienste gegen die Schweiz im
Zweiten Weltkrieg. Frauenfeld, 1982, S. 119 (Kurzbeleg: Fuhrer:
Spionage gegen die Schweiz.) und Interview mit Klaus Huegel.
'. Mai 1997.
113) Der SD war im RSIIA integriert, welches seit September 1939
die Gestapo, Kripo und die politischen Überwachungsdienste der SS
'SD Inland, SD Ausland) umfasste. Leiter des RSHA waren bis 1942
Reinhard Heydrich; nach dessen Ermordung im Juni 1942 für einige
Monate Himmler selbst, ab Januar 1943 Ernst Kaltenbrunner
114) Siehe S. 67.
115) Werner Lorenz, 1891-1974, seit 1937 Leiter der VOMI, Bevoll-
mächtigter für internationale Beziehungen im SS-Hauptamt, organi-
sierte während des Krieges im Rasse- und Siedlungshauptamt Um-
siedlungen von Volksdeutschen, 1948 zu 20 Jahren Haft verurteilt.
Jr. Klaus Huegel, SD-
Jffizier und wichtigster
KXontaktmann Alois Vogts
Aufnahme um 1939
Schaubild zu den reichs-
deutschen Stellen, mit
denen Alois Vogt Verbin-
dung hatte, zu Personen,
die kontaktiert wurden
und zum ungefähren
Zeitraum der Kontakt-
nahmen gemäss ver-
wendeter Quellen.
(Schema in Anlehung an
Fuhrer: Spionage gegen
die Schweiz, S. 67)
OKW Oberkommando
der Wehrmacht
Jnterstellung
Zusammenarbeit
Himmler
VDA
(Leitung:
Steinacher
bis 1937
Zander
ab 1941)
VOMI
(Leitung:
Lorenz
1937-45)
neferat CH/
ET
Stier
1939
Sichel-
schmidt
1941-43
RSHA IV
Gestapo
Stapoleit-
stelle
innsbruck
Hilliges
1942
RSHA Il
SD-Inlands-
ıachrichten-
dienst
Referat III B:
Hummitzsch
71943
Andere Abkürzungen
siehe Abkürzungs-
verzeichnis
Greko
Bregenz
Hohmann
194145
Hübner
1942-43
VDA-
Gauverband
Württemberg
Krehl
1935
SD LA
Stuttgart
Referat II D:
Busemann
1940/41-
1943
Grepo
Feldkirch
Kriener
1941-45
Deutsches
Auslands-
institut
Stuttgart
SD-
Hauptaus-
senstelle
Stuttgart
Referat VI:
Wandel
1943
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
RSHA VI
SD-Auslands-
nachrichten-
dienst
(Leitung:
Jost 1939-41
Schellenberg
1941-45)
Gruppe West-
auropa VI B:
Steimle
1943-44
Referat CH/
BT,
Huegel
1943-44
Ribbentrop
AA Polit. Abt.
(Leitung:
Woermann
1938-43
Hencke
1943-45)
Erdmanns-
dorff
194144
AA Abt.
Deutschland
(Leitung:
Luther
1940-43
Referat D Ill:
Rademacher
1942
Referat D
VII:
Triska
1942
Keitel
OKW Amts-
gruppe
Abwehr
Goebbels
Promi
Propaganda-
amt München
Arntz
1941
Deutsche
Gesandtschaft
Bern
Deutsches
Generalkon-
sulat Zürich
SD LA
Stuttgart
Referat VI:
Peter
1939
Huegel
1939-43
SD LA Mün-
chen Referat
YI:
Kurrek
1941
Dauser
(Kontakt nicht
gesichert)
SD LA Inns-
bruck
Nockerl!l
7943
SD-Haupt-
aussenstelle
Bregenz
Referat VI:
Schratte-
necker
"941 oder
1942
Wandel
1944-45
Abwehrstelle
VII München
Süss
ab 7941
Alemanni-
scher
Arbeitskreis
Peter
1939
Huegel
1940-43
wurde Dr. Klaus Huegel, seit 1938 Mitarbeiter, ab
1. August 1940 Leiter des Auslandsnachrichten-
dienstes des SD-Leitabschnitts Stuttgart. Mit Hue-
gel baute Vogt eine vertrauliche und freundschaft-
liche Verbindung auf. !!®
Huegel war Vogt noch vor dem Putschversuch
1939 als «Mitarbeiter des VDA und des Auslands-
institutes in Stuttgart» bekannt geworden.‘'!” Als
Nachrichtenoffizier der SS vermittelte er Vogt nach
1940 weitere Verbindungen zu deutschen Dienst-
stellen und war seinerseits an Hilfestellungen des
Regierungschef-Stellvertreters interessiert. Huegel
wurde im April 1943 Leiter des Schweiz/Liechten-
stein-Referates im Amt VI des Reichssicherheits-
hauptamts (RSHA) Berlin. Vogt wusste, dass Huegel
Angehöriger der SS beziehungsweise des SD war,
über dessen genaue Stellung habe er sich nicht ins
Bild gesetzt. !!®
Im Auswärtigen Amt wurde Alois Vogt lange vor
konkreten Begegnungen in Berlin registriert. Zu
den VDA-Verbindungen und zur LHD-Tätigkeit war
unter anderem vom Generalkonsulat Zürich nach
Berlin berichtet worden.!!*
Mehrere Abteilungen im Auswärtigen Amt be-
fassten sich nach 1938 mit Liechtenstein-Fragen:
das Büro des Reichsaussenministers Ribbentrop,
hier hatten der Fürst und Hoop wohlgesinnte Mit-
telsmänner; die politische Abteilung, ab April 1938
bis April 1943 von Ernst Woermann geleitet, und
das Büro des Staatssekretärs, dies war 1938 bis
1943 Ernst von Weizsäcker. Woermanns Nachfol-
ger wurde im April 1943 Andor Hencke, auf Weiz-
säcker folgte im März 1943 Gustav Adolf Steen-
gracht von Moyland. Schliesslich agierte noch die
sogenannte Deutschlandabteilung, von Mai 1940
bis April 1943 Martin Luther unterstellt. Obwohl
der 1938 formulierte Kurs der vorläufigen Scho-
nung Liechtensteins während des Krieges vom
Aussenministerium beibehalten wurde, war er zwi-
schen dessen Untergliederungen nicht unumstrit-
ten. Insbesondere Luthers Abteilung verfolgte die
Umsetzung von Volkstums- und Rassenpolitik mit
Ehrgeiz. Vogt nahm seine Kriegsverbindungen zum
Auswärtigen Amt in diesem Spannungsfeld auf.
Sein wiederholter Gesprächspartner in der politi-
schen Abteilung war seit 1941 der Ministerialdiri-
gent Otto von Erdmannsdorff. Die Abteilung Lu-
thers hatte Liechtenstein-Berichte und Fühlung-
nahmen Vogts mit deutschen Stellen seit Juli 1940
vegistriert.'“° Zu einer persönlichen Vorsprache
kam es erst im Sommer 1942, auf Empfehlung Erd-
mannsdorffs.
Alois Vogt unterhielt aus eigener Initiative oder
infolge des regionalen Behördenverkehrs zahlrei-
che weitere Kontakte mit Stellen im Reich. Deut-
sche Dokumente belegen einen Kontaktversuch
Vogts mit dem SD München,'*' Vogt bestätigte dies
nach dem Krieg für die Jahre 1940 und 1941.!*?
Der SD-Leitabschnitt München war neben den
Leitabschnitten Stuttgart und Innsbruck für den
politischen Nachrichtendienst der SS im Raum
Schweiz/Liechtenstein zuständig.'** Nach dem
Herbst 1940 habe München die nachrichtendienst-
liche Arbeit von Stuttgart übernommen, also kurz
nachdem dort Klaus Huegel Leiter des äusseren
Geheimdienstes wurde.'!“* Alois Vogt versuchte mit
Hilfe Peter Rheinbergers, der für die SD-Stellen
Stuttgart und München arbeitete, Verbindung zu
letzterer aufzunehmen. Ebenfalls über Rheinberger
konnte Vogt die Bekanntschaft von Hauptmann
Süss machen, einem Offizier der Abwehr, des mi-
litärischen Nachrichtendienstes in München. An-
ders als mit dem Münchner SD ergaben sich mit
dem Abwehrmann Süss weitere persönliche Be-
sprechungen.!?>
Mit den Leitern der SD-Aussenstelle Bregenz,
Anton Schrattenecker und Gottlob Wandel, hatte
Vogt nach eigener Angabe nur wenig Verbindung.
Die Stelle Bregenz war dem SD Innsbruck un-
terstellt. Wandel wurde Vogt im Winter 1943 von
Auegel vorgestellt, 1944 besorgte er Schlafwagen-
karten für eine Zugreise Vogts nach Berlin. Der
Vizeregierungschef besprach sich dort wegen der
Ausfuhr fürstlicher Gemälde.!?*
Wichtiger als die SD-Filialen waren für Vogt
im Grenzbereich Liechtenstein/Vorarlberg die Ge-
stapo-Stellen, insbesondere die Gestapo Feldkirch
unter Karl Kriener und das Grenzpolizeikommissa-
riat Bregenz mit den Kommissaren Hohmann und
Hübner. Übliche Besprechungen erfolgten bis Ende
E
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
des Krieges im Zusammenhang mit Fragen des
Grenz- und Wirtschaftsverkehrs. Für übergeord-
aete Gestapo- und SD-Ämter waren Feldkirch und
Bregenz zudem verlängerte Auskunfts- und Ku-
rierstellen zu Vorgängen in Liechtenstein. Als Pas-
sierposten und Kurier zu Alois Vogt war Kriener
°ür den SD-Offizier Huegel nützlich.!?” Der Putsch-
versuch 1939 hatte gezeigt, dass untergeordnete
Gestapostellen auch für lokale Absprachen im In-
teresse Berlins eingesetzt wurden.'!“® 1942 sollten
Kriener und Hübner vom RSHA für die Bereinigung
einer missglückten Geheimdienstoperation einge-
spannt werden. Ähnlich 1939 erfolgte dies in enger
Zusammenarbeit mit der liechtensteinischen Re-
zierungsspitze.!?? Schliesslich erforderten auch der
Gemäldetransfer und Flüchtlingsbewegungen bei
Kriegsende Rücksprachen mit der Grenz-Gestapo.
Ehrgeiziger Leiter der
Rassen- und Volkstumspo-
litik im Auswärtigen Amt:
Unterstaatssekretär Martin
Luther
116) BAB E 4320 (B) 1984/29 Bd. 57, 5. Dezember 1942: Karl
<riener (Gestapo Feldkirch) an Kommissar Hübner (Gestapo
Bregenz): «Das RSHA soll doch den Dr. Huegel von Stuttgart nach
Liechtenstein schicken. Dieser Mann verkehrt seit Jahren ganz intim
nit Dr. Vogt und sind Duzfreunde».
117) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946, S. 3; Interview mit
Klaus Huegel, 1. Mai 1997
118) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946, S. 3. Auch in der
Schweiz trat Klaus Huegel vor allem als Kulturbeauftragter des
Promi oder als Wirtschaftsdelegierter auf. Als Nachrichtendienst-
ffizier wurde Huegel erst Ende August 1942 von den schweizeri
schen Behörden aufgedeckt (siehe BAB E 27 11215-11230).
119) Siehe S. 57, Anm. 25. Dokumente in AA. PA Politische Schrift:
stücke 1923-1938.
120) AA, PA Inland II g 409, 25. Juli, 5. und 12. August 1940:
„ageberichte zu Liechtenstein.
121) LLA O0. S. Sammelakt NS, Dok. Nr. 484871-73. Dass. AA, PA
'nland II g 409.
122) BAB Bupo Vernehmung Alois Vogt 1946, 5. 6 f.
23) Fuhrer: Spionage gegen die Schweiz, S. 63.
124) PAAV/524 Bupo-Vernehmung Klaus Huegel 1946, S. 5
125) BAB E 2001 (E) 1969/262 Bd. 40, 14. April 1947, Bericht Benz:
Wiedergabe Aussage Hauptmann Süss; BAB Bupo-Vernehmung
Alois Vogt 1946, S. 7-9.
126) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946, 5. 11 f.
127) Interview mit Klaus Huegel, 1. Mai 1997.
128) Siehe S. 66. Kontakt Hoop - Kommissar Schreieder.
129) Siehe S. 96-99
Diplomatie vor den Kulis-
sen: Staatsbesuch in Berlin
März 1939, an der Spitze
mit Zylinder Fürst Franz
Josef II., im Hintergrund
mit weissem Schal Regie-
rungschef-Stellvertreter
Dr. Alois Vogt
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
UMSTÄNDE DER VERBINDUNGSAUFNAHME:
GEHEIMDIPLOMATIE UND NACHRICHTEN-
DIENSTE
Alois Vogt war im Laufe des Jahres 1938 von Re-
gierungschef Hoop in Liechtensteins Aussenver-
;retung einbezogen worden.'®® Als Regierungschef-
Stellvertreter war Vogt auch beim offiziellen Berlin-
Besuch am 2./3. März 1939 beteiligt, bei den
Besprechungen mit Hitler, Göring und Ribbentrop
waren nur Hoop und Fürst Franz Josef II. zuge-
gen.!?! Der nationalsozialistische Putschversuch in
Liechtenstein erfolgte nur drei Wochen nach Ber-
lin. Er erwies, dass man sich bezüglich der bestim-
menden deutschen Haltung auf persönliche Ein-
drücke, Stimmungsbilder und zugetragene Hin-
weise, im besten Falle von der Führungsebene,
stützen musste. Der Berlin-Besuch vor Kriegsbe-
ginn sollte der einzige offizielle Staatsakt in den
deutsch-liechtensteinischen Beziehungen werden.
Inoffizielle Linien wurden aufrechterhalten, für Be-
schwichtigungen und Informationszugänge im Um-
‚eld der Reichsspitzen. Regierungschef Hoop hatte
Mittelsmänner in Gauverwaltungen, Propaganda-
ministerium und im Auswärtigen Amt. Sein Kon-
taktmann Konsul Sieger blieb bis nach Kriegsende
in Liechtenstein. Vogt baute seine Verbindungen
allmählich auf, im Amtsverkehr und im Rückgriff
auf Bekanntschaften, die er während seines LHD-
Engagements gemacht hatte. Ein wichtiger An-
«nüpfungspunkt lag in Stuttgart. Das dortige deut-
sche Auslandsinstitut war eine Anlaufstelle für
volksdeutsche Aktivitäten im Ausland. Vogt hatte
als LHD-Sekretär in Stuttgart Vertreter des VDA
kennengelernt. Solche Bekanntschaften wurden
durch den rechten VU-Flügel, Alois Vogt, VU-Präsi-
dent Otto Schaedler und nachmalige VDBL-Mitglie-
der weiterverfolgt. Den SD-Mann Klaus Huegel und
lessen damaligen Vorgesetzten Dr. Ernst Peter
lernte Vogt vor dem März 1939 als Bekannte von
Otto Schaedler und Peter Rheinberger kennen.
Auch der VOMI war Vogt zunächst durch Parteiprä-
sident Schaedler und dessen deutschvölkische For-
derungen im März 1938 empfohlen. In der Folge
sollte Vogt die Verbindung zu Huegel selbständig
ausbauen; mit dem VOMI-Gesandten Stier verhan-
delte er anlässlich des Putschversuchs ebenfalls
alleine, in Wahrnehmung deutscher und liechten-
steinischer Interessen.!®? Vogt lernte Einzelperso-
gen kennen, zu deren Stellung im verflochtenen
Behörden- und Parteiapparat Hitlerdeutschlands
gewann er nur partiellen Einblick. Huegel und
Peter traten in kulturell-publizistischer Mission auf,
als Geheimdienstoffiziere hielten sie sich sowohl in
der Schweiz wie in Liechtenstein bedeckt.'®
1939 nutzte Alois Vogt seine Verbindung zu
Klaus Huegel für die Abklärung eines liechten-
steinischen Industrievorhabens bei deutschen Fir-
nen.!? Über Vermittlung Huegels und mit Hilfe
»eter Rheinbergers konnte Vogt ab 1940 weitere
Verbindungen zu liechtensteinbezogenen Dienst-
stellen einleiten. Für 1940 und 1941 sind mehrere
Kontaktvorstösse belegt. Vogt gab nach dem
Kriegsende an, dass er über mehrere Monate
‚ergeblich eine Erkundung der deutschen Haltung
zur VDBL anstrebte.'® In den deutschen Quellen
arscheinen die Vorstösse problematischer, wird
als Besprechungsgegenstand die «Einverleibung
.‚iechtensteins ins Grossdeutsche Reich» ange-
führt. !?6 Über Vermittlung eines Bekannten sprach
Alois Vogt schliesslich im Reichsaussenministerium
bei Otto von Erdmannsdorff und dessen Mitar-
beiter «Geheimrat Strak» vor. Erdmannsdorff be-
stätigte den wohlwollenden Liechtenstein-Kurs und
30) Siehe S. 60-63.
131) PAAV/523 Zeugenaussage Alois Vogt, 18. Januar 1946, 5. 10.
32) Siehe S. 66-67.
‚33) Vgl. Anm. 118.
134) PAAV/279, 6. Juni 1939: Schreiben Klaus Huegel an Torpedo
Werke A.G. Es handelte sich um die industrielle Verwertung
des Schreibmaschinenmodells «Orion» des deutschen Ingenieurs
Otto Haas. Peter Rheinberger war ein Mitarbeiter von Haas, Alois
Jogi vertrat seit den Dreissigerjahren die von Haas und Rheinberger
gegründete «Orion Registred Manufactory». Die Idee einer Schreib-
naschinenproduktion wurde von der liechtensteinischen Regierung
ınterstützt. 1939 und 1940/41 klärte Alois Vogt diesbezüglich im
Deutschen Reich ab. Siehe auch Geiger: Krisenzeit 1, 5. 276.
'35) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946, 5. 13.
136) LLA O0. S. Sammelakt NS, Dok. Nr. 484851. Dass. AA, PA Inland
ı] FT 409.
{73
Warnte Vogt vor Ein-
wendungen der SS:
Ministerialdirigent Otto
von Erdmannsdorff.
Aufnahme um 1936
soll vor diesbezüglichen Einwendungen der SS
gewarnt haben.!® Er empfahl Vogt, sich dort
umzusehen.!® Huegel nannte Vogt weitere Liech-
tenstein-Dienststellen von SS und Auswärtigem
Amt.'!*® Aufgrund von Erdmannsdorffs Empfehlung
und der Einschaltung Huegels wurde Vogt zu einer
Reihe von Besprechungen im Deutschen Reich bei-
gezogen. Diese dauerten bis 1943 und galten der
VDBL, damit immer auch der jeweiligen deutschen
Haltung zu Liechtenstein.!*° Alois Vogt konnte sich
nun, im Zuge von Folgekontakten der ersten Vor-
stösse 1940/41, einigermassen über den Umfang
volksdeutscher Aktivitäten orientieren. Letztere
präsentierten sich aggressiver, aber auch unein-
heitlicher als zu LHD-Zeiten. Bezeichnenderweise
hatte der VDA, die zentrale Adresse für den LHD
und den rechten VU-Flügel, nach 1937 an Bedeu-
tung verloren. Dies wurde Vogt anscheinend erst
im Jahre 1941 deutlich, als er auf Hinweis Huegels
beim VDA in Berlin vorsprach.!“!
Alois Vogt gab nach dem Krieg an, dass er bei
seinen Kontakten zu «ungewöhnlichen Mitteln»!*?
griff, für Informationsgewinne einen Gesetzesver-
stoss in Kauf genommen hätte.'*® Vogt wies auch
darauf hin, dass Liechtenstein über keine eigenen
Nachrichtendienste verfügte. Die Kontaktdiplo-
matie beinhaltete, zumal für Vogt, auch dieses
Element. !+
Der Regierungschef-Stellvertreter bewegte sich
gegenüber reichsdeutschen Adressaten von Anfang
an in einer Grauzone. Das liechtensteinische «Spit-
zelgesetz» von 1937 sanktionierte politische Nach-
richtenübermittlung auf liechtensteinischem Ge-
biet, sofern sie zugunsten einer fremden Macht und
zum möglichen Schaden des Landes erfolgte.!*
Das Gesetz traf keine Unterscheidung zwischen
.nformationsweitergabe im vertraulichen Behör-
denverkehr und der beauftragten Informations-
beschaffung für ausländische Interessenten. Die
meisten Stellen, an welche Vogt gelangte, waren
dienstlich mit Nachrichtenbeschaffung zu Personen
und Institutionen im In- und Ausland befasst. Be-
kannterweise galt dies für die Gestapo und Stellen
der SS; aber auch das Auswärtige Amt, namentlich
die Deutschlandabteilung unter Luther, war in den
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
Einleitende Vorbemerkung1
Das Mittelalter in Liechtenstein, besonders die Aus-
gestaltung der Grundherrschaft und des Genossen-
schaftswesens mit all den Auswirkungen und Ent-
wicklungen bis ins 19. Jahrhundert, ist bis anhin
nur spärlich erforscht. Viele Fragen um die Ent-
stehung der Gemeinden, die Herausbildung ihrer
Territorien, ihrer Rechtspersönlichkeit, Organe und
Satzungen, sind bis heute nur in Ansätzen geklärt,
die entsprechenden Quellen noch nicht eingehend
untersucht worden.
Im folgenden soll am Beispiel der Siedlungen
von Schaan, Vaduz und Planken versucht werden,
einzelne solcher Fragen zu klären. Anlass dazu
bildet die vor 200 Jahren erfolgte Güteraufteilung
zwischen den drei Dörfern. Am 13. August 1797
haben bevollmächtigte Vertreter von Schaan und
Vaduz den Teilungsschlüssel bestätigt, am 19. Au-
gust 1797 beeidigte Schiedsrichter den Marken-
beschrieb deponiert. Damit waren die Gemeinde-
territorien von Schaan, Vaduz und Planken bis auf
wenige Ausnahmen abgesteckt. Die gebietsmässige
Grundlage zur Entstehung der heutigen Gemeinde-
hoheiten war geschaffen. In diesem Sinne konnten
1997 die drei Gemeinden ihren 200. Geburtstag
feiern.
Das Thema des Beitrags wird nicht abschlies-
send behandelt. Es wird lediglich ein vorläufiges
Resultat historischer Forschung grob skizziert, die
noch vertieft werden muss.
Es handelt sich um einen Versuch einer Besitz-
und Nutzungsgeschichte des Bodens im Kirchspiel,
in der Ur- oder Mutterpfarrei Schaan. Diese um-
fasste neben Planken bis 1768 auch den nördlichen
Teil von Triesenberg mit den Weilern Rotaboda,
Fromahus und Prufatscheng.2 Vaduz gehörte bis
1842 dazu.M
Der Gang durch die Geschichte ist in drei Ab-
schnitte gegliedert. Wir sehen zunächst in ältester
Zeit den Talboden und die Alpen als gemeinsame
Mark kleiner Bauernsiedlungen in Schaan, Vaduz
und Planken, dann in gemeinsamer Nutzung der
drei Dörfer, wobei sich zuerst bei Planken, später
auch bei Schaan und Vaduz, getrennte Nutzungen
abzeichneten. Schliesslich haben wir dann Schaa-
ner, Vaduzer und Plankner Gemeindegut vor uns,
das in der Folge nach und nach in den privaten
Nutzen oder ins Eigentum der einzelnen Haushal-
tungen aufgeteilt wurde.
1) Der vorliegende Beitrag wurde als Vortrag am 4. September 1997
im Rathaussaal in Vaduz im Rahmen einer Veranstaltungsreihe
zum 200-Jahr jub i läum der Aufteilung des Gemeingutes zwischen
Schaan. Vaduz und Planken und der Entstehung der Gemeinde-
grenzen präsent ier t . Die gleiche Materie wurde teilweise bereits am
4. Februar 1997 im Rahmen einer Ringvorlesung des Historischen
Lexikons für das Fürs ten tum Liechtenstein und des Liechtenstein-
Instituts zur Geschichte der liechtensteinischen Gemeinden in
Bendern vorgelegt. Der Beitrag basiert auf den vor längerer Zeit
gemachten Studien des Autors (Wirtschaftsgeschichte des Fürsten-
tums Liechtenstein im 19. Jahrhundert. In: JBL 1972) und auf
der Sichtung einschlägiger Quellen im Landesarchiv. Anmerkungen
und Illustrationen sind beigefügt.
2) 17G8 erfolgte die Abkurung von Schaan durch Errichtung einer
eigenen Pfa r rp f ründe für Triesenberg.
3) 1842 löste sich Vaduz von der Mutterpfarrei Schaan und wurde
selbständige Kuratie. 1873 Pfarrei.
3
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Nachrichtenverkehr einbezogen. Für den laufenden
Kontakt mit dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA)
war in Luthers Abteilung eine eigene Gruppe D II
zuständig. Bereits 1938 wurden Lageberichte aus
dem Raum Schweiz/Liechtenstein auch unter mi-
litärischen Aspekten beurteilt.!*° Vogt unternahm
seine Kontaktvorstösse gerade in der Erwartung
vertraulicher Informationszugänge und funktionie-
render Meldungslinien. Seine Nachfrage beim SD-
Mann Peter im Vorfeld des Märzputsches 1939
machte erst unter dieser Voraussetzung Sinn.!*
Auch die deutsche Gegenseite suchte, Auskünfte
zu Vorgängen in Liechtenstein oder der Schweiz
einzuholen. Die Gestapostellen in Vorarlberg pro-
tokollierten Dienstbesprechungen mit dem Regie-
rungschef-Stellvertreter routinemässig und melde-
ten sie unter einer internen Verwaltungsnummer
weiter.!*® Vogt scheint seinerseits Besprechungs-
137) PAAV/639 Rede Alois Vogt, 15. Juli 1945, S. 8.
138) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946, 5. 14 f.
139) Ebenda, S. 15.
140) Siehe S. 87-90.
141) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946, S. 12, 15.
142) BAB E 4320 (B) 1990/133 Bd. 52, 8. Juli 1946: Vogt an Dr
Alfred Zehnder (EPD).
143) BAB E 2001 (E) 1969/262 Bd. 40, 2. Dezember 1946: Vogt
an Bundesrat Petitpierre (EPD); BAB E 4320 (B) 1990/133 Bd. 52.
6. April 1946: Aktennotiz Inspektor Benz (EJPD/Bupo).
144) BAB E 4320 (B) 1990/133 Bd. 52, 8. Juli 1946: Vogt an
Jr. Alfred Zehnder (EPD).
145) LGBl. 3/1937: Gesetz betreffend den Schutz der Sicherheit des
Landes und seiner Bewohner.
146) Peter Geiger: Liechtenstein im Jahre 1938. In: JBL 88 (1990)
5. 16.
147) Siehe S. 66.
148) Alois Vogt wurde diese «Decknummer» nach 1945 als Beleg für
prodeutschen Nachrichtendienst vorgehalten. Vogt meinte, dass die
Verwendung seiner Besprechungen Sache der Gestapo war, Geheim:
wissen habe er nicht preisgegeben (LLA LTP 6. September 1946
«Erhebungsbericht über Alois Vogt», S. 2). Andere Quellen besagen
dass Gestapo-Chef Kriener oftmals Belangloses weitergab (LLA RF
230/478, 23. Oktober 1945: Aussage von Gestapo-Mitarbeiter
Emmerich Dünser; Interview mit Klaus Huegel, 1. Mai 1997) und
dass «Decknummern» bei wiederholter Meldung einer als Aus-
kunftsstelle geltenden Person intern eingeführt wurden (Aussage
Emmerich Dünser).
Vogts Verbindungsmann
für den Aufbau der liech-
tensteinischen Firma Hilti
Maschinenbau: SD-Offizier
Karl Wilhelm Busemann.
Aufnahme um 1942
Gegen Ende des Krieges:
Alois Vogt (links) und der
fürstliche Kabinetts-
sekretär Dr. Rupert Ritter
rechts) auf Schloss Vaduz
mit Auskunftsangeboten verbunden zu haben.!*
Hierbei nahm er die nachrichtendienstliche Ver-
wendbarkeit seiner Vorstösse - und damit einen
Gesetzesbruch - in Kauf beziehungsweise setzte sie
nach Kriegsbeginn zur Herstellung vertraulicher
Sonderlinien ein.!°®° Für deren Aufrechterhaltung
blieben gegenseitige Nutzenerwägungen bestim-
mend. Vogts Entgegenkommen bemass sich hierbei
an Gesprächspartnern und Besprechungsgegen-
ständen. Gegenüber den SD- und Gestapo-Beamten
in Innsbruck verhielt sich Vogt nach eigener Anga-
De reserviert, die Stellen im Gau Tirol schienen ihm
in den Putschversuch 1939 involviert,!*! laut einem
VOMI-Dokument vom Sommer 1942 war der SD
Innsbruck Verbindungsstelle für die VDBL.!°* An-
dererseits liess sich Vogt auf einen Informations-
austausch mit dem Abwehr-Hauptmann Süss ein.
Liechtenstein-Meldungen, die ihm dieser vorlegte,
habe er berichtigt oder in ihrer Wichtigkeit herun-
tergespielt.!°® Vogt legitimierte Grenzausweise für
Vertreter des SD Stuttgart, namentlich für Huegel
ınd den Wirtschaftsreferenten Busemann. Der SD-
Angehörige Karl Wilhelm Busemann wurde 1940
Vogts deutscher Verbindungsmann für den Aufbau
der liechtensteinischen Firma Hilti Maschinenbau.
In der VDBL-Frage stützte Huegel die Interventio-
nen Vogts. Andererseits wurde der Vizeregierung-
schef von Huegel und dessen Vorgesetztem im
RSHA, Eugen Steimle'!**, um Mithilfe bei nachrich-
tendienstlichen Aktivitäten angegangen.!”
ABSTIMMUNG VON VOGTS VERBINDUNGEN
MIT REGIERUNGSCHEF HOOP UND FÜRST
FRANZ JOSEF 11.?
Regierungschef-Stellvertreter Alois Vogt baute sei-
ne deutschen Verbindungen im Laufe des Jahres
1939 und verstärkt ab 1940 aus. Dies erfolgte
nachdem es zwischen ihm und Regierungschef
Hoop zu einer engeren Zusammenarbeit gegenüber
deutschen Stellen gekommen war.!°° Während der
Putschbereinigung 1939 stimmten Vogt und Hoop
ihr Vorgehen mit deutschen Ansprechpartnern von
Gestapo und VOMI ab. In die stille Abwicklung der
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Putschfolgen war auch der Landesfürst einbezo-
gen.'”7 Vogt dürfte seine weiteren Kontakte im
Reich mit Zutrauen des Regierungschefs und des
Landesfürsten verfolgt haben. Für eine Missbilli-
gung durch Hoop oder Fürst Franz Josef II. finden
sich keine Hinweise. Vogts deutschvölkischer Par-
teihintergrund war Hoop bekannt, Besprechungen
und Reisen des Vizeregierungschefs im Deutschen
Reich wurden auch in Liechtenstein misstrauisch
oder mit Anschlusserwartungen verfolgt. Aller-
dings beanspruchten Hoop und Vogt ihre jewei-
ligen Kontaktleute «für sich». Vogts SD-Vertrauter
Huegel erinnert, dass Vogt ihn nie mit Regierungs-
chef Hoop zusammengebracht habe, sein «dezen
tes» Auftreten in Liechtenstein sei sehr wohl
argwöhnisch vermerkt worden. Andererseits un-
terhielt Alois Vogt zu Hoops Mittelsmännern, etwa
Konsul Sieger, keine vertrauliche Beziehung.
Während Hoop und Vogt ihre freundliche Linie
gegenüber Deutschland im Landtag gemeinsam
vertraten, scheint sich Hoop nach 1941 aus den
Kontakten im Reichsgebiet zurückzuziehen. Vogt
blieb für Besprechungen verfügbar, nach Einschät-
zung Huegels wollte Regierungschef Hoop nicht
mehr persönlich im Reich hervortreten, anderer-
seits habe er Reisen nach Berlin aufgrund der
Kriegseinwirkungen gescheut.'”® Die Reichshaupt-
stadt wurde von den Alliierten stark bombardiert.
Alois Vogt habe von einem Luftangriff 1944, bei
Eintreffen seines Zuges nach Berlin, erzählt.!”®
Vogt setzte sich auch im Auftrag des Fürsten
mehrmals mit Berlin in Verbindung,!® zuletzt Ende
1944, um die Ausfuhr fürstlicher Kunstschätze zu
erwirken.!“® Zu einer grösseren Verstimmung die
auswärtigen Beziehungen betreffend kam es Ende
1944. Unmittelbarer Anlass war die eigenmächtige
Errichtung einer liechtensteinischen Gesandtschaft
in Bern durch Franz Josef Il. Hierbei stellten sich
die Gesamtregierung und der Landtag im Dezem-
ber 1944 gegen den Monarchen. Die Regierung leg-
te ihre Argumente schriftlich nieder, sie befürchtete
Komplikationen nicht zuletzt hinsichtlich «guter
Beziehungen zu Deutschland».!° Die Argumenta-
tion der Regierung deckte und bekräftigte nur fünf
Monate vor Kriegsende die bisherige Linie gegen-
über dem Reich. Ein diplomatischer Verkehr mit
Berlin über Gesandtschaften oder das EPD'® wäre
«als Mangel auch insofern zu werten, als der viel-
‚ach gepflogene Verkehr ein gewisses Vertrauens-
verhältnis geschaffen hat, das zur Erledigung der
mannigfachen schwebenden Fragen sehr beigetra-
gen hat.» '°*
149) Siehe S. 80-81.
150) Siehe S. 82-83.
51) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946, 5. 24.
152) AA, PA Inland II g 409, 26. August 1942: Sichelschmidt (VOMI)
an AA.
153) Laut Bupo-Bericht habe Süss über den Abwehr-Chef Admiral
Wilhelm Canaris Verbindung mit Widerstandskreisen gehabt: BAB }
2001 (E) 1969/262 Bd. 40, 14. April 1947: Bupo-Bericht Inspektor
Benz.
154) Eugen Steimle, geb. 1909, von September 1936 bis Februar
1943 Leiter des SD Stuttgart, danach Chef der Westeuropa-Gruppe
des Auslands-SD im RSHA, ab Juni 1944 im Rang eines SS-Stand-
artenführers (militär. Rang eines Oberst). Steimle unterbrach seine
zivile SD-Tätigkeit zweimal für Kommandoübernahmen bei den
verüchtigten SD-Einsatzgruppen im Osten. Er wurde 1948 nach dem
Zinsatzgruppen-Prozess zum Tod verurteilt. Das Urteil wurde in eine
20-jährige Haftstrafe umgewandelt.
155) Siehe S. 99.
156) Siehe S. 67-68.
57} Siehe Anm. 105.
158) PAAV/524 Bupo-Vernehmung Klaus Huegel 1946, S. 6.
159) Mitteilung Rudolf Rheinberger, 1. September 1997
160) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946, 5. 12, 22: Alois Vogt
arinnerte sich, vom Fürsten wiederholt zur Abklärung deutscher
„iechtenstein-Einschätzungen aufgefordert worden zu sein. Im
November 1942 korrigierte er eine Einschätzung des Fürsten als
«deutschfeindlich» gegenüber Erdmannsdorff vom Auswärtigen
Amt. Für einen inoffiziellen Fürstenbesuch im Juli 1943 klärte Vogt
ebenfalls bei Erdmannsdorff ab (LLA O0. S. Sammelakt NS, Dok.
Nr. 192037/38. 192041. Dass. in AA, PA Büro des Staatssekretärs.)
161) Siehe Gustav Wilhelm: Der Weg der Liechtenstein-Galerie von
Wien nach Vaduz. In: JBL 95 (1998) 5.23 f.: Peter Geiger: «Am
Rande der Brandung». Kriegsende 1945 in Liechtenstein. In: JBL 95
“1998) 5. 57.
162) LLA RF 227/228, 7. Dezember 1944: Regierungsmemorandum
zur Frage der Gesandtschaftseinrichtung.
163) Auch gegenüber der Schweiz behielt man sich den von Hoop
seit 1938 anvisierten Freiraum offen. Vgl. S. 62.
64) LLA RF 227/228.
Kontaktnahmen Alois Vogts
zur Zeit der deutschen Siege
1940 und 1941
Eine Dokumenten-Gruppe aus dem deutschen
Dienstverkehr belegt mehrere Versuche des liech-
tensteinischen Vizeregierungschefs Alois Vogt, mit
deutschen Stellen in Verbindung zu treten.!'® Die
Quellen datieren aus dem Zeitraum September
1940 bis Mai 1941.!°° Sie können in einen chrono-
iogischen und inhaltlichen Zusammenhang gestellt
werden.
Unter Beizug anderer zeitgenössischer Quellen
ınd der Aussagen Vogts vor der schweizerischen
3undespolizei (Bupo) lassen sich bestimmende
Momente der damaligen Geheimdiplomatie benen-
aen. Sie erfolgte, als sich die VDBL verstärkt zu
Wort meldete und die liechtensteinische Regierung
Wirtschaftsverhandlungen in Bern führte; der für
die Achsenmächte günstige Kriegsverlauf in Eu-
copa ist als Hintergrund merkbar. In einem der
deutschen Dokumente werden die genannten drei
Umstände angesprochen. Es handelt sich um das
Gedächtnisprotokoll einer Unterredung Vogts mit
einem EPD-Vertreter in Bern. Das Protokoll gelang-
‚ee an Heinz Jost, den damaligen Leiter des Amtes
VI, dem SD-Auslandsnachrichtendienst im RSHA
Berlin. Von diesem Nachrichtenvorgang ausgehend
Können Vogts reichsdeutsche Verbindungen in den
Jahren 1940/41 näher befragt werden.
ALOIS VOGTS KONTAKTVORSTÖSSE IN DEN
DEUTSCHEN QUELLEN
In den deutschen Berichten über die «Fühlungnah-
me» des Regierungschef-Stellvertreters Alois Vogt
taucht der SD als erste Anlaufstelle auf. Im Sep-
tember 1940 meldet der Chef des RSHA, Rein-
nard Heydrich, dass Vogt «erneut» an eine seiner
Dienststellen, den SD, herangetreten sei.'°” Heyd-
richs Mitteilung erfolgte im Zusammenhang mit
einer vorgängig bekannt gewordenen «Auffassung
nNechtensteinischer Kreise über einen Zollanschluss
‘‚jechtensteins an das Reich».'°® Kurz darauf wird
über einen Beauftragten Vogts, den Liechtensteiner
SD-Verbindungsmann Peter Rheinberger, gemel-
det, dass dieser für Verhandlungen «zwecks
Kinverleibung Liechtensteins ins Grossdeutsche
Reich» zur Verfügung stehe.'°* Rheinberger halte
sich in Lindau auf. In Lindau befanden sich Aus-
senstellen der deutschen Geheimdienste von Wehr-
macht und SS in München. Auch die dritte Benach-
richtigung, vom 24. Oktober 1940, wurde vom SD
unternommen. Der Leiter des SD-Auslandsnach-
richtendienstes Heinz Jost übermittelte das Proto-
koll einer Besprechung Vogts in Bern an die
Deutschlandabteilung im Aussenministerium.!”®
Weitere Kontaktnahmen mit dem SD sind erst ein
halbes Jahr später dokumentiert. Sie zielten expli-
zit auf den Leitabschnitt München und sollen
gleichfalls «die Frage der Eingliederung Liechten-
steins in das Grossdeutsche Reich», aber auch
«Schweizer Fragen» berührt haben.'!”
Untergeordnete Dienstebenen des SD waren die
ersten Adressaten für die Vorstösse Vogts. Die
Besprechungsangebote zielten aber nach Inhalt
und Korrespondenzweg weiter. Sämtliche Schrei-
ben aus 1940 und 1941 wurden dem Auswärtigen
Amt zur Stellungnahme zugeleitet. Die dortige
Deutschlandabteilung unter Martin Luther bearbei-
tete sie und entschied in Rücksprache mit Aussen-
minister Ribbentrop. Vogt beziehungsweise sein
Beauftragter Rheinberger gingen den SD an, um
für ihre Anfragen mit «zuständigen» oder «mass-
gebenden» Stellen Kontakt zu nehmen. Letztere,
namentlich die Deutschlandabteilung, machten
sich erst gelegentlich der gemeldeten Vorstösse ein
Bild ihres Gegenübers: Vogt könne «jetzt als na-
tionalsoz. (bedingt) Teil der Regierung angespro-
chen werden»,!”®? zur eigenen Orientierung wird
angefügt: «Dr. Hoop ist Chef der Regierung (libe-
ral)».!* Vogt selbst hatte bis dahin kaum Verbin-
dung mit dem Auswärtigen Amt unterhalten, Rib-
bentrop sah er erstmals anlässlich des Staatsbe-
suchs 1939 im Rahmen eines Diners.!“*
In den Vorstössen der Jahre 1940/41 empfahl
sich Vogt durch Einschätzungen der SD-Stellen.
Alois Vogt —- laut Notiz im Aussenministerium «Chef
der Liechtensteinischen Regierung» — stehe «seit
etwa einem Jahr [d. h. seit Frühjahr 1940, d. Verf.]
mit dem SD in Verbindung, «dem er Nachrichten
jefere».!’® Im Schreiben des SD-Führers Jost vom
Oktober 1940 gilt Vogt als verdeckter VDBL-Mann,
3u dd
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
dem man von deutscher Seite «Anweisungen» ge-
ben könne.!’° Gerade daran schien das Reichsaus-
senministerium nicht interessiert, es reagierte auf
die gemeldeten Vorstösse mit Zurückhaltung: Peter
Rheinberger solle beruhigt werden, «Jeder Putsch
könne sich sehr zu Ungunsten Liechtensteins aus-
wirken.»!’” Zu den Fragen der liechtensteinisch-
schweizerischen Beziehungen nehme man «Auf
Anweisung des H. RAM», also Ribbentrops, «vor-
läufig», das heisst im Oktober 1940, keine Stel-
lung!’ und auch im Mai 1941 solle «in der
Sache selbst» - Anschlussfrage und Verhältnis zur
Schweiz —- «kurz getreten werden.»!'”” Diese Posi-
tion solle Vogt beziehungsweise Rheinberger wie
derum vom SD vermittelt werden, an einer wei-
teren Nachrichtenverbindung mit Alois Vogt und
einer diesbezüglichen Unterrichtung seiner Abtei-
lungen war das Auswärtige Amt interessiert. '®®
ZWIESPÄLTIGER EINDRUCK DER KONTAKT-
DIPLOMATIE DER JAHRE 1940 UND 1941
Alois Vogt äusserte nach dem Krieg gegenüber
der schweizerischen Bupo, dass er seit Herbst
1940 über mehrere Monate versuchte, «heraus-
zubringen, wo die liechtensteinische Opposition,
die Volksdeutsche Bewegung, in Deutschland ihre
Stützpunkte habe», um der VDBL dort entgegen-
zutreten.!?! Als Adressaten seiner Vorstösse gab
Vogt unter anderem den SD in München an. Hier-
bei habe ihm Peter Rheinberger geholfen.!®? Über
Vermittlung eines Bekannten in Berlin sei schliess-
lich ein Treffen mit Erdmannsdorff im Auswärtigen
Amt zustande gekommen.!®
Vogts Angaben bestätigen den Zeitraum und
decken sich teilweise mit den Inhalten der deut-
schen Korrespondenz. Beide Quellen bieten den
noch ein lückenhaftes und zwiespältiges Bild der
damaligen Kontaktdiplomatie. Möglicherweise ging
es Vogt darum, die Haltung der «massgebenden»
Stelle zur VDBL, der liechtensteinischen Anschluss-
bewegung, einzuholen. Seine nächstliegenden Kon-
takte bestanden 1940 nicht zum Auswärtigen Amt,
sondern zur VOMI und zu Vertretern des SD Stutt-
gart.'** Auf Anfrage hatte bereits der SD-Mann Pe-
ter seinen Bekannten Alois Vogt zur Liechtenstein-
Einstellung der Reichsführung orientiert. Dies er-
"olgte im Vorfeld des VDBL-Putschversuchs vom
24. März 1939.'8 Allerdings erscheint Vogt in den
späteren deutschen Quellen exponierter, ja selbst,
der VDBL-Linie folgend, zu Eingliederungsver-
handlungen bereit. Sowohl die Erinnerung Vogts
als auch die deutsche Wahrnehmung bleiben selek-
tiv. Vogt erwähnte 1946 keine Besprechungsange-
bote zu Eingliederungs- oder «Schweizer Fragen».
165) LLA 0. S. Sammelakt NS, Dok. Nr. 484850 —- 484874. Dass. AA,
PA Inland 11 g 409. Zur Bewertung in der Literatur siehe Krebs:
Zwischen Fürst und Führer, S. 559 1.
166) Dok. Nr. 484874 enthält eine Handnotiz «betreffend Liechten-
stein» vom 25. September 1941, ohne dass ein Zusammenhang mit
den vorhergehenden Vorgängen deutlich würde.
167) LLA 0. S. Sammelakt NS, Dok. Nr. 484850, 12. September
1940: Heydrich (SD) an Ribbentrop (AA).
168) Ebenda.
‚69) LLA 0. S. Sammelakt NS. Dok. Nr. 484851, undat. Aktennotiz
m Amı VI FF (SD).
(70) LLA O. 5. Sammelakt NS, Dok. Nr. 484855 - 484865. 24. Okto-
ber 1940: Jost (SD) an Luther (AA).
171) LLA 0. S. Sammelakt NS, Dok. Nr. 484870 — 484874, Mai 1941.
172) Ebenda, Dok. Nr. 484852, undat. Handnotiz im AA, Abteilung
Deutschland.
173) Ebenda.
174) PAAV/523 Zeugenaussage Alois Vogt. 18. Januar 1946, S. 10
175) LLA 0. S. Sammelakt NS, Dok. Nr. 484872 f., 14. Mai 1941:
Handnotiz Neuwirth (AA). Tatsächlich hatte Alois Vogt mit Mit-
arbeitern des SD Stuttgart schon 1939 Bekanntschaft gemacht
176) Ebenda Dok. Nr. 484855. 24. Oktober 1940.
'77) Ebenda Dok. Nr. 484853, 9. Oktober 1940.
178) Ebenda Dok. Nr. 484855, 27. Oktober 1940: Handnotiz Luther
(AA).
179) Ebenda Dok. Nr. 484870, 14. Mai 1941: Handnotiz Kieser (AA)
180) Ebenda Dok. Nr. 484866, 31. Oktober 1940: Picot (AA).
181) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946, 5. 12 £
182) Ebenda, S. 6 f
183) Ebenda, S. 13
184) Siehe S. 75.
185) Siehe S. 66
Umgekehrt pflegten die SD-Meldungen eine opti-
mistische, durch VOMI-Berichte 1938 und 1939
eingeführte Auffassung der liechtensteinischen In-
nenpolitik. Der Vizeregierungschef galt demnach
als «Vertrauensmann», «Aussenposten»'!®° und ver-
deckter Anschlusspolitiker, die VU als Haus der
Umsturzbetreiber. Vogts Regierungsloyalität wäre
ın dieser Sicht nur vorgetäuscht gewesen. !*‘
Lassen sich die je einseitigen Perspektiven der
Beteiligten verbinden?
Alois Vogt kommt in den Besprechungsange-
doten nur vermittelt zu Wort, auch die deutschen
Interessen bleiben an wichtiger Stelle im Dunkeln.
Zu einer Verständigung des zuständigen SD-Offi-
ziers Bunsen im RSHA vermerkt der Korrespon-
dent im Auswärtigen Amt, Picot: «Wir hätten an
ainem Putsch [in Liechtenstein, d. Verf.] nicht das
geringste Interesse. Über die politischen Hinter-
gründe habe ich Herrn Bunsen nicht orientiert.» '®5
DAS GEDÄCHTNISPROTOKOLL
VOM 14. OKTOBER 1940 ALS NACHRICHTEN-
VORGANG
Zu Motiven und Absichten von Vogts Kontakt-
versuchen geben die Quellen keine direkten Auf-
schlüsse, allerdings können einige Begleitumstände
und Hintergründe präzisiert werden. Als Schlüssel-
text hierzu erweist sich das vom SD behändigte
«Gedächtnisprotokoll» einer Besprechung Vogts im
PD in Bern vom 14. Oktober 1940.!®9
Alois Vogt besprach sich in Bern mit Legations-
rat Dr. Peter Anton Feldscher zu einer von Liech-
‚enstein gewünschten Gleichbehandlung liechten-
steinischer Arbeitsuchender in der Schweiz. Wenig
später, am 24. Oktober, verfügte der SD über eine
«zusammengefasste Darstellung der über eine
Stunde dauernden Besprechung».!®”” Laut Heinz
Jost, dem zuständigen SD-Führer, habe ein Verbin-
dungsmann das Protokoll beschaffen können. Ohne
auf dessen Inhalt näher einzugehen, wertet Jost
den Nachrichtenvorgang als Gelegenheit, Vogt
deutscherseits zu instruieren. Über die näheren
Umstände der Protokollverfassung und -beschaf-
fung schweigen sich die Quellen aus, der von Jost
erwähnte «VM» des SD bleibt anonym. Was spricht
dafür, dass die Protokollzuspielung im Interesse
und mit Wissen Alois Vogts erfolgte?!”
Die Protokollbeschaffung für Jost fügt sich in die
Reihe der deutscherseits registrierten Kontakt-
versuche Alois Vogts ein. In dem im September von
Heydrich an Ribbentrop gemeldeten Herantreten
Vogts an eine SD-Dienststelle firmiert die Nachrich-
tengruppe Westeuropa des SD als meldungs-
zuständig.!?*? Die Vorsprache Peter Rheinbergers
und Josts Schreiben wurden ebenfalls in der West-
2uropa-Gruppe behandelt. Auch im Protokolltext
finden sich Entsprechungen zu den früheren und
späteren SD-Berichten. Der EPD-Vertreter drängte
gemäss Protokoll auf eine klare Loyalitätserklärung
Liechtensteins gegenüber der Schweiz. Laut einer
irüheren SD-Meldung habe Vogts Beauftragter
Rheinberger von einem bevorstehenden schweize-
rischen Ultimatum zu einem «wirtschaftlichen und
politischen Anschluss» gesprochen.'?® Im Protokoll
hegt Feldscher Zweifel an Liechtensteins aussen-
„olitischer Zuverlässigkeit. Er führt Umsturzge-
rüchte und Anschlussforderungen ins Treffen. Von
Anschlussangeboten berichten auch die SD-Mel-
dungen, Alois Vogt erscheint hier als deren inoffi-
zieller Unterhändler; seiner Gesinnung nach ein
VDBL-Mann.
Welche Personen und welche Wahrnehmungen
bestimmten Vogts Meldungslinie zum SD?
Zu den SD-Führern in Berlin, dem damaligen
Leiter der Westeuropa-Gruppe Bielstein und des-
sen Chef Heinz Jost, dürfte Vogt keine persönliche
Verbindung gehabt haben. Allerdings kannte er
<laus Huegel. Zur Zeit der Kontaktvorstösse führte
Huegel die schweizerisch-liechtensteinische Ge-
heimdienstarbeit im SD Stuttgart und war Bielstein
und Jost in Berlin unterstellt. Klaus Huegel teilte
mit, dass er sich an den Nachrichtenvorgang im
Oktober 1940 nicht erinnern könne, '”* er hätte sich
damals in Stuttgart einarbeiten müssen. Diese An-
gaben sind mit Vorsicht aufzunehmen. Seiner
Beauftragung nach war Huegel für die Auskund-
schaftung und Verbindungsaufnahme im Raum
Schweiz/Liechtenstein eingesetzt. Mit Vertretern
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
der Erneuerungsbewegung und nationalkonser-
vativen Kreisen in der Schweiz führte er im Sep-
tember und Oktober 1940 Besprechungen.'” Im
Herbst 1940, so Huegel, habe ihm Alois Vogt eine
Grenzkarte nach Liechtenstein legitimiert. !?°
Der Zeitraum von Vogts Verbindungsaufnahmen
kreuzte sich mit einer heissen Phase der deutschen
Richtungseinstellung gegenüber der Schweiz und
Liechtenstein. Heerführung und Nachrichtendien-
ste schmiedeten Anschlusspläne.!?” Diese Disposi-
tionen kannte Vogt nicht, als er sich den Deutschen
näherte. SD-Ausland-Chef Jost befürwortete noch
im April 1941 eine militärische Lösung. Anpas-
sungssignale aus dem Raum Schweiz/Liechtenstein
wurden auf seiner Dienststelle registriert und ge-
legentlich überzeichnet.'”®
Huegel gehörte zu jenen, die für eine deutsche
Vormachtstellung arbeiteten und die dafür bei
deutschnational geprägten Politikern wie Alois Vogt
Entgegenkommen sahen.'®” Andererseits zählte
sich Huegel einer Gruppe im SD zugehörig, die auf-
grund genauer Stimmungskenntnis und schliess-
ich aus Eigeninteressse von einem militärischen
Anschluss der kleinen Neutralen abriet.“®® Vogt
fand in Huegel einen Verbindungsmann, dem er
Vorbehalte zu völkischen Aufbau- und Anschluss-
plänen vermitteln konnte.**! In den Kontaktauf-
nahmen von 1940 und 1941 schienen solche
Vorbehalte keine Rolle zu spielen. Von Seiten
des Regierungschef-Stellvertreters werden Unter-
redungsangebote gemeldet, die Protokollzuspie
‚ung an den SD relativiert die im Protokolltext ver-
folgte Anbindung an den schweizerischen Wirt-
schaftsraum. War gerade dieser abschwächende
Eindruck von Vogt erwünscht? Zwei Umstände
sprechen dafür: das analoge Auftreten gegenüber
dem deutschen Reich und den schweizerischen
Stellen sowie Vogts Reaktion auf die 1940 wieder-
egrstarkte VDBL. In Bern diente Vogt die Befürch-
tung einer Deutschorientierung Liechtensteins als
Druckmittel für wirtschaftliche Zugeständnisse. Im
Deutschen Reich wiederum wurden die Kontakt-
vorstösse zur Anschlussfrage mit Hinweisen auf
schweizerische Forderungen an Liechtenstein ver-
knüpft.
Die Stellung Alois Vogts zur VDBL und ihren An-
schlussbestrebungen in den Jahren 1940 und 1941
ist im folgenden näher zu beleuchten.
‚86) LLA 0. S. Sammelakt NS, Dok. Nr. 484852, undat. Handnotiz
m AA.
87) Dieser Auffassung war SD-Führer Heinz Jost: «Dr. Vogt hat sich
»isher absichtlich nicht zur volksdeutschen Bewegung bekannt, er
zeniesst dadurch das Vertrauen des Fürsten von Liechtenstein und
ıuch der Schweizer Stellen.» Zit. nach LLA 0. S. Sammelakt NS,
Jok. Nr. 484855, 24. Oktober 1940.
88) LLA O0. S. Sammelakt NS. Dok. Nr. 484853, 9. Oktober 1940:
>icoL (AA).
89) Siehe Anm. 170.
190) Ebenda.
191) Gerhard Krebs vertritt die Ansicht, dass Alois Vogt die SS mit
Jem Protokoll belieferte, ohne den Vorgang selbst näher zu unter-
:uchen. Siehe Krebs: Zwischen Fürst und Führer, S. 559.
192) Das entsprechende Aktenkennzeichen ist «VI F’» - eines der
Vesteuropa-Referate galt dem Raum Schweiz/Liechtenstein, Leiter
var 1940 und 1941 der SS-Offizier Bunsen. Ab Sommer 1941
irmiertie die gesamte Westeuropa-Gruppe unter «VI B».
193) LLA 0. S. Sammelakt NS, Dok. Nr. 484851, siehe Anm. 169.
194) Interview mit Klaus Huegel. 1. Mai 1997,
195) Am 23. September 1940 in Wülflingen (CH). siehe Huegel-
3ericht BAB E 27 11223. Im Oktober 1940 fand eine Besprechung
nit Vertretern des AA und RSHA sowie schweizerischen Frontisten
ührern in München statt, siehe Werner Rings: Schweiz im Krieg
933-1945, 8. erw. Aufl. Zürich 1990, S. 298-302. Kurzbeleg: Rings:
schweiz im Krieg.
96) PAAV/524 Bupo-Vernehmung Klaus Huegel 1946, 5. 5 f.
(97) BAB E 4320 (B) 1968/195 Bd. 79, Einvernahme Klaus Huegel
16. November 1945; Fuhrer: Spionage gegen die Schweiz, S. 65-68.
'98) Siehe Fuhrer: Spionage gegen die Schweiz, S. 66, 68.
99) Interview mit Klaus Huegel, 1. Mai 1997.
200) Fuhrer: Spionage gegen die Schweiz, S. 68; Interview mit Klaus
Juegel, 1. Mai 1997: Einen Bericht, wonach mit einer nennens-
werten nationalsozialistischen Bewegung in der Schweiz nicht zu
rechnen sei, sandte Huegel im Herbst 1940 nach Berlin
201) Dies galt etwa für Vogts Ablehnung einer prodeutschen
Presseagentur in Liechtenstein 1939 oder der von Reichsstellen
arwünschten Fusion von VU und VDBL. Alois Vogt habe Huegel
ausserdem erklärt, dass er mit der SS keine Gesinnungsgemein-
schaft habe; siehe PAAV/524 Bupo-Vernehmung Klaus Huegel 1946,
S. 5: BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1947, 5. 1
5
DAS GEDÄCHTNISPROTOKOLL
VOM 14. OKTOBER 1940 ALS POLITISCHES
VERHANDLUNGSDOKUMENT:
RÜCKSICHTEN AUF DAS DEUTSCHE REICH
UND DIE VDBL
Die Besprechung zwischen Alois Vogt und Peter
Anton Feldscher vom 14. Oktober 1940 betraf un-
mittelbar «eine bessere fremdenpolizeiliche Be-
handlung der Liechtensteiner in der Schweiz und
vor allem die Zusicherung freier Arbeitsannah-
me.»%2%2 Bei den Verhandlungen zur Öffnung des
schweizerischen Arbeitsmarktes waren KRegie-
rungschef Hoop und sein Stellvertreter Alois Vogt
federführend.“ Die Besprechung mit Feldscher
war auf Vogts Ersuchen hin erfolgt. Eine verstärkte
Integration Liechtensteins in den schweizerischen
Wirtschaftsraum hatte politisches Gewicht. Die
Koalitionsregierung von 1938 war auch unter
dem Vorzeichen einer Beibehaltung der schwei-
zerischen Zollunion angetreten. Im Herbst 1940
sahen beide Seiten in einer wirtschaftlichen Annä-
herung den Hebel, deutschorientierten Anschluss-
forderungen in Liechtenstein die Grundlage zu ent-
ziehen. Feldscher argumentierte, indem er diesen
Zusammenhang umkehrte. Er konfrontierte Vogt
wiederholt mit Zweifeln an der liechtensteinischen
Vertragsloyalität, Feldscher führte jüngste natio-
nalsozialistische Umtriebe und «Anschlusspropa-
ganda» in Liechtenstein an.“°* In der Schweiz wäre,
so der EPD-Vertreter, einiges Misstrauen zu besei-
tigen. Als politische Vorleistung für einen Vertrags-
abschluss insistierte Feldscher gegenüber Vogt auf
einer «baldigen und klaren Loyalitätserklärung»
von Regierung und Bevölkerung Liechtensteins.“®
Vogt taktierte, seinerseits auf schweizerisches Ent-
gegenkommen bedacht. Feldschers Besorgnissen
entgegnete er beschwichtigend, die liechtensteini-
sche Regierung sehe «keinerlei Anlass zu irgend:
welcher Nervosität».“% Indirekt nährte er gleich-
wohl Feldschers Bedenken: «Es wird» — so Vogt —
«wesentlich von der Haltung [der Schweiz, d. Verf.]
abhängen, wie sich die Dinge entwickeln».“°” In der
Verhandlungsführung setzte Alois Vogt am rich-
gen Punkt an. Dies wird aus einer Notiz Feld-
schers einen Monat nach dem Treffen mit Vogt“®®
und aus einem späteren Bundesratsprotokoll““*
deutlich. Alle Departementsvertreter, insbesondere
das Eidgenössische Militärdepartement (EMD),
empfahlen ein Eingehen auf die liechtensteinischen
Wünsche, um «alles zu vermeiden, was Liechten-
stein in die Arme Deutschlands treiben könnte.»“!9
In der Besprechung vom 14. Oktober argwöhnte
celdscher, dass «hinter der Deutsch-Völkischen Be-
wegung» in Liechtenstein «deutsche Propaganda»
stehe. Möglicherweise erfolge eine Stützung der
VDBL nicht durch die Behörden, sondern durch
mächtige Kreise im Reich.“!! Vogt beschwichtigte,
sprach vom korrekten Verhalten der deutschen
Behörden. Auch auf die von Feldscher angespro-
;henen Kreise in Deutschland werde er «sein per-
sönliches Augenmerk» lenken.*!*
Im Besprechungsprotokoll beliessen es Vogt und
Feldscher in der Frage einer reichsdeutschen
Rückendeckung der VDBL bei Andeutungen. An
dere Quellen der Jahre 1940 und 1941 weisen dar-
auf hin, dass Liechtensteins Regierung, namentlich
Alois Vogt, sehr wohl «Anlass zur Nervosität»
‘hatten.
Zur Zeit der deutschen Eroberungen setzte die
Regierung Hoop deutliche Anpassungssignale.**
Feldscher meinte später, Regierungschef Hoop und
sein Stellvertreter Vogt hätten in den Jahren 1940
und 1941 «wohl mit dem deutschen Einmarsch in
das Fürstentum und die Schweiz gerechnet und
versucht, sich mit den deutschen Behörden mög-
lichst gut zu stellen.»?'* Hoop bezog in die aussen-
politische Rücksichtnahme auch allfällige Mass-
nahmen gegen die VDBL ein. Am 10. Oktober 1940
gab er im Landtag zu bedenken: «... wenn in Liech-
‚enstein eine Bewegung unterdrückt würde, die ein
enges Verhältnis zu Deutschland herbeizuführen
Deabsichtigt, so könnte das katastrophale Folgen
1aben.»“!>
Alois Vogt war von der VDBL persönlich heraus-
gefordert, dieser Hintergrund der Besprechung
vom 14. Oktober 1940 erhellt aus zeitgenössischen
VDBL-Dokumenten.“!°
Nach ihrem Rückschlag infolge des gescheiter-
ten Märzputsches 1939 wurde die VDBL im Juni
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
1940 reorganisiert. In ihrer Führung standen junge
Akademiker, ihre Anhängerschaft wuchs, die na-
tionalsozialistische Propaganda konnte deutsche
Kriegserfolge ausbeuten. Basis der VDBL-Politik
blieb nach Auffassung von Landesleiter Dr. Alfons
Goop «das rassisch und blutmässig, von Natur aus
deutsche Völklein Liechtensteins.»*'” Der Wirt-
schaftsanschluss an das Deutsche Reich war in
den VDBL-Statuten festgehalten, das Endziel des
Totalanschlusses behielt man im Auge.“'® Landes-
leiter Goop versuchte wiederholt Alois Vogt, den er
als «entschieden deutschfreundlich» einschätzte,“!*
für die Sache der VDBL zu gewinnen. Diesbezüg-
liche Gespräche mit Vogt führte Goop im Juli und
August 1940. Die Versuche, über den Partei- und
Regierungsmann Vogt zu einer völkischen Allianz
von VU und VDBL zu kommen, dauerten letztlich
bis ins Jahr 1943. Im Sommer 1940 machte Alois
Vogt auf VDBL-Leiter Goop einen unentschlossenen
und reservierten Eindruck. Von der «Notwendig-
keit einer Erneuerung des Volkstumsgedankens»
aabe er Vogt nicht überzeugen können.*“°
Interessant ist Vogts Entgegnung zur Forderung
eines Wirtschaftsanschlusses an das Deutsche
Reich. Hier ging der Regierungschef-Stellvertreter
auf die VDBL-Position ein und bezeichnete zwei
Voraussetzungen. Die beste Lösung war gemäss
Alois Vogt «wenn sich der Fürst aufraffen könnte,
die Sache [den Wirtschaftsanschluss, d. Verf.] zu
bereinigen.» Zweitens wies Vogt auf eigene Son-
dierungen hin, die er in Berlin vornehmen wolle.
Abzuklären wäre, «ob das Deutsche Reich auf
einen Wirtschaftsvertrag mit Liechtenstein eingeht
oder nicht.»??! Die Stellungnahme des Regierungs-
chef-Stellvertreters erfolgte am 20. August 1940.
Nur wenig später, am 12. September 1940, meldete
der RSHA-Chef Heydrich einen erneuten Vorstoss
Alois Vogts. Dieser galt, wie erwähnt, nicht dem
SD selber, sondern über ihn einer «zuständigen
Reichsstelle in Berlin». Heydrich nahm im An-
schluss daran Bezug auf «die Auffassung liechten-
steinischer Kreise über einen Zollanschluss Liech-
tensteins an das Reich». War damit die VDBL ge-
meint? Sie war die organisierte Verfechterin des
Anschlussgedankens und seit 1938 reichsdeut-
schen Stellen bekannt. Goop sandte seine Berichte
zur Anschlussfrage und zur Haltung Alois Vogts
ebenfalls ins Reich.*“*
Kreuzten sich im September 1940 die Wege
Vogts und der VDBL?
In der Wahrnehmung der deutschen Stellen
beim SD gingen sie konform, Vogt erschien als Pro-
motor des von Landesleiter Goop erstrebten An-
202) Zitat Feldscher in LLA O. S, Sammelakt NS, Dok. Nr. 484855
184865, S. 2. Im folgenden mit Seitenangaben zitiert als «LLA
Gedächtnisprotokoll 1940».
203) Verhandlungsdokumente finden sich in LLA RF 199/416. Ein
auf den Zollvertrag gestütztes fremdenpolizeiliches Abkommen trat
am 1. Februar 1941 in Kraft.
204) LLA Gedächtnisprotokoll 1940. 5, 3 f.
205) Ebenda. S. 6.
206) Ebenda, S. 5.
207) Ebenda.
208) BAB E 2001 (E) 1969/262 Bd. 8. 19. November 1940: Notiz
Peldscher.
209) BAB E 2001 (E) 1969/262 Bd. 1. 14. Januar 1941: Sitzungs:
protokoll des schweizerischen Bundesrates.
210) Ebenda.
211) LLA Gedächtnisprotokoll 1940, S. 7
212) Ebenda.
213) Zu Beispielen hierfür siehe Krebs: Zwischen Fürst und Führer
S. 559: aufschlussreich sind auch die Landtagsveten von Dr. Otto
Schaedler (VU) und Regierungschef Hoop (FBP), wiedergegeben in
LLA LTP 10. Oktober 1940.
214) BAB E 2001 (E) 1969/262 Bd. 40, 16. September 1947:
Feldscher an EPD.
215) LLA LTP 10. Oktober 1940: Votum Regierungschef Hoop.
216) LLA O0. S. Sammelakt NS. Berichte und Korrespondenz von
VDBL-Landesleiter Dr. Alfons Goop. Schulungsblätter der VDBL
1940 und 1941.
217) LLA O0. S. Sammelakı NS, vermutlich April 1941: Goop (VDBL)
an Dr. Hermann Walser (VDBL).
218) Ebenda, 23. August 1940: Goop (VDBL) an Dr. Puls, Berlin;
25. Februar 1941: Bericht VDBL-Landesleiter Goop.
219) Ebenda, 25. Februar 1941: Bericht VDBL-Landesleiter Goop.
220) Ebenda, 27. Juli 1940: Goop (VDBL) an Kriener (Gestapo).
221) Ebenda, 23. August 1940: Goop (VDBL) an Dr. Puls, Berlin.
222) LLA RF 232/484 Strafsache Dr. Alfons Goop; diesbezüglicher
Bericht. im INolksblatt vom 26. Oktober 1946.
schlusses. Diesem Eindruck steht Vogts Auftreten
in Liechtenstein entgegen. Tatsächlich ging Vogt
auf die von der VDBL angebotene Mitarbeit nicht
ein, weder 1939 noch in den folgenden Jahren des
Krieges. Über den Inhalt seiner Privatunterredung
mit Goop vom Juli 1940 orientierte Alois Vogt
Regierungschef Hoop.““* Goop versuchte seiner-
seits, den VU-Politiker im Reich als massgeblichen
Vertreter einer «nationalen Richtung» in Frage zu
stellen.““* Dies könnte Vogt erfahren haben, etwa
durch Klaus Huegel, der sowohl Landesleiter Goop
wie auch dessen Kontaktperson von der Feldkir-
cher Gestapo, Karl Kriener, kannte.
Währenddem in Liechtenstein behördliche Ab
wehrmassnahmen gegen die VDBL getroffen wur-
den, schien Vogt im Reich selbst als Anschluss-
befürworter zu gelten. Dafür gab es Gründe: Bei
seinen Kontaktversuchen bewegte sich Alois Vogt
in jenem deutschvölkischen Bekanntenkreis, den er
einst selbst, als LHD-Politiker, mitinitiierte. Sein
Verbindungsmann Peter Rheinberger war 1938
kurzzeitig VDBL-Mitglied gewesen, die Stuttgarter
SD-Leute Peter und Huegel hatten ihrerseits per
sönliche Bekanntschaft mit VU- und VDBL-Ver-
tretern. Vogt gab nach Kriegsende an, dass er zur
Herstellung von Verbindungen im Reich sein
deutschvölkisches Image einsetzte. Bei der VOMI
und der Deutschlandabteilung, die ihm von Klaus
Huegel als VDBL-Stützen bezeichnet wurden, habe
er sich als «Nationalsozialist» einführen lassen.“
Alois Vogts spätere Angaben bieten einen Er
klärungsansatz für den Eindruck, den seine ge-
wagten «Fühlungnahmen» beim SD hinterliessen:
Vogt als reichsdeutscher Vertrauensmann. Indem
Vogt diese Rolle bestätigte, so das innenpolitisch
motivierte Kalkül, überbot er die VDBL, die sich
als einzige Trägerin des völkischen Gedankens
sah und den VU-Politiker im Reich zu denunzieren
suchte.??6 Vogt schickte sich 1940 an, der erste
Ansprechpartner zu einer liechtensteinbezogenen
Volkstumsarbeit im Reich zu werden. Und er tat
dies mit dem grösstmöglichen «Spieleinsatz», zu
welchem deutsche Reaktionen erwartbar waren:
die staatliche Zukunft Liechtensteins. Die vom
Auswärtigen Amt an die SD-Stellen übermittelten
Rückmeldungen bestätigten eine nichtinterventio-
nistische Haltung zu Liechtenstein. Dies war eine
der Auskünfte, um derentwillen Vogt nach eigenen
Angaben seine gewagten Vorstösse unternahm.
J)as Desinteresse der Reichsführung an Putsch
ader politischer Neuorientierung im Fürstentum
stärkte Vogts Position gegenüber der VDBL. Zu-
gleich bewahrte es den taktierenden Landespoliti-
ker davor, sich für oder gegen die Eigenstaatlich-
keit aussprechen zu müssen.
m 43
Frühe Entwicklungen
bis ins 14. Jahrhundert
Der Entstehung und Entwicklung des Eigentums-
begriffes kann hier nicht nachgegangen werden. Es
wäre dies ein eigenes grosses, separat zu behan-
delndes Thema. Es sei lediglich betont, dass die
heutigen Vorstellungen von Eigentum und Besitz
denjenigen früherer Zeiten nicht gleichgesetzt wer-
den dürfen. Die heutigen Begriffe lassen sich nur
mit erheblichem Vorbehalt auf frühere rechtsge-
schichtliche Perioden anwenden.
Privates Eigen gab es in früher Zeit nur bei den
Hofstätten, in unmittelbarer Siedlungsnähe. Das
übrige Land, Riede, Auen, Wälder, Alpen und aller
unproduktive Boden bildeten die freie Mark. Es
war dies Gemeingut der bäuerlichen Siedlungen,
an dem hoheitliche Gewalthaber, der römische
Staat, das karolingische Königtum und später ade-
lige Landesherren, Obereigentum inne hatten. Die
Wurzeln des Eigentums sind im einzelnen unklar.
Rechte am Boden, wie sie uns in den ältesten
schriftlichen Quellen begegnen, sind jedenfalls rö-
mischen und germanischen Ursprungs.
Für die älteste Zeit gibt es kaum Belege für die
Eigentums- und Besitzverhältnisse am Boden. Ar-
chäologische Funde und Namenforschung geben
wenige Hinweise auf die Siedlungsgeschichte und
die Art der Nutzung des Bodens. Aus einzelnen
urkundlichen Quellen, aufgrund der Flurnamen
und der topographischen Gegebenheiten, lassen
sich verschiedene Nutzungsarten wohl lokalisieren,
nicht aber sicher zeitlich einordnen. Wie die Nut-
zungsverhältnisse sind auch die Besitzverhältnisse
anhand der spärlichen zeitgenössischen Quellen-
belege bis ins 14. Jahrhundert nur ungenau zu
rekonstruieren.
Bei den in den Urkunden dieser Zeit aufgeführ-
ten Grundstücken im Talraum handelt es sich
durchwegs um Eigengüter. Gemeinbesitz ist hier
nirgends direkt erwähnt. Es gab ihn aber sehr
wohl, wie sich aus den späteren urkundlichen
Quellen des 15. und 16. Jahrhunderts erschliessen
lässt. In den Alpen hingegen ist Gemeinbesitz
schon im 14. Jahrhundert urkundlich eindeutig
belegt.
Der Gemeinbesitz bildete bereits in dieser frü-
hen Zeit einen wichtigen Bestandteil des bäuer-
lichen Betriebes. Hofstätten und Eigengüter (Acker-
und Wiesland, Wein- und Baumgärten) wurden
denn auch «mit aller Zubehör» verkauft, «mit
Weiden, Wäldern, Gestäuden», «mit Weg und Steg,
mit Holz und Feld, mit Stock und Stein, mit Wasen
und Zweig» oder «mit Wunn und Weid, mit Holz
und Feld». So werden in den zeitgenössischen
Urkunden die Nutzungs- und Gewohnheitsrechte
an der gemeinen Mark umschrieben, die an den
einzelnen Höfen und ihren Gütern hafteten. Damit
sind neben Lasten vor allem Rechte am Gemein-
besitz gemeint. Wunn und Weid, Wald und Wasser,
Wege und Stege, bildeten die gemeinsame Mark.
An dieser hatten die Nachbarschaften von Schaan,
Vaduz und Planken Anteil, diese nutzten und ver-
walteten sie zumindest teilweise gemeinschaftlich.
Ein entsprechend organisierter Zusammenschluss
zu einer Markgenossenschaft mit eigenen Satzun-
gen und Organen ist jedoch nicht nachzuweisen.
Die Mark wurde aber als Gemeingut der drei Dorf-
schaften angesehen. Jede nahm das ihr zunächst
gelegene Stück Weide und Wald in ihre Nutzung.
Nutzungseigentum war aber noch nicht ausge-
schieden, Nutzungsgrenzen waren noch nicht vor-
handen. Es war dies auch nicht nötig, da für die
damaligen kleinen Siedlungen die Mark als unbe-
schränkt vorhandenes Gut erscheinen musste. Pri-
vatbesitz war beschränkt auf den vom Gemeinland
abgegrenzten engeren Dorfbereich mit seinen Hof-
stätten, Weingärten und Ackerfluren. Die Abgren-
zung erfolgte durch den sogenannten Etter oder
Dorfzaun, der auch als Hecke oder Mauer ausgebil-
det sein konnte.
DAS KIRCHSPIELTERRITORIUM IM T A L R A U M
Im Talraum war das Territorium des Kirchspiels
von Schaan, Vaduz und Planken schon seit alter
Zeit abgesteckt. Gegen Norden bildete die Grenze
zwischen Ober- und Unterland auch seine Grenze.
Sie entsprach einer frühkirchlichen Unterteilung
des Landes aus der Spätantike. Die Grenze gegen
Süden bildete in etwa die heutige Gemeindegrenze
zwischen Vaduz und Triesen.
4
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Im Vorfeld und Nachgang
zur Besprechung von Friedrichs-
hafen am 13. und 14. März
1943
Im Kriegsjahr 1943 besprachen sich im Kurhotel
Friedrichshafen am Bodensee führende Vertreter
der VDBL und der VU. Dies war nach Teilnehmern
und Ziel der Besprechung ein erstaunlicher Vor-
gang. Mitglieder einer liechtensteinischen Regie-
rungspartei und die Führer der nationalsozialisti-
schen Opposition verhandelten unter der Regie der
VOMI, auf deutschem Boden, zu Fragen einer mög-
lichen Zusammenarbeit in Liechtenstein.
Jas Verhältnis der zwei Gruppierungen war seit
der Bildung der VDBL im März 1938 keine bloss
innenpolitische Angelegenheit. Die VDBL verfolgte
den Anschluss an das Reich und erhoffte sich dort
Stützung bei massgeblichen Stellen. Auch der VU-
Mann und Regierungschef-Stellvertreter Alois Vogt
suchte seit 1940 Verbindung mit Instanzen im
Deutschen Reich, die für den Fortbestand eines
souveränen Liechtenstein bestimmend waren. In-
folge von Vorsprachen in Berlin und durch Vermitt-
lung seines SD-Verbindungsmannes Klaus Huegel
kam Vogt schliesslich mit Zuständigen für die na-
tionalsozialistische Volkstumspolitik in Kontakt. Bei
ihnen bestand Interesse an einer deutschvölki-
schen Zukunft Liechtensteins, über Zeitplan und
Ausgestaltung waren sich die jeweiligen Funktio-
näre im Aussenministerium und den SS-Ämtern
uneinig. Die Besprechung von Friedrichshafen
markierte diesbezüglich einen Abschluss und eine
Weichenstellung. Laut deutscher Quelle war die
«Führung der Volkstumspolitik gegenüber Liech-
tenstein»??7 im Vorfeld von Friedrichshafen endlich
geklärt. Eine von VOMI und VDBL erwünschte
Zusammenarbeit mit der VU konnte aber nur in
Vorschlägen umrissen werden. Als entscheidende
Konsequenz der Besprechung sollte sich die Be-
irauung Klaus Huegels mit der weiteren Umset-
zung jener Kooperationsvorschläge erweisen. Da:
mit scheint, entgegen ihren früheren Ambitionen,
der Rückzug der VOMI und anderer SS-Stellen aus
aäiner eigenen «Liechtenstein-Politik» im März 1943
eingeleitet.
Deutsche Quellen datieren die Vorgeschichte der
rriedrichshafner Besprechung ins Frühjahr 1942.
Zeitgenössische Dokumente aus Liechtenstein und
die Aussagen Alois Vogts gegenüber schweize-
rischen Vernehmungsbehörden gestatten eine er-
weiterte Chronik des Treffens.
KONTAKTVORSTÖSSE ALOIS VOGTS
IN DEN JAHREN 1940 UND 1941:
VORSPRACHEN IM AUSWÄRTIGEN AMT UND
BEI DER VOLKSDEUTSCHEN MITTELSTELLE
(VOMID)
Alois Vogt gab nach dem Krieg an, dass Beunru-
nigung über die Stellung des Reichs zur Anschluss-
)ewegung VDBL das entscheidende Motiv seiner
gewagten Kontaktversuche ab Spätsommer 1940
war. Aus liechtensteinischen Quellen ergeht, dass
die Landesleitung der VDBL Vogt für einen gemein-
samen deutschorientierten Kurs zu gewinnen such-
e. Das Vorhaben einer völkischen Allianz mit der
VU, den die Friedrichshafner Besprechung reichs-
deutsch abdecken sollte, wurde seit 1940 von der
VDBL verfolgt. Vogt ging darauf nicht ein,“ im
Zeich suchte er nach eigener Aussage Auskunft
iber die Einstellung zur VDBL und, gemäss deut-
schen Quellen, Verbindung mit zuständigen Stellen
'n der Anschlussfrage.??? Im überlieferten Dienst-
verkehr reagierten die Deutschlandabteilung und
durch sie der Reichsaussenminister mit Zurück-
haltung auf Eingliederungswünsche, die in SD-Mel-
dungen Alois Vogt zugeschrieben wurden. Vogt
223) Ebenda.
224) LLA O0. S. Sammelakt NS, 27. Juli 1940: Goop (VDBL) an
Xriener (Gestapo).
225) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1947, 5. 4.
226) LLA O0. S. Sammelakt NS. 27. Juli 1940: Goop (VDBL) an
<riener (Gestapo).
227) AA, PA Inland II g 409, 19. März 1943: Besprechungsprotokoll
sichelschmidt (VOM).
228) LLA O0. S. Sammelakt NS. 25. Februar 1941: Bericht VDBL-
„andesleiter Goop.
?29) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946, 5. 12 f.; LLA O0. S.
jammelakt NS, Dok. Nr. 484850 - 484874. Dass. AA, PA Inland II g
109
{*
i
selbst erklärte, dass nach mehrmonatigen vergeb-
lichen Kontaktversuchen ein erstes Treffen mit Otto
von Erdmannsdorff im Auswärtigen Amt zustande
kam.“ In einem zweiten Treffen, vermutlich eben-
falls 1941,% vermittelte Erdmannsdorff eine wohl-
wollende Haltung der Reichsführung zu Liechten-
steins Fortbestand in der schweizerischen Nach-
barschaft. Allerdings habe der deutsche Offizial
Vogts Vermutungen bezüglich einer auswärtigen
Unterstützung der VDBL bestätigt. Erdmannsdorff
verwies auf «SS-Kreise», welche seine Amtsstelle
der Liechtenstein-Frage kritisierten und empfahl
Vogt, dort zu intervenieren.“**
Alois Vogt wurden schliesslich von seinem SD-
Vertrauten Klaus Huegel die fraglichen SS-Stellen
Jezeichnet. Vogt erinnerte sich an eine erste Vor-
sprache bei der VOMI, namentlich dem für die
Schweiz und Liechtenstein zuständigen SS-Führer
Dr. Hans Sichelschmidt, im Jahre 1941. Die Aus:
sagen Alois Vogts sind auch hier die einzige vorlie-
gende Quelle; nach Zeitpunkt und Inhalt erschei-
nen sie plausibel. Vogt wies den VOMI-Vertreter
darauf hin, dass gerade aus Sicht seiner Stelle eine
Stützung der VDBL ungünstig sei. In der grundsätz:
lich deutschfreundlich eingestellten Bevölkerung
Liechtensteins wirkten die «nach deutschem Mus-
ter angewandten Methoden» der VDBL eher ab-
schreckend.“**
Gemäss Erinnerung Vogts habe die VOMI aber
unverdrossen an einer Verbindung zur Anschluss-
bewegung festgehalten. Tatsächlich scheint die
VOMI ihre Wunschvorstellung eines nationalso-
zialistischen Liechtenstein erst im Zuge der Frie-
drichshafner Besprechung korrigiert zu haben.
KOOPERATIONSPLÄNE VU - VDBL:
DEUTSCHE DIVERGENZEN UND ALOIS VOGTS
LAVIEREN
Gemäss zweier unabhängiger Quellen wurde ein
politisches Zusammengehen von VU und VDBL
mindestens seit Frühjahr 1942 gezielter verfolgt.“
Der deutsche Dienstverkehr belegt, dass hierbei im
Laufe des Sommers und im Herbst 1942 wenigs-
tens dreimal unterschiedliche Positionen einge-
nommen wurden:
Im August 1942 berichtete der VOMI-Zuständige
Sichelschmidt von «Verhandlungen über die Zu-
sammenlegung der Volkdeutschen Bewegung und
der Vaterländischen Union in Liechtenstein». Diese
seien auf gutem Wege, «aussenpolitische Schwie-
rigkeiten» gebe es nicht, der SD Innsbruck solle die
Vorverhandlungen mit VU und VDBL Soweit
Führen, dass deren Abschluss unter Leitung der
VOMI «auf jeden Fall ein positives Resultat» er-
gebe, In einer dem VOMI-Schreiben beigefügten
Handnotiz schränkt ein Volkstumsreferent im Aus-
wärtigen Amt die Zuversicht Sichelschmidts ein:
Helmut Triska von der Deutschlandabteilung (Refe-
cat D VIII) hielt eine Besprechung im Amt fest, bei
der Alois Vogt, Dr. Sichelschmidt von der VOMI, der
SD-Mann Klaus Huegel und Legationsrat Franz
Aademacher, ebenfalls von der Deutschlandabtei-
ung, anwesend waren. In diesem Treffen vom 8.
September 1942, also kurz nach der optimistischen
VOMI-Meldung, wurde ein «Zusammenschluss»
der VU mit der VDBL abgelehnt. Allerdings solle
ein «gegenseitig abgestimmtes Vorgehen bei aku-
ten Anlässen» in einer weiteren Besprechung ab-
geklärt werden.“ Zwei Monate später habe sich
Vogt entgegen der Abmachung in Berlin mit einem
Vertreter des RSHA in Liechtenstein auf «ein Ab-
kommen über eine Vereinbarung» zwischen der
VU und der VDBL eingelassen. Dies berichtete Ra-
demacher von der Deutschlandabteilung, bei dem
Alois Vogt persönlich vorsprach.“® Der liechten-
steinische Regierungschef-Stellvertreter bestätigte
die Meldung und rechtfertigte sich gegenüber
Rademacher: «Vogt gab zu verstehen, dass er den
Mann [vom RSHA, d. Verf.] habe loswerden wollen.
Er habe die Vereinbarung aber so abgefasst, dass
sie ihn praktisch nicht binde.»**
Das deutsche Besprechungsprotokoll des Fried-
richshafner Treffens bestätigt das angesprochene
Lavieren Vogts in völkischen Fragen. Auch dort
arweist sich der liechtensteinische Regierungs-
mann als rhetorisch entgegenkommend, in der
Konkretisierung einer VDBL-Zusammenarbeit aber
praktisch unverbindlich .*?0
%.
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Vogts schwankendem Verhalten korrespondier-
ten Uneinheitlichkeit und Undurchsichtigkeit der
reichsdeutschen Volkstumspolitik. Allein in der
VDBL-Frage waren mindestens zwei Abteilungen
des Auswärtigen Amtes, davon drei Referate der
Deutschlandabteilung, involviert. Seitens der SS
scheint die VOMI Hauptakteurin zu sein, im Dienst-
verkehr tauchen weitere Ämter auf: das RSHA mit
den Gliederungen SD Ausland, SD Inland und
Gestapo sowie das SS-Hauptamt. Dort war die
Gruppe D 1 der «Germanischen Leitstelle» für den
Raum Schweiz/Liechtenstein, insbesondere für ille-
gal ins Reich Ausreisende und Waffen-SS-Freiwil:
lige, zuständig.“* Vogt war durch Huegel über ein
Segment dieses Beteiligtenkreises informiert.”*
Konkret gelangte er 1942 an mehrere Instanzen,
unter denen die Zuständigkeit für Volkstumsfragen
fortlaufend ausgehandelt wurde; die jeweils höchs-
ten Amtsspitzen blieben im Hintergrund.“
Der Umstand, dass sich Dienststellen aufgrund
unklarer Führungsstellung in der «grossgerma-
nischen Arbeit»“* konkurrenzierten, wird durch
Vogts Aussagen 1946 bestätigt.“ Seine Verneh-
mung durch die Bupo ergab sowohl chronologisch
wie inhaltlich Entsprechungen mit den deutschen
Akten, ohne dass die Schweizer Behörden diese
Vogt gegenüber vorgebracht hätten:
Laut den deutschen Quellen rückten die beteilig-
ten Stellen in Berlin zwischen dem 26. August und
dem 8. September 1942 von der Einschätzung der
VOMI ab, wonach die Fusion von VDBL und VU
aussenpolitisch unbedenklich und abschlussreif er
schien. 1946 erinnerte Alois Vogt eine erste Vor-
sprache in der Deutschlandabteilung des Auswär-
tigen Amtes im Sommer 1942.**° Aufgrund ihres
Ablaufs und Inhalts könnte sie der Besprechung an
nämlicher Stelle vom September 1942 vorausge-
gangen sein. Das Treffen sei durch Huegel vermit-
telt worden, Vogt war der Abteilung als «sehr
deutschfreundlich» empfohlen.“**” Der empfangen-
de Legationsrat habe in Anwesenheit von mehre-
ren SS-Angehörigen Ausführungen zur deutschen
Position gegenüber der Schweiz und Liechtenstein
gemacht: «Die Schweiz werde schon eines schönen
Tages eine Neuordnung Europas anerkennen müs
230) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946. S. 13. Siehe auch
S. 75, 76. Erdmannsdorff wurde Ende Juni 1941 vom Gesandt-
schaftsposten in Budapest abberufen und war ab September 1941
Dirigent der politischen Abteilung, eine höhere Sekretärs-, aber
keine Entscheidungsposition.
231) Alois Vogts Zeiterinnerung gegenüber der Bupo ist eher grob,
nach Jahreszeiten- und Monatsangaben sowie im Vergleich mit den
deutschen Akten aber eingrenzbar.
232) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946, 5. 14 £.
233) Ebenda., 5. 15.
234) Ebenda.,
235) AA, PA Inland II g 409. 19. März 1943: Besprechungsprotokoll
Sichelschmidt, S. 1.
PAAV/587, undat. (vermutlich 1943): «Gedächtnis-Protokoll über die
Konferenz von Friedrichshafen». S. 1.
236) AA, PA Inland IT g 409, 26. August 1942: Sichelschmidt (VOMI)
an AA (Referat D VIIL, Deutschtumsfragen).
237) AA, PA Inland Il g 409, 9. September 1942: Handnotiz Triska
(AA). Ebenfalls festgehalten in Inland Il g 409, 4. Dezember 1942:
Geiger (AA) an Müller (RSHA. Gestapo).
238) AA, PA Inland II g 409, 26. November 1942: Bericht Rade-
macher (AA). Zuvor war Vogt bei Erdmannsdorff gewesen, dem er
sagte, dass er Gerüchte, wonach der Fürst deutschfeindliche Politik
betreibe, bei Rademacher richtigstellen wolle, siehe AA, PA Büro
des Staatissekretärs, 24. November 1942: Aufzeichnung Erdmanns
dorff (AA).
239) AA, PA Inland II g 409. 26. November 1942: Bericht Rade-
macher (AA).
240) AA, PA Inland II g 409. 19. März 1943: Besprechungsprotokoll
Sichelschmidt.
241) Siehe Fuhrer: Spionage gegen die Schweiz, S. 72-74.
242) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946, S. 15.
243) In diesen Fällen Martin Luther (AA, Deutschlandabteilung),
Werner Lorenz (VOMI) und Walter Schellenberg (SD Ausland) sowie
deren Chefs in der Reichsführung: Joachim von Ribbentrop und
Heinrich Himmler. Siehe auch Schaubild S. 70, 71.
244) Wortwahl Martin Luther aus AA, PA Inland II g 214, Mai 1942
Stellungnahme Luther (AA) zu Beschwerden der SS im Bereich der
beidseitigen Volkstumspolitik.
245) Es war ein wesentliches Moment von Hitlers Machtausübung,
keine klaren Kompetenzen zuzuweisen und sich die letzte Entschei-
dung vorzubehalten, dies galt auch für die «Rassen- und Volks-
tumspolitik»; aufschlussreich dokumentiert in AA, PA Inland Il g
214: Volkstumsfragen 1938-1944.
246) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946, S. 16 f. Vogt erinnert
keine Namen. er habe den Leiter der Abteilung, einen Legationsrat.
gesprochen, d. h. vermutlich Franz Rademacher
247) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946, 5. 17.
sen und dann kriechen kommen ...».“** Anders
sehe es mit Liechtenstein aus; in einer kürzlichen
Konferenz habe man beschlossen, Liechtenstein
«als deutsches Land zu behandeln und die liech-
tensteinische Frage zu forcieren». Dies bedeutete
damals, so Vogt, den Anschluss herbeizuführen.
Alois Vogt teilte diese Eröffnungen umgehend Erd-
mannsdorff und Strak in der politischen Abteilung
mit, damit diese bei der Reichsregierung inter
venierten. Erdmannsdorff habe ihn beruhigt und
eine Verständigung Ribbentrops zugesichert.“*
Möglicherweise, diese Deutung würde durch Vogts
Erinnerung nahegelegt, stand die September-
Besprechung im Auswärtigen Amt bereits unter
dem Eindruck einer von der Ministeriumsspitze
1942 erneuerten Zurückhaltung in der Liechten-
stein-Frage.
Im November 1942 traf Vogt in Liechtenstein
3ine über die Besprechungsergebnisse vom 8. Sep-
tember hinausgehende Abmachung mit einem
RSHA-Vertreter. 1946 gab Vogt an, dass seitens ei-
niger SS-Stellen die Idee einer Fusion der VDBL
und der VU seit Herbst 1942 verfolgt wurde; der
SD-Mann Klaus Huegel habe ihm dies mitgeteilt.
Huegel meinte, dass die SS - welcher er ja selber
angehörte - ein Interesse daran habe, das Rand-
problem VDBL «ohne Prestigeverlust» loszuwer-
den.?9 Vogt vermutete, dass seine Vorsprachen im
Auswärtigen Amt den Fusionsplan mitbewirkten,
dass er selber mit einem RSHA-Vertreter Abspra-
chen traf, erwähnte er 1946 nicht. Allerdings hatte
auch die Deutschlandabteilung im Auswärtigen
Amt eine abschliessende Regelung der Volkstums-
politik offen gelassen, eine weitere Besprechung im
Reich zu einem anlassfalls abgestimmten Vorgehen
von VU und VDBL wurde «ins Auge gefasst».%"
Kine interne Folge von Vogts «Verstoss» war, dass
nun die Deutschlandabteilung ihrerseits alarmiert
wurde und über mehrere Monate im RSHA Nach-
fragen zu Gegenstand und Beteiligten jener Abma-
chung unternahm.“>%
DISPOSITION, VERLAUF UND FOLGEN
DER FRIEDRICHSHAFNER BESPRECHUNG
VOM 13. UND 14. MÄRZ 1943
Ein Treffen zwischen den politischen Führern der
VU und der VDBL wurde bereits im September
1942 im Aussenministerium in Aussicht genom-
men. Am Abend des 13. März 1943 und am da-
crauffolgenden Tag fand es schliesslich im Kurgar
tenhotel in Friedrichshafen statt, von SS-Stellen
arwünscht,“* unter den Auspizien des Auswärtigen
Amtes und unter Beteiligung eines Mitarbeiters des
3SHA. Seitens der VU nahmen Parteiführer Dr.
Itto Schaedler, der Verwalter des Parteiorgans
«Liechtensteiner Vaterland» Gustav Schädler so-
wie, wortführend, Alois Vogt teil. Von der VDBL
waren der ehemalige Landesleiter Dr. Alfons Goop,
sein Nachfolger Dr. Sepp Ritter, Ingenieur Martin
Hilti, bis 1942 «Schriftleiter» des VDBL-Organs
«Umbruch», sowie der VDBL-Jugendführer und
Lehrer Ernst Schädler anwesend. Goop war Vogts
Besprechungspartner, seine Landesleiterstellung
hatte er kurz zuvor mit Eintritt in die Waffen-SS an
Sepp Ritter abgegeben. Vom SD Innsbruck nahm
5S-Hauptscharführer Nockerl teil, aus Stuttgart
waren der SS-Sturmbannführer Böhm und Haupt-
sturmführer Klaus Huegel in Begleitung einer Se-
<retärin, «Frl. Hacker», angereist. In der Person
des SS-Sturmbannführers Hummitzsch vom SD
Inland war auch das RSHA in Berlin beteiligt. Die
VOMI vertrat der zuständige Referatsleiter Dr.
Sichelschmidt, damals im Rang eines SS-Haupt
sturmführers.“*
Obwohl die Besprechung im März 1943 auf
deutschem Boden und in Regie der VOMI durchge-
(ührt wurde, galt sie keiner expansiven und akti-
vistischen Volkstumspolitik mehr. Vorabsprachen,
.Nsbesondere jene im Auswärtigen Amt vom Sep-
tember 1942,%* schlugen sich in entsprechenden
Dispositionen des Konferenzleiters Sichelschmidt
nieder: Erwünscht war eine «Zusammenarbeit
der beiden deutsch-orientierten Gruppen in Liech-
tenstein», eine Parteienfusion von VU und VDBL
schien wegen der fortdauernden Aussetzung der
Landtagswahlen innenpolitisch nicht angezeigt.“
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Im Deutschen Reich habe, laut Sichelschmidt, nun-
mehr die VOMI die Führung einer völkischen
Liechtenstein-Politik übernommen, freilich musste
diese nach Massgabe des Auswärtigen Amtes erfol-
gen. Von den zwei Gruppen solle «nichts verlangt
werden, was gegen die Anerkennung des Liechten-
steinischen Staates verstosse».°” Im Verlauf der
Besprechung sollte sich erweisen, dass die von der
VOMI und der VDBL erhofften deutschvölkischen
Gemeinsamkeiten mit der VU nicht weit trugen.
Dies belegen die beiden ausführlichsten Quellen
zum Verhandlungsverlauf in Friedrichshafen: das
Protokoll Sichelschmidts und ein zeitgenössisches
Gedächtnisprotokoll der VU-Leitung **S.
Goop von der VDBL hatte schon 1940 einen An-
schlusskurs mit legalen Mitteln verfolgt, in Frie-
drichshafen kam er der VU entgegen und machte
Vorschläge zur Zusammenarbeit. Die VDBL erklär-
te sich bereit, Liechtensteins Souveränität als ge-
geben hinzunehmen und von ihren offenen An-
schlussforderungen abzurücken. Aufschlussreich
ist die in den Protokollen unterschiedlich wieder-
gegebene Reaktion Alois Vogts. Im VU-Protokoll
sah er «keine Möglichkeit der Zusammenarbeit».
Vogts Auftreten wird ins Grundsätzliche gewendet,
eine Zusammenarbeit von VU und VDBL berühre
wegen deren Anschlusswünschen die Existenz des
Landes.?9 Schliesslich habe sich Sichelschmidt für
die Position Goops eingesetzt. Er empfahl der VU
eine Umstellung ihrer Presse auf eine «rein an-
tikommunistische Haltung» und verwies auf mög-
liche Verstimmungen in Berlin, falls keine Einigung
zustande komme. Vogt habe empört reagiert: «We-
der Berlin noch Bern hat uns in diese Frage etwas
hineinzureden.»*° Diese Protokollierung entspricht
im Stimmungseindruck den Schilderungen Sichel-
schmidts: die VDBL sei den Herren der VU auf die
Nerven gefallen. Inhaltlich wirkt Vogts Entgegnung
patriotisch stilisiert. Gerade er zielte in seiner Kon-
aktdiplomatie zur Schwächung der VDBL auf den
Rückhalt deutscher Stellen. Plausibler wohl ist
Sichelschmidts drohendes Drängen auf eine Ver-
einbarung, laut Alois Vogt hätten seine VU-Beglei-
ter bei Rückkehr nach Liechtenstein befürchtet,
verhaftet zu werden.?®!
Die Protokollierung Sichelschmidts ist differen-
ziert und illusionslos: «Das greifbare Ergebnis der
Verhandlungen ist also gering» lautet die nüchter-
ae Bilanz des VOMI-Referenten. Sichelschmidt, der
Alois Vogt mindestens seit 1941 aus Begegnungen
kannte, stützt seine Einschätzung des Gegenübers
auf aufmerksame Beobachtungen. Anders als im
VU-Protokoll festgehalten, sei Alois Vogt auf die
248) Diese drohende Haltung gegenüber der Schweiz im Sommer
(942 wird von anderer Seite bestätigt. Dem schweizerischen
Vachrichtenoffizier Meyer-Schwertenbach wurde im Juli 1942 in
3erlin eröffnet, dass sich die Schweiz entweder durch Zwang oder
reiwillig in das «neue Europa» einfügen könne. Siehe Rings:
Schweiz im Krieg, S. 377-380.
249) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946, S. 17 f. sowie PAAV/
1064 Rede Alois Vogt 1963, S. 5. Laut eigener Angabe kam Erd-
nannsdorff nach Abberufung aus Budapest 1941 nie mit Ribbentrop
zusammen. Allerdings stand er an einer Schnittstelle der auswär-
igen Informationsdurchgänge, im Arbeitskontakt mit dem Leiter der
Polit. Abt. und dem Staatssekretär. Siehe StAN KV-Interrogations
E 42 (Einvernahmen Erdmannsdorff 1947).
250) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1947, 5. 5.
251) AA, PA Inland II g 409. 4. Dezember 1942: Geiger (AA) an
Müller (RSHA, Gestapo).
252) Der letzte diesbezügliche Vorgang in AA, PA Inland II g 409,
16. April 1943: Hummitzsch (RSHA, SD Inland) an AA (Deutschland-
abteilung).
753) Alois Vogt gab 1947 an. dass Huegel ihm das Drängen von $SS-
Stellen auf eine Erledigung der VDBL-Frage durch Zusammen-
schluss mit der VU noch Anfangs 1943 vermittelt habe. Siehe BAB
3upo-Vernehmung Alois Vogt 1947, S5. 5.
254) Zur Teilnehmerschaft siehe die Angaben im Besprechungspro-
okoll Sichelschmidt, die durch das «Gedächtnis-Protokoll über die
Konferenz von Friedrichshafen» bestätigt werden. Die höchsten SS-
Ränge bekleideten Böhm und Hummitzsch; «Sturmbannführer»
entsprach dem militärischen Majorsrang. «Hauptsturmführer» dem
des Hauptmanns.
255) Siehe Anm. 237.
?56) Fürst Franz Josef II. verlängerte im Februar 1943 die Amts-
lauer der seit Januar 1939 über eine Einheitsliste von VU und FBP
zusammengesetzten Volksvertretung auf unbestimmte Zeit
257) AA. PA Inland Il g 409, Besprechungsprotokoll Sichelschmidt.
5.2
258) PAAV/587, 1943: «Gedächtnis-Protokoll über die Konferenz von
’riedrichshafen»: s. Anm. 235.
259) Ebenda, 5. 4,
260) Ebenda, S. 6.
261) BAB Bupo-Vernehmung Alnis Vogt 1947, 5. 8
Y |
idee einer antibolschewistischen Allianz einge-
gangen, die «Schaffung eines Heimatbundes auf
überparteilicher Grundlage» habe er begrüsst.““
Die praktische Umsetzung solcher Kooperations-
vorschläge liessen Alois Vogt und seine Begleiter
von der VU-Führung allerdings in der Schwebe.
Zum Erstaunen Sichelschmidts stellte Vogt Kalkül
und Ressentiment der Landespolitik in den Vorder-
grund: Er und Dr. Schaedler hätten kein Programm
(ür die VU, diese Partei sei «lediglich das Instru-
ment zur Unterbauung ihrer persönlichen Positio-
nen in der Regierung und im Landtag». Ausserdem
habe Vogt den nationalsozialistischen Charakter
der VDBL bestritten, «sie [die VDBL, d. Verf.] sei
lediglich ein Sammelbecken der grundsätzlich
oppositionell Eingestellten.»*°3 Sichelschmidts ab-
schliessende Einschätzung der VU-Haltung doku-
mentiert Realitätssinn und Verachtung des «gross-
deutsch» gesinnten SS-Führers gegenüber den un-
entschlossenen Liechtensteinern:
«Es zeigt sich, dass Männer wie Dr. Vogt und
Dr. Schaedler einfach nicht in der Lage und Willens
sind, direkt auch nur die kleinsten Entschlüsse
zu fassen. Neben der liberal-parlamentarischen
Grundeinstellung dieser Männer tragen daran
natürlich die engen Verhältnisse in Liechtenstein
schuld, die aus jedem kleinen Problem gleich eine
Staatsfrage erster Ordnung machen. Hinzu kommt,
dass sie offenbar klare Festlegungen aus politi-
schen Gründen nicht wollen, dass ihre Verhand-
‚ungsbereitschaft mit der Volksdeutschen Bewe-
gung und Reichsstellen also nur dem Gebot der
politischen Klugheit entspricht, sich für alle Fälle
nach der nationalsozialistischen Seite hin den Weg
offen zu halten.»%**
Sichelschmidt gab die Hoffnung auf eine völ-
kische Zusammenarbeit in Liechtenstein nicht ganz
auf. Bereits vor der Besprechung war Klaus Huegel
vom SD Stuttgart zum «ständigen Verbindungs-
‚ührer» der VOMI für Liechtenstein bestellt wor-
den. Nun war es an Huegel, für die Umsetzung der
gesprochenen Kooperationsanregungen — <«Hei-
matbund» und «Antibolschewistisches Komitee» —
besorgt zu sein. Huegels Beauftragung dürfte das
Ende einer vom Reich beförderten, anschlussorien-
:jerten Volkstumspolitik in Liechtenstein besiegelt
haben. Das Vorhaben einer Fusion von VDBL und
VU scheint durch Absprachen zwischen Auswär-
tigem Amt und RSHA im April 1943, einen Monat
nach Friedrichshafen, aktenmässig abgeschlos-
sen.°> Zur selben Zeit wurde Klaus Huegel nach
Berlin ins RSHA berufen und Leiter des Schweiz/
Liechtenstein-Referates des SD.
Im Arbeitsgebiet Huegels war der neutrale
Kleinstaat vorab nachrichtendienstlich interessant.
Seit Sommer 1942 streckte Huegels Chef im RSHA,
Walter Schellenberg, vorsorgliche Friedensfühler
in der Schweiz aus.“ Huegel konnte seinen liech-
tensteinischen Vertrauten Alois Vogt 1942 und
1943 in dieser Angelegenheit gewinnen, als Mit-
telsmann zum englischen Generalkonsul Cable.%67
Vogt wurde ausserdem in zwei Fällen um nach-
richtendienstliche Hilfestellung angegangen. Sol-
ches erfolgte nach Friedrichshafen, im Sommer
1943; auch mit Verweis auf die Unterstützung des
SD bei der Ausschaltung der VDBL. In Liechten-
stein selbst wurden Herausgabe und Vertrieb des
VDBL-Organs «Der Umbruch» am 8. Juli 1943 per
Regierungsverfügung eingestellt.
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Alois Vogts Involvierung in
deutsche Geheimdienstunter-
nehmen 1942 bis 1944
Der liechtensteinische Regierungschef-Stellvertre-
ter Alois Vogt wurde in den Jahren 1942 bis 1944
in unterschiedlicher Weise mit deutschen Geheim-
dienstoperationen konfrontiert. Zwei Vorgänge
sind durch interne Gestapo- und SD-Protokolle gut
dokumentiert. Im Dezember 1942 wurde das Re-
gierungskollegium und die Justiz Liechtensteins
für die Abwicklung einer gescheiterten Devisen-
transaktion des SD angegangen. Im zweiten Fall
der sogenannten Aktion Rosl —- wurde Alois Vogt
persönlich von seinem SD-Vertrauten Klaus Huegel
um Mithilfe bei einem Agentenunternehmen gebe-
ten. Vogt berichtete nach dem Krieg eine weitere
Begebenheit, bei der ihn der SD-Chef Westeuro-
pa im RSHA, Eugen Steimle, um Auskünfte zur
Schweiz und ihrer Haltung gegenüber den Alliier-
ten bat. Eugen Steimles Anfragen datieren aus dem
Sommer 1943.
Die Nachrichtendienst-Operationen der zweiten
Kriegshälfte dokumentieren ein strategisches Inter-
esse an der intakten Staatlichkeit des Fürstentums.
Diese war den Deutschen nützlich: einmal als neu-
trales Devisenausland im schweizerischen Wirt-
schaftsraum, zum anderen als rechtsstaatlicher
Schirm für die Durchführung geplanter oder die
Bereinigung gescheiterter Geheimunternehmen.
VERHAFTUNG DES DEUTSCHEN DEVISEN-
HÄNDLERES RUDOLF BLASCHKE:
EIN SCHWEIZERISCH-LIECHTENSTEINISCHER
KRIMINALFALL
Am Morgen des 30. November 1942, einem Mon-
tag, wurde der 42-jährige deutsche Staatsbürger
Rudolf Blaschke, nachdem er mit dem Zug von
Feldkirch im Bahnhof Schaan angekommen war,
von der liechtensteinischen Polizei aufgehalten, auf
dem Posten Vaduz einvernommen, vormittags «bei
bestehender Fluchtgefahr» festgenommen und ins
Gefangenenhaus eingeliefert.“°® Blaschke hatte ge-
fälschte Ausweispapiere auf den Namen «Hans
Hacker» bei sich. Zwei Tage später, am 2. Dezem-
ber, leitete die liechtensteinische Staatsanwalt-
schaft das Strafverfahren gegen Blaschke wegen
Geldfälschung, Betrug und Falschmeldung ein. Ver-
fahrenszuständig war das liechtensteinische Land-
gericht. Dort übernahm Landrichter Dr. Hermann
Risch den Fall.?®* Die Vorwürfe gegen Blaschke
stützten sich auf ein Telefonat und einen entspre-
chenden Bericht des Polizeikommandos Zürich an
die liechtensteinische Landespolizei vom 27. und
28. November 1942.?79° Rudolf Blaschke habe ver-
sucht, bei der American Express Co. in Zürich
falsche Pfundnoten in Schweizerfranken bezie-
hungsweise Gold einwechseln zu lassen. Ein Kas-
sier der American Express liess die von Blaschke
unter anderem Namen (nämlich «Schwend») nach
Zürich gesandten Pfundnoten von der National-
bank prüfen; diese habe mitgeteilt, dass es sich um
ausgezeichnete Fälschungen handle. Blaschke
habe den Devisenchef der American Express, Josef
Dommen, telefonisch ersucht, den Geldwechseler-
lös an die Bank in Liechtenstein (BiL) in Vaduz zu
schicken. In Kenntnis dieser Mitteilungen stellte die
Landespolizei am 28. November fest, dass Blasch-
ke bei der BiL unter dem Namen «Hans Hacker»
bekannt war und sich seit einigen Tagen wieder-
holt in Liechtenstein aufgehalten hatte.?”! Bei sei-
nen Einvernahmen am 30. November und 1. De-
zember 1942 wies Rudolf Blaschke die Vorwürfe
der Herstellung wie des absichtlichen Vertriebs von
262) AA, PA Inland II g 409, Besprechungsprotokoll Sichelschmidt.
S.2f.
263) Ebenda, S. 3.
264) Ebenda, S. 5.
265) AA, PA Inland II g 409, 16. April 1943: Hummitzsch (RSHA, SD
Inland) an AA (Deutschlandabteilung, Referat D I).
266) Vergleiche hierzu: Rings: Schweiz im Krieg, S. 377-380, sowie
Erwin Bucher: Zur Linie Masson-Schellenberg. In: Schweizerische
Zeitschrift (ür Geschichte 3 (1988) S. 285-287.
267) PAAV/524 Bupo-Vernehmung Klaus Huegel 1946, 5. 1.
268) LLA RF 238/194 Strafakten Rudolf Blaschke.
269) Ebenda.
270) Verarbeitet in LLA RF 238/194, 30. November 1942: FL-Polizei
an FL-Landgericht, Haftanzeige vs. Rudolf Blaschke
271) Ehbenda.
Falschgeld zurück.?’* Schwend sei ein Freund, über
dessen BiL-Konto er, Blaschke, verfügen könne,
deshalb habe er die Geldnoten unter dem Namen
Schwend an den ihnen beiden persönlich bekann-
‚en Dommen von der American Express abge-
schickt. Die namensgefälschte Grenzkarte («Hans
Hacker») habe er von Schwends Sekretärin erhal-
‚en und erneuern lassen. Der Betrag, den Rudolf
Seheime Eiaafspolgzel
2 Staetspolizelit&lie Sansbruch
y Zr Kaum für Gingengsfiempel
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Rz, —] — A . „.
A SEHEN Min \
GREPO FELDKIRCH,NR, 2086 17.12.42 21.10 = AB=
bh DRINGEND SOFORT. VORLEGE Nm LT
AN SD-LA MUENCHEN, Zo HD. SS-SJUBAF, BUCHBFRGER ,__
— NACHRICHTLICH AN GEKO BREGENZ,== —— =
„BETRIFFT: SACHE HACKER vum
. $ De N
VBEZUG., BEKANNT... } 7
1. BEI DER HEUTE STATTGEFUNDENN BESPRECHUNG ZWISCHEN
DR. V.0'G T UND_MIR..HAT MICH DR. VOGT ERSUCHT} DIE SOFORTIGE
| GERICHTLICHE EINVERNAHME DES HR. SCHWEN D ZU. VERANLASSEN
UND DAS PROTOKOLL_UNVERZBEGLICH. HIERHER. ZU. LEI TEN, WEIL DIESES
IM HAFTPRUEFUNGSVERFAHREN RACKER DRINGEND GEBRAUCHT WIRD. 77T"
—* DIE IN FELDKIRCH_GDTAETIGTE VERNEHMUNG DES HR. SCHWEND“
KANN FÜER DEN GERICHTSAKT IN_LIECHTENSTEIN NICHT VERWENDET
| WERDEN. ICH BIITE UM UMGENENDE ERKEDIGUNG, EL
m FERNER BITTE 1CH, HRM. SCHWEND ZU VERANLASSEN, DASS ER!
ne ag DE DE an
3 ZUR RUECKKEHR DES SS-0STUF. DAUSER'IN MUENCHEN BLEIBT. ==
u
Gestapo-Fernschreiben
vom 17. Dezember 1942,
abends 21.10 Uhr:
Nach Besprechung mit Dr.
Vogt in Vaduz telegrafiert
Karl Kriener (Grepo Feld-
kirch) an den SD München
ınd ersucht um dortige
gerichtliche Einvernahme
des Friedrich Schwend.
Sin diesbezügliches Proto-
Koll soll nach Liechten-
stein übermittelt werden.
SS-Obersturmführer («SS-
JSTUF») Dauser hatte
München unterdessen
Richtung Feldkirch verlas-
sen.
3laschke nach Zürich sandte, war anscheinend
wrdnungsgemäss eingeführt und deklariert: 10 000
oritische Pfund in Fünfer- und Zehner-Noten zum
damaligen Kurswert von etwa 90 000 bis 100 000
Schweizerfranken. Die Schweizer Banken mit Bei-
zug der «Bank of England» bemühten sich
während der Inhaftierung von Rudolf Blaschke um
lie Prüfung der von ihm eingesandten Pfundnoten.
Die Ergebnisse wurden dann jeweils den Polizei-
stellen in der Schweiz und in Liechtenstein mitge-
teilt, zuletzt am 26. Dezember, vier Tage vor der
Haftentlassung Blaschkes. Sowohl American Ex-
press als auch die Nationalbank und schliesslich
die «Bank of England» beurteilten die Noten als ge-
fälscht.“
Auch zur Person des Schwend erhielten die
Liechtensteiner Auskunft: aus einer eidesstattli-
;hen Aussage von «Friederico Schwend» geht
nervor, dass dieser umfangreiche Handels- und
Jevisengeschäfte tätigte und im vorliegenden Fall
seinen «Angestellten» Blaschke mit dem Transport
ınd Verkauf der angeblich aus dem Iran stammen-
len Pfundnoten betraute. Den Schweizer Banken
und auch der BiL war Schwend aus mehrjäh-
rigen, bislang unverdächtigen Devisengeschäften
bekannt. Allerdings meldete die Polizei Zürich, ein
Direktor Schwab von der Schweizer Nationalbank
habe gemeint, dass Blaschke nur vorgeschoben sei
und Schwend interessanter gewesen wäre.?’* Zum
ıamensgefälschten Ausweispapier gab Blaschke
amtlich zu Protokoll, dass ihm dieses jeweils aus-
gehändigt wurde. Bei der Behörde «Landrat Feld-
kirch», deren Stempel in der Grenzkarte auftaucht,
sei er nie gewesen. Die Falschangabe «Hans
Hacker» erklärte er mit einer bürokratischen Ver-
wechslung; er gab zu, sich dadurch strafbar ge-
Macht zu haben.“
Am 17. Dezember stellte Blaschke ein Haftent-
lJassungsgesuch an das Obergericht, worin er sich
auch zur Stellung einer Kaution bereit erklärte. Das
Gericht hatte nun Gelegenheit, die ihm und der
Regierung mittlerweile bekannten Umstände zu
würdigen. Tags darauf, am 18. Dezember, wurde
das Gesuch Blaschkes abgewiesen.“ Das Oberge-
richt deutete eine grössere Dimension des Falles
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
an: Aufgrund des frühen Abklärungsstadiums, un-
geklärter Beziehungen zwischen den Geschäfts-
partnern Blaschke und Schwend, falscher Ausweis-
yapiere und der «offenbar bestehenden internatio-
nalen Beziehungen der Beteiligten» sei auch bei
Leistung einer Kaution von 20 000 Franken weiter-
ain Verabredungs- und Fluchtgefahr gegeben. Fünf
Tage später, am 23. Dezember 1942, wurde Blasch-
ke der Obergerichtsentscheid durch Landrichter
Risch mitgeteilt. Am 28. Dezember erhielt die liech-
tensteinische Polizei einen weiteren Bericht vom
Polizeikommando Zürich «mit dem Ersuchen um
weitere Abklärung.»*’7
Tags darauf erfolgte eine letzte Einvernahme
Blaschkes; er blieb dabei, die Noten korrekt in Ver-
kehr gebracht zu haben. Am 30. Dezember wurde
Rudolf Blaschke in Anwesenheit von Landrichter
Aisch «gegen Gelöbnis» aus der Haft und ausser
Landes gelassen. Blaschke kehrte ins Deutsche
Reich zurück. Die liechtensteinische Regierung in-
formierte am 9. Januar 1943 die dortigen Behör-
den offiziell über die Entlassung.*’® Den schweize-
rischen Behörden wurde davon keine Meldung ge-
nacht. Am 11. Mai 1943 ersuchte das Polizeikom-
mando Zürich das Landgericht in Liechtenstein,
über den Schlussentscheid in der Angelegenheit
Blaschke und Schwend zu orientieren.“ Das Land-
gericht antwortete, dass nach Prüfung der Aussa-
gen Blaschkes angenommen werden müsse, «dass
zumindest er [wenn schon nicht Schwend, d. Verf.]
die Noten gutgläubig in Verkehr gebracht hat.»“®°
GESTAPO FELDKIRCH:
«WEIL UNS DIE LIECHTENSTEINISCHE
REGIERUNG TATSÄCHLICH HILFT WIE SIE
NUR KANN»
Als Liechtensteins Staatsanwalt in der causa
Blaschke fungierte im Dezember 1942 Ferdinand
Nigg, zugleich Sekretär der Regierung. Tatsächlich
musste sich diese und über sie Mitglieder der betei-
ligten Justizbehörde mit einem dringlichen Inter
esse deutscher Stellen an der Freilassung Blasch-
kes befassen. Bereits einen Tag nach dessen Inhaf-
jerung erkundigte sich Kriminalkommissar Hüb-
aer von der Gestapo-Stelle Grenzpolizeikommissa-
riat («Greko») Bregenz bei Regierungschef Hoop
über den Vorfall. Alois Vogt sei bei dieser ersten
Vorsprache ebenfalls anwesend gewesen.“ Die
Unterrichtung durch die Regierung in Vaduz gab
Hübner umgehend an höhere Dienststellen weiter,
ın die Gestapo Innsbruck, die SD-Aussenstelle Bre-
zenz und das RSHA. Die Verhaftung des deutschen
Devisenhändlers in Liechtenstein beunruhigte ins-
besondere die SD-Zentrale in Berlin. Hübner liess
an diese Adresse weitermelden, dass der einver-
nommene Blaschke «keinerlei Angaben bezüglich
seines Auftrages» gemacht habe.“®* Das RSHA sei-
272) LLA RF 238/194 Einvernahmen Rudolf Blaschke vom
30. November und 1. Dezember 1942.
273) Die Aussage Blaschkes, die Schweizerische Kreditanstalt (SKA)
3asel habe seine Noten noch im November als echt bezeichnet.
vurde in Basel abgeklärt. Laut dem zuständigen Bankbeamten
nabe Blaschke keine 5- oder 10-Pfund-Noten vorgelegt, wie er
gehaupte, sondern 50- und 100-Pfund-Noten. die echt waren. Siehe
LA RF 238/194, 26. Dezember 1942: Polizei Zürich an FL-Polizei
ınd -Landgericht.
274) LLA RF 238/194, 3. Dezember 1942: Ermittlungsbericht Polizei
Zürich, Angaben Direktor Schwab.
275) LLA RF 238/194. 1. Dezember 1942: Aussage Rudolf Blaschke
276) Die Verhandlung zum Fall Blaschke präsidierte Dr. Jakob
Zugster aus der Schweiz, im Kollegium sassen Richter Dr. Walter
Murr (aus dem Deutschen Reich) sowie die liechtensteinischen
3eisitzer Alois Wille, Gemeindevorsteher in Balzers, Lehrer Hugo
3Züchel und Ersatzrichter Alois Ospelt, beide aus Vaduz. Vgl. LLA RF
238/194 Beratungsprotokoll des Obergerichts vom 18. Dezember
1942.
277) LLA RF 238/194, 26. Dezember 1942: Polizei Zürich an FL-
2olizel.
278) LLA RF 214/312, 9. Januar 1943: Hoop (FL-Regierung) an
Srenzpolizeikommissariat (Greko) Bregenz.
279) LLA RF 238/194, 11. Mai 1943: Polizei Zürich an FL-Land-
zericht.
280) LLA RF 238/194, 13. Mai 1943: FL-Landgericht an Polizei
Zürich.
281) BAB E 4320 (B) 1984/29 Bd. 57. Dossier «Blaschke Rudolf»,
SBA 6. November 1945, Fernschreiben 5. Dezember 1942: Hübner
'Greko Bregenz) an Hilliges (Gestapo Innsbruck); im folgenden zitiert
als BAB Dossier Blaschke, Datum des Fernschreibens/Korrespon-
denten.
282) BAB Dossier Blaschke. Fernschreiben 1. Dezember 1942:
Jübner (Greko Bregenz) an Gestapo Innsbruck.
J5
nerseits befürchtete eine Aushändigung des Inhaf-
tierten an die Schweizer Behörden.“
Auf Nachfrage wurde Hübner von Alois Vogt
über einen legalen Weg orientiert, Blaschke in
Vaduz zu enthaften. Vogt habe vertraulich empfoh-
len, dass Deutschland einen Auslieferungsantrag
stelle «für den Fall, dass an der Auslieferung des
Hackert [alias Rudolf Blaschke, d. Verf.] an deut-
sche Behörden Interesse bestünde.»“®* Hübner und
ihm zur Seite Karl Kriener, der Gestapochef in
Feldkirch, waren im Dezember 1942 die lokalen
Unterredungspartner der liechtensteinischen Be-
hörden. Zu seiner Vorgangsweise in Liechtenstein
sprach sich Hübner weiterhin mit höheren SD- und
Gestapo-Stellen ab. Vom RSHA erhielt der Gestapo-
Kommissar Rückendeckung für die Stellung eines
Auslieferungsbegehrens. Im internen deutschen
Dienstverkehr stand dieses Vorgehen zeitweise in
Konkurrenz zu waghalsigeren Erwägungen. Der
ebenfalls durch Blaschkes Verhaftung alarmierte
SS-Führer Dauser vom SD-Leitabschnitt München
meldete sich am 5. Dezember telefonisch bei Gesta-
pochef Kriener. Dauser wünschte eine Unterredung
mit Alois Vogt, «um diesen zu veranlassen gegen
eine Bezahlung von 30000 bis 50 000 sfr. den H.
[Hacker, d. Verf.] freizulassen bezw. ihm die Flucht
zu ermöglichen.»“®* Der förmliche Weg, so tele-
grafierte die lokale Gestapo an München zurück,
sei «erfolgversprechender und ungefährlicher».“8%
Hübner und Kriener standen zwar unter Erfolgs-
druck, wünschten aber im Verkehr mit der liech-
tensteinischen Regierung, «dass der offizielle Cha-
rakter unserer Dienststelle gewährleistet bleibt».*57
Die liechtensteinische Regierung hielt den in-
formellen Weg zur Gestapo offen, agierte aber
ebenfalls vorsichtig. Hübner, der aus München
einen eigens für Blaschke verfertigten Haftbefehl
und fingierte Ermittlungsakten zur Übergabe in Va-
duz erhielt, gab zu bedenken, «dass die Regierung
in Liechtenstein diesen Weg als formell falsch ab-
lehnt.»“® Ein amtliches Auslieferungsgesuch wur-
de am 10. Dezember von Kommissar Hübner an
Regierungschef Hoop ausgefolgt.*5° Alois Vogt habe
Hoop daraufhin geraten, den «ad hoc» gestellten
Antrag zu schubladisieren.“? Andere Wege wurden
beschritten, die ein Eingehen auf das deutsche Ge-
such schliesslich erübrigten. Der «Geschäftspart-
ner» Blaschkes, Friedrich Schwend, tauchte in
Zegleitung eines SS-Offiziers, Dr. Wilhelm Groebl
vom RSHA, in Feldkirch auf. Dort traf sich der
iegierungschef-Stellvertreter mit Schwend, mit
Groebl, so Vogt, sei er nicht zusammengekommen.
Schwends Ansuchen, ihm eine Grenzkarte zur
zZinreise nach Liechtenstein und dortigen Zeugen-
aussage, zu legitimieren, lehnte Vogt ab. Ein an-
deres Vorgehen wurde gewählt. Auf Anraten Vogts
und nach Vorschlag von Gestapochef Kriener
begab sich der zuständige Untersuchungsrichter
Jr. Hermann Risch in Begleitung eines Polizeibe-
amten nach Feldkirch und führte eine Einvernah-
me Schwends durch.*?!
Die gegenseitigen Bemühungen um eine rechts-
förmige und stille Abwicklung des Falles Blaschke
mündeten schliesslich in eine bemerkenswerte
Lagebesprechung in Vaduz. Diese fand am Don-
nerstag den 17. Dezember 1942 statt, am Vortag
der Obergerichtssitzung zu Blaschkes Enthaftungs-
gesuch. Quellenmässig festgehalten ist die Bespre-
chung durch eine diesbezügliche Verständigung
zwischen den Gestapostellen Feldkirch und Bre-
genz.“”° Kriener war frühmorgens nach Vaduz ge-
.‚aden und wurde über die bevorstehende Sitzung
des Obergerichts und ein mögliches Vorgehen
zugunsten Blaschkes orientiert. Anwesend waren
Regierungschef Hoop, dessen Stellvertreter Vogt
sowie Dr. Risch als Untersuchungsrichter. Risch,
der in der fraglichen Sache als Landrichter, Unter-
suchungsrichter und Verteidiger in einem (!) fun-
gierte, schätzte die Aussichten des Gesuchstellers
Blaschke als gut ein. «Es handelt sich aber da-
rum, dem Obergericht die Sache günstig darzustel-
len» erinnerte Kriener Rischs Ansicht. Zwei Dinge
wären von deutscher Seite erforderlich: eine Kau-
jonsstellung sowie eine ordentliche gerichtliche
Einvernahme des Friedrich Schwend, jene in Feld-
kirch genügte nicht. Alois Vogt habe diesen Punkt
unterstrichen und die Gestapo-Beamten um Erledi-
gung der Angelegenheit ersucht. Diese erwogen
nach der Besprechung in Vaduz, sich an Vogt zu
wenden, damit er das Telegramm zur Kautions-
7
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
Das Territorium des Kirchspiels deckte sich
wohl mit demjenigen einer Hundertschaft inner-
halb der karolingischen Reichsorganisation oder
einer noch älteren Verwaltungseinheit aus römi-
scher Zeit. In dieser war die Urpfarrei mit der Tauf-
kirche St. Peter in Schaan entstanden. In der
Urpfarrei sind auch die Anfänge des markgenos-
senschaftlichen Verbandes zu suchen. Kirchliche
Zugehörigkeit, Befugnisse und Pflichten sowie ge-
nossenschaftliche Aufgaben und Leistungen wirk-
ten gemeindebildend. Diese Feststellung gilt auch
für die auf einer Versammlungsstätte ausgeübte
Gerichtsbarkeit, wie sie in Vaduz schon früh nach-
gewiesen ist. Am Anfang der Entwicklung zu den
heutigen Gemeinden Schaan, Vaduz und Planken
standen kleine Gruppen von Bauernhöfen, die zu-
sammen eine markgenossenschaftliche und kirch-
liche Einheit bildeten.
DIE EIGENTUMSBILDUNG IM ALPENGEBIET
Im Alpengebiet war im 14. Jahrhundert, anders als
im Talraum, die Eigentumsbildung noch im vollen
Gange. Die Einwanderung der Walser im Jahrhun-
dert zuvor war auf Veranlassung der damaligen
adeligen Landesherren erfolgt, auf Siedlungsraum,
über den diese offensichtlich rechtlich verfügten.
Aus diesem landesherrlichen Obereigentum im
Alpengebiet wurden später weitere Stücke verkauft
und Rechte abgelöst, an einzelne Private und an
Dorfgenossenschaften. Einige solcher Rechtsge-
schäfte aus dem 14. Jahrhundert sind uns bekannt.
In diese Zeit zurück reichen Besitz und Nutzung
des ganzen Malbuntales mit den heutigen Alpen
Bärgi und Grosssteg durch das Schaaner Kirch-
spiel. Das geht aus der Belehnung einiger Walser
mit einem Teil dieses Gebiets hervor, die im Jahre
1355 durch die in das Kirchspiel Schaan gehörigen
Leute erfolgte.4
Die Alpe Guschg wurde 1361 durch die «Gebur-
sami und Genossami» in der Pfarrei Schaan
gekauft, wozu ausdrücklich die in Vaduz ansäs-
sigen Leute gezählt werden. 5 Der Erwerb des Alp-
besitzes durch das Kirchspiel Schaan im Valorsch-
tal und auf Gritsch ist urkundlich nicht belegt. Er
dürfte wohl ebenfalls bereits im 14. Jahrhundert
erfolgt sein.
Über die Art und Verteilung der Nutzung des
Alpbesitzes durch die zum Kirchspiel gehörenden
Dorfschaften haben wir keine Kenntnis. Auch über
Nutzungskonflikte ist nichts bekannt. Solche Infor-
mationen haben wir erst aus den schriftlichen
Quellen des 15. Jahrhunderts.
4) LUB 1/4. Nr. 9, S. 55-66 und Nr. 52. S. 243-245: Urkunde vom
29. Oktober 1355. - Es ist erstaunlich und kaum bekannt, dass eine
wohl aus dieser f rühen Zeit stammende Nutzungsregelung im
Malbun und im Steg bis in unsere Zeit nachwirkt. Die zunächs t in
privatem Nutzen und später im Eigentum der Walser befindlichen
(Heu-)Wiesen im Talkessel von Malbun (Malbuner Wiesen) mussten
nämlich seit urdenklichen Zeiten jeweils nach dem 15. August
Viehtrieb und Weide aus den umliegenden Alpen dulden. Dieses
sogenannte Atzungs- oder Trattrecht stand ausdrücklich nicht nur
der Triesenberger sondern auch der Vaduzer Alpe Malbun zu. Dieser
Umstand weist daraufhin , dass das Servitut in die Zeit der Beleh-
nung von 1355 zurückreicht . Die e rwähn te Nutzungsordnung im
Talgrund von Malbun (und wohl auch diejenige im Grosssteg) muss
wohl bereits vor der Abgabe eines Gebietsteils an die Walser erfolgt
sein. Der Viehtrieb in die Malbuner Wiesen wurde erst um 1885
aufgegeben. Die Malbuner Wiesenbesitzer ü b e r n a h m e n auf 'ewige
Zeiten> die alleinige Zäunungspfl icht gegenüber den umliegenden
Gemeinweiden (vgl. dazu L L A HE 1869, Nr. 258; 1872, Nr. 715:
1900, Nr. 427). Diese Pflicht wurde durch Urteil des Staatsgerichts-
bofes vom 31. Mai 1990 bestätigt (StGH 1989/14).
5) LUB 1/4, Nr. 12: Urkunde vom 20. Apri l 1361.
5
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
überweisung aufgebe und sie nicht in Erscheinung
ireten müssten. Mit einem entsprechenden Vor-
schlag Krieners war Hübner einverstanden, für ihn
war Alois Vogt «der einzige Mann, der die Sache
auf sich nehmen könnte.»“® Parallel zur liechten-
steinischen Absprache suchten Hübner und Krie-
ner das reichsdeutsche Obergerichtsmitglied Dr.
Walter Murr zu beeinflussen.“ Mit Untersu-
chungsrichter Risch wurde vereinbart, das Resultat
der Obergerichtssitzung vom 18. Dezember eben-
falls über Murr der Gestapo durchzugeben. Als
das Haftentlassungsgesuch Rudolf Blaschkes vom
Ibergericht abgewiesen wurde, informierte Gesta-
pochef Kriener am Morgen des darauffolgenden
Tages, dem 19. Dezember, den SD in München,
ebenso die Gestapostellen in Bregenz und Inns:
bruck.??>
Für die Zeit zwischen dem 20. Dezember und
der Haftentlassung Blaschkes am 30. Dezember
1942 ist keine deutsche Fernmelde-Korrespondenz
mehr erhalten. Die hintergründigen behördlichen
Enthaftungsbemühungen dürften angehalten ha-
ben. Von Seiten der Gestapo wurde «nun anheim-
gestellt, die Angelegenheit mit Dr. Vogt weiter zu
regeln.»?% Ausserdem wünschte Kommissar Hüb-
ner für den 22. Dezember, sich mit Regierungschef
Hoop in Feldkirch zu treffen.“
Am 23. Dezember 1942 wurde dem inhaftierten
Rudolf Blaschke der abweisende Entscheid des
Obergerichts mitgeteilt. Nur eine Woche später, am
30. Dezember, sollte Blaschke auf freien Fuss
gesetzt werden. Landrichter Risch erklärte ihm,
dass er gegen Gelöbnis, sich gerichtlich verfügbar
zu halten, entlassen werde.“”®
Das juristische Vorgehen von Untersuchungs-
richter Risch war von der liechtensteinischen Re-
gierung politisch erwünscht.“ Gemäss Alois Vogt
wurde Regierungssekretär Ferdinand Nigg Ende
Dezember durch die liechtensteinische Regierung
bevollmächtigt, als Staatsanwalt einen Einstel-
lungsantrag einzubringen. An einer diesbezügli-
chen Sitzung hätten Vogt selber, Regierungschef
Hoop, Landrichter Risch, Regierungssekretär Nigg
und eventuell auch Regierungsrat Anton Frommelt
teilgenommen.?°%
«DER FALL IST EINER DER DELIKATESTEN
ÜBERHAUPT»
Alois Vogt erklärte der schweizerischen Bundes-
polizei nach dem Krieg, dass er in der Angelegen-
heit «Blaschke» weder mit den S$D-Leuten Groebl
und Dauser verhandelt noch Kenntnis von den in-
ternen Vorgängen bei SD und Gestapo gehabt
283) Ebenda, Fernschreiben 2. Dezember 1942: RSHA/Amt VI an
Hübner (Greko Bregenz).
284) Ebenda, Fernschreiben 3. Dezember 1942: Hübner (Greko
Bregenz) an Bernhard (RSHA).
285) Ebenda, Fernschreiben 5. Dezember 1942: Kriener (Grepo
Feldkirch) an Hübner (Greko Bregenz).
286) Ebenda, Fernschreiben 5. Dezember 1942: Kriener (Grepo
Feldkirch) an Dauser (SD München).
287) Ebenda, Fernschreiben 5. Dezember 1942: Kriener (Grepo
Feldkirch) an Hübner (Greko Bregenz).
288) Ebenda, Fernschreiben 8. Dezember 1942: Hübner (Greko
Bregenz) an Gestapo Innsbruck.
289) LLA RF* 214/312, 10. Dezember 1942: Auslieferungsgesuch
Jberstaatsanwaltschaft München.
290) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946, S. 42.
291) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946, S. 42 f.; LLA RF
238/194 «Vernehmungsprotokoll Friederico Schwend».
292) BAB Dossier Blaschke. Fernschreiben 17. Dezember 1942:
Kriener (Grepo Feldkirch) an Greko Bregenz.
293) Ebenda, Fernschreiben 17. Dezember 1942 (18.30 Uhr):
Yübner (Greko Bregenz) an Kriener (Grepo Feldkirch).
294) Ebenda, Fernschreiben 17. Dezember 1942: Kriener (Grepo
Zeldkirch) an Greko Bregenz.
295) Ebenda, Fernschreiben 19. Dezember 1942 (9.55 Uhr):
KXriener (Grepo Feldkirch) an SD München, «nachrichtlich an die
Stapo Innsbruck und Greko Bregenz».
296) Ebenda.
297) Ebenda, Fernschreiben 17. Dezember 1942: Kriener (Grepo
Seldkirch) an Greko Bregenz.
298) LLA RF 238/194, 30. Dezember 1942: FL-Landgericht
299) Die offizielle Einstellung des Verfahrens gegen Blaschke
erfolgte auf Antrag von Staatsanwalt Nigg am 23. Dezember 1943
«mangels hinreichender Verdachtsgründe für einen stralbaren
Tatbestand»: desgleichen endete «wegen Landesabwesenheit» das
Verfahren gegen Friedrich Schwend, der mitbeteiligt erschien. Vgl
„LA RF 238/194, 30. November 1942, rückseitige Vermerke.
300) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946, 5. 43.
habe.* Aus den Gestapo- und SD-Meldungen wird
arsichtlich, dass für die deutschen Stellen, insbe-
sondere das RSHA, die Bereinigung der Angelegen-
heit Blaschke «ausserordentlich eilig» war. Die
Beziehung Blaschkes zum SD stand unter Geheim-
haltung, auf seine Person bezogen sich die internen
Korrespondenzen unter stereotyper Verwendung
des Decknamens «Hacker(t)». Als eine Zusammen:
arbeit mit den liechtensteinischen Behörden erfor-
derlich wurde, sollte Blaschke als normaler Krimi-
nalfall gelten; gegenüber dem Unterhändler Karl
Kriener von der Gestapo Feldkirch unterstrich der
SD-Führer Dauser: «Dr. Vogt soll nicht erfahren,
was hinter der ganzen Angelegenheit steckt».
Woher rührte die alarmierte Stimmung beim RSHA
und die wiederholte Befürchtung, die Schweizer
Behörden würden Rudolf Blaschke in Gewahrsam
nehmen? In der ersten Meldung des Gestapokom
missars Hübner wurde lapidar von der «Festnah-
me des im Auftrage des Amt VI des RSHA tätigen
Yans Hackert» gesprochen. Eine gute Woche spä-
ter begab sich dessen «Geschäftspartner» Friedrich
Schwend nach Feldkirch, ebenso der SS-Führer
Groebl vom RSHA Amt VI (SD Ausland).
Aufgrund der damaligen Korrespondenz und
der nach dem Kriege erhobenen Auskünfte zu
deutschen Geheimdienstunternehmen lässt sich
die Dimension des Falschgeldfalles «Blaschke-
Schwend» abschätzen. Friedrich Schwend war
einer der erfolgreichsten deutschen Devisenver-
treiber und -beschaffer im Dienste der SS, des
Reichsfinanzministeriums und der militärischen
Abwehr.*°* Sein Deckname war «Wendig» (sic!).*°
Rudolf Blaschke war einer von Schwends Agenten.
seit Sommer 1942 ging eine Spezialabteilung des
Amtes VI daran, falsche Pfundnoten in grosser Auf-
lage zu drucken.?°° Damit sollten einerseits das bri-
tische Währungssystem gestört, andererseits Devi-
sen zur Finanzierung eigener Geheimoperationen
beschafft werden. Friedrich Schwend organisierte
als logistischer Kopf des Unternehmens «Bern-
hard» den Vertrieb in Europa. Der damals 27-
jährige SS-Obersturmführer Wilhelm Groebl war
Schwend vom Amt VI als «Führungsmann» zuge-
ceilt.?9” Als der Pfundvertrieb Blaschkes in Liech-
tenstein und der Schweiz aufflog, war auch Groebl
beunruhigt und instruierte die lokalen Stellen.
Huebner berichtete am 10. Dezember, dass Groebl
mit ihm gesprochen habe: «Der Fall ist einer der
delikatesten überhaupt. Ausser dem Reichsführer
[Heinrich Himmler, d. Verf.] ist nur er [Wilhelm
Groebl, d. Verf.] und ein SS-Führer der SD-Leit-
stelle München orientiert. Selbst Dauser kennt die
Zusammenhänge nicht.»*°® Allerdings deckte der
SD noch weitere Verbindungen. In einem Bericht
des Reichsfinanzministeriums wird zum Fall
«Blaschke» nach Abschluss dem Auswärtigen Amt
gemeldet: Blaschke sei Ende November 1942 in die
Schweiz gereist, um unter anderem «einen Auftrag
zu erledigen, der unmittelbar vom KReichswirt-
schaftsministerium ausging und sich auf Devisen
bezog.»*” Die SD-Führung in Berlin dürfte nach
Bekanntwerden der «Panne» in Liechtenstein das
grösste Interesse an einer Bereinigung in ihrem
Sinne gehabt haben. Eine Auslieferung des Devi-
senagenten an die Schweizer Behörden hätte das
laufende Falschgeld-Unternehmen einschliesslich
der damit betrauten Personen gefährdet. Diese
Dimensionen des Falles Blaschke blieben den
Liechtensteinern verborgen. Allerdings war auch
ihnen, der Regierung und dem Landrichter Risch,
klar, dass mit Blaschke kein gewöhnlicher Straf-
:äter einsass. Alois Vogt erinnerte sich, dass Krie-
1er bei seinen Vorsprachen immer andeutungswei-
se geäussert habe: ««man glaubt bei uns», «man
hofft bei uns>»».?!° Die Übergabe des ad hoc ausge-
stellten Auslieferungsantrags gab Hoop und Vogt
Anlass, die Rechtswege der Gestapo als vorge-
schützte Formalie einzuschätzen und die Justiz für
eine baldige Erledigung einzubinden. Schliesslich
ıabe die Regierung Landrichter Risch um die Be-
schleunigung der Untersuchung gebeten.“'! Indem
zugleich der Schein der Legalität gewahrt wurde,
suchten sich die Liechtensteiner gegenüber den
Schweizer Behörden abzusichern. Alois Vogt habe
bei der Lagebesprechung am 17. Dezember darauf
hingewiesen, dass eine Kautionsstellung und ein
Einvernahmeprotokoll von Schwend vorliegen
sollten, «falls die Schweizer Akteneinsicht ver-
langen würden».?!?
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
ZWEI ANFRAGEN DES SD-AUSLANDS-
GEHEIMDIENSTES AN ALOIS VOGT:
AKTION ROSL UND STEIMLE
Aufgrund der Aktenlage scheint Vogts SD-Vertrau-
tier Klaus Huegel an der Affäre um die Devisen-
schieber Schwend und Blaschke nicht direkt betei-
ligt. Allerdings soll ihn Alois Vogt auf den Vorgang
angesprochen haben, mit dem Wunsch, Huegel
möchte seinen Einfluss zur Verhinderung ähnlicher
Aktionen von Liechtenstein aus einsetzen.?!? Hue-
gels persönliche Beziehung zum liechtensteini-
schen Regierungsmann war nicht uneigennützig.
Für Hilfestellung bei nachrichtendienstlichen Un-
ternehmen des Amtes VI gelangte er seinerseits an
Alois Vogt. Zwei Vorgänge sind aus Huegels und
Vogts Erinnerungen rekonstruierbar. In deutschen
301) Ebenda, S. 45-47
302) BAB Dossier Blaschke, Fernschreiben 9. Dezember 1942:
Schmid (Gestapo Innsbruck) an Hübner (Greko Bregenz).
303) Ebenda, Fernschreiben 5. Dezember 1942: Kriener (Grepo
Feldkirch) an Hübner (Greko Bregenz).
304) AA PA, Inland II g 515 a, 2. Oktober 1942: Notiz Picot (AA) zu
Angaben der Zollfahndung München über Schwend: Dank seiner
Mitwirkung hätten Millionenbeträge in ausländischer Währung für
Deutschland sichergestellt werden können
305) Zur Person Friedrich Schwend siehe Walter Hagen (= Wilhelm
Höttl): Unternehmen Bernhard, Wels 1955, S. 102-122
306) BAB E 4320 (B) 1968/195 Bd. 79, aus dem Bericht des «Secret
Counter Intelligence War Room London»; siehe auch Peter Ferdi-
nand Koch: Geheim-Depot Schweiz. München/Leipzig, 1997. S. 201-
206.
307) PAAV/524 Bupo-Vernehmung Klaus !Huegel 1946, 5. 3
308) BAB Dossier Blaschke, Fernschreiben 10. Dezember 1942:
Hübner (Greko Bregenz) an Schmid (Gestapo Innsbruck)
309) AA, PA Inland II g 515 a, 11. Februar 1943: Dr. Galleiske
‚Finanzministerium) an Siedler (AA).
310) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946. S. 45.
311) Ebenda, S. 43
312) BAB Dossier Blaschke, Fernschreiben 17. Dezember 1942:
Kriener (Grepo Feldkirch) an Gebhardt (Greko Bregenz).
313) PAAV/524 Bupo-Vernehmung Klaus Iluegel 1946. 8. 3.
Traf Alois Vogt im Sommer
1943 in Berlin:
Eugen Steimle, Leiter des
SS-Auslandsnachrichten-
dienstes für Westeuropa
Fernmeldeprotokollen ist insbesondere die soge-
nannte Aktion Rosl gut dokumentiert.*!*
«Rosl» war der Deckname einer Operation, die
von der SD-Amtsgruppe VI D im RSHA ausging. VI
D bearbeitete die «englisch-amerikanischen Ein-
Nussgebiete». Gedacht war, einen deutschen Agen-
ten mit falscher Identitätsangabe per U-Boot in die
Vereinigten Staaten einzuschleusen. Klaus Huegel
wurde angefragt, Dokumente für eine Tarnidentität
in Liechtenstein zu beschaffen. Daraufhin habe
sich Huegel nach eigener Aussage an Alois Vogt
gewandt, «ohne auf Zweck und Ziel näher einzu-
gehen».?!° Vogt sollte Papiere zustellen, die eine
Anfertigung von Passfälschungen ermöglicht hät-
ten. Für die technische Durchführung war die näm-
liche SD-Abteilung zuständig, die auch gefälschte
Pfundnoten fabrizierte.*° Der deutsche Agent, so
war gedacht, wäre aufgrund liechtensteinischer
Dokumente mit der Identität eines Amerika-Aus-
wanderers der Dreissigerjahre versehen worden.
Laut Alois Vogt sei Huegel im Frühherbst 1943 in
der fraglichen Sache an ihn gelangt.?!” Gemäss den
deutschen Protokollen setzten erste Kontakte mit
Vogt Ende August 1943 ein. Vogts Anlaufadresse
für die Überbringung der gewünschten Dokumente
war die Gestapostelle Feldkirch. Die lokale Gestapo
sandte Papiere und Situationsmeldungen nach Ber-
in, die dortige RSHA-Abteilung VI D sowie Klaus
Huegel von der Auslandsgruppe VI B instruierten
im Gegenzug den Posten Feldkirch. Alois Vogt
überbrachte der Gestapo bis zum November 1943
Passunterlagen sowie Personendaten eines Josef
Büchel aus der liechtensteinischen Gemeinde Bal-
zers. Diese waren für die Planung des RSHA aber
unzureichend. Der deutsche USA-Agent benötigte
einen auf 1936 rückdatierten Ausweis Büchels, ge-
fragt waren Ausstellungsdatum und Passnummer
aus den Dreissigerjahren. Am 3. November 1943
teilte der Gestapo-Mann Kühnlein dem RSHA mit,
dass Alois Vogt betreffend der früheren Daten
Schwierigkeiten sehe.?#*® Am 18. November wurde
dem RSHA gemeldet, dass «Nach Mitteilung des H.
Dr. Vogt» die gewünschten Angaben nicht erhält-
lich seien, da die alten Passregister bis zum Jahre
1938 vernichtet wurden.?'?
In den Fernmeldeprotokollen zogen sich die
deutschen Nachfragen bis in den April 1944 hin
und liefen dann ohne Erfolg aus. Wie lassen sich
Vogts Verzögerungen gegenüber dem RSHA er-
klären? In den Fernschreiben wurde seit Beginn
der Aktion wiederholt nach Berlin gemeldet, dass
Dr. Vogt «Schwierigkeiten» bei der Datenbeschaf-
‘ung sehe, auch dass er sich in Liechtenstein dabei
«gefährden» würde. Vogt bestätigte den schweize-
rischen Vernehmungsbehörden, dass ihn Klaus
Huegel um die Übermittlung von Passmuster und
Heimatschein für einen deutschen Agenten ange-
gangen war. Huegel habe auf bisherige Dienste «im
Interesse Liechtensteins» hingewiesen. Nach an-
fänglicher Kooperation habe er, Vogt, dann die Sa-
che «wochen- und monatelang» hinausgezögert.*”
Die Mitteilung, dass die benötigten Passformulare
vor 1938 vernichtet wurden, entsprach nicht den
Tatsachen. Sie erschien Alois Vogt aber geeignet,
die Ausstellung des Passes durch den SD zu ver-
hindern. Auch den Grenzübertritt des deutschen
Agenten Feeser, der im April 1944 in Feldkirch auf-
tauchte, habe er schliesslich verweigert.*! Huegel
gab zu Protokoll, dass der besagte Agent, «um spä-
ter einem Verhör gewachsen zu sein, auch seine
angebliche Heimat [Liechtenstein, d. Verf.] in Au:
genschein nehmen» sollte.*?? «Dieses Ansinnen er-
klärte Dr. Vogt unmöglich durchführen zu kön-
nen.»*> Für Huegel endete die Aktion Rosl im April
1944. Gemäss Fernmeldekorrespondenz bemühten
sich Gestapo und RSHA noch bis in den August
1944 um die Beschaffung liechtensteinischer Per-
sonendaten und -dokumente. Alois Vogt scheint in
diesen späteren Quellen nicht mehr auf.*“*
Neben der Aktion Rosl kam der SD im Sommer
1943 in einem anderen Zusammenhang auf den
liechtensteinischen Vizeregierungschef zu. Alois
Vogt erinnerte ein Zusammentreffen in einem $S-
Heim am Wannsee in Berlin, wohin ihn Klaus Hue-
gel gelegentlich eines Berlinbesuchs einlud. Durch
Huegel lernte Vogt damals dessen Vorgesetzten,
den SS-Führer Eugen Steimle, Leiter der gesam-
ten Westeuropa-Gruppe im Auslands-SD, kennen.
Steimle sei nach einem ungezwungen und allge-
mein gehaltenen Gespräch konkreter geworden. Er
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
habe seine Unterstützung gegen die VDBL zugesagt
und Vogt dafür um Auskünfte aus dessen Verkehr
mit schweizerischen Behörden gebeten. Alois Vogt
habe erst ausweichend auf seine Arbeitsbelastung
in Liechtenstein hingewiesen, über die Schweiz sei
er «selbst auch sehr schlecht informiert.»
Steimle drängte nicht. Später, seiner Erinnerung
nach «etwa September oder Oktober 1943», also
parallel zur Aktion Rosl, wurden Vogt durch die
Gestapo Feldkirch Fragebogen zu «Politik und
Wirtschaft in der Schweiz» und zu «Auffassungen
über den Kriegsverlauf» zugestellt. Vogt konnte
sich nach Kriegsende an konkrete Frageinhalte er-
innern, derart ob ein Sektionschef im EPD zu Wirt-
schaftsverhandlungen in die USA fahre oder ob auf
einem bestimmten Flugplatz in der Schweiz alli-
ierte Kursflugzeuge landeten.*“° Nach anfänglicher
Überlegung, die Fragebogen den Schweizer Behör-
den vorzulegen, habe sie Vogt schliesslich zer-
rissen. Bei seinem letzten Zusammentreffen mit
Steimle im Frühjahr 1944 sei dieser nicht mehr auf
die Anfragen zurückgekommen.*“‘
325) Einzige diesbezügliche Quelle sind die Vernehmungsaussagen
Vogtis 1946. Die Angaben stützen sich also auf: BAB Bupo-Verneh-
mung Alois Vogt 1946, S. 19-23.
326) Alois Vogts Erinnerung erscheint in Datierung und Details
glaubhaft. Die deutschen Geheimdienste hatten 1943 in Erwartung
einer alliierten Landung auf dem europäischen Festland ein starkes
Interesse an der politisch-militärischen Haltung der Schweiz.
327) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946, S. 22
314) BAB E 4320 (B) 1984/29 Bd. 57, Dossier «Aktion Rosl», SBA
6. November 1945; im folgenden zitiert als BAB Dossier Rosl.
Datum des Fernschreibens/Korrespondenten.
315) PAAV/524 Bupo-Vernehmung Klaus Huegel 1946, 5. 1.
316) Das war die Abteilung VI F unter Doerner. Einer von Doerners
Mitarbeitern war der für die Falschgeld-Operation «Bernhard»
zuständige SS-Führer Bernhard Krüger, ein «Krueger» vom Amt VI
aaucht auch in den Fernmeldeprotokollen zur Aktion Rosl auf.
317) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946, S. 36.
318) BAB Dossier Rosl, Fernschreiben 3. November 1943: Kühnlein
Grepo Feldkirch) an Carstenn (RSHA}. Der SD-Führer Friedrich
Zarstenn war zur Zeit der Aktion Rosl zuständig für den Bereich
Nordamerika,
319) Ebenda, Fernschreiben 18. November 1943: Kühnlein (Grepo
Feldkirch) an Carstenn (RSHA).
320) BAB Bupo-Vernehmung Alois Vogt 1946, S. 36.
321) Ebenda, S. 36 £.
322) PAAV/524 Bupo-Vernehmung Klaus Huegel 1946, 5. 1
323) Ebenda. Vgl. auch BAB Dossier Rosl], Fernschreiben 20. April
1944: Kriener (Grepo Feldkirch) an Hohmann (Greko Bregenz).
324) BAB Dossier Rosl. Fernschreiben 27. Juli 1944 und 4. August
1944
U
kKesümee:
Zu Umständen und Interessen-
lagen der reichsdeutschen
Kontakte Alois Vogts
Alliierte Untersuchungsbehörden sprachen von
den Anstrengungen Dr. Vogts, Liechtenstein dem
Jeutschen Reich einzuverleiben.*® Sie stützten ihr
Jrteil auf Akten aus dem deutschen Dienstverkehr.
Demgegenüber erklärte die Zeitung «Liechtenstei-
ner Vaterland» kurz nach Kriegsende Alois Vogt
mit Blick auf die Putschabwehr 1939 zum Retter
des Landes vor einem drohenden Anschluss.“
Beide Beurteilungen hatten zweierlei gemeinsam:
der Beurteilte selber, Alois Vogt, kam nicht oder
nur vermittelt zu Wort. Schliesslich wurden in
beiden Fällen einzelne Vorgänge aus Vogts Re-
gierungsmitarbeit herausgehoben. Und auch diese
waren einseitig, allein aus deutschen Einschät-
zungen beziehungsweise der Patriotismuspflege
von Vogts Partei, der VU, zur Kenntnis gebracht.
cin Teil wurde fürs Ganze genommen, Legenden-
Jildung setzte ein. Der Wunsch nach eindeutigen
'dentifikationsfiguren, Übeltätern oder Helden, er
schwerte, ja verhinderte eine differenzierte Be-
trachtung. Letztere kann mittlerweile an Vogts um-
‘angreich festgehaltene Aussagen vor dem liechten-
steinischen Landgericht und der schweizerischen
Bundespolizei nach 1945 anknüpfen. Unter dem
Jruck informierter Vernehmungsbeamter war Vogt
um Rechtfertigung seiner Geheimkontakte bemüht,
zugleich aber genötigt, deren genauere Umstände
auszuführen. Seine protokollierten Erinnerungen
an einzelne Phasen der Kriegsdiplomatie ermögli-
chen aufgrund ihrer Detaillierung und Vergleich-
barkeit mit anderen Dokumenten ein genaueres
Bild der jeweiligen Vorgänge.
Was lässt sich zum Ablauf der Geheimdiplomatie
aussagen? In welchen Interessenlagen handelte
Vogt, welche Rücksichten wurden im Laufe des
<rieges massgebend? Eine Diplomatie der infor-
mellen, persönlichen Kontaktpflege im Deutschen
Reich war von Liechtensteins Regierungschef Dr.
Josef Hoop bereits in den Dreissigerjahren einge-
setzt worden. Aus einer Position der strukturellen
Schwäche heraus, bestimmt von prekärer Wirt-
schaftslage und dem Abstimmungsbedarf mit dem
Zollvertragspartner Schweiz, wurde um reichs-
deutsche Gunst geworben. Ein vertraulicher Gestus
der staatlichen Selbstverkleinerung, äusserliche
Anpassung und - mit Rücksicht auf die Schweiz —-
Zurückhaltung gegenüber institutionellen Bindun-
gen finden sich sowohl bei Regierungschef Hoop
als auch bei dessen Stellvertreter Vogt. Solches ist
nicht Beleg für konspirative Linien, sondern Aus-
druck einer liechtensteinischen Verlegenheit, das
grösstmögliche Verständnis des Mächtigeren mit
kleinstmöglicher Rückwirkung zu verbinden. Hoop
und Vogt behaupteten ihre freundlich-entgegen-
kommende Diplomatie im Deutschen Reich sowohl
im Inland wie gegenüber den schweizerischen
Behörden. Misstrauen begegnete ihnen auf bei-
den Seiten.*" Bei heiklen Absprachen mit Gestapo,
SD- oder VOMI-Beamten im Grenzraum traten
Hoop und Vogt gemeinsam in Aktion, der gegen
das Hitlerregime eingestellte Regierungsrat und
katholische Priester Anton Frommelt, Parteigänger
Hoops, blieb hierbei weitgehend unbeteiligt. Den-
noch exponierte sich Alois Vogt ungleich stärker als
Hoop, galt bei Gestapo, Auswärtigem Amt und
SS als «Vertrauensmann» und war ab 1941 bis
Kriegsende wohl der einzige Vertreter der Kolle-
gialregierung im Reichsgebiet jenseits Vorarlbergs.
N seiner Anpassungs- und Verständigungsbereit-
schaft ging der deutschnational geprägte Landes-
oolitiker weiter als sein konservativer Chef. Laut
den SD-Meldungen des Sommers und Herbstes
1940, zur Zeit der deutschen Siege im Westen, soll
Vogt an Anschlussbesprechungen interessiert ge-
wesen sein.
War für Vogt, anders als für Hoop, Liechten-
steins Eigenstaatlichkeit eine historisch erledigte
Kategorie? Die deutschen Quellen der Jahre 1940
und 1941 sind die einzigen, in denen Vogt Angliede-
rungsangebote explizit zugeschrieben werden. Bei
genauerer Analyse zeigt sich, dass Vogt im schma-
(en Horizont des Krieges mit einem absehbar
deutschbestimmten Kuropa rechnete. Er wog tak-
tierend verschiedene Loyalitäten ab und wurde
gerade in jenen Jahren, und vehementer als Regie-
rungschef Hoop, von unterschiedlichen Interessen-
ten beansprucht: von der VDBL, die den Anschluss
verfolgte, Vogt persönlich bedrängte und ihrer-
seits Verbindung mit Reichsstellen suchte; von den
schweizerischen Behörden in Bern, die das Lavie-
KU
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
ren der Liechtensteiner beargwöhnten und Ver-
tIragstreue forderten; von Funktionären im SD, der
Gestapo und im Auswärtigen Amt, die profilie-
rungsbedacht und in teilweiser Konkurrenz den
328) LLA 0.S. Sammelakt NS, Dok. Nr. 484836, 20. Juni 1947:
J.S. Foreign Office/State Department: «The documents on the
Principality of Liechtenstein reveal the efforts of its Deputy Prime
Minister (Dr. Vogt) to incorporate it in the Reich ...»
329) LVaterland 12. Mai 1945.
330) BAB E 2001 (E) 1969/262 Bd. 40, 28. Mai 1947: Schreiben
Dr. Robert Jezler (EJPD, Polizeiabt.) an Bundesrat von Steiger (EJPD):
Hoop und Vogt hätten im Mai 1942 ohne triftigen Grund in Bern
vorgesprochen und Hoop hätte sich abschliessend auf Wunsch eines
hohen deutschen Parteifunktionärs nach dem aus Deutschland
zeflohenen General Henri Honore Giraud erkundigt. Jezler kommen-
:‚jerte: «Die frühere liechtensteinische Regierung liess sich, gern oder
ungern, von deutschen Behörden in deren Interessen <«einspannen»».
Spähen über die Reichs-
grenze im Mai 1945:
Rechtsanwalt Dr. Johannes
Fäh aus Uznach (SG),
Hauptmann und seit
August 1945 VBI-Präsi-
dent (links) sowie Dr. Alois
Vogt (rechts), beide einen
Hut tragend
Nebenschauplatz Schweiz/Liechtenstein bearbeite-
ten. In dieser Konstellation handelte Vogt eigen-
mächtig und gewagt, seine Bindung an das landes-
politische Reservat und dessen Regierungschef
blieb bestehen: Die für Liechtenstein essentielle
Arbeitsmarktöffnung der Schweiz wurde mit Ge-
schick ausgehandelt, die de facto verfolgte Annähe-
rung an den Zollvertragpartner mit weitgehenden
Unterredungsangeboten im Reich heruntergespielt.
Über das ihn betreffende Drängen der VDBL:-
Landesleitung setzte Vogt Regierungschef Hoop in
Kenntnis.
Vogt begann im Sommer 1940 seine eigenen
Verbindungen zu Stellen im Deutschen Reich aus-
zubauen als sich Hoop aus eben diesem Feld
zurückzog. Weder war Vogts Kontaktnetz planvoll
geknüpft noch zeigte sich darin über die Kriegs-
jahre die Linie einer eigenen, die Haltung des
Fürsten und des Regierungschefs hintertreibenden
Anschlusspolitik. Vogt suchte Anhaltspunkte zur
deutschen Position gegenüber Liechtenstein und
verliess sich dabei auf seine nächstliegenden per-
sönlichen Verbindungen zu lokalen Stellen des SD.
Zur Einfädelung erster Kontakte wurden Erwar-
tungen genährt und das von der VOMI gepflegte
Bild des loyalen Aussenpostens im Fürstentum
bestätigt. In der deutschen Wahrnehmung wurden
Vogts anfängliche «Fühlungnahmen» mit den
VDBL-Anschlussbestrebungen identifiziert. Nach-
dem Vogt weiteren Einblick in diverse Instanzen
der liechtensteinbezogenen Volkstumspolitik er-
hielt, änderten sich das Auftreten und die Einschät:
zung des Politikers durch seine deutschen An-
sprechpartner. Vogt eröffnete sich zwischen rivali-
sierenden Abteilungen der $S und des Auswärtigen
Amtes in Berlin ein kleiner Spielraum taktischer
Reserven. Liechtenstein, diesen Eindruck mag Vogt
seit 1941 mehrheitlich erhalten haben, hatte zu-
sammen mit der Schweiz keine strategische Prio-
rität. Entscheidungen und Absprachen galten aber
auch auf deutscher Seite «vorläufig»: In den Vor
zimmern der Macht wurden Vogt gegenüber Beru-
higungen und Drohungen ausgesprochen. Der
Vizeregierungschef zeigte sich bereit zur völki-
schen Zusammenarbeit. Bei konkreten Forderun-
gen wurde er unverbindlich, verzögerte und di-
stanzierte sich vom anfänglichen Entgegenkom-
men. Gewagt waren seine informellen Treffen auch
hinsichtlich seiner persönlichen Sicherheit. Seit
1942 war Deutschland alliierten Flächenbombar-
dements ausgesetzt, hinter den Kooperationswün-
schen höherer SS-Offiziere stand ein gewaltbereiter
Apparat.
Vogts Verbindungen zu Reichsvertretern wurden
über persönliche Sympathien und in Erwartung
gegenseitiger Nützlichkeit aufrechterhalten. Hilfe-
stellung in liechtensteinischen Belangen fand Vogt
insbesondere bei seinem SD-Vertrauten Klaus Hue:
gel. Dieser vermittelte jene Kontakte, die im Früh-
jahr 1943 zur «Entsorgung» der VDBL führten.
Vogt gab seinerseits den Deutschen dienliche Doku-
mente und für diese verwertbare Einschätzungen
der politischen Lage weiter. Den Bruch mit gesetz-
lichen Bestimmungen nahm er dabei in Kauf. Für
reichsdeutsche Funktionäre unter Erfolgsdruck
war insbesondere die kooperative Bereinigung von
«Störfällen» am Rande von Nutzen: die Abwicklung
des Märzputsches 1939 oder die Enthaftung des
Devisenagenten Blaschke Ende 1942,
Alois Vogt rechtfertigte im Juli 1945 in einer
Parteiversammlung seine und Regierungschef
Hoops Verstrickungen mit deutschen Stellen. We-
nig heroisch meinte er: «Wir haben das Land ... in
aller Form, das möchte ich einmal sagen, durch die
Weltgeschichte durchgeschwindelt.»*'
331) PAAV/639 Rede Alois Vogt, 15. Juli 1945. 5. 7.
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
QUELLENVERZEICHNIS
ÖFFENTLICHE ARCHIVE
Liechtensteinisches Lan:
desarchiv Vaduz (LLA)
Österreichisches Staats-
archiv Wien (OStA)
Politisches Archiv des
Auswärtigen Amtes Bonn
(AA, PA)
Schweizerisches Bundes-
archiv Bern (BAB)
Staatsarchiv Nürnberg
(StAN)
Vorarlberger Landesarchiv
Bregenz (VLA)
Universitätsarchiv Wien
(UAW)
PRIVATARCHIVE
UND ZEITZEUGEN-
INTERVIEWS
Privatakten Alois Vogt
(PAAV)
Interview mit Dr. Klaus
Huegel, Tettnang, 1. Mai
1997.
Interview mit Dr. Rudolf
Rheinberger, Vaduz,
23. Januar 1997,
Interview mit Emanuel
Vogt t, alt Gemeinde-
vorsteher, Balzers,
27. November 1996.
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Die Gemeindeterritorien
auf der «Gemarkungs-
karte des Fürstentums
Liechtenstein»
Auf der Karte sind die
Grenzen des Schaaner
Kirchspiels markiert:
nördlich die uralte Grenze
zum heutigen Unterland,
südlich die Grenze zu
Triesen und das kirchlich
bis 1768 zur Pfarrei
Schaan gehörige Triesen-
berger Gebiet mit Rota-
boda, Fromahus, Prufa-
tscheng. Gaflei gehörte
bis 1615 ebenfalls zum
Schaaner Kirchspiel.
Der Rhein bildete bis zur
ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts keine feste
Grenze. Auf der Rheintal-
seite, am Westhang
der Rätikonkette, sind die
dörflichen Siedlungen
entstanden. Im Alpen-
gebiet umfasste das Kirch-
spielterritorium neben
den Plankner Alpen drei
Kuhalpen (Malbun, Gritsch
und Guschg) und drei Galt-
viehalpen im Valorschtal.
Zu beachten sind auch die
Flächengrössen. Wenn
man den Teil des Triesen-
berger Gebiets mitberück-
sichtigt, entspricht die
Mark der Urpfarrei
Schaan grössenmässig
derjenigen der Dörfer um
den Eschnerberg, dem
heutigen Unterland. Bal-
zers, Triesen und Triesen-
berg hatten bis Ende des
18. Jahrhunderts ebenfalls
gemeinsamen Besitz.
Diese Mark umfasste in
etwa einen weiteren
Drittel der heutigen Lan-
desfläche. Dieser Sach-
verhalt wäre einmal einge-
hend zu hinterfragen.
Vaduz
Schaan
Planhen
V77Z7)^ Triesen DM
<§> Landeshauprort
ßeme/nden. (politisch selbständige Orte )
Ortschaften (pülKsch mselbslänclige Orte)
Triesenberg
ßa/zers
Eschen
Mauren
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
ABKÜRZUNGEN
Auswärtiges Amt
AA, PA
Yolitisches Archiv des
Auswärtigen Amtes
ADAP
Akten zur Deutschen
Auswärtigen Politik
3AB
Bundesarchiv Bern
Bupo
Bundespolizei (schweize-
°ische)
DDS
Diplomatische Dokumente
der Schweiz
ZJPD
Zidgenössisches Justiz-
ınd Polizeidepartement
EMD
Eidgenössisches Militär-
departement
EPD
Eidgenössisches Politi-
sches Departement
FBP
Cortschrittliche Bürger-
partei
Gestapo
Geheime Staatspolizei
Greko
Grenzpolizeikommissariat
(Gestapo)
Grepo
Grenzpolizeiposten
Gestapo)
GWU
Geschichte in Wissenschaft
und Unterricht
JBL
Jahrbuch des Historischen
Vereins für das Fürsten-
tum Liechtenstein
LGBI.
Landesgesetzblatt
LHD
Liechtensteiner Heimat-
dienst
LLA
Liechtensteinisches Lan-
desarchiv
LPS
Liechtenstein Politische
Schriften
LTP
Landtagsprotokoll(e)
'Vaterland
Liechtensteiner Vaterland
‚Volksblatt
Liechtensteiner Volksblatt
NS/ns.
Nationalsozialismus
(Nationalsozialisten)/
nationalsozialistisch
NSDAP
Nationalsozialistische
Deutsche Arbeiterpartei
0.5.
Ohne Signatur
ÖStA
Österreichisches Staatsar-
chiv
PAAV
Privatakten Alois Vogt
PK
Partei-Kanzlei (NSDAP)
Polit. Abt.
Politische Abteilung (AA)
Promi
Propagandaministerium
RAM
Reichsaussenminister
ASHA
Reichssicherheitshauptamt
(Zentrale von SD, Krimi-
nalpolizei und Gestapo)
SBA
Schweizerische Bundesan
waltschaft (EJPD)
SD
Sicherheitsdienst der SS
SD LA
Sicherheitsdienst Leit-
abschnitt
SS
Schutzstaffeln der NSDAP
StAN
Staatsarchiv Nürnberg
UAW
Universitätsarchiv Wien
VBI
Verwaltungsbeschwerde
instanz im Fürstentum
Liechtenstein
VDA
Volksbund für das
Deutschtum im Ausland
VDBL
Volksdeutsche Bewegung
in Liechtenstein
VLA
Vorarlberger Landesarchiv
VOMI
Volksdeutsche Mittelstelle
(SS)
VP
Volkspartei (Christlich-
soziale)
VU
Vaterländische Union
ABBILDUNGSNACH WEIS
S. 52: PAAV
S. 61 oben: PAAV
S. 61 unten: LLA B 273/1/
128
S. 69: Bundesarchiv Berlin
S. 73: Bundesarchiv Berlin
S. 74: PAAV
5. 7/6: Bundesarchiv
Koblenz
5. 77: Bundesarchiv Berlin
S. 78: PAAV
5. 94: Schweizerisches
3undesarchiv Bern
S. 99: Bundesarchiv Berlin
5. 103: LLA BS 6/39 u.
ANSCHRIFT DES AUTORS
Mag. Jürgen Schremser
Pradafant 24
FL-9490 Vaduz
LANDESVERRAT:
DER FALL DES 1944
IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN
ALFRED QUADERER
PETER GEIGER
Inhalt
1. EINLEITUNG
Fragestellung, Quellengrundlagen
Verrat, Spionage, Landesverrat
2. LANDESVERRÄTER-URTEILE IN DER
SCHWEIZ IM ZWEITEN WELTKRIEG
Übersicht und Liechtensteiner Anteil
Todesurteile und Hinrichtungen
3. DER FALL «QUADERER, ROOS UND
KONSORTEN»
Alfred Quaderer und sein Umfeld
Die konkreten Straftaten
Der Militärgerichtsprozess
Warum das Todesurteil?
Warum keine Begnadigung?
Die Hinrichtung am 7. Juni 1944
4, INFORMATION DER ÖFFENTLICHKEIT
UND REAKTIONEN
5. FRAGEN ZUM FALL QUADERER
Rechtsstaatliches Verfahren?
Strafzwecke: Abschreckung, Sühne,
Gerechtigkeit?
Was hätte Quaderer vor einem liechten-
steinischen Gericht erwartet?
Landesverräter auch gegenüber
Liechtenstein?
Verhältnismässigkeit: Den Kleinen
gehängt?
6. ZEIT UND MENTALITÄT
111
111
112
113
[13
113
115
115
118
120
„21
123
L28
131
137
137
a7
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138
139
“10
Quellen und Literatur
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
1
Einleitung
Am 6. Juni 1944 begann an der französischen
Westküste in der Normandie die grosse westalli-
jerte Invasion. In jenen folgenden Junitagen ent:
schied sich nicht nur das Schicksal Hitlerdeutsch-
lands, sondern endete auch das Leben unzähliger
einzelner Soldaten und Personen in der Schlacht,
wie es etwa der Spielfilm «Saving Private Ryan»
(1998) veranschaulicht. Am zweiten Invasionstag,
dem 7. Juni 1944, wurde auch das Leben des 24-
jährigen Liechtensteiners Alfred Quaderer aus
Schaan beendet: Er wurde in der Schweiz als Spion
und Landesverräter erschossen.
Damals erfuhr man im Fürstentum von der Hin-
richtung Quaderers. Sie wurde in den Radionach-
richten mitgeteilt. Doch wusste man schon seiner-
zeit nur Vages zur ganzen Sache. Seither hat sich
auch das Wenige fast ganz verloren. Im Folgenden
soll der ausserordentliche Fall des Alfred Quaderer
detailliert dargelegt und analysiert werden, mit
Blick auch auf sein Umfeld, den Fakten folgend,
aus den Quellen dokumentiert.
FRAGESTELLUNG, QUELLENGRUNDLAGEN
Die einen Liechtensteiner betreffende Landesver-
räter-Hinrichtung gibt Anlass zu einer Reihe von
Fragen. Was bedeutete Landesverrat damals in der
Schweiz? Warum erfasste die Todesstrafe auch
Liechtensteiner? War er der einzige? Was hatte er
konkret verübt? Welches waren seine Motive? War
er sich der Schwere und der Konsequenzen seines
Handelns bewusst? Wie lief das Strafverfahren ab?
Hätte man ihn nicht begnadigen können? Unter-
nahm man von Liechtenstein aus etwas für ihn?
Unter was für Umständen erfolgte die Hinrichtung?
Was erfuhr die Öffentlichkeit und wie reagierte
sie? Wäre Quaderer in Liechtenstein auch als Lan-
desverräter abgeurteilt worden? Hat man mit ihm
den sprichwörtlichen Kleinen exekutiert?
Die Quellengrundlagen für die nachfolgenden
Ausführungen sind vielfältig. Sie sind am Ende des
Beitrags im Einzelnen aufgeführt. Daher wird auf
Anmerkungen verzichtet, diese wären sehr zahl-
reich und würden sich ständig wiederholen. Alle
Aussagen, puzzleartig gewonnen, sind aus den an-
zegebenen Quellen überprüfbar. Zu nennen sind
insbesondere die Archivakten im Bundesarchiv in
Bern — für die der Oberauditor der Schweizer
Armee dem Verfasser die Einsichtnahme speziell
arlaubt hat -, im Landesarchiv in Vaduz und im
Staatsarchiv St. Gallen. Das gerichtliche Hauptdos-
zier zu Alfred Quaderer ist zwar gegenwärtig im
3Zundesarchiv in Bern nicht auffindbar, doch lässt
sich praktisch alles aus den Akten der übrigen
’rozessbeteiligten, welche drei grosse Aktenbündel
‘üllen, erschliessen. Vieles enthielten auch die 1945
und 1946 gedruckten offiziellen Berichte von Gene-
ral Guisan, des Schweizer Generalstabschefs, des
Armeeauditors und des Sicherheitsdienstes der
Schweizer Armee über die Aktivdienstzeit von 1939
Dis 1945. Für schweizerische Zeitungsmitteilungen
von 1944 sind der «Werdenberger & Obertoggen-
burger», das «St. Galler Tagblatt» und die «Öst-
schweiz» genutzt, ebenso das «Liechtensteiner
Volksblatt» und das «Liechtensteiner Vaterland»
durchgesehen worden. Zeitzeugen haben dem Ver-
fasser Auskünfte zum Thema gegeben, so vorab
Fürst Franz Josef II. und der damalige Schaaner
Pfarrer Johannes Tschuor sowie einige weitere
Personen. Doch ausser Episodischem wussten und
wissen die Zeitzeugen wenig zum Fall Quaderer,
vor allem nicht die konkreten Einzelheiten, Taten
und Zusammenhänge.
Der Zürcher Strafrechtler Peter Noll hat 1980
sein Buch «Landesverrat, 17 Lebensläufe und To-
desurteile» publiziert. Darin analysiert er die
Gerichtsakten der in der Schweiz hingerichteten
Landesverräter im Hinblick auf das rechtsstaat-
liche Verfahren. Allerdings hat Noll - als Bedingung
(ür Akteneinsicht —- alle Namen geändert, selbst in
Quellenzitaten. So ist auch der bei Noll aufschei-
1ende «Max Gisinger, Schwyz» blosses Pseudonym,
dem Leser allerdings kaum als solches erkennbar
ınd zu unliebsamen Verwechslungen geeignet. In
Wirklichkeit verbirgt sich darunter nämlich der
damals in Zug lebende Alfred Quaderer. Dennoch
‚st Nolls Buch für die Kernfrage der Rechtsstaat-
lichkeit des Gerichtsverfahrens zentral und auch zu
vielen Detailfragen aufschlussreich. Schliesslich
{1
hat Niklaus Meienbergs faktenmässig sehr gut re-
cherchierte, kritisch wertende Reportage von 1975,
«Die Erschiessung des Landesverräters Ernst 5.»,
einige wertvolle Hinweise auch zum Fall Quaderer
geliefert.
Das Problem der Namen: Mit Pseudonymen hat
Noll 1980 die Täter anonymisiert. Selbst der sonst
so ungenierte Meienberg nennt 1975 Verräterna-
men nur mit Anfangsbuchstaben, so «Ernst 5.» für
den von ihm beschriebenen Ernst Schrämli, «Q.»
iür den einmal beiläufig angesprochenen Alfred
Quaderer, «R.» für dessen Komplizen Kurt Roos. In
der Kriegszeit hingegen waren Namen und Per-
sonalien von Verurteilten und Hingerichteten am
Schweizer Radio verlesen und als amtliche Mittei-
ungen mehrfach in den Zeitungen veröffentlicht
worden. Ebenso sind die wichtigeren verurteilten
Spione in den offiziellen Berichten des General-
stabschefs und des Armeeauditors von 1945/46
offen genannt, damals und seither für jedermann
zugänglich.
Setzt man, wie es hier im Folgenden geschehen
soll, die zahlreichen Fakten und Daten aus allen
ben genannten Quellen zusammen, so ergibt sich
ain recht dichtes und klares Bild des Falles. Dabei
werden die realen Namen der Handelnden genannt
- sie waren seinerzeit schon öffentlich —-, nicht um
hr Andenken zu schmälern, sondern um die histo-
rische Wirklichkeit objektiv wiederzugeben, Ver-
wechslungen zu vermeiden und auch um ihnen
selber und den damals Lebenden und Handelnden
gerecht zu werden.
Der Verfasser dankt: Dem Personal des Bundes-
archivs, speziell dem Oberauditor der Armee für
die Einsichtnahme in die Prozessakten im Bundes-
archiv Bern; dem Personal des Landesarchivs in
Vaduz, jenem des Staatsarchivs St. Gallen, hier
Dr. Silvio Bucher, sowie des Staatsarchivs Zürich;
des Stadtarchivs Zug, hier Dr. Christian Raschle;
den Zeitzeugen, insbesondere Fürst Franz Josef II.,
Pfarrer Johannes Tschuor, Schaan, Professor Ar-
min Linder, St. Gallen, und Ing. Meinrad Lingg,
Schaan; für Einzelmitteilungen weiteren Personen,
besonders auch Hermann Quaderer, Schaan, und
Erich Quaderer, Vaduz, Neffen von Alfred Quade-
rer; ebenso Professor Ernst Nigg, Vaduz, für Ein-
sicht in nachgelassene Papiere seines Vaters, des
damaligen Regierungssekretärs Ferdinand Nigg;
für Einzelauskünfte verschiedenen Behördenstel-
ijen in Liechtenstein und in der Schweiz, so Hans
Meier von der Landespolizei, Vaduz, dem Zivil-
standsamt in Vaduz, dem Zivilstandsamt der Stadt
Zug, hier Irene Schwendimann, dem Zivilstands-
amt der Stadt Zürich; dem Kommandanten der
Festung Sargans, Oberst Ulrich Bär; schliesslich
dem Liechtenstein-Institut in Bendern und dessen
Personal, insbesondere der Bibliothekarin Eva
Rückstätter. Für die Besorgung der Abbildungsvor-
lagen sei dem Jahrbuch-Redaktor lic. phil. Klaus
Biedermann, der Buchgestalterin Silvia Ruppen
sowie der Schaaner Gemeindearchivarin lic. phil.
Eva Pepic gedankt.
Der vorliegende Beitrag erwächst als Neben-
produkt aus dem umfassenden Forschungsprojekt
«Liechtenstein im Zweiten Weltkrieg», welches der
Verfasser am Liechtenstein-Institut in Arbeit hat.
VERRAT, SPIONAGE, LANDESVERRAT
Verrat wurde und wird in allen Gemeinschaften
als schlimmstes, schändlichstes Vergehen einge-
stuft. Durch die Verratshandlung verbündet sich
die Verräterperson mit dem Feind. Verraten kann
man Geheimnisse oder Personen oder die Gemein-
schaft als Ganzes. Geheimnisverrat wird landläufig
als Spionage umschrieben. Auseinanderzuhalten
sind hierbei militärischer, wirtschaftlicher und
politischer Nachrichtendienst, ebenso die Länder,
gegen welche dieser sich richtet oder denen er
dient. Die Begriffe «Verrat», «Verräter» wurden
seinerzeit im Sprachgebrauch unscharf umgrenzt.
In Liechtenstein rief man den Hitleranhängern als
Schimpfwort «Verröter!» nach. Damit meinte man
den Verrat an der Gemeinschaft als Ganzem, im
Sinne von Landesverrat.
Nicht alle Spionage ist Landesverrat. Als Lan-
desverrat wurden in der Schweiz Verratshandlun
gen gewertet, die gegen das existentielle Landes-
interesse, nämlich das Überleben der Schweiz im
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
2
Landesverräter-Urteile
in der Schweiz
im Zweiten Weltkrieg
Zweiten Weltkrieg, gerichtet waren. Spionage, die
ein fremdes Land betraf und sich nicht gegen die
Schweiz richtete, war nicht Landesverrat, sondern
verbotener Nachrichtendienst. Im politischen Be-
reich galt auch das Bemühen nationalsozialisti-
scher Schweizer, die Schweiz ans Dritte Reich
anzuschliessen, als Landesverrat. Doch war die
Todesstrafe gegen politische Landesverräter in der
Schweiz nicht möglich; gegen solche Schweizer
sprach man lange Gefängnisstrafen aus, ab 1943
konnte man sie, wenn sie im Reich weilten, aus-
bürgern. Um diesen politischen Landesverrat geht
es hier aber nicht. Die schweizerischen Landes-
verräter-Urteile ergingen wegen militärischer Spio-
nage und Sabotage zum Nachteil der Schweiz. So
auch im Fall des Alfred Quaderer und der mit ihm
in der Schweiz Verurteilten.
Besonders merkwürdig erscheint der Umstand,
dass mit Quaderer ein Liechtensteiner als schwei-
zerischer Landesverräter hingerichtet wurde. Der
Tatbestand des Landesverrats war nicht auf
Schweizerbürger beschränkt, er betraf auch Per-
sonen, welche in enger Verbindung zur Schweiz
standen. Hier war Liechtenstein inbegriffen, ge-
rade in der Kriegszeit.
Man mag schliesslich fragen, wozu die folgen-
de Ausbreitung der Einzelheiten, bis hin zu den
sehr konkreten Hinrichtungsmomenten, denn die-
ne. Alfred Quaderers Einzelschicksal wirft Licht-
kegel in dunkle Ecken, in Verwicklungen und Zu-
sammenhänge der Kriegszeit, auf das soziale Um-
feld, auf parallele Lebensläufe, auf Mentalitäten,
auf banale Motive für Verratshandlungen ebenso
wie auf existentielle Staatsinteressen, auf Politik-
felder der Schweiz, Liechtensteins und des Dritten
Reiches. Schärfe und Nähe der Lichtkegel machen
erst die realen Details sichtbar, aus denen die Ein-
zelleben bestehen und das Ganze der Geschichte
sich webt.
ÜBERSICHT UND LIECHTENSTEINER ANTEIL
in der Schweiz wurden wegen militärischen Lan-
desverrats im Laufe des Krieges und bis zum Ende
des Aktivdienstes — das heisst bis zum 20. August
1945 — insgesamt 33 Todesurteile ausgesprochen,
daneben noch 50 lebenslange Zuchthausstrafen so-
wie weitere 218 zeitliche Zuchthausstrafen. Todes-
urteile gab es danach keine mehr, wohl aber wei-
;jere lebenslange und zeitliche Zuchthausstrafen
wegen Landesverrats.
Nicht alle Verurteilten waren Eidgenossen. Die
33 gefällten Landesverräter-Todesurteile ergingen
gegen 22 Schweizer, sieben Deutsche, drei Liech-
tensteiner und einen Franzosen. Die gegen Liech-
tensteiner gefällten Todesurteile machten somit
immerhin neun Prozent aus. Unter den 50 mit
lebenslangem Zuchthaus bestraften Landesverrä-
‚ern figurierte ein Liechtensteiner. Die 218 zeit-
lichen Zuchthausstrafen für Landesverrat betrafen
neben 140 Schweizern und 59 Deutschen auch
13 Liechtensteiner, daneben vier Italiener, einen
Belgier und einen Franzosen. Schweizerische Spio-
nage-Urteile, die nach dem 20. August 1945 er-
gingen, erfassten nochmals weitere Personen aus
Liechtenstein.
Die in der Schweiz gegen die Liechtensteiner,
darunter einige wenige Frauen, ausgesprochenen
Zuchthausstrafen wegen Landesverrats und wegen
Nachrichtendienstes für fremde Staaten waren
lang. Allein nach den bis zum 31. Januar 1945 ge-
fällten Urteilen waren es für 13 liechtensteinische
Personen zusammen 89 Strafjahre. Mit später dazu
kommenden Urteilen ergaben sich weit über 100
Jahre Zuchthaus für Personen aus Liechtenstein
wegen Spionagedelikten gegen die Schweiz zu-
gunsten Hitlerdeutschlands.
TODESURTEILE UND HINRICHTUNGEN
Hier interessieren wegen des Falles Quaderer
speziell die Todesurteile. Von den insgesamt 33
schweizerischen Todesurteilen wurden sieben im
Jahre 1942, zehn im Jahre 1943, 13 im Jahre 1944
113
- darunter zwei gegen Liechtensteiner, nämlich
Alfred Quaderer und Willy Kranz - sowie noch drei
im Jahre 1945 gefällt, davon eines wiederum gegen
einen Liechtensteiner, nämlich Theo Wolfinger.
Insgesamt 17 Todesurteile gegen Landesverräter
wurden in der Schweiz vollstreckt, und zwar in den
Jahren 1942 bis 1944, darunter jenes an Alfred
Quaderer. Ein Verurteilter wurde 1945 begnadigt.
15 Todesurteile wurden in contumaciam gefällt, in
Abwesenheit der Angeklagten, so dass sie nicht
vollstreckt werden konnten. Unter diesen abwe-
send zum Tod Verurteilten waren die zwei erwähn-
ten Liechtensteiner Kranz und Wolfinger.
ım bürgerlichen Strafrecht, das heisst im nicht-
militärischen Bereich, war die Todesstrafe in der
Schweiz abgeschafft, und zwar durch das neue
Strafgesetzbuch von 1937, das 1938 in der Volks-
abstimmung angenommen wurde und auf den
1. Januar 1942 in Kraft trat. Daher gab es im
Zweiten Weltkrieg auch keine Schweizer Todes-
urteile wegen politischen Landesverrats.
Dagegen blieb im 1927 neu gefassten schwei-
zerischen Militärstrafgesetz die Todesstrafe — trotz
Einwänden von sozialdemokratischer Seite — bei-
vehalten, wenn auch eingeschränkt auf «Kriegs-
zeiten» oder «unmittelbar drohende Kriegsgefahr».
Solche bestand von 1939 bis 1945. Zur Anwendung
kamen vorab die Artikel 86 und 87 des schweize-
rischen Militärstrafgesetzes (MStG) von 1927.
Nach Artikel 86 MStG galt die Verletzung mili-
tärischer Geheimnisse als «Verräterei», nämlich
das Ausspähen und Weitergeben von «Tatsachen,
Vorkehren, Verfahren oder Gegenständen, die mit
Rücksicht auf die Landesverteidigung geheimge-
ıalten werden», an einen fremden Staat, an dessen
Agenten oder an die Öffentlichkeit. Als Strafe war
Zuchthaus vorgesehen, in Zeiten des aktiven Trup-
penaufgebots nicht unter drei Jahren. Störte oder
gefährdete der Täter durch seine Verratshand-
‚ungen die Unternehmungen des schweizerischen
Heeres, so konnte in Zeiten des Aktivdienstes le-
penslängliches Zuchthaus, in Kriegszeiten gar die
Todesstrafe verhängt werden.
Nach Artikel 87 MStG wiederum galten als
«militärischer Landesverrat» Sabotagehandlungen,
durch welche in Zeiten aktiven Truppenaufgebots
Unternehmungen des schweizerischen Heeres di-
rekt und indirekt gestört oder gefährdet wurden,
insbesondere durch Beschädigung oder Vernich-
tung von Heereseinrichtungen sowie durch Be-
hinderung von deren Betrieb. Als Strafen war in
schweren Fällen ebenfalls lebenslängliches Zucht-
haus, in Kriegszeiten die Todesstrafe möglich.
Nachdem Hitler am 10. Mai 1940 seine west-
'ichen Nachbarstaaten überfiel, auch die Schweiz
sich unmittelbar militärisch gefährdet sah, zudem
deutlich wurde, wie verheerend sich beim deut-
schen Einbruch in den Niederlanden, in Belgien,
„uXemburg und Frankreich Spionage und Sabo-
tage auswirkten, erliess der Bundesrat zweiein
halb Wochen darauf, am 28. Mai 1940, eine Ver-
ardnung, gemäss welcher bei militärischem Ge-
heimnisverrat nach den Artikeln 86 und 87 MStG
generell auf lebenslängliches Zuchthaus oder To-
desstrafe erkannt werden konnte. Dies bedeutete
eine Verschärfung der Strafandrohung für militä-
rischen Landesverrat und sollte klar abschreckend
wirken.
Auffällig ist indes der Umstand, dass das erste
Todesurteil erst über zwei Jahre später, am 25.
September 1942, gefällt wurde und die erste Hin-
richtung erst im November 1942 geschah, es war
jene des St. Gallers Ernst Schrämli. Die Gerichte
hatten 1939, 1940 und 1941 bei Spionagefällen
noch verhältnismässig milde Strafen verhängt. Als
sich aber 1941 und 1942 die von Deutschland ge-
gen die Schweiz gerichtete und in der Schweiz ver-
übte Spionage verstärkte und schliesslich ganze
einheimische Spionageringe aufgedeckt wurden,
sah man es für notwendig an, härter zu urteilen,
uım drastisch darzutun, dass die Verräter die Exis-
tenz des Landes und das Leben der Bewohner ge-
fährdeten.
In diesen zeitlichen und rechtlichen Rahmen im
Kriegsverlauf fügen sich Handlungen und Schicksal
Alfred Quaderers ein. Quaderer handelte nicht
allein, er gehörte zu einem verzweigten Spionage-
netz. Im betreffenden Prozess im März 1944 wur-
den zwei Dutzend Personen abgeurteilt.
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
3
Der Fall «Quaderer, Roos
und Konsorten»
ALFRED QUADERER UND SEIN UMFELD
Alfred Quaderer, am 20. April 1920 geboren, war
Liechtensteiner Bürger von Schaan. Er wuchs hier
is zur fünften Klasse Primarschule auf. Er sei da
glücklich gewesen, sagte Alfred später. Familie und
Freunde riefen ihn «Fredy». Dann zog die Familie
nach Zug, dort arbeitete der Vater, Josef Alfred, bei
Landis und Gyr, er war Elektroingenieur und ein
Erfinder. Die Familie Quaderer wohnte an der
Schwertstrasse 22. 1933 starb die ältere Schwester
von Alfred an Tuberkulose, 17-jährig. Die ver-
bleibende Schwester Klara war ein Jahr jünger als
Alfred. Der Vater wurde magenkrank, was Geld
verschlang. Der Junge fühlte sich in Zug isoliert. Er
durchlief die Sekundarschule und absolvierte eine
Lehre als Maler für Dekorationen und Schriften.
Nach der Lehre wechselte er oft die Stelle, die Ma-
lerarbeit gefiel ihm nicht. Zeitweilig war er ohne
\rbeit.
Alfred Quaderer hatte in Zug bei den Pfadfin-
dern den zwei Jahre jüngeren Kurt Roos, geboren
1922, kennengelernt. Die zwei Freunde verbrach-
‚en fortan die ganze Freizeit miteinander. Quaderer
ıatte später eine Freundin in Uster. Roos kam aus
ınerfreulichen Familienverhältnissen, war Gymna-
siast, trat aber vor der Matura aus und arbeitete als
Kaufmännischer Angestellter. Gemeinsam verübten
Quaderer und Roos schliesslich die Verratshand-
lungen, ab 1941. Leitend war dabei der etwas älte-
°e Quaderer.
Von sich aus wären sie wohl nicht auf die Idee
gekommen, Spionage zu treiben. Die beiden be-
wunderten zwar die deutschen Waffenerfolge, aber
zie waren im Grunde unpolitische Burschen, ver-
Kehrten im Zuger Tanzclub, fuhren Ski, suchten
Vergnügen. Und etwas Geld. Nationalsozialisten im
‚deologischen Sinne waren sie nicht, auch wenn
Quaderer später im Verhör aussagte, er sei «sehr
für die Deutschen eingenommen» gewesen. Viel-
mehr spannen sich die Fäden über die liechten-
steinische Herkunft und die verwandtschaftlichen
Beziehungen.
In Feldkirch lebte nämlich ein etwas älterer Cou-
sin von Alfred Quaderer, der 1911 geborene Willy
Als Bub in Schaan sei er
glücklich gewesen: Alfred
Quaderer. Ausschnitt aus
lem Klassenfoto (siehe
ibernächste Seite),
ım 1930
Weh, dessen Mutter eine Quaderer aus Schaan war.
Weh war Österreicher, seit 1938 Deutscher. Als
Nationalsozialist hatte er vor 1938 schon der illega-
en NSDAP angehört. Weh war Baumeister im Feld-
K«ircher Baugeschäft Hilty. Alfred Quaderer ver-
brachte 1939 Ferien bei Weh in Feldkirch und fuhr
nit ihm auf Baustellen und unter anderem auf
den Brenner. Weh vermittelte dem 19-Jährigen ein
positives Bild des Dritten Reiches.
Im Krieg wurde Weh dann 1941 von der deut-
schen «Abwehrstelle Bregenz» der deutschen Mi-
itärspionage beauftragt, Spionageergebnisse aus
der Schweiz zu beschaffen. Weh sagte später, er sei
dazu gezwungen worden, sonst wäre er in den
Krieg einberufen worden. Willy Weh kam im Früh-
'ahr 1941 zu Besuch zu den Verwandten nach Zug,
nit Hintergedanken. Er sass mit der Familie Qua-
derer im Garten, man plauderte. Alfred begleitete
ıhn noch durch die Stadt zum Bahnhof, da gab Weh
ihm plötzlich 50 Franken und forderte ihn auf, ge-
gen mehr Geld militärisch Interessantes zu liefern.
Vom Geld verlockt, sagte Alfred zu. Den Vater Qua-
derer hatte Weh bei jenem Besuch in Zug ebenfalls
zur Spionage gedrängt, unabhängig vom Sohn.
Widerstrebend spähte auch der Vater in der Folge
einiges für Weh aus.
Alfred begann im Frühsommer 1941, an Weh
militärische Informationen zu liefern. Weh wieder-
ım bewog ihn, weitere Personen in der Schweiz
anzuwerben. Alfred zog sonach bald seinen Freund
Roos ins Vertrauen und im Sommer 1941 ins
Geschäft. Er nahm Roos mit nach Liechtenstein,
zum Volksfest in Vaduz am 15. August 1941, dem
Vorabend des Fürstengeburtstages. Bei der nächs-
;en Liechtensteinfahrt, wenig später, führte Quade-
rer Roos nach Schaan. Hier trafen sie sich mit Qua-
derers Cousin, der auf der Schaaner Post arbeitete.
Dieser lud sie zum Mittagessen ins mütterliche
«Bierhüsle» und führte sie nachher zu Weh in ein
Schaaner Privathaus. Quaderer übergab dort ge-
stohlenes schriftliches Militärmaterial an Weh, und
Weh seinerseits überredete nun auch Roos zur
Spionage. Weh, der bei dieser Unterredung die Zie-
je des Nationalsozialismus pries, instruierte Qua-
derer und den Neuspion Roos, was sie zu tun und
wie sie vorzugehen hätten: Sie sollten schweize-
rische Festungsanlagen ausmachen, Truppenein-
neiten und Truppenbewegungen notieren, militä-
risches Instruktionsmaterial sowie topographische
Karten beibringen. Als Zwischenträger für Qua-
derer/Roos und Weh fungierte zeitweilig der er-
wähnte Schaaner Cousin, indem er als Postange-
stellter Aufträge von Weh telefonisch nach Zug
übermittelte oder Wehs Briefe an sie in Buchs zur
Post brachte — was schliesslich die Schweizer Er-
Mnittlungen erleichterte. Zur Rolle von Weh sagte
Alfred Quaderer im späteren Gerichtsverfahren im
März 1944 dann aus:
«Bei meinen ganzen Vorgehen war der Angeklagte
Weh die treibende Kraft.»
Willy Weh und andere Agenten der deutschen
Abwehr in Vorarlberg spannen weitere Fäden. In
Feldkirch arbeitete bei der dortigen Industrie- und
Handelskammer als Grenzgänger der 1921 gebo-
zene Liechtensteiner Willy Kranz aus Nendeln.
Kranz war aktives Mitglied der nationalsozialis-
schen «Volksdeutschen Bewegung in Liechten-
stein». Als 18-Jähriger war er 1939 an deren ge-
zscheitertem Anschlussputsch beteiligt gewesen.
Der junge Kranz wurde nun von Feldkirch aus ab
‚941 ebenfalls Richtung Schweiz eingesetzt, als
Kopf eines wachsenden Spionagenetzes in der
Schweiz und in Liechtenstein. Im Spätherbst 1941
wurde Willy Kranz durch Weh mit Quaderer und
Roos in Kontakt gebracht, indem er ihnen am
22. November 800 Franken Spionageentgelt nach
Zug zu überbringen hatte. Kranz, in Zug zuerst
unter dem Decknamen «Willy Ring» auftretend,
sagte zu Quaderer, er sei «gelernter Spion», er
habe einschlägige «Kurse in München, Innsbruck
and Berlin besucht». Kranz kam danach zu Treffen
mit Quaderer und Roos nach Zug, Zürich, Ziegel-
brücke, Luzern und Erstfeld. Er brachte Geld und
neue Aufträge und übernahm Material. Quaderer
aändigte ihm auch in Schaan und Nendeln Spio-
n1agecouverts aus. Kranz übergab sie Weh, zumeist
nn Schaan, wo Weh unauffällig geschäftlich verkeh-
ren konnte. Weh brachte die Beute im Auto nach
Feldkirch, wo seine Abwehr-Auftraggeber sie er-
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
(T) Prufatscheng
(2) Rotaboda
(3) Erbi
(?) Fromahus
Grenze Kirchspiel
Schaan
Erblehen 1355,
Kauf 1652. Der
Grenzverlauf
Grosssteg ist nicht
eindeutig identifi-
ziert
Vermutliche Ab-
grenzung zwi-
schen Kirchspiel
Schaan und
Triesen
Gebirgsgrat
7
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
yo
*.
Auf dem Klassenfoto der
Primarschule Schaan,
um 1930: Alfred Quaderer
sitzt hinten in der mitt-
leren Reihe in der fünften
Bank (sein Kopf verdeckt
ım Bild die rechte Hand
von Lehrer Alfons Kranz.
rechts Pfarrer Josef
Büchel). Siehe den Bild-
ausschnitt auf der voran-
gehenden Seite
hielten. Mindestens zehn solcher Übergaben konn-
ten im Prozess nachgewiesen werden, wahrschein-
lich waren es mehr. In umgekehrter Richtung floss
das Geld, gelegentlich 200 bis 300 Franken, da-
mals ein guter Monatslohn. Kranz übergab das
Geld Quaderer, ein Teil davon ging an Roos.
Gerichtlich nachgewiesen wurde Quaderer der
Erhalt von zusammen gut 1200 Franken, für Roos
von gut 800 Franken, innert eineinhalb Jahren. Die
angesichts der Unverhältnismässigkeit des Risi-
<oSs doch geringen Summen beziffern die Erbärm-
üchkeit des Spionagegeschäfts. Die beiden jungen
Männer, wie Kranz auch, verfügten zusammen mit
ihrem Arbeitsverdienst dank der Spionagefranken
über mehr Geld für Alltag und Freizeit.
In Wehs und Kranz’ Auftrag gingen Quaderer
und Roos ihrerseits in der Innerschweiz verrats-
willige Personen an und gewannen sie zum Mittun.
Es handelte sich vorab um einige Militärdienstleis-
tende, von denen sie Informationen erlangten.
Willy Kranz seinerseits organisierte weitere
Spione, Liechtensteiner und Schweizer. Angewor
ben wurde etwa auch der Balzner Maler und Textil-
reisende Josef Arnold Vogt, geboren 1907, der
kurzzeitig in Vorarlberg arbeitete und darauf mit
Spionageaufträgen, als Handelsreisender getarnt,
per Bahn und Postauto durch die halbe Schweiz
fuhr, im Gebirge wanderte und eifrig militärische
Anlagen ausspähte. Zu Hause in Balzers installierte
Vogt auch zeitweilig einen aus dem Reich einge-
schmuggelten Funkapparat, den er in einem Kurs
in Stuttgart zu bedienen gelernt hatte. Willy Kranz
setzte für die Spionageaufträge und für Vermittler-
dienste von der Schweiz nach Liechtenstein auch
einzelne Familienmitglieder ein, so insbesondere
seinen italienischen Schwager Pietro Rossi, der in
Näfels im Glarnerland wohnte und Gelegenheit hat-
te, dort zu spionieren.
50 ergab sich schliesslich ein Spionagering von
zusammen mindestens 25 Personen. Die wichtig-
sten Figuren darin waren als Organisatoren Weh
und Kranz und als regelmässige Hauptspione Qua-
derer, Roos und Vogt. Nur die beiden Organisato-
ren wussten von allem, die einzelnen Spionieren-
den dagegen hatten keine Übersicht, sie kannten
meist nur eine Kontaktperson. Quaderer und Roos
standen zwischendrin, auf zwei Ebenen: An Weh
und Kranz hängend, spionierten sie hauptsächlich
selber, warben aber zudem weitere Personen an,
die für sie spionierten. Das ganze Spionagenetz
war eines von verschiedenen, die in der Schweiz —-
ınd teilweise eben in und über Liechtenstein —- für
Hitlerdeutschland gegen die Schweiz tätig waren.
Nach eineinhalb Jahren Tätigkeit flog es anfangs
1943 auf. Die auf immer mehr Personen ausge
dehnten Untersuchungen brachten die Einzelhei-
ten allmählich ans Licht, allerdings nicht an die
Öffentlichkeit.
DIE KONKRETEN STRAFTATEN
Quaderer spionierte zuerst ab dem Juni 1941 allein,
danach von Ende August 1941 an meistens mit sei-
nem Freund Roos zusammen, gelegentlich agierte
noch jeder zusätzlich auf eigene Faust. Die Spio-
nagetätigkeit erstreckte sich so vom Sommer 1941
an über eineinhalb Jahre hinweg bis zur Verhaf
lung am 2. Januar 1943. Was verriet Alfred Qua-
derer konkret? War es so schwerwiegend, dass es
dem Todesurteil rief?
Auf Wehs Anweisung notierte Alfred Quaderer
im Sommer 1941 bei jeder Gelegenheit Einteilun-
gen, Nummern und Standorte von Schweizer Sol-
daten, vor allem in Zug, Baar und Zürich. Er mel-
dete sie Weh, der ihm dafür 50 Franken gab. Qua-
derer brachte Weh im Sommer 1941 zweimal je
drei Schweizer Landkarten ins Fürstentum.
Im August 1941 sah Quaderer in Zug im leer-
stehenden Hotel «Casino», wo er Malerarbeiten
verrichtete, militärische Akten des Platzkomman-
dos, das hier einquartiert war, auf den Tischen
liegen. Am Abend’ entwendete er dort solche Ak-
;en, die ohne grosse Sorgfalt in einem Koffer ver-
wahrt waren. Darunter fand sich ein «rotes Büch-
lein», das Verzeichnis der Korpssammelplätze aller
schweizerischen Grenztruppen, das waren deren
Mobilisationsstandorte. Er fuhr darauf am Sonntag
nach Schaan, begleitet von Roos. Die Grenze über-
querten sie im Postauto von Trübbach nach Bal-
‚Lu
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
zers. Die militärischen Papiere aus dem Casino-
Diebstahl hatte Quaderer in einem gelben Couvert
auf sich. An der Rheinbrücke mussten sie dem
Schweizer Heerespolizisten nur die Pässe zeigen.
Durchsucht wurden sie auch nachher beim Grenz-
Übertritt nie. Als Weh in Schaan die fette Spionage-
jeute übernahm, stellte er Quaderer, wenn er ihm
weitere «solche Sachen» bringe, für später eine
einträgliche Stelle im Baugeschäft in Feldkirch in
Aussicht. Dies war jenes oben schon erwähnte Zu:
sammentreffen mit Weh, bei dem Quaderer Roos
erstmals in Kontakt mit Weh brachte und Weh je-
nen anwarb.
Für Hitlerdeutschland war besonders das
Schweizer Reduit - der ab 1940 im Ausbau befind-
liche befestigte Zentralraum der Alpen —- mit seinen
Zugängen und Anlagen von Interesse. Im Spätsom-
mer 1941 spähten Quaderer und Roos gemeinsam
am Zugersee und am ÄAgerisee Tanksperren und
Bunker aus, so die Panzer- und Minensperren
«Murpfli» und «Lothenbach». Lothenbach liegt am
Zugersee an der engen Strasse zwischen Zug und
Schwyz. Sie erstellten genaue Skizzen der Sperren,
mit Eintragung der Örtlichkeiten, der Minenkam-
mern und der Zündleitungen. Die Angaben gingen
an Weh.
Weh zahlte gut für das «rote Büchlein» der
Korpssammelplätze, wünschte aber auch ein Ver
zeichnis der Korpssammelplätze aller schweize-
rischen Truppen, sie wären in einem «grünen
Büchlein» zu finden. Quaderer stahl im Oktober
1941 auch dieses «grüne Büchlein» aus den Casino-
Büros des Zuger Platzkommandos, dazu noch das
«weisse» Verzeichnis aller Mobilmachungsfunk-
tionäre der Armee sowie andere greifbare Unter-
‚agen. Quaderer brachte die Ausbeute, begleitet
von Roos, Anfang November 1941 ins Fürstentum
nach Schaan und übergab alles Weh.
Kurt Roos absolvierte vom 23. November 1941
Dis zum 21. März 1942 die Schweizer Rekruten-
schule, erst in Luzern, ab Mitte Februar in Mend-
risio, Da boten sich Gelegenheiten. Roos stahl in
der Rekrutenschule einen Minenwerfer-Aufschlag-
zünder. Er schickte den Zünder per Post an Quade-
rer, dieser händigte ihn in Thalwil an Willy Kranz
aus. Roos beschaffte auch Waffenreglemente der
Schweizer Armee, über Quaderer gingen sie an
Weh, ebenso mehr als 20 Landkarten.
Auf Aufforderung von Weh drang Quaderer, teils
allein, teils unter Mithilfe von Roos, in den ersten
Monaten des Jahres 1942 erneut und wiederholt
ins Zuger Platzkommando ein. Einmal, im Januar
1942, blieb die Aktion erfolglos, weil die Abwart-
frau erschien.
Willy Weh traf am 16. April 1942 in Zürich mit
)uaderer und Roos zusammen. Er gab ihnen
3äine ganze Reihe neuer Aufträge. Unter anderem
sollten sie «das neue 20 mm-Flab-Geschoss» der
Schweiz beschaffen oder wenigstens den Fabri-
kationsstandort feststellen, das Geschoss weise
einen hochempfindlichen Zünderkopf auf, präzi-
sierte Weh. Diese Mission konnten die beiden
offenbar nicht erfüllen.
Einige Tage später brach Quaderer in der Nacht
vom 21./22. April 1942 wieder ins Zuger Platz-
Kommando ein. Er konnte grosse Umschläge mit
zahlreichen Verzeichnissen über Kompaniehüros,
Mannschaftsbaracken, Magazine, Stallungen und
ebenso zu Panzer- und Strassensperren im Reduit
mitnehmen, dazu Kriegsmobilmachungsplakate.
Im Sommer 1942 übernahm Quaderer eine
Arbeitsstelle als Maler in Erstfeld, im Gotthard-
AeEduitgebiet. Weh erteilte ihm sogleich Ausfor-
schungsaufgaben, er solle Anlagen, Truppentrans-
porte und Ähnliches beobachten und melden.
Quaderer kundschaftete einen für das Armee-
hauptquartier im Bau befindlichen Stollen am
GOtthard aus. Roos sollte ihm dazu auch Zeichnun-
gen anfertigen, was aber nicht gelang. Quaderer
gab im November 1942 seine Stelle in Erstfeld auf.
Kurt Roos leistete im Juni und Juli 1942 als
Infanterie-Kanonier Aktivdienst in seiner Truppen-
3anheit, der Stabskompanie 48 im Gebirgsinfante-
rie-Regiment 37. Und im August 1942 absolvierte
er noch einen Hochgebirgskurs der 8. Division im
Gotthardgebiet. Bei dieser Gelegenheit spionierte
Roos die Festung «Sasso da Pigna» aus. Dieses
neue Kasemattenwerk lag 800 Meter östlich des
Gotthard-Hospizes, es war seit dem Herbst 1941 im
Bau und erhielt vier 10.5 em-Kanonen und vier
ı 1
+4
15 cm-Kanonen, die ersteren waren ab Mitte 1943
schussbereit, die zweiten 1944. Roos nun lieferte
Quaderer nach seinem Hochgebirgskurs einen ge-
nauen Plan des Festungswerks «Sasso da Pigna»,
samt Angaben über die Postierung der Geschütze,
Maschinengewehre, Munitionsstollen und Unter-
künfte.
Quaderer und Roos verleiteten auch drei weite-
re, junge schweizerische Wehrmänner, darunter
einen Korporal, dazu, ihnen gegen Geld militärisch
uaeheimes zu verraten. So erlangten sie von zwei
Funkern Chiffrierverfahren und Codes der schwei-
zerischen Funkertruppen, Angaben über die Ein-
richtung des Funkerzentrums Morschach ob dem
Vierwaldstättersee und über die von dort bestehen-
den Verbindungen zum Armeestab und zu den
Armeekorpskommandos, dazu Informationen über
die Organisation und den Betrieb von Funkersta-
tionen im Gebiet von Altdorf über Luzern bis nach
Interlaken und zum Sustenpass. Alles kam in deut-
sche Hände, über Kranz und Weh nach Feldkirch
und von dort nach Bregenz und weiter.
Mit all den von Quaderer und Roos begangenen
Handlungen, so wertete später das Gericht, waren
Teile des Reduits und insbesondere «das Gerippe
der Abwehrorganisation» der Schweiz verraten.
Die Folgen galten als grossenteils irreparabel.
Deutschland hätte bei einem Angriff die Mobilisa-
tion der Schweizer Armee erheblich stören oder
sogar verunmöglichen können. Der organisierte
Widerstand der Schweiz war gefährdet. Entspre-
chend urteilte das Militärgericht.
DER MILITÄRGERICHTSPROZESS
Das Treiben von Alfred Quaderer, Kurt Roos und
Konsorten, wie der grössere Spionagering etwa
genannt wurde, flog Anfang 1943 auf. Manches
war aufgefallen, die Spionierenden waren im Grun-
de unprofessionelle Dilettanten. Die Spionageab-
wehr hatte unter anderem die Diebstähle im Zuger
Platzkommando entdeckt. Sie stiess auf Quaderer,
der observiert wurde.
Alfred Quaderer wurde am 2. Januar 1943 an
der Grenze in Buchs aus dem Postauto heraus
verhaftet, als er von Schaan aus mit Roos und zwei
Schaaner Cousins nach Wildhaus zum Skifahren
ınterwegs war. In Kürze sass fast der ganze Spio-
nagering in Haft, ausser den beiden Köpfen Willy
Weh und Willy Kranz, die in Feldkirch blieben.
Alfred Quaderer wurde zuerst im Rathaus in Buchs
und dann in Zürich polizeilich verhört und bald ins
Bezirksgefängnis St. Gallen verlegt. Am 13. Januar
1943 begann die gerichtliche Voruntersuchung.
uaderer gestand, nach anfänglichem Leugnen.
In Untersuchungshaft genommen wurde auch
der Vater, Josef Alfred Quaderer. Bei ihm fand man
ıämlich Fotos und geographische Karten mit mi-
ltärischen Einträgen von Anlagen am Zugerberg
ınd am Zürichsee. Gleiches hatte er Weh geliefert.
Quaderer senior starb aber schon im März 1943
während der Untersuchungshaft in St. Gallen. In
Schaan hielt sich bis heute die Meinung, er habe
Selbstmord begangen. Als Todesursache ist indes
ein durchgebrochenes Magengeschwür genannt.
Quaderer senior wäre angesichts des Belastungs-
materials zweifellos ebenfalls verurteilt worden,
aber sicher nicht zum Tode.
Die Strafuntersuchung, die sich bald auf über
zwei Dutzend Verdächtige erstreckte, und die Vor-
vereitung der Anklagen füllten das ganze Jahr 1943
ınd die Monate bis zum März 1944. Alfred Quade-
rer sass in dieser ganzen Zeit als Untersuchungs-
häftling in Einzelhaft in St. Gallen; bis zum Ende wur-
den es fast eineinhalb Jahre. Er empfand das Ge-
fängnisessen als knapp, Zigaretten mangelten ihm.
Straffälle nach Militärstrafgesetz wurden nicht
von bürgerlichen, sondern von Militärgerichten be-
1andelt. Neben den Divisionsgerichten bestanden
Territorialgerichte. In der Strafsache «Quaderer,
Roos und Konsorten» urteilte das Territorialgericht
3b in St. Gallen.
Das Verfahren lief ab wie bei einem zivilen
Gericht. Ein militärischer Untersuchungsrichter,
dauptmann E. Brunner, führte die Voruntersu-
chung, danach erfolgte die Überweisung ans Ge-
richt durch den Auditor - wie der Ankläger oder
Staatsanwalt hiess -, und darauf kam es zur
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
Hauptverhandlung. Auditor war Major Paul Popp,
St. Gallen. Jeder Angeklagte hatte einen Verteidi-
ger. Für Alfred Quaderer amtete der St. Galler Dr.
Rolf Zollikofer, Rapperswil, als Pflichtverteidiger.
Dem Territorialgericht 3b gehörten sieben Richter
an, alles Militärpersonen. Vorsitzender «Grossrich-
ter» war ein hoher Offizier, in diesem Falle Oberst-
leutnant Hans Roth aus Zürich. Richter waren drei
weitere Offiziere, nämlich ein Oberst, ein Oberst-
leutnant und ein Oberleutnant, sowie drei Unter
offiziere, nämlich ein Fourier, ein Wachtmeister
und ein Korporal. Alle Mitglieder des Gerichts
stammten aus der Ostschweiz, nämlich aus den
Kantonen St. Gallen, Appenzell und Glarus, der
Vorsitzende aus Zürich.
Ein Todesurteil kam nur zustande, wenn min
destens sechs der sieben Richter dafür stimmten.
Nach dem Urteil gab es die Möglichkeit der Kassa-
tionsbeschwerde an das Militärkassationsgericht,
welches das Urteil bei Gesetzesverletzung oder
willkürlichem Ermessen für nichtig erklären konn:
te, dann wäre es zur Neubeurteilung ans Gericht
zurückgegangen. Nach Abweisung einer Kassati-
onsbeschwerde blieb als letztes ein Begnadigungs-
gesuch an die Vereinigte Bundesversammlung.
Die Hauptverhandlungen gegen insgesamt 22
Personen des Spionagerings fanden im März 1944
in St. Gallen statt. Hauptangeklagte waren hierbei
Alfred Quaderer, Kurt Roos und Willy Kranz — die-
se drei wurden zum Tode verurteilt — sowie Willy
Weh, Pietro Rossi, Josef Arnold Vogt und die zwei
Funker-Pioniere Willy Hürlimann und Georg Ur-
sprung - die alle zu lebenslänglichem Zuchthaus
verurteilt wurden —-, dazu der Füsilier-Korporal
Alois Landolt, der 20 Jahre Zuchthaus erhielt. Die
weiteren Strafen bewegten sich von 14 Jahren
Zuchthaus an abwärts.
WARUM DAS TODESURTEIL?
Die gesetzlichen Grundlagen für das schwerste
Urteil, jenes des Todes, waren gegeben. Quaderers
Taten erfüllten den Tatbestand nach Artikel 86
Militärstrafgesetz, nämlich die Störung und Ge-
fährdung der Unternehmungen des Heeres, indem
er «das Gerippe der Abwehrorganisation» der
Schweiz verraten hatte (dieses und die in diesem
\bschnitt folgenden Zitate folgen den bei Noll wie-
lergegebenen Quellenstellen). Das urteilende Ge-
richt folgerte:
«Verrat objektiv schwerster Art ist somit begangen
worden.»
Aber, argumentierte das Gericht, die Todesstrafe,
als «das schwerste Übel ..., das man einem Men-
schen zufügen kann», sollte grundsätzlich nur aus-
gesprochen werden, wenn auch «subjektiv schwer-
ste Schuld» vorliege. Eine solche bejahte das
Gericht ebenfalls. Einziges Motiv Quaderers sei
«Geldgier» gewesen. Mit Deutschland, für das er
spionierte, verbänden ihn keine «vaterländischen»,
allenfalls «achtenswerten Momente», keinerlei
«ethische Beweggründe». Er sei skrupellos vorge-
gangen, habe
«hemmungslos alles ausspioniert und verraten,
was ihm zugänglich war».
Er habe die Geheimnisse, um mehr Geld zu erlan-
gen, ratenweise verkauft und dabei zeitweilig noch
seinen Freund Roos hintergangen.
Das Gericht war sich bewusst, dass Quaderer
_iechtensteiner, nicht Schweizer war. Es argumen-
jerte indes, als Liechtensteiner sei er
«Bürger eines mit der Schweiz in engster Freund-
schaft verbundenen ... Landes»,
das wie die Schweiz zur Zeit nicht in den Krieg ein-
vezogen sei; er sei in der Schweiz aufgewachsen,
habe hier die Schulen besucht, hier eine Maler-
‚ehre absolviert und ein Auskommen gefunden;
während die Schweizerbürger Aktivdienst leisten
mussten, habe er hier weiterleben können wie zUu-
vor. Er aber habe in verabscheuungswürdiger Wei
se «Verrat dem Gastlande gegenüber» begangen.
Der Pflichtverteidiger, Dr. Zollikofer, plädierte
für Quaderer auf lebenslängliches Zuchthaus. Doch
das Gericht brach über Quaderer den Stab, indem
es einstimmig zum Schluss kam:
«Es liegt ... sowohl subjektiv wie objektiv ein Fall
schwerster Art vor, der im Interesse der Landes-
sicherheit die Todesstrafe erheischt.»
‚271
Das Urteil für Alfred Quaderer wurde am 18. März
1944 vom Territorialgericht 3b ausgesprochen, in
St. Gallen, im Gerichtshaus an der Neugasse 3, im
heute noch dunkel getäferten Bezirksgerichtssaal,
unter Ausschluss der Öffentlichkeit. In eigentüm-
lich dürrer Rechtssprache besagte es:
«Quaderer Alfred Hermann wird schuldig er-
klärt der wiederholten Verletzung militärischer
Geheimnisse im Sinne der Verräterei, der wieder-
holten versuchten Verletzung militärischer Ge-
heimnisse im Sinne der Verräterei, der Anstiftung
zur Verletzung militärischer Geheimnisse im Sinne
der Verräterei, der versuchten Anstiftung hiezu,
der wiederholten Gehilfenschaft zur Verletzung
militärischer Geheimnisse, des Ungehorsams ge-
gen allgemeine Anordnungen, des wiederholten
militärischen Nachrichtendienstes, des wiederhol-
ten Diebstahls, der wiederholten Hehlerei
und einstimmig verurteilt:
1. zum Tode durch Erschiessen.»
Gleichentags wurden im selben Saal auch die
andern 21 Urteile gefällt, darunter die Todesver-
dikte gegen Kurt Roos und den allerdings abwesen-
den Willy Kranz. Weitere Urteile waren schon in
den Tagen zuvor ergangen, unter anderem gegen
Liechtensteiner.
Mit solchem Ausgang hatten Quaderer und Roos
nicht gerechnet, weder während ihrer Spionage-
tätigkeit noch während des Prozesses. Ein erstes
Todesurteil war erst in den letzten Monaten ihrer
Spionagezeit, nämlich wie erwähnt im September
Verurteilungen wegen
Landesverrats im Fall
Quaderer, Roos und Kon-
sorten am 18. März
1944. Die hier wieder-
gegebene amtliche Mittei-
lung aus dem «Werden-
berger & Obertoggen-
burger» («W&0») vom
22. März 1944 erschien in
praktisch allen Schweizer
Zeitungen sowie wörtlich
gleich, ausser mit leicht
geändertem Titel, auch im
«Liechtensteiner Volks-
blatt» vom 23. März 1944
Verurteilungen wegen Landesverrates (en
Drei Todesurteile na
Bern, 21. März. ag. Umtlidy wird mitge-1ı 8. Zwidy Kalpar Rudolf, geb. 1910, Füfi: dur D
teilt: ET DEE von und in Wollis, aufge]
N Horialaeri u14Sahren Jugthaus, 10 Jahren Ein: AU
av „Mir 38, nr 101 Dt Das EDEN gerihl elung in der bürgerlihen Ehrenfähigkeit, De- Näruı
deı 3b nad) mehrwöchigen Berhandlungen gegen : 7 LE verzid
men 22 Mitglieder einer umfangreichen 3radation und Ausihluß aus dem Heere, eh
ntt Spionageorganijation das Urteil ge. 9. NRojfi geb. Kranz Paula, geb, 1914, Haus ‘zer €
den. [ällt. Von den Hauptangeklagten wurden verur: rau, von Grofio (Italien), in Nüjels, zu vier (über
e zu teilt: Jahren Zugdthaus und 15 Jahren Landes: feine
nen ı Auaderer Alfred Hermann, geb, 1920 verweijung. und D
ner: | von Schaan (Fürjtentum Liecdhtenjtein), Maler, 10. Ottinger Alfred Werner, geb. 1921, UAWbleh
der | wohnhaft in Zug, zum TodedurgH Erjhie: Img.-Cchüßge, Maldinenidhlofler, von Urnäjg der NR
önis!pen. (Appenzell YU.-NRh.), in Züri, zu vier IJah- | Betrie
tler:| 9 Roos Kurt Johann, geb. 1920, Inf.-Kanv: ten ZudHthaus, 10 Jahren Einjtellung in [Grunt
Inn- | „;er, Student, von Hasle (Luzern), in Zug, zum der bürgerlidHen Ehrenfähigkeit und Ausichluk
Eon TodedurgH Er|Hieken. 1us dem Heere,
en ' 3. Nofli Pietro, geb. 1910, Kaufmann, von 11. Huber Walter Iojef, geb. 1921, Te-| Im
Grofio (Italien), in Näfels, zu lebensläng- lephon-Coldat, Cchreiner, von OVberlunkhofen | (3p.,
ärt- |fidem Zudgthaus und 15 Jahren Landes: (YWargau), in Züri, zu zweieinhalb Zah-| dien
; jeit verweijung. zen Zugthaus, fünf Jahren Einfjtellung in | der U
pan:| 4. Vogt Iofef Arnold, geb. 1907, Maler und der bhürgerligen CEhrenjähigkeit und UAWusihluk ‚Der ©
täti: | Reifender, von und in Balzers (Liechtenjtein), 1US dem Heere, eitsb,
zu lebenslängligem Zudthaus und Yußerdbem wurden in contumaciam Kranz AUSIEl
15 Jahren Landesverweijung. Billy, geb. 1921, von Ejhen (Liechtenitein), in | {on
YNu-| 5. Hürlimann Willy Albert, geb. 1921, Feldtirdy (Vorarlberg), zum Tode durch CET“, merdeı
; an] Funfer-Pionier, Kanzlift, von Walchwilk, in 3ug, dieken, fullion
iplo-/3u Llebenslängligem Zudthaus, 10 WMehH Willy, geb. 1911, Baumeijter, in Feld: wochli
war-‘ Jahren Einjtellung in der bürgerliden Ehren: ir (Vorarlberg), zu lebenslängliden
ußen fäbhigfeit, Nus]dhluß aus dem Heere. Zucdthaus,
; 3u! 6. Urjprung Georg, geb. 1922, Zunfer-Pid: unp yier weitere Nusländer zu grö-
3U nier, ElekftroinftaNateur, von Baljel-Stadt, in ibausitrafen verurteilt.
wie n . jeren 3Zucthausjtraf
, Zug, zu lebenslängligem Zudthaus . , .
Inne {(Q Sahren Einftellung in der bhürgerlidhen Ehren: Die Berurteilten haben in der Zeit vom Som-
pol abhigfeit und Yusidhluß aus dem Heere, ; mer 1941 bis Dezember 1942 militärijde Ge:
Be: 7. Landolt Alois, geb. 1921, Fülilier-Ror. 9ejmnife und Unlagen ausgejpäht oder verra:
‚zen: Poral, Student, von und in Näjels, zu 20 Sah: ‚en und zum Teil [id durch Einbrüche widtige
die: ten Zudhthaus, 10 Iahren Einitellung In 1. ilhe Dokumente verjdhafft und ins AWus:
‚fig der bürgerligen Ehrenfähigkeit, Degradation und Mmiülttariiche T ;
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LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
1942 ergangen, die erste Hinrichtung im November
1942 erfolgt. Bis dahin jedenfalls hatten Quaderer
und Roos kaum an eine solche Sanktion für ihr
Treiben gedacht.
Auch im Laufe der Untersuchungshaft waren
Quaderer und Roos, die auch im Gefängnis «in ge-
heimer Verbindung miteinander» standen, offen-
bar noch zuversichtlich. Roos schrieb nämlich aus
ler Haft an seine Mutter, sie solle, um bei Willy
Weh aus Feldkirch noch Geld zu erlangen,
«ruhig ziehmlich übertreiben: Todesurteil od. bes-
tenfalls Lebenslänglich».
Demnach erwartete Roos weder das erste noch das
zweite. Roos wie Quaderer hegten auch gar kein
ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein. Sie sahen sich
selber eher als kleine Ganoven denn als grosse
staatsverräter. Zudem vertrauten sie auf ihre Ju-
zendlichkeit als Milderungsgrund.
Und Quaderer spekulierte darauf, als Liechten-
steiner ebenfalls weniger hart beurteilt zu werden.
In den beiden Tagen vor dem eigenen Todesurteil
war Quaderer auch in den parallel geführten Lan-
desverräterprozessen gegen weitere Mitangeklag-
te, so insbesondere gegen den Deutschen Willy
Weh, im Gerichtssaal vernommen worden. Das
Gericht sprach gegen den abwesenden Weh, den
Xopf des Spionagerings, Anwerber Quaderers und
ebenfalls Nichtschweizer, in der Tat nicht die
Höchststrafe, sondern eine lebenslängliche Zucht-
nausstrafe aus. Mit mehr rechnete Quaderer ge-
wiss nicht, eher mit weniger.
Solche Erwartung hatte sich nun als eitel erwie-
sen. Nun begann das Hoffen auf Gnade. Es dauerte
81 Tage und erfüllte sich nicht.
\IıYARUM KEINE BEGNADIGUNG?
Zwei Tage nach dem Todesurteil erhielten die Mut-
ter Anna und die 22-jährige Schwester Klara, die
wieder in Schaan weilten, von Pflichtverteidiger
Dr. Zollikofer die Nachricht vom Todesurteil. Sie
waren der Verzweiflung nahe. Die Mutter suchte
den Schaaner Rechtsvertreter Louis Seeger auf, der
sogleich das weitere Vorgehen mit dem Pflicht-
verteidiger Dr. Zollikofer eingehend besprach. Zol-
likofer hatte vorsorglich Kassationsbeschwerde
angekündigt. Diese zog er aber wieder zurück, da
keine Erfolgsaussicht bestand. Dafür reichte Alfred
)uaderer über Dr. Zollikofer am 28. März 1944 ein
Gesuch um Begnadigung ein, ebenso tat Roos.
Zuständig für Gnade war die Vereinigte Bundes-
versammlung. Ende März 1944 tagten gerade die
eidgenössischen Räte in der Frühjahrssession.
Doch die Begnadigungsgesuche von Quaderer und
Roos kamen einige Tage zu spät, um noch behan-
lelt werden zu können, da Vorinstanzen involviert
waren. Die am 30. März zusammentretende Ver-
a>inigte Bundesversammlung beriet daher nur das
3Zegnadigungsgesuch eines andern zum Tode ver-
urteilten Landesverräters, des Maijors Ernst Pfister,
Betrübliche Erjheinungen ' diefer |
Beitern Abend verbreiteten Radio Bero: befchiei
münfter fomwie andere Sender die Nachrıcht, ‚tung i
die man heute in allen Zeitungen lcfen kann, dern €
daß in einer Spionageaffaire 3 Liechtenftei- lung ©
ner mitvermickelt maren. von denen zwei zum den 6
Tode, ein Dritter zu Icebenslänglidjem Kerker „Bir
verurteilt murden. So beklagensmert Ddiefe die ih}
Unglücklichen find und fo fchwer fie ihre Ber: Bettler
'‚ehlungen büßen müffen, fo kommen wir dod) als ein
nicht um die Feltftellung herum, daß diefe ver: als be
urteilten Leute fih nicht nur fhmer gegen die den m
Befeke eines ausländifhen Stantes vergan: der er]
gen, fondern fi) auch) gegen ihr Hcimatlano,, nismäß
Ihmer verfehlt haben. Es ift unbeftreithe-
daß die Scrie der Spionagefälle *
uns liegen, in denen ner |
Liechtenjteiner
ml *
Kommentar im «Liechten-
steiner Volksblatt» vom
23. März 1944, unter Ver-
mischtem. In der gleichen
Nummer waren Namen
und Strafen der Haupt-
verurteilten detailliert
publiziert (siehe die voran-
gehende Abbildung)
1
das sie mit 210 gegen 15 Stimmen ablehnte. Un-
günstiges Omen, doch hatte Pfister immerhin als
Offizier Verrat geübt. Die Präsidentenkonferenz der
Räte verzichtete darauf, für die neuerlichen zwei
Gnadengesuche eine ausserordentliche Bundes-
versammlung einzuberufen, und so mussten Qua-
derer und Roos bis zur Sommersession Anfang
Juni warten. Solange konnten sie und ihre An-
gehörigen hoffen. Mit dem ergangenen Urteil wa-
ren sie formell nicht mehr in Untersuchungshaft,
sondern in «Sicherheitshaft», vorerst immer noch
im Bezirksgefängnis St. Gallen. Auf Weisung von
Grossrichter Roth wurden sie am Nachmittag des
4. April 1944 einzeln in die kantonale Strafanstalt
St. Jakob, die im Bereich des heutigen Olma-Areals
lag, transferiert, bis zur Erledigung des Begnadi-
gungsgesuchs.
Mutter und Tochter unternahmen verzweifelte
Rettungsschritte. Die Mutter bat die liechtensteini-
sche Regierung eindringlich, diese möge ebenfalls
ein Gnadengesuch an den Bundesrat zuhanden der
Bundesversammlung einreichen und dazu auch
eine Befürwortung durch den Fürsten erlangen. Ihr
Sohn sei verleitet worden, durch schlechte Kame-
raden und durch einen Verwandten - gemeint war
Weh -, der das Vertrauen der Familie schändlich
missbraucht habe. Sie sei sicher, dass ein Begna-
digungsgesuch des Landesfürsten und der liech-
tensteinischen Regierung angesichts der «ausge-
zeichneten Beziehungen» mit den schweizerischen
Behörden von Erfolg begleitet sein werde. So kön-
ae ihrem Sohn doch das Leben erhalten bleiben.
Zugleich gelangte die Schwester, die wegen des
ıhrem Bruder drohenden Schicksals unter Angst-
zuständen litt, flehend an den Fürsten. Sie bat um
Audienz. Sie erhoffte des Fürsten persönliche Für-
sprache bei den Schweizer Behörden.
Fürst Franz Josef II. gewährte keine Audienz, er
iess das schwesterliche Bittschreiben der Regie-
rung übergeben. Er beschied, eine allfällige Inter-
vention in Bern komme nur durch die Regierung in
crage. Mit einem Vorstoss der Regierung in Bern
zugunsten von Quaderer war der Fürst aber ein-
verstanden. Zu einem eigenen Schritt in Bern zu-
zunsten des zum Tode verurteilten Liechtensteiners
war Franz Josef nicht geneigt, er hatte — wie er
dem Verfasser später als Zeitzeuge sagte - mit den
in der Schweiz verurteilten Verrätern und auch
mit Alfred Quaderer «gar kein Mitleid». Wäre die
Audienz für die Schwester zustande gekommen,
nätte er sich vielleicht doch erweichen lassen.
Der Verurteilte seinerseits richtete Anfang April
1944 ein kurzes Schreiben an den Fürsten. Darin
entschuldigte er sich als «Landeskind» beim Fürs-
ten, dem «Landesvater», für die seinem Vaterlande
zugefügten «Beleidigungen», und versprach:
«Ich will sühnen & sühne als Liechtensteiner mit
Schneid & wie es sich gehört.»
In diesem Schreiben an den Fürsten dankte Quade-
rer zugleich der Regierung. Der wohl auf Anraten
des Verteidigers abgefasste Brief diente offenbar
auch den Anstrengungen zur Begnadigung. Diese
hätte Umwandlung in lebenslängliches Zuchthaus
und irgendwann doch wieder Entlassung bedeutet.
Solches und nicht den Tod hatte der Verurteilte vor
Augen, wenn er von Sühne schrieb.
Die liechtensteinische Regierung teilte im April
der Schwester mit, die Regierung habe
«im Einvernehmen mit Seiner Durchlaucht dem
Fürsten das uns Mögliche wegen der Begnadigung
Ihres Bruders unternommen».
In der Tat intervenierte die Regierung beim Poli-
tischen Departement in Bern zugunsten einer Be-
gnadigung. Regierungschef-Stellvertreter Dr. Alois
Vogt gab dort auch das Bittschreiben der Mutter
zur Einsicht.
Begnadigungsgesuche gingen einen festgelegten
Weg über mehrere Stationen, und sie wurden ein-
gehend erwogen. Der Bundesrat befasste sich
damit, und zwar aufgrund von Bericht und Antrag
des Militärdepartements. Dieses holte seinerseits
vorgängig die Stellungnahme des Armeeauditors,
des Leiters der ganzen Militärstrafrechtspflege, ein.
Darauf hatte die spezielle Begnadigungskommis-
sion von Nationalrat und Ständerat das Gesuch
zu beraten. Alle genannten beratenden Behörden
stellten Antrag. Schliesslich beschlossen definitiv
über die Begnadigung alle National- und Stände-
räte gemeinsam, als Vereinigte Bundesversamm-
‚ung tagend, gemäss Bundesverfassung zuständig.
dan
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
Verfolgen wir den Gang von Quaderers Begnadi-
gungsgesuch genauer.
In seinem persönlichen Begnadigungsgesuch
machte Quaderer sein jugendliches Alter, seine
ausländische Nationalität und besonders sein um-
fassendes Geständnis, das zur Aufklärung der
ganzen Spionagesache sehr beigetragen habe, gel-
tend. Er hoffte dadurch auf Strafmilderung, jeden-
falls Umwandlung des Todesurteils,
Sein Pflichtverteidiger, Dr. Zollikofer, der schon
im Prozess auf lebenslanges Zuchthaus statt der
Todesstrafe plädiert hatte, argumentierte zuhan-
den des Armeeauditors für Begnadigung: Die Be-
gnadigungsinstanz dürfe den Fall anders behan-
deln als das Gericht, sie könne «rein menschliche
Werte und ethische Momente berücksichtigen», sie
dürfe Gnade walten lassen, ohne die Autorität des
Gerichts zu verletzen. Zollikofer wies darauf hin,
dass mit Quaderer erstmals ein Ausländer durch
ain Schweizer Militärgericht zum Tode verurteilt
würde. Bezüglich von Kurt Roos, den Zollikofer
abenfalls vertrat, verwies er ebenfalls auf dessen
volles Geständnis, auf die Reue sowie den -— für
Quaderer freilich belastenden - Umstand,
«der junge Roos habe völlig unter dem Einfluss des
Quaderer gestanden».
Der Armeeauditor - dies war damals Oberstbriga-
dier Jakob Eugster - referierte diese Verteidiger-
argumentation zwar dem EMD weiter, beantragte
aber ebenfalls Ablehnung der Gesuche von Quade-
cer wie von Roos.
Das Eidgenössische Militärdepartement (EMD)
wiederum erstattete seinerseits am 24. April 1944
Bericht und Antrag zuhanden des Bundesrates.
EMD-Vorsteher war seit Ende 1940 der freisinnige
Bundesrat Karl Kobelt. Aus dem Rheintal stam-
mend und in St. Gallen aufgewachsen, war Kobelt
1933 bis 1940 St. Galler Regierungsrat, 1939/40
auch Nationalrat gewesen. Im Militär war er Ge-
neralstabsoberst. Das EMD schloss sich dem An-
irag des Armeeauditors an und empfahl dem Ge-
samtbundesrat ebenfalls Ablehnung der beiden
Gnadengesuche. Es argumentierte gegenüber den
Überlegungen des Verteidigers - die es ebenfalls
weitergab -, die Begnadigungsbehörde dürfe der
Strafjustiz nicht in den Arm fallen, besonders wenn
3S um die höchsten Güter, um Erhaltung und Ver-
‚eidigung des Staates selbst, gehe. Das Territorial-
gericht 3b habe bei Quaderer den Urteilsspruch
«wohl erwogen», indem es nämlich unter den zahl-
zeichen im gleichen Verfahren Beurteilten den
‚‚iechtensteiner Josef Arnold Vogt, den Italiener
Pietro Rossi und die zwei Schweizer Funkersolda-
ten Willy Hürlimann und Georg Ursprung nur zu
ebenslangem Zuchthaus verurteilt habe, während
aber für Quaderer, so das EMD, galt:
«Die Schwere der Verfehlungen und das verletzte
Interesse verlangen die volle Anwendung der
Schärfe des Gesetzes und damit den Vollzug der
Todesstrafe.»
Und nach ähnlichen Erörterungen zu Roos, des-
sen «raffinierte», «von einem stark verbrecheri-
schen Willen» zeugende Taten ebenfalls wesentlich
schwerer wögen als jene der lebenslänglich Ver-
urteilten, schloss das EMD seine ablehnende Stel-
lungnahme zu den Gnadengesuchen von Quaderer
und Roos buchstäblich vernichtend:
«Staat und Armee können nur durch die Vernich-
sung solch niederer und gemeiner Kreaturen vor
weiterem Schaden geschützt werden. Milde und
Gnade liesse sich hier nicht rechtfertigen und
müsste als Schwäche ausgelegt werden.»
Auch das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepar-
ijement (EJPD) war zur Stellungnahme zuhanden
des Bundesrates eingeladen, es erstattete einen
«Mitbericht» zum obigen EMD-Antrag. Geführt
wurde das EJPD seit 1941 vom Konservativen
Bundesrat Eduard von Steiger. Er war Berner und
Exponent der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei
BGB, heute SVP). Der EJPD-Mitbericht argumen-
terte: Es stelle sich die Frage, ob Gründe zur Mil-
de, um «Gnade für Recht zu setzen», vorlägen. Die
schweizerischen Strafgesetze gäben den Richtern
bereits weitgehende Möglichkeiten, die Strafe ab-
zustufen. Die Verletzungen militärischer Geheim-
nisse durch Quaderer seien «ausserordentlich
schwer». Er habe von Juni 1941 bis zum 1. Januar
1943 spioniert, über eineinhalb Jahre lang, aktiv,
initiativ, Komplizen werbend, für eine Spionage-
1Zu
organisation, deren Zweck ihm bekannt war. Be-
sonders schwer wögen die Einbrüche ins Platz-
kommando sowie die Beschaffung und Weitergabe
von Angaben über den Chiffrierverkehr, über
Funkstationen, über den Standort einer Telephon-
station des Armeestabes und über den Röeduit-
standort des Armeehauptquartiers im Kriegsfall.
Trotz seines jugendlichen Alters von 21 Jahren
beim Beginn seines Tuns sei sich Quaderer der
Tragweite seiner Verrätereien bewusst gewesen.
Man könne ihn daher weder als Verleiteten noch
als jungen Unbesonnenen ansehen. Bezüglich der
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ationsmittel Ser Gemeinden Warten, Sevelen, Bud
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Das Neuejte vom
Der Bundesrat beantragt Ablehnung derıde ut]
Begnadigungsgejuhe der beiden zum Tode ver-|reig.
urteilten Landesverräter Roos und Qua:| GSeit
derer. in Mil
Der Bundesrat faßte einen Bejhluß über dielI“ NE
vermehrte Förderung der Pferde: und Gene
Maultierzudght. diejer £
Das eidgenöfliide Volkswirtfhaftsdepartement IN der
hat die Erpertenfommijfion für die Einführung. Im !
der Alters: und Hinterlalfjenenverfiderung zu: Lem b
jJammengejegt. Rräfident ijt Dr. Arnold Sarer, rullilde
Direktor des Bundesamtes für Sozialverliche: Die |
FUNG: indijder
Britijde Flugzeuge unternahmen Angriffs: anbin g
Tüge gegen Ludwigshafen, Nordweilt: IHluk gı
Der Bundesrat beantragt
Ablehnung. «W&0» vom
17. Mai 1944
liechtensteinischen Nationalität Quaderers fährt
das EJPD fort:
«Als verfehlt würden wir es sodann betrachten,
dem Umstand entscheidende Bedeutung beizumes-
sen, dass Quaderer Liechtensteiner ist.»
Dies wäre anders, wenn ein Ausländer zugunsten
seines eigenen Landes handelte, was bei Quaderer
indes nicht zutreffe, denn ein Interesse, die schwei-
zerische Wehrkraft zu kennen, um gegen sie auf-
treten zu können, besitze Liechtenstein nicht,
«im Gegenteil ist für diesen Staat die Selbständig-
keit und Neutralität der Schweiz wohl kaum von
geringerem Wert wie für diese selbst.»
Quaderer habe aber auch nicht für Liechtenstein,
sondern für den deutschen Nachrichtendienst spio-
niert. Für Quaderer sei die Schweiz «Gastland»,
mit seinem Heimatland durch den Zollanschluss-
vertrag wirtschaftlich weitgehend verbunden. Wür-
den solche in der Schweiz wohnende Ausländer
Iurch mildere Bestrafung «privilegiert», so müsste
dies das Ausland geradezu animieren, Spione die-
ser Kategorie anzuwerben. So pflichtete die von
Bundesrat Eduard von Steiger unterzeichnete
EJPD-Stellungnahme vom 12. Mai 1944 ebenfalls
dem EMD-Antrag bei, die zwei Begnadigungsgesu-
che seien abzulehnen.
Wenige Tage darauf standen die Gesuche Qua-
derer und Roos auf der Traktandenliste der
wöchentlichen Bundesratssitzung. Der Bundesrat
tagte am 16. Mai 1944 von 9 bis 13.30 Uhr. Alle Mit-
glieder der schweizerischen Landesregierung wa-
ren anwesend: Bundespräsident Stampfli, die Bun-
desräte Pilet-Golaz, Etter, Celio, von Steiger, Kobelt,
Nobs. Zu erledigen waren 37 grosse und kleinere
Geschäfte. Vor der Behandlung der zwei Begnadi-
zungsgesuche wurde unter anderem der Truppen-
ablösungsplan des Heeres für die Sommermonate
1944 beraten und verabschiedet, wenige Traktan-
den nach der Begnadigungssache wurde ein 57-
Millionen-Kredit zur Flugzeugbeschaffung bewil-
ligt, dann ging es noch um die ausserordentliche
Finanzvollmacht, Pferde- und Maultierzucht, Hin-
terrheinwasserkräfte und um die Botschaft zu Ge-
schäftsbericht und Jahresrechung der SBB. Dazwi-
schen das kurze Traktandum der Begnadigungsge-
15. bis 18. Jahrhundert:
Nutzungsstreit um die gemeine
Mark - Entstehung der
Gemeindegrenzen
Allmähliches Wachstum der Bevölkerung und der
Siedlungen liess das ursprünglich unbeschränkte
Gut der gemeinen Mark mit der Zeit zum be-
schränkten Gut werden. Bei der Nutzung des
Gemeinlandes kam es zu Zusammenstössen zwi-
schen den benachbarten Dorfgenossenschaften.
Nutzungsgrenzen wurden festgelegt. Aus fortge-
setzten Streitigkeiten um die Nutzung resultierte
schliesslich die Aufteilung der gemeinen Mark an
die einzelnen Nachbarschaften. Im folgenden soll
dieser Prozess anhand der Nutzungs- und Besitz-
verhältnisse im Schaaner Kirchspiel vom 15. bis ins
18. Jahrhundert verfolgt werden.
DER T A L R A U M
DIE GRENZEN NACH AUSSEN
Im Talraum waren die Grenzen des Kirchspiels
nach aussen mit Ausnahme des unsicheren und
stets umstrittenen Grenzverlaufs am Rhein im
wesentlichen seit langem abgesteckt. Nur verein-
zelt kam es zu Nutzungskonflikten mit den Nach-
barn. So entschied 1481 Freiherr Sigmund von
Brandis Streitigkeiten zwischen den Kirchspielen
Eschen-Bendern und Schaan-Vaduz um Holznut-
zung und Viehweide hinter Planken. Das den Kon-
fliktparteien künftig alleinig zugehörende sowie
das von ihnen gemeinsam zu nutzende Gebiet
wurde durch eine mit Marksteinen gesicherte
Grenze festgelegt.6
In einer Urkunde aus dem Jahre 1497 über
Weidestreitigkeiten zwischen Triesen und den Wal-
lisern am Triesnerberg wird die offensichtlich nie
umstrittene Grenze zwischen Vaduz und Triesen
genannt: «... ab wert gegen Trysen Rüffen Egg jn
A<man>schlinnen zun unnd dann daselben grede
usshin jn das tobel, das zwüschend den Vadutzer
und den Tryssneren schnürrichtigs usshin gat . . .» . 7
1592 wurden von Graf Karl Ludwig von Sulz
Streitigkeiten zwischen Schaan-Vaduz und den
Leuten im Rotaboda am Triesnerberg um Viehwei-
de und Obstnutzung im Erbi entschieden. Auch
hier wurde das den Konfliktparteien künftig allei-
nig zugehörende sowie das von ihnen gemeinsam
zu nutzende Gebiet durch eine mit Marksteinen
gesicherte Grenze festgelegt.8
DIE EIGENTUMS- UND NUTZUNGSVER-
HÄLTNISSE INNERHALB DES KIRCHSPIELS
Zunächst ist auf die Sonderstellung von Planken
innerhalb des Markverbands hinzuweisen. Schon
früh gab es Streitigkeiten, in denen Planken den
Dörfern Schaan und Vaduz entgegen stand. So wies
ein von Graf Rudolf von Sulz 1513 besiegelter Ver-
gleich Vaduz und Schaan das Recht zu, «wie bis-
her» die Plankner Wälder in Bann zu legen. Die
Plankner durften lediglich Brenn- und Bauholz für
eigenen Bedarf schlagen, Bauholz nur an Vaduz
und Schaan verkaufen. Rodungen durften sie nur
mit Bewilligung der Vaduzer und Schaaner vorneh-
men. Schliesslich wurden auch der Weidgang und
das Obstleserecht für die Plankner geregelt.''
1596 klagte Planken wegen des Obstleserechts
erneut gegen Schaan und Vaduz. Planken wurde
das Recht innerhalb festgelegter Grenzen zugestan-
den. 1 0
Holz-, Weide- und andere Nutzungsrechte wa-
ren auch später bis zur Aufhebung der Mark und
Aufteilung des Gemeinbesitzes Gegenstand einer
Reihe von Konflikten zwischen Planken und den
beiden Dörfern im Tal. Planken blieb aber bis
dahin mit der Mark verbunden. Wenn im Kirch-
spiel Gemeinbesitz «eingelegt» und zur privaten
Nutzung ausgegeben wurde, erhielt jeweils auch
Planken seine Gemeindsteile zugewiesen. So be-
schlossen 1738 die Gerichtsleute und Geschwore-
nen von Vaduz und Schaan, jeder der 28 Haushal-
tungen von Planken 200 Klafter Land zuzuteilen."
Noch 1794 teilten die Bevollmächtigten von Schaan
und Vaduz der Gemeinde Planken auf ihr Ansu-
chen hin zu bisherigen 11 an der «Melchegg» gele-
genen Gemeindeteilen 17 neue zu . 1 2
Die erwähnten Streitfälle sowie der Umstand,
dass Planken weder in den Ordnungen über Wald-
und Aunutzung noch bei Alpkäufen , -Verkäufen
8
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
suche, die offenbar nicht oder kaum diskutiert wur-
den. Das Bundesrats-Protokoll hält dazu lapidar
fest, dass der Bundesrat «antragsgemäss» —- näm-
lich EMD und EJPD folgend — beschloss:
«Der Bundesrat beantragt der Begnadigungskom-
mission zu Handen der Bundesversammlung die
Abweisung der beiden Begnadigungsgesuche Qua-
derer und Roos.»
Die nächste Behandlung erfolgte in der Begnadi-
gungskommission der eidgenössischen Räte. Die
Kommission versammelte sich am Vormittag des
25. Mai 1944 unter dem Vorsitz ihres Präsidenten,
Nationalrat Brawand aus Grindelwald. Der Kom-
mission waren die Akten zur Einsicht verfügbar.
Das Ergebnis der Beratungen —- über die kein Proto-
koll geführt wird - wurde gleichentags amtlich mit-
geteilt:
«Die Kommission beschloss, der Vereinigten Bun-
desversammlung die Abweisung der Gesuche zu
beantragen.»
Zehn Tage später begann in Bern die Sommerses-
sion der eidgenössischen Räte, am Montag, 5. Juni.
Am Dienstag wurde die Session fortgesetzt, es war
der 6. Juni 1944, in der Frühe hatte in der Nor-
mandie die Invasion begonnen. Am nächsten Tag,
Mittwoch, 7. Juni, dem zweiten Invasionstag und
dritten Sessionstag der eidgenössischen Räte, tra-
ten diese zur Vereinigten Bundesversammlung zu-
sammen. Die gemeinsam im Bundeshaus im Natio-
nalratssaal anwesenden 226 National- und Stän-
deräte liessen sich von der Begnadigungskom-
mission über die Fälle von Alfred Quaderer und
Kurt Roos und ihre Begnadigungsgesuche ins Bild
setzen sowie zusätzlich von Vertretern der Armee
und des Eidgenössischen Militärdepartements über
Fragen militärischer Geheimniswahrung informie-
ren. Dann wurde abgestimmt, geheim. Man folgte
den Anträgen von Bundesrat und Kommission: Bei
Quaderer stimmten nur 15 Räte für Begnadigung
was lebenslängliches Zuchthaus bedeutet hätte —
und 211 gegen Begnadigung, also für Hinrichtung.
Bei Roos fiel das Ergebnis eng aus: 104 Stimmende
wollten Milde walten lassen, doch 120 lehnten Gna-
de ab.
(er
u
ae Das Neuefjte vom Tage
ves Die eidgenöffilge Begnadigungstommilfion
„er iOlägt der Vereinigten BundesverjJammlung
or: Ybweifjungder Begnadbigungsgefus
u He der beiden zum Tode verurteilten Landes:
Die | Pe rräter Quaderer und Roos vor.
WIE| mn oinem Sondercommunique gibt das allis
Die Begnadigungskommis-
sion schlägt Abweisung
vor. «W&0O» vom 26. Mai
1944
Die Begnadigungsgefuche
Quaderers und Roos’ abgelehnt
Bern, 7. Juni. ag. Umtlid wird mitgeteitz-
Die Vereinigte Bundesverjammlung hat in ihrer
Sigung vom 7. Juni 1944 die Begnadigungs-
gejuche der von einem Militärgeright wegen Ver-
räterei .z3um Tode durdy Erjhieken verurteilten
AUngeflagten Alfred Hermann Quabderer und
Rurt Johann Roos abgewiefjen. Quade:
rer und Roos gehörten einer zum Zwede der
Spionage zuguniten eines friegführenden Staa:
tes gegründeten Organijation an. Beide haben
während etwa anderthalb Jahren in voller Ein:
icÖt in die Verwerflidhkeit ihrer Handlungen
de Werke und Maßnahmen unjerer Landesvertei:
tt: digung ausgefundjdHaftet und an das Yuslank
an: | verraten. Sie verfhafiten lich @- 4 uurd) bie
ere* Teils biejer Unaahe- „..wu u der Militärverwaltung
18€ Drinee- esnyegend orientiert.
x6s | Der abweijende EntjHeid wurde mit folgen:
vie DEN Stimmenzahlen gefällt: Bei Quabderer
der für die AWblehnung 211, für bie Begnadigung
ınd | 15 Stimmen, bei Roos für die Wblehnung 120,
und|für die Begnadigung 104 Stimmen
nn
‚642
Amalmal Clianoraların
Die Vereinigte Bundes-
versammlung beschliesst
am Mittwoch, 7. Juni
1944, Abweisung der
Begnadigungsgesuche.
Amtliche Mitteilung im
«W&O» vom 9. Juni 1944
v6 mil
Das Stimmenverhältnis lag bei Quaderer im
iblichen Rahmen, praktisch gleich wie im Falle des
arwähnten Verräters Major Pfister Ende März
1944. Das Stimmenverhältnis bei Roos aber stellte
mmerhin den knappsten Ablehnungsentscheid bei
Landesverräter-Gnadengesuchen überhaupt dar.
ie Parlamentarier stuften Quaderers Vergehen als
noch schwerer ein als dasjenige von Roos, der jün-
ger und von Quaderer hineingezogen war. Zur Be-
gnadigung von Roos reichte es dennoch nicht.
Alles war vergeblich gewesen, das Gnadenge-
such Quaderers und des Pflichtverteidigers Zolli-
kofer, die verzweifelten Bemühungen der Mutter
Anna und der Schwester Klara beim Fürsten und
jei der Regierung, die Intervention der liechten-
steinischen Regierung in Bern in Absprache mit
dem Fürsten. Als zu schwerwiegend werteten nach
dem Gerichtsurteil und den Anträgen von Bundes:
rat und Begnadigungskommission auch die eid-
genössischen Volks- und Ständevertreter die Ver-
:atshandlungen.
Die Bundesversammlung entschied übrigens in
allen Fällen ausser einem ebenso, die Gnadenge-
suche von zum Tode verurteilten Landesverrätern
wurden durchwegs abgelehnt, erst im März 1945,
kurz vor Kriegsende, wurde schliesslich ein junger
“ranzose begnadigt.
DIE HINRICHTUNG AM 7. JUNI 1944
Noch am selben Mittwoch, 7. Juni 1944, an dem
ler Beschluss der Bundesversammlung über Nicht-
jegnadigung gefasst war, erfolgte die Hinrichtung
von Alfred Quaderer, 24 Jahre, und von Kurt Roos,
22 Jahre alt.
Schon am Vortag, dem 6. Juni, war Alfred Qua-
derer vorsorglich - nämlich für den Fall eines
ıegativen Entscheids der Bundesversammlung
a1achmittags durch zwei St. Galler Kantonspolizis-
ten aus der Strafanstalt St. Jakob in St. Gallen in
den Kanton Zürich überführt und der Zürcher Kan-
;onspolizei übergeben worden, offenbar in Win-
:;erthur, wie eine Angabe auf der Überführungs-
weisung annehmen lässt.
Die ungewöhnliche Überstellung in den Kanton
Zürich war nötig geworden, weil die allfällige Voll-
streckung im Kanton Zürich stattfinden musste,
durch «Truppen aus der Innerschweiz». Quaderer
ınd Roos hatten in Zug gewohnt, Roos war Soldat
n der Innerschweiz gewesen. Bei einem verurteil-
ten Armeeangehörigen hatten Soldaten aus der
gleichen Truppeneinheit ihren Verräterkameraden
zu exekutieren. Bundesrat Kobelt als EMD-Vorste-
ner und Oberstbrigadier Eugster als Armeeauditor
hatten ihrerseits bereits Oberst Thomann, den
Kommandanten des Gebirgsinfanterie-Regiments
37, für den Fall, dass die Bundesversammlung die
Begnadigung ablehne, mit dem Vollzug der Todes-
strafe an Quaderer und Roos auf den Abend des
7. Juni beauftragt. Aus Thomanns Regiment war
das Exekutionskommando zu stellen, möglicher-
weise aus der Stabskompanie 48, der Roos an-
gehörte.
Auf der Überweisung stehen zwei auffällig
herausgehobene Vermerke: «transportfähig» und
«Vorsicht (englisch schliessen)». Das letztere ist —
wie eine Nachfrage des Verfassers bei der Landes-
oolizei in Vaduz und von dort bei der Kantons-
jolizei Zürich ergeben hat - eine Fesselungsart, die
seinerzeit beim Transport von Häftlingen mit gros-
sem Fluchtrisiko öfter angewandt wurde und zu-
gleich unauffällig war: Eine dünne Kette war mit
einem Schloss am einen Handgelenk und mit
einem zweiten Schloss am gegenüberliegenden
Fussgelenk festgemacht, dabei lag die Kette unter
lem Rockärmel, die Hand steckte in der Hosen-
jasche, von wo die Kette durch ein Loch durch das
andere Hosenbein zum Fuss hinablief, und zwar so
straff, dass Gehen nur in leicht gebückter Haltung
nöglich war. Flucht war unmöglich, obwohl die
zweite Hand frei war. Aussenstehende erkannten
kaum, dass ein Schwerverbrechertransport vor
sich ging. In dieser Weise wurde Alfred Quaderer,
den man mit Grund als fluchtgefährdet einstufte,
«englisch» gesichert von St. Gallen nach Zürich
gebracht. Die Polizei wollte kein Risiko und kein
\ufsehen.
Alfred Quaderer war zweifellos klar, was diese
Verlegung bedeutete. Ihm wurden alle seine weni-
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
gen Effekten mitgegeben, im kargen Verzeichnis
ist neben Pass, Ausländerausweis, Kleidungsstü-
cken, Schreibzeug und anderen kleinen Utensilien
mit Bleistiftschrift angefügt: «1 Testament». Quade-
rer und Roos verbrachten die letzte Nacht und den
letzten Tag, an dem in Bern über ihr Leben ent-
schieden wurde, in Zellen der Zürcher Kantons-
polizei.
Die Hinrichtung geschah am Mittwoch, 7. Juni,
abends um acht Uhr, wohl in einem Wald —- es hiess
auch, in einer Kiesgrube —-, offenbar in der Umge-
bung der Stadt Zürich; der Todesschein ist vom
Zivilstandsamt der Stadt Zürich ausgestellt worden
und nennt «Zürich» als Todesort. Quaderer und
Roos wurden miteinander exekutiert. Die Hinrich
t(ungsprotokolle zu Quaderer und Roos sind im
Bundesarchiv zur Zeit (1999) zwar nicht auffind-
bar. Doch das Procedere war durch bundesrät-
liche Verordnung im Detail reglementiert. Zwei
durch Noll publizierte Protokolle anderer Hinrich-
tungen sowie Meienbergs Recherchen zur Er-
schiessung des Landesverräters Ernst Schrämli
bestätigen, dass durchwegs genau nach Reglement
verfahren wurde. Daher wissen wir, wie sich auch
die Hinrichtung von Quaderer und Roos abgespielt
haben muss.
Anwesend mussten gemäss Verordnung Sein:
Der Regimentskommandant, hier Oberst Thomann
vom Gebirgsinfanterie-Regiment 37; ein Polizeioffi-
zier des Vollzugskantons, hier von Zürich; dann
vom Territorialgericht 3b, welches das Urteil gefällt
hatte, der vorsitzende Grossrichter, hier Oberst-
leutnant Hans Roth von Zürich, der Auditor (An-
kläger), hier Major Paul Popp von St. Gallen, der
Gerichtsschreiber, hier Hauptmann Ernst Matter
von Münchenstein, und der Pflichtverteidiger, hier
Dr. Rolf Zollikofer; dazu das mit Camion heran-
geführte Erschiessungskommando, nämlich ein
Offizier mit 20 Unteroffizieren und Soldaten des
Gebirgsinfanterie-Regiments 37, wohl aus der
Stabskompanie 48, in der Roos Aktivdienst geleis-
tet hatte; ein Offizier der Heerespolizei mit zwei
(hier sicher vier) Heerespolizisten; zwei Militär-
ärzte; ein Geistlicher. Nachdem alles bereit stand,
brachten die Heerespolizisten die abseits gehal-
tenen Verurteilten herbei, verbanden ihnen die
Augen, fesselten sie an Stämme oder Pfähle, der
arossrichter verlas die Urteilsdispositive samt
Rechtskraft- und Vollzugsvermerken, stellte durch
Befragen der Verurteilten nochmals deren Identität
fest, ermächtigte darauf den Regimentskomman-
Janten, die Hinrichtung durch Erschiessen vorneh-
men zu lassen, der Feldprediger leistete letzten
Zuspruch, der Regimentskommandant gab gemäss
lem in seinen Händen liegenden schriftlichen
Vollstreckungsbefehl des Eidgenössischen Militär-
lepartements vom selben Tage den Befehl zum
Erschiessen an den Offizier des Pelotons, dieser
erteilte das Kommando an die 20 Mann, die bis da-
nin in einer Reihe, jeder eine scharfe Patrone im
Karabiner, mit dem Rücken zu den Verurteilten ge-
wartet hatten, sich nun exakt nach den Befehlen
umdrehten, anlegten, auf das Kommando «Feuer»
gleichzeitig schossen, 20 Schüsse in einem, auf die
Herzgegend, hier verteilt auf die zwei Opfer, diese
sanken in die Stricke, das Erschiessungskomman-
do marschierte sogleich ab, selber stumm, die zwei
Ärzte stellten den Tod fest - wäre er nicht eingetre-
ten, hätte der Pelotonoffizier noch mit der Pistole
den Todesschuss vornehmen müssen —, die Ärzte
geurkundeten den Tod, der Kommandant erklärte
die Vollstreckung des Urteils für beendet und ent-
liess die Urkundspersonen.
Das Ganze dauerte vom Eintreffen auf dem
Richtplatz bis zur Exekution knapp dreissig Minu-
‚en, für die Verurteilten vom Heranführen bis zum
Fod etwa zehn Minuten. Für Alfred Quaderer wie
tür Kurt Roos ist in den Akten im Bundesarchiv und
nn Zürich die exakte Vollstreckungszeit vermerkt:
«20 Uhr 12».
Quaderer und Roos haben sich im Unterschied
zu manchen anderen zuletzt keineswegs gefasst
verhalten. Dies wissen wir aus der Aussage eines
bei ihrer Hinrichtung Anwesenden. Sein Zeugnis
ist öffentlich überliefert, wenn auch etwas ver-
schlüsselt, nämlich bei Niklaus Meienberg. Dieser
befragte 1974 Dr. Rolf Zollikofer zu «Ernst S5.»,
dem ersten hingerichteten Landesverräter Ernst
Schrämli. Zollikofer hatte Schrämli ebenfalls amt-
.ich verteidigt und dessen Exekution beigewohnt.
‚Z9
5 Infertionsgebühr: 1lpaltige MiNlimeters MP
zeile Lokalrayon 7 Rp., Kanton, Schweiz
nn 9 Rp., Ausland 11 Ry., Reflamen 22 Rp.
„d Alt St. Zohanır und Anzeigeblatt von Sargans
«Am Mittwochabend
lingerichtet». W&O vom
J. Juni 1944
(eins
Ge:
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19-
Onti-
Diele Nummer umfakht 8 Seiten
Der Nationalrat bejakte ih aud in feiner
zejtrigen Sikgung mit dem bundesrätliHen Ge:
cHäftsbericht 1943, während der Ständerat einige
veitere Vollmacdhtenbe/HLülle genehmigte.
Die zum Tode verurteilten LQandesverräter
Roos und Quaderer find am Mittwod:»
ıbend hingerichtet worden.
Der gejamte Eijenbahnverfehr auf der Mont
Tenis-Qinie ijlt tikklgelegt.
Köln bildete das Ziel eines hritijHen Nacht:
ıngrijfis. Na deutiden Meldungen Lolen 30
piermotorige Bomber abgejdhoflen worden fein.
MW Das alliierte Oberfommando gibt die
Bel Sreunma alı 5alı Nina awrita Malta Nam Ya
Schrämli habe sich, erinnerte sich Zollikofer, auf
dem Hinrichtungsplatz nicht gesträubt, andere
dagegen, so überliefert Meienberg Zollikofers bei-
läufige Bemerkung,
«hätten geschrien und getobt in ihren letzten Mo-
menten, Q. und R. zum Beispiel».
«Q. und R.» - das waren Quaderer und Roos, deren
Erschiessung Zollikofer als Verteidiger ebenfalls
von Amtes wegen mitansehen musste. Sie nahmen
ihr verschuldetes Schicksal nicht an, sie wollten
‚eben, Verzweiflung brach angesichts des Todes
durch.
Die Leiche jedes Hingerichteten wurde an-
schliessend auf dem Platz in den wegen des Blutes
mit Sägemehl ausgestreuten Sarg gelegt, dieser
wurde vernagelt.
An jenem Mittwoch, 7. Juni 1944, dem Tag der
Hinrichtung von Quaderer und Roos, war es kalt
gewesen, wie den damaligen Zeitungen zu entneh-
men ist, in den Bergen war Schnee gefallen. In der
Nacht auf Donnerstag regnete es, es war Fronleich-
ı1am, die Dreischwestern trugen «weissen Flor»
Der Feldgeistliche teilte Quaderers Tod dem
Schaaner Pfarrer Tschuor mit. Dieser musste die
Nachricht der Mutter und der Schwester überbrin-
gen. Sie verwanden sie zeitlebens kaum. Sie wa-
ren, des Sohnes und Bruders beraubt, schuldlos
mit bestraft.
Die Angehörigen konnten den Toten am Wohn-
ader Heimatort begraben lassen oder aber auch die
Bestattung den Hinrichtungsbehörden überlassen.
Alfred Quaderer ist weder an seinem Heimatort
schaan, wo Mutter und Schwester nun wohnten,
ıoch an seinem Wohnort Zug beerdigt. Er wurde
zielmehr - wie die Recherchen beim Zivilstandsamt
ler Stadt Zürich ergeben - in Zürich begraben, auf
lem Friedhof Sihlfeld, Grab Nr. 95, gewiss eilig und
still. Aus dem Umstand, dass die entsprechende
Mitteilung durch das Armeekommando, Abteilung
(ür Sanität, ans Zivilstandsamt Zürich erfolgte (am
15. Juni 1944), darf man schliessen, dass die Be-
stattung von der Armee veranlasst wurde, wenn
auch im Einvernehmen mit der Mutter Anna Qua-
Jlerer geb. Rüegg, die selber aus Zürich stammte.
Sie und die Verwandten wünschten wohl Aufsehen
in Schaan wie in Zug zu vermeiden.
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
4
Information der Öffentlichkeit
und Reaktionen
Wurde die Öffentlichkeit in der Kriegszeit über den
Spionageprozess, das Urteil und die Hinrichtung
Quaderers informiert? Auch in Liechtenstein? Und
wenn, wie weit? Sind Reaktionen feststellbar, ins-
pesondere im Fürstentum? Gab es Regungen des
Mitleids, Aufforderungen zur Milde? Oder Rufe
ıach Strenge? Wurde das Urteil kommentiert, kri-
tisiert oder bejaht?
Die Interessenlage bezüglich einer Veröffent-
ıichung von Spionageurteilen war für die Schweiz
anders als für Liechtenstein. In der Schweiz be:
stand ein vitales Interesse daran, aktive oder
jotentielle Verräter abzuschrecken und den Wider-
standsgeist zu stärken. Um solche Effekte zu er
zielen, musste die Öffentlichkeit über Verräter und
deren schwere Bestrafung informiert werden.
In Liechtenstein dagegen waren Enthüllungen
über Landsleute, die im Solde Hitlerdeutschlands
Spionage gegen die Schweiz trieben, überaus pein:
lich, weil dies sowohl Verwandte und Bekannte in
Verdacht zog als auch den kleinen Staat selber ins
Zwielicht der Unzuverlässigkeit gegenüber der
schützenden Schweiz tauchte.
In der Schweiz erfolgten «amtliche Mitteilun
gen» über die Spionageurteile. Die Namen der Tä-
ter und ihre Strafen wurden in den Radionach-
richten verlesen und in den Schweizer Zeitungen
veröffentlicht. Auch das Ergebnis der Stationen,
welche die Begnadigungsgesuche durchliefen, so
wie die Hinrichtungen wurden in der Presse mit-
geteilt, wie zu zeigen sein wird.
Die beiden Liechtensteiner Zeitungen informier-
ten über die in der Schweiz verurteilten Spione
anterschiedlich. Das «Liechtensteiner Volksblatt»
nannte ihre Namen. Das «Liechtensteiner Vater-
land» verschwieg sie. Stellung nahmen beide Blät
ter. Dies ist nachfolgend ebenfalls darzulegen.
Im März 1944 wurde wenige Tage nach Prozess-
ende die Öffentlichkeit durch Radio Beromünster
und weitere Stationen und durch die Schweizer
Zeitungen über die Urteile des Territorialgerichts
3b gegen 22 Personen des Spionagerings Quaderer,
Roos und Konsorten ins Bild gesetzt, indem die
Personalien der 13 Haupttäter mit den Todesstra-
fen, den lebenslänglichen und den langjährigen
Zuchthausstrafen publiziert wurden. Über die
Straftaten selber hiess es allerdings nur sehr allge-
mein, die Spionierenden hätten in der Zeit vom
sommer 1941 bis zum Dezember 1942 «militäri-
sche Geheimnisse und Anlagen ausgespäht oder
verraten», auch «durch Einbrüche wichtige militä-
rische Dokumente verschafft und ins Ausland abge-
jefert». Mehr Einzelheiten erfuhr man nicht, das
besagte «Ausland» blieb unbenannt, doch war klar,
dass es nur Hitlerdeutschland sein konnte. Die Zei-
cungsveröffentlichung wurde mit dem Satz «Amt-
lich wird mitgeteilt» eingeleitet. Der in Buchs er-
scheinende «Werdenberger & Obertoggenburger»
orachte den Text am 22. März 1944 und setzte
darüber die fettgedruckten Titelzeilen: «Verurtei-
ungen wegen Landesverrates, Drei Todesurteile».
Am folgenden Tag, 23. März 1944, konnte man
die gleiche, wörtlich identische «amtliche» Mittei-
ung mit allen Namen auch im «Liechtensteiner
Volksblatt» — dem Parteiorgan der Fortschrittlichen
Bürgerpartei — finden, unter dem dicken Titel:
«Verurteilte Spionageorganisation, Drei Todesur-
;eile; hohe Zuchthausstrafen». Darin konnten die
Bewohner des Fürstentums unter anderem lesen,
dass Alfred Quaderer und Willy Kranz «zum Tode
Jurch Erschiessen», Josef Arnold Vogt, Willy Weh
und Pietro Rossi «zu lebenslänglichem Zuchthaus»
sowie Paula Rossi geb. Kranz «zu 4 Jahren Zucht-
haus, 15 Jahren Landesverweisung» verurteilt wor-
den waren.
In der gleichen Ausgabe des «Liechtensteiner
Volksblatts» vom 23. März 1944 stand an anderer
Stelle bei vermischten Meldungen ein kurzer Kom-
nentar mit dem kleinen, unscheinbaren Titel «Be-
:rübliche Erscheinungen». Er nimmt Bezug darauf,
dass man am Abend über «Radio Beromünster und
andere Sender» sowie tags darauf «in allen Zeitun-
zen» die Ergebnisse des Spionageprozesses und
die Todesurteile gegen zwei Liechtensteiner und
das lebenslängliche Urteil gegen einen weiteren
Liechtensteiner erfahren konnte; die Namen nennt
er nicht. Der liechtensteinische Zeitungsschreiber
aimmt darauf wertend Stellung:
«So beklagenswert diese Unglücklichen sind und
so schwer sie ihre Verfehlungen büssen müssen, so
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angg diefer Woche, daß dag fchweizerifche
Territorialgericht IIIa nach längeren VBerhand-
‚ungen in einem Spionageprozeß zum Schaben
er Schweiz gegen 22 Angeklagte dag Urteil
zefällt habe. Danach wurden drei Angeklagte
jum Tode durch Erfchießen, mehrere zu lcheng»
Äänglidem Zuchthaus, andere zu mehr oder wes
1iger langjährigen Zuchthausftrafen verurteilt.
Unter den zum Tode DBerurteilten befinden [ich
;eider auch zwei Liechtenfteiner, wovon einer
ıllerdbingg im Auslande abwefend ift. Ein drit-
ter Liechtenfteiner wurde zu Iecbenglänglidhem.
Zuchthaus verurteilt.
Die Schwere der verhängten Strafen bt
einen gemwiffen Rücfchluß zu auf die Schwere
des Straffalles. Dag amtliche Mitageteit* *"
die Berurteilung bringt dieak-
Schlußfage eine “" |
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„u9r seoyupsenı Wuren, adgeurteilt. '
Das Urteil des fchweizer. Militärgerichtes
jat in Liechtenftein eine Welle der Empdrung
egen die an folhen MachenfhHaften beteiligten
Snländer hervorgerufen. C€$ ift mohl anzuneh:
nen, daß dag fIchlimme CSchidkfal, welches die
Berurteilten ereilt hat, eine zu abfchredende
Wirkung augüben werde, alg daß auch nur einer |
ig in Zufunft no) in Berfuchung führen laffen
’önnte, zu folden Unternehmungen die Hand zu
»ieten.
Um aber allem faljhen Argmohn und aller
Berallgemeinerung im Urteil über unfer Land
ınd Boll entgegenzutreten, möchten wir folgen:
e8 Marftellen:
Liechtenftein hat durH feinen Landegfürften
leid) zu Beginn diefes Krieges feine ftrikte
Neutralität verkünden lajfen und unfere Be:
börden haben fich getreu der fürftliden Profkla-
nation ftetg ängftlidh bemübt, alles zu tun, mag
ınferer neutralen Haltung dienlidHy mar und
alle$ zu vermeiden, was gegen die Intereffen
unferec Neutralität verftieß. Cin Gewerbe uber,
ag den LichtfhHein der Sonne fliehen und das |
Dunkel der Nacht fuchen muß, dag vr *
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Spaltenlange «Klarstel-
ung» auf der Frontseite
des «Liechtensteiner
Vaterland» vom 25. März
1944, ohne Nennung von
Namen
kommen wir doch nicht um die Feststellung herum,
dass diese verurteilten Leute sich nicht nur schwer
gegen die Gesetze eines ausländischen Staates
vergangen, sondern sich auch gegen ihr Heimat-
land schwer verfehlt haben.»
Der Kommentator fährt fort, die bisherige Serie
von Spionagefällen, in welche von Zeit zu Zeit ein
Liechtensteiner verwickelt gewesen sei, zeige sich
«alles andere als dem Land zuträglich», das liech-
;ensteinische Ansehen leide darunter, die Folgen
ıabe eines Tages das ganze Volk Liechtensteins zu
‚ragen. Die Urteile seien hoffentlich Warnung ge-
1ug, dass Ähnliches sich nicht wiederhole.
Aus diesem Kommentar, der offensichtlich von
der «Volksblatt»-Redaktion stammte oder von ihr
nspiriert war, spricht zwar etwas Mitleid mit den
Verurteilten —- die «Unglücklichen» seien «bekla-
zenswert» -, aber keine Kritik an der Schwere der
Jrteile. Diese erschienen dem «Volksblatt»-Kom-
nentator auch aus liechtensteinischer Sicht als
zerechtfertigt, da die Spione sich auch gegen das
3igene kleine Heimatland und Volk «schwer ver-
fehlt» hätten.
Darauf brachte zwei Tage später das «Liechten-
steiner Vaterland» —- Organ der Vaterländischen
Union - am 25. März 1944 eine längere Stellung-
ıahme, als «Korr.»-Zusendung, unter dem klein
zehaltenen Titel «Zur Klarstellung», aber immerhin
zuf der ersten Seite plaziert, nach dem Geschäfts-
Jericht der Sparkasse. Der Korrespondent weist
obenfalls auf die in Radio und Zeitungen veröffent-
lichten Spionageurteile hin. Unter den zum Tode
Verurteilten befänden sich «leider auch zwei Liech-
‚ensteiner», ein weiterer Liechtensteiner habe le-
genslängliches Zuchthaus erhalten. Namen nennt
der Kommentator nicht. Doch holt er ebenfalls zur
Bewertung aus. Mit den auch Liechtensteiner be-
treffenden Urteilen sei «ein äusserst betrübliches
Kapitel für unser Land» zu Ende gegangen. Nach
Bekanntwerden der Urteile des Schweizer Militär-
gerichts habe sich in Liechtenstein
«eine Welle der Empörung gegen die an solchen
Machenschaften beteiligten Inländer»
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
gerichtet. Die Verurteilten habe «ein schlimmes
Schicksal» ereilt. Dieses werde wohl fortan vor je-
der ähnlichen Versuchung abschrecken. Nach sol
cher Einleitung - die wie im «Volksblatt»-Kommen-
tar neben etwas Mitleid für die Verurteilten die Be-
rechtigung des Urteils nicht in Zweifel zieht —
kommt der «Vaterland»-Korrespondent dann zu
seinem eigentlichen Anliegen:
«Um aber allem falschen Argwohn und aller Ver-
allgemeinerung im Urteil über unser Land und Volk
entgegenzutreten, möchten wir folgendes klarstel-
len»,
nämlich dass Liechtenstein gleich zu Beginn des
Krieges strikte Neutralität verkündet habe, dass
die Landesbehörden diese neutrale Haltung stets
ängstlich geübt hätten, dass die Behörden keine
Schuld an den dunklen Machenschaften der Spione
trügen, vielmehr kräftig eingeschritten seien, wenn
auf liechtensteinischem Territorium verbotener
Nachrichtendienst aufgedeckt wurde. Der «Vater-
land»-Text fährt fort:
«Das liechtensteinische Volk missbilligt entschie-
den und verurteilt die Teilnahme von Inländern an
diesen Spionagefällen. Dass dabei in allen Fällen
zur Hauptsache auch Schweizer massgebend betei-
ligt waren, wird durchaus nicht als Entschuldigung
angesehen.»
Liechtenstein und sein Volk wolle, so schliesst die
«Klarstellung», die Neutralitätspflichten gewissen-
haft erfüllen und insbesondere alles vermeiden,
was mit seinen Pflichten auf Grund des «Wirt-
schaftsanschlusses an die Schweiz» im Wider-
spruch stünde.
Mehrere Aspekte sind in dieser «Vaterland»-
Stellungnahme zum Spionageproblem interessant.
Erstens wird die von Liechtensteinern gegen die
Schweiz verübte Spionage deutlich missbilligt.
Zweitens weist die vom Korrespondenten erwähnte
«Welle der Empörung» der Liechtensteiner gegen
die im März 1944 verurteilten liechtensteinischen
Spione - Quaderer und Konsorten - darauf hin,
dass deren Taten und die Urteile im Lande doch
erregtes Tagesgespräch waren. Drittens werden
die strengen Urteile nicht kritisiert, weder das
Todesurteil noch die sehr langen Zuchthausstrafen.
Viertens aber erweist sich als eigentliches Motiv für
die ganze Stellungnahme die Sorge um das Image
des Landes und der Liechtensteiner, und zwar ge-
-ade im Hinblick auf die ausspionierte Schweiz,
von der man auch wirtschaftlich völlig abhing. Die
Klarstellung erfolgte, wie es am Schluss hiess,
«damit nicht bei lands- und volksunkundigen Hö-
rern und Lesern eine falsche Auffassung hervorge-
rufen wird».
Solche Hörer und Leser mochte es vorab in der
schweiz, aber auch bei den nun, 1944, bald sieg-
reichen Alliierten geben.
Das «Liechtensteiner Vaterland» druckte neben
dieser Stellungnahme weder die erwähnte amtli-
che Mitteilung, wie sie in den Schweizer Zeitungen
ınd im «Liechtensteiner Volksblatt» erschien, noch
sonst etwas zum Fall Quaderer und Konsorten ab.
Reine «Vaterland»-Leser erfuhren aus ihrer Zei-
tung ausser der «Klarstellung» nichts, weder Na-
men noch Urteile noch Vergehen noch etwas über
den Gang des Begnadigungsgesuchs und über die
erfolgte Hinrichtung.
Das «Liechtensteiner Volksblatt» informierte,
wie schon gezeigt, in dieser Sache offener. Es äus:
serte sich erneut in der Ausgabe vom 1. April 1944,
und zwar in einem Leitartikel (von «E.») unter dem
breiten Titel «Staat — Volk - Einzelgänger». Die Mit-
arbeit von Liechtensteinern an einer gegen die
Schweiz arbeitenden grossen Spionageorganisati-
an habe «im Lande allerhand unangenehme Gefüh-
le wachgerufen», und «über den Rhein an uns er-
gangene Anfragen» hätten einige «Verwunderung»
zerade befreundeter Schweizer ausgedrückt. Der
Leitartikler argumentiert vorerst in ähnlicher Rich-
tung wie ein paar Tage zuvor der «Vaterland»-Kor
respondent: Staat und Volk trügen keine Schuld, sie
hielten die «Ehre unseres Landes» und den «guten
Ruf unserer unbedingten Neutralität» aufrecht. Die
Täter seien «Einzelgänger». Dann aber holt der
„eitartikler zu einer politischen Abrechnung aus,
indem er fragte, wie es im Fürstentum zu solchen
Machenschaften - zu Spionage gegen die Schweiz
für Hitlerdeutschland - kommen konnte: Den
Boden dazu bereitet und Schuld habe jene sich
«volksdeutsch» nennende und sich masslos auf-
3
Jauschende, unliechtensteinische Bewegung, die
las Land in Gefahr gebracht habe. Gemeint war
lie einheimische nationalsozialistische «Volksdeut-
sche Bewegung in Liechtenstein», die von 1938 bis
1945 bestand, 1939 einen Anschlussputsch ver-
suchte und vor allem von 1940 bis 1943 lautstark
hitlerdeutsch agitierte. Dort seien «die Schuldigen
unter den Einzelgängern zu suchen». Das Land
ınd das liechtensteinische Volk aber hätten von
Anfang an und dauernd ihre «grundsätzliche Ein-
stellung» gegen die «grosse Lüge» und die «faszis-
tische Idee» jener Bewegung gestellt.
Der «Volksblatt»-Leitartikel verfocht zugleich
aine innenpolitische Stossrichtung, indem er die
tatsächliche nationalsozialistische Nährlösung für
die einheimischen Spione geisselte und auch indi-
rekt herausstellte, dass das «Liechtensteiner Vater-
land» und mit ihm die Vaterländische Union, deren
Führung weniger Distanz zur «Volksdeutschen Be-
wegung» hielt, diesen Zusammenhang verschwieg.
Am 31. März 1944 berichtete das «St. Galler Tag-
blatt» kurz unter dem Titel «Zwei neue Begnadi-
gungsgesuche von Landesverrätern», dass Quade-
rer und Roos Begnadigungsgesuche eingereicht
hatten, diese aber erst in der Junisession der
Bundesversammlung behandelt werden könnten,
30 dass sie solange zuwarten müssten. Einen Tag
später brachte das «Liechtensteiner Volksblatt» die
amtliche Mitteilung, Major Pfisters Gnadengesuch
sei mit 210 zu 15 Stimmen abgelehnt worden. Den
jechtensteinischen Lesern stand vor Augen, was
Quaderer erwarten mochte. Danach blieb es einen
Monat still.
Anfang Mai 1944 folgte ein neuer Artikel zum
Thema, der unter anderem am 3. Mai in der «Ost-
schweiz», am 4. Mai im «Liechtensteiner Volks-
alatt» und am 5. Mai im «Werdenberger & Ober-
oggenburger» - wo der Schlussabsatz wegblieb -
arschien, mit dem überall gleich lautenden Titel:
«Verräter bitten um Gnade». Darin werden die drei
Todesurteile gegen Quaderer, Roos und Kranz kurz
‚ekapituliert — mit Namen -—-, das Verfahren betref-
fend Kassationsbeschwerde und Begnadigung er-
läutert und der Zusammentritt der Begnadigungs-
<ommission in Bern auf den 24. Mai angekündigt.
Kranz habe weder Kassation noch Begnadigung
gegehrt, da er landesabwesend verurteilt sei und
laher die Strafe nicht zu fürchten brauche - «we-
nigstens vorläufig». Der Autor, offensichtlich ein
Schweizer Korrespondent, stellt danach Überle-
Einzeltäter und Verant-
wortung der NS-Bewegung
m Lande: Leitartikel
m «Liechtensteiner Volks-
olatt» vom 1. April 1944
Staat - Noll
a;
Sinzelgänger |
jeit, da eine folge „Bemegung“ infolge der
ıußenpolitifden Runftellation für das Land
Befahren in fid) bergen mußte, deren Größe
Hemand ermejfen konnte. Und jelbit bei aller
Zorjicht der Handhabung poiitiider Machtmit:
el konnte das Bolk nicht anders, als fich ge-
jen diejfe große Lüge [tellen, es ahıte die Be:
abren und begegnete dem unlauteren Begins
ıen durd) die dem Liechtenjteiner einen®* “
neffenheit. Wenn Einzelaär--
vergingen und fi—&
die *
3. Die unter dem 18. März durch das fdmei:
erijche Territorialgeridht 3B erfolgte Berur-
eilung von Liechtenjteinern wegen Mitarbeit
m einer umfangreichen Spionageorganijation
at im Lande allerhand unangenehme Gefühle
aechgerufen. In foldjen Zufammenhängen
nürde der Name Liechtenftein beffer nicht ge-
wunnt, auch) in der uns befreundeten Schweiz
ct, vder beffer gefagt, gerade deshalb nicht,
veil mir in Liechtenftein auf ungetrühte Be:
jichungen zmwifdhen den beiden Qändern den
ırößten Wert iegen. Nur miderjtrebend
jaben mit die über den Nhein an un« -
jenen An’ragen beantm--'
Jem Massıt*
„..uJu 31
„en Zinftelung (Hull
ja
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Die Antwort auf die Frage, mie folde Ma |
denfchaften auf liechtenfteinifdem Boden eine be
Mitidherung erjahren konnte, ift in der fels" de
Wixitigen maßlofen Aufbaufdhung einer "
Aegung” acgeben. die, wie mir hier mie | e
rdoft feitftellten, in unferem Zürftentum |?
vr Anfang an keine Erxiftenzberechtt---
wife. Rod) mehr. Sie =-+' *
gufgkht den 8 47
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
I1IINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
gungen zum Ausgang an: Am mutmasslichen Ent-
scheid der Begnadigungskommission wie der Bun-
desversammlung zu Quaderer und Roos seien
«kaum Zweifel möglich». Höchstens sei bei Qua-
derer in Betracht zu ziehen, dass er liechtenstei-
nischer Staatsbürger sei und so als Ausländer nicht
sein eigenes Land verraten habe. Dies als mildern-
den Umstand walten zu lassen, «wird jedoch gera-
de in der Heimat Quaderers abgelehnt». Die liech-
tensteinische Presse habe sich nach der Verurtei-
lung von Quaderer, Kranz und Vogt
«mit aller Schärfe gegen die verräterischen Lands-
leute ausgesprochen und ihre Verurteilung be-
grüssb»,
gerade im Hinblick auf das enge Verhältnis zur
Schweiz. Der schweizerische Autor folgerte denn,
die früheren Stellungnahmen des «Liechtensteiner
Volksblatts» und des «Liechtensteiner Vaterlands»
etwas forcierend:
«Wenn also Quaderer als erster Ausländer wegen
Vergehens gegen den Staatsschutz hingerichtet
wird, so ist dies nicht nur juristisch korrekt - auch
ausländische Gerichte beurteilen straffällige Aus-
länder nicht milder als die eigenen Staatsan-
gehörigen -, sondern lässt sich auch vom Stand-
punkt der auswärtigen Beziehungen durchaus ver-
treten.»
Daher, so schliesst der Artikel, werde die Bundes-
versammlung nach Erwägung dieser Momente «al-
ler Voraussicht nach» bei Quaderer und Roos zum
gleichen —- negativen - Ergebnis gelangen wie bei
den bisherigen Gesuchen von
«zum Tode verurteilten Feinden unserer staatli-
chen Sicherheit»
Der schweizerische Verfasser dieses Artikels kann-
te die Materie offensichtlich gut. Erstaunlich er
scheint, dass dieser Text einen Tag nach seinem
Erscheinen in der «Ostschweiz» auch im «Liech-
tensteiner Volksblatt» veröffentlicht wurde, unter
der Rubrik «Aus der Schweiz», und zwar ohne
weiteren Kommentar. Die Erklärung ist einfach:
Das «Liechtensteiner Volksblatt» wurde in Au im
schweizerischen Rheintal gedruckt, dort wurden
auch Texte, etwa Meldungen aus der Schweiz, ohne
Ho
Ip
2
19
Ad
Nerräfer biffen um Gnade
3n Bern firitt am 24. Mai die Begnadie
gungskommiffion der Sundesverfammlung
3zufammen, um die Anträge über die Haängigez
Begnadigungsgefuche zu bereinigen, Mit De:
tum vom 18. März hat, mie erinnerlich, das
Territorialgeridt 3B eine Spiorageorgani
[ation abgeurteilt und dabei außer Hodheq
Zucthausjitafen aud) drei Todesurteile ge,
Jallt, nämlid gegen Yljred Hermann Qua
berer, von Schaan (Liechten[tein), Kurt Io
Bann Roos, von Hasle (Luzern), und Nillg
ı Kranz. von Eichen (Liechtenjtein). Während
der Heimat Quaderers abaclechnt. Die Yrene
des FJürftentums Liechtenjtein hat fi im UAn-
[OHluß an die Verurteilung der Liechtenfieiner
Quoderer, Kranz und Bogt mit aller SdHärfe
gegen die verräterifhen Landsleute ausge
‚procHen und ihre Berurteilung begrüßt, mo:
bei fie auf das befonders enge Vertrauens:
oerhaltnis der beiden Staaten hinmies. Nenn
alfo Quaderer als erfter Yusländer wegen
Bergehens gegen den CSiaatsihuß hingerichtet
mird, fo jt dies nicht nur jurijtifdh kortrcht —
auch ausländifdhe Gerichte beurteilen {trafial
ige Yusländer nicht milder als die eigenen
Staatsangehörigen —, fondern laßt (id auS
dom Standpunkt der auswärtigen Beziehun-
gen durchaus vertreten. In Erwägung aller
diefer Momente mird die Bundesverfamm:
lung aller Vurausficht nad) bei der Veurkeis
lung der Onadengefuch: QLuaderer und Roos
sum felben Ergebnis gelangen mie bei den
früheren Gefuchen von zum Tode veructeilten
Seinden unferer ftaallihen Cicherheit.
Artikel im «Liechtenstei-
ner Volksblatt» vom 4. Mai
1944, unter der Rubrik
«Aus der Schweiz». Tags
zuvor hatte ihn «Die
Ostschweiz» gebracht. Er
erschien auch in andern
Schweizer Zeitungen, so
am 5. Mai 1944 kürzer im
KWO»
517)
Einzelabsprache mit der Vaduzer Redaktion ein-
gerückt. Dies scheint hier geschehen zu sein. Dem
liechtensteinischen «Volksblatt»-Leserpublikum war
nier jedenfalls eine sehr pointierte Meinung vor-
gesetzt.
Damit aber hatte es dann auch sein Bewenden:
im «Liechtensteiner Volksblatt» wurde danach
keinerlei Meldung mehr zu Quaderer veröffentlicht,
weder zum Gang des Gnadengesuchs noch zur Hin-
richtung. Dieses plötzliche und auffällige öffent-
iche Schweigen auch im Mehrheitsblatt geschah
zweifellos bewusst, durch Einwirken der Bürger-
partei oder der Regierung, die von Dr. Josef Hoop
geführt war, auf die Redaktion. Die öffentliche
Erörterung des Falles und des Themas wurde als
nicht mehr opportun angesehen. Alfred Quaderer
war damit in seiner Heimat schon fünf Wochen vor
der Hinrichtung totgeschwiegen.
Indes wurde über dem Rhein, etwa im «Werden-
berger & Obertoggenburger» in Buchs, regelmässig
über die weiteren Stationen berichtet, so dass man
auch im Ländchen sehr wohl Bescheid wissen
konnte. Am 17. Mai 1944 wurde der Leserschaft auf
der ersten Seite unter der Rubrik «Das Neueste
vom Tage» mitgeteilt: Der Bundesrat beantrage
Ablehnung der Begnadigung der zum Tode verur-
‚eilten Landesverräter Roos und Quaderer. Eine
zute Woche darauf, am 26. Mai, hiess es unter der
gleichen Rubrik, auch die Begnadigungskommissi-
an der beiden Räte schlage der Bundesversamm-
ung Abweisung der Gnadengesuche vor.
Am 7. Juni ging an Agenturen, Zeitungen und
Radio eine längere amtliche Mitteilung aus Bern:
Die Vereinigte Bundesversammlung habe heute die
Gesuche der beiden zum Tode durch Erschiessen
verurteilten Alfred Quaderer und Kurt Roos abge-
‚ehnt. Die amtliche Mitteilung enthielt auch eine
Begründung der Ablehnung zuhanden der Öffent-
lichkeit: Quaderer und Roos hätten einer Spio-
nageorganisation «zugunsten eines kriegführenden
Staates» — Deutschland wurde nicht genannt -
angehört. Während eineinhalb Jahren hätten sie
«Werke und Massnahmen unserer Landesvertei-
digung ausgekündschaftet und an das Ausland
verraten». Sie seien dazu auch mehrmals in «eine
militärische Kommandostelle» eingedrungen. Sie
hätten «in voller Einsicht in die Verwerflichkeit
Ihrer Handlungen» agiert. Die amtliche Mitteilung —
welche die Folgerungen der Bundesversammlung
zusammenfasst - fährt fort:
«Durch die mit grosser Umsicht und Gründlichkeit
vorbereiteten und durchgeführten Verbrechen ha-
ben sie die Wirksamkeit wichtiger Anordnungen
unserer Landesverteidigung in hohem Masse in
Frage gestellt und das Leben vieler schweizeri-
scher Wehrmänner aufs Spiel gesetzt. So musste
'rotz des jugendlichen Alters der Angeklagten die
volle Strenge des Gesetzes Platz greifen.»
Die amtliche Mitteilung enthielt ebenfalls das Stim-
menverhältnis. So erfuhr man auch in der Öffent-
ichkeit und in Liechtenstein, dass Quaderers Ge-
such - und Leben - mit 211 zu 15 Stimmen über-
deutlich fiel, jenes von Roos dagegen nur knapp.
Der «Werdenberger & Obertoggenburger»
brachte diese Mitteilung aber erst am Freitag, 9.
Juni, unter dem Titel «Die Begnadigungsgesuche
Quaderers und Roos’ abgelehnt». Daher konnte
man in der gleichen Ausgabe vom 9. Juni 1944
schon auf der ersten Seite zuoberst «Das Neueste
vom Tage» lesen: Der Nationalrat hat den Ge-
schäftsbericht beraten, der Ständerat hat Voll-
machtenbeschlüsse genehmigt, und:
«Die zum Tode verurteilten Landesverräter Roos
und Quaderer sind am Mittwochabend hingerichtet
worden.»
Und: Der Eisenbahnverkehr auf der Mont-Cenis-
Linie ist stillgelegt, Köln ist in der Nacht bombar-
diert worden, 30 britische Bomber seien abge-
schossen, und das alliierte Oberkommando hat die
arste Phase der Invasion für abgeschlossen erklärt.
Wir können zur Informationspolitik und zu Re-
aktionen festhalten: Über den Spionageprozess, die
Urteile und die Hinrichtungen im Fall Quaderer
wurde in der Schweiz die Öffentlichkeit durchaus
.nformiert, über die Verratshandlungen selber al-
lerdings nur summarisch, da militärische Geheim-
nisse tangiert waren. In Liechtenstein dagegen
wurde ungleichmässig informiert - vom Minder-
neitsorgan gar nicht -, und nach kurzem wurde
1
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
und -Streitigkeiten neben Schaan und Vaduz als
Partei aufscheint, sind Hinweise auf eine frühe
Eigenentwicklung und Absonderung der abgelege-
nen Bergsiedlung.
Auch alle in sogenannten Gemeindsbriefen ge-
troffenen Regelungen über Einkäufe und Verteilung
von Ein- und Abzugsgebühren zeigen die Sonder-
stellung von Planken innerhalb des Kirchspiels. 1 3
Nun zur Nutzung der Talebene.14 Neben ver-
schiedenen Wuhrbriefen können zwei bislang nicht
ausgewertete Urkunden dazu einigen Aufschluss
geben. 1504 vermittelte Freiherr Ludwig von Bran-
dis einen Vergleich zwischen seinen «armen lütten,
der von fadutz, und schan» in Sachen strittige
Auen. Es wurde festgelegt, welche Auwälder gero-
det werden durften, und welche in Bann bleiben
mussten. Eine Nutzungszuteilung erfolgte nicht.
Gebannte und nicht gebannte Auen sollten die
Schaaner und Vaduzer «zu beider sitten, mitt ain
annder, wunen, messen, und bruchen und ha-
ben». 1 5 Die Rheinebene wurde also zu dieser Zeit
von den beiden Dörfern gemeinsam genutzt. Aus
den gebannten Auwäldern wurde das für die
Rheinwuhre benötigte Holz geschlagen.
Bereits um 1600 war ein erster Teil der gemein-
samen Mark eingelegt und in den privaten Nutzen
ausgeteilt worden. Im sulzisch-hohenemsischen
Urbar, datiert um 1617/19, werden nämlich «108
neu ausgestockte Mühleholzteile» erwähnt, die mit
einem jährlichen Zins von zwei Schilling pro Teil an
die Landesherrschaft belegt sind. 1 6 Es handelt sich
dabei um eine Abgabe für den Jagdnutzen, der der
Herrschaft durch die Urbarisierung des Bodens
entgangen war. Die 108 Gemeindsteile entsprechen
der Zahl der damals in Schaan und Vaduz nut-
zungsberechtigten Haushaltungen und erlauben
einen Rückschluss auf die Grösse der beiden dörf-
lichen Siedlungen.
Interessant im Zusammenhang mit den Fragen
um Gemeineigentum) und <Herrschafts- oder
Obereigentum> ist der auf Bitten der «underthanen
beeder gemainden Vadutz unnd Schan» im Jahre
1672 erfolgte Verkauf von Gütern in den Rheinauen
durch Graf Karl Friedrich von Hohenems. Die
Gemeindsleute hatten die überschwemmten Güter
6) GAV U l . GAG U2, Urkunde vom 1. Februar 1481.
7) GAT U16. Urkunde vom 5. Mai 1497. Beschreibung der Grenze zu
Triesen südlich der Flur Maschlina.
8) GAV U2, GATb U33. Urkunde vom 20. Apri l 1592.
9) GAP U I . GAS U7, AlpAV U19. Urkunde vom 20. Mai 1513.
10) GAP U4, Urkunde vom 9. August 1596.
11) GAP 8. Bestätigung eines am 18. Juni 1738 abgeschlossenen
Vertrags «Entzwischen der Ehrsamben Gemeint Vadutz. und Schann
dan denen Gemeintsleuthen ab Blankhen» durch die fürstliche
Kanzlei, 15. Dezember 1 740, sowie GAP 7. Regelung für die Vergabe
von Gemeindeteilen an die Einwohner von Planken, 12. Juni 1740.
12) GAP 21. «Teilungsschrift von den klagenten gemeinds genoss
von der gemeind blanken für neu aus gebente gemeinds güter ab der
ober blancken ab den Rütenen» vom 9. Apr i l 1794.
1 3) 1605 wurde ein Streit über Ein- und Abzugsgebühren zwischen
Planken einerseits und Vaduz und Schaan andererseits beigelegt.
Die Gebühren für nach Planken einheiratende Frauen wurden
zwischen den Konfliktparteien hälftig geteilt (GAP U6, Urkunde vom
7. Januar 1605). Nach einem vom Oberamt vermittelten Vergleich
von 1733 betreffend den «Einkauf der fremden Weibspersonen in
den Gemeinden der obern Herrschaf t» wurde die Einkaufstaxe für
von Balzers, Triesen oder Triesenberg «in die gemeindt Schaan und
Vaduz» einheiratende Frauen mit 25 Gulden festgelegt. Die Braut-
oinkaufstaxe für eine nach Vaduz oder Schaan heiratende Plank-
nerin betrug hingegen 18 Gulden. Zwischen Schaan und Vaduz, die
einen einzigen Bezirk bildeten, waren keine Taxen zu entrichten
(LEA RA 29/1/3, Vergleich vom 14. Januar 1733). 1740 verglich sich
die «gemaindt vaduz und schan» mit der «unteren Herrschaft
Schellenberg» wegen des strittigen Abzugsgeldes. Dabei wurde
ausdrücklich festgehalten, dass aber der «ein Kauff in die gemaind-
ten und alpen» solle «in seiner sach verbleiben, wie solches allzeit
ist geübt worden» (GAS Nr. 129. Vergleich vom 25. März 1740).
1759 erliess «ein ehrsamine gemeindt Vaduz und Schan» eigene
Einkaufsbestimmungen gegenüber der Herrschaft Schellenberg und
dem Ausland (GAV U5a, vom Oberamt bestätigter Gemeindsbrief,
23. Juli 1759). Planken erliess 1760 separate Einkaufsbestim-
mungen (LEA RA 42/2 sowie LLA RA 29/1/4. Einkaufsregelungen
der «Gemeind» oder «Gnoss auf Plankhen» vom 20. Oktober und
19. November 1760). 1781 einigten sich die Vertreter der Gemein-
den Schaan, Vaduz und Planken bezüglich des strittigen Einkaufs-
geldes von nach Planken einheiratenden Frauen. Die 1605 beschlos-
sene hälftige Teilung wurde bestätigt (GAP PI 7, Vertrag vom 25. Mai
1781).
14) Vgl. dazu Schläpfer. Reto: Lebensgrundlage oder Lebensbe-
drohung. Nutzung der Rheinauen zwischen Balzers und Sennwald
im 15. Jahrhundert, l.izentiatsarbeit am Historischen Seminar der
Universität Zürich. 1997.
15) L L A RA 10/2/8/1, Urkunde vom 29. Oktober 1504.
16) LUB 1/4. S. 410.
9
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
>
Fragen zum Fall Quaderer
auch die offene Information des Mehrheitsorgans
gestoppt, zweifellos aus innen- und aussenpoliti-
schen Rücksichten. Dennoch konnte man hier über
Schweizer Zeitungen und Radio das Wesentlichste
erfahren. Auch in Liechtenstein distanzierte man
sich entrüstet von den aufgeflogenen Spionen, wel-
che Einzeltäter seien, und man betonte die kor-
rekte Haltung des Landes, nämlich von Seiten des
«Volksblatts» die konsequente Ablehnung des Na:
tionalsozialismus und von Seiten des «Vaterlands»
die strikte Neutralität. Man nahm auch hier die
Urteile als selbstverschuldet hin, auch das Todes-
verdikt gegen den in der Schweiz einsitzenden
Quaderer, wies aber von Bürgerparteiseite auch
den einheimischen Nationalsozialisten der «Volks:
deutschen Bewegung» Mitverantwortung am Ver-
rat und damit an Quaderers Schicksal zu. Kritik an
der Todesstrafe oder Anstösse zur Milde wurden,
ausser im Familienkreis, nicht manifest. Auch
Fürst und Regierung taten mit dem halbherzigen
Vorstoss in Bern wenig.
In der Schweiz wurden eine ganze Anzahl wei-
terer Spionage-Urteile gegen Liechtensteiner oder
Personen mit Beziehungen zu Liechtenstein gefällt.
Im März 1945 folgte noch ein drittes schweizeri-
sches Todesurteil - nach Quaderer und Kranz
wegen militärischen Landesverrats gegen einen
Liechtensteiner, nämlich gegen Theo Wolfinger von
Balzers. Überdies war auch ein Todesurteil gegen
den in Liechtenstein lebenden Schweizer Emiı
Scherzinger ergangen. Kranz und Wolfinger und
Scherzinger entgingen der Hinrichtung nur, weil
sie während des Krieges nicht in der Schweiz
gefasst wurden. Kranz und Wolfinger und ebenso
Weh wurden aber nach dem Krieg von den alli-
jerten Besatzungsbehörden an die Schweiz aus-
geliefert, sie verbüssten dort nach neuen Urteilen
teils lange Zuchthausstrafen, so wie etliche wei-
tere Liechtensteiner auch. Wieder andere in der
Schweiz verurteilte liechtensteinische Spione konn-
ten dies vermeiden, indem sie die Schweiz bis zur
Verjährung nicht mehr betraten.
RECHTSSTAATLICHES VERFAHREN?
Des Strafrechtlers Peter Noll Untersuchung der
Prozesse der 17 in der Schweiz hingerichteten Lan-
desverräter, darunter eben Quaderer, zeigt, dass
durchwegs rechtsstaatlich korrekt verfahren wur-
de. Quaderer wurde nicht einfach rasch gefasst,
abgeurteilt und exekutiert. Die Untersuchung wur-
de sorgfältig geführt, ebenso die Gerichtsverhand-
lung und das Begnadigungsverfahren.
Grundsätzlich problematisch aber war und
bleibt vor allem, worauf auch Noll hinweist, die
verhängte und vollstreckte Todesstrafe.
STRAFZWECKE: ABSCHRECKUNG, SÜHNE,
GERECHTIGKEIT?
Auf was für Strafzwecke zielte die Verhängung
der Todesstrafe für Landesverräter? Wurden sie
erreicht? Im Vordergrund standen damals Ab-
schreckung und Sühne, auch Herstellung von Ge-
rechtigkeit.
Die Abschreckung diente der Abwehr weiteren
Verrats. Die Verrätereien gingen denn auch nach
Bekanntwerden der ersten Todesurteile, im Herbst
1942, sogleich auffällig zurück. Das Risiko erschien
nun plötzlich als zu hoch, wegen ein paar hundert
oder tausend Franken das Leben zu verlieren.
Auch Alfred Quaderer, der kein Nationalsozialist
war, sondern leichtes Geld im Auge hatte, rechnete
während seines Tuns gewiss nie damit, dass er auf
dem Richtplatz enden könnte.
Sühne wurde gefordert, für den als niederträch-
tig gewerteten Verrat, der die Existenz des Landes
und das Leben seiner Bewohner gefährdete. Für
das schwerste Verbrechen, den Verrat, galt die
schwerste Sühne, der Tod. Quaderer äusserte Be-
reitschaft zu «sühnen», aber nicht mit dem Tod.
Gerechtigkeit schien aber dem Gericht, den
Behörden, der Bundesversammlung und der Öf-
fentlichkeit in den schwersten Fällen erst durch
den Tod des Verräters wiederhergestellt, waren
doch gleichzeitig Hunderttausende in Angst um ihr
Leben, auch bereit zum Einsatz des Lebens für die
37
Verteidigung des Landes. Sogar der Theologe Karl
Barth, der später die Todesstrafe grundsätzlich
ablehnte, befürwortete sie während des Zweiten
Weltkrieges für Landesverräter, angesichts der na-
tionalsozialistischen Bedrohung der Schweiz.
WAS HÄTTE QUADERER VOR EINEM LIECH-
TENSTEINISCHEN GERICHT ERWARTET?
Quaderer hatte zum Nachteil der Schweiz spio-
niert. Wäre sein Tun auch in Liechtenstein strafbar
gewesen? Mit welchen Konsequenzen? Diese an
sich hypothetische Frage lässt sich in diesem Falle
sehr konkret beantworten. Denn gerade die in der
Schweiz später als Landesverräter zum Tode verur-
teilten Spione Willy Kranz, Emil Scherzinger und
Theo Wolfinger waren wegen ihrer Spionagetaten
aufgrund schweizerischer Hinweise Ende 1942
schon in Liechtenstein verhaftet und 1943 in Vaduz
auch verurteilt worden. Wir dürfen daher davon
ausgehen, dass sich für Alfred Quaderer hier ein
Strafmass in ähnlichem Rahmen ergeben hätte.
Willy Kranz wurde vom liechtensteinischen Kri-
minalgericht im März 1943 wegen verbotenen mi-
litärischen Nachrichtendienstes zu einem Jahr und
neun Monaten Kerker verurteilt, Wolfinger zu zwei
Jahren Kerker, Scherzinger zu zweieinhalb Jahren
Kerker. In der Schweiz dagegen wurden, wie weiter
oben erwähnt, alle drei später für die gleichen
Spionagevergehen zum Tod verurteilt. Kranz, Wol-
finger und Scherzinger entwichen allerdings schon
im April 1943 aus dem Vaduzer Gefängnis, nach
Deutschland.
Auch Quaderer, dessen Spionagetaten mit jenen
von Kranz vergleichbar waren, hätte also, wäre er
in Liechtenstein verhaftet und hier verurteilt wor-
den, mit einer Kerkerstrafe von etwa zwei Jahren
rechnen müssen.
Der ins Auge springende Unterschied in der Be-
urteilung der gleichen Tatbestände gründete darin,
dass sich erstens die Verratshandlungen gegen die
Schweiz und nicht direkt gegen Liechtenstein rich-
teten und dass sie zweitens im Fürstentum nicht
von einer Strafnorm erfasst wurden, welche sie als
Landesverrat gewertet hätte, sondern nur vom
«Spitzelgesetz» von 1937, dem «Gesetz betreffend
den Schutz der Sicherheit des Landes und seiner
Bewohner», mit entsprechendem Strafrahmen. Auf
«Hochverrat» wäre zwar auch im liechtensteini-
schen Strafgesetz noch die Todesstrafe gestanden.
Aber Spionage für oder gegen ein fremdes Land -
in diesen Fällen für Deutschland, gegen die
Schweiz - galt nicht als Hochverrat, sondern nur
als verbotener Nachrichtendienst.
LANDESVERRÄTER AUCH GEGENÜBER
LIECHTENSTEIN?
Hatten Alfred Quaderer und weitere wegen Lan-
desverrats in der Schweiz verurteilte Liechtenstei-
1er auch Landesverrat an Liechtenstein verübt?
Nach dem Wortlaut der liechtensteinischen Gesetze
offensichtlich nicht, jedenfalls nicht im Sinne des
Tochverrats nach Strafgesetzbuch, wie oben ge-
zeigt. Juristisch waren sie also keine liechtensteini-
schen Landesverräter.
Zumindest politisch und moralisch allerdings
"rückten sie in die Nähe auch des liechtensteini-
schen Landesverrats, des «Hochverrats». Quaderer
und die weiteren für Hitlerdeutschland spionie-
renden Liechtensteiner gefährdeten nämlich durch
'hren Verrat gegen die Schweiz auch das Fürsten-
‚um und seine Bewohner existentiell. Wie die
militärische Bedrohung der Schweiz Liechtenstein
mit einschloss, so umgriff Landesverrat gegen die
Schweiz auch Verrat gegen Liechtenstein. Entlang
dieser Linie wurde damals, wie hier sichtbar
geworden ist, auch in den Schweizer Instanzen
und ebenso in der liechtensteinischen Presse
und Öffentlichkeit argumentiert. Diese Überzeu-
gung war es ja eigentlich gewesen, welche für Ge-
richt und Behörden in der Schweiz den Ausschlag
gegeben hatte, Quaderer ohne Milde dem Tod zu
Jberantworten.
Selbst die liechtensteinische Gesandtschaft in
Bern hielt ein Jahrzehnt nach dem Krieg im
Zusammenhang mit Begnadigungseingaben von
Liechtensteiner Spionen, die 1955 noch in Schwei-
Do
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
zer Gefängnissen einsassen, im selben Sinne fest:
Handlungen gegen die militärische Bereitschaft der
Schweiz im Zweiten Weltkrieg seien letztlich indi-
rekt auch gegen Liechtenstein gerichtet gewesen.
VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT: DEN KLEINEN
GEHÄNGT?
Trotz allem —- war die Todesstrafe für die Verrats-
ıandlungen von Alfred Quaderer und seinesglei-
»hen wirklich verhältnismässig? Hat man ihn nicht
als den sprichwörtlichen Kleinen exekutiert?
In der Tat waren die Verurteilten, wie auch
Quaderer, in der Regel arm oder ärmlich, nicht vom
Leben verwöhnt, auch wenn sie nicht aus Not
handelten, schlecht integriert auch. So schwer ge-
wogen wurden ihre Vergehen aber, weil sie den
vitalsten Bereich, Existenz und Leben, betrafen.
Ind weil es Taten waren, nicht nur Gedanken oder
Worte, sondern Werke, verboten, von Sanktion
bedroht, fassbar. Und weil diese eindeutig waren,
nicht ambivalent wie etwa wirtschaftliche Koope-
ration und Kollaboration. Denn die wirtschaftliche
Zusammenarbeit mit Hitlerdeutschland, insbeson-
dere die Lieferung von Rüstungsmaterial und
kriegswichtigen Gütern, war nicht nur nicht gene-
rell verboten, sondern hatte aus Schweizer wie
Liechtensteiner Sicht immer auch als nützlich er-
achtete Seiten, indem sie Arbeit schuf, die lebens-
wichtigen Einfuhren aus dem Reich sicherte, viel-
leicht Hitler gar vom Angriff abhielte.
So kann man sagen: Ja, man hat mit den Lan-
desverrätern in der Schweiz, einschliesslich Qua-
derer, die Kleinen erschossen, aber nicht weil man
aur die Kleinen hängen und die Grossen laufen
lassen wollte, sondern weil sie, obwohl Kleine,
Grosses verbrochen, das Land und das Leben der
Bewohner durch Verrat tödlich gefährdet hatten.
Dass dem so war, dessen waren sich allerdings
Quaderer und Roos und manche andere nicht wirk-
ich bewusst.
Und die Verhältnismässigkeit gegenüber den
Bemühungen der Anschluss-Leute, hierzulande der
Anschluss- und «Umbruch»-Aktivisten der «Volks-
deutschen Bewegung in Liechtenstein»? Waren sie
etwa besser als Quaderer? Die Frage nach der Ver-
hältnismässigkeit ist auch die Frage nach der Ge-
rechtigkeit. Gegenüber der tödlichen Konsequenz,
welche Quaderer als militärischen Landesverräter
:raf, empörte damals und störte noch später viele
im Fürstentum das ungeschorene Davonkommen
vieler und Grösserer, welche ähnliche Ziele mit an-
dern Mitteln angestrebt hatten. Wie gezeigt, wäre
Juaderer in Liechtenstein mit etwa zwei Jahren
Kerker davongekommen. Man hat in Liechtenstein
gewartet, bis der Krieg vorbei war, und dann jene
Bewegungs-Führer, die 1939 den Anschlussputsch
verantworteten, auch gerichtlich abgeurteilt, eben-
so den ab 1940 tätigen, anschlussbereiten Landes-
leiter der «Volksdeutschen Bewegung», Dr. Alfons
Goop, der für die einheimische NS-Bewegung und
°ür deren Mitleiter, einschliesslich «Umbruch»-
Kampfblatt-Redaktoren, die ganze Verantwortung
und eine mehrjährige Strafe auf sich nahm.
J
e_
6
Zeit und Mentalität
Zum Schluss muss man sich aus der Rückschau die
Zeitbedingungen vergegenwärtigen: Zweiter Welt:
krieg, die Schweiz und Liechtenstein vom Krieg
umflossen, Gefährdung von allen Seiten, Unsicher-
heit, ob man nicht angegriffen werde, Pflichten,
kriegswirtschaftliche Einschränkungen, Zukunfts-
und Lebensangst, Todesangst. Da erschienen Ver-
ratshandlungen gegen das eigene Land als Dolch-
stösse, Verräterei als eine Form der Kriegführung,
die Verräter als Feinde, als zum Feind übergelau-
"ene Soldaten, denen man schliesslich, nach Ge-
richtsverfahren zwar, auf dem Richtplatz auch mit
der Waffe entgegentrat. In jener Zeitsituation und
Stimmung wussten sich die Behörden mit der Be-
völkerung in solcher Bewertung der Landesverrä-:
ter, auch der Todesurteile, einig.
Auch in Liechtenstein nahm man den Prozess
gegen Alfred Quaderer und seine Hinrichtung, die
man erfuhr, offenbar mit Interesse, aber ohne gros-
ses Mitleid hin. Viele waren empört ob des verräte-
rischen Treibens. Manche, zumal die aktiven NS-
Gegner, empfanden Genugtuung über die Strafe.
Diese erschien als hart, aber gerecht und nötig. Im
Krieg galt ein Menschenleben wenig, gar das eines
Verräters. Die Behörden zeigten wenig Eifer, zu-
gunsten des Lebens von Quaderer einzuwirken,
das Landesinteresse, die Bewahrung des guten
Verhältnisses zur Schweiz, ging vor. Quaderer war
seit der Primarschulzeit landesabwesend, halb
fremd, Schweizer Dialekt redend, man kannte ihn
hier kaum mehr. Nach dem Krieg redete man
wenig mehr davon, man wusste auch nichts Ge-
naues,
Eines führt der hier geschilderte Fall des Alfred
Quaderer gerade auch für das kriegsverschonte
Liechtenstein drastisch vor Augen: Ins allgemeine
Kriegsgeschehen waren lauter Einzelschicksale
eingebettet, und es ging um Leben und Tod.
Dass freilich der Tod auch im extremsten
Schuldfall einem Menschen nicht als gerichtliche
Strafe von Staates wegen zugefügt, sondern ihm
sein Letztes, das Leben, immer bewahrt werden
sollte - wie es die Überzeugung des Verfassers ist —,
dies hat in jener extremen Zeitsituation nicht der
allgemeinen Mentalität entsprochen.
| 2
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
QUELLEN UND
LITERATUR
ARCHIVQUELLEN
Liechtensteinisches
Landesarchiv (LLA): RF
219/28. - RF 224/303. -
RF 224/460. — RF 234/
131. -S 75/203. - Weitere
Einzelakten.
Bundesarchiv Bern:
E 5330 1982/1, Bände
32-94, 98/124/1943. -
E 5330 1982/125. —
Protokoll des Bundesrates
vom 16. Mai 1944.
Staatsarchiv St. Gallen:
A 116/1383.
Akten aus dem Nachlass
von Regierungschef-
Stellvertreter Ferdinand
Nigg (dem Verfasser
freundlicherweise zur
Einsicht gegeben von
?rofessor Ernst Nigg,
Vaduz; die Akten heute
auch im LLA).
Stadtarchiv Zug (freund-
liche Auskunft von Stadt-
archivar Dr. Christian
Raschle).
Zivilstandsamt Vaduz.
Zivilstandsamt der Stadt
Zug: Todesschein Alfred
Nuaderer (freundliche
Auskunft von Irene
sSchwendimann).
Zivilstandsamt der Stadt
Zürich: Todesschein Alfred
Juaderer, Begräbnis-
angabe (freundliche
Auskunft von Hrn. Stein-
mann}.
GEDRUCKTE QUELLEN
3ericht an die Bundesver-
sammlung über den Aktiv-
lienst 1939 bis 1945 von
:eneral Guisan (März
946).
Bericht des Chefs des
Generalstabes der Armee
ın den Oberbefehlshaber
ler Armee über den
Aktivdienst 1939-1945
‚von Generalstabschef
Jakob Huber, November
1'945).
Bericht des Armeeauditors
‚Oberstbrigadier Jakob
Eugster), in: Bericht des
Generaldajutanten der
Armee an den Ober-
oefehlshaber der Armee
iber den Aktivdienst
1939 bis 1945, S. 239-265
'20. August 1945).
Die Tätigkeit des Sicher-
jeitsdienstes der Armee
von Oberst Müller und
0berst Jaquillard), Nach-
rag Nr. 2 zum Bericht
vom November 1945 des
Chefs des Generalstabes
iber den Aktivdienst 1939
is 1945. In: Bericht des
Chefs des Generalstabes
siehe dort), S. 463-513
Akten zur Deutschen Aus-
wärtigen Politik 1918-
1945, Serie E: 1941-1945,
Bd. II, Dok. Nr. 258
Schreiben von Köcher
ans Auswärtige Amt,
T. September 1942).
5;chweizerisches Militär-
strafgesetz (MStG), Bun-
lesgesetz vom 13. Juni
‚927.
schweizerische Militär-
strafgerichtsordnung
‚MStGO), Bundesgesetz
vom 28. Juni 1989
Schweizerisches Strafge-
;etzbuch (StGB), Bundes-
zesetz vom 21. Dezember
1937.
Österreichisches Strafge-
setz über Verbrechen,
Vergehen und Übertretun-
zen vom 27. Mai 1852,
3aingeführt im Fürstentum
“iechtenstein mit der
Urstlichen Verordnung
vom 7. November 1859.
'n: Amtliches Sammelwerk
ler Liechtensteinischen
Zechtsvorschriften vor
1863, Liechtensteinisches
Landesgesetzblatt 1967,
\r. 34.
Gesetz betreffend den
schutz zur Sicherheit des
“andes und seiner Bewoh-
1er vom 17. März 1937
‚seinerzeit «Spitzelgesetz»
genannt), Liechtenstei-
nisches Landesgesetzbhlatt
1937. Nr. 3
ZEITUNGEN
Werdenberger & Obertog-
genburger (W&0). (Buchs),
1939-1945; hier speziell
März bis Juni 1944
‚‚ijechtensteiner Volksblatt,
März bis Juni 1944
Liechtensteiner Vaterland,
März bis Juni 1944.
st. Galler Tagblatt (Aus-
schnitte 1944 im Staats-
ırchiv St. Gallen, s. oben).
Jie Ostschweiz (Aus-
schnitte 1944 im Staats-
archiv St. Gallen, s. oben).
Die Jugend, Mitteilungs-
olatt des Fürstlich-Liech-
;ensteinischen Pfadfinder-
ınd Pfadfinderinnen-
Korps, ab April 1944,
1945
ZEITZEUGEN-INTER-
VIEWS DES VERFASSERS
Armin Linder +, St. Gallen,
vom Juni 1976.
‚ohannes Tschuor +,
Yfarrer von Schaan, vom
11. und 31. Mai 1988.
Fürst Franz Josef 11.
von Liechtenstein +, vom
10. Februar 1989.
Meinrad Lingg, Schaan,
vom 29. Januar 1998.
Weitere Einzelmitteilungen
verschiedener Personen.
ı+4
LITERATUR
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Schweizer Bundesräte,
Ein biographisches Lexi-
kon. Zweite Auflage.
Zürich, München, 1992
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1939. 2 Bände. Vaduz,
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Meienberg, Niklaus: Die
Erschiessung des Landes-
verräteres Ernst 5. Zürich.
1992 (erstmals veröffent-
licht 1975 in Niklaus
Meienberg: Reportagen
aus der Schweiz; verfilm
zusammen mit Richard
Dindo 1975).
Meier, Adolf: Eschner
Familienbuch, Band 1.
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Noll, Peter: Landesver-
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Nr. 14 / Sommer 1999,
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Unser Alpenkorps. Hrsg.
vom Gebirgsarmeekorps 3.
Olten, 1983.
Wanger, Manfred: Stamm-
:afeln der Bürgerfamilien
von Schaan. Schaan,
1989.
BILDNACHWEIS
S. 115 und 117:
Gemeindearchiv Schaan.
S. 123, 132, 134 und 135:
Landesarchiv und Landes-
Jibliothek, Vaduz («Liech-
‚ensteiner Volksblatt»,
<«Liechtensteiner Vater-
‚and»).
S. 122, 126, 127 und 130:
BuchsDruck («W&0»),
Buchs.
ANSCHRIFT DES AUTORS
PD Dr. Peter Geiger
Im obera Gamander 18
F”L-9494 Schaan
DAS ALTE
PFARRHAUS AUF
DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN
ARCHÄOLOGISCHE AUSGRABUNGEN
JND BAUGESCHICHTLICHE UNTERSUCHUNGEN
GEORG MALIN
Inhalt
Einführung und Dank
Ausgangslage
Jarstellung anhand der schriftlichen
Quellen
Zeitlicher Ablauf der Untersuchungen
Unmittelbare Umgebung
Bauperiode 1
Die frühesten Bauten
Bauperiode 2
Erstes erkennbares Grundrissschema,
Ende 16. Jahrhundert
Bauperiode 3
Barockbau 1633/1644
Bauperiode 4
Bauliche Veränderungen im 18. und
frühen 19. Jahrhundert
Bauperiode 5
Umbau von 1875
Das 20. Jahrhundert
Die Funde aus dem Grabungsgebiet A
- Münzfunde
Keramikfunde
ANHANG
Urkunde vom 12. März 1751
- Transkription
Abkürzungen
Ungedruckte Quellen
Literaturverzeichnis
146
150
154
4
19
rs
4-2
*
‚80
191
192
192
‚93
196
196
‘96
201
201
201
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
EINFÜHRUNG UND DANK
Der vorliegende Bericht soll der erste Teil einer
umfassenden Publikation der archäologischen und
pauanalytischen Untersuchungen auf dem Kirch:
nügel von Bendern sein. Es ist geplant, in drei Fol-
ven die wissenschaftlichen Ergebnisse zu veröf-
fentlichen. Der erste Teil (A) soll die Baugeschich-
te des alten Pfarrhauses (Pfarrstall) untersuchen
(Abb. 3). In einem zweiten Bericht wird die Ge-
schichte der Statthalterei geschildert, also des Hau-
ses, welches den Prämonstratensern von St. Luzi
in Chur zur Verwaltung der Güter in unserer Ge-
gend und in Krisenzeiten als Zufluchtsort diente. In
einem dritten Teil sollen die Ergebnisse der Kir
chengrabungen dargestellt werden. Eine kurze Zu-
sammenfassung dieser bedeutsamen Erhebungen
ist bereits 1978 in der Sondernummer der «helve-
na archaeologica»' erschienen.
Die wesentlichen Forschungsergebnisse betref-
fend das alte Pfarrhaus (Pfarrstall) wurden schon
1989 in einem Vorbericht der Gemeinde Gamprin-
Bendern übergeben.“
Ich danke den Gemeindebehörden von Gamprin,
besonders Alt-Vorsteher Lorenz Hasler, der Alt-
Vorsteherin Maria Marxer und Vorsteher Donath
Jehri, für das Vertrauen und die Auftragserteilung
zur Verfassung des Berichts. Dem ehemaligen Präsi-
denten des Historischen Vereins Alois Ospelt, dem
amtierenden Vorsitzenden Rupert Quaderer sowie
dem Geschäftsführer Klaus Biedermann danke ich
für die Zusammenarbeit während der Ausgrabung
und der Drucklegung des Berichts. Bei dieser Gele-
genheit darf ich auch sämtlichen Fachleuten, Spe-
zialisten und Beratern für die Hilfe und Unterstüt
zung in allen Phasen der Untersuchungen am alten
Pfarrhaus danken. Ich danke der ehemaligen Gra
bungsequipe des Bauamtes der Regierung unter
der Leitung von Werner Batliner, Hansjörg From-
melt und seinem Team für die Leitung der Nach-
grabungen und die zahlreichen Hinweise und Rat-
schläge. Besonderen Dank schulde ich Peter Alber-
tin und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
für die Notizen zu Beobachtungen am Bau, für die
steingerechten Aufnahmen im Grundriss und am
aufgehenden Mauerwerk sowie für die Pläne zu
ainzelnen Bauphasen. Das Laboratoire Romand de
Jendrochronologie in Moudon bestimmte Art und
Alter verschiedener Hölzer. Walter Wachter lieferte
“otos zu den Ausgrabungsbefunden, ebenso Peter
Albertin. Norbert Hasler stellte die Aufnahme zur
Zeichnung von K.A. Kayser (1843) im Liechten-
steinischen Landesmuseum, Vaduz, zur Verfügung.
Claudius Gurt verdanke ich die Überarbeitung der
Transkription der Urkunde vom 12. März 1751. Ber-
ty Malin-Ziegler leistete aufwendige Schreib- und
Zedaktionsarbeit. Rita Vogt bewährte sich als akri-
bische Lektorin. Allen herzlichen Dank.
1) Georg Malin: Ausgrabungen auf dem Kirchhügel von Bendern.
In: helvetia archaeologica, 9/1978-34/36, S. 223-234.
2) Georg Malin: Das alte Pfarrhaus auf dem Kirchhügel Bendern.
Archäologische Grabungen und baugeschichtliche Untersuchungen
Vorbericht 1989, vervielfältigt im Aufirag der Gemeinde Gamprin.
Abb. 1: K. A. Kayser,
Kirchhügel Bendern von
Nordosten her, Bleistift-
zeichnung, vermutlich
1843
AUSGANGSLAGE
DARSTELLUNG ANHAND DER SCHRIFTLICHEN
QUELLEN
Auf dem Kirchhügel von Bendern nimmt der lange
Zeit baufällige Pfarrstall®, gemittet durch die nörd-
lich gelegene Statthalterei der Prämonstratenser
von St. Luzi in Chur und die südlich des Stalles er-
richtete Kirche, eine reizvolle zentrale Stellung ein.
Allein schon die auszeichnende Lage des Pfarrstal-
les weist darauf hin, dass nicht Viehhaltung und
Tenne die ursprünglichen Funktionen dieses Ge-
bäudes gewesen sein konnten.
Vorerst soll die Geschichte des «Pfarrstalles» —
30 Wird er gegenwärtig genannt —- anhand der
zedruckten schriftlichen Quellen aufgezeigt wer-
den. Als Pfarrhaus war der Bau schon von Beginn
an geplant gewesen. Das Adjektiv «alt» erhielt
das Pfarrhaus vermutlich im 18. Jahrhundert. Die
Mönche von St. Luzi renovierten und barockisier-
ten die nahe gotische Statthalterei auf dem Kirch-
ıügel in der Zeit um 1730. Damals wirkte das
>Mfarrhaus im Vergleich zu der erneuerten Statthal-
terei alt. So wurde das Pfarrhaus zum «alten Pfarr-
naus». Aus der Geschichte sind zahlreiche Namen-
gebungen bekannt, die mit dem baulichen Zustand
der Objekte zusammenhängen. Vor allem die Ad-
jektive «alt» und «neu» können dann zu irrtüm-
ichen Schlüssen über das Alter der Bauten verlei-
‚en. Erst jüngst ist das Verwirrspiel zur Zeitstellung
der nahen Burgen Alt- und Neu-Schellenberg ge-
klärt worden. Die Ausgrabungen auf den Burganla-
zen haben ergeben, dass Alt-Schellenberg jünger
als Neu-Schellenberg ist, und dass Ursache für die
Verwirrung eben bauliche Vorgänge waren. So dür-
fen aufgrund von Adjektiven mit Hinweisen keine
Rückschlüsse über frühe Bauvorgänge gezogen
werden.
Die erste urkundliche Erwähnung des Gebäudes
ın den gedruckten Quellen datiert offenbar vom
Jahre 1636.* Der Prämonstratenser-Mönch und
Pfarrer Bonaventura Schalk° erwarb 1636 für das
dem Rhein wieder «aus dem Rachen gezogen» und
nutzbar gemacht. Um 50 Gulden überliess der
Graf die ihm «iure zu einem Wildtstandt zue-
khommene guetter». Künftig sollten die beiden Ge-
meinden mit den genannten Auen und Wiesen
nach Belieben schalten und walten, sie ohne jede
Einrede aufwachsen lassen oder roden dürfen. 1 7
In diesem Rechtsgeschäft berühren sich Gemein-
und Obereigentum. Der Kauf von 1672 erhellt eine
jahrhundertalte Rechtsentwicklung: Auf Jagdrecht
reduziertes Obereigentum wird von gemeinen, zu
Eigentum sich wandelnden Nutzungsrechten ver-
drängt. Im sulzisch-hohenemsischen Urbar (um
1600) werden die Schaaner und Vaduzer Au als
«der Herrschaft eigen» bezeichnet.18 Noch 1805,
als die Privatisierung der Auen zur Diskussion
stand, erwähnte Landvogt Menzinger dieses Herr-
schaftseigentum an den Auen als «dominium di-
rectum». Er räumte dabei aber ein, dass das Nut-
zungseigentum, das «dominium utile», nämlich
Weiderecht und Holznutzen, unstrittig der Gemein-
de gehöre. 1 9
1704 beschloss die «Gemaindt Vaduz unnd
Schan» die «aussgebung der aigenthumblichen Aw
unnder den Schaner Wisen». 2 0 Wo ist diese Au, wo
sind die Schaaner Wiesen zu lokalisieren? Eine
Skizze des Rheinverlaufs aus dem Jahre 17902 1 gibt
uns eine Antwort. Danach dürfte die Au nördlich
der heutigen Zollstrasse gegen den Rhein zu gele-
gen haben.
Gemäss Beschluss von 1704 wurde die Au aus-
gemessen, die Teile wurden als fällige Gemeinds-
teile zur privaten Nutzung an die Gemeindsleute
ausgegeben. Die Au sollte als <Wieswachs>, das
heisst als Heuwiese gebraucht, der Zu- und Abtrieb
von Vieh sollte wie bei den anderen Wiesen beste-
hen bleiben. Gleichzeitig wurde das Anrecht auf
einen Gemeindsteil umschrieben und das Einkaufs-
geld für Fremde und für eingeheiratete Frauen
festgelegt. Und «weilen vor hochnothwendig dem
Newen Gueth unnder dem Hoch Gericht 2 2, sein
Steeg und Weeg ab- und darzuezuefahren, zue zai-
gen, unnd zuenambsen», d.h. weil es für dringend
nötig erachtet wurde, vom Galgen an der Triesner
Grenze angefangen, jedem die Zufahrtswege zum
neu eingelegten Gut anzuweisen, wurden die Trieb-
und Fahrrechte im ganzen gemeinsamen Gebiet
geregelt. Dabei wurden den einzelnen Siedlungs-
teilen eigene Wege und Triebe von und zur einge-
legten Au zugeordnet:23
- «Die Vaduzner, unnd die von der Guschg, nam-
mens OberGass- und Winckhel 2 4 , wie auch die Zu-
schger» 2 5 (sollten) «nach ihrer Komblichkheit an-
fengklich von der Aw dem Rhein nach, neben der
Gemeindtwis an denen gewöhnlichen weeg, unnd
dan hinauff dem alten wisen weg nach auf die alte
weegsame zwischen dem Schaner Äwle 2 0 und
17) GAS U35, Urkunde vom 20. Dezember 1672.
18) LUB 1/4, S. 340.
19) LLA RA 32/2/29, Menzinger an fürstl iche Hofkanzlei. 1. März
1805.
20) GAS 38/10/147. «Proiect» vom 13. Dezember 1704, vom Ober-
amt am 21. Apr i l 1713 bestätigt.
21) LLA RA 41/6/2/31: Skizze des Rheinverlaufs von l.andvogt
Menzinger, 1 790.
22) Richtstätte «bim Galga» in der Rütti, westlich vom Meierhof. an
der Genieindegrenze zu Triesen.
23) Die Zuordnung erfolgt in der Reihung der geographischen Lage
der verschiedenen Dorfteile von Süden nach Norden, von der
Triesner Grenze bis an den nördlichen Dorfrand von Schaan.
24) Mit «die von der Guschg, nammens Obergass- und Winckhel» ist
der Dorfteil von Schaan bezeichnet, dessen alpberechtigte Hofstätten
gemäss Teilungsbeschluss von 1503 zur Alpgenossenschaft Guschg
zugeordnet sind.
25) Die Bezeichnung «Zuschger» ist nicht sicher zu identifizieren
und zu lokalisieren. Gemeint sind vermutlich entweder die Rodfuhr-
leute oder die bei der Zuschg, der Verladestation für Waren im
Rodfuhrverkehr, wohnhaften Leute. Der Standort der Zuschg wäre
dann im Bereich der Strassenkreuzung St. Peter/Wiesengasse zu
suchen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Schaan 1703
eine neue Zuschg errichtete und 1704 an einer Zusammenkunft in
Brcgenz eine neue Rodordnung beschlossen wurde (vgl. Bieder-
mann. Klaus: Das Rod- und Fuhrwesen im Fürs tentum Liechten-
stein. In: JBL 97. 1999. S. 77 f.).
26) Das «Schaner Äwle» ist wohl im Bereich der heutigen Flur
«Äulo», nördlich der Rüttigass rhe inwär t s , an der Grenze zu Vaduz,
zu lokalisieren.
10
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
Kloster St. Luzi ein Haus, das unter dem «Pfarrhof»
lag. Dabei muss es sich nach all dem, was wir über
die Bauten auf dem Kirchhügel von Bendern wis-
sen, um den heutigen Pfarrstall handeln.
Dann folgt eine weitere Erwähnung im Jahre
1647. Damals erschien in der «Tafelstube» des
Pfarrhauses der kaiserliche Notar Dr. Schalk mit
Zegleitung in der Angelegenheit des ersten Noval-
zehntstreites zwischen dem Kloster St. Luzi und
dem Grafen von Hohenems zu Vaduz.® Bei der
Übergabe der Herrschaftsrechte an die Fürsten von
Liechtenstein am 16. März 1699 wurden im alten
>farrhaus entscheidende Gespräche geführt.‘
Mehr als ein halbes Jahrhundert später, am 12.
März 1751, gab der aus Balzers gebürtige Prämon-
stratenser-Abt Norbert Kaufmann® fünf Lehnsleu-
ten aus Gamprin und Ruggell allen der Benderer
statthalterei zur Verfügung stehenden Grundbesitz
zu Lehen. Davon ausgenommen waren die St.-
Luzi-Lehen, die Waldungen, die ummauerten Gär-
en vor der Statthalterei und dem «alten hauß».
Der vor dem «alten hauß» liegende Garten grenze
an den «großen Kürchweeg». Ausbedungen war
auch, dass im alten Haus, welches die Lehnsleute
erhielten, der «große Keller» und zwei Zimmer des
Pfarrers weiterhin von diesem genutzt werden soll-
jen. Sonst erhielten die «Lehnsempfänger» alles:
den «alten keller», den Torkel samt «büttenen und
züber», alle übrigen Zimmer des Hauses, die Korn-
böden usw. Die Mönche liessen die Pächter im al
jen Haus eine Küche und Stube bauen. Für Schä-
den hafteten die Lehnsnehmer. Zur Beschreibung
der örtlichen Umgebung um 1751 dient auch eine
weitere Passage aus dem Lehnsbrief: Danach be-
Kamen die Lehnsleute den um die Pfarrkirche lie-
genden Weinberg und den hinter dem alten Haus
oefindlichen Garten, der sich in der Länge vom
«kleinen Kürchweeg» bis zur Begräbnisstätte der
Kinder, in der Breite vom alten Haus bis an die
Friedhofmauer erstreckte.” Soweit einige urkundli-
che Schilderungen der örtlichen Situation in der
Mitte des 18. Jahrhunderts.
Gewiss wurde in den folgenden Jahrzehnten
manches am alten Pfarrhaus verändert und umge-
yaut. Genaue Angaben hierüber sind heute nicht
bekannt. Am 29, Juli 1813 hiess es, Bayern, das in
der Zeit von 1805 bis 1813 die Lehnsrechte in Ben:
dern innehatte, habe für die Bauten der Pfründe
ınd für Stallungen und die Umgebung viel Geld
aufgewendet.!® Vermutlich ist darunter die Sanie-
rung der Sturmschäden vom Dezember 1810 zu
verstehen. Ein Sturm hatte an den Bauten auf dem
Kirchhügel Schaden an der Bedachung angerichtet,
der sofort behoben werden musste. Und im fol-
zenden Jahr soll ein Stallgebäude für 900 Gulden
errichtet worden sein.'!'! Für grössere Investitionen
der bayerischen Krone in Bendern aber waren die
Voraussetzungen in politisch unruhigen Zeiten
kaum gegeben: Ein bescheidener bayerischer Be-
sitz in einem anderen souveränen Staat, mit mit-
telalterlichen Rechtsansprüchen begründet und
3) Erwin Poeschel: Die Kunstdenkmäler des Fürstentums Liechten-
stein. Hrsg. Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte. Basel,
1950, S. 254. - Grundbuchamt Vaduz, M. 8, 9a.
4) Johann Baptist Büchel: Die Geschichte der Pfarrei Bendern.
n: JBL 23 (1923), S. 122.
5) Pater Bonaventura Schalk, Pfarrer und Administrator in Bendern
‘1634-1654), Prämonstratenser aus dem Kloster Roggenburg.
Johann Baptist Büchel. wie Anm. 4, 5. 118.
5) «... den dreisigisten monatstag July jm pfarhoff zue Penderen jn
der Tafelstuben ...» Zeitgenössische Abschrift, 30. Juli 1647. PfABe,
LLA Nr. 28, Akt 24. - Johann Baptist Büchel: Die Urkunden des
”farrarchivs zu Bendern. In: JBL 12 (1912), S. 120-123, - Johann
Baptist Büchel, wie Anm. 4, 5. 137. - Peter Kaiser: Geschichte des
Zürstenthums Liechtenstein 1847. Neu hrsg. von Arthur Brunhart
Vaduz, 1989, Bd. 2, Apparat, S. 451, Anm. 274.
7) Otto Seger: Von Hohenems zu Liechtenstein. In: JBL 58 (1958).
S. 113.
8) Pater Norbert Kaufmann. erwähnt 1744-1754, Bürger von
Balzers, Abt des Klosters St. Luzi, gestorben in Chur. - Johann
3aptist Büchel, wie Anm. 4, 5. 119, vgl. auch S. 125-127, 141.
9) Ebenda, S. 125-127.
‚0) Schreiben Landvogt Schupplers an das Bischöfliche Ordinariat
n Chur, 29. Juli 1813. Johann Baptist Büchel, wie Anm, 4, 5. 82-84
11) Um welches Ökonomiegebäude auf dem Benderer Kirchhügel es
sich dabei gehandelt hat, ist nicht sicher festzustellen. Vielleicht geh!
as hier um das Stallgebäude, welches am Fuss des Felsens an der
Nordseite der Statthalterei stand. Der First des Stalles erreichte die
Kellerhöhe der Statthalterei. Das Gelände wurde im Spätsommer
ınd Herbst 1976 archäologisch untersucht. Es könnten damit aber
auch die Ökonomiegebäude, welche an der Stelle des heutigen
Zasthauses «Löwen» standen, gemeint sein.
A A
N I
ST
Abb. 2: Blick von Nord-
sten zum Kirchhügel
Bendern
lurch Usurpation jüngst erworben, konnte die
Bayern kaum zu grosszügigen Ausgaben ermun-
tern, es sei denn, Bayern spekulierte darauf, um
1809 ganz Liechtenstein unter bayerische Herr-
schaft zu bringen. Landvogt Joseph Schuppler, be-
zünstigt durch kontinentalpolitische Konstellatio-
nen und gedeckt von der Politik des Fürsten
Johann I. (1760-1836), achtete eifersüchtig auf die
5ouveränitätsrechte des souveränen Rheinbund-
staates Liechtenstein.!®
In Bendern ging zu Beginn des 19. Jahrhunderts
eine mehr als 600-jährige Epoche prämonstraten-
sischer Präsenz zu Ende. De facto galt der Bende-
rer Klosterbesitz von St. Luzi in Chur nach 1802 als
säkularisiert. Das Seminar in Chur übernahm am
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
17. Januar 1806 alle Rechte des Klosters. Der letzte
Abt, Nikolaus Gyr, starb kurz danach.'!* In Bendern
verschied der letzte Konventuale, Pater Andreas
Maiser, am 20. Mai 1816.'* Damit bestand für die
Mönche von St. Luzi kein Bedarf mehr an Wohn-
raum, und die Statthalterei mochte fortan wohl als
”farrhaus genügen. Doch galt es vorerst, den letz-
ten Patronatsherrn, der 1814 die Nachfolge von
Bayern angetreten hatte, nämlich Österreich, zu
verabschieden.
Österreich erwuchsen aus den Rechten und dem
Besitz in Bendern immer wieder erhebliche Auf-
wendungen beim Unterhalt der Bauten auf dem
Kirchhügel. In den Jahren 1827, 1828, 1832, 1839,
1841 und 1859 bezahlte das österreichische Ärar
Rechnungen für den Unterhalt der Pfarrkirche, des
Pfarrhofes und der Ökonomiegebäude,'® wenn
auch zögernd und widerwillig. 1863 schliesslich
antschloss sich Österreich, alte Rechte und allen
Besitz des ehemaligen Klosters St. Luzi in Bendern
zu veräussern. Die Verhandlungen zogen sich
Jahin: Ein Käufer und ein angemessener Kaufpreis
mussten gefunden werden. Die Gemeinde Gamprin
war für Österreich der nahegelegenste und inter-
essierteste Partner. Nicht zuletzt dank der ge-
schickten Vermittlung der liechtensteinischen Re-
gierung einigten sich schliesslich die österreichi-
schen Vertreter und jene der Gemeinde Gamprin
am 8. Januar 1874 in Feldkirch auf die Entschädi-
gungssumme von 16 000 Gulden, welche das öster-
reichische Ärar der Gemeinde für die Übernahme
der Patronats- und Baupflicht entrichten musste.
Sin Statut vom 23. Juni 1874 regelte die neue Do-
Jerung der Pfarrpfründe und schrieb unter ande-
rem die notwendige Renovation der Ökonomiege-
bäude vor !®
Die Gemeinde handelte rasch. Der Zustand der
Bauten auf dem Kirchhügel erlaubte kein Zuwarten
mit den Restaurationsarbeiten. Am 17. Januar
1875 ersuchte der Pfrundverwalter die Regierung
in Vaduz, «den Umbau des alten Pfarrhauses in
Bendern zu einem Ökonomiegebäude» zu bewilli-
gen. In einer amtlichen Randnotiz auf dem Gesuch
heisst es, dass das alte Gebäude in «seinem Um-
fange unverändert» bleibe. Im Inneren werde die
Zinteilung der Räume verändert.!’ So erteilte die
Zegierung am 18. Februar 1875 die Bewilligung
zum Umbau.
In der Folge entstand ein Stallgebäude mit
Scheune. Der Raum für Weinkelterung im Nordost-
bereich des Erdgeschosses blieb offenbar noch in
Gebrauch, ebenso der beinahe ein halbes Stock-
werk tiefer liegende, gewölbte grosse Weinkeller
‘Keller 2) im südwestlichen Teil des Grundrisses. In
der Nordecke des Hauses erstellte man einen Kuh-
und Schweinestall (Abb. 4) mit einem neuen Zu-
gang zu den Stallungen. Aus dieser Zeit stammt das
grosse Scheunentor in der nordwestlichen Fas-
sade. Den erwähnten grossen Keller deckte im
Grundriss ein Lagerraum ab. Für Heu und andere
Vorräte gewährte das ehemalige erste Wohnge-
schoss nach Entfernung der Zimmerwände und
Jecken genügend Raum für eine grosse Scheune
mit sichtbarer Dachkonstruktion.
Nachdem aber die landwirtschaftliche Nutzung
des Gebäudes endgültig eingestellt worden war
und das Gebäude keinem eigentlichen Zweck zuge-
führt wurde, zerfiel es mehr und mehr. Es diente
als Depot für Dinge, die man nirgends sonst unter-
bringen konnte. Die Tenne wurde zur Garage für
das Auto des Pfarrers und lange Zeit auch Lager-
raum für Brennholz. Während der Kirchenrenova-
tion 1968/70 war der längsrechteckige südwestli-
che Raum Kapelle für Gottesdienste an Werktagen.
Das funktionslos gewordene Gebäude verkaufte
die Pfarrpfründe Bendern am 16. Dezember 1971
12) Georg Schmidt: Fürst Johann 1. (1760-1836). Souveränität und
Modernisierung Liechtensteins. In: Volker Press/Dietmar Willoweit
Hrsg.): Liechtenstein - Fürstliches Haus und staatliche Ordnung.
Vaduz, Wien, 1986, S. 387-407. - Dazu die Ausführungen Johann
Baptist Büchels, wie Anm. 4,5. 81 f
13) Pater Nikolaus Gyr. erwähnt 1775-1806, stammt aus Einsiedeln
war Pfarrer in Bendern und starb als letzter Abt (1782-1806) in
st. Luzi in Chur. Johann Baptist Büchel. wie Anm. 4.5. 79 ff.. 119.
(4) Ebenda, S. 81.
15) Ebenda, S. 89, 104
16) Ebenda, S. 108 If.. besonders S. 114 f., Punkt 6 des Statuts.
17) Schreiben des Pfrundverwalters an die Regierung in Vaduz vom
17. Februar 1875: LLA C 1875 / 294
1
tr}
heutiges Pfarrhaus /
ahem. Konvent von 1538 / 39
Depot von Ofenkacheln ff...
nn frühbarocker
Hausgrundriss
Abb. 3: Grundriss der
3auten auf dem Kirch-
hügel Bendern
Grabungsgebiet A
) 5 10. 15 20m
Ey
Ostgarfex
X
Coaha:
N,
Vf
;
I
heutige Kırche vor
dem Land Liechtenstein unter der Bedingung, das
Haus nach den Gesichtspunkten des Denkmal-
schutzes zu renovieren und dann kulturellen
Zwecken zuzuführen.
In diesem Zustand, natürlich nicht ohne Spuren
erheblichen Zerfalls, trafen wir den Pfarrstall an,
als die Untersuchungen in den Fundamenten ein-
setzten.
ZEITLICHER ABLAUF DER UNTER-
SUCHUNGEN
im Zusammenhang mit den Ausgrabungen auf
dem Kirchhügel in Bendern kamen wir im Oktober
1971 mit Fundamenten des alten Pfarrhauses in
Kontakt. Bei Grabungen zur Abklärung des Nord-
bereiches des ersten Profanbaues auf dem Kirch-
hügel und den kirchlichen Nachfolgebauten entlang
der nördlichen Friedhofmauer legte die Grabungs-
mannschaft die südwestliche Mauerflucht der Um-
friedung des Gärtleins vor dem alten Pfarrhaus frei
und stiess dabei auf Fundamente, die in einer Tiefe
bis zu zwei Metern lagen und deshalb mehr sein
mussten als blosse Fundationen zu einem Garten-
mäuerchen (A SCH S-W 1: Abb. 4. 43).
„544
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
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A KELLER 1a
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GROSSER KIRCHWEG
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Abb. 4: Schnitte, Mauern,
Kellergeschoss
—— —zR——+z—
N) 1.2. 2 4 5m
Abb. 5: Altes Pfarrhaus,
Blick gegen Südwesten.
Ganz links «Grosser
Kirchweg». Ferner AM 1;
AM 2 mit A Feld 1; Schnitt
A Sch 2: Nordostfassade
Be)
9,51
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tundbogen- Tor
LM
Tor 18
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” 6.68
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Treppenstufe:
5den - Pflästerung
RAUM 4 |
ehem. Kopfstein-
Pflästerung
RAUM 1
43
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Holzfundation
Rest einer Trer
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Jauchegrube 1875
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rennwand 1875.
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stud dd. 1634 8.34
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Bodenstück aus; ;
Backsteinen
6.96
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Gewölbeansatz = 8.26
- ——— A
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na) Wr ©
} Boden - Pflästerung
3 so f,
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"undament
‘s
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Sartenmauer über Kellermauer
8.
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«8.07
—“. —
ra7 5
Gartenmauer
über Kellermauer
a’) af
--
az kn
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
An den Fassaden des alten Pfarrhauses wurde
vorerst in zwei Etappen der Putz entfernt. Die
eigentlichen archäologischen Untersuchungen am
alten Pfarrhaus setzten am 20. Juli 1977 ein. Acht
Tage später stand fest: Der Südwestgarten beim
>farrstall liegt in einem Kellergrundriss. Nach
einer Grabungspause vom 24, August bis 22. Sep-
tember 1977 — es mussten im Nordrondell des
Schlosses Vaduz dringende Untersuchungen vorge-
nommen werden - legten wir entlang der Südost-
seite des alten Pfarrhauses einen eineinhalb Meter
breiten Sondierschnitt zur Untersuchung der Fun-
damente an. Alsdann folgte die Freilegung der
Fundamente an der Nordwesitseite des Baues und
des Eingangs zum bereits ausgegrabenen Keller
(Keller 1a). Schliesslich wurden die Fundamente an
der Nordostseite freigeschaufelt (Abb. 4).
Die weiteren archäologischen Erhebungen gal-
ten dem in einer Urkunde von 1751 genannten
«großen Kürchweeg» mit den ihn begleitenden
Mauern. Der «große Kürchweeg» führt an der
Südostseite des alten Pfarrhauses vorbei; er be-
grenzt den um 1751 genannten Pfarrgarten an der
Südostfassade des alten Pfarrhauses. Gleichzeitig
zur geschilderten Ausgrabungstätigkeit liefen die
Nachforschungen im Südgarten der Statthalterei:
Die Ausgrabungen und bauanalytischen Untersu-
chungen am aufgehenden Mauerwerk des alten
Pfarrhauses wurden bei Wintereinbruch in der
zweiten Dezemberwoche 1977 abgebrochen. Kurz-
fristige Erhebungen erfolgten noch im März 1978.
Eine weitere Untersuchungsphase im Innern des
alten Pfarrhauses datiert vom 5. Februar bis zum
20. März 1979. Die Arbeiten erstreckten sich vor
allem auf die Bereiche der Keller und des Erdge-
schosses (Abb. 4).
Im Zeitraum von Ende Oktober bis anfangs No-
vember 1988 zeichnete Peter Albertin, Winterthur,
die Aussenansichten des Baues und hielt die we-
sentlichen Befunde fest; ebenso wurden die rele
vanten Beobachtungen im Innern des Hauses no-
tiert. Das Bestreben aber, die noch ausstehenden
Ergebnisse der Nachgrabungen komplett zu publi-
zieren, verzögerte die Veröffentlichung. Überdies
war Peter Albertin wegen gesundheitlicher Proble-
me 1990 nicht in der Lage, die Auswertung der Er-
hebungen zu dokumentieren, So dass die bereinig-
ten Aufnahmen und Unterlagen erst im Oktober
1992 vorlagen, nachdem 1989 der erwähnte Vor-
bericht zur Geschichte des alten Pfarrhauses er-
schienen war.
In den Monaten November und Dezember 1989
wurden die archäologischen Erhebungen durch
Hansjörg Frommelt und Paul Weiler, soweit die
Witterung und andere Verpflichtungen dies zulies-
zen, im Torkelraum (Raum 2a, 2b) fortgesetzt.
Gleichzeitig begannen dieselben Fachkräfte, inten-
siv die Stallräume (Räume 3, 4) in der Nordecke
des Hauses zu untersuchen. Diese Grabungskam
pagne, weitgehend von Eva Pepic-Helferich organi-
siert, wurde - mit Unterbrechungen - Ende Juni
1990 abgeschlossen.
Abb. 6: Steingerechte
Planaufnahmen der
Gehhorizonte mit den
Gebäudefundamenten.
Aufnahmen von Peter
Albertin und Hansjörg
crrommelt
Referenzhöhe =
460.00 m ü. M.
si Backsteine/Ziegel
ıeutiger Bestand an
aufgehendem Mauer-
werk
OK-Niveau 468.14
UK-Niveau 466.82
Terrain
Boden
Fels
Ergänzungslinien
Grabungsgrenze
—— F— —
3
——-+
) 3m
%
UNMITTELBARE UMGEBUNG
Die Untersuchungsergebnisse im Bereich des alten
Pfarrhauses können wir wie folgt zusammenfas-
sen: Das Haus steht auf einem nach Osten abfallen-
den, von Gletschern glattgeschliffenen Felsrücken;
die vier Hausecken ruhen auf dem gescheuerten
Kalkfelsen. In der Nordecke des Baues erreichen
die Fundamente schon in 70 cm Tiefe den anste-
henden Fels.'® Die übrigen drei Ecken des Hauses
stehen etwas tiefer im Erdreich, ehe sie auf das an-
stehende Gestein stossen. Am tiefsten steckt die
Südecke im Löss und Moränenschutt. Das aufge-
hende Mauerwerk des Hauses deckt ein Grundriss-
geviert von 12,70 m zu 16,60 m Seitenlänge.
Das Haus ist in seiner Ausrichtung nicht eindeu-
üg festzulegen. Das schlichte Satteldach überdeckt
ein Gemäuer mit wechselvoller Baugeschichte. Der
erste Eindruck einer Orientierung des Baues nach
Nordosten täuscht. Die wärmetechnisch ungünsti-
ge Ausrichtung der Fenster im ersten Obergeschoss
in der Nordostfassade, bei einer fast fensterlosen
Südwestfassade, erscheint als ein Resultat bauli-
cher Eingriffe und Veränderungen.
Die heutige Wegführung zur Kirche hin ist
sehr alt. Der «große Kürchweeg», wie der Zugang
im Jahre 1751 genannt wurde, führt direkt zum
spätgotischen Turm. Man gelangt vom heutigen
Schwurplatz aus, einem geologischen Graben, an-
gefüllt mit Moränenschutt und Löss, zur Statthal
terei und zur Kirche mit dem Friedhof. Die Wegfüh-
rung wird alsbald zu einer hohlen Gasse. An deren
Anfang stand rechter Hand seit dem späten 18.
Jahrhundert auf einem Gartenplateau ein Türm-
chen. Den weiteren Verlauf des eingetieften Weges
flankiert an der Südostseite ein geschliffener Fels-
rücken, bekrönt —- vermutlich seit dem Spätmittel-
alter, sicher seit dem 18. Jahrhundert —- von einer
Weinbergmauer mit satteldachartiger Abdachung
(Abb. 4; AM 4). An der Nordwestseite des «gro-
ßen Kürchweeges» steht eine vergleichbare Stütz:
und Gartenmauer. Unmittelbar vor dem Kirchturm
stand das «Rote Tor», durch welches man den
Friedhof betrat.!” Den Belag des Weges bildet ei-
ne Kopfsteinpflästerung, die bei einem Wasserlei-
‚ungsbau im Januar 1970 etwa 1 m unter dem heu-
jigen Niveau in der Höhe des erwähnten runden
Gartenturms gefunden worden ist
Auch die den Weg begleitende nordwestliche
Stütz- und Gartenmauer hat ihre eigene Geschichte
(Abb. 4, 5, AM 1). In einer ersten Bauphase, ver-
nutlich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts,
errichteten die Mönche bei der Ostecke des alten
Pfarrhauses eine erste Umfriedung für einen Gar-
:en. Das Gemäuer diente entlang des grossen
Kirchweges sowohl als Stütz- wie als Gartenmauer.
Der Aushub von Fundamenten und den Kellern des
>farrhauses wurde hier zumindest teilweise depo-
ıilert. Diese erste Stütz- und Gartenmauer lag 2,80
N von der gegenwärtigen nordöstlichen Mauer
zurückversetzt und folgte dem grossen Kirchweg,
wie dies das bestehende Mauerwerk tut. Die Fun-
dationstiefe der ersten Mauer war um zirka 40 cm
geringer als die der Nachfolgemauer. Aus dem Pro-
ll des abgelagerten Erdreichs kann ferner gelesen
werden, dass der südöstliche Vorplatz des Pfarr-
ıauses ursprünglich etwa 40 cm tiefer lag, ehe die
Planierung mit Aushub erfolgte. Wie die Urkunde
von 1751 berichtet, lag hier ein Pfarrgarten, «am
großen Kürchweeg nächst dem alten hauß ...»
Entlang der Nordostseite dieses Gartens und der
entsprechenden Giebelfront des alten Pfarrhauses
sowie der Stützmauer des Ostgartens der Statthal-
serei auf der Gegenseite führte — wie heute - eine
Wegabkürzung zu den rheinseitigen Eingängen des
alten Pfarrhauses und zur nördlich gelegenen spät-
zotischen Statthalterei. Der steile Erschliessungs-
weg gewährte auch Zutritt zum grossen rundbogi-
gen Tor im Kellergeschoss der Nordostfassade und
diente so unter anderem der Zufuhr des Pressgutes
zum Torkel.
Y >
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
BAUPERIODE 1
DIE FRÜHESTEN BAUTEN
Im kleinen, eingefriedeten Garten vor der Südwest-
fassade des alten Pfarrhauses wurde in den Jahren
1977 und 1979 ein Kellergrundriss freigelegt, des-
sen äussere südwestliche und südöstliche Mauer-
flucht im Oktober 1971, wie bereits erwähnt, ange-
graben worden waren (Abb. 4, 6, 9, 10).
Der erste Keller erreicht nicht die volle Breite
des bestehenden Hauses: Die südöstliche Fun-
damentlage ist zirka 1,50 m zurückversetzt. Im
Nordwesten jedoch, dem Rhein zu, überkragt die
Eingangspartie die jetzige Front um Mauerdicke
(75 cm). Der älteste Keller ist wie seine Nachfolger
nach Nordwesten hin orientiert. Die südwestlichen
Aussenmauerfundamente sind an eine Gruben-
wand gemauert, deren Profile im obersten Bereich
aus Humus, zur Hauptsache aus Löss, und zuun-
terst aus Moränenschutt bestehen. Erscheinen die
Aussenwände der Mauern als sehr unregelmässig
und bauchig, so bemerken wir im Innern eine sorg-
fältige Vermauerung der gebrochenen Steine, als
ob sie in eine Schalung gelegt und dann steinsichtig
verputzt worden wären. Die Baugrubentiefe ist
durch den anstehenden Felsen gegeben, der im
nordwestlichen Teil etwa zur Hälfte des Grundris-
ses auch den Bodenbelag bildet, während im
südöstlichen Teil in Lehm verlegte Rheinkiesel die-
se Aufgabe übernehmen. Auf diese Weise wird das
leichte Gefälle des geschliffenen Felsens gegen Süd-
osten hin halbwegs aufgefangen, so dass ein Boden
mit ungefähr konstanter Niveauhöhe zustande
kommt (466.96, 466.68, Abb. 6, 10). Die Nutzfläche
des Kellers betrug 7,50 m bis 7,25 m x 4,80 m.
Der älteste nachweisbare Eingang zum eben
beschriebenen Keller befand sich in der Westecke
des heute bestehenden Hauses (1875). Ein 95 cm
breiter Zugang ist durch zwei Flügelmauern nach-
gewiesen; zudem kann die spätere Vermauerung
des Zugangs in der Westecke der Fassadenmauer
beobachtet werden. Die Treppe dürfte in einen Vor-
raum des Kellers geführt haben. Das grosse, 2 m
breite Tor konnte so vom Wohnbereich her zugäng-
lich gemacht werden (Abb. 6, 7).
Wie dieses Kellertor damals erschlossen worden
war, ist am ergrabenen Befund nicht abzulesen.
Man muss schon in dieser ersten Bauphase einen
weiteren Zugang annehmen: Denn ein Sperriegel
sicherte das Tor von innen her. In der kellersei-
tigen, leicht abgeschrägten Torleibung befinden
sich, 35 cm über dem Kellerboden, zwei ungleich
‘iefe Balkenlöcher (Abb. 8), die zur Einschlaufung
eines Torbalkens dienten (Nordseite: 22 cm Höhe
x 25 cm Breite x 60 cm Tiefe; Südseite: 12 cm Höhe
x 12 cm Breite x 25 cm Tiefe). Schliesslich wurde
der nördliche, 90 cm breite Zugang in den Vorraum
vermauert und die 2 m breite Steintreppe mit sie-
ben Stufen eingebaut. Die gleichzeitige Benutzung
der beiden Treppen ist mit Blick auf die grundriss-
liche Situation sehr unwahrscheinlich. Der Keller
nusste also über die ganze Zeit hin in der abgebro-
chenen Südostwand eine zweite Tür aufgewiesen
1aben, oder eine im Gewölbe angebrachte Öffnung
ermöglichte den Ein- und Ausstieg zum Keller und
so die Bedienung des von innen verriegelten Tores
(Abb. 7, 8).
Den ersten Keller überwölbte eine gegossene
Tonne, die auf zirka 1,30 m Wandhöhe zur Wöl-
Jung ansetzte (468.31). Am Gewölbescheitel dürfte
die Raumhöhe etwa 2,80 m betragen haben.
Wie sich der Keller 1a zu weiteren, im Grundriss
ehedem gewiss vorhandenen Nutz- und Wohnbau-
ten verhielt, konnte nicht mehr ausgemacht wer-
den. Eine Ausdehnung der Bauten zum Friedhof
hin muss ausgeschlossen werden. Die auf der nord-
östlichen alten Kellerwand neben dem Gewölbe-
ansatz aufsitzende 8,80 m lange und zirka 1,80 m
ıohe Wand, welche im unteren Teil gegen Erde
oder Auffüllung gemauert ist, hilft bei der Interpre-
sation auch nicht weiter (Abb. 7, 50). Die genaue
Ausdehnung und Beschaffenheit des frühesten
Hauses bleibt im dunkeln. Reste einer Mauergrube
ım Raum 3 des Kellergeschosses (Abb. 7, 13) kön-
18) Nordecke des Hauses; vgl. topographische Karte, Koordinaten
X 156 456.50, Y 231 065.00.
19) LLA, Fasz. 2.13.3, Kostenvoranschlag für Renovation der
Umfassungsmauern 1842
FF
Las
»
PM)
bad
MS
EN,
A KELLER 1a
ı
—
»
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“van ,;
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A KELLER 2
,;Ö;ü
A RAUM 3
'A RAUM &
"—
x
—
A RAUM 1
=
Abb. 7: Grundriss Keller-
zeschoss
3 Bauperiode 1
—+——H———
) 1 2 3 4 5m
A KELLER 1b
DA
A RAUM 2b
A RAUM 2a
Abb. 8: Schnitt durch die
zingangspartie des Kellers
la mit Treppe und Türe
5
1,5 m
KELLER 1a
4369.00
Aufschüttung |
468.00 —
LEN
Gewachsener Boden
JE»
L..—
N ! rekonstr. Treppe
L m
—
De
A
Mörtelunterlage
|Schiessbalkenioch
Abb. 9: Schnitt
3Zauperiode 1
Gewölbe Keller 1
(rekonstruiert)
Keller 1
%Z Humus
Il Löss
= Moräne
N Fels
a
) 1.2 3 4 5m
KO
— If aa N
us L5
„af
x X
3t
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
Situierung der Au auf der
Landeskarte der Schweiz,
1998
Wfl Vermutliche
Situierung der im
Plan von 1790
eingezeichneten
Güter von Schaan
1790 ist die Landesgrenze
im Rhein noch nicht
ausgebildet. So liegen die
Schweizer oder Buchser
Wiesen (E) rechts-, die mit
® bezeichneten Triesner
Heuwiesen linksrheinisch.
Die 1704 eingeschlagenen
Schaaner Wiesen dürften
auf dieser Skizze den mit
dem Buchstaben © als
«Schaner Güter» bezeich-
neten Grundstücken
entsprechen. Die mit dem
Buchstaben (3) gekenn-
zeichneten «Schaner
Wiesen» entsprechen wohl
dem 1704 verbliebenen
«Rest» an gemeinsam ge-
nutztem Wiesland.
11
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
Abb. 10: Blick in den
Keller 1a von der Nord-
ecke aus gegen Süden.
Vorn rechts Eingang.
Geschliffener Fels als
Kellerboden, anschlies-
send Kopfsteinpflästerung.
Südecke: links oben,
Fundamente für provisori-
sche Bauten
nen letzte Hinweise zu einem Mauerzug dieser
Bauperiode darstellen, ebenso eine schwer zuzu-
ordnende Fundamentgrube mit Lesesteinen unter
der Nordwestwand des Raumes 1. Unter der gan-
zen Wandlänge der bestehenden Stallwand (1875)
liegen im gewachsenen Grund ungemörtelte Lese-
steine als Fundament. Die 50 cm tiefe Grube gehört
zum ältesten Bestand.
Zur Datierung des Erstbaues können die Mauer-
technik, die ausgegrabene Keramik und weitere
Einzelfunde sowie die Daten der Dendrochronolo-
gie herangezogen werden. Die geschilderte Mauer-
technik im Keller 1a hat in den erhaltenen Mauern
des alten Pfarrhauses keine Parallelen. Eine ver-
gleichbare Mauertechnik auf dem Kirchhügel von
Bendern weisen die Fundamente des spätgotischen
Chores (1481) auf.
Die ältesten Einzelfunde aus dem Grabungsbe-
reich (A) des untersuchten Pfarrhauses und dessen
unmittelbarer Umgebung sind älter als die (noch)
vorhandene architektonische Substanz. Die hervor-
ragend erhaltene karolingische Kreuzfibel aus dem
späteren 8. oder frühen 9. Jahrhundert (Abb. 11)
Jag als Streufund bei der Südecke des heutigen
Hauses und ist ohne Relevanz für die Baugeschich-
te. Ein stark oxydierter Brakteat erwies sich als ein
Luzerner Haller aus dem 15. Jahrhundert und lag
im beschriebenen Kellerraum. Mit dieser Münze
vergesellschaftet fanden die Ausgräber einen baye-
rischen Halbbatzen, geprägt in den Jahren 1625
bis 1651 (siehe Bearbeitung der Fundmünzen von
Hortensia von Roten, 1989, am Ende dieses Berich-
tes). Einige weitere jüngere Fundmünzen aus dem
Sarabungsbereich tragen zur Lösung der Datie-
rungsfrage nichts bei.
Die Keramik —- hauptsächlich grünglasierte Ofen-
kacheln und glasierte Gebrauchskeramik -—- ent-
stammt fast ausschliesslich dem Zeitraum vom 16.
bis zum 19. Jahrhundert. Lediglich ein rötlich
bemalter Wandscherben aus körnigem, gemager-
iem und beigem Ton könnte dem Hochmittelalter
zugeordnet werden. Das Randstück einer handge-
(ormten Becherkachel datiert aus dem 14. Jahr-
aundert (siehe Fundbericht).
Die ältesten im Pfarrhaus dendrochronologisch
bestimmten Hölzer sind in sekundärer Verwen-
dung im Bau integriert. Die Eiche der ältesten
untersuchten Holzsäule wurde in der Zeit um
1489/90 gefällt (Datierung nicht ganz gesichert).
Der urtümliche Eichentrog, der bis vor zirka zwan-
37
Abb. 11: Karolingische
Kreuzfibel. Ende 8. /
‚Trühes 9. Jahrhundert
Bronze, M 2:1
zig Jahren im Keller der Statthalterei lag, stammt
aus der Zeit um 1584/85.“° Eine im Boden der Ten-
ne liegende Eichensäule trägt in der Kapitellzone
die Jahreszahl 1606 (Abb. 22). Soviel zu den frü-
hesten absoluten Zahlen aus dem Architektur:
ensemble des alten Pfarrhauses.
Die Entstehungszeit des ersten nachweisbaren
Baues im Grundrissbereich des alten Pfarrhauses
kann also anhand der heutigen Grundlagen nicht
genau fixiert werden. Alle Indizien - Mauertechnik,
Einzelfunde und Dendrochronologie - weisen aber
mit einiger Wahrscheinlichkeit die frühesten bauli-
chen Vorkehrungen im angesprochenen Grabungs-
gebiet dem 16. Jahrhundert zu. Dies würde aber
nicht ausschliessen, dass schon vorher nicht mehr
ıachweisbare Bauten an dieser sehr exponierten
Stelle gestanden hätten.
Die Bautätigkeit auf dem Kirchhügel im 16.
Jahrhundert wird durch den geschichtlichen Hin-
tergrund — die Reformationswirren in Chur, den ge-
waltsamen Tod des Prämonstratenser-Abtes Theo-
dul Schlegel (1529) und durch das nachfolgende
Exil der Prämonstratenser von St. Luzi in Ben-
dern“! — erklärbar. Ganz konkret mochte zum Bei-
spiel der Bedarf an Kellerraum, der in der nahen
Statthalterei kaum in hinreichendem Masse vor-
handen war, die Erstellung des geschilderten Kel-
lers (1) verursacht haben. Johann Baptist Büchel
fasst die Baugeschichte dieser Jahre, ohne Angabe
von Quellen, lapidar so zusammen: «Im Jahre 1538
aber mussten alle Patres das Kloster [St. Luzi in
Chur] verlassen ... Die Mönche nahmen nun für
100 Jahre ihre Zuflucht in Bendern. Es wurde ne-
ben dem alten Bau ein grösseres Gebäude aufge-
[führt und zu einer Abtswohnung eingerichtet
‚Statthalterei, heutiges Pfarrhaus]. Der ursprüngli-
che Bau ist jetzt eine Scheune, der spätere bildet
die Wohnung für die beiden Seelsorger.»*? Ob die
beiden wahrscheinlich aus dem Gebiet Liechten-
steins stammenden Äbte Christian Ganzmann (er-
wähnt 1560 bis 1573) und Michael Paulin (erwähnt
1564 bis 1576) sich baulich in Bendern engagier-
ven, möge hier als Frage festgehalten werden.
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
BAUPERIODE 2
ERSTES ERKENNBARES GRUNDRISSSCHEMA,
ENDE 16. JAHRHUNDERT
In einer heute relativ schwer eingrenzbaren Bau-
periode erreichte das alte Pfarrhaus erstmals die
grösste grundrissliche Ausdehnung.
Der bereits bestehende Keller (1a) wurde um
3,30 m in südöstlicher Richtung erweitert (Aussen-
mass) und wie sein älterer Widerpart mit einem
Tonnengewölbe eingedeckt. Im Südosten schliesst
eine gut gebaute Mauer, die bis zu einer Höhe von
2 m erhalten geblieben ist, den nun 10,70 m langen
Raum (Innenmass) ab. Die angefügten neuen Wän-
de sind ebenfalls in eine Grube gemauert worden
und haben in der Aussenfront keinen Überhang
nach aussen und keine bauchigen Ausladungen
wie die nordwestlichen Nachbarn. Etwas eigenar-
tig muten die beiden Ansatzstellen an den Innen
fronten der Längsmauern des Kellers an: Die Ab-
bruchbreite der alten Stirnmauer wurde von den
Handwerkern, um den Innenraum zu verbreitern,
abgeschrägt und die neu errichtete Mauer zurück-
versetzt hochgezogen. So verbreiterte man den
neuen Keller im Innern gegenüber dem alten Teil
von 4,80 m auf 5,25 m. Zugleich legten die Bauleu-
te in der Ost- und Südecke des alten Kellers, an
jener Stelle, wo die ehemalige Stirnmauer und die
jeweilige Längsmauer eine Ecke bildeten (Abb. 12),
je einen Schacht aus Ziegeln von zirka 65 cm Länge
x 65 cm Breite und zirka 40 cm Tiefe (466.46/
166.02) an. Hier dient nicht mehr blanker Fels als
Bodenbelag, sondern Löss und Moränenschutt
ermöglichten eine Aushebung der Schächte. Damit
konnte der Feuchtigkeitshaushalt im Keller kon-
stant gehalten werden.“ Allfällig vom Eingang her
eindringendes Wasser wurde hier gesammelt und
geschöpft. Im übrigen bilden in Lehm verlegte Kie-
sel den Bodenbelag. Das Sichtmauerwerk wurde
im Laufe der Zeit, besonders an der Nordostseite,
an den Nahtstellen der beiden Bauperioden nach
Bedarf verputzt. Nach Aufhebung des Kellers dien-
te dessen Südteil als Kalkgrube. Weitere bemer-
kenswerte Details, wie Hinweise auf Fenster oder
Türen, sind nicht mehr vorhanden.
Man unterteilte den ganzen Keller im Laufe der
Zeit in drei ungefähr gleich grosse Räume von je
3,30 m bis 3,70 m Länge, wie das im Bodenbelag
und an einer Mörtelbraue an der Nordostwand
abgelesen werden kann. So dürfte der Keller —- zu-
mindest in späterer Zeit - nicht nur zur Lagerung
von Wein und Most gedient haben, sondern, als Teil
eines landwirtschaftlichen Betriebes, auch als
Gemüsekeller genutzt worden sein. Die Gemüse-
keller aber waren meistens kleinräumig. Die ganze
Anlage steckte mehr als zur Hälfte der Höhe, in
Anpassung an die topographischen Gegebenheiten,
im Erdreich. Die restliche Höhe dürfte, zumindest
bis über den Gewölbescheitel, als gemauerter
Sockel (vgl. Abb. 9, Schnitt) sichtbar gewesen sein.
Über den weiteren Aufbau können wir nichts
Sicheres sagen. Es erscheint als durchaus möglich,
dass ein Ständerbau oder Mauern weiterhin den
südwestlichen Abschluss des Hauses bildeten. Die
gut gemörtelten Fundationsmauern haben in den
ersten Bauperioden sehr wohl ein zweistöckiges
Gebäude getragen. Die angebauten schwächeren
Längsmauern des südöstlichen Drittels des Kellers
aber lassen in diesem Bereich eine Holzkonstruk-
tion zu einem gedeckten, grosszügigen Eingang an
der Südecke des alten Pfarrhauses vermuten. Die
Südecke lag am nächsten bei der Kirche und der
Sakristel.
20) Christian Orcel/Alain Orcel/Jean-Pierre Hurni: Analyse dendro-
chronologique de bois provenant du «Kirchstall» ä Gamprin, Unter-
zuchungsbericht vom 27. Dezember 1988, Ref. Nr. LRD 8/R2261
und vom 14. April 1993, Ref. Nr. LRD 93/R2261A.
21) Oskar Vasella: Geistliche und Bauern. Ausgewählte Aufsätze zu
Spätmittelalter und Reformation in Graubünden und seinen Nach-
bargebieten. Hrsg. Ursus Brunold/Werner Vogler. Chur, 1996,
5. 507-510, besonders S. 511. — Oskar Vasella: Abt Theodul Schlege!l
von Chur und seine Zeit 1515-1529. Kritische Studien über Religion
and Politik in der Zeit der Reformation. Freiburg, 1954 (Zeitschrift
für Schweizerische Kirchengeschichte, Beiheft 13). - Johann Baptist
Büchel, wie Anm. 4, S. 33-37, 51-52.
22) Johann Baptist Büchel, wie Anm. 4, 5.37, 117
23) Christian Renfer: Die Bauernhäuser des Kantons Zürich. In: Die
Bauernhäuser der Schweiz. Hrsg. Schweizerische Gesellschaft für
Volkskunde. Basel. 1982, Bd. 1,5. 496
7
a
Die nun insgesamt 14,40 m lange und zirka 6 m
breite (Aussenmasse) Kelleranlage, inklusive Ein-
gangspartie und Treppenhaus, befand sich vor der
Garabung unter dem Garten, unmittelbar vor der
südwestfassade des Pfarrstalles. Die gemauerte
Einfriedung zeichnet ungefähr die Grundrissfläche
nach (Abb. 13, 43). Wie aber die anschliessenden
Räume über dem späteren, grossen gewölbten Kel-
ler (2) organisiert waren, haben die nachfolgenden
Bauperioden verwischt. Der Einbau des gewölbten
Kellers (2) und die Demontage der Aufbauten über
lem eben beschriebenen Keller (1) verunmögli-
chen präzisere Einsichten in die einzelnen Kom-
partimente der Bauphase 2. Lediglich ein 3,40 m
janges, innen verputztes Mauerstück (siehe Grund-
rissplan und Abb. 30) könnte Rekonstruktionen
begünstigen, die für den Mittelteil der Südostfas-
sade des Hauses eine Bauweise in Holz - in wel-
cher Technik auch immer —- vermuten lassen. Mit
grosser Wahrscheinlichkeit kann man das gleiche
schon in dieser Bauperiode für den mittleren Nord-
westbereich der Aussenfassade annehmen (Abb.
20, 21, 51, 52).
Zur zweiten Bauperiode gehören auch die unter-
sten Fundamentlagen der Räume 1, 2a, 2b, 3 und 4
ım Nordostbereich (Abb. 13) des alten Pfarrhauses.
Wie die Zugänge zu den Räumen 1, 2a und 2b in
dieser Bauperiode gestaltet waren, konnte lange
nicht nachgewiesen werden. Doch die Nachgra-
yungen in den Jahren 1989 und 1990 brachten für
diese Fragen mehr Klarheit. Die südöstliche Be-
grenzung des heutigen Podestes (Raum 1) bildete
ehedem die nordwestliche Begrenzung des Raumes
2a. Der kellerartige, jedoch ungewölbte Raum (4,10
m x 4,10 m) weist deutlich zwei Bauperioden auf.
Die Nordostmauer - natürlich ohne das neue Tor
von 1875 —- gehört zum ältesten Bestand. Ein zuge-
mauertes Kellerfenster ist auf Schwellenhöhe des
Tores aus dem 19. Jahrhundert erkennbar. Die
Mauer ist in ihrer Breite gestaffelt; auf der 70 cm
aohen Sockelzone mit 1,15 m Mauerdicke steht die
1,25 m hohe Wand, die 1 m Dicke misst und das
erwähnte Fenster aufweist. Dann folgt ein zweiter
Schwund der Mauerstärke um weitere 10 cm,
offensichtlich zur Auflage von Deckenbalken, die in
nordöstlicher-südwestlicher Richtung verlegt wa-
ren. Aber schon nach 35 cm weiteren Anstiegs
verliert die Mauer nochmals um 15 cm an Wand-
stärke, so dass für die Fassadenmauer schliesslich
noch 70 cm bis 75 cm übrigbleiben. Die Südost-
wand (Länge: 4,65 m) der ersten Bauperiode ist in
einer Höhe bis zu maximal 2,20 m erhalten. Auch
aier entdecken wir ein vermauertes Kellerfenster.
Die aufsitzende, jüngere Fassadenmauer überkragt
den älteren Bestand um 8 cm. Die gegen Südwes-
ten abschliessende Wand ist nur noch im Ansatz
der Südecke des Raumes 2a erkennbar und in
wenig flachen Steinlagen auf Bodenniveau in der
Westecke. Dieser Mauerrest scheint in der Südecke
nit dem Fundament der Aussenmauer im Verband
zu sein (vgl. Grundrissplan). Den Bodenbelag bildet
vor allem in der Raummitte anstehender Fels;
die restliche Fläche deckte zu einem grossen Teil
blaugrauer, gestampfter Lehm —- herbeigeschafftes
Schwemmgut des Rheines - ein (Abb. 14, 15).
Die zur nordwestlichen Stützmauer verkommene
Nordwestwand des Kellers war nur mehr in einer
Höhe von 1,45 m auf einer Länge von 5,60 m
erhalten: auch hier eine gemörtelte, 70 cm hohe
Sockelzone, darauf 75 cm aufgehendes Mauer-
werk, das gegenüber der Sockelzone um 20 cm
zurückversetzt ist.
Wie sich der südwestlich anschliessende Raum
2b zum eben Geschilderten verhielt, ehe sie zusam-
mengelegt wurden, kann nicht in allen Einzelheiten
geklärt werden. Die Südostaussenwand hat im
Gegensatz zur entsprechenden Mauer des Raumes
2a kein Vorfundament, und die Steine in den unter-
sten Lagen sind in lockerer Ordnung gebettet und
achten wenig auf die innere Wandflucht. Es spricht
alles dagegen, dass der Raum 2b schon in der
Frühzeit des alten Pfarrhauses die gegenwärtige
Form erhalten hat. Vielmehr ist er das Resultat
späterer baulicher Vorkehrungen. Die archäologi-
schen Erhebungen in den Räumen 3 und 4 bringen
in die Erschliessungsproblematik der Räume 2a
und 2b etwas Licht.
Es gilt nun, die Verhältnisse in den Grundrissen
der Räume 3 und 4 zu skizzieren. Die Nordwest-
wand des Raumes 3 bestand aus Fachwerk oder
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
Abb. 12: Keller 1a, 1b,
Blick gegen Westen. Im
Vordergrund Keller 1b (mit
späteren Unterteilung,
links). Rechts abgeschräg
ter Ansatz der Erweite-
rungsmauer. Davor
Schacht. Links unten,
Fundament auf Auffüll-
material
a.
a
A.
da
A RAUM
A RAUM ı
Abb. 13: Grundriss
Kellergeschoss
#% Bauperiode 1
Bauneriode 2
——A————
0 12 3 4 5m
A KELLER 1a
A KELLER 2
A RAUM 1
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A RAUM 2b
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{]
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ı 1 4 |]
1 7
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A RAUM 2a
\bb. 14: NO-Fassade
Bauperiode 2
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\bb. 15: SO-Fassade
3 Bauperiode 1
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a |
Abb. 16: NW-Fassade
3 Bauperiode 1
5 Baumpneriode 2
7
8)
ii" 47
2 4% 4 5m
m
1
[)
zz
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
Bohlen. Ferner diente der Raum 3 zur Erschlies-
sung der nordöstlich tiefer gelegenen Räume. Das
natürliche Gefälle gegen Südosten wurde mit Auf-
‘üllmaterial planiert. Die reichlich vorhandenen
Brandreste auf dem Gehniveau könnten ein Hin-
weis auf eine Nutzung als Küche sein.
in der Ostecke des Raumes 3 stiessen die Aus-
gräber auf eine gemauerte Türschwelle (467.82),
und zwar 1,23 m unter dem Ausgangsniveau des
Stallbodens (Abb. 17). Die Schwelle liegt auf einem
‚ehmigen Puffer unmittelbar über dem nach Osten
abfallenden glatten Fels. Zwei mit Stockziegeln ge-
nauerte Türgewände bieten eine Öffnungsbreite
von 90 cm an, und ein eiserner Türhaken weist
darauf hin, dass die Tür sich gegen den Raum 4 hin
öffnete. Zum abgetieften Eingang führte im Raum 3
über anstehenden Fels ein ebenfalls 90 cm breiter
Gang, dessen Südwestwand ein 1,70 m langes
Mäuerchen ist, welches mit aufgeschüttetem Erd-
zeich hinterfüllt wurde.
Es muss sich hier um einen Abgang zum Raum 4
1andeln, dessen Boden wiederum der allenthalben
vorhandene geschliffene Fels war. Allfällige Risse
ınd grobe Unebenheiten sind auch hier mittels
Lehm planiert worden. Die Grundrissform des
Raumes 4 dürfte dem des baugeschichtlich nach-
folgenden Raumes entsprochen haben. Der Einbau
eines Jauchekastens im 19. Jahrhundert störte hier
den Befund. Das kellerartige Kompartiment (Raum
4) beachtete während der frühen Geschichte des
Hauses die gegenwärtige südöstliche Begrenzung
gegen den Flur 1 (Raum 1) hin. Das Gehniveau von
Raum 4 befindet sich 35 cm unter demjenigen der
nachfolgenden Steinpflästerung (468.14; Abb. 6).
Die mit einer Tür versehene südwestliche Mauer
des Raumes 4 durchquerte die volle Breite des
Hauses. Sie endet in rechtwinkligem Ansatz an der
südöstlichen Aussenmauer, mit welcher sie —- wie
schon erwähnt —- im Verband ist (467.25), nicht
aber in der Südecke. Dies deutet darauf hin, dass
die südliche Fortsetzung der Südostfassade in einer
anderen Bautechnik bestand. Es liegt ferner nahe,
in der geschilderten Flügelmauer bei der Tür zum
Raum 4 hin ebenfalls eine Weiterführung parallel
zur eben beschriebenen Mauer zu vermuten, zumal
Steinstellungen im Fundament des kritischen Be-
reichs diese Vorstellung stützen. Lange Zeit ver-
nuteten die Ausgräber hier eine Tür; die Steinstel-
lungen aber wiesen nur auf einen Durchgang hin.
So bildeten die beiden nur 90 cm voneinander
getrennten Wände einen schlauchartigen Treppen-
raum, quer durch den Hausgrundriss. Die Höhen-
lifferenz von zirka 1,30 m konnte über ein Podest
N der Mitte leicht überwunden werden (468.34/
4167.04). Auf dem unteren Felsboden muss sich die
Tür zum Keller 2a befunden haben (Abb. 13). Der
grosse gewölbte Keller 2 bestand damals noch
nicht. Demnach lagen, dem felsigen Baugrund ge-
schickt angepasst, in abgetreppter Staffelung, zwei
Räume auf dem nackten Fels, erschlossen von der
vorgestellten Treppenführung.
Es bleibt noch der Frage nachzugehen, was es
mit den Räumen 8 und 9 auf sich hat, die über den
veiden kellerartigen Räumen 2a und 2b lagen und
deren Bodenauflage bei der Vorstellung der darun-
ter liegenden Kellermauern erwähnt worden ist
‘Abb. 19). Diese Frage kann erst in der Beschrei-
bung der Bauperiode 3 behandelt werden.
Die rheinseitige Fundamentaussenkante der
Nordwestfassade liegt in wilder Unordnung über
dem glatten Felsen im Erdreich. Nach zirka 6 m,
von der Nordecke des Hauses aus gemessen,
scheint die Fundation der Nordwestmauer förmlich
je
112
'
114
469.00
RAUM 3
gg
Trennwand 1875 [|
f
468.00
—x p Pflästerung
zn Ä m y
N. CA X
NO L
Ze ——_-. | i
La Türschwelle |
zu gl ® za LA
WIE {||
46
Abb. 17: Profil der Ostecke
des Raumes 3 mit Eingang
zu Raum 4
hH— ——+ -———
0 0,5 1 1,5 m
X
Abb. 18: Kellergeschoss
der Nordostseite des alten
Pfarrhauses. In der Mitte
Zundbogentüre. Links
und rechts zwei Türen mit
Sandsteingewände (1875),
Fenster aus derselben
Bauzeit. Am östlichen,
linken Sandsteingewände
anschliessend zwei
übereinandergestellte
vermauerte Fenster
Abb. 19: Grundriss Zwi-
schengeschoss Keller —
Parterre
+ ı— ——A——_
12 3 4 5m
‘)
A RAUM 7
ARAUM S
A RAUM 6
A RAUM
A RAUM 9
A RAUM 4
A RAUM 1
A RAUM 8
=
5
|
[5a
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
zu zerfallen (Abb. 20, 21). An eine Kellermauer im
Mittelteil des Hauses mag man beim Anblick dieser
Mauertechnik nicht denken.
Im Planierungs- und Auffüllmaterial in Raum 3,
das auf einer ungestörten Humusschicht ruhte und
im östlichen Bereich bis zu 80 cm stark war, fanden
sich Keramikstücke aus dem 16. und 17. Jahrhun-
dert. Der Rest einer Napfkachel darf sogar dem
Ende des 15. Jahrhunderts zugerechnet werden.**
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die
Bauperiode 2 - wie die vorgängige - nur noch in
den Fundamenten und Kellerwänden erfasst wer-
den kann. Man darf davon ausgehen, dass zwei un-
gefähr gleich grosse Bauvolumen von etwa 6 m
Breite und der gegenwärtigen Bautiefe das alte
Dfarrhaus im Südwesten und gleichermassen im
Nordosten begrenzten. Ob die beiden risalitartigen
Architekturen über der Kellergeschosshöhe ge-
mauerte Hauswände aufwiesen oder ob eine Holz-
konstruktion die Erscheinung des Hauses be-
ainflusste, ist kaum zu entscheiden. Zwischen den
beiden erwähnten unterkellerten Hausteilen lagen
offenbar nicht unterkellerte Räume. Die unbeküm-
mert und flüchtig verlegten Fundamente in der
jeweiligen Mitte der Traufseitenfassaden eigneten
sich höchstens zur Lagerung eines Schwellenbal-
kens zum Aufbau einer Holzwand. Ferner stützt
der relativ ungestörte Grund nordöstlich des jünge-
ren Kellers 2 diese These.
24) Tagebuch des Autors, 13. März 1979. S. 49; 16. März 1979
6 51
Abb. 20: Blick in die
Fundamentlage (A SCH
N-W 1) der Nordwest-
Fassade gegen die Nord-
acke des Hauses. Un-
gepflegte Fundation auf
anstehendem Fels
Abb. 21: Blick in die Fun-
lamentlage (A SCH; N-W
A 1) gegen die Westecke
des Hauses. Fundament
auf anstehendem Fels
C)..
Was die Datierung der Bauperiode 2 betrifft, so
sind die vorhandenen Hinweise auf genaue Jahres-
zahlen sehr spärlich. Zahlreich sekundär verwen-
dete Eichenhölzer sind nicht datiert. Vielleicht gibt
die Jahreszahl 1606, eingestemmt in das Kapitell
einer gefasten Eichensäule, die als Bodenunterlage
in der heutigen Tenne liegt (Abb. 22), einen Hinweis
auf die Bauzeit. Auch die ausgegrabene Keramik
präzisiert die Bauzeit nicht. Die Konzentration von
dendrochronologischen Daten betrifft in der Folge
vor allem die Jahre 1633/34 sowie die Zeit um 1640.
Wir müssen aber darauf hinweisen, dass die Prä-
monstratenser-Mönche von St. Luzi in Chur vor al-
lem in der Zeit ihres Exils in Bendern (zirka 1540 bis
1624) Raum für Unterkunft und Wirtschaft benö-
tigten, so dass die Bauperiode 2 eher in die Wende
vom 16. zum 17. Jahrhundert einzuordnen ist.
Abb. 22: Kapitell einer
Eichensäule mit Jahres-
zahl 1606 C - 0. Unterlage
im Boden der Tenne
BAUPERIODE 3
BAROCKBAU 1633/44
Die dritte Bauperiode ist weit klarer erfassbar als
die beiden Vorgängerinnen. Die Dispositionen die-
ser Zeit bestimmen heute noch wesentlich das Er-
scheinungsbild des alten Pfarrhauses und dies trotz
der massiven Veränderungen in der Bausubstanz
des Hauses in der Folgezeit.
Die nordöstliche Giebelfassade wurde neu
hochgezogen. Lediglich einige Mauerreste an der
Istecke des Hauses (Aussenmauer des Raumes
2a) blieben erhalten, wahrscheinlich auch einige
Mauerreste in der Nordecke des Hauses (Abb. 14,
15, 24, 49). In der ebenerdigen Mitte entstand ein
rundbogiges, 1,70 m breites Tor (468.97), dessen
Gewände mit Stockziegeln gemauert worden sind.
Der Zutritt erschliesst einen 4,50 m langen und
2,60 m breiten, in Firstrichtung angelegten Gang,
an welchen sich gleichgerichtet eine 1,90 m breite,
zwölfstufige, aus stehenden Stockziegeln erstellte
Treppe (Tritthöhe: 23 cm) anschliesst. Die Treppe
führt über ein Podest aus Tonplatten von 22 cm
x 25 cm x 5 cm Grösse (466.50) und über weitere
drei Ziegelstufen in den grossen Keller (2; 465.45).
Der Gang wird bis zum Treppenansatz von alten
Fundamenten flankiert. Die Pflästerung schliesst
dann gegen Nordwesten an eine neuere Funda-
mentmauer (1875), die auf einer verfolgbaren Län-
ge von 5 m auf einer weit älteren, ungemörtelten
Fundation aus Lesesteinen ruht und wohl - wie
früher dargelegt - zu den ältesten Resten des Haus-
grundrisses überhaupt gehört. Die neuere Stall-
mauer von 1875 endet über dem Eingang zum ge-
wölbten Keller und schafft durch die gradlinige
Ausrichtung einen bis zu 60 cm breiten Absatz. Die
Treppenführung selbst wird hangwärts von einer
gegen die Erde gemauerten, verputzten Stütz-
mauer begleitet, in welcher unmittelbar vor dem
Kellertor eine stichbogige Nische (Höhe: 65 cm,
Breite: 85 cm, Tiefe: 35 cm) ausgespart ist. An der
Südostseite begleitet auf einer Länge von 5,60 m
die alte, bereits vorgestellte 1,45 m hohe Fundation
der Nordwestwand des Raumes 2a den Gang
(Raum 1). Sie begrenzt das gepflästerte Gehniveau
Ausschnitt aus der «Kollef-
fel-Karte» von 1756
Auf dieser Karte lässt
sich die skizzierte Ent-
wicklung der Gemein-
heitennutzung und -teilung
im Talraum gut erkennen.
Privatgüter, vor allem aber
zum privaten Nutzen
eingelegte, eingeschlagene
Gemeinheiten deckten
damals grössere Teile der
gesamten Landesfläche.
Auch den 1704 anlässlich
der Auteilung festgelegten
Fahr- und Triebwegen
kann auf dieser Karte gut
nachgegangen werden.
vermutliche
Trieb- und Fahr-
wege 1704
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\2
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
an der Südostseite des Raumes 1. Auf das Mauer-
haupt wurden zwei Holzsäulen von 2,37 m und
2,50 m Höhe in sekundärer Verwendung gestellt.
Sie stützen einen zirka 8 m langen Balken, auf dem
rechtwinklig aufgesetzt fünf Deckenbalken aus
Weisstannenholz liegen. Die Deckenbalken sind mit
Nuten versehen und dienen zur Montage eines
Schrägbodens, soweit der Grundriss des Raumes 1
dies erfordert. Die drei südwestlich anschliessen-
den Vierkanthölzer über dem eigentlichen Stiegen-
raum weisen keine Nuten auf. Die ganze Konstruk-
tion deckt ein Bretterboden von 1875 ein. Die 1,70
m vor der nordöstlichen Giebelfront stehende Tan-
nensäule (26 cm x 23 cm) ist dendrochronologisch
auf die Jahre 1640/41 datiert, ebenso die fünf er-
wähnten, mit Nuten versehenen Deckenbalken. Die
zweite hier verwendete Säule ist aus einem Ki-
chenstamm gehauen (28 cm x 30 cm Querschnitt)
und entzieht sich einstweilen einer Dendrodatie-
rung. Diese 2,37 m messende Eichensäule weist
eine 50 cm hohe Basis, einen 1,44 m langen, abge-
fasten Schaft und eine 43 cm starke Kapitellzone
auf, die einseitig zur Montage eines angeblatteten
Kopfholzes hergerichtet ist. Ob der grosse Stein-
sockel mit der eingemeisselten Jahreszahl 1712 —- er
‚legt im Keller 2 — als Basis für eine Jochsäule ge-
dient hat oder ob er Bestandteil der Pressvorrich-
tung im Kelterraum war, lässt sich nicht feststellen.
Das Fundament der Nordwestfassade ist trotz
der Mängel in der Bauperiode 3 übernommen wor-
den. Die Steinlager trugen nur eine leichte Wand in
Holzbauweise. Den Beweis liefert ein im Oberge-
schoss vermauerter Ständer mit Nuten (1633/34),
der in der nordwestlichen Front - 6,20 m von der
Nordecke des Hauses entfernt - zum Vorschein
kam (Abb. 27, 28). In der nachfolgenden Bauzeit ist
dieser Fassadenteil neu gestaltet worden, so dass
uns über dessen Erscheinung keine detaillierten
Hinweise verblieben sind.®
Die erheblichen baulichen Neuerungen während
der Bauperiode 3 verursachten Umstellungen im
Nordwestbereich des Hauses in den Räumen 3 und
4. Die Türe in der Ostecke des Raumes 3 wurde
zugemauert, die ihr zugeordnete Treppe entfernt
und die so entstandene Grube ausgefüllt. Das fel
sige Gehniveau im Raum 4 hob man mittels einer
humosen Auffüllung um 35 cm an und legte eine
Kopfsteinpflästerung darauf (Abb. 17; 468.14). Das
aufgehende Mauerwerk der Aussenfront ruht auf
len alten Fundamenten. Von der Rheinseite her
arschloss eine 1,30 m breite, heute vermauerte
stichbogige Tür den Raum 4 (Abb. 19, 25). Die
nicht mehr vorhandene Treppe musste eine Höhe
von zirka 1 m überwinden. Wies der ursprünglich
wohl als Keller konzipierte Raum 4 ein Flächen-
mass von 6,40 m x 4,50 m auf, verlor er nun in der
südöstlichen Ausdehnung 2 m, so dass ein quadra-
tischer Raum entstanden ist. Der beschriebene
Gang (Raum 1) ist der Grundrissfläche des Raumes
1 abgenommen worden.
Der aus der vorgängigen Bauperiode stammen-
de Raum 2a erhielt in einem ersten Bauvorgang
einen beinahe gleichgrossen Zwilling (2b). Und die
auf diesen beiden Grundrissen (8, 9) aufliegenden,
zirka 2,20 m hohen Räume belichtete je ein 1 m
hohes und 50 cm breites Fenster (Abb. 19, 46, 52).
Die lichte Öffnung an der Fassade ist mit Vierkant-
holz gefasst. Die Wände im Innern sind unverputzt.
Ein vermutlich roher Dielenboden war in Firstrich-
‘ung verlegt. Die Räume haben wohl als Depot ge-
dient oder wurden gewerblich genutzt. Zur Wohn-
lichkeit hergerichtet waren sie nie. Man muss da-
mit rechnen, dass diese Kompartimente bald nach
‘hrer Erstellung während der Bauperiode 3 mit den
darunter liegenden Räumen (2a, 2b) zu einem
Torkelraum vereinigt worden sind, der durch die
höher liegenden drei Fenster in der Nordost- und
Südostfassade genügend Licht erhielt und mit der
neugewonnenen Höhe erst nutzbar wurde.
Wie die Räume über den beiden parallel liegen-
den Kellern (1, 2) organisiert waren, lässt sich heu-
te nicht mehr sicher feststellen. Man kann vermu-
25) Zur Datierung der diversen Hölzer vgl. den Bericht von Christian
Jreel/Alain Orcel/Jean-Pierre Hurni, wie Anm. 20, besonders die
Nırn. 10.11. 66. 71. Ref. Nr. LRD 8/7/R22861.
iu
{
ten, dass auf den Gewölben der Keller Wohnräume
in südlicher und südöstlicher Orientierung lagen
(Räume 5, 6, 7; Abb. 19).
Über die Geschichte der südwestlichen, der Kir-
che zugekehrten Giebelfront auf der entsprechen-
den Fundamentlage des ersten Kellers (1a) kann
nichts Bestimmtes ausgesagt werden, weil dieser
Teil des Gebäudes in der nachfolgenden Baupe-
riode abgebrochen worden ist.
Der Einbau des Torkels und des grossen Kellers
2 in das Erdgeschoss verursachte gegen Ende der
Bauperiode 3 grosse Veränderungen und deutliche
Eingriffe in die damalige Bausubstanz. Wir können
sehr wohl davon ausgehen, dass der Eingang an
der Nordostfassade durch den Raum 1 zu Lager-
räumen und Kellern führte. Die uns verbliebenen
grundrisslichen Hinweise sprechen dafür. Wir dür-
fen aber nicht ausschliessen, dass an der Stelle des
imposanten Kellers 2 in einer nicht mehr näher
verifizierbaren Bauphase ein bescheidenerer Keller
lag, der die schwierige Topographie berücksichtigt
hat, weil man den anstehenden Felsen noch nicht
mit Pulver zu sprengen vermochte. Die Steinbre-
cher sprengten vor dem Aufkommen des Pulvers
mit Keilen, Brecheisen, Hammerschlag und - wenn
nötig — durch Erhitzen des Gesteins und Ab-
Abb. 23: Grundriss
1. Obergeschoss
=
AL
—
#3 Bauperiode 3
Mm ot t—A——
O0 1.2 3 4 5m
A RAUM 19
schrecken mittels Wasser. Dies würde hier umso
leichter gehen, als der Fels stichig und mit Spalten
durchsetzt ist und schon mit blossem Hammer-
schlag Steinmaterial abgebaut werden konnte.
Wahrscheinlich nahm man anfänglich die unebene,
felsige Beschaffenheit des Kellerbodens einfach
hin, wie dies in anderen Räumen des Hauses nach-
weisbar zutraf und auch im Eingangsbereich in der
nahen Statthalterei zu beobachten war. Nun aber
konnten wir am Fuss der Südwestwand im ge-
wachsenen Felsen eindeutig ein Bohrloch finden;
desgleichen wies ein gesprengter Stein in der un-
tersten Fundamentlage der südöstlichen Aussen-
front des Kellers ein Bohrloch auf.
Seit welchem Zeitpunkt in unserer Gegend Pul-
ver im zivilen Bereich verwendet wurde, ist of-
fensichtlich noch nicht hinreichend geklärt. Den
Einsatz von Pulver und Zündschnüren bezeugt eine
Urkunde um 1620 für das Kloster Pfäfers.?® Die
Faustregel, dass Sprengarbeit in unserer Gegend
erst nach 1700 durchgeführt wurde, hilft in unse-
rem Fall nur bedingt weiter. Demzufolge könnten
die Arbeiten für den Einbau des Torkels und des
grossen Kellers (2) in das Ende des 17. oder in den
Anfang des 18. Jahrhunderts datiert werden. Im
Bergwerk Gonzen aber wurde nicht vor 1750 mit
BOHLEN- ODER RIEGELWAND _
Kar
A RAUM 16
A RAUM 17
il
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1 IN DE WINDE
A RAUM 12
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A RAUM 911
A RAUM
‚
A NA
<
X
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JAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
Pulver Erzgestein gesprengt.’ Was also im Keller 2
zu welchem Zeitpunkt gebaut wurde, ist im Augen-
blick nicht genau zu datieren. Die erwähnten Bohr-
löcher im Fundamentbereich sowie ein glasierter
Scherben aus der Mitte des 19. Jahrhunderts in
Putzresten an der Boden-Wandkante weisen auf
bauliche Massnahmen hin, die sich sehr wohl im
19. Jahrhundert abgespielt haben können. Dabei
dürfte es sich um Verputzarbeiten gehandelt ha-
ben. Sicher wissen wir, dass der grosse Keller 1751
bestand und zusammen mit dem nachstehend be-
handelten Torkel in einem Pachtvertrag erwähnt
wird. So dürfen wir die funktionell aufeinander ab-
gestimmten Räume Keller 2a und Torkel in ihrer
Zeitstellung den späten Bauvorgängen der Bau-
periode 3 zurechnen (siehe auch Anhang, Trans
kription der Urkunde vom 12. März 1751).
Der von einem Tonnengewölbe eingedeckte Kel-
ler hat einen Grundriss von 5,50 m Breite, zirka
11,30 m Länge und eine Raumhöhe bis zu 3,30 m.
Dieser Kellerraum gehört, gerade seiner Schlicht-
heit wegen, zu den wertvolleren Räumen des Hau-
ses. Den Boden bildet zum grössten Teil Fels, des-
sen Unebenheiten wiederum mittels Löss und
Lehm eingeebnet wurden. Im Gegensatz zum Bo-
den des südwestlich parallel liegenden Kellers 1
wurde der Keller 2 zu einem erheblichen Teil aus
dem anstehenden Fels herausgesprengt - an der
Nordwestwand bis zu 1,80 m tief. Für spärliches
Licht und Luftzufuhr sorgen an beiden Schmalsei-
ten je ein Fenster mit breit und steil, beinahe latz-
artig abfallenden Fensterbänken. Ein zweiflügeli
ges Tor mit flachem Stichbogen gewährt in der Mit-
te der Nordostwand Einlass in den Keller. Die Ein:
gangspartie stösst als Kappe ins Tonnengewölbe
des Kellers. Eine Verbindung zwischen den beiden
parallel liegenden Kellern bestand nicht. Das Ge-
wölbe wurde zur Isolation mit einer Lehmschicht
eingedeckt. Dann folgte mörtelhaltige Erde und als
Abschluss eine Schicht mit Bauschutt und datier-
barer Keramik, darunter Ofenkacheln aus dem
Jahre 1683. Die oberste Schicht ist also nicht vor
1683 auf dem Gewölbe abgelagert worden.
In Beachtung der Produktionsvorgänge von
Wein positionierten die Mönche nordwestlich. dem
Weinkeller vorgelagert, einen Torkel. Durch die
Zusammenlegung der bereits vorgestellten Räume
2a, 2b) und bei Einbezug des höher liegenden
Zugangs mit dem Rundbogentor als Zulieferraum
und — um die notwendige Raumhöhe für die Presse
zu erhalten - mit der Zugabe der Räume 8 und 9
(Abb. 19) entstand ein mustergültiger Torkel. Der
Xelterraum wies eine Höhe von zirka 4,50 m auf:
m 8,80 m langen und zirka 7 m breiten Raum
stand auf der unteren, grösseren Ebene (Press-
ebene) die Baumpresse, während vom höheren
Zuliefergang (Raum 1) — gleichsam von einer Gale-
rie aus — das Pressgut eingeliefert werden konnte
(vgl. Abb. 7, 9, 13, 19). Der Pressraum selbst durfte
durch Stützen nicht beengt sein, weil freier Bedie-
nıungsraum notwendig war, so dass hallenartige
Architekturen erstellt werden mussten. Deshalb
war der Obergeschossboden meistens nur durch
3ine Jochsäule abgestützt worden.“ Auf dem Bo-
den des Pressraumes (2a) liegen in der Ostecke
noch vermoderte Balken, die als Unterlage für die
Spindel gedient haben und in einem Viereck von
1,20 m x 1,20 m ausgelegt sind (siehe steingerech-
ter Grundriss, Abb. 6).
Mit diesem Befund stehen auch die Fundament-
reste und Steinstellungen in der Südecke des Rau-
mes 2b im Zusammenhang. Ein 2,60 m x 2,60 m
ummauertes Podest, im Schnitt zirka 30 cm hoch,
246.97/247.30) diente als Unterbau für das Tor-
kelbett. Die Steinstellungen sind mit den Aussen-
und Innenmauern nicht im Verband, weil die
Presseinrichtung nachträglich eingebaut worden
26) Mitteilung von Dr. Werner Vogler, Stiftsarchivar St. Gallen, vom
14 lanuar 1990
27) Mitteilung von Hans Eberli. Buchs (SG). vom 18. Januar 1990.
Nach neueren Studien kann man annehmen, dass bereits nach «der
Mitte des 17. Jahrhunderts im einheimischen Bergbau vereinzelte
Sprengschüsse gezündet wurden». Aber nach wie vor gilt die Regel,
Jass erst nach 1700 in steigendem Mass das Sprengen mit Pulver
üblich wurde, - Eduard Brun: Die Anfänge der Sprengtechnik im
3ergbau der Schweiz, undatiertes Manuskript, S. 5. Freundliche
Übermittlung durch Hansjörg Frommelt vom 26. November 1992.
28) Christian Renfer: Die Bauernhäuser des Kantons Zürich. In: Die
Bauernhäuser der Schweiz. Hrsg. Schweizerische Gesellschaft für
Volkskunde. Basel. 1982. Bd. 1.5. 496. 617-628.
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Abb. 24: NO-Fassade
Bauperiode 3
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Abb. 25: NW-Fassade
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Abb. 26: SO-Fassade
Baupneriode 3
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——— —
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
ist. Über diesem Kelterbett müssen die Jochbäume
gestanden haben, in welchen der eigentliche Press-
baum (zirka 7 m lang) hing.” Dem Torkelbett ist an
der Nordwestseite eine mit Tonplatten versehene,
gegenüber dem Bodenniveau des Kellers um 50 cm
abgesenkte Fläche beigegeben (467.02/466.55),
die über zwei Blockstufen aus Stein betreten wer-
den konnte. An der Südwand befinden sich zwei
preite Ablagefächer (Höhe: 60 cm, Breite: 85 cm
und Höhe: 60 cm, Breite: 100 cm und beide 50 cm
Tiefe), voneinander mittels eines aus Ziegel erstell-
ten Pfeilerchens getrennt, das ein eingemauertes
Sturzholz stützt. Darüber setzten die Handwerker
Fachwerk mit älteren, sekundär verwendeten Vier-
Kanthölzern.
Die Raumeinteilung im nordöstlichen und mitt-
‚eren Bereich des Obergeschosses kann relativ ge-
nau rekonstruiert werden. Zimmer und Gänge
waren hier in der Höhe des heutigen, schadhaften
Bretterbodens angelegt (471.50), was anhand der
Bodenhöhen der Fensternischen nachgewiesen
werden kann.
Ein 2 m breiter Gang - erhellt durch das mittlere
Fenster in der Nordostfassade —- führte in Firstlage
zur Südwestseite des Hauses. Die erste, heute nicht
mehr vorhandene südwestliche Giebelmauer hat
den vermutlich 21 m langen Gang abgeschlossen.
Diesen Längskorridor kreuzte nach 6 m ein Quer-
gang (vgl. Abb. 23, Räume 10, 11, 15, 19). In der
Nordecke des Obergeschosses ist, trotz der radika-
len späteren Eingriffe, der Raum 12 (Abb, 23, 24,
25) erkennbar. Das Innere (5,70 m x 4,70 m) be-
lichteten drei Fenster: zwei in der Nordostfassade
und eines in der Nordwestfront. Die Fenster sind
heute teilweise vermauert (Abb. 49, 51). Das unge-
fähr 2,80 m hohe Zimmer musste trotz der Nord-
Jage hell und grosszügig gewirkt haben. Die drei
darocken Fenster, mit kräftigen Leibungen und
innen mit einem Stichbogen aus dunklen Ziegeln
gemauert, spendeten genügend Licht, um eine
angenehme Wohnatmosphäre zu gewährleisten.
Dafür sorgte auch die Täferung über unverputztem
Mauerwerk; die Holzdübel, die eine Täferung der
Wände ermöglichten, sind noch erhalten. Die Ni-
sche an der Nordwestwand diente zur Aufnahme
eines Einbaumöbels. Die Innenwände können heu-
je nur anhand der Putzbrauen an den Aussenwän-
den nachgewiesen werden (vgl. Abb. 23). Die
Nordostwand des Zimmers 12 erreichte eine Mau-
ardicke von rund 30 cm und war, auf der entspre-
;henden Mauer im Erdgeschoss aufsitzend, tragen-
de Mauer für den Kornboden. Die Südwestwand
aber erreichte nur eine Wanddicke von 16 cm und
stiess stumpf an die Aussenmauer. Es handelte sich
mit grösster Wahrscheinlichkeit um eine Riegel-
wand.
In der Ostecke des Geschosses befand sich
das Zimmer 13. Die verputzten weissen Wände
gegrenzten eine Grundrissfläche von 4,70 m x
»,70 m. In Entsprechung zum Raum 12 belichteten
vier grosse stichbogige Barockfenster das Zimmer.
Die Beheizung der beiden Räume kann nicht ge-
<lärt werden; vermutlich standen an den abgebro-
chenen Innenwänden Öfen.
Den 11,50 m langen Quergang (Raum 10) belich-
;‚eten zwei einander gegenüberliegende Fenster an
der Nordwest- und Südostfassade. Vermutlich
diente eine Hälfte des Korridors als Treppenhaus,
ım vom Erdgeschoss ins erste Obergeschoss zu ge-
'angen, was vom Nordwesten her mittels 14 kräfti-
ger Stufen zu bewerkstelligen war. Das heutige
ıordwestliche Fenster aber entstammt einer späte-
ren Bauperiode.
Man muss davon ausgehen, dass der in First-
richtung laufende Mittelgang (Raum 15) weitere
Zimmer erschlossen hat. Der Raum 18 an der
südöstlichen Hausfront wurde in einer späteren
Bauphase, besonders in der Südecke, umgestaltet.
Hier stand eine Nutzfläche von 4,70 m x 7,40 m zur
Verfügung. In der Ostecke des Zimmers ist ein
Kamin nachweisbar.
Vis-ä-vis des geschilderten Raumes 18 lagen,
durch den Korridor getrennt, die entsprechenden
Nutzflächen der Räume 16 und 17. Die Unter-
teilung der Räume und der Einbau eines Kamins in
29) Vgl. die Einrichtungen im Torkel des Roten Hauses in Vaduz im
3ericht von Waltraud Waid: Archäologische Sondierung im Torkel
des Roten Hauses zu Vaduz. In: JBL 89 (1991), S. 193-196.
der Nordecke des Raumes 17 erfolgten zu einem
späteren Zeitpunkt. Während der Bauperiode 3 bil-
dete auf einer Länge von mindestens 9,50 m eine
Riegel- oder Holzbohlenwand, ansetzend an der
Westecke des Zimmers 12, die Aussenfront (vgl.
Abb. 23, 25). Vermauertes Fichtenholz, Reste der
ehemaligen erwähnten Hauswand, wird in die Jah-
re 1633/34 datiert (Abb. 27, 29). Die ursprünglich
geringere Höhe der Mauerkrone im Bereich der
ehemaligen Holzkonstruktion, ein Befund, der auf
der Innenseite der nordwestlichen Hausmauer be-
obachtet werden kann, mag mit konstruktiven Not-
wendigkeiten bei der Auflage der Pfetten bedingt
gewesen sein (vgl. Abb. 25).
Was die Räume betrifft, welche über dem ältes-
ten Keller im Südwesten lagen, kann —- wie bereits
vermerkt - nichts Sicheres ausgesagt werden. Der
Bauteil ist in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhun-
derts bis auf die Grundmauern abgetragen worden.
Über dem eben geschilderten Obergeschoss
befand sich ein geräumiger Kornboden oder Est-
rich, den zumindest an der Nordostfassade drei
Fenster und eine unter der Giebelhöhe sitzende
Öffnung belichteten. Diese Fenster weisen auch
darauf hin, dass der Giebel vor dem letzten Umbau
1875) um mindestens 1,30 m bis 1,40 m höher
war; denn die beiden, das mittlere Estrichfenster
Nankierenden Lichtquellen - heute vermauert -
wären bei der gegenwärtigen Firsthöhe zur Gänze
nicht plazierbar gewesen. In der Tat dokumentiert
die Bleistiftzeichnung von K. A. Kayser «Der Kirch-
hügel von Bendern von Nordosten her gesehen»,
vermutlich aus dem Jahre 1843, das Erscheinungs-
bild der Nordostfassade des alten Pfarrhauses vor
dem Umbau von 1875 (Abb. 1, 24). Auch das im
Mauerwerk in Ansätzen und in der Zeichnung von
Kayser deutlich festgehaltene Fenster unmittelbar
unter dem First würde die gegenwärtige Dachnei-
gung und Firsthöhe nicht mehr zulassen.
Der Dachstuhl dieser Bauperiode war am
ehesten als Sparrendach auf liegendem Stuhl ge-
zimmert gewesen. Wahrscheinlich knickten im
ınteren Drittel Aufschieblinge die Dachflächen. Die
arsprünglich um 30 cm geringere Mauerkronen-
höhe im Mittelteil der Nordwestfassade muss - wie
erwähnt - mit der Auflage der Pfette auf der Block-
wand oder der Fachwerkmauer zu tun haben. Hier
brachte wohl ein Kniestock die Pfette auf die Höhe,
wie sie die Steinmauer nördlich davon aufweist.
J)as Dach selbst war zu dieser Zeit sehr wahr-
scheinlich mit Flachziegeln eingedeckt gewesen,
die - schadhaft geworden — als Flickmaterial wie-
der verwendet worden sind.
ın diesem Zusammenhang ist noch ein bauliches
Detail zu beachten: Der alte Keller 1b sprang etwa
1,30 m über die Flucht der Südostfassade vor
(Abb. 6), eine ästhetisch wenig glückliche Dispo-
sition., Vielleicht vermag ein 60 cm breiter und
„30 m langer Fundamentrest, 60 cm von der
Ostecke des alten Pfarrhauses zurückversetzt und
ohne Verband mit der älteren Fundamentmauer,
zur Gestaltung der südöstlichen Fassade etwas bei-
zutragen (Abb. 6, 28). Wahrscheinlich wurde die
Südostfassade zu dieser Zeit durch zusätzliche
dauliche Vorkehrungen mit Holz hervorgehoben,
um dem Haus dem Tal zu eine traufseitige Orientie-
rung zu geben. So wären das erwähnte Fundament
ınd der vorkragende Keller im Süden als Stütze
und Auflage für eine der Fassade vorgestellte Holz-
Konstruktion zu interpretieren. Dafür sprechen
abenfalls die acht beobachteten Balkenlöcher, wel-
che die Fenster auf halber Höhe zu beiden Seiten
Jankieren (Abb. 26). Man kann in diesem Zusam-
nenhang auch an Verstrebungen zur Montage
einer Flugpfette denken, eine Vordachgestaltung,
die eine weit ausladende Bedachung der Fassade
ermöglichte.
Es wurde schon bei der Vorstellung des
garocken Hauses der Bauperiode 3 klar, dass man
das alte Pfarrhaus dieser Epoche nicht auf ein oder
zwei Jahre Bauzeit hin datieren kann. Vielmehr
wickelten sich die Bauvorgänge in mehreren
°hasen ab. Die Jahre 1633/34 und 1640/41 sind
aufgrund dendrochronologischer Untersuchungen
m Zusammenhang mit der Bauperiode 3 genannt
worden. Gewiss wurde in den folgenden Jahrzehn-
;en immer wieder gebaut. Jedoch darf man die
Erstellung der Bohlen- oder Fachwerkteile in der
Nordwestfassade in den Jahren 1633/34 als ge-
sichert annehmen, und in einem zweiten Bauschub
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
=
Abb. 27: NW-Fassade vor
Raum 3; vermauerter
Ständer zu Bohlenwand;
ainter Stallfenster Stich-
Jogen zu älterer Tür oder
Wandnische; ganz unten
Fundamentreste der
3auetappe IHII; links
zugemauerte Tür unter
Stichbogen
Abb. 29: Obergeschoss,
NW-Wand: rechts ver-
mauerter Ständer zu
Bohlenwand; Mitte spätere
Wandausfachung mit
unten stichbogiger Nische
‚Oder Tür ?), vgl. Abb. 27,
von aussen
Abb. 28: Blick von der
Ostecke des Hauses gegen
Westen entlang der Fun-
damentlage der Südost-
’assade; im Vordergrund
Fundamentreste (130 x
60 cm) der Hausecke
eigestellt, vermutlich als
Auflage einer Holzkon-
struktion. A Sch S-01
1143
widmeten sich die Mönche dem Innenausbau des
Hauses (z. B. Räume 12, 13, 15). Die aufgehenden
Mauern dürften zum grössten Teil ebenfalls dem
dritten und vierten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts
zugeordnet werden. Auch die Bauten auf der alten,
der Kirche zugeordneten Kelleranlage (Keller 1)
waren - zumindest im Konzept - in die architekto-
nische Gestaltung miteinbezogen. Die Erstellung
des Torkels und des grossen Weinkellers in der vor-
gefundenen Erscheinung kann als letzter Vorgang
der Bauphase 3 angesehen werden und dürfte um
1700 stattgefunden haben.
Die Prämonstratenser von St. Luzi in Chur
waren während der intensivsten baulichen Tätig-
keit am alten Pfarrhaus in Bendern im Zeitraum
von 1633/1644 am Ende ihres 100-jährigen Exils
auf dem Kirchhügel von Bendern angelangt.
Graubünden war damals Schauplatz rivalisieren-
der europäischer Mächte. Zwar hatte der Abt von
St. Luzi schon 1624 — auf österreichischen Druck
ain — Güter und das zerfallene Kloster in Chur
zurückerhalten. Der österreichische Kaiser und
Wallenstein versprachen am 18. Juni 1629, das
Kloster zu schützen. Allein die allgemeine Un-
sicherheit während des Dreissigjährigen Krieges,
das Misstrauen gegenüber den Bündnern und die
in Chur besonders arg wütende Pestwelle führten
die Mönche immer wieder nach Bendern in ihre
Statthalterei,®*® wo sie auch Pfarrdienste verrichte-
ten und dank des Bodenbesitzes eine Existenz-
grundlage hatten.
Die bestimmende und führende Persönlichkeit
unter den Mönchen von St. Luzi scheint zur Bauzeit
der Periode 3 des alten Pfarrhauses Johannes Kopp
(+ 1661) gewesen zu sein.? Er war als Pfarrer von
Bendern auch Administrator und —- nach 1639 —
Abt von St. Luzi. Als Johannes IV. wirkte er segens-
reich für das Kloster und galt als eigentlicher Wie-
derhersteller der Klostergemeinschaft von St. Luzi
in Chur. Das alte Pfarrhaus von Bendern verweist
auf seine reformerische Tätigkeit.
Das barocke Pfarrhaus sollte in der Geschichte
Liechtensteins eine besondere Rolle spielen. Denn
hier versammelten sich am 16. Mai 1699 alle Män-
ner der Herrschaft Schellenberg, die mehr als 14
Jahre alt waren - 273 an der Zahl -, am Morgen
zwischen neun und zehn Uhr. Sie sollten dem
neuen Landesherrn, Fürst Johann Adam Andreas
von Liechtenstein (1657-1712), vertreten durch
Amtmann Johann Franz Bauer, den Huldigungseid
eisten. Die Gäste begaben sich in die Wohnung des
>farrers. Niemand erwartete eine «Diffikultät»
der gar eine Verweigerung der Eidesleistung. Da
neldeten sich Landammann und Geschworene der
derrschaft Schellenberg, begleitet von Fürsprech
"ranz Braun, Stadtrat in Feldkirch, und begehrten
zusätzliche Sicherheiten in Betreff Einhaltung alter
Rechte und Gewohnheiten — nicht unbegründet,
wie es sich später herausstellte. Die Verhandlungen
zogen sich bis nachmittags vier Uhr hin. Dann
kamen der Landammann Andreas Büchel, die
Geschworenen und die stimmberechtigten Männer
im Hof vor dem Pfarrhaus zusammen. Die kaiser-
liche Kommission und der Delegierte des Fürsten
begaben sich zum Söller des Pfarrhauses hinaus,
wo der Kaiserliche Kommissar, Johann Jakob
Motz, «durch das Fenster hinunter gegen den
Kirchhof hinüber» an die Versammlung sprach und
sie zum Eid auf die neue Herrschaft aufforderte.
Am späten Nachmittag schworen die Männer der
Herrschaft Schellenberg Fürst Johann Adam And-
ceas Treue.** Seit diesem Vorgang sind beinahe 300
Jahre verflossen.
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
BAUPERIODE 4
BAULICHE VERÄNDERUNGEN IM 18. UND
FRÜHEN 19. JAHRHUNDERT
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts beflügelte
die barocke Reform- und Baufreude wenigstens in
Ansätzen auch die Mönche von St. Luzi in Bendern.
Eine dieser Persönlichkeiten war Abt Milo Rieger
(+ 1725), erst Administrator in Bendern, dann Abt.
Er und seine Nachfolger planten in den ersten
Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts, den Sitz des
Klosters St. Luzi von Chur nach Bendern zu ver:
‚gegen. Der Plan wäre beinahe realisiert worden.
Schliesslich aber waren der Generalvisitator, der
Bischof von Chur und der Papst dagegen. Den:
noch wurde in Bendern gebaut. Die Statthalterei
wurde um 1730 umfassend renoviert.** Es entstan-
den Entwürfe zu aufwendigen und repräsentativen
Barockanlagen als Zugang zum Kirchhügel von
Bendern.®® Das alte Pfarrhaus aber blieb von grös-
seren Eingriffen in die Bausubstanz bis zur Mitte
des 18. Jahrhunderts verschont. Darüber vermag
die bereits eingangs zitierte Urkunde von 1751
Näheres auszusagen (siehe Anhang).
Beinahe gegenläufig zum barocken Auftreten zu
3eginn des 18. Jahrhunderts verpachteten die
Weissmönche sozusagen den ganzen landwirt-
schaftlichen Betrieb, den Weinbau, mit Vorbehalt
jedoch der Erträgnisse aus den Wäldern und der
St.-Luzi-Lehnsgüter sowie der beiden Gärten, Ins-
besondere des «am großen Kürchweeg nächst dem
alten hauß» gelegenen, und der Einkünfte aus
geistlichen Diensten, sonst aber alles, auch das
«alte hauß». Im alten Pfarrhaus behielt der Pfarrer
nur den grossen Keller (Keller 2) und zwei Zimmer,
welche der Geistliche bewohnte und die zusam-
mengehörten.
Und dann folgt in der Urkunde für die Belange
der Baugeschichte des Hauses eine wichtige Stelle:
Jer «alte keller, torkhl sambt denen der statthal-
terey aigenthumlichen büttenen und züber, auch
darneben stehenden zimmer, nicht minder die
drey oder vier noch übrige zimmer und kornbo-
den» wurden den Pächtern überlassen. Überdies
bauten die Mönche für die Vertragspartner «ein
kuchel und stuben» im alten Pfarrhaus. Es wurde
«heiter und klar» ausbedungen, dass im Brandfall
die Pächter hafteten. Das Wasch- und Backhaus in
der Westecke des Gartens bei der Statthalterei
nutzten beide Parteien gemeinsam. Der «grosse
stadl zu Bendern», «der Zechend stadl» und auch
die «hütten und scherm auf der alp», alle diese
Bauten wurden verpachtet.?® Soviel zu Häusern
ınd Bauten.
Wir müssen also zusammenfassend, was die
nutzbaren Räume im alten Pfarrhaus betrifft, fest-
ıalten, dass beide Keller (Keller 1, 2) um 1751
ıoch genutzt wurden, ebenso der Torkel. Die im
Erdgeschoss gelegenen Zimmer durften anschei-
ı1end die Pächter nutzen; es musste sich dabei um
zäume handeln, die über den Kellergrundrissen
.agen. Welche zwei Zimmer vom damaligen Pfarrer
)ezogen waren, lässt sich aufgrund der Urkunde
ıicht sagen. Es ist kaum anzunehmen, dass die neu
eingerichtete Küche für die Pächter im ersten Ober-
geschoss war, vielleicht jene des Pfarrers. In der
aahen Statthalterei lag der Küchenraum in der
Nordecke des Hauses, über dem Keller. Ferner be-
zichtet der Vertrag von einer neuen Stube und drei
oder vier weiteren Zimmern, welche den fünf Päch-
tern zustanden, also ein Raumprogramm, das nur
in einem Grundriss unterzubringen war, welcher
mit verfügbaren Räumen über dem Keller 1 an der
Südwestseite des Hauses rechnen konnte. Mit
anderen Worten: Das Haus muss Mitte des 18
30) Peter Kaiser, wie Anm. 6, 5. 427, siehe auch Apparat 5. 446,
Anm. 236. - Johann Baptist Büchel, wie Anm. 4, S. 52-56.
31) Johann Baptist Büchel. wie Anm. 4,5. 55 f., 118, 169.
32) Otto Seger, wie Anm. 7, S. 112-114. — Peter Kaiser, wie Anm. 6,
S. 427-430, 468-471, Literatur im Apparat.
33) Johann Baptist Büchel, wie Anm. 4, 5. 57-63, 118.
34) Erwin Poeschel, wie Anm. 3, 5. 253 f.
35) «Project füer güethlicher sanction Entzwischen einem Löbl.
Yarrhaus Bendern und dennen Ersamen Gemeindt Bendern Gam-
„rin, Eschen, Ruggell», Tiroler Landesarchiv Innsbruck, Urkunde
[/4581. - Kopie im LLA, 1/4584.
36) Der grosse Stadel zu Bendern befand sich an der Stelle, wo
der heutige Gasthof Löwen steht. Zu den zitierten Stellen vgl. die
Urkunde vom 12. März 1751, Anhang.
17/9
Abb. 30: Südecke des
Raumes A 5
1
A
JS
<ellergewölbe A
<eller 2
SW-Mauer der
Giebelfront. Untere
Fundamentlage
zegen Erde u. Schutt
zemauert. / Einfüll-
material auf Keller-
gewölbe
5W-Mauer / Giebel-
wand weist hier
Vorfundament auf
Steinsichtig verputzte
SO-Fassadenmauer
stösst stumpf an
Jahrhunderts noch - im Gegensatz zu heute - in
seiner ganzen ursprünglichen Grösse und Ausdeh-
nung genutzt worden sein.
Die Pächter waren verpflichtet, das alte Pfarr-
haus und die Stallungen baulich zu unterhalten
und was «nothwendig seyn wird, verbessern, auch
in zerfallens begebenheit auf aigene kösten auf-
bauen zu lassen». Die Instandhaltung des Torkels
samt Zubehör war eigens ausbedungen. Der Ver-
trag galt für acht Jahre und wurde bis 1786 immer
wieder erneuert. Im Jahr darauf trat die Gemeinde
Gamprin-Bendern als Vertragspartnerin mit dem
Kloster auf.?” Immer häufiger wurden die Gemein-
den der Herrschaft Schellenberg zu Vertragspart-
nern mit den Mönchen von St. Luzi. Es handelte
sich dabei vor allem um Zehnterträgnisse. Die letz-
ten Abmachungen datieren aus der Wende vom 18.
zum 19. Jahrhundert.*®®
Es liegt nahe, dass zu dem Zeitpunkt, als Ge-
meinden der Herrschaft Schellenberg anstelle von
Privaten als Vertragspartner mit dem Konvent auf-
traten, Wohnrechte im alten Pfarrhaus nicht mehr
Vertragsgegenstand waren, und dass spätestens
nach 1786 das Haus mangels Nutzung durch Päch-
ter für den Pfarrer allein zu gross war und langsam
zu zerfallen drohte. Deshalb nehmen wir an, dass
die ältesten und baufälligen Teile des Hauses in den
letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts abgebro-
chen wurden. Dabei handelt es sich um das Kom-
partiment an der Südwestseite des Gebäudes mit
den Räumen auf dem Grundriss des Kellers 1. Der
Keller (1a) wurde eingefüllt. Der südliche Teil des
Xellers (1b) diente während der Bauzeit als Kalk-
grube. In das Auffüllmaterial des Kellers legten die
Bauleute im Südbereich Fundamente für einen
Schopf oder sonstige provisorische Bauten (vgl.
Abb. 10, 12). Die nordöstliche Kellermauer des
abgebrochenen Kellers (1a) blieb stehen. Über dem
Gewölbeansatz der Kellerwand konnte im Süd-
bereich noch auf zirka 1,80 m Höhe älteres Mauer-
werk aus den früheren Bauperioden weiterhin
verwendet werden; es fiel gegen Westen hin
dann allerdings bis zirka 1 m über Geländehöhe ab.
Auf diesen Mauerresten bauten die Handwerker
die heutige Giebelfront auf (Abb. 32. 50, 52), eine
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
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13
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
mit karger Befensterung versehene, der Sonne zu-
zekehrte, das Licht aber abwehrende Mauer. (Die
Fenstereinteilung mit der _Holzvergatterung
stammt aus der letzten Umbauperiode von 1875.)
An der Südecke des Hauses stösst die Aussenmau-
er in der Höhe des Erdgeschosses stumpf an die
Giebelfront, das heisst, dass wir in diesem Bereich
mit noch jüngeren Bauvorgängen rechnen müssen
‘vgl. Abb. 30, 46, 52). Die gleiche Situation treffen
wir auch in der Westecke des ersten Obergeschos-
zes an, wo die traufseitige Aussenmauer - zumin-
lest im Innenraum - ebenfalls stumpf an die First-
Iront stösst (Abb. 51). Nicht so klar stellt sich dieser
Sachverhalt an der Aussenfront der Westecke des
Hauses dar. Ausser einem Senkungsriss mit unre-
zgelmässigem Verlauf ist der Befund hier nicht ein-
deutig. Diese Beobachtung muss wohl so gedeutet
werden: Es wurde wiederholt darauf hingewiesen,
dass der mittlere Bereich der Nordwestfassade aus
einer Holzkonstruktion bestanden hat. Die Holz-
konstruktion aber erreichte im Anstoss nie die
Dicke der Bruchsteinmauer. So blieb beim Hochzie-
hen der Firstfront in der Westecke des Hauses als
Anschluss an die noch bestehende Holzkonstruk-
jLon der nordwestlichen Aussenmauer, zumindest
ım ersten Obergeschoss, nur die schmälere Breite
ler Bohlenaussenwand übrig. Es ist demnach nicht
verwunderlich, dass hier die Hausecke riss. Als
Jlann die traufseitige Holzkonstruktion entfernt
wurde und an deren Stelle eine Bruchsteinmauer
;rat, war für die innere Westecke nur noch ein
stumpfer Anstoss möglich. Wir müssen die bauli-
chen Vorgänge in der zeitlichen Abfolge sehen - in
welchen Intervallen auch immer. Offensichtlich
jaute man am alten Pfarrhaus immer nur, wenn es
absolut notwendig war. Man stopfte, flickte und
dastelte am Gemäuer, um den Zerfall aufzuhalten
Abb. 32, 38, 42, 45, 46, 50). In der Südecke des
Obergeschosses ist das Mauerwerk der neuen
Firstfront - im Gegensatz zum Befund im Erdge-
"RENNWAND
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Abb. 31: Grundriss
1. Obergeschoss
3 Bauperiode 4
— -———
Üü 12 3 4 5m
37) Johann Baptist Büchel, wie Anm, 4, S. 142. - Vgl. Urkunde vom
12. März 1751, Anhang.
38) Johnn Baptist Büchel. wie Anm. 4.5. 141 f.
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Abb. 32: SW-Fassade
Bauperiode 4
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Bauperiode 4
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Abb. 34: SO-Fassade
+ BauDeriode 4
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1
9
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
schoss - im Verband mit der Aussenwand der Süd-
ostfassade, jedoch nur auf einer Länge von 1,20 m.
Dann zeichnet sich in der Bruchsteinmauer eine
deutliche Linie ab, die bis zur Mauerkrone geht
Abb. 31, 34, 42, 46, 52). Die Mauerfuge begleitet
das nordöstliche Gewände einer ins Freie führen-
den Tür, deren Schwellenhöhe jedoch nicht mit der
heutigen Höhe des Bretterbodens rechnet (472.00).
Neben der erwähnten Baufuge bei der hochgelege-
nen Tür deutet die divergierende Sturzhöhe des
Eingangs im Verhältnis zu den nordöstlich liegen-
len Barockfenstern der 3. Bauperiode auf eine an-
dere Zeitstellung dieses Zugangs hin. Die Tür war
von Osten her über eine Stiege mit Podest erreich-
bar (Abb. 42, 46, 52). Die Schlupfpforte diente ein-
mal als direkter Zugang zum Obergeschoss und
führte zu einem schlauchartigen Gang, welcher der
Westecke zu in einer steilen Stiege endete, die zum
Kornboden führte. Die Treppe kann als Abdruck an
ler Innenwand im Putz erkannt werden. Die Süd-
westfront des Obergeschosses war zu dieser Zeit
nur mit einem einzigen stichbogigen Fenster in der
Fassadenmitte durchbrochen (Abb. 32, 38, 50). An
der Nordwestwand sehen wir ein schmales, heute
vermauertes Fenster. Das grosse, ehemalige Quer-
gangfenster aus der 3. Bauperiode an derselben
Hausfront wurde in die Steinmauer integriert, wo-
bei zwei Hölzer zur Datierung glücklicherweise er:
halten geblieben sind (Abb. 51). Die Raumeintei-
lung dürfte mit Ausnahme des Zugangs zum Est-
rich von der vorangehenden Bauperiode stammen.
Die Raumhöhe ist an den abgesägten Balken (1875)
an der Innenkante der Giebelfront ablesbar.
Der Estrich erhielt von Südwesten her durch ein
ceduziertes Fenster spärliches Licht. Unter dem
First bemerken wir überdies eine unscheinbare
Öffnung (Abb. 32).
Die Firsthöhe hatte sich der bereits gegebenen
Situation anzupassen, so dass wir auch an der Süd-
westseite des Hauses die Firstlinie um zirka 1,30 m
höher durchziehen müssen als sie heute liegt. Im
Dachstuhl selbst sind an der Südwestfront ältere
1ölzer sekundär verwendet worden; ein Ständer
datiert aus der Zeit um 1489.
In diesem Zustand mochte das Haus die Revo-
‚utionszeit mit ihren Wirren und den behenden
Wechseln von herrschaftlichen Ansprüchen wäh-
‚end des beginnenden 19. Jahrhunderts bis hin zur
Aufhebung des Klosters St. Luzi in Chur und damit
auch de jure der Statthalterei Bendern im Jahre
'806 sowie den folgenden quälenden Ablösungs-
‚orgängen der noch in Bendern tätigen Mönche
ınd Pfarrer aus ihren geistlichen Diensten über-
lauert haben. Die eingangs dieser Arbeit geschil-
lerten Schadensmeldungen an Bauten auf dem
3enderer Kirchhügel während dieser Jahre be-
;rafen sicher auch das alte Pfarrhaus aus der 4.
Bauperiode. Österreich - ab 1813 als Nachfolger
Bayerns wieder Patronatsherr - trat unter ande-
rem auch dieses Haus 1874 der Pfarrei Bendern
beziehungsweise der Gemeinde Gamprin ab.
{4
BAUPERIODE 5
UMBAU VON 1875
In einem «Dekret Kirchenverwaltung Bendern»
hielt die Regierung am 18. Februar 1875 fest: «Die
Regierung ertheilt hiemit den Consens zum Umbau
des Ökonomiegebäudes der Pfarrpfründe Bendern
in der im angeschlossenen Bauplan ersichtlich
gemachten Weise.»%°
Damit war der Weg frei, das alte Pfarrhaus zum
Pfarrstall umzubauen. Die zur Bewilligung ein-
gereichten Baupläne von 1875 dienten den Bauleu-
ten lediglich als Leitfaden, an den sie sich im
grundsätzlichen hielten, in den Details aber frei
gestalteten (vgl. Abb. 35). Der Umbau hatte seine
Beweggründe.
Die Gemeinde verwaltete nach dem 18. Januar
1874 die neue Pfarrpfründe Bendern*® und ver-
kaufte am 16. Juli 1877 die Stallungen der Prämon-
stratenser samt dem dazu gehörenden Boden an
Lorenz Kind. Es handelt sich dabei um den heuti-
gen Gasthof Löwen inklusive Umschwung.*! Damit
war der Pfründe, Landwirtschaft zu betreiben, die
Grundlage entzogen. Um dem jeweiligen Pfarrer
oder weiteren Bewohnern des Kirchhügels einen
Beitrag zur Selbstversorgung zu ermöglichen, wur-
de das baufällig gewordene Pfarrhaus zum Pfarr-
stall umgebaut. Ein zweiter Grund für diesen Han-
del mag wohl der Finanzbedarf der Gemeinde ge-
wesen sein, die für die geplante Kirchenrenovation
Geld benötigte.*?
Die Veränderungen im Kellergeschoss können
aufgrund der Baupläne nicht hinreichend geklärt
werden. Der Keller 2 erhielt zu dieser Zeit einen
steindeckenden grauen Bewurf von Kalkmörtel. Es
kann - wie bereits berichtet - nicht ausgeschlossen
werden, dass zur besseren Nutzung des Kellers im
anstehenden Fels um 1875 Sprengarbeiten durch-
geführt wurden. Den Torkelraum erschloss an der
Nordostwand ein zweiflügeliges, rechteckiges Tor
mit Sandsteingewänden. Das alte Tor in der Mitte
der Nordostfassade wurde bündig zur Hausmauer
zugemauert. Zur Ausstattung des Torkelraumes
liegen keine weiteren Hinweise vor (Abb. 36, 47,
49). Die beiden Räume 3 und 4 dienten als eigentli-
che Stallräume: in der Nordecke (Raum 4) ein
Schweinestall, dessen Boden zu einem grossen Teil
über einem neuen Jauchekasten gegossen wurde,
ınd westlich des Schweinestalles (Raum 3) ein
Viehstall mit zwei Futterlöchern in der südöstli-
chen Innenwand. Zur Bedienung dieser Futter-
Löcher bedurfte es im Raum 1 - dem alten Podest
m Torkelraum -—- eines galerieartigen Zugangs von
der nahen Tenne her (Raum 6). Eine Schlupfpforte
.n der nordöstlichen Riegelwand (Abb. 41) mit
sekundär verwendeten Hölzern bot Zutritt zur Fut-
;jerbühne. Die Erstellung einer neuen Aussentür in
der Nordecke des Hauses und der Einbau eines
begleitenden Stallfensters schwächten die Nordost-
fassade derart, dass die Ausbrüche vermutlich bis
zur Fundamentlage neu ausgemauert werden
mussten (Abb. 18, 36, 47). Jedoch erhielten selbst
Türen zu Ställen und deren neue Fenster aufwen-
dige Sandsteingewände (Abb. 35 zu den Fassaden
der Periode 5). Auffallend repräsentativ wirkt das
neue Scheunentor: Zwei pilasterartig ausgeformte
Gewändepfeiler auf Sockeln und auskragenden
Kapitellelementen tragen einen grossen Sandstein,
der zu einem sehr flachen Stichbogen geformt ist
‘Abb. 48). Südwestlich dieses Tores befindet sich
ein ebenfalls mit Sandstein eingefasster Zugang zu
einem Lagerraum (Abb. 37, 45). Vor der Südwest-
‚assade erinnert ein Gärtlein aus jener Zeit, ein-
gefriedet von einem Eisenzaun auf gemauertem
Sockel, an die ältesten Kellerfundamente (Keller
la, 1b) des ehedem stattlichen Hauses (Abb. 6, 12,
13).'Im Erdgeschoss der Südwestfassade brachen
die Bauleute drei grosse stichbogige Öffnungen aus
lem Mauerwerk und versahen sie mit diagonal
verstrebten Holzgattern. Der dahinter liegende
längliche Raum (Raum 5, Abb. 19) diente offenbar
als Lagerraum für Holz, Brennmaterialien und der-
gleichen, denn die Fensteröffnungen waren unver-
glast (Abb. 6, 35, 38, 50). Die Bretterdecke im Inne-
ren wird von sekundär verwendeten Balken aus
der Zeit um 1633/34 getragen.‘ Die Fachwerk-
wand, die den Raum zur Tenne begrenzt, besitzt
Konstruktionsholz in zweiter Verwendung mit rö-
mischen Ziffern. In der Südostfassade fällt die An-
bringung einer neuen Tür mit Sandsteingewänden
„91
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
auf, die über eine Stiege vom ehemaligen südöstli-
chen Garten her erreichbar war. Auch an der eben
erwähnten Fassade blieben nur zwei Fenster zur
Belüftung offen; drei Fenster wurden später zuge-
mauert (Abb. 39, 46, 52). Die hochgelegene Tür an
der Südecke ist vermauert worden.
Das Satteldach stattete man mit geringerer
Dachneigung aus. als sie der Vorgängerbau aufge-
Abb. 35: Die vom 18. Feb-
ruar 1875 datierten Bau-
pläne dienten als Leitfader
für den Umbau des alten
Pfarrhauses im späten
19. Jahrhundert
39) LLA, Nr. 294.
40) Johann Baptist Büchel. wie Anm. 4, S. 115.
41) Kaufvertrag über 3277,5 Klafter Boden mit Stallungen, Grund-
buchamt Vaduz. Die Stallungen wurden renoviert, und das Haus
arhielt die Hausnummer 11. Der Eintrag des Kaufes im Grundbuch
arfolgte am 11. August 1879; Auskunft bei diesen Erhebungen von
Grundbuchführer Hubert Kaiser.
42) Der Verkauf der Pfrundgüter war damals ein sehr aktuelles
Chema. Vgl. Johann Baptist Büchel, wie Anm. 4, S. 106 ff., 123.
43) Christian Orcel/Alain Orcel/Jean-Pierre Hurni, wie Anm. 20,
Nrn. 22-24
1
Abb. 36: NO-Fassade
Fensteröffnung,
geschlossen
3% Bauperiode 5
r sr
7 ea
Abb. 37: NW-Fassade
= Fensteröffnung,
geschlossen
ä% Bauperiode 5
X
(El
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Abb. 38: SW-Fassade
Fensteröffnung,
geschlossen
3% Bauperiode 5
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0 1.2 3. 4 5m
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
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Abb. 39: SO-Fassade
= Fensteröffnung,
geschlossen
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Abb. 40: Grundriss
Zwischengeschoss Keller -
Parterre
Gebäude
= (jartenmauer
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Abb. 41: Querschnitt
3% BaupDneriode 5
46745
SE a
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465.45
I
a)
—— 7
3.14 5m
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Abb. 42: Südecke des alten
Pfarrhauses. Vermauerte
Türe im ersten Ober-
geschoss; Baufuge bis zur
Dachauflage
Abb. 43: SW-Ansicht der
Gartenmauer auf Keller
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Keller
T
| Gartenmauer
km ——— Ve.
a
=
Keller 1b
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467.00
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DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
wiesen hatte. Die Zimmerleute konstruierten einen
liegenden Dachstuhl. Das Holz hierfür stammt aus
Janz verschiedenen Zeiträumen. Die grossen Bin-
der aus Weisstannenholz wurden 1874/75 gefällt.
Zine Reihe von verarbeiteten Vierkanthölzern zeigt
Spuren ehemaliger Verwendung, Zapfungen und
dergleichen mehr. Die meisten dieser Hölzer sind
ın ihrer Zeitstellung dendrochronologisch nicht be-
stimmt worden. Vermutlich würden die Jahres-
einge immer wieder auf die Jahre zwischen 1633
ınd 1644 verweisen. Es sind aber bei Hölzern
mehrfacher Verwendung auch weit ältere Daten zu
arwarten, wie das bei einer Stuhlsäule an der süd-
westlichen Giebelwand (1489/90) zutrifft.** Allein
schon der Befund am Dachstuhl deutet auf die
Heterogenität des uns noch erhaltenen Bestandes.
Die Baugeschichte des alten Pfarrhauses insge-
samt ist wechselvoll, uneinheitlich und verwirrend.
Sie reicht zwar nicht in die Anfänge der Pfarrei
Bendern zurück. Trotzdem vermag die ruinöse
Architektur eine differenzierte Auskunft über etwa
500 Jahre Baugeschichte zu geben, die, mit schrift-
lichen Quellen kombiniert, das Schicksal des Klo-
sters St. Luzi in Chur spiegelt.
Abb. 44: SW-Fassade des
alten Pfarrhauses nach
dem Umbau von 1875
Abb. 45: NW-Fassade des
alten Pfarrhauses nach
dem Umbau von 1875
Abb. 46: SO-Fassade des
alten Pfarrhauses nach
dem Umbau von 1875
14) Vgl. ebenda, Anhang, Nr. 21.
6.
Abb. 47: NO-Fassade nach
dem Umbau von 1875
Zusammenfassend kann folgendes festgehalten
werden: Die ältesten im Haus verarbeiteten Hölzer
datieren aus dem Ende des 15. Jahrhunderts. Das
Holz ist bisweilen in zweiter und dritter Verwen-
dung im Haus verarbeitet und kann sogar von
einem anderswo gelegenen, abgetragenen Bau
stammen. Die Dendrozahlen beweisen in diesem
Fall noch nicht schlüssig den Baubeginn des ersten
Hauses. Wir müssen jedoch annehmen, dass sich
beim ausgedehnten prämonstratensischen Besitz
von Weinbergen am Eschnerberg schon recht früh
der Bedarf an Kellerraum zur Lagerung von Wein
bemerkbar gemacht haben muss. Der überall an-
stehende Fels erschwerte zu allen Zeiten der Be-
ı°
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5}
siedlung des Kirchhügels von Bendern die Erstel-
‚ung von Kellerraum. Diese Gegebenheit musste
sich besonders stark ausgewirkt haben, als die
Mönche von St. Luzi in Chur über längere Zeiträu-
me auf dem Kirchhügel in Bendern lebten. So kom-
men wir aufgrund der archäologischen Befunde
und der bauanalytischen Beobachtungen mit der
Datierung der frühesten erkennbaren Bauvorgänge
(Keller 1a) ins beginnende 16. Jahrhundert nicht in
Widerspruch mit schriftlichen Quellen. Es darf als
gesichert gelten, dass bei den Vorgängen in Chur
während und nach der Reformationszeit und der
Flucht des ganzen Konventes von Chur nach Ben-
dern die Bautätigkeit auf dem Kirchhügel zunahm.
Gapetsch2 7 schnurgrad der BarthlenGrossGassen2 8
zue» (fahren) «und sich der Gemainen Aw des Fah-
rens halber, es seye mit vollem, und lährem Waa-
gen, wie von altershero, bemüssigen».
- Die «schaner abe r» 2 9 sollten «ihren gewohn-
lichen abranckh nehmen auff die wisen Gassen 3 0,
unnd alldan fern eines ieden schaden unnd Nach-
theill fahren, unnd in dem Weeg verbleiben».
- Die «Speckner 3 1 unnd «Lindawer» 3 2 sollten das
Ried in Stegen und Wegen «zum wenigsten Scha-
den» gebrauchen und «nit einem weeg nachfah-
ren» . 3 3 Im Feld «Boffel» 3 4 aber sollten sie keine
Fahrrechte haben. Allenfalls zugefügter Schaden
sollte gebührend abgetragen werden.
Diese Auteilung und Fahrregelung aus dem Jah-
re 1704 zeigt es: Der Boden der Talebene wurde
damals von den Bewohnern von Schaan und Vaduz
gemeinsam genutzt. Die als Heuwiesen zur priva-
ten Nutzung eingelegten und ausgegebenen Auteile
wurden von allen Hofstätten der beiden Dörfer aus
benutzt. Die Nutzung wurde in einer gemeinsam
beschlossenen Gemeindsordnung geregelt.
Ähnlich wie der Talboden wurden auch die Wäl-
der von Schaan und Vaduz gemeinsam genutzt.
1530 erliess Graf Karl Ludwig von Sulz eine Ord-
nung über die Bannung der Wälder in Vaduz und
Schaan. 1559 gaben sich die beiden Dörfer eine
von der gräflichen Obrigkeit genehmigte Holzord-
nung. 3 5 Sie wurde später im wesentlichen unver-
ändert verschiedentlich bestätigt und diente sogar
als Vorlage für die hohenemsische Waldordnung
für die Herrschaften Vaduz und Schellenberg. Da-
nach hatte jede Hausstätte jährlich ein bestimmtes
Quantum Brennholz zugut. Bau- und Zimmerholz
durfte nur auf Anweisung der Geschworenen ge-
schlagen oder verkauft werden. Ähnlich wie in den
Auwäldern waren auch in den Wäldern am Berg-
hang eigens bestimmte Partien in Bann gelegt. Hier
war der Holzschlag verboten.3 6
Vor der Ende des 18. Jahrhunderts erfolgten
Bodenteilung zwischen den drei Dörfern kann
man die Nutzungs- und Besitzverhältnisse zusam-
menfassend so schildern: Private Eigengüter befan-
den sich im engen Bereich der dörflichen Sied-
lungen, die durch Zäune vom angrenzenden Ge-
meinland abgetrennt waren. Am Rande der Dörfer
und auf geeigneten Lagen des Talraums gab es
ebenfalls intensiv genutztes Land (Wiesen, Äcker,
Gärten). Es handelte sich um zugewiesenes Ge-
meingut. Auf den ursprünglich gemeinsam, in
dieser Zeit aber privat und intensiver genutzten
eingelegten Flächen, den sogenannten Gemeinds-
teilen, haftete das Atzungsrecht. Diese mussten im
Frühjahr und Herbst für den gemeinschaftlichen
Viehtrieb, für die sogenannte Gemeinweide geöff-
net werden. Die grossen Flächen des nicht einge-
legten Gemeingutes (Auwälder, Auwiesen, Streue-
und Weideriede) wurden gemeinsam genutzt. Vieh-
auftrieb und Nutzung wurden von den Geschwore-
nen der drei Dörfer geregelt.
Die gemeinsame Nutzung der Gemeinheiten gab
immer wieder Anlass zu mancherlei Auseinander-
setzungen zwischen den benachbarten Dörfern.
Bald ging es um die Holz- und Weidenutzung, bald
um die Verteilung von Lasten und Pflichten, wie
Unterhalt von Wegen, Brücken, Zäunen und Wuh-
ren.
Mit dem Wachstum der Bevölkerung wurde es
nötig, Gemeindsteile für neue Hofstätten bereit-
zustellen. So wurden denn nach gemeinsamer Ab-
sprache in Schaan und Vaduz weitere Teile des ge-
meinschaftlich genutzten Talbodens eingelegt und
in den privaten Nutzen verteilt. Gemäss Gemeinds-
brief von 1740 3 7 gab es Mühleholz-, Äule(Au)-, Rüti-
und Gartenteile. Eine LIaushaltung, die von allen
Teilen nutzte, hatte jährlich zwei Gulden zu bezah-
len. Jede Einlegung bedeutete eine Schmälerung
des Gemeingutes. Die Mehrheit der Gemeindsleute,
die alte Gemeindsteilungen nutzten, wehrten sich
gegen eine weitere Verringerung des für den ge-
meinsamen Nutzen verbliebenen Bodens. So er-
gaben sich Spannungen, nicht nur zwischen den
Nachbarschaften, sondern auch innerhalb dersel-
ben.
Die Mehrheit der Viehbesitzer, die bereits über
alte, zum Sondernutzen gewordene Genieindsteile
verfügte, stand einer Minderheit von Haushaltvor-
ständen gegenüber, die teils schon seit vielen Jah-
ren vergeblich auf eine Gemeindsteilung warteten.
Solche Ungleichheiten schürten Hass und Streit in
14
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
Abb. 48: Scheunentor mit
Sandsteingewände in der
Nordwestfassade des alten
Pfarrhauses nach dem
Umbau von 1875
[m Gefolge dieser Ereignisse dürften dann auch die
relativ gut fassbaren baulichen Massnahmen gegen
Mitte des 17. Jahrhunderts gesehen werden. Der
Ausbau des Hauses zu Ende des 17. und im begin-
nenden 18. Jahrhundert kann sehr wohl anhand
der Untersuchungen am Haus nachgewiesen wer-
den. Der allmähliche Niedergang des Hauses ging
parallel mit dem Schwinden des Einflusses und
dem Erlöschen der Strahlkraft des Klosters St. Luzi
in Chur einher. Die Revolutionszeit brachte das
Kloster 1802/06 zu Fall. Das Pfarrhaus wurde zum
Stall. Nur der Torkelraum und der grosse Weinkel-
‚er behielten einstweilen ihre ursprünglichen Funk-
Honen.
Die Gemeinde Gamprin-Bendern trat erst 1874
nach langwierigen Verhandlungen die Rechtsnach-
folge des österreichischen Ärars an. Damit begann
auch baulich ein neuer Zeitabschnitt, der sich so-
gar in der Benennung des Anwesens auswirkte, in-
dem aus dem «alten Pfarrhaus» im täglichen
Sprachgebrauch der «Pfarrstall» wurde. In diesem
Zustand und nur mit geringen Änderungen in der
Erscheinungsweise blieb das Haus bis in die jJüng-
ste Zeit erhalten.
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Abb. 49: NO-Fassade,
Orthogonal-Fotografie
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lungen 48 bis 51
Bauetappen:
RM 1-11 16.Jh.
II 1633/44
IV 18./A. 19. Jh
IV 18./A. 19. Jh
[V 18./A. 19. Jh
V 1875
Vb 20. Jh
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
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Abb. 50: SW-Fassade,
Orthogonal-Fotografie
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Abb. 51: NW-Fassade,
Orthogonal-Fotografie
Abb. 52: SO-Fassade,
Irthogonal-Fotografie
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DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
DAS 20. JAHRHUNDERT
Die neuere Baugeschichte des alten Pfarrhauses ist
gut in das wechselvolle Schicksal dieses Objektes
sinzuordnen. Nun konnte das Haus fortan land-
wirtschaftlich verwendet werden. Der Stall bot die
Möglichkeit, mindestens zwei Kühe und einige
Schweine zu halten. Für Futterlagerung gewährte
die grosse Tenne hinreichend Raum. Wie intensiv
das Angebot von den einzelnen Pfarrern oder Be-
wohnern der Statthalterei beansprucht worden ist,
kann nur vermutet werden. Man darf davon aus-
gehen, dass nach Fertigstellung des Stalles um
1880 das Gebäude nur in sehr geringem Umfang
landwirtschaftlich genutzt worden ist, dass aber im
20. Jahrhundert von Viehhaltung keine Rede mehr
sein kann,*” es sei denn, dass in Kriegszeiten einige
Schweine in den Stallungen gehalten worden sind.
Das Gebäude wurde mehr und mehr funktionslos
und so für den Eigentümer zur reinen Last.
Am 16. Dezember 1971 kaufte das Land Liech-
tenstein die Ruine und 203 Klafter Boden mit
der Verpflichtung, das Gebäude zu renovieren und
das Objekt nachher kulturellen Diensten zu wid
men. Es wurden daraufhin verschiedene Nutzungs-
programme entworfen. Doch kein Konzept und
kein Projekt reifte zur Ausführung.*® Nachdem die
verschiedenen Vorhaben gescheitert waren, ver-
kaufte das Land am 6. September 1983 das vor
zwölf Jahren erworbene Bauwerk samt Baugrund
wieder an die Gemeinde. Dabei wurde vereinbart,
die Nutzung des Baues zwischen den Vertragspar-
teien abzustimmen, den Bau unter Denkmalschutz
zu stellen und eine baugeschichtliche Untersu-
hung vornehmen zu lassen. Die Renovation hätte
um 1990 beendet sein sollen.*“ In der vorgesehe-
nen Frist konnte aber nur ein Projektwettbewerb
für die Renovation und Erweiterung des alten
Pfarrhauses in einer ersten Phase durchgeführt
werden.
Die Gemeinde Gamprin hat mit dem am 15.
August 1986 gegründeten Liechtenstein-Institut
einen längerfristigen Mietvertrag abgeschlossen.
Den Gründern des Liechtenstein-Instituts und den
Gemeindebehörden Gamprin-Bendern schien es
sinnvoll, auf dem Kirchhügel von Bendern auf
Adochschulstufe über liechtensteinisches Recht,
jechtensteinische Geschichte, Politik, Wirtschafts-
ınd Sozialwissenschaft zu forschen und zu leh-
ren.“ Der geschichtliche Hintergrund des Kirch-
ıügels mit den für die Landesgeschichte funda-
mental wichtigen Ereignissen forderte die Nieder-
assung des Liechtenstein-Instituts an diesem Ort
zeradezu heraus: Am 16. Juli 1990 schrieb der Ge-
meinderat von Gamprin einen öffentlichen Wett-
bewerb unter allen liechtensteinschen Fachkräften
und acht eingeladenen Architekturbüros im
schweizerischen Rheintal und in Vorarlberg aus.
Der Raumbedarf des Liechtenstein-Instituts, die
Ansprüche der Gemeinde sowie die Gesichtspunkte
des Denkmalschutzes waren für den Wettbewerb
die wichtigsten Vorgaben. Die Jury beurteilte an-
’angs Dezember 1990 13 Projekte und zeichnete
den Entwurf des Feldkircher Dipl. Ing. Martin
Häusle mit dem 1. Preis aus. Das Projekt wurde mit
einigen Vorbehalten zur Weiterbearbeitung emp-
fohlen.“
Am 2,/4. Juli 1993 lehnten die Stimmberechtig-
ten der Gemeinde Gamprin-Bendern das Kredit-
45) Laut mündlicher Mitteilung vom 10. Dezember 1997 von Dekan
:ranz Näscher, Baumeister Wilhelm Büchel und Lehrer Georg
väscher bestehen — soweit mündliche Überlieferung und eigenes
Zrinnerungsvermögen Zurückreichen — keine Hinweise auf Viehhal
‚ung im Pfarrstall.
16) Die Renovationsproblematik war in der Folge immer wieder
Gegenstand von Beratungen in der Denkmalschutz-Kommission. Die
Yorhaben fanden in den Protokollen der Denkmalschutz-Kommis-
sion, in den Jahresberichten der Regierung und den Kostenvoran-
schlägen zuhanden des Landtages ihre Niederschläge. Das Architek
turbüro Batliner und Schafhauser AG, Eschen, erarbeitete 1980 ein
?rojekt mit Räumen für die Dekanatsverwaltung, die örtliche Pfarrei
(Büros, Sitzungszimmer, Unterrichtsräume, Archiv) und die Liech
tensteinische Musikschule. Baupläne 1:100.
47) Kopie im GAG, Nr. 2766.
18) Der grösste Teil der Forschungsergebnisse des Instituts erschien
m Verlag der Liechtensteinischen Akademischen Gesellschaft,
Vaduz. In diesem Verlag sind seit 1972 22 Bände zur erwähnten
hematik sowie 25 sogenannte «Kleine Schriften» erschienen.
49) TVaterland, 6. Juli 1993, S. 13; LVolksblatt, 7. Juli 1993, S. 2, —-
Anträge der Fraktionen: FBP-Gemeinderatsfraktion und VU-Gemein-
deratsfraktion vom 14. Juli 1993. GAG
] *
nl
begehren zur Realisierung des Projektes mit 184 zu
182 Stimmen ab. Als Ablehnungsgründe wurden
Bedenken der Bürgerschaft betreffend Kernzonen-
gestaltung, Finanzierung, Verkleidung des süd-:
westlichen Anbaus mit farbigem Aluminiumblech
und Überdehnung dieses Anbaus gegen den Fried-
hof hin geltend gemacht.
Nach einer kurzen Phase der Ernüchterung und
Enttäuschung unter den Befürwortern des Vorha-
bens hielt der Gemeinderat grundsätzlich am
Projekt fest, berücksichtigte aber verschiedene
Wünsche und Kritiken aus der Bürgerschaft. Am
27./29. Mai 1994 unterbreitete Vorsteherin Maria
Marxer der Gemeinde das überarbeitete Bauvorha-
ben mit einem detaillierten Bericht erneut zu einer
Abstimmung. Das Umbau- und Renovationsprojekt
wurde mit 222 zu 195 Stimmen angenommen.”
Die Geschichte des Baues ist um eine Episode rei-
cher. Vielleicht hat sich der Widerstand gegen die
Investitionen in den Bau an der künftigen Bedeu-
tung des Hauses gemessen.
DIE FUNDE AUS DEM GRABUNGSGEBIET A
Am 26. September 1977 wurde bei der Südecke
des Pfarrhauses eine gut erhaltene, bronzene
Kreuzfibel gefunden (Abb. 11, 55). Es handelt sich
um einen Streufund.**
Das gleicharmige Kreuz misst 3,7 cm in der
Höhe und Breite. Die rhombischen Arme sind kerb-
schnittverziert. Zwei parallele, verzierte Bahnen
begleiten die erwähnte Grundform dergestalt, dass
in den Kreuzesarmen eine zwickelartige, plane
Restfläche übrigbleibt, auf welcher Silberspuren
gefunden worden sind.®* Das kerbschnittige Linea-
ment türmt sich in der Kreuzmitte zu einem spit-
zen, geriffelten Kegel auf. Die äusseren Ecken der
Kreuzesbalken zieren feine Kügelchen, und die
Ecken in den Schnittpunkten der Kreuzesarme
weisen ebenfalls kugelige Verdichtungen auf. Im
Gegensatz zur differenzierten Vorderseite der Fibel
ist die Rückseite glatt. Im Schnittpunkt der Arme
liegt eine Dellung, deren Durchmesser 8 mm
beträgt. An einem Arm finden sich Spuren eines
Scharniers mit Eisenstift.
Die Kreuzfibel ist ein «frühkarolingisches Erzeug-
nis des 8. oder 9. Jahrhunderts».** Eine genauere
Datierung ist derzeit kaum möglich. Die älteren
Kreuzfibeln des 7. Jahrhunderts variieren in den
Umrissen stark, und die entsprechenden gleichar-
migen Fibeln des 9. Jahrhunderts unterscheiden
sich nicht von den Vorgängerinnen.® Die formalen
Quellen der Kreuzfibeln liegen im Mittelmeerraum,
wie das häufige Vorkommen in Italien dies andeu-
tet. In alemannischen Gebieten findet man Kreuz-
fibeln des 8. und 9. Jahrhunderts seltener
MÜNZFUNDE
Im Grabungsgebiet A sind fünf Münzen gefunden
worden. Die älteste Münze, ein Luzerner Haller aus
dem 15. Jahrhundert (Abb. 53), lag im Kellerraum
(A Keller 1a).° Aus dem gleichen Keller kommt
der bayerische Halbbatzen (Abb. 54), geprägt im
Jahre 1624 in der Herrschaftszeit von Kaiser Maxi-
milian I. (1623-1651).*” Ferner lag im erwähnten
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
Keller ein Österreichisch-ungarischer Heller von
1894. Die Fundlisten verzeichnen schliesslich ein
Zehnrappenstück (1880) und einen Zweiräppler
(1886) als Streufunde.“
KERAMIKFUNDE
Die Keramikfunde sind in Zahl und Bedeutung im
Verhältnis zu den Funden an anderen Grabungs-
stellen auf dem Kirchhügel bescheiden. Ein dunkel-
Dbeiges Wandstück (Abb. 56) aus gemagertem und
50) Anträge der beiden Gemeinderatsfraktionen vom 14. Juli 1993.
51) LVaterland, 30. Mai 1994, S. 1. —- LWVolksblatt, 30. Mai 1994, 5. 1
Der Kostenvoranschlag für das Bauvorhaben betrug 3,2 Mio. Fran-
Ken.
52) Schnitt A SCH S-O 1, Südecke des Pfarrhauses, siehe Tagebuch
les Autors, 26. September 1977, Abb. 3.
53) Abb. in: Kunstagenda 1994 der Liechtensteinischen Staatlichen
Kunstsammlung. Vaduz 1993, Woche 19
54) Freundliche Mitteilung von Prof. Dr. Joachim Werner, München,
‚om 8. Januar 1980. - Rudolf Degen, Schweizerisches Landesmuse-
ım, Zürich, verdanke ich Hinweise auf Literatur (Brief vom 11
Jezember 1979).
55) Franke Stein: Adelsgräber des achten Jahrhunderts in Deutsch-
and. In: Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit, Ser. A
3d. 9. Berlin, 1967, S. 97 ff., vgl.: Tafel 120 und Fundliste 23 (Hrsg.
Römisch-Germanische Kommission des Deutschen Archäologischen
Instituts zu Frankfurt a.M.). — Kurt Böhmer: Die Fränkischen Alter-
‚ümer des Trierer Landes. In: Germanische Denkmäler der Völker
wanderungszeit, Ser. B, Bd. 1. Berlin, 1958, S. 110 f. (Hrsg. Rö-
nisch-Germanische Kommission, Rheinisches Landesmuseum
3onn-Rheinisches Landesmuseum Trier). - Siegfried Fuchs und
Joachim Werner: Die Langobardischen Fibeln aus Italien. In: Deut-
sches Archäologisches Institut. Berlin, 1950, Tafeln 49, 50. — Marius
3esson: Antiquites du Valais. Fribourg, 1910, S. 85. Nr. 1. Planche
XLI, 1.
56) Die Münzen aus den Grabungsbereichen der Profanbauten,
nsgesamt 127 Stück, sowie die acht Wallfahrtspfennige und Me-
daillen sind von Hortensia von Roten 1989 bearbeitet worden.
Vgl. Benedikt Zäch: Münzfunde und Geldumlauf im mittelalterlichen
Alpenrheintal. In: JBL 92 (1994), S. 201-240, Fundverzeichnis,
Ss. 235. - Hortensia von Roten: Fundmünzen der Grabung in und um
las Pfarrhaus Bendern-Gamprin 1976-78. Zürich, 1989, Nr. 104.
Manuskript.
57) Hortensia von Roten, wie Anm. 56, Nr. 11.
58) Ebenda, Nr. 72.
59) Ebenda. Nrn. 94. 99
Abb. 53: Luzern, Stadt
Büste mit Mitra von vorne
mit Kragen, zwischen L-V
Wulstreif
Haller (ab 1425)
Fundort: A Keller 1a
Hochbauamt/Archäologie
Inv. Nr. K 0308/0189
Abb. 54: Kurfürstentum
Bayern, Maximilian L
(1623-1651)
Vs: M(aximilianus) -
C(omes) - P(alatinus) -
R(heni) - V(triusque) -
B(avariae) - D(ux) - S(acri)
R(omani) - (mperii) -
A(archidapifer) E(t) (Prin-
ceps) E(lector)
Rautenschild in der Mitte
Rs: SOLI DEO GLORIA
Reichsapfel mit Wert-
zahl 2, oben Jahreszahl
16-24
Halbbatzen (2 Kreuzer),
Billon, 1624
Fundort: A Keller 1a
Hochbauamt/Archäologie
Inv. Nr. K 0308/0096
Abb. 55: Karolingische
Abel, Bronze
CO: Südecke Pfarrhaus
streufund
Archäologie FL
nv. Nr. O0 0308/0104
Abb. 56: Wandstück,
<örnige und gemagerte
Tonmasse
Aussen rötliche Muster
AO: A Sch SO 1
Archäologie FL
Inv. Nr. E 0308/0058
02:
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Abb. 57: Spinnwirtel,
ınglasiert, roter Brand
Zierrille
-O: A Feld 1
Archäologie FL
ınv. Nr. L 0308/2059
Abb. 58: Feuerstein,
graugrüner Feuerstein
LiNke Seite Retuschen
Rückseite glatt
FO: A SCH NO 1
Archäologie FL
Inv. Nr. M 0308/0014
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DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
körnigem Ton mit rötlicher Bemalung dürfte hoch-
mittelalterlich sein, und das Randstück einer hand:
geformten, unglasierten Becherkachel entstand im
14. Jahrhundert. Aus dem gleichen Zeitraum stammt
aine unglasierte Spinnwirtel mit Zierrille (Abb. 57).
In das 15. Jahrhundert kann ein Randstück einer
grünglasierten Ofenkachel datiert werden.“
Im Raum 3 lagen in einer Auffüllschicht über
gewachsenem Grund Keramikstücke aus dem 16.
und 17. Jahrhundert.®'
Immer wieder stiessen die Ausgräber auf Fund-
stücke grünglasierter OÖfenkacheln, Zier- und Deck-
(leisten sowie Bruchstücke von Bekrönungskacheln
aus dem Ende des 16. und aus dem 17. Jahrhun-
dert. An der äusseren Südostseite des Pfarrhauses
kamen 1977 zahlreiche Stücke derartiger Keramik
zum Vorschein. Die Ware lag vor allem in umge-
schichteten Erdmassen.“ Bemerkenswert ist die
Beobachtung, nach welcher über einer aus reinem
Löss bestehenden Eindeckungsschicht auf dem
Gewölbe des Kellers 2 eine zweite, 30 cm starke
schwarze Aufschüttung —- stellenweise mit Bau-
schutt durchmischt —- Keramik aus dem 16. und 17.
Jahrhundert enthielt. Der gewölbte Keller kann
in seiner jetzigen Erscheinungsweise nicht älter
sein.® Es macht den Anschein, dass diese ver-
unreinigte Schicht nach 1683 auf die Isolations-
schicht aus reinem Löss geschüttet worden ist.
Die grünglasierten OÖfenkacheln konnten aufgrund
eines Fundes im Südgarten der Statthalterei mit
1683 genau datiert werden. Zur Datierung von
Bauvorgängen im genannten Keller (2) dient ein
Wand-Randstück mit innen und aussen brauner
Glasur, beigem profiliertem Rand und einem Ge-
fässinnern mit Blütenzweig-Dekor und gelben Tup-
fen. Das Stück lag am Boden an der südwestlichen
Kellerwand, satt eingebettet im Mörtel, der beim
Verputzen der Wand auf den Boden gefallen war.
Die Beobachtung verdeutlicht, dass im 19. Jahr-
aundert im Keller 2 Verputzarbeit geleistet wor-
den ist.®+
Abschliessend sei auf einen 4,5 cm langen und
3 cm breiten graugrünen Feuerstein (Abb. 58) ver-
wiesen, dessen Rückseite glatt ist und welcher an
der linken Vorderseite deutliche Retuschen auf-
weist.°
Zusammenfassend kann man bemerken, dass
lie Grabungsfunde von Einzelobjekten nicht be-
sonders zahlreich und - wenn man von der karo-
ingischen Bronzefibel absieht - von eher geringer
3Zedeutung sind. Wegen der sekundären Lagerung
ler Keramik kann dieser zur Datierung baulicher
Vorgänge an sich nicht allzuviel abgefordert wer-
den. Die Konzentration der Keramikfunde auf den
Zeitraum 16. bis 18. Jahrhundert passt allerdings
in der Zeitstellung mit den bauanalytischen Erhe-
bungen gut zusammen.
50) Tagebuch des Autors, 6. Oktober 1977 und 5. März 1979.
31) Ebenda, 16. März 1979, 3. November 1989, 25. Mai 1990.
Nachgrabungen.
62) Ebenda, 24., 29., 30. September 1977.
63) Ebenda, 23. Februar 1979.
54) Ebenda, 14. März 1979, Nachgrabung.
65) Ebenda, 26. September 1977.
Anhang
URKUNDE VOM 12. MÄRZ 1751
Der Abt von St. Luzi, Norbert Kaufmann, verleiht für acht
Jahre im Einverständnis mit dem Konvent und Einwilli-
gung des Reichsprälaten von Roggenburg dem Richter Pe-
ter Kind und vier Männern aus Ruggell die Benderer
Pfrund- und Eigengüter, unter anderem auch das «alte
haüß ...». Von dieser Übergabe werden ausgenommen
alle St.-Luzi-Lehnsgüter, die Waldungen und die Gärten
vor den beiden Häusern, ebenso die Einkünfte aus geistli-
chen Diensten und die Statthalterei selbst. Im «alten
haüß» bleiben der «große keller» und zwei Zimmer dem
Pfarrer vorbehalten. Der «alte keller», der «torkhel,
sambt denen der statthalterey aigenthumlichen büttenen
und züber», die «darneben stehenden zimmer» und die
drei oder vier übrigen Zimmer sowie der «kornboden»
werden von den Pächtern genutzt. Das Kloster baut den
Pächtern eine Stube und eine Küche. Die Pächter aber
müssen Haus, Stall und Alphütten unterhalten. Die Ur-
kunde regelt detailliert weitere Pflichten, Nutzungsrechte
und Dienste der Pächter, wie auch die Pflichten und Rech-
te des Klosters St. Luzi.
TRANSKRIPTION®®
Kundt und zu wisßen seye hiemit jedermänniglichen,
daz / entzwischen jhro hochwürden und gnädigen herrn
praelathen Norbert, / abbten des löblichen gottshauß
St. Luzi des heiligen canonischen pra- / monstratenser
ordens, mit wisßen, willen und genehmhaltung des / all-
daßigen, wohl ehrwürdigen convents einer- und denen
ehrsamben / männern und pfarrkinderen zu Bendern, be-
nantlich entzwischen / dem ehren geachten herrn richter
Peter Kind von Gamprin, Michael / Kaißer, Dominic But-
scher, Michael Öhri und Andreas Heb, alle / von Roggell
gebürthig, anderten thails ein aufrecht, redlich und / wohl
bedachter accord und bestandts contract getroffen wor-
den, / krafft desßen von hochgedachten, hochwürdig
herrn pralathen / und convent des löblichen gottshauß
St. Luzi mit begnehmi(gung) und ein- / willigung jhro
hochwürden und gnaden, herrn reichs pralathen von /
Roggenburg alß patris domus Sanct Lucensis, gemeldeten
männern / all(es} und iedes, was biß dahin die Benderi-
sche statthalterey genuzet / und genossen hat, verleh-
nungs weiß zu nuzen und zu geniesßen / überlasßen wor-
den (iedoch mit unten anzusezenden austrukhlichen /
vorbehalt). Verleichen also und überlasßen von dem
'5ten tag / merzens des 1751ten iahrs an zu rechnen: /
Erstlich, ihnen, vorgemelten männern, alle sowohl
pfruend- alß aigen- / thumlich an St. Luzi erkauffte und
von der Benderischen statthalterey / biß anhero genuzte
güther, benantlich den umb die Benderische pfarr- / kür-
chen herumb ligenden weinberg sambt ganzer ober und
untern / hueb, den widumb, Schweinbogen, gräss gar-
then, hampfere, höffle, / gställe, baumgarthen, riedmaad,
falßau, pritschen, daz güttle beym / Zechendstadel, die
Abanx wießen, alp. wie auch den hinter dem / alten hauß
ligenden, von kleinen Kürchweeg sich in die länge bis /
zur begräbnuß der unschuldigen kinder, in die breithe
aber / von alten hauß biß an die kürchhoffs maur erstre-
khenden garthen / und all übrige biß dato zur Benderi-
schen statthalterey gehörige, / und von derselben zu nu-
zen gezogene güther in ihren marchen und / zihlen, wie
Benderische statthalterey solche biß dahin genuzet / und
gerechtsamet hat, jedoch mit außgedrukhten vorbehalt /
aller St. Luzianischer lehen güter. Jtem all und ieder der
statt- / halterey zugehörigen waldungen, wie auch des
kleinen ein- / gemaurten, vor den fenstern der beeden
häußer stehenden / sambt dem großen Kürchweeg nächst
dem alten hauß ligenden / gartens. Jtem aller nuzbarkhei-
ten der stohl und persohnlichen / verdiensten der alda
residierenden wohl ehrwürdigen herren patrum. /
66) Die Transkription überarbeitete Claudius Gurt
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
den Dörfern. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts
kam es schliesslich zur Aufteilung des Gemeingutes
zwischen Schaan und Vaduz. Diese Aufteilung zwi-
schen den Dörfern war Voraussetzung für weitere
Nutzungszuteilungen und für die spätere Privati-
sierung grosser Teile des Gemeinguts.
DIE VERHÄLTNISSE IM ALPENGEBIET
Im Gegensatz zum Talraum erfuhr das Kirch-
spieleigentum im Alpengebiet noch bis ins 17. Jahr-
hundert verschiedene Veränderungen. Die Leute
und Vertreter der beiden Dörfer Schaan und Va-
duz, oder die «ganze Gemeind zu Schaan und Va-
duz», oder die «Gemeinden der zwei Dörfer Vaduz
und Schaan», erscheinen verschiedentlich als Par-
teien in Grenz- und Nutzungsstreitigkeiten mit
Triesen (1514,1516, 1602)3 8 und Triesenberg (1516,
1569, 1589, 1643)3 y. Auch als gemeinsame Verkäu-
fer von Alpen begegnen uns Schaan und Vaduz.
1615 verkauften sie einigen Triesenbergern
Gaflei, 4 0 1652 den «Gemeindsleuten am Triesner-
berg» jene Alpen, die sie ihnen 1355 als Erblehen
überlassen hatten.41 Gallei wurde übrigens 1952
und 1955 auf Beschluss der Bürgerversammlung
wieder in Vaduzer Gemeindebesitz gebracht.42
Auffällig ist, dass Planken neben Schaan und
Vaduz in allen Urkunden zu den genannten Rechts-
geschäften nie als Partei erwähnt wird. Offenbar
hatte Planken, das in der gleichen Zeit auf der
Rheintalseite in ständigem Nutzungskonflikt mit
Schaan und Vaduz stand, gar kein Miteigentum an
den Alpen.
Die Alpen sind spätestens im 15. Jahrhundert
zwischen den einzelnen Dorfschaften des Kirch-
spiels in den Nutzen aufgeteilt worden. 1503 trenn-
ten die Schaaner die Benützung von Guschg und
Gritsch. 4 3 Es handelte sich um eine sehr differen-
zierte Aufteilung mit genau festgelegtem Wertaus-
gleich. Vaduz wurde in diesem Teilungsgeschäft
mit keinem Wort erwähnt. Man muss daher anneh-
men, dass die Vaduzer in dieser Zeit die dritte gros-
se Alpe im Malbun bereits allein bewirtschaftet
hatten. Und in der Tat befanden sich die «gemai-
27) Gapctsch, Schaaner Flur südwestl ich des Dorfes, westlich der
Sax, südlich der Wiesengasse, die auch Wesagass genannt wird
(vgl. A n m . 30).
2S) Die «BarthlenGrossGasse» ist wohl mit der Lochgassc. einer
alten Wegverbindung zum Rhein in der Vaduzer Flur Bartlegrosch.
zu identifizieren.
29) Die «schaner» werden im Text von den Guschgern unterschie-
den, ihnen wird ein eigener Fahr- und Triebweg gewiesen. Die
Vermutung liegt nahe, dass mit den Schaanern die Leute nördlich
der Obergass und von St. Peter gemeint sind, also die in dem der
Alpgenossenschaft Gritsch zugewiesenen Dorfteil Wohnhaften.
30) Wesagass, Gasse unter St. Peter, in westlicher Richtung über die
Wesa zum Rhein, zur f rüheren Rheinfahre führend .
31) Gemeint sind die in der Specki, dem nördlichen Dorfteil von Schaan,
unterhalb der alten Pfarrkirche und des Friedhofs wohnhaften Leute.
32) Mit «Lindawer» sind die im «Lindauer Dorfteil» in Schaan wohn-
haften Leute gemeint. Der Name «Lindauer» ist heute nicht mehr
geläufig und kommt auch in der Dalensammlung des Liechtensteiner
Namenbuchs nicht vor. Ober einen Hinweis von Dr. Rupert Quaderer
bin ich im Gemeindearchiv Schaan auf ein «Gesuch des Lindauer-
dorftheiles zu Schaan» vom 17. Juli 1877 um Erstellung eines Lauf-
brunnens in diesem Dorfteil gestossen. Danach dürf te es sich um die
zur Alpgenossenschaft Gritsch gehörenden Hofstätten entlang der
Landstrasse, nördlich von St. Peter und südlich des Lindenplatzes,
gehandelt haben. Der Dorfteil grenzte also an die nördlich des Lin-
denplatzes gelegenen Specki. am Rande des Rieds. Vgl. dazu auch
unten. S. 28, Anmerkung 98 und Abbildungen auf Seite 30 und 31.
33) Das heisst wohl möglichst direkt und nicht über die anderen Wege.
34) In Schaan gibt es zwei Fluren namens Bofel, eine südwestlich
des Dorfes zwischen Wesa und Gapetsch, die andere nordwestlich
des Dorfes, im Meder. Es ist nicht eindeutig, wo das hier genannte
Feld «Boffel» zu lokalisieren ist. Das Fahrverbot für die Leute aus
nördl ichen Dorfteilen dürf te aber doch eher für die südlich gelegene
Flur gedacht gewesen sein.
35) LEA RA 10/2/8/2/4 und 5, Urkunde vom 30. Apr i l 1559.
36) Zur Waldnutzung vgl. Ospelt. Alois: Zur Geschichte des Vaduzer
Waldes. In: Der Vaduzer Wald. Hrsg. Gemeinde Vaduz. Vaduz. 1981.
S. 43-45.
37) L L A RA 42/2. Gemeindsbrief, beschlossen am 31. März 1739.
vom Oberamt bestätigt am 30. März 1740.
38) GAS U8a. Urkunde vom 10. Oktober 1514, GAS U8. Urkunde
vom 1. Mai 1516, GAT U40, Urkunde vom I. Mai 1602.
39) GATb U32, AlpAV U20. Protokollauszüge des Landgerichts
Rankweil vom 30. Juni 1516: AlpAV U7. Urkunde vom 27. Septem-
ber 1569; AlpAV U22b, Urkunde vom 22. September 1589;
AlpAV U9. Urkunde vom 1. August 1643.
40) GAV U4. Urkunde vom 25. Juli 1615.
41) GATb U6, AlpAV U8. Urkunde vom 26. Februar 1652.
42) Seger. Otto: Vaduz. Ein Heimatbuch. Vaduz, 1956. S. 52.
43) GAS U5. Urkunde vom 12. März 1503.
15
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
Andertens verleichen jhro hochwürden und gnaden,
herr abbt Nor- / bert, und [öbliches gottshauß St. Luzi
>bangezogenen bestands männern / alle s[alvo] hlonore]
kühe und übriges rind viehe nach tenor und inhalt des /
jnventarii, wie auch 4 pferd sambt aller zugehör an
gschiff und gschirr / und übrigen werkhzeüg, so zur an-
bau(ung) und anpflanzung der überlasßenen / güther, wie
auch zu einsammlung der feldfrüchten nothig und de fac-
to / bey handen seind. /
Drittens wird ihnen überlasßen daz alte hauß, iedoch
nit vorbehalth des / großen kellers und zweyer zimmer
ılB des dermahlen von herrn pfarrer / bewohnten und
gleich darneben stehenden. Daz übrige ganze hauß alß /
der alte keller, torkh(e)l sambt denen der statthalıerey
aigenthumlichen / büttenen und züber, auch darneben
stehenden zimmer, nicht minder die / drey oder vier noch
übrige zimmer und korn boden werden denselben /
gleichfahls zu dero gebrauch überlasßen. Es verpflichtet
sich aber / daz gottshauß St. Luzi auf aigene speesen de-
nen selben zu dero noth- / durfft ein kuchel und stuben in
angezogenen alten hauß erbauen / zu lasßen. Anbey aber
solle ihnen, bestands männern, heiter und / klar ange-
dungen und sie verpflichtet seyn, wofern in den ihnen /
angewißenen wohnungen entweder durch sie oder ande-
ce in solche / wohnungen eingelasßene jnsasßen auß
straff- und schuldbahrer / nachlasßigkeit oder überse-
;hen feyer (welches der gütigste gott / miltest abwende)
außkomen und hiermit Benderischer statthalterev / oder
anderwerts hierauß ein schaden entstehen solte, solchen
schaden / auß aignen mittlen zu vergüthen und abzu-
ragen. /
Viertens, daz große hauß oder die sogenante statt-
halterey solle auch ein- / zig und allein denen ieweiligen
patribus, herren statthalter und pfarrer / zum gebrauch
und wohnung dienen. /
Fünfftens werden ferners ihnen, bestands männern,
überlasßBen der große / stad(e)l zu Bendern mit aller be-
stallung und behaltnußen, der Zechen / stad(e)l, hütten
und scherm auf der alp, daz wäsch und bach hauß aber
soll / sowohl der statthalterey zu Bendern alß ihnen
semein seyn, alwo / abermal die erst oben angesezte
bewandtnuß und condition, bey / einer etwanig (so doch
gott abwende) auß ihrer, der bestands / männern, oder
derer von ihnen gesezten jnsäsßen schuld sich ereignen-
den / feyers brunst, erneyeret und außtrukhlich beygefie-
get seyn solle. / Übrigens soll die holzbehaltnuß alleinig
der statthalterey reserviert / seyn. /
Sechstens werden offtgedachten bestands männern
verlichen alle der / pfarrey Bendern zufallende zechende
an fesen, roggen, gersten, / waizen, türkhen, bohnen, erb-
sen, hanff, flachß, hirsch, fenkh, rueben, / grundbühren,
obs, moost, hüner, s[alvo] h[onore] schwein etc., in sum-
ma all und iedes, / so in Benderischen, Gamprinischen,
zoggellischen, Abanxischen, Freschischen, / Schellenber-
zischen, Abergischen und Schönbüehlischen güthern fal-
et, was / gattung, nahmens und zechenbahres immer
solches seyn mag, mit allem / recht und bezüechen, wie es
die Benderische statthalterey bishero / yblich bezochen,
zerechtsamet und eingesamlet hat. Diß alles / yberlasset
ınd verleichet ein hochwürdig gnädiger herr abbt / und
öbliches gottshauß St. Luzi denen offt angeregten be-
stands männern / zu nuzen, zu geniesen und zu bezie-
chen nach ihren aigenen belieben / und dergestalten, daz
;je die überlasßBene güther anpflanzen, anbauen, / arbei-
hen, alle frücht und gewächs, wie auch alle zechende ein-
samlen, / für sich behalten, verkhauffen und mit selben
sach aigner willkhur / schalten und walthen, die s[alvo]
ıl[onore] kühe nuzen, die pferd und all darzue / gehörige
sschiff und gschirr, wie auch daz gschiff und gschirr zum
’ sennen sowohl zu Bendern alß auf der alp die ganze
wvährende zeit / des accords und bestand contracts ge-
rauchen mögen. /
Jißer accord aber solle sich auf acht jahr und nicht
länger noch kürzer / erstrekhen, nach deren verfliesßen
35 beeden theilen frey stehet, / solchen contract wider zu
arneveren, Oder, wofern nicht beliebig, / solchen never
lings zu bevestigen, soll er völlig aufgehoben und die /
frevye disposition der überlasßenen güther und all übriger
verlichener / nuzbarkeiten dem gottshauß St. Luzi heimb-
zefallen seyn. /
Worgegen und in ansechen der verlichenen güther, ze-
zhenden und anderen / überlasßenen nuz und gnusß ver-
oflichten und verbinden sich die be- / stands männer zu
‘olgenden schuldigkeiten alß: /
Erstens verpflichten und verbinden sich selbige, daz
sie dem gottshauß / St. Luzi in der statthalterey zu Ben-
lern in drey terminen an gueten, / gangbaren und ge-
wichtigen gelt baar erlegen wollen jährlich / ein tausent
ınd zwey hundert gulden reichs währung. welche be- /
zahlung auf nachfolgende terminen gesezt und vestgestel-
et ist, / alß auf daz fest des heiligen Martini 1751: gulden
300, / auf St. Jörgi tag 1752: gulden 400, / auf St. Johann
3aptista tag 1752: gulden 500, summa: 1200. / Und also
n ferneren jahren biß der contract geendet, dergestalten,
Jaz / die zu bezahlende letste gelt summa auf daz iahr
759 auf St. Johann / Baptista fest dem gottshauß St. Luzi
gänzlich abgeführt seye. / Wan aber die Benderische
statthalterey von einem bezahlungs / terminn zum ande-
°en von ihnen, b(e)stands männern, an gelt oder gelts
werth / etwaß empfangen solte haben, soll ehevor ein
ıöthige rechnung mit / einander gepflogen und waß emp-
angen worden, bey dem bezahl- / ungs termin abgezogen
werden. Es soll auch ein iede bezahlung / ohne speesen
sowohl des gottshauß alß der statthalterey geschechen. /
Andertens, damit daz gottshauß St. Luzi wegen rich-
tiger bezahlung / genugsam versicheret seve, stehet ein
jeder bestands mann für alle / und alle für einen ieden
zut und verbirget, verpfendet, sezet ein / dem gottshauß
St. Luzi zur caution, versicherung und schadloshal- / tung
all ihr vermögen, haab und gut ohne mindesten außnahm
/ und ohne aller recht und gebräuchen außflucht. /
Drittens sollen sie keine neye weeg durch die über-
asßene güther / aufkomen, noch andere alß bißhero und
von alten herkhommen übliche / beschwärden denen
selben güthern aufbürden oder auflegen lasßen, / mithin
liget ihnen ob, alle zihl und marchen, steeg und weeg,
fahr- / und wasßerleithungen, wie auch andere geübte
gerechtsame genau / zu beobachten und selbe hand zu
haben. /
Viertens, damit die übergebene güther nit in abgang
kommen, sondern, / wo nicht verbesßert, in iezmahligen
bäulichen ehren und guten / stand erhalten werden, sol-
'en die bestands männer schuldig seyn, / daz ganze iahr
ıindurch wenigstens zwey und zwainzig stukh rind- / vie-
ı1e und vier pferd zu erhalten. Zudem sollen sie keines /
weegs befugt seyn, den s[alvo] hl[onore] bau zu verkauf-
en oder auf andere / alß ihnen überlasßene güther zu
führen. /
Fünfftens, damit aber auß abgang des futhers, heü und
strho [sic] sovil / stukh rindviehe und pferd nicht etwan
könten erhalten werden, / sollen sie sovil wieß wachs
‚asßen, alß zu deren erhaltung erklekh- / lich und nöthig
seyn wird. Und auf daz das viehe auch nicht in abgang /
gerathe, sollen sie, mehrmalen angefiegte b(e)stands
männer, vier / oder fünff stukh iarlich aufzuerziechen ge-
halten seyn. Jm übrigen / soll ihnen frey stehen, was und
wievil ihnen ersprießlich zu seyn / scheinet, aufzubrechen
and mit beliebter frucht anzupflanzen, / jedoch mit dißen
vorbehalt, daz nicht zuvil zu schmälerung des / futhers
aufgebrochen werde. /
Sechstens sollen sie gleichermasßen nicht befugt seyn,
ein stukh guth / ohne die bißhero üblich verlasßene (alß
daz gütle beym Zechenstad(e)l / und Abanx wisen) ande-
°en zu überlasßen, sondern solche fleißig / und fridfertig
mit einander arbeithen. Wan aber die beständer / einen
der mehreren die biß dato von der Benderischen statt-
halterey / zusamen genuzte güther zu übergeben für guth
ansechen würden, / soll solches ihnen zwar erlaubt seyn,
‚edoch die güther nicht zer- / glideret, zerstukht und zer-
heilt, sondern beysamen gelasßen / und zu machung des
s[alvo] :hlonore] baus genugsames zechend stroh her- /
gegeben werden. /
Sibentens sollen sie schuldig seyn, daz gewöhnliche
iahrliche schirm stroh / herzugeben und abzuführen. /
Achtens sollen erdeütte bestands leüth alle zäunungen
der ihnen / überlasßenen güther übernehmen, die zäun
verbesßeren und in fall / ein oder anderer derselben zer-
fallen oder eingerisßen solte werden, / solchen von neyen
Ohne mindesten beyirag des gottshauß St. Luzi / aufrich-
ven, wie auch die mauren in und umb die verlichene
züther / nach erheischender nothdurffi ergänzen oder,
wan solche gar einfallen / solten, von neyen auf dero aig-
ne kösten aufrichten lasßen. /
NVeuntens solle ihnen obligen, die zu Gamprin, Eschen
und Bendern / St. Luzi zugehörige grund zins, wie auch
Jie lechen frucht von Johann / Büch(e)l, Ferdi sohn, Ste-
phan Kind, Lorenz Wagner und Antoni Walser / zu Schan,
ainzuziehen und anstatt des eingezogenen kerns Ssovil /
viert(e)l oder maaß, alß selbes ertraget, auß widumbs
“esen gerölten / kern nach belieben eines ieweiligen herrn
statthalters her zu geben. /
Zechentens sollen sie verbunden seyn, all und iedes
<orn, So dem / gebrauch und nothdurfft der Benderischen
statthalterey dienlich, / in und auß der mühle ohne entgelt
zu führen. /
Eilfftens, weilen der zehend zu Abanx, Schellenberg,
wie auch / der Benderische weinberg auf etliche iahr
verlasßen seynd, / soll ihnen freystehen, entweders den
zetroffenen accord beyzu- / halten, oder mit denen be-
ständeren mit guter manier abzukomen. /
Zwölfftens soll ihnen erlaubt seyn, ein oder anderer
particular / persohn an ein oder dem anderen orth die
zechend zu verlasßen, / keines weegs aber einer ganzen
gemeind. /
Jreyzechentens sollen sie gehalten seyn, daz alte
21auß, so zu ihrer / wohnung meistens überlasßen wird,
wie auch den Zechend stad(e)l, / die ganze bestallung zu
Zendern, hütten und scherm auf der alp / an tach und
‘ach in baulichen ehren zu erhalten, und was / nothwen-
dig seyn wird, verbesßern, auch in zerfallens begeben- /
heit auf aigene kösten aufbauen zu lasßen. /
Vierzechentens, was an pach- und waschhauß zu ver-
Jesßeren, / soll daz gottshauß St. Luzi hierzu ziegel, kalch
atc. hergeben und / den maurer bezahlen, die bestands
nänner aber ziegel, kalch, / stein, sand, holz etc. herzu-
‘ühren und handzulangen schuldig seyn. / Was aber die
s[alvo] hl[onore] schweinställ betriffet, behaltet die Ben- /
lerische statthalterey die 2 hölzerne, ihnen, bestands
‚eüthen, / die andere überlasßend. Ybrigens soll ieder
ihaill verbesseren / lasßen, was er nuzet, jedoch sollen
zie, bestands männer, die er- / forderliche fuhren zu thuen
verpflichtet seyn. /
Fünffzechentens sollen die beständer der statthalterey
milch, but- / ter, käß, hüner, obs oder andere frücht in
gangbaren preiß zu- / komen lasßen. /
Sechzechentens solle selbigen obligen, zwey oder drey
iuder most / iahrlich (2 kreüzer daz viert(e)l unter der
steur) der statthalterey / auf dero begehren herzugeben. /
Sibenzechentens sollen sie für die der statthalterey
vorbehaltene / gärten genugsamen s([alvo] hl[onore] bau
zu dero anpflanzung ohne bezahlung / darzugeben und
solchen in die gärten zu führen oder zu tragen / die pflicht
auf sich haben. /
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
Achtzechentens, gleichfalls sollen sie, bestands män-
ner, ver- / bunden seyn, in den sogenannten Käsenham-
mer den s[alvo} hlonore] bau ohne / entgelt herzugeben,
und zwar daz erste mahl vor daz iahr / 1752 vier fuder,
daz andere jahr 1753 zwef, daz dritte jahr 1754 / vier, die
übrige iahr aber nur 2 fuder. /
Neünzechentens sollen sie der statthalterey 16 gelten
3ainge- / hoblet und eingetrettenes krauth iahrlich franco
einliefferen. /
Zweinzigistens, einem ieweiligen herrn pfarrer sollen
sie / nach erheischender nothdurfft ein pferd ohne entgelt
/ hergeben. /
Einundzwainzigistens, wann aber jhro hochwürden
und gnaden, herren / pralath zu St. Luzi, Benderische
jferd zu seinem gebrauch / anverlanget, soll hochselbiger
vor iedes pferd täglich nebst / nöthigen {futter unterhal-
tung des knechts 20 kreüzer reichs- / währung bezahlen. /
Zweyundzwainzigistens sollen sie gehalten seyn, den
nalben thaill / der ergehenden umkösten [sie] an brun-
nen, teichel, zwingen etc. auf sich / zu nehmen, doch sol-
len die teichel keines weegs auß unseren / St. Luzi oder
3enderischer statthalterey zugehörigen waldungen / ge-
nohmen werden.
23igstens wird ihnen, bestandts leüthen, die schuldig-
keit aufgeleget, / für die statthalterey alles auf dem herd,
öfen, wie auch zum bachen / und waschen nöthige holz
auß denen St. Luzi- oder Benderischer statt- / halterey
zugehörigen waldungen oder anderen ihnen, bestands /
'eüthen, überlasßenen güthern nach anweißung eines
‚.eweiligen / herrn statthalters herzuschaffen, solches zu
ıauen, nacher Bendern / zu führen, zu scheitten, in daz
ı1olzhauß zu tragen und beügen / zu lasßen ohne minde-
ste speesen der statthalterey. Zudeme / sollen sie daz holz
Tuhezeitig fällen und Scheitten ohne geringste / schmä-
lerung oder abtrag des zu St. Luzi oder Benderischen
statt- / halterey gehörigen holzes, sondern für sich und
‚hhrem, deren / bestands männern gebrauch oder nuzen
sollen sie entweder / auß ihren aignen waldungen oder
Ihnen daz holz anderstwoher / gezimend verschaffen.
Wan aber die statthalterey zu ver- / schonung aigenthum-
icher waldung irgendts woher solte / holz kauffen, sollen
sie, bestands männer, gleicher masßen schuldig / seyn,
solches zu fällen, herbey zuführen, zu spalten, zu schei:
hen / und auf zu beügen. /
24gstens, Zu auferbauung der wohnung für sie im al-
en hauß sollen / sie sand, kalch, stein, holzfuhren franco
zu thuen schuldig seyn. /
25gstens, bey antrettung der gütter soll alles viehe,
tutter, / gschiff und gschirr etc. inventiert werden und sie
“olgsam zu / ende der accordierten iahren all und iedes
ıhnen übergebenes / sowohl an der zahl alß güte und
werth, wie sie solches überkomen, / an widerumb zurük-
stellen. /
26gstens, für die Kapfferische und andere St. Luzia-
ılsche trauben / wird torggel, gschirr und fäsßer dem
zottshauß St. Luzi vor- / behalten, sie, anbey bestands:
eüth, verpflichtet seyn, die / Kapff trauben nach alt ge-
vöhnlichen gebrauch in den torggel / nacher Bendern zu
ühren. /
27gstens, von seithen St. Luzi aber soll der torggelmost
sowohl / von dem Kapff alß anderen St. Luzi zugehörigen
echen und weinbergen, / wie bißhero üblich, denen be-
stands männern gegeben worden, wor- / gegen sie ver-
Jyunden sollen seyn, den torkhel zu erhalten und / im
ıothfall zu verbesßeren. /
28gstens, weil man von seithen St. Luzi zu iederzeith
lenen bahnwarthen / die garben zu geben darwider pro-
jestiert, verbleibe es / kräfftig bey der protestation. /
29gstens sollen sie ebenfalls die pflicht auf sich haben,
den ienigen, / so den flax zechend überlifferet, daz (durch
:in misßbrauch eingefürte) / stukh brodt zu geben oder
abzustellen, wenigstens beladet sich desßen / daz closter
5»t. Luzi und die Benderische statthalterey im geringsten
nichts. /
30gstens, die steyern und anlagen belangend, wird ih-
ıen, bestands / leuthen, obligen, solche auf die in der
steür per 400 gulden ligende güther / abzuführen.
31tens, wie nicht weniger den g(e)schworen trunkh
ıußzuhalten. /
32tens, die büttenen, gschirr und fäsßer, so die statt-
lalterey zu Bendern / ihnen überlasßet, sollen sie gleicher
nasßen auf ihre aigne speesen binden / und in baulichen
3hren zu erhalten, wie auch, so selbe verwohren, / ande-
°e guete an deren stell herzuschaffen schuldig seyn. /
33tens, wan etwan durch hochgewitter (davor die un-
andlliche gütte / gottes seye) ein allgemeiner sowohl an
xorn alß wein gewächs, / überlasßene aigene und ze-
chendbare güther betreffend, insgesamt / grösten theil
verheerend sich ereignete, in solchen fall (und in keinem /
ınderen) solle daz gottshauß St. Luzi verbunden sejn,
len hierauß / erfolgenden halben schaden mit denen
(e)standts leuthen zu ertragen. /
34iens, ein gleiches solle sich auch verstehen bey
großer allgemeiner viehe / sucht, es seye unter dem horn
ziehe oder pferd. /
Schliesßlichen und zu mehrerer all obiger puncten
Jekräfftigung / haben beyde mehrmalen berührte par-
‚heyen, alß jhro hochwürden und / gnaden, herren Nor-
7ert, abbt des löblichen gottshauß St. Luzi, und der hoch /
»hrwürdige pater Udalricus Starzer, prior, in nahmen
>rmeldeten / gottshauß eines- und der ehrengeachte herr
eichter Peter Kind, / Michael Kaißer, Dominic Butscher,
Michael Ohri und Andreas Heb / anderten theils, sich
ıicht nur allein aigenhändig unterschriben und / ihre
aigentliche signater beygetrukhet, sondern auch ein hoch-
"ürstlich / Liechtensteinisches oberambt freündlichst er-
suchet und respective / gehorsamb unterthänig erbetten,
selbes belieben möchte hier ange- / führten, in zwejy
zleichlauttenden instrumenten (deren iedem con- / trahie-
renden theil eines dargereichet werden solle) verfaßten
sontract / und alle demselben inserierte puncte gefälligst
zu ratificieren und / auf Hochenliechtensteinischer canz
leY zu Vaduz zu verfertigen. /
Beschechen, Bendern den 12. merz im jahr Christi un-
sers gottlichen / welt heylands 1751. /
[Rückvermerk:] Der herr prälat von St. Luci giebt dem
oichter Peter / Kind von Gamperin et consorten die Ben-
derischen / statthalterey güter etc. in bestand. De dato
L12ten / märz 1751.
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
3ENDERN / GEORG MALIN
ABKÜRZUNGEN
Fasz.
Faszikel
GAG
Gemeindearchiv Gamprin
JBL
Jahrbuch des Historischen
Vereins für das Fürsten-
‚um Liechtenstein
[Vaterland
Liechtensteiner Vaterland
[Volksblatt
Liechtensteiner Volkshlatt
LLA
„lechtensteinisches Lan-
desarchiv, Vaduz
PfABe
Pfarreiarchiv Bendern
UNGEDRUCKTE QUELLEN LITERATUR-
VERZEICHNIS
Brun, Eduard:
ie Anfägen der Spreng-
;echnik im Bergbau der
Schweiz, manus. S. 5,
ındatiert, um 1990,
Besson, Marius: Antiquites
du Valais. Fribourg, 1910.
Böhmer, Kurt: Die Fränki-
schen Altertümer des
Trieres Landes. In: Ger-
manische Denkmäler der
Völkerwanderungszeit.
Hrsg. von der Römisch-
Germanischen Kommis-
sion, dem Rheinischen
Landesmuseum Bonn und
lem Rheinischen Landes-
museum Trier. Serie B.
Bd. 1. Berlin, 1958
Büchel, Johann Baptist:
Die Urkunden des Pfarr-
archivs zu Bendern. In:
JBL 12 (1912), S. 81-139.
Büchel, Johann Baptist:
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ABBILDUNGSNACHWEIS
Abb. 1. 11: Liechtenstei-
nisches Landesmuseum
Abb. 2, 5, 10, 12, 18, 20,
21: Walter Wachter,
Schaan
Abb. 3: helvetia archaeo-
logica 9/1978 — 34/36,
5. 225
ANSCHRIFT DES AUTORS
Dr. Georg Malin
Bachtalwingert 333
FL-9493 Mauren
Abb. 4, 7, 9, 13-16, 19,
23-26, 30-34, 36-41,
35-58: Archäologie FL,
Triesen
Abb. 6: Peter Albertin,
Winterthur, und Hansjörg
Frommelt, Archäologie FL,
Triesen
Abb. 8, 17, 22, 27-29,
42-52: Peter Albertin,
Winterthur
Abb. 35: LLA C 1875/294
Reproduktion Heinz
Preute, Vaduz
Abb. 53, 54: Hansjörg
crommelt, Archäologie FL,
Friesen
ZUR BAU-
GESCHICHTE
DES HOTELS LÖWEN -—
EINER JAHR-
HUNDERTEALTEN
TAVERNE
PETER ALBERTIN
Inhalt
EINLEITUNG
„05
ZUR LAGE UND BEDEUTUNG DES LÖWEN 207
EIGENTÜMER UND BEWOHNER 210
ZIN SPÄTMITTELALTERLICHER KERNBAU
JES 14. JAHRHUNDERTS
DIE ERWEITERUNG VON 1488 D
MODERNISIERUNGEN IM 16. JAHR-
HUNDERT
BAROCKE UM- UND ERWEITERUNGS-
BAUTEN VON 1666 D
DIE AUSMALUNGEN VON 1744
UMBAU UND ERHÖHUNG VON 1786
BAUTEN UND ERNEUERUNGEN IM AUS-
GEHENDEN 19. UND 20. JAHRHUNDERT
DIE ÖKONOMIEBAUTEN
EIN BAU- UND ARCHITEKTUR-
HISTORISCHER RUNDGANG
214
225
229
232
235
237
241
242
v—
ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
Einleitung
Abb. 1: Der Gasthof Löwen
ın Vaduz in der spät-
jJarocken Gestaltung von
1786, von Norden ge-
sehen; etwas gedrungene
Nordostfassade mit Auf-
zuggiebel, Haupteingang
ınd rechts davon dem
bald 500-jährigen Rund-
bogen-Fensterchen; ganz
rechts die Stallscheune
von 1804
Erwin Poeschel schrieb 1950 in seinem Kunst-
denkmäler-Inventar unter Vaduz:! «Den Typus ei-
1es stattlichen Landgasthauses aus dem Ende des
18. Jahrhunderts repräsentiert das 1786 von Jo-
ıann Rheinberger erbaute Gasthaus zum Löwen
am nördlichen Ende des Fleckens».
Die innere und äussere Erscheinung des reprä-
sentativen Gasthauses an der Landstrasse von Lin-
dau-Bregenz über Chur und die Bündner Pässe
nach Chiavenna-Mailand lässt denn auch kaum
Zweifel aufkommen an seiner Erbauung um 1786.
Zudem wird das Baudatum mit der in der Dach-
kehle des Aufzuggiebels über der Nordostfassade
aufgemalten Jahrzahl «MDCCLXXXVI» (1786) be-
stätigt (Abb. 1 bis 3).
Dem Architekturkritiker fallen zwei Details an
der spätbarocken Gestaltung auf. Zum einen er-
scheint die strassenseitige Ansicht, also die Nord-
astfassade, gedrungen. Es fehlt ihr eine zweiarmi-
ge Freitreppe zum erhöhten Hauseingang, wie wir
es für Häuser dieser Zeit und Bedeutung erwarten
würden. Zum andern möchte man das rundbogige
Fensterchen rechts des Haupteinganges als Zugabe
n Heimatstilart abschätzen —- es blickt jedoch schon
seit beinahe einem halben Jahrtausend dem Vor-
beiziehenden und Eintretenden entgegen.
Auch hat der Geschichtskenner, Architekt und
Bildhauer Egon Rheinberger um die letzte Jahr-
ıundertwende interessante Beobachtungen n0o-
‚jert.“ Er schrieb über den Verlauf der «römischen»
strasse, die er unter anderem beim Hotel Löwen
ıtwa zwei Meter unter dem heutigen Hauptstras-
zenniveau und etwas mehr bergwärts postulierte:
«... dass im Löwen in Vaduz bei der Fundamentie-
rung im Torkel dortselbst, einen Meter unter dem
jetzigen gewachsenen Grunde, noch verkohlte
Holzreste gefunden wurden, weiss ich von einem
Augenzeugen. Es ist dies allerdings kein Anhalts-
punkt für die Annahme der Strassenhöhe, wohl
aber dürfen wir hier, nachdem doch die Grund-
1) Poeschel, Erwin: Die Kunstdenkmäler des Fürstentums Liechten-
stein. Basel, 1950: S. 175 ff.
2) Rheinberger, Egon: Manuskript aus dem Jahre 1904; RhAV,
Nr. 10.
a )
Abb. 2: Dachuntersicht
des Aufzuggiebels über
der Nordostfassade, mit
der aufgemalten Jahrzahl
1786
Abb. 3: Ostansicht des
„Öwen mit der verglasten
Veranda von 1952. Das
zebäude findet immer
wieder als kunsthistorisch
ı1erausragendes Monu-
nent und Zeichenmotiv
nternationale Beachtung
mauern vom Löwen viele Jahrhunderte zurück-
reichen, den jetzigen Kellerboden dieses Gebäudes
als einer noch älteren Ansiedlung zugehörig an-
nehmen. Und daraus erklärt sich dann auch die
grosse und plötzliche Tiefe der Weinberge beim
Löwen. Hier haben wir einen uralten Kulturboden,
während die jetzige Strasse und das Gelände ob
derselben nach und nach angeschüttet wurden ...».
- Also durchaus Hinweise auf eine noch unbekann-
;e Siedlungsgeschichte.
Mit der umfassenden Renovation des traditions-
reichen Gasthauses in den Jahren 1987 bis 1989
ınd den damit begründeten Ausbrucharbeiten ist
ıun erheblich ältere Bausubstanz zu Tage getreten,
deshalb hat uns die Denkmalschutz-Kommission
der Fürstlichen Regierung mit baugeschichtlichen
.Nnterpretationen und Dokumentationen beauftragt.?
Wir danken der Fürstlichen Regierung, den Kom-
missionsmitgliedern, der Stiftung Adele Rheinber-
ger als Bauherrschaft und dem Architekten Florin
Frick, Schaan, für ihr Vertrauen und Verständnis.
Die vorliegende Arbeit ist ergänzt mit wertvollen
Hinweisen von Dr. Rudolf Rheinberger, Vaduz, aus
dem Familienarchiv Rheinberger und mit Beobach-
jungen des Archäologen Hansjörg Frommelt im
Umbauobjekt; auch ihnen gilt ein besonderer Dank.
Da die neueste Renovation die Entputzung der
assaden ausschloss, entziehen sich die Aussenan-
sichten - und damit wichtige Zeugen zur Bauge-
schichte - unserer Kenntnis. Eine spätere Genera-
jion mag die Möglichkeit nutzen, unsere Arbeit zu
Derichtigen und zu ergänzen. Einige Bauetappen
sind mittels dendrochronologischer Untersuchun-
zen absolut datiert, ausgeführt durch das Labora-
;olre Romand de Dendrochronologie in Moudon.?
{
nen nachgepuren und alpgnossen von vadutz der
alpp albon» bereits 1483 im Streit mit einem Wal-
ser am Triesenberg, der ihnen den Viehtrieb über
seinen Boden zu ihrem Stafel im Malbun versperr-
te. Sigmund Freiherr von Brandis erzielte einen
Vergleich in einer Rechtsache, die mit dem 1355
begründeten Erblehen zusammenhing.'1'4 Das Bran-
disische Urbar, entstanden zwischen 1505 und
1510, führt unter den Alpen wörtlich an: Die
«Vaduzer Alp, heisst Malbun». 4 5 Die grossen Kuh-
alpen des Kirchspiels, Guschg, Gritsch und Malbun,
waren also nicht, wie verschiedentlich angenom-
men, erst im 17., sondern mindestens zwei Jahr-
hunderte früher zwischen Schaan und Vaduz ge-
teilt worden. Das Teilungsverhältnis erlaubt einen
Rückschluss auf das bevölkerungsmässige Grös-
senverhältnis der beiden Dörfer zueinander.
Je nach Interessenlage konnten sich auch unter-
schiedliche Allianzen zwischen den Dörfern, ja
zwischen den einzelnen Dorfteilen oder Alpgenos-
senschaften, ergeben. Dies zeigt ein Konflikt aus
dem Jahre 1627. 4 6 Es ging um die im Erblehenver-
trag von 1355 vorgesehene gemeinsame Nutzung
des sogenannten Gamswaldes durch die Walser
einerseits und die Schaaner und Vaduzer anderer-
seits. Konfliktparteien waren nun aber nicht das
Kirchspiel Schaan-Vaduz und die Triesenberger.
Vielmehr stellen sich die Triesenberger und Vadu-
zer gemeinsam gegen die Guschger Alpgenossen,
während die Gritscher sich ausdrücklich aus dem
Streit heraushielten. Letztere waren im strittigen
Bereich nicht Anstösser, hatten keine eigenen In-
teressen zu vertreten und mieden daher allfällige
Prozesskosten.
Eine «wunderschöne Pergamenturkunde» war
noch vor wenigen Jahrzehnten die Zierde des Ar-
chivs der Alpgenossenschaft Vaduz. Sie ist leider
abhanden gekommen, ihr Inhalt nur noch in einer
Abschrift 4 7 überliefert: Auf den St. Peter und Pauls-
tag, 29. Juni 1643, bot der amtierende Landam-
mann Thomas Hilti aus Vaduz alle Einwohner von
Schaan und Vaduz «zu einer öffentlichen Gemeinde
zwischen den beiden Dörfern bei dem Mühlbach» 4 8
auf. Um «Missverstand» zu beseitigen, der sich
zwischen den Gemeindsleuten von Schaan und
Vaduz ergeben hatte «wegen Irer gemeinde Oxen
Alp Falorss deren Weidniessung halben», vermit-
telte der Landammann eine Alpteilung. Den Vadu-
zern wurde «hinden gegen Guschg auf dem wissli»
ein eigener Teil, die heutige Alpe Hintervalorsch, in
gesetzten Marken zugewiesen. Ein beachtenswer-
ter Vorgang ist hier bezeugt, eine Versammlung der
Gemeindsleute von Schaan und Vaduz, die sich ein-
hellig für eine Alpteilung aussprechen. Es siegelte
für die Schaaner alt Landammann Adam Walser,
für die Vaduzer Landammann Thomas Hilti.
In etwa seit dieser Zeit halten die «Gnoss-
bücher» der Alpgenossenschaft Vaduz in ununter-
brochener Folge die Einkäufe in die Genossen-
schaft fest.4 9 Es handelte sich dabei ausnahmslos
um in Vaduz sesshafte Leute.
Spätestens seit dem 17. Jahrhundert standen die
Alpen im Nutzungseigentum von eigenen, von der
Dorfgenossenschaft losgelösten Alpgenossenschaf-
ten. Dies belegen die erwähnten Vaduzer «Gnoss-
bücher» und die ältesten Gemeindsbriefe. 5 0 Dort
wird eigens daraufhingewiesen, dass der Gemein-
deeinkauf ohne den Alpeinkauf erfolgt. Dieser ist
separat zu entrichten. In den Gemeindsbriefen
oder Gemeindeordnungen finden sich keinerlei
Hinweise auf den Alpnutzen. Gemeindsrecht be-
deutete in Schaan und Vaduz nicht auch Alprecht.
Bei der Einführung des Grundbuchs im Jahre 1809
wurde denn auch nicht die Gemeinde als Eigen-
tümerin der Alpen eingetragen, sondern die da-
mals alpberechtigten Gemeindebürger. 5 1
16
ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
Zur Lage und Bedeutung
des Löwen
Zwei besondere wirtschaftstopografische Gegeben-
heiten begründen den Standort des Löwen, einer-
seits sein direkter Bezug zur Landstrasse und
andererseits seine Lage inmitten der bevorzugten
Vaduzer Weinberge. Die Landstrasse, ein jahrhun-
dertealter Saum- und Karrenweg, wurde von 1770
bis 1786 zur Fahrstrasse ausgebaut und damit zur
wichtigsten Verbindung von Lindau-Süddeutsch-
:and durchs Rheintal hoch und über die Bündner
Pässe nach Mailand-Oberitalien, mit der vielsagen-
den Bezeichnung «Deutsche Strasse» und auch
«Reichsstrasse».* Sie führt von Norden kommend
nach der Querung der Möliholz-Rüfe horizontal
lem Hang entlang durch die Rebberge, fällt nach
Passieren des Löwen an den Hangfuss ab und führt
vorbei am geschichtlich sehr interessanten herr-
schaftlichen Vaduzer Siedlungskern St. Florin mit
der Kirche und der historischen Taverne zum Adler
südwärts Triesen zu. Ein zweiter (bronzezeitlicher-
römischer?) historischer Verkehrsweg führt von
Norden kommend nach der Querung der Möliholz
Rüfe die Weinberge aufwärts, durch den Sied-
lungskern Oberdorf mit dem «Roten Haus», über
den Schlossfelsen und vorbei am Schloss Vaduz,
einem bronzezeitlichen Siedlungsplatz, hinunter
zum Meierhof und dem Hang entlang nach Triesen.
Diese verkehrstopografisch ungünstig gelegene
«Obere» Strasse hat ihre einstige Bedeutung ver-
loren (Plan 1).
3) Zur Zeit der Auftragserteilung im April 1987 standen die Bau:
strukturen in den Wohngeschossen bereits weitgehend «nackt»,
denn beinahe alle Bodenbeläge waren entfernt, grössere Wand-
lächen entputzt, alle Gipsdecken ausgeräumt und alle Türen
antfernt. Betroffen von der eingreifenden Modernisierung waren
Jie Wohngeschosse und der Ökonomietrakt, belassen blieb das
<ellergeschoss des Gasthauses. Unser Auftrag beschränkte sich auf
lie Interpretation und Dokumentation freiliegender Befunde und
schloss aufwendige eigene Freilegungen aus - weshalb insbesondere
m Keller des Kernbaues Fragen ungeklärt bleiben.
4) Die Probenentnahmen sind bereits vor dem Beizug unsererseits
erfolgt, veranlasst durch den Architekten Florin Frick. Protokolle
„RD 9/R 1865 vom 7. April 1987, 1865A vom 28. Juli 1987, 1865B
‚om 9. Februar 1989; sowie LRD 4/R 1370 vom 6. Dezember 1984
jezüglich Torkel, veranlasst durch Hansjörg Frommelt im Zuge einer
Datierung diverser Weinpressen.
3) Biedermann, Klaus: Das Rod- und Fuhrwesen im Fürstentum
.jechtenstein. Eine verkehrsgeschichtliche Studie mit besonderer
3erücksichtigung des späten 18. Jahrhunderts. In: Jahrbuch des
Jistorischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (JBL), Band
97 (1999). S. 7-183.
ab
gr Pa
De
A) Meierhof
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” 41 as$S
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nach Trieser
gm
———
4
SG Sa (©)
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se
„unter? EC A"
100”
Plan 1: Historische Situa-
tionsskizze, zirka 1:25 000
A Gasthof «Löwen»
B Herrschaftlicher
Gasthof und Zollhaus
«Adler», heute Landes-
NUuseEuUumM
Schloss Vaduz
derrschaftlicher Hof
nit Wohnturm und
<irche St. Florin
zotes Haus mit Sied:
lung Oberdorf
Siedlung Mitteldarf
Siedlung Städtli
Fr
A
On
schaal
1 km
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G
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-
17
Abb. 4: Südansicht des
Gasthauses mit der 1952
erstellten und 1988 er-
satzlos abgebrochenen
Veranda
Tim den A
If In A
A
‘9m *
In
a L
5.
\bb. 5: Ostansicht des
_Ööwen nach der Reno-
vation 1987/89. Die
Veranda von 1952 wurde
zu Gunsten einer besseren
Erscheinung der spät-
barocken Architektur
ersatzlos abgebrochen
Im 14. Jahrhundert fand eine unsere Siedlungs-
und Kulturlandschaft grundlegend prägende Zeit
der Expansion im ausgehenden 12. und 13. Jahr-
hundert ein vorübergehendes Ende. Besonders
mildes Klima, eine starke Bevölkerungszunahme,
Rodungen und Landesausbauten erreichten ihren
Höchststand, Burgenbauten und Städtegründungen
boomten. Der hohe Adel verlor viel von seiner
wirtschaftlichen und politischen Vorrangstellung zu
Gunsten des aufstrebenden niederen Dienst- und
Ritteradels und einer neuen Oberschicht städti-
scher Bürgerschaften. Die letzten Völkerwande-
rungen kamen um 1300 mit dem Zuzug der Walser
über die Bündner Pässe ins Rheintal und Vorarl-
berg zum Stillstand. 1342 gelangten die Besitzun-
gen der Grafen von Montfort-Werdenberg zur Erb-
teilung in die linksrheinische Grafschaft Werden-
berg-Sargans und die rechtsrheinische Grafschaft
Werdenberg-Vaduz.
Die ausgedehnten Weingärten auf dem besonn-
ten, tiefgründigen Südwestabhang des Schotter-
kegels der Möliholz-Rüfe mögen die Besiedlung von
Vaduz wohl begründet haben, denn Wein gehörte
zu den wichtigsten und begehrtesten landwirt-
schaftlichen Handelsgütern, Weinberge kamen
einer gut zinsenden Kapitalanlage gleich.°® Die Ort-
schaft Vaduz wuchs aus diversen Siedlungskernen
hervor. Im Oberdorf steht das spätmittelalterliche
Verwalterhaus «Rotes Haus», umgeben von einst
wohl zugehörigen Winzerbauten.” Im Mitteldorf
entstanden diverse spätmittelalterliche Winzerhäu-
ser. Entlang der Hauptstrasse wuchs das Städtli
mit der einstigen, mittlerweile durch einen Neu-
bau ersetzten Taverne zum Engel.® Südwärts fol-
gen die herrschaftliche Taverne und Zolleinnahme-
stelle zum Adler, vorerst zum Hirschen genannt
und seit 1972 Liechtensteinisches Landesmuseum,
sowie der herrschaftliche Gutshof mit Wohnturm
«Tschaggaturm» (1872 abgebrochen)” und der Kir-
che St. Florin.
Im Gasthof Löwen darf wohl eine spätmittel-
alterliche Taverne vermutet werden, also ein Vor-
läufer unseres Hotels, ein Ort der Speise, der Stär-
kung und der Übernachtung für zahlreiche Pilger,
Händler und Boten auf dem Wege von Süddeutsch-
ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN -— EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
Abb. 6: Historische Süd-
ostansicht des Gasthauses
mit dem 1881 erstellten
Laubenanbau
2u,
"On
N CP
land über die Bündner Pässe nach Oberitalien und
zurück — selbst Wolfgang von Goethe soll bei sei-
aer Rückreise aus Italien hier abgestiegen sein, da-
ner die Bezeichnung «Goethe-Stube» für die hin-
‚ere Gaststube. Allerdings fehlt uns ein Nachweis
‚Ur den spätmittelalterlichen Tavernenbetrieb. Im
Brandisischen Urbar von 1507 sind für Vaduz zwei
Tavernen verzeichnet, aber noch nicht namentlich
genannt.'®* Dabei handelte es sich bei der einen
zweifelsfrei um die herrschaftliche Taverne und
Zolleinnehmerei zum Adler,'' seit 1972 Liechten-
steinisches Landesmuseum.'* Bei der anderen mag
es sich mutmasslich um den Löwen gehandelt ha-
ven; wobei auch der Engel seit dem 18. Jahrhun-
dert aktenkundig ist und bei beiden der Beginn des
Tavernenbetriebes noch unbekannt bleibt.
Der im 14. Jahrhundert über zwei Geschosse
noch in hell verputztem Mauerwerk erbaute
Löwen hob sich gegenüber den umliegenden Bau-
5) Zur Bedeutung des Weinbaus in Vaduz siehe Ospelt, Alois: Die
;eschichte des Weinbaus in Vaduz. In: Vaduzer Wein. 100 Jahre
Winzergenossenschaft. Vaduz, 1996. Zu Vaduzer Winzerhäusern
ınd Torkelbauten siehe Frommelt, Hansjörg: Winzerhäuser und
rorkelbauten in Vaduz. In: Vaduzer Wein. 100 Jahre Winzergenos-
‚enschaft. Vaduz, 1996.
/) Zum «Roten Haus» siehe Rheinberger, Rudolf: Das Rote Haus und
ler Weinbau in Vaduz. In: Vaduzer Wein. 100 Jahre Winzergenos-
;enschaft. Vaduz, 1996.
8) Zu den Wohnhäusern im Städtli liegen noch keine baugeschicht-
ichen Untersuchungen vor
3) Pattyn, Michael: Das Schädlerhaus in Vaduz —- ein Stück liechten-
steinische Zeitgeschichte. In: Terra plana. Vierteljahreszeitschrift für
<ultur, Geschichte, Tourismus und Wirtschaft. IIrsg. Terra Dlana.
Aels. Mels, 1994, Nr. 2.
10) Büchel, Johann Baptist: Zwei Urbarien der alten Grafschaft
/aduz. In: JBL, Band 6 (1906), S. 57.
11) Malin, Georg: Liechtensteinisches Urkundenbuch. 1. Teil. In:
'BL, Band 67 (1967), S. 346 und 353.
2) Zum Gebäude: Unser baugeschichtliches Gutachen beim Landes-
yauamt und im LLA: frühestes Baudatum 1438 d zur Stubendecke
„++
Eigentümer und Bewohner
ernhäusern klar ab als repräsentativer Bau einer
wirtschaftlichen Oberschicht. Denn zu jener Zeit
mochten wohl nebst dem Löwen erst das Rote
Haus, der Adler, der Burgturm des Schlosses
Vaduz, der Tschaggaturm und die Kirche St. Florin
weitgehend in Mauerwerk erstellt gewesen sein.
Über die wohl in Holz errichteten zugehörigen
Bauern- und Winzerhäuser fehlen uns für das
14. Jahrhundert Kenntnisse. Auf Grund bauge-
schichtlicher Untersuchungen sind uns jedoch ei-
aige aus dem 15. Jahrhundert stammende Winzer-
yauten bekannt.!*
Seine langjährige Geschichte und besondere Be-
deutung haben den Löwen zum hierzulande archi-
tektonisch und bauhistorisch vielfältigen Repräsen-
tanten wachsen und reifen lassen:
als spätmittelalterlicher, palasähnlicher Stein-
bau inmitten einer ausgeprägten Agrarland-
schaft,
mit reicher, ornamentaler Ausmalung von 1744;
ähnliche Wand- und Deckenmalereien finden wir
im ehemaligen Konventgebäude und heutigen
Pfarrhaus zu Bendern,
in besonders repräsentativer spätbarocker Ar-
chitektur, erbaut durch den erst 23-jährigen
Johann Rheinberger —- hierzulande fehlen Bau-
ien barocker Art weitgehend, mangels in jener
Zeit ansässigen kapitalkräftigen Gewerbes und
Adandels,
1786 als eines der ersten Liechtensteiner Häu-
ser mit Sprossenfenstern versehen, an Stelle der
weniger lichtdurchlässigen Butzenscheiben,
1804 durch einen mächtigen Ökonomietrakt
ergänzt — als Ausdruck der wirtschaftlichen Be-
deutung des Löwen in einer Zeit grosser Armut
ınd noch nachwirkender, durch die Napoleo-
nischen Kriege verursachter Not.
Die frühen Eigentümer und Bauherren des Löwen
sind uns nicht bekannt. Es scheint sich jedoch um
eine private, zweifellos im Zusammenhang mit
dem hiesigen Weinbau stehende Besitzung zu han-
deln. Der gleich anliegende, noch heute zugehörige
zebberg ist unter dem Flurnamen «Stöckler» und
auch «Leuawörts Wingert» bekannt'!* — und verrät
damit wohl einstige Besitzer, nämlich Angehörige
der im ausgehenden Mittelalter begüterten Feld-
K«ircher Bürgerfamilie Stöckli.'®
1380 erkaufte sich ein Heinrich Stöckli, Bürger
von Feldkirch, den gesamten Zehnten des Hoch-
stiftis Chur in Triesen zu Erblehen.'!° Wobei die eine
Hälfte bis dato dem Wilhelm von Reichstein zu
VTriesen gehörte, die andere Hälfte dem Edelknecht
Johann Heer, Sohn des Ritters Rudolf Heer, des
zräflichen Vogtes zu Bludenz und danach Ammann
zu Vaduz. Bereits 27 Jahre später gelangte das
„ehen jedoch wieder in andere Hände. Besonders
ıNnteressant scheint mir hierbei das Auftreten der
Stöckli in der Grafschaft Vaduz um 1380, also etwa
zur Zeit des frühest bekannten Baudatums zum
„Ööwen. Laut dem Brandisischen Urbar von 1507
wohnten zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Vaduz
stöckli.'” Von 1381 bis 1394 amtete ein Johannes
sStöckli als erster frei gewählter Feldkircher Bürger-
meister, danach als Hubmeister. Er entstammte
einer ritterlichen Familie, baute sich 1381 in Feld-
<irch ein besonders beachtenswertes, weil «mo-
dernes» Haus und fiel 1405 in der Schlacht am
Stoss. Seine sehr vermögende Gemahlin Marga-
retha Mörlin hätte aus Triesen gestammt.'®
wird in Anton Walser, * 1674,
erstmals ein «Löwenwirt» namentlich
aktenkundig.'”
Seit den 1760/70er Jahren lag die Hofstätte im
Besitze der Familie Rheinberger,“® wobei nicht be-
kannt ist, wann, wie und von wem Joseph Ferdi-
nand Rheinberger die Liegenschaft übernommen
aatte. Eine Randnotiz im Stammbaum der Familie
Rheinberger nennt als möglichen Verkäufer einen
Baron von Stöckler aus Feldkirch.“! Einziger, nicht
uninteressanter Hinweis hierzu ist eine rote Pinsel-
ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
malerei auf der Nordostwand des Raumes 26 mit
den Buchstaben FR (Ferdinand Rheinberger?) und
den Jahrzahlen 7772 und 77753, sowie weiterer,
aicht mehr lesbarer Zeichen (Abb. 32). Überliefert
ist der Liegenschaftenverkauf des Joseph Ferdi-
nand Rheinberger 1786 an seinen Sohn Johann
Rheinberger.
1760/70 Joseph Ferdinand Leon Rheinberger
1734-1814)
Ortsrichter und 1765-1785 Löwenwirt
m 1. Susanna Wachter
D 2. (1786) Franziska Seger, verwit-
wete Engelwirtin, und zog in den
«Engel».
Ferdinands Vater Adam Rheinberger
war 1732-1738 Adlerwirt.
Johann Rheinberger (1763-1815),
Ferdinands Sohn
Richter und bisher als Pächter Wirt
und Zolleinnehmer im «Adler»
@ 1. Josepha Wolfinger
2. Crescenz Steger
© 3. Barbara Nell, von Feldkirch,
übernahm von seinem Vater den
«Löwen» und erweiterte den Gasthof
1786 zu dessen heutigem Volumen
und architektonischen Habitus;
verpachtete er den Gasthof an Johann
Jakob Lerch,
an Peter Matt und schliesslich an sei-
nen Schwager Franz Joseph Wolfinger
aus Balzers:
derweil nahm Johann Rheinberger wiederum die
herrschaftliche Taverne und Zolleinnehmerei zum
Adler in Pacht, ging auf grössere Geschäftsreisen
und wurde vermögend.
1807 kaufte er vom Kanton St. Gallen den in
Vaduz und Mauren gelegenen, säkularisierten
Besitz des Klosters St. Johann im Thurtal und wur-
de mit dem Roten Haus samt Torkel und Abtswin-
gert in Vaduz, sowie der Mühle, der Gipsmühle und
der Hammerschmiede im Möliholz der wohlha-
bendste Grundbesitzer in Vaduz.
1816
je hälftig Joseph und Alois Rhein-
berger, laut Verlassenschaftsurkunde
vom 4. März 1816;
Wirt: Anton Rheinberger (1801-1846)
(aus erster Ehe des Johann),
Advocatus und Löwenwirt
& 1832 Crescenz Schlegel von Triesen-
berg, die Witwe seines 24-jährig ver-
storbenen Bruders Alois.
Anton und Alois starben an Tuberkulose; Alois war
Gerber und führte für kurze Zeit den Löwen; Anton
hinterliess fünf Kinder: Heinrich, Theresia, Alois.
Anna, Johann Anton. Theresia (1834-1901) heira:
tete den Hauptmann und Landestechniker Peter
Rheinberger, ihr viertes Kind Egon (1870-1936)
erlangte als Architekt und Künstler hohes Anse-
hen.“ Anna heiratete Ferdinand Nigg, sie wurden
die Eltern des Künstlers Ferdinand Nigg. Johann
Anton blieb ledig; Heinrich starb in Amerika.
13) Frommelt, Hansjörg und Albertin, Peter: Mittelalterliches Bauen
und Wohnen. In: «1342» —- Zeugen des späten Mittelalters. Vaduz,
1992. Zudem Frommelt, Hansjörg: Baugeschichtliche Untersuchung
zu Hintergasse 14 und Albertin, Peter: Baugeschichtliche Unter-
suchungen zu Mitteldorf 16, 22/24, 25/27, 28/30, Hintergasse 35/37
!publiziert im JB1 91), Fürst-Franz-Josef-Strasse 99 und 98/100.
Alle im Landesbauamt und LLA.
14) LNB: Flurnamen der Gemeinde Vaduz. HVFL, 1990.
15) Burmeister, Karl Heinz: Geschichte der Stadt Feldkirch. Kultur
geschichte bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Jan Thorbecke
Verlag Sigmaringen, 1985. (Bodensee-Bibliothek Bd. 32).
16) Büchel, Johann Baptist: Geschichte der Pfarrei Triesen. In: JBL.
3d. 2 (1902), S. 35-37.
17} Wie Anm. 6, 5. 63.
18) Wie Anm. 15.
19) LLA, Rentamtsrechnungen.
20) FamARh.
21) Stammbaum im FamARh.,
22) Wilhelm, Anton: Egon Rheinberger, Leben und Werk: In: JBL.
Bd. 84 (1984).
STAMMLINIE DER «LÖWENRHEINBERGER
Mathäus Rheinberger, *1576
_® Katharina, Azger, *1578'.
beide in Sulz; Vo rarlberg; Stammeltern der
Liechtensteiner Rheinberger
4
&
Cl
Alois Rheinberger
nun die ganze Liegenschaft nach Kauf
auch jener Hälfte des Joseph per
9. Juni 1827;
Heinrich Rheinberger
'aut Abhandlung vom 15. Dezember
‚843 und vom 9. Jänner 1844, ererbt
zu 70000 Gulden;
Alois Rheinberger (1836-1901)
laut Abhandlung vom 18. März 1865
und vom 19. Jänner 1866
Bürgermeister und Löwenwirt
zo Laura Wolfinger
mit ihrem Sohn Alois starb der Fami-
ijenstamm Rheinberger zum Löwen
1952 aus.
Laura Wolfinger, Witwe des Alois
Rheinberger
laut Einantwortungsurkunde vom
27. November 1901 per 6. Februar
1902;
Anton Rheinberger
:aut Einantwortungsurkunde vom
1. Mai 1918;
Lukrezia Rheinberger (1868-1934)
Löwenwirtin, ledig;
Adele Steck (1904-1979)
Löwenwirtin, ledig, Tochter von
Lukrezias Schwester Irma Steck-
Rheinberger;
Stiftung Adele Rheinberger.
1844
“Ch
202
918
355
1977
ZUR FRÜHEN STAMMLINIE DER «LÖWEN»-
RHEINBERGER
Die Familie Rheinberger ist um 1630 aus dem vor-
arlbergischen Sulz zugewandert und hat hier rasch
und anhaltend eine wirtschaftlich und gesellschaft-
lich gehobene Bedeutung erlangt. Ihr Stammhaus
soll das «Laternserhaus» an der Fürst-Franz-Josef-
Strasse 99 in Vaduz gewesen sein.?}
zwei Söhne“
um 1630 nach Vaduz zugewandert
„|!
Mathys Rheinberger (1612.:=zirka 1670?)
© Maria Kindle, wurde um 1670°im Zuge
der ’Schrecklichen Hexenverfolgüngen -
durch Schwert und Feuer hingerichtet“.
| 1 ) E
Andreas Rheinberger (zirka. 1640 -Zirka 1690)
© Magdalena. Wille: ©. %
zwei Töchter und eir Sohn; 4
floh anlässlich der Festnahme seines Vaters
nach Österreich und erwirkte zusammen!
mit Pfarrer: Krissraus Triesen und vier. |
weiteren, geflohenen ‚Landsleuten durch.
3ine Eingabe an die Oberösterreichische;
Regierung in Innsbruck und. damit an. +
den Käiser in. Wien letztlich:ein Verbot der
Inquisitionen:” N
Christoph Rheinberger (zirka 1665=1717);
Richter ++ ;
® 1. Johanna Hasler
m 2. Agnes Jäger (1667-1746): neun Kinder:
| . ;
Stamm ; Johafin Adam Rheinberger‘ .
«s’ Felixa» ' CC
@®& Maria.Anna Walser: . v
sechs Kinder, a
war von 1730-38 Landammann der oberen
‚ Landschaft ünd 1732-38 Zöller-und Adler;
wit: führte ein Amtssiegel mit Wappen;, i
welcHes als heutiges Familienwappen der
Rheinberger beibehalten worden ist _
Joseph Ferdinand Leon Rheinberger
(1734-1814), 1765-1785 Löwenwirt,
erster nachgewiesener Löwenbesitzer
Jöhänn. Rheinberger
Löwenwirt.:
ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
Johann Rh einberger,
genannt «Hans»
Gleich zweimal wurden Töchter der Wolfinger
zugeheiratet; die wohlhabenden Wolfinger waren
bereits um 1480 Lehensleute der Gutenberger und
bewirtschafteten etwa einen Drittel der Schloss-
güter zu Balzers.
23) Mündliche Mitteilung von Rudolf Rheinberger. Zum «Laternser-
haus». Albertin, Peter: Baugeschichtliches Kurzgutachten, März
1989. im Landesbauamt und LLA.
24) Tschaikner, Manfred: «Der Teufel und die Hexen müssen aus
Jem Land ...» - Frühneuzeitliche Hexenverfolgungen in Liechten-
stein. In: JBL, Band 96 (1998), S. 28.
25) Seger, Otto: Hexenprozesse in Liechtenstein. Östereichischer
Kunst- und Kulturverlag St. Johann —- Wien, 1987 (Schriften
des Instituts für historische Kriminologie Bd. 2), S. 57. - Ebenso:
Tschaikner (wie Anm. 24), 5. 35
A
Christoph Rheinberger, zirka 1695-1759
studierte Theologie und diente 37 Jahre
lang’ als Hofkaplan in Schaan.
Joseph.Anton Rheinberger zog nach
Schaan und wurde Stammvater der
Schaaner Rheinberger
Ein spätmittelalterlicher
Kernbau des 14. Jahrhunderts
Der ganzflächig unterkellerte, zweigeschossige
Wohnbau steht parallel zur Hauptstrasse und misst
am muralen Erdgeschoss aussen beachtliche 10.6 x
13.3 Meter. Das Niveau seines Baugrundes liegt
strassenseits etwa 1.8 Meter unter dem heutigen
Strassenhorizont auf etwa 465.2 m ü.M. und süd-
westseits etwa 50 Zentimeter über dem heutigen
Gehboden auf etwa 465.0 m ü. M.; das heisst, das
Gebäude stand im 14. Jahrhundert auf horizon-
talem Baugrund und das Kellergeschoss überragte
das Strassenniveau sockelartig um etwa 1.8 Meter!
Das Gehniveau des Erdgeschosses liegt auf etwa
167.0 m ü. M., jenes im Obergeschoss auf etwa
469.9 m ü. M., die Mauerkrone auf etwa 472.6 m ü.
M., die Raumhöhen der beiden Wohngeschosse
massen je etwa 2.6 Meter. Die Strassenchaussie-
rung ist durch die Jahrhunderte infolge diverser
Rüfe-Niedergänge sukzessive um knapp 2.0 Meter
auf ihr heutiges Niveau angewachsen (Plan 17). Mit
starken Wingertmauern haben die Winzer die zer-
störerischen Geröll-Lawinen im Bereiche Oberdorf-
Mitteldorf-Löwen zum Schutze der Reben in die
Strasse kanalisiert. So liegt heute die Kulturerde
der Weinberge teils bis 2.0 Meter tiefer als das
vorbeiführende Strassenniveau.*®
Die Aussen- und Innenmauern in unterschied-
licher Dicke von etwa 65 bis 90 Zentimetern So-
wie die Deckengewölbe sind einheitlich aus kaum
(agig gesetzten Rüfesteinen und vereinzelten Tuff-
bollen in Kalkmörtel erstellt. Exponierte Bau-
teile, wie Mauerecken, Türgewände, sowie Tür-,
Nischen- und Fensterleibungen sind sorgfältig in
Tuffquadern gefügt —- auch sämtliche späteren mu-
ralen Erweiterungen am Wohnhaus sind in dieser
Mauertechnik ausgeführt. Die Fassaden trugen ei-
nen dünnen, steinsichtigen Putz, die Wände in den
Wohnräumen einen deckenden, weiss getünchten
Glattputz; die Kellerwände sind unverputzt, aber
satt ausgefugt.
Türen und Fenster sind besondere Indikatoren
baugeschichtlicher und architektonischer Entwick-
ungen, deren Aussagewert in den letzten Jahren
dank eingehender gebäudearchäologischer For-
schungen ständig verfeinert werden konnte.“ Im
<ernbau sind die Türöffnungen des 14. Jahrhun-
derts teils ganz, teils restweise erhalten, Türblätter
“ehlen. Es handelt sich durchwegs um sorgfältig in
Tuffstein gearbeitete Rundbogengewände mit einer
lichten Weite von etwa 0.9 bis 1.1 Metern Breite
ınd bis 2.3 Metern Höhe. Sie sind aussenseilts
mit 8 Zentimeter breiten und bis auf den Boden
reichenden Zierfasen romanischer Art versehen.
Ursprüngliche Fenster des Kernbaues können
mangels Entputzungen an den Fassaden nur in-
nenseits partiell erfasst werden. Die Fensterni-
schen mit in Tuffquadern gesetzten Leibungen und
backsteinernen Stichbogen messen im Erdgeschoss
etwa 2.4, im Obergeschoss etwa 2.15 Meter Schei-
‚elhöhe, sind bei einer inneren Breite von 1.25 bis
1.35 Metern gegen aussen leicht verjüngt und wie-
sen je zwei Sitzbänke von etwa 50 Zentimetern
Höhe und mindestens 30 Zentimetern Tiefe auf
Plan 5). Über die Grösse und Gestaltung der Fens-
jergewände fehlen uns Anhaltspunkte — solche
wären jedoch hinter den Fassadenputzen wohl
noch teilweise erhalten! Zweifelsfrei lokalisierbar
oleiben im Erdgeschoss drei Fenster zur Stube 14
und im Obergeschoss drei Fenster zu Raum 23 —-
weitere ursprüngliche Fenster haben wohl an Stel-
le der heutigen Öffnungen gelegen. Im 14. Jahrhun-
dert fehlte Fensterglas noch weitgehend, die Öff-
nungen waren mit Ölpapier, Schweinsblasen und
vor allem mit Holzläden verschlossen; so ermög-
lichten die Sitzbänke nahe den Fenstern, «sich ins
rechte Licht zu rücken». Erst gegen das Ende des
(5. Jahrhunderts kamen Butzenscheiben auf den
Markt, auch sie waren noch wenig lichtdurchlässig.
ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
DAS KELLERGESCHOSS
Konnte von der Hausrückseite durch ein ebenerdig
gelegenes, breites Tor mit Fässern, Standen und
Traubenmost beschickt werden (Abb. 7). Das Tor
less sich von innen mittels Schliessbalken verrie-
zeln. Der alltägliche Kellerabgang führte von Nord-
westen her vom Erdgeschoss über eine steile, tuff-
steinerne Treppe in den Vorkeller 01 (Abb. 9). Das
Geschoss birgt einen der Erschliessung dienenden
Vorkeller 01 und drei grosse Weinkeller 02 bis 04
(Plan 2). Alle Räume sind von Tonnengewölben
überspannt. Rundbogentüren und Treppenstufen
verbinden die verschieden tief liegenden Keller
Abb. 7 und 8).
Grundsätzlich erscheint das Kellergeschoss in
sich und auch mit den darüberliegenden Geschos-
sen einheitlich erbaut - und doch liegen Ansätze zu
unverstandenen Befunden vor (vgl. Plan 2):
a) eine Tuffquader-Ecke nördlich von Raum 02,
b) eine Tuffquader-Ecke südlich von Raum 03,
°) eine ungeklärte Situation zur Nordwestwand von
Raum 03 als möglicherweise ursprünglichem Trep-
jenabgang, mit eingemauertem hölzernem Schwell-
valken auf Höhe zirka 463.8 m ü. M., etwa 65 Zenti-
neter über dem heutigen Kellerboden (Abb. 8). Die
3efunde weisen auf ein etappenweises Vorgehen
jeim Bauen, wobei uns hierzu nichts über den
jJeanspruchten Zeitraum bekannt ist.
Das Kellergeschoss des 14. Jahrhunderts ist bis
ıeute weitestgehend in seinem ursprünglichen Zu-
stand erhalten geblieben. Zu unwesentlichen spä-
eren, jedoch zeitlich nicht fixierten Modifikationen
zählen: eine Weitung der ursprünglichen Lüftungs-
schlitze; der Einzug einer zweiten Südostmauer in
Raum 03, mutmasslich als Klimaschutz, stand doch
die dortige Keller-Aussenmauer weitgehend frei
und der vollen Sonneneinstrahlung ausgesetzt;
zu Raum 04 eine Erneuerung und Verengung der
Türöffnung; zu Raum 03 nordwestseits der Einbau
eines Lüftungsschachtes.
26) Weitere Beispiele hierzu: Rheinberger, Rudolf: Das Rote Haus
ınd der Weinbau in Vaduz. In: Vaduzer Wein. 100 Jahre Winzer-
zenossenschaft. Vaduz, 1996. Und Albertin, Peter: Baugeschicht-
iches zur IHofstätte Hintergasse 35-37 in Vaduz: In JBL, Bd. 91
1992), S. 40.
27) Schneider, Jürg E.; Kohler, Thomas M.: Mittelalterliche Fenster-
ormen an Zürcher Bürgerhäusern. In: Zeitschrift für Schweizerische
Archäologie und Kunstgeschichte. Bd. 40, Heft 3/1983.
? \Fundament eines
Anbaues, Torkeigebäude (?)
Eingangstor
nd
Treppenabgang
ww. €
/ 1 a
Lüftungskanal
\ 04
) r
ec
02
\
Plan 2: Das Kellergeschoss
ım 1380, Grundriss 1:200
Sewölbeversatzı
&
03
1
]
7
Lüftungsschacht,
— I urspr. Treppen -
Gewölbeversatz x | abgang
PN 1“
4“
A.
|
‚a
u Ü
1‘
\bb. 7: Südansicht an das
Kellergeschoss aus der
Zeit um 1380; ursprüng-
liche Südwestfassade des
Kernbaues mit zweiflüg-
ligem Eingangstor und
Vorkeller 01
Abb. 8: Südosteinsicht in
den 15.5 Meter langen
Kellerraum 03 aus der Zei‘
um 1380, Nordteil; hinten
späteres Lüftungsgitter
an Stelle eines einstigen
Einganges [?]
Abb. 9: Links tuffsteiner-
ner Treppenabgang aus
der Zeit um 1380 zum
Keller 01, archäologisch
freigelegt; rechts Holztrep:
de von 1666 (bis 1987);
ben Raum 15; von Süden
zesehen
Abb. 10: Keller 03, Tür
nit zwei geschmiedeten
Schlössern verschiedener
Epochen; oben: klassi-
zistisch des ausgehenden
18./beginnenden 19. Jahr
hunderts; unten: gotisch
des 15./16. Jahrhunderts
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
Die Aufteilung der
gemeinsamen Mark zwischen
Schaan, Vaduz und Planken,
1787 bis 1811
Am Ende des 18. Jahrhunderts setzte ein mehr-
jähriger Streit zwischen Schaan und Vaduz ein, in
den später auch Planken einbezogen wurde. Der
Streit endete mit der Auflösung der ehemaligen
gemeinsamen Mark und führte zur Aufteilung des
Gemeinguts. Auf diese Weise sind die heutigen Ge-
meindeterritorien entstanden.
Gestritten wurde einerseits zwischen den Dör-
fern, andererseits zwischen denen, die bereits
Gemeindsteile hatten, und denen, die darum an-
standen. Es ging nicht nur um die Bodenteilung,
sondern auch um die Gemeinleistungen, sogenann-
te Gemeinfronen oder Gemeinwerke wie Wuhr-
und Dammarbeit, Grabenöffnung, Weideräumung
und Strassenunterhalt. Die Meinungen der Ge-
meindevorstände und der Bewohner beider Dörfer
waren geteilt. Das Oberamt erstrebte nicht nur die
Teilung zwischen den Gemeinden, sondern gar die
Auflösung und letztlich Privatisierung der Gemein-
heiten. Die Vaduzer Vorgesetzten sahen in der
Trennung von Schaan die einzige Möglichkeit, um
die Bittsteller zu befriedigen. Schaan sah seine
Vorteile gefährdet und unternahm alles, um die
Teilung zu verhindern oder wenigstens hinaus-
zuschieben. Das Teilungsgeschäft war eine äus-
serst schwierige und verwickelte Angelegenheit.
Auch die Plankner und gar die Buchser Gemeinds-
leute waren einzubeziehen. Die Oberamtsakten
darüber füllen zwei Archivschachteln. 5 2 Die Akten
enthalten eine Fülle von Informationen zur Ge-
meindegeschichte. Im folgenden seien einige der
Dokumente herausgegriffen und deren Inhalt in
chronologischer Abfolge auszugsweise wiederge-
ben. Die ganze Teilungsgeschichte ist sehr weitläu-
fig und böte Stoff für eine grössere Abhandlung.
Die Oberamtsakten über die Streitigkeiten set-
zen 1787 ein. Die Frage der Bodenteilung zwischen
Schaan und Vaduz hatte das Oberamt aber schon
früher beschäftigt. Dies belegt ein nicht datierter,
aber eindeutig älterer «Ohnvorgreifl.[icher] für-
schlag, wie die Hölzer undt Auwen Zwischen der
Gmaind Vaduz und Schan ohngevärlich abzutailen
sein möchten». Das Dokument enthält detaillierte
Angaben für die Teilung und Grenzziehung zwi-
schen den beiden Dörfern. 5 3
1787 ging es noch nicht um eine Gebietsauf-
teilung zwischen den beiden Dörfern. Es sollte le-
diglich, wie schon in früheren Jahren, erneut «ein
gewisses Stuckh au zu Heu wachs mit Mayen, und
gemeiner Herbst azung» eingelegt werden. Die
Rede war von einem «schon lang herumgezogenen
Geschafft». Die Teilungsbestrebungen hatten dem-
nach schon seit längerer Zeit bestanden. Da die
Mühleholzteile durch einen Rüfegang beschädigt
worden waren, sollte jetzt durch eine Neueinlegung
von Gemeingut Ersatz geschaffen werden. Eine
Einlegung sollte im Neugut, eine zweite unterhalb
des Möliholz erfolgen. Entsprechende Beschlüsse
wurden an getrennt stattfindenden Gemeindever-
sammlungen in Schaan und Vaduz gefasst. Das Tei-
lungsgeschäft führte zu Streitigkeiten zwischen den
44) AlpAV U18, Urkunde vom 1. Januar 1483.
45) LUB 1/4, S. 273.
46) LLA RA 10/2/8/3/7-12. Gräfliche Amtsakten 5. Juli bis 16. Sep-
tember 1627.
47) AlpAV U2, Urkunde vom 29. Juni 1643 (Abschrift von Josef
Ospelt).
48) Die «Gemeinde», d. i . die Versammlung der stimmberechtigten
Haushal tvors tände fand auf der halben Distanz zwischen den beiden
Dörfern im Möliholz statt.
49) AlpAV, «Gnossbuch». ältestes Genossenschaftsbuch mit Einträ-
gen über Einkäufe, Rechnungswesen etc. 1641 bis 1732; Genossen-
schaftsbuch (Fortsetzung). 1733 bis 1834.
501 In der am 14. Januar 1733 vom Oberamt vermittelten und
bestät igten Übereinkunft über den «Einkauf der fremden Weibs-
personen in den Gemeinden der obern Herrschaf t» wurde ausdrück-
lich festgehalten, dass die Einkäufe in die «gemeindt Schaan und
Vaduz» ohne den Alpeinkauf erfolgen. Dieser sei gesondert zu
bezahlen (LLA RA 29/1/3. Urkunde vom 14. Januar 1733; vgl. Anm.
13 oben). Der Gemeindsbrief der «Löbl. gemaindt Vaduz und
Schaan», beschlossen am 31. März 1739. vom Oberamt bestätigt am
30. März 1740. regelt die Einzelheiten der Voraussetzungen für
die Zuteilung und Nutzung von Gomeindsteilen, sowie die Rechte
und Pflichten der teilnehmenden Gemeindsleute. Er enthäl t keinerlei
Hinweise auf die Alprechte (LLA RA 42/2; vgl. Anm. 37 oben).
51) Als Eigentümer der Vaduzer Alpen wurden 1809 eingetragen
«die Bürger von Vaduz als Alpgenossen mit Ausschluss der
Nummern ... [es folgen die Hausnummern der nicht alpberechtigten
Haushal tungen]».
52) LLA RA 32/1 und 2.
53) LLA RA 32/1/1, o D.
17
ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
DAS MURALE ERDGESCHOSS
barg nebst dem Anbau 15 einen Gang 11, eine
Küche 12, einen mit einem Kreuzgewölbe versehe-
nen Raum 13 und die Stube 14 (Plan 3). Die mit ei-
nem weiss getünchten Innenputz versehene West-
fassade des gemauerten Teiles enthielt die rund-
jogige Haustür in einem in romanischer Art zier-
zeschrägten Tuffgewände; innenseits konnte diese
mit einem Schliessbalken verriegelt werden. Ein
beachtenswertes Detail stellt die ursprüngliche
Türschwelle dar —- ein im Laufe der Jahrhunderte
durch unzählige Schuhsohlen stark abgetretener
Serpentinstein - sie ist bis heute in Funktion geblie-
ben, und bleibt es auch weiterhin (Abb. 11). Links
der Tür war eine breite, stichbogige Wandnische
eingebaut (Abb. 17). Der Rundbogen-Türsturz ist
später ausgebrochen worden.
[m Gang 11 (Plan 4) sind früheste Gehböden
archäologisch freigelegt worden: a) ein grobkörni-
ger Kalkmörtel-Unterlagsboden mit einem etwa ein
Jis zwei Zentimeter dicken, stark ausgetretenen,
feinkörnigen Kalkmörtelüberzug; b), dessen Geh-
niveau lag auf 467.04 m ü. M.; c) vor der um 22
Zentimeter höheren Haustürschwelle sind Reste
3äines 8 Zentimeter hohen und 60 Zentimeter brei-
'en, hölzernen Auftrittes erkennbar; d) auch ent-
lang der Nordostwand zeichnet sich im Mörtel-
joden ein 32 Zentimeter breites Holznegativ ab -
vohl als Unterbau für eine Sitzbank oder eine
Truhe (?) (Abb. 14); e) eine Pflästerung aus quer
zum Gang hochgestellten, bis Handteller grossen
ınd nur bis etwa 3 Zentimeter dicken, rundge-
schliffenen und in feinsten Schwemmsand gesetz-
;en Flusskieseln (Abb. 13). Deren 10 Zentimeter
über dem Mörtelestrich auf Niveau 467.13 m ü.M.
zelegene Oberfläche ist ebenfalls stark abgetreten.
Die Nordostwand zeigt deutlich den Ansatz eines
ainstigen, zum Gang gehörigen Tonnengewölbes,
mit einer Stichkappe über der Tür nach Raum 13
(Abb. 12).
Die Küche 12 mass innen lediglich etwa 1.4 x 3.8
Meter, mit nordwestseits angegliedertem (Vorrats-
?)Räumchen (Plan 4). Ein 58 Zentimeter breiter
and noch bis 12 Zentimeter über dem Mörtelestrich
a) erhaltener Mauerrest trennte den Gang 11 von
der Küche 12. Unterlagsmörtel (467.07 m ü. Meter)
zu einem Schwellstein und Ansätze zu einem Tür-
stock mit zugehöriger Türleibung belegen eine Tür.
Hieraus darf geschlossen werden, die Mauer hätte
H4erdstelie
' Sitznischen
_Uz
' Küche
12
+
11Gang | IQ Hauseingang
Kellertreppe
f +
Plan 3: Das Erdgeschoss
um 1380, Grundriss 1:200
Stube 4
in
chtnische_
r“
Kreuzgewölbe
Anbau
Wandnische
Sc(ras
—
10m
Abb.11: Erdgeschoss,
Hauseingang 15 mit der
stark ausgetretenen Stein
schwelle aus der Zeit um
1380 (heutiger Küchen-
aingang); von Nordwesten
gesehen. Der zur Schwelle
gehörende Gehboden, ein
Mörtelguss, lag 17 Zenti-
meter unter den abgebil-
deten, bis 1987 benutzten
Klinkerplatten
6.85 jr 12 Küche
4erdst.
4
ha
207°
= 1Gang (704 (705 |
a 7.02 buy: CC
Mt
€;
17256
rm
A.
12
25
5m
Plan 4: Gang und Küche
um 1380, Grundriss 1:100.
Referenzhöhe = 460.00 m
ü. M.
a) Kalkmörtel-Unterlags-
boden
b) abgetretener Mörtel-
boden-Überzug
z;) Negativ eines hölzernen
Auftrittes
d}) Negativ eines hölzernen
Unterbaues zu einer
Sitzbank oder Truhe?
2) Kieselstein-Pflästerung
in ganzer Raumhöhe gestanden, und nicht etwa
nur als Brüstung. Anzeichen zur Gestaltung der
Küchendecke fehlen, in Frage kommen wohl
a) eine flache Holzgebälkdecke,
b) ein eigenes Tonnengewölbe, oder
c) ein Tonnengewölbe gemeinsam mit Gang 11, wo-
bei diese Variante bei einer raumhohen Ausfüh-
rung der Trennmauer 11/12 wohl ausgeschlossen
werden kann.
Der Küchenboden ist zerstört, er scheint aus
Tonplatten auf einem Mörtelbett bestanden zu
haben, mit Gehniveau auf Höhe 467.12 m ü.M. In
der Ostecke liegt eine aus Sandsteinquadern und
Tonplatten konstruierte, um 27 Zentimeter unter
das Gehniveau eingetiefte Herdstelle von 90 auf 115
Zentimeter Weite (Abb. 15). Die handgeformten
Tonplatten der Feuerstelle und auch des Boden-
schuttes messen etwa 8 x 13 x 26 Zentimeter. Feu-
erstelle, Bodenschutt und Mauerwerk sind stark
verrusst, beziehungsweise mit Asche vermischt. Im
Gehniveau eingetiefte Feuerstellen gelten als ar-
chäologische Raritäten.
Die 1.0 Meter breite Südwestmauer ist später
ausgebrochen worden, die Südostmauer seit 1987
in Beton ersetzt. So fehlen uns zur Küche Hin-
weise zu Fenstern, zur Deckengestaltung und zum
a RR
ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
Abb. 13: Erdgeschoss,
Gang und Küche 11-12,
südöstlicher Teil; in der
Bildmitte eine abgebro-
chene Trennmauer; links
davon die feingliedrige
Kieselpflästerung über
älterem Mörtelgussboden;
links oben Ansatz eines
Tonnengewölbes; rechts
die ursprüngliche Küche
mit Resten eines Ton-
plattenbodens; hinten die
Feuerstelle, noch über-
deckt; von Nordwesten
gesehen
\bb. 12: Erdgeschoss,
aang 11; Nordostwand mit
\nsatz zu einem Tonnen-
zewölbe und Rundbogen-
‚Ur nach Raum 13, erbaut
um 1380
Abb. 14: Erdgeschoss,
Gang 11; Mörtelboden von
um 1380 mit feinem, stark
ausgetretenem Überzug
und zugehöriger Schwelle
(hinten); Südostansicht
Abb. 15: Erdgeschoss,
<üche 12 mit ins Geh-
ıiveau eingetiefter Herd-
stelle von um 1380 aus
Tonplatten und Sandstein-
quadern; vorne die abge-
tragene Mauer 11-12 und
Reste der Kieselpfläste-
rung zum Gang 11; von
Osten gesehen
Abb. 16: Erdgeschoss,
Gang 15, Innenansicht der
strassenseitigen Aussen-
wand des 16. Jahrhun-
derts mit rundbogigem
Zensterchen und zugehöri-
Jem, weiss getünchtem
Glattputz; links der einge-
mauerte Stumpf eines
abgesägten Unterzuges
und etwa 20 Zentimeter
darüber der zugehörige,
»benfalls später abgesägte
Dielenboden, beide von
1488 d; ganz oben die
Decke von 1666 d; rechts
lie heutige Eingangstür
ii
Abb. 17: Erdgeschoss,
3ang 15; Nordwestwand
les muralen Kernbaues von
uım 1380 mit stichbogiger
Nische, Decke von 1666 d
ınd Türdurchbruch nach
Raum 13 von 1786
‘A
ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
Rauchabzug. Fraglich bleibt, wie in der ausge-
sprochen engen Küche überhaupt gearbeitet wer-
den konnte.
Raum 13 wird von einem Kreuzgewölbe über-
spannt, das heisst, er tritt durch seine Gestaltung
besonders hervor — als wäre er des Bauherrn Pri-
vatraum. Ein strassenseitiges Fenster ist nicht
aachgewiesen, darf aber im Bereiche des heutigen
Fensterausbruches angenommen werden.
Zur Stube 14 lassen sich drei Fenster-Sitz-
Nischen mit je zwei Sitzbänken und südwestseits
zwei stichbogige Wand-Sitznischen mit längsge-
stellter Sitzbank lokalisieren. Die eigentlichen Fens-
teröffnungen und deren Gewändegestaltungen feh-
len oder sind verdeckt. Die Wände zeigen hier, als
aäinzigem Raum im Kernbau des 14. Jahrhunderts,
Spuren einer Holzverkleidung oder Vertäfelung.
Zur Stubendecke sind Auflagelöcher zu drei Unter
zügen oder Deckenbalken erkennbar mit einer Un-
terkanthöhe von 469.40 und einem Achsabstand
von etwa 2.2 Metern.
EIN NORDWESTSEITIGER ANBAU
mit den Räumen 15 und 24 wird durch diverse
Befunde belegt, doch in seiner ganzen Gestaltung
:ässt er sich nur ideenhaft aufzeigen. Das Ausmass
seiner Grundfläche dürfte jenem Teil des Kellerge-
schosses entsprochen haben, das nordwestseits
über den Grundriss des muralen Erdgeschosses
vorstösst. Über den Kellergewölben lag ein Mörtel:
estrich als Gehboden mit Niveau zirka 466.93 zu
Raum 15. Um von der Strasse auf diese Erdge-
schoss-Höhe zu gelangen, musste wohl strassen-
seits eine etwa 1.8 Meter hohe Treppe vorgelegen
ı1aben. Auf der Höhe der heutigen Erdgeschoss-
decke und im Bereiche des Obergeschosses weist
die Südost-Wand je einen etwa 20 Zentimeter
preiten, als Balkenlager dienenden Rücksprung auf
(Abb. 23). Im Anbau 15/24 hatte zweifellos der
Treppenaufgang ins Obergeschoss und ins Dach-
geschoss gelegen und er dürfte zumindest teilweise
offen gestanden haben, denn die Haustür zum
Gang 11 war innenseits verschliessbar (Plan 7).
DEM OBERGESCHOSS
steht eine dem Erdgeschoss entsprechende Raum-
teilung mit den Räumen 21 bis 24 zu Grunde (vgl.
Plan 6). Das Bodengebälk lag zu allen Räumen auf
15 bis 20 Zentimeter breiten Mauerrücksprüngen
auf. Zu den Türen und Fenstern liegen dieselben
Befunde vor wie im Erdgeschoss.
IC
1 LI
A
-
1m
Plan 5: Fenster mit Sitz-
nische um 1380, Innen-
ansicht 1:50; Fensterstock
hypothetisch
Abb. 18: 1. Obergeschoss,
Gang 24; Südwestteil mit
zweiläufigem Treppenauf-
zang von 1786; rechts
Sichtfachwerkwand von
1666, 1786 zum Treppen-
ainbau um 60 Zentimeter
zurückversetzt
Wand später abgetragen
Plan 6: Das Obergeschoss
ım 1380, Grundriss 1:200
Anbau
74
2°;
-
*
Strasse
10 m
a
ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
Abb.19: Erdgeschoss,
Raum 17; Sichtfachwerk
von 1666, grau-schwarz
gefasst, die Riegel und
die Strebe sind noch
in spätmittelalterlicher
Manier überblattet
Plan 7: Die Nordostfassade
um 1380, 1:200; Gestal-
tung der Fensterstöcke
und Dächer hypothetisch
Lin
it
UL
1 MM
zul ba u
ZUM DACHGESCHOSS
und Dachstuhl fehlt uns jegliche Kunde. Mutmass-
ich dürfte auf dem muralen Teil ein flachgeneigtes
ınd mit steinbeschwerten Legschindeln gedecktes
Satteldach gelegen haben, mit Firstrichtung paral-
lel zur Landstrasse. Legschindeln waren hierzulan-
de bis ins 19. Jahrhundert das verbreitetste Dach-
ldeckmaterial.
SÜDWESTSEITS DER KELLER
weisen im Verband mit dem Kernbau gemauerte
“undamentreste auf einen zugehörigen Anbau -
ain Torkelgebäude(?), der uns aber als Ganzes
ıicht mehr erkennbar geblieben ist (Plan 2).
AUS DEM DECKENGEBÄLK
Abb. 20: Erdgeschoss,
Gaststube 14; Fenster-
ıische und Sprossen-
enster von 1786 mit höl-
zernem Mittelpfosten,
sehr feingliedrig profilier-
‚en Sprossen und ge-
schmiedeten Beschlägen
über Raum 22 sind fünf Bohrkerne gefasst und
hieraus drei Lärchenstämme dendrochronologisch
mit Endjahr 1345 datiert, wobei Splintholz fehlt
Abb. 24). Bei der für diese Lärchenstämme vorlie-
genden Wachstumsstruktur mit etwa 300-jährigem
Alter und geschätztem Splintholzanteil von etwa 35
Jahrringen lässt sich ihr Fälldatum und damit ein
3audatum für den Kernbau von um 1380 postu-
jeren. Stilistische Datierungselemente fehlen, ins-
Jesondere sind die im 13. und frühen 14. Jahrhun-
dert verbreitete romanische Baumanier der exakt
agig gefügten Mauersteine in Art des «domus spi-
catum» und Fugenstrich-Putze nicht beobachtet.
ac}
ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
Die Erweiterung
von 1488 d
Modernisierungen im
16. Jahrhundert
In einer politisch unruhigen Zeit - die Landesherr-
schaft ist vom letzten Stammhalter der Grafen von
Werdenberg-Vaduz, Bischof Hartmann von Chur,
1416 an die Freiherren von Brandis in Maienfeld
übergegangen; das Oberland als Grafschaft Vaduz
und das Unterland als Herrschaft Schellenberg sind
vereint (1434), das Amt des Landammanns ist ein
geführt und damit der Bevölkerung in Verwaltungs-
angelegenheiten gewisse Mitspracherechte zuge-
sichert - erfolgten im Löwen Neuerungen.
Nordwestlich des Kernbaues entstand ein neuer
hölzerner Anbau (Plan 8). Aus dem Bodengebhälk
les Erdgeschosses sind zwei Lärchenstämme und
ein Arven- oder Föhrenstamm mit Fälldaten
Herbst/Winter 1487/88 dendrochronologisch da-
tiert. Aus der zugehörigen Decke sind in der Nord-
oöstwand des Erdgeschoss-Raumes 15 der Stumpf
aines abgesägten Deckenunterzuges und der Rest
ainer Dielendecke (UK= 469.4 m ü. M.) eingemau-
art (Abb. 16). Der Deckenunterzug ist als Lärchen-
nolz ohne Splint mit Endjahr 1471 dendrodatiert.
Weitere Befunde fehlen. Der neue und erweiterte
nölzerne Anbau dürfte im Erdgeschoss hallenartig
genutzt worden sein und barg wohl wiederum die
Treppen ins Obergeschoss und ins Dachgeschoss.
Im muralen Kernbau sind keine baulichen Ände-
rungen bemerkt.
Dem gotischen Zeitgeist und neuen bautechnischen
Möglichkeiten entsprechend — seit dem ausgehen.
den 15. Jahrhundert sind Butzenscheiben erhält-
ich und ermöglichen grössere Fenster - wurde
auch der Gasthof Löwen in der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts modernisiert. Eine genaue zeit-
iche Fixierung der Arbeiten fehlt uns, stilistische
ınd relativchronologische Befunde einerseits und
die wohl um 1530 entstandenen figürlichen Male-
reien in der Gaststube andererseits umgrenzen die
Arbeitsausführungen (Pläne 9 und 10).
'm nordwestlichen Holzanbau wurde die stras-
senseitige Wand teilweise durch Rüfestein-Massiv-
mauerwerk ersetzt. Dessen Innenansicht zeigt, ar-
chäologisch fassbar, wie zum Erdgeschoss ein neu-
er, strassenseitiger Hauseingang entstand, wohl
rvundbogig, wie der tiefliegende Sturzansatz verrät
an seiner Stelle betreten wir noch heute den Ho-
;elbau. Gleich nebenan entstand das noch heute
erhaltene rundbogige Fensterchen (Abb. 16). Zum
Jbergeschoss sind zwei stichbogige Fensterni-
schen teilweise erhalten mit Negativen rechtecki-
ger Fenstergewände (Abb. 26 und 27), woraus
sich Fenster gotischer Art rekonstruieren lassen.
Analoge Fenster finden wir auch am 1539 erbauten
Konventbau in Bendern, dem heutigen Pfarrhaus.
Nordwestwärts stösst die Mauerscheibe gegen
u
Plan 8: Die Nordostfassade
ım 1488, 1:200; Fenster
stöcke und Dächer hypo-
thetisch
am!
0
IM
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wi
a.
l .
Josef 1. König |
stehend kniend
Maria sitzend 2, König
mit Christuskind stehend
Abb. 21: Erdgeschoss,
Gaststube 14; Südwest-
wand mit der 1988 ver-
setzten Wandmalerei
«Anbetung des Christus-
kindes durch die Heiligen
Drei Könige» aus der Zeit
um 1530, dazu eine Zeich-
nung mit Erklärung
7 EL EL
3. König
gehend
] Elefant
|
Passantin
En
zit vn. rn Sr
eine bestehende Holzkonstruktion. Weitere Befun-
de zum jetzigen Anbau fehlen, der 1488 im Erd-
geschoss eingebrachte Unterzug mit Dielendecke
blieb weiterhin in Funktion. Das Erdgeschoss
diente wiederum saalartig, denn Raumtrennungen
wären erkennbar geblieben.
Der Kernbau erfuhr auf seiner Südwestseite -
nach Entfernung des entsprechenden Aussenwand-
:eiles — eine Erweiterung der Küche 12 im Erdge-
schoss und der darüberliegenden Kammer 21 im
Obergeschoss. In der Gaststube 14 wurde über
einer Sitznische in der südwestlichen Aussenmauer
ein Wandbild mit der Anbetung des Christuskindes
durch die Heiligen Drei Könige appliziert. Diese
Putzmalereien sind nun anlässlich der neuesten
Renovationsarbeiten durch Bonifaz Engler restau-
riert und an der gleichen Wand, baubedingt ver-
setzt, wieder angebracht worden (Abb. 21).
Original der Beschwerde
vom 28. Dezember 1789,
unterzeichnet von 34
Gemeindsleuten: «Johan-
nes Rheinberger, Johannes
Risch Jung, auch im
Namen des Davidt boss,
Johannes Gassner, Michel
Ospelt, Johannes Ospelt,
Geschworner, Joseph Willi,
Adam Straub, Johannes
Hilty, Joseph Antony
Amann, Christofeil Boss,
Johannes Tresel, Hauszei-
chen des H. Jörg Gassner,
Joseph Antony Ospelt,
Joseph Hemmerle, Joha-
nes Ospelt, Thadeus Wäch-
ter, Jacob Reinberger,
Andreas Beck, Johan Jörg
Thöni, Franz Joseph
Thöni, Joseph Hilti und im
namen meines schwähers
(d.i. Schwagers) Johanes
Hochler (?), Michell Kauff-
man, Ignatzi bos, Andreas
Strub innamen meins
schwager Mang lantwins
(?), Michael Willy, Haus-
zeichen des Tomas Hilty,
Michel Ospelt ... imnah-
men des Joseph Wolf,
Johannes Ospelt, Jacob
Gassner, Johanes Jürg
Reinberger»
IS
ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
Scheune u.
Stallungen
First
10 m
Torkeigebäude (?)
\
Tenne?
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—
"schen
Sn.
„909 002 -
figürliche
Wandmalerei
+
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Küche 12 _
11Gang
Kellertreppe
#*
DE“ PD © —— — = —
1
Unterzug
Plan 9: Das Erdgeschoss
im 16. Jahrhundert,
Grundriss 1:200
Anbau
\ „
Kreuzgewölbe
‘5
Gast - Stube
4A
1
(Ih
Our
N
Ol
fe
Plan 10: Die Nordostfas-
sade im 16. Jahrhundert,
1:200; Treppe, Fenster-
stöcke links und Dächer
hypothetisch
Abb. 22: Erdgeschoss, ver
zlaste Veranda von 1952;
wohl beliebtester Aufent-
aaltsort der Gäste, mit
Blick über den «Stöckler»-
Weinberg zum Schloss
Vaduz und in die nahen
ınd fernen Berge; Veranda
(987 abgebrochen
Abb. 23: 1. Obergeschoss,
Gang 24; Westansicht des
nuralen Massivbaues
von um 1380 mit diversen
weiss getünchten Glatt-
putzen; die Putznaht auf
Zweidrittel-Höhe markiert
einen ursprünglichen
MVauerrücksprung als Bal-
kenauflager für den Holz-
anbau, der obere Wand-
drittel und das Deckenge-
hbälk stammen von 1666 d
ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
Abb. 24: 1. Obergeschoss,
Südwesteinsicht in Raum
22 des Kernbaues aus der
Zeit um 1380; Aufsicht auf
das Kreuzgewölbe von
Raum 13 und Untersicht
an die dendrochronolo-
gisch um 1380 datierte,
russgeschwärzte Decke
Abb. 25: 1. Obergeschoss,
Südeinsicht in Gang 24;
Sichtfachwerk dendro-
chronologisch datiert mit
1666; linker Teil 1786
anlässlich des Einbaues
eines neuen Treppen-
aufganges um 60 Zenti-
meter zurückversetzt —
der vorspringende Eck
ofosten zeigt noch die
entsprechenden Zapfen-
löcher
LS
DER RESTAURATOR UND KIRCHENMALER
BONIFAZ ENGLER’*® SCHREIBT DAZU:
«Die Geschichte des barock anmutenden stattli-
chen Gebäudes Gasthof Löwen, dessen Fassade
das Wappen der Rheinberger ziert, lag bis zum
Beginn der Renovation von 1987 weitgehend im
Dunkeln.
In dieser Umbruchzeit wurde ich beauftragt, das
Gebäude in seinem Innern auf mögliche Malereien
zu untersuchen. Es wurden ornamentale Male-
reien aus der Zeit um 1744 gefunden. Ganz zufällig
stiess man bei installationsbedingten Ausbrüchen
und Sicherungsarbeiten, unter dicken Verputz-
schichten, auf figürliche Farbspuren.
Die Verputzschichten wurden entfernt und
dadurch die Malerei sichtbar gemacht. Es ist eine
frühe Darstellung der Anbetung durch die Heiligen
Drei Könige und gleichzeitig eine klare Datierung.
Wegen Installationsvorschriften konnte die Wand-
malerei leider nicht am Entstehungsort belassen
werden. Sie wurde konserviert, aus der Bruch-
steinmauer gelöst, armiert und versetzt wieder in
die Mauer eingelassen.
Die genannte Darstellung ist in Secco-Technik
gemalt, das bedeutet, sie wurde mit Tempera-
Casein gebundenem Farbpigment auf den trocke-
nen Verputz gemalt. Die rötliche Vorzeichnung ver-
rät einen gekonnten Pinselstrich. Die geschlossene
Komposition setzt sich aus drei Figuren oder Stan-
desgruppierungen zusammen.
In der ersten Gruppierung finden wir stehend
Josef, in schlichtem grünen Gewande. Er stützt
sich an einem Stab. In der rechten Hand ist ein
Beutel oder eine Rundflasche. Seine Schuhe sind
blau. Seitlich von ihm auf einem Thronstuhl sitzt
Maria. Sie hält und zeigt das Christkind, das von
dem vor ihm knienden König ein Geschenk entge-
gen nimmt. Maria ist mit einem blauen Gewande
mit typischem Renaissance-Ausschnitt bekleidet.
Ihr Kopf ist von einem weissen Schleier umhüllt.
Die Schuhe sind rot. Der Thronstuhl mit Lehne ist
ein Hinweis auf eine frühe Entstehungszeit des
Gemäldes. Das Kind, Maria und Josef sind mit
einem Scheiben-Nimbus versehen.
Eine Raumbegrenzung zur zweiten Gruppierung
wird durch eine braune Linie (Holzträger) dar-
gestellt. In dieser zweiten Gruppierung kniet ein
König, eine Gabe reichend, vor dem Kind. Sein
Mantel ist cap.-mort.-rot, das Beinkleid braun, die
Schuhe rot. Ihm folgt stehend der zweite König,
umhüllt mit einem Mantel von cap.-mort.-violetter
Farbe. Das Beinkleid ist blau. In der linken Hand
hält er ein blaues Bündel. Die rechte Hand reicht
einen kleinen Schrein nach vorn. Das Beinkleid,
sowie der Schrein weisen in die frühe Zeit der
Renaissance um 1500-1530. Am Kopf ist eine gros-
se Fehlstelle. Darin war ein Holzdübel befestigt,
der zu einem Halterungszweck benötigt wurde.
Der dritte Weise zeigt sich schreitend in ganz
typischem Renaissance-Gewande eines vornehmen
Mannes. Es ist mit dunklem Besatz bereichert. In
der linken Hand ist wiederum ein roter Beutel. Die
andere Hand hält ein Kelchgefäss nach vorn. Sein
Beinkleid ist oder war rot wie der Beutel.
Hinter ihm beginnt die dritte Gruppierung mit
raumtrennendem senkrechten Tragbalken. In ge-
wisser Distanz ist eine staunende weibliche Ge-
stalt zu erkennen. Erwartungsvoll breitet sie ihre
Arme und Hände der Handlung vor ihr entgegen.
Ihr anmutiges Gewand mit der typischen Hals-
Schulterpartie ist wiederum ein klarer Hinweis, in
welcher Zeit das Wandgemälde geschaffen wurde.
Auf vielen späten Flügelaltären, Stichen, und Ge-
mälden aus der Zeit um 1500 bis 1530 wiederholen
sich dieselben Farben und Formen, wie sie sich In
dem Bild «Anbetung durch die Heiligen Drei Köni-
ge> zeigen.
Die weibliche Gestalt war noch nicht der Ab-
schluss der dritten Gruppierung. Mit etwas Phan-
tasie könnte noch ein Elefantenkopf mit Rüssel ge-
sehen werden. Bis zum ursprünglichen Ende der
Malerei fehlen noch zirka 15 Zentimeter, welche
schon bei früheren Umbauten verloren gegangen
sind. Die hier beschriebene, sehr zurückhaltende
bildliche Darstellung konnte nicht in erster Linie
als Akzent im Raum verwendet werden. Der Erhal-
28) Restaurationsatelier im Vorderhof, 9033 Untereggen SG.
ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
Abb. 26: 1. Obergeschoss,
Raum 25; Ansicht der
strassenseitigen Aussen-
wand; rechte Wandhälfte
aus dem 16. Jahrhundert
mit zugehöriger, stichbogi
ger Fensternische; linke
Wandhälfte und Decke von
1666 d
\bb. 27: 1. Obergeschoss,
Gang 24, Nordostwand;
die murale Mauerscheibe
des 16. Jahrhunderts
stösst rechts gegen den
Kernbau des 14. Jahrhun-:
derts und enthält eine
ariginale Fensternische;
die aktuelle Fensteröff-
ıung ist 1666 durchgebro-
chen und 1744 ornamen-
tal bemalt worden
\bb. 28: 1. Obergeschoss,
Raum 24; nordöstliche
Fensternische mit
schwungvollen Ranken-
ornament-Malereien von
1744
u
Barocke Um- und Erweiterungs-
bauten von 1666 d
tungszustand der Secco-Malerei war museal, aber
genügend lesbar.
Das ganze Bild wurde später zur Putzhaftung
mit einem Spitzhammer aufgehackt. Diese Verlet-
zungen mussten sorgfältig ausgefüllt und geebnet
und in Wahrung des freigelegten Originalbestan-
des optisch beruhigt werden.
So wurde es möglich, den Bildinhalt, die Form-
gebung und die Farbgestaltung einer Stilperiode
und Zeit einzuordnen.
Somit konnte der im Dunkeln liegenden Bauge-
schichte wieder eine Datierung mehr gegeben wer-
den.»
Nach wie vor fehlt uns Kunde zur Lage, Konstruk-
tion und Form des Dachstuhles. Insbesondere lässt
die mittlerweile in ihrer Flucht stark gestaffelte
Südwestfassade Fragen bezüglich der Gestaltung
eines Satteldaches offen.
Im 17. Jahrhundert wurden die Wohnräume zuse-
nends heller, offener, bunter und «freundlicher» —
das Bürgerhaus wagte den Schritt von der Stätte
les Daseins zur Stätte des Wohnens, vom Zweck-
bau zum architektonisch gestalteten Repräsenta-
onsbau. In diesem Sinne erfuhr auch der Löwen
L666 d eingreifende Erneuerungen barocker Art
‚Pläne 11 bis 13).
Der bisher noch weitgehend in Holz konstruierte
Vordwestanbau wurde nun auf breiterem Grund-
riss vollständig in Rüfestein-Mauerwerk hochge-
Ührt und architektonisch gegenüber dem Kernbau
zum gleichwertigen Bauteil erhoben - nun wohl
zweifellos unter einem einheitlichen Satteldach,
wobei uns Befunde zur Dachgestaltung nach wie
vor fehlen. Der Zeit und Bedeutung des Löwen ent-
sprechend darf nun ein steiles Ziegeldach vermutet
werden an Stelle des bisherigen, flach geneigten
„egschindeldaches. Südseits erfolgte eine zweige-
schossige Erweiterung des Hauses um die beiden
Wohnräume 19 und 28. Die Fassaden erhielten ein
neues Erscheinungsbild in ihrer noch heute vorlie-
zenden Gliederung, alle Fenster wurden geweitet
und teilweise auch neu angeordnet und mit neuen
Fensterstöcken versehen (Abb. 26 und 27). In den
7ensternischen boten sich wiederum Sitzbänke an,
um sich «ins rechte Licht zu rücken». Die Haustür
bekam an Stelle des Rundbogens einen «moder-
nen» Stichbogensturz. Der neuen, muralen Nord-
westfassade wurden zwei bis unter die Fenster-
bänke des Erdgeschosses reichende Stützpfeiler
vorgestellt - denn vor der Nordecke des Gasthofes
lag das Terrain noch immer bis 1.6 Meter unter
dem heutigen Strassenniveau auf etwa 465.70 m ü.
Meereshöhe
IM ERDGESCHOSS
antstanden durch die Hauserweiterung neue Räu-
me, ein breiter Gang 15 mit zweiläufiger Treppe ins
Übergeschoss, drei Zimmer 16 bis 18, wobei Raum
18 gegen den Gang 15 hin vorerst offen stand,
sowie eine zusätzliche kleine Gaststube 19 mit Sitz-
nischen (Plan 11). Einheitlich verlegtes Deckenge-
ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
Scheune u.
Stallungen
10 m
Torkelgebäude
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Tenne?
Nischen
19
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zauchfang
Küche
11-12
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—
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Stützpf.
Plan 11: Das Erdgeschoss
von 1666, Grundriss 1:200
bemaltes
Sichtfachwerk
Gast - Stube
14
Kreuzgewölbe
bemalter
Unterzug
18
|
Stützpf.
Strasse
bälk mit Schrägboden überspannte die Räume 15
bis 18; hieraus ergeben drei Deckenbalken dendro-
°hronologisch ermittelt das Fälljahr Herbst/Winter
1665/66. Die neu eingebauten Binnenwände zu
den Zimmern 16 bis 18 wurden der Zeit entspre-
chend in Sichtfachwerk erstellt und mit verputztem
Rüfestein-Mauerwerk ausgefacht, wobei der Fach-
werkabbund noch in der spätmittelalterlich/früh-
n1euzeitlichen Manier erfolgte mit durchgehenden,
die Streben überblattenden Riegeln (Abb. 19). In
den beiden Zimmern 17 und 18 wurde das Fach-
werkholz grau bemalt und mit einer schwarzen Be-
gleitlinie eingefasst. In Raum 16 blieben die Wände
ınbemalt — und bis 1987 unverändert erhalten! Im
spätmittelalterlichen Kernbau wurden die Fenster-
nischen geweitet. In der Gaststube 14 verkleidete
raumhohes Täfer die Wände. Wie schon zum mit-
telalterlichen Kernbau waren auch zur jetzigen
Ausführung exponierte Bauteile wie Mauerecken,
sowie Tür-, Nischen- und Fensterleibungen sorgfäl-
tig in Tuffquadern gesetzt.
DAS OBERGESCHOSS
erfuhr dieselbe Erweiterung in gleicher bautech-
nischer Ausführung wie das Erdgeschoss (Plan 12,
Abb. 25 und 30). Damit entstanden die zusätzli-
chen Räume 25 bis 28. Sechs Stämme aus dem
Jeckengebälk über den Räumen 24 bis 27 ergeben
dendrochronologisch ermittelt ebenfalls einheitli-
che Fälldaten Herbst / Winter 1665/66.
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Scheune und
Stallungen
10 m
Torkelgebäude
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25
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bemaltes
Sichtfachwerk
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Strasse
Plan 12: Das Obergeschoss
von 1666. Grundriss 1:200
lan 13: Die Nordostfas-
sade von 1666, 1:200
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ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
Die Ausmalungen von 1744
Abb. 29: 1. Obergeschoss,
Raum 26 von 1666; Decke
1744 mit schwungvollen
Rankenornamenten rot,
grau und gelb bemalt;
Zustand nach dem Frei-
iegen 1987, noch mit spä-
terem Lehmputz über-
schmiert
Unter grundsätzlicher Belassung der Bau- und
Raumstruktur von 1666 d brachten innere Moder-
nisierungen etwas breitere Fenster mit geweiteten
Leibungen und teilweise wiederum Sitzgelegen-
heiten in den Fensternischen. Vor allem erhielten
diverse Wohnräume im Obergeschoss eine zeit-
gemässe, ornamentale Bemalung von Wänden und
Decken.
Im Erdgeschoss waren mittlerweile das Gang-
Tonnengewölbe und die Trennmauer zur Küche
L1-12 entfernt worden, der Küchenbetrieb war
scheinbar vorübergehend in den Raum 22 des
Obergeschosses verlegt. Der Raum 18 wurde gegen
den Gang 15 hin geschlossen und durch Versetzen
der Trennwand gegen Raum 17 um 1.15 Meter
verbreitert.
Im Obergeschoss erhielten die Räume 21, 24, 25
ınd 26 im Bereiche der Türöffnungen und in den
Fensterleibungen schwungvolle Rankenornamente
.n den Farben grau, rot und schwarz auf die Glatt-
outze der Massivmauern gemalt (Abb. 28). Ein
Medaillon über dem Fenstersturz im Raum 26 ent-
nält die Jahrzahl 1744 — und gibt uns damit eine
genaue Datierung der Ausmalungen (Abb. 31). Die
Schrägböden der Räume 24, 25 und 26 tragen ana-
loge Malereien in den Farben rot, gelb und grau,
mit weissen Glanzlichtern und partiell schwarzen
Sinfassungen (Abb. 29 bis 31). Die Deckenbalken
zeigen eine Netzmarmorierung in denselben Far-
Jen. Die Sichtfachwerkwände der Räume 24, 25
ınd 26 behielten ihre graue Fassung. Die voll-
lächig verputzten Wände in Raum 27 blieben un-
Jemalt.
An der Nordostwand des Raumes 26 weist eine
Riegelausfachung auf dem Putz die Jahrzahlen
‚772 und 1773, sowie die Initialen FR und ... (unle-
serlich) auf (Abb. 32). Die Initialen dürften auf den
Besitzer Ferdinand Rheinberger hinweisen; die
Bedeutung der Jahrzahlen bleibt unbekannt.
Abb. 30: 1. Obergeschoss,
Raum 26 von 1666, Nord-
ecke; Binnenwand rechts
ın grau gefasstem Sicht-
fachwerk; murale Aussen-
wand und Decke 1744
mit Rankenornamenten
barocker Art bemalt
Abb. 31: 1. Obergeschoss,
Raum 26; barocke Ran-
kenornamente, im Medail-
lon über der Fensterachse
die Jahrzahl 1744
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
Gemeindevorständen, aber auch unter den Ge-
meindsleuten der beiden Dörfer. 5 4
Am 25. Januar 1790 vermerkte die Oberamts-
kanzlei den Eingang einer Beschwerde einer statt-
lichen Zahl von Vaduzer Gemeindsleuten. Die Be-
schwerde datiert vom 28. Dezember 1789. Das
Original trägt 34, die vom Oberamt erstellte Ab-
schrift verzeichnet 43 Unterschriften. 5 5 Die Unter-
zeichneten führten an, sie hätten keinen Gemeinds-
nutzen und auch nicht «einige Aussicht, ... ihn in
ihrem Leben erlangen zu können.» Sie müssten
aber wie jene mit ganzer Gemeindsteilnutzung
Frondienste, Strassenbau-, Damm-, Wuhr- und an-
dere Beschwernisse und Kosten tragen. Die Unter-
zeichneten verlangten eine «billige Verteilung des
Gemeindebodens». Wenn die Gemeindsvorstände
die Verteilung verweigerten, wollten sie «ihr Fle-
hen bis an den Thron Sr. Hochfürstl. Durchlaucht
gelangen lassen».
In etwa gleichzeitig mit den Vaduzern reichten
23 Schaaner Gemeindsleute eine Bittschrift ähn-
lichen Inhalts ein. 5 6
Das Oberamt Hess die Beschwerden den Ge-
meindevorgesetzten von Schaan und Vaduz zustel-
len. Diese sollten die Bittsteller «ihrer dem An-
schein nach wohl gegründeten Beschwerde halber
von selbst klaglos stellen» oder innerhalb 14 Tagen
gegenüber dem Oberamt begründen, «aus was für
Ursachen sie sich bewogen finden, ihre Mitbürger,
die mit ihnen die Beschwerden der Gemeind tra-
gen, mit einem solchen Ansuchen abzuweisen». 3 7
Die Antwort der Gemeindeobrigkeit liess auf
sich warten. Das Oberamt mahnte Landammann
Tschetter am 26. April 1790: «Die Untertanen trei-
ben auf eine Resolution». Wenn die schon lange
ausstehende Stellungnahme der Gemeindsvorge-
setzten nicht beigebracht werde, gehe das Bitt-
gesuch ohne weiteres an den Fürsten. 5 8
Am 29. April traf dann die verlangte Stellung-
nahme ein. Sie war offensichtlich von einem
Rechtsbeistand verfasst und von Landammann
Lorenz Tschetter, den Säckelmeistern und je drei
Mitgliedern «des Gerichts» der beiden Gemeinden
eigenhändig unterschrieben worden. Darin wurde
angeführt, die Beschwerden seien nur dem An-
schein nach begründet. Wörtlich hiess es: «... In
der Regel sollte zwar jeder Gemeindsmann glei-
chen Antheil an den Gemeindsnutzungen haben,
und hat es auch wirklich in Wunn und Waid, Trieb
und Tratt, da nämlich in diesen Gemeinden ein
jeder soviel Stück Vieh austreiben kann, als er will,
wo doch von Rechts wegen jeder nur soviel treiben
sollte, als er zu überwintern oder im Stalle zu
ernähren vermag. Was aber die Benützung der
besonderen eingeschlagenen Plätze auf den ver-
schiedenen Gemeindsdistrikten anbetrifft, hieran
können nicht alle Anteil nehmen und bekommen;
die Lokalität, die Umstände und die Bedürfnisse
der Gemeinden und des Landes müssen hier die
Bestimmung geben. Eine Herde von ca. 1400 Stück
Vieh braucht einen grossen Platz, und die Hegung
der Stauden-Gewächse zur Faschinierung an dem
Rhein-Wuhrbau erfordert gleichfalls einen grossen
Distrikt; diese zwey Umstände sind es, welche
unsere Vorfahren bewogen haben, nicht mehr Plät-
ze zum privativen Gebrauch einzuschlagen, um
nicht den Waidgang und Nachwuchs der Stauden
zu verkürzen; diese guten Gründe walten noch für
und hindern uns, mehr Plätze einzuschlagen. Wir
und unsere Väter, wie der Kläger Väter haben uns
diese zum allgemeinen Besten gemachte Anord-
nung müssen gefallen lassen, haben oft viele Jahre
lang auf die Erledigung einiger Gemeindsteile war-
ten müssen; mancher hat es gar nicht erlebt, nun
aber in den neueren Zeiten und bei den jüngeren
Einrichtungen währt es nicht mehr halb so lang;
54) LLA HA 10/28/5/22-23. Oberamt an Landammann, liichter.
Säckelmeister. Geschworene und Gomeindsleute zu Schaan und
Vaduz. 3. und 7. März 1787.
55) L L A RA 29/3/1/1 und 2. Beschwerde vom 28. Dezember 1789.
eingegangen am 25. Januar 1790.
56) Die Schaaner Petition mit der Anzahl der Petitionäre ist e rwähn t
in der Stellungnahme der Ortsvorstände von Schaan und Vaduz
zu den eingereichten Bittschriften (LLA RA 29/3/1/4. Schriftsalz,
o. D., eingegangen am 29. Apr i l 1790: vgl. A n m . 59).
57) LLA RA 29/3/1/1. Oberamtsvermerk auf Beschwerde vom
28. Dezember 1789.
58) LLA RA 29/3/1/3. Oberamt an Landammann Tschetter. Schaan.
26. Apr i l 1790.
19
ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
Umbau und Erhöhung von 1786
Der bisherige Eigentümer Joseph Ferdinand Leon
Rheinberger, 1734 bis 1814, vermählte sich 1786 in
zweiter Ehe mit der verwitweten Engelwirtin Fran-
ziska Seger und zog in den Engel um. Den Löwen
übergab er seinem erst 23-Jährigen Sohn Johann
Rheinberger, 1763 bis 1815. Dieser nutzte die Gunst
der Stunde, denn im Zeitraum von 1770 bis 1786
wurde die «Deutsche Strasse» von Bregenz bis
Chur vom Saumpfad und Karrenweg zur befahrba-
cen Strasse ausgebaut, das Verkehrsaufkommen
nahm dadurch stark zu. Er modernisierte den
‚öwen und erhöhte ihn um ein zweites Oberge-
schoss, wodurch weitgehend der uns heute vorlie-
gende Gasthof in seiner markant spätbarocken Ge-
staltung entstand.
Die Baumassnahmen umfassten im Altbau vor
allem den Ersatz der bisherigen Butzenscheiben
durch lichtdurchlässigere, fein profilierte Spros-
senfenster (Abb. 20), wie sie seit Mitte des 18. Jahr-
hunderts von Frankreich her kommend vorerst an
Zürgerhäusern, dann im ausgehenden 18. und
oeginnenden 19. Jahrhundert auch an Bauernhäu-
sern an Beliebtheit gewannen. Dabei wurden in-
aenseits gleich die Fensterleibungen etwas gewei-
‚et und die für Butzenscheiben konzipierten, nun
veralteten Sitzbänke in den Fensternischen ent-
"ernt, denn nun flutete Licht in die Räume. Aus-
senseits gerundete, hölzerne Kreuzstöcke unterteil-
ten die Öffnungen der Fenster. Diese Fenster von
1786 gehörten hierzulande zu den ersten Spros-
senfenstern schlechthin.“ Diverse dieser Fenster-
lügel sind bis 1986, also während 200 Jahren, in
Funktion verblieben - nun aber mit der aktuellen
Aenovation ersetzt. In der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts übernahmen ziervolle Schrankmöbel
die Funktion des Raumschmuckes —- damit aber
haben Wand- und Deckenmalereien ausgedient.
So liess Johann Rheinberger denn auch alle Räume
ım Altbau neu überputzen und damit die 1744
angebrachten Ausmalungen verdecken. Die räum-
ıiche Erweiterung um ein zweites Obergeschoss
verlangte nach Einbau eines breiteren, zweiläufi-
gen Treppenaufganges vom Erdgeschoss bis ins
Jachgeschoss, versehen mit einem schmucken Ba-
‚ustraden-Geländer barocker Art. Ein in der Süd-
westmauer des Ganges 15 gelegenes, 1744 ausge-
maltes Fenster wurde dabei zugemauert. Aus den
Rentamtsrechnungen von 1786*°° über die Einnah-
men der herrschaftlichen Ziegelei Nendeln ist zu
entnehmen, wie Johann Rheinberger für seinen
Umbau 5130 Stück Dachziegel, 2550 Stück Ton-
platten für Fliesenböden und 78 Stück Schnittlinge
ispezielle Dachziegelformen) bezog.*!
Im Kellergeschoss sind keine wesentlichen, den
Umbaumassnahmen von 1786 zugewiesenen Ver-
änderungen festgestellt. Und auch das Erdgeschoss
verrät wenig von den Eingriffen um 1786; nebst
ler Erneuerung und Weitung der Fenster und ei-
nem Türdurchbruch zwischen den Räumen 13 und
14 dürften die Bauarbeiten vor allem Bodenbeläge
und Wandverkleidungen betroffen haben. Die be-
stehende Bau- und Raumstruktur blieb respektiert.
Der Raum 13 erhielt zwei neue Türdurchbrüche
ınd eine Trennwand eingestellt (Abb. 17). Raum
L& wurde gegenüber Raum 15 durch eine Scheide-
wand abgetrennt.
Das erste Obergeschoss entbehrte ebenso wie
das Erdgeschoss wesentlicher struktureller Ände-
rungen. Zu Gunsten der neuen, breiteren Treppe
wurde die Trennwand zwischen den Räumen 24
einerseits und 25-26 andererseits um etwa 60
Zentimeter zurückversetzt und das hier über Raum
24 ziehende, bemalte Deckengebälk abgetrennt
(Abb. 25). Zu den Fenstern gelten dieselben Be-
funde wie im Erdgeschoss. Auch hier haben wir
noch einige Fensterflügel von 1786 bis ins Jahr
1987 in Verwendung vorgefunden.
29) Am museal versetzten «Schellenberger»-Wohnhaus sind sogar
1793 d noch neue «unechte» Butzenfenster angeschlagen worden.
Butzenscheiben sind mundgeblasen, die Verdickung im Zentrum,
zenannt «Butzen», war der Blasrohransatz. «Unechte» Butzenschei-
Jen sind aus Flachglas geschnitten und kommen in der Übergangs-
zeit vom Butzenglas zum Sprossenfenster verbreitet vor.
30) Ospelt, Josef: Aus den Rentamtsrechnungen für 1786: In: JBL,
Band 48 (1948), S. 21 £.
31) Interessant sind hieraus auch die gesamten Produktionsmengen
ler hierzulande einzigen Ziegelei: Im ganzen Jahr 1786 wurden
Irei Brände beschickt mit insgesamt 17 850 Dachziegeln, 1 510
Bodenplatten, 150 Schnittlingen und 158 Hohlziegeln (als Firstzie-
gel): zudem drei Brände Kalk
7 JITL
Plan 14: Das 2. Oberge-
schoss von 1786, Grund-
riss 1:200
-
x
un.
Saal 35
1 Kamin
. 26
20
HE
—-E
=
Sichtfachwerk
3 )
37
[Kamin
5 ASTA
34
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3.
32
Strasse
nnen AN en
a
N
=
3
AN nn
Ns
aussen
——
10m
Plan 15: Querschnitt durch
ain Türrahmenprofil von
1786. 1:2
N
pa.
A
ww
ba
be
E
a
10m
Das 2. Obergeschoss stammt vom grossen Aus-
bau von 1786 d und verdrängt den dort aufgelege-
nen Dachstuhl von 1666 d (Plan 14). Das Geschoss
ist zu beiden Längsseiten mit einem Mansarddach
versehen, einem charakteristischen Gestaltungs-
element spätbarocker Landhausarchitektur —- be-
nannt nach den Pariser Architekten Francois Man-
sart (+ 1666) und Jules Hardonin-Mansart (1646-
1708). Ein für barockes Bauen typischer, kreuzför-
mig angelegter Längs- und Quergang gliedert das
Geschoss mit den grosszügigen Räumen 31 bis 36.
Die beiden giebelseitigen Aussenmauern sind in
verputztem Rüfestein-Massivmauerwerk hochge-
führt. Die Binnenwände wurden in statisch/funk-
ionellem Riegelwerk erstellt, mit Rüfesteinen aus-
gefacht und vollflächig überputzt (Abb. 33). Alles
Konstruktionsholz ist handgehauen und zur Putz-
haftung teils aufgebeilt, teils mit Holzzäpfchen be-
spickt und partiell gar mit aufgenagelten Hasel:
ruten überzogen. Einzig in Raum 31 blieb das Rie-
gelwerk an der Südost- und Südwestwand vorerst
weiss übertüncht sichtbar.
Sämtliche Räume trugen Gipsdecken auf Latten-
rosten und Strohlehm-Grundputz, in den Räumen
ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
32 und 35 je mit umlaufenden, schlichten Stuck-
profilen und ebensolchen Wandfriesen und Wand-
xehlen bereichert, in Raum 35 zudem mit zwei
Deckenspiegeln, jedoch frei von Ornamenten. Da-
bei glichen die Stuckprofil-Querschnitte jenen der
Türrahmen. Nebst der klaren Raumstruktur galt
die Aufmerksamkeit der Bauherrschaft besonders
der schmucken Ausführung der Türen in beidseits
zeittypisch profilierten Rahmen, angeschlagen an
ziervoll gedrehten Fischbändern (Plan 15). Sämt-
liche Bodenbeläge, Wandputze und Deckenverklei-
dungen sind der Renovation von 1987 zum Ovfer
gefallen.
Dachgeschoss und Dachstuhl wurden 1786 ein-
heitlich als Walmdach neu aufgesetzt, konzipiert
als Estrichraum für Lagerhaltung. Eine Lukarne
mit Aufzugladen über der strassenseitigen Nord-
astfassade ermöglicht die Beschickung mit Waren
direkt ab Fuhrwerk von der Strasse her.
Der Dachstuhl ist aus handgehauenem Nadel-
nolz sorgfältig in liegender Konstruktion gezim-
mert, mit aufgelegtem Sparrendach ohne First-
pfette — so ergibt der in einer Art Sprengwerk ab-
gebundene Stuhl einen stützenfreien Grossraum
\bb. 32: 1. Obergeschoss,
ıaum 26, Nordostwand;
zrau bemaltes Sichtfach-
verk, im Feld rot auf-
semalt oben: «1772 FR»
wohl für Ferdinand
zAheinberger), unten:
„1773 .»
Abb. 33: Das 2. Oberge-
schoss von 1786 d mit
Quer- und Längsgang,
-echts hinten der Saal 35
3innenwände in rein
statischem, verputztem
Cachwerk; nach dem
Antputzen 1987, von
Nesten gesehen
Abb. 34: Der sorgfältig
verzimmerte, liegende
Dachstuhl von 1786 d
(Abb. 34). Einfache Zierfasen an den Binderbalken
bezeugen die Sorgfalt und den Berufsstolz der Zim-
merleute. Dachgeschoss und Dachstuhl sind frei
von Russ, das heisst, die Kamine führten spätes-
tens seit 1786 den Rauch aus Herd und Ofen übers
Dach hoch ins Freie.*? Die Konstruktion bleibt über
lie neuliche Renovation hinaus eindrückliches Bei-
spiel barocker Zimmermannsarbeit.
Zur Datierung des charakteristischen Umbaues
von 1786 liegen einerseits die in der Dachkehle
über der Nordostfassade aufgemalte Jahrzahl,
andererseits Einträge in der Familiengeschichte
Rheinberger vor. Eingehende dendrochronologi-
sche Datierungen am Bauholz bestätigen das Bau-
datum. Sämtliche untersuchten Bauhölzer sind
einheitlich im Herbst/Winter 1785/86 gefällt wor-
den, so fünf Deckenbalken über der Küche 11-12
gefällt im Winter/Frühling 1786), drei Deckenbal-
<en über den Räumen 23 bis 28, acht Balken aus
3oden und Fachwerkwänden des zweiten Oberge-
schosses, sowie sechs Balken aus dem Dachstuhl.
Das übereinstimmende Zusammentreffen zweier
verschiedener Datierungen wie aufgemalte Jahr-
zahl und dendrochronologisch ermittelte Bauholz-
Fälldaten widerlegt einmal mehr die landläufige
Meinung, Bauholz sei früher vor seiner Verwen-
dung besonders lang und sorgfältig getrocknet
worden. Das Gegenteil ist der Fall, denn schlagfri-
sches Holz lässt sich merklich besser von Hand be-
arbeiten als trockenes - was wir bei der heutigen
Mechanisierung kaum mehr wahrnehmen. Auch
xonnte damals Bauholz nicht ab Lager gekauft
werden, der Bauherr holte die Stämme selber aus
dem Walde.
Ja,
ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
Bauten und Erneuerungen im
ausgehenden 19. und 20. Jahr-
hundert
Plan 16: Das 1. Oberge-
schoss von 1838, Grund:
riss 1:200
Scheune und
Stallungen
10 m
Torkeigebäude
a
28
2
SE
25
Ofen
dd
=
Ofen |
23
209
‘x
Mh dem in
26
r
Fk
Pa "———— >—
— Strasse
1838 wurde im Löwen wieder umgebaut. Das erste
Obergeschoss erhielt eine Raumstruktur barocker
Art mit zeittypischem axialem Erschliessungsgang
eingepasst (Plan 16). Hierzu traten die Räume 21
und 23 je die erforderliche Baufläche ab. Die neuen
Gangwände sind in überputztem Fachwerk erstellt,
die bisherige Trennmauer zwischen den Räumen
23 und 28 als einstige Südwestmauer des Kern-
baues wurde abgetragen. Das Deckengebälk über
den Gaststuben 14 und 19 wurde erneuert. Hieraus
liefern uns vier Balken das dendrochronologisch
ermittelte Baudatum 1838.
1881 entstand entlang der Südostfassade ein
zweigeschossiger Laubenanbau in zeittypischer
Holzarchitektur (Abb. 6); zweifellos ein beliebter
Aufenthaltsort der Gäste, mit dem grandiosen Aus-
blick über Weingärten und Schloss Vaduz in die
nahen und fernen Berge. In den Gaststuben 14 und
32) Hierzulande werden Kamine vor allem seit der zweiten Hälfte
les 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis übers Dach
ıochgeführt, bis dahin mündeten Kamine im Dachraum, wodurch
Jachstühle vom Rauch verrussten und teilweise richtiggehend
‚erpechten.
Die Ökonomiebauten
19 verkleidete maseriertes Brusttäfer die Wände.
Der strassenseitige Gasthof-Eingang erhielt an Stel-
je des bisherigen Stichbogens einen horizontalen
Sturz und neue Portalflügel.
Anlässlich einer Modernisierung um 1952 ist
der signifikante Laubenanbau von 1881 durch eine
eingeschossige, verglaste Veranda ersetzt worden.
Diese ist 1987 nun zu Gunsten einer besseren Ak-
zeptanz der barocken Architektur des Gasthofes
ersatzlos abgebrochen worden (Abb. 5).
Zudem wurden im 19. und beginnenden 20.
Jahrhundert im Zuge diverser Unterhaltsarbeiten
partiell Sprossenfensterflügel ersetzt. Im Zweiten
Obergeschoss erfuhr der Saal 35 durch Einstellen
von Trennwänden eine Dreiteilung - wobei die dor-
tige Stuckdecke teilweise zerstört wurde - und der
Raum 36 erhielt Abstellkammern eingebaut.
1804 entstand der mächtige Ökonomietrakt mit
Forkelraum, Pferde- und Viehstallungen, Tenne
uınd Heuraum, wie er noch heute die eindrückliche
Zrscheinung des Löwen mitprägt (Pläne 17 bis 19,
Abb. 35 und 36). Der Hanglage wegen entspricht
sein Erdgeschoss-Niveau jenem des Kellergeschos-
ses im Gasthaus. Es barg den Torkelraum (Abb.
37), sowie grosse Pferde- und Viehstallungen (Abb.
38), im Obergeschoss lagen über dem Torkel Werk-
ınd Lagerräume, über den Ställen die Tenne und
der Heuraum. Eine Auffahrtsrampe führte von der
Strasse her gleich in die Tenne hoch. Ein mächtiges
YHalbwalmdach mit liegender Stuhlkonstruktion
lberspannt den Heuraum stützenfrei und über-
deckt etwa 2 500 Kubikmeter umbauten Ökonomie-
raum. Die Aussenmauern sind über beide Geschos-
se hoch besonders sorgfältig in Bruchsteinen ge-
[ügt, innen unverputzt, aussen dünn überputzt.
Wiederum zeigen sich Tür- und Fensterleibungen
in Tuffquadern gesetzt, die Tür- und Fensterstöcke
wurden in Holz gefertigt. Die Binnenwände über
dem Torkelraum bestehen aus überputztem Fach-
werk. Fünf Deckenbalken über dem Torkelraum
und sechs Scheunen-Dachbalken sind, dendro-
chronologisch ermittelt, im Herbst/Winter 1803/04
zefällt worden.
Im 19. und 20. Jahrhundert wurde zwar die
Stallscheune da und dort renoviert und momenta-
aen Nutzungsbedürfnissen angepasst, so trägt ein
Deckenbalken über dem Pferdestall die Jahrzahl
1886 eingekerbt und verweist wohl auf solcherlei
3aumassnahmen, doch wesentliche strukturelle
Änderungen sind nicht bemerkt.
Bereits zum Kernbau des 14. Jahrhunderts muss
an Stelle des heutigen Torkelraumes ein Anbau ge-
standen haben, entsprechende Fundamentreste
sind zwar festgestellt, geben sich aber nicht mehr
ganzheitlich zu erkennen.
Anlässlich der Gasthoferweiterung von 1666 d
stand an aktueller Stelle bereits ein Gebäude mit
nordostseitiger, hölzerner Giebelwand in Bohlen-
ständer-Konstruktion und einer Firstrichtung quer
zur Strassenachse. Entsprechende Befunde haben
sich als Negative im aussenseitigen Mauermörtel
der 1666 neu erbauten Südwestmauer zu den
ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
480.00
Südwesten
Nordosten
478.00
376.00
“"
ZT 3
174.00
C
472.00
10G
170.00
3
168.00
&
©
166.00 <<
Gehboden: |
m 14. Jh.
464.00
(0m
A
?lan 17: Querschnitt durch
len Gasthof von 1776,
1:100; in dunklem Grauton
ler Kernbau des 14. Jahr-
ıunderts, in hellem Grau-
‚on die Erweiterung von
666
ss LP ESLLS
Rüteschutt /
‚Auffüllung L
kankadehlnhnhlnklhlahlnklahe
Baugrund-Niveau
im 14. Jh.
KG
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10m
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Viehstall
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Wasch-
| küche
„auben-
‘undation
3).
)
kmahar |
0972
_
A!
Plan 18: Das Kellerge-
schoss bis 1987, Grundriss
1:200
Abb. 35: Südansicht der
Ökonomiebauten von
1804; links die mächtige
Stallscheune unter breitem
Halbwalmdach, rechts das
Torkelgebäude
ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
— gm ——
10 m \"
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Laube
1881
"1952
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”Luther - Stübli” _
1666 [
* 16. Jh.
Küche
um 1380| — MM
y
3aast - Stube
17
„reuzgewölbe
Scheune
1666
‚oz
Auffahrtrampe\
Zufahrt zum
Kellergeschoss
\
Y
ar
s<\{
"aSSEe
Plan 19: Das Erdgeschoss
bis 1987, Grundriss 1:200
mit Grautönung der kubi-
schen Entwicklung
Abb. 36: Westansicht der
Stallscheune von 1804
aıach der Renovation von
1987/89
Abb. 37: Nordeinsicht in
den Torkelraum von 1804
mit dem mächtigen Press-
baum aus der Zeit um
L600
Räumen 15 und 16 abgezeichnet. Die vorgefundene
Dachschräge lässt sich zu einem zweigeschossigen
Gebäude mit flachem, etwa 22° geneigten Dach
für Legschindeldeckung rekonstruieren, wobei die
Traufe auf etwa 470.5 und der First auf etwa 473.0
m ü. M. gelegen haben mögen. Würde die Dach-
schräge zu einem symmetrischen Satteldach er-
gänzt, so hätte die seinerzeitige Scheune etwa
denselben Grundriss bedeckt, wie die heutige, bei
einer um ein Geschoss geringeren Höhe. In den
Mauern des heutigen Ökonomietraktes sind diverse
Teile älterer Rüfestein-Mauerscheiben bis knapp
ein Geschoss hoch noch erhalten, sie lassen sich
jedoch auf Grund unserer partiellen Untersuchung
nicht ganzheitlich erkennen. Zweifellos handelt es
sich aber um Bauteile von zum Löwen gehörigen
Ökonomiegebäuden.
Die mächtige Weinpresse ist 1805 nach dem
Neubau des heutigen Torkelgebäudes renoviert
worden (Abb. 37); zwei Bauhölzer der Hinterdogge
sind im Herbst/Winter 1804/05 gefällt worden. Der
Torkelbaum selber wurde, dendrochronologisch
ermittelt, nicht vor 1596 gefällt®*® — was sich durch-
aus mit unseren Befunden deckt, wonach 1666
bereits ein Ökonomietrakt stand mit etwa dem-
selben Gebäudegrundriss wie der heutige von
1804.
mancher erhält in zwei, drei Jahren einige Stücke;
Die Sache ist auch nicht wohl zu ändern, denn es
müsste beinahe alle zwei, drei Jahre eine neue
Austeilung vorgenommen werden, wenn wiederum
einige Familien entstehen, und endlich würde
deren Weidgang für die so grosse Herde und dem
Wuhrbau kein Terrain mehr übrig bleiben. Die
so hoch angerühmte Tragung der Gemeindslasten
der Supplikanten steht in Rücksicht ihrer Kräfte
gegen die anderen Gemeindsmänner in einem sehr
schwachen Verhältnis. Weilen es aber allgemeinen
Rechtens und besonders in dem Hochlöbl.[ich]en
Schwäbischen Kreis bei allen wohlpolizierten Herr-
schaften in Gebrauch und Übung ist, dass bei sol-
chen wohlhergebrachten Gemeindseinrichtungen
nichts abgeändert werden darf, wenn nicht eine
übergrosse Stimmenmehrheit bey einer versam-
melten Gemeinde nicht just dem Personen-, son-
dern Possessions-Stand oder der Ansässigkeit nach
auf die Abänderung stimmet, so berufen wir uns
auf dieses Recht und behelfen uns dessen, und da
der Supplicanten in Vaduz nur 34, in Schaan aber
nur 23 sind, mithin die andern der neuen Abthei-
lung widersprechende Gemeindsleuthe mehr als %
von beyden Gemeinden sind, so müssen wir uns
gegen dieses Ansinnen verwahren und ein Hoch-
löbljich] Hochfürstl.[iches] Oberamt untertänig bit-
ten, die Supplikanten mit ihrem Gesuch ab- und
auf die bisherige Observanz zu verweisen.» 5 9
Auf diese Stellungnahme hin ruhte die ganze
Angelegenheit wieder. Jedenfalls fand sie keinen
Niederschlag in den Akten des Oberamts.
Am 21. Dezember 1791 erging ein Oberamts-
befehl an die Schaaner Gemeindevorstände. Vier
Vaduzer Gemeindsleute hätten sich beim Oberamt
beschwert, «weil die Vorsteher zu Schan auf ihr bil-
liches Ansuchen, womit ihnen ein Stückel von
ihren Gemeindswaldungen zu Schan nach dem
Landesbrauch und den Gemeindsrechten auf ihre
Häuser angewiesen werden möchte, zur Antwort
gegeben haben, sie geben ihnen Vaduznern bey
ihnen drausen nichts». Auf Anraten der Vaduzer
Vorsteher hätten die Gemeindsleute das Oberamt
ersucht, die Vorsteher von Schaan anzuhalten,
ihnen etwas zuzuteilen, ansonsten wären sie und
ihre Gemeindsleute bemüssigt, «auf Absonderung
und Vertheilung der Gemeinheiten anzudringen».
Das Oberamt brachte die Beschwerde den Schaa-
ner Vorständen zur Kenntnis mit dem Auftrag, den
Klägern zu willfahren «und dadurch Trennung und
Zwistigkeiten zu verhüten» oder aber sich vor dem
Oberamt zu äussern, warum sie dem Gesuch nicht
stattgeben wollten. 5 0
Am 31. Dezember 1791 gaben die Schaaner
Vorstände zu Protokoll, man sei nicht dagegen, den
Klägern ihren gebührenden Teil von den Ge-
meindswaldungen zu geben, «nur sei dermal keine
Zeit, dieses Geschäft vorzunehmen; dann aber sey
es auch billig, dass sie Kl[äger] ihre Häuser in die
Steuer geben.» Diese Antwort wurde den Klägern
mitgeteilt.61 Die Angelegenheit schien vorläufig
erledigt.
Am 8. März 1793 klagte Joseph Boss, Bürger von
Vaduz, beim Oberamt gegen die Gemeindsvorste-
her von Vaduz wegen «entrissener Gemeindsgüter
und Vortheile allda». Die Vorsteher von Vaduz hät-
ten Boss im vorigen Jahr die Gemeindsnutzungen
entzogen, weil er nach Schaan gezogen sei. Boss
habe 17 Jahre lang Gemeindsdienste geleistet. Das
Oberamt solle «die Herren Vorsteher zu Vaduz»
anhalten, ihm sowohl die entrissenen Gemeinds-
güter «als auch die durch 17-jährige Leistung
der GemeindsBeschwerden erworbenen Vorrech-
te» zurückzugeben. Die Beschwerde wurde den
Vorstehern der Gemeinde Vaduz zugestellt mit dem
Auftrag, sich innert acht Tagen dazu zu äussern. 6 2
Eine Antwort erfolgte zunächst nicht.
Etwas später meldeten sich die Gemeindsleute,
die bereits früher Beschwerde geführt hatten, er-
neut beim Oberamt. Mit Schreiben vom 5. Novem-
ber 1793 beruhigte sie das Amt. Es habe ihre
Beschwerde keineswegs vergessen und wolle ih-
nen helfen, da ihre Beschwerde begründet sei.
Dann folgten längere Ausführungen über die
Schwierigkeiten einer gerechten Verteilung der
Gemeindsteile. Schliesslich schlug das Oberamt
vor, jene Beschwerdeführer, die die Gemeinds-
lasten schon länger tragen, sollten umgehend einen
Teil zugewiesen erhalten. Zudem sollte der gelten-
de Gemeindsbrief geändert werden. Danach sollte
20
ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
Ein bau- und architektur-
historischer Rundgang
Der Gasthof Löwen in Vaduz zählt mit seiner über
600-jährigen Geschichte zu den ältesten Wohnbau-
ten Liechtensteins, und mit seiner breiten Palette
bautechnischer und kunsthandwerklicher Elemen:-
te zugleich zu den architekturhistorisch bedeutend-
sten. Mit der Renovation von 1987/89 erfüllt das
Objekt betriebstechnisch und gestalterisch neueste
Bedürfnisse, wie sie Gasthöfe der gehobenen Mit-
telklasse auszeichnen.
Das Äussere des markanten Gebäudekomplexes
repräsentiert die Erneuerung und Aufstockung des
Gasthofes 1786 in spätbarocker Gestaltung durch
den erst 23-jährigen Johann Rheinberger sowie
dessen Ökonomietrakt-Neubau von 1804. Das brei-
te Mansarddach —- dessen Ursprünge liegen im
Paris des 17. Jahrhunderts - gewann vor allem im
ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert
in der spätbarocken Architektur der Ostschweiz für
kurze Zeit an Beliebtheit und kehrte gegen Ende
des 19. Jahrhunderts im Zuge des Französischen
Neubarocks nochmals zurück. Im Fürstentum
Liechtenstein liegt ausgeprägte barocke Wohn-
haus-Architektur nur spärlich vor. Die Fensteröff-
naungen des Erd- und ersten Obergeschosses ent-
stammen in ihrer Verteilung vor allem dem 17. und
18. Jahrhundert, die charakteristische Sprossen-
fenster-Teilung jedoch der Erneuerung von 1786.
Der Löwen gehört hierzulande zu den ersten mit
Sprossenfenstern —- diesen seit 1750 ebenfalls von
Frankreich her kommenden «neuen Gläsern» -
ausgestatteten Bauten an Stelle der seit dem 15.
Jahrhundert verwendeten, weniger lichtdurchlässi-
gen, mundgeblasenen Butzenscheiben. Der Ökono:
mietrakt veranschaulicht mit seiner Erscheinung in
der weitestgehend originalen Architektur von 1804
mit den einst geräumigen Pferde- und Viehstallun-
gen und der mächtigen Heuscheune einerseits die
damalige überragende wirtschaftliche Bedeutung
des Löwen in einer Zeit grosser und prekärer Ver-
armung der Landbevölkerung - Johann Rheinber-
ger war 1807, mittlerweite 44-jährig, der grösste
Liegenschaftenbesitzer in Vaduz —, andererseits die
grosse Bedeutung des Pferdes im Handels- und Rei-
severkehr im ausgehenden 18. und 19. Jahrhun-
dert mit entsprechenden Stallungen und Futter-
vorräten entlang der zwischen 1770 und 1786 zur
Fahrstrasse ausgebauten «Deutschen Strasse».
Die kürzlich erfolgte Renovation macht sich vor
allem in der Detailausführung bemerkbar. Zu Guns-
ten einer besseren architektonischen Erscheinung
ist südostseits der verglaste Verandaanbau von
1952 ersatzlos abgebrochen worden. Alle teils bis
200-jährigen Sprossenfenster, mit den zugehörigen
zeittypischen, hölzernen Mittelpfosten und Fens-
;erkreuzen —- als nicht unwichtige Architekturele-
nente - sind durch Isolierfenster ersetzt. Über den
einstigen Stalltüren fehlen seit 1989 die für deren
Bauzeit von 1804 d charakteristischen Oberlichter,
die handgeschmiedeten Stallfenstergitter sind durch
.ndustriell gefertigte ausgewechselt.
Jer Innenausbau der Gasträume ist 1987/89
ınter weitgehender Erhaltung der historischen
Raumstrukturen beinahe vollständig erneuert wor-
den, trifft aber mit seiner bunt historisierenden
Gestaltung in qualitätvoller Ausführung und der
gekonnt gewählten, vielfältigen Möblierung zwei-
fellos den Geschmack und die Zustimmung einer
breiten Gästeschar - und wäre eine eigene kunst-
geschichtliche Würdigung wert!
Die Gewölbekeller zeigen sich im Grossen und
Ganzen nach wie vor im Kleide des ausgehenden
14. Jahrhunderts.
Im Erdgeschoss vermag von der alten Sub-
stanz vor allem die stark ausgetretene, 600-jährige
Serpentinschwelle zur heutigen Küche zu beein-
drucken. Die Räume 15, 16, 17 und 18 zeigen die
Holzbalkendecke von 1666 d mit eingeschobenem
Schrägboden, nun gereinigt und partiell braun
überstrichen. Die einstige Rundbogentür des 14.
Jahrhunderts von Gang 11 in den mit einem Kreuz-
gewölbe überspannten Raum 13 vertritt nun als
Wandnische beispielhaft das ursprüngliche tuffstei-
nerne Rundbogen-Türgewände romanischer Ma-
nier aus der Zeit um 1380. In der Gaststube erin-
nert die versetzte Wandmalerei mit der «Anbetung
33) Frommelt, Hansjörg: Winzerhäuser und Torkelbauten in Vaduz.
in: Vaduzer Wein. 100 Jahre Winzergenossenschaft. Vaduz, 1996,
S. 145.
Abb. 38: Nordosteinsicht
n die Pferdestallungen
von 1804, nach Abbruch
einer hölzernen Trenn-
wand
Jes Christuskindes durch die Heiligen Drei Könige»
an die Bedeutung des Löwen in den Anfängen des
16. Jahrhunderts, als das Land unter der Herr-
schaft der Grafen von Sulz stand. Im Goethestüb-
chen dient das gestemmte Brusttäfer von 1881, neu
herausgeputzt, weiterhin als schmucke Wandver-
kleidung. Eine neue, eichene Treppe barocker Ge-
staltung —- eine industriell gefertigte Kopie jener von
1786 - führt in die Obergeschosse. Die schwungvol-
‚en Wand- und Deckenmalereien von 1744 in ba-
rocker Rankenornamentik sind weg, doch versucht
die Rekonstruktion der Deckenmalerei in Raum
25/26 den optimistischen Geist jener Zeit über die
Jahre zu retten.
ZUR BAUGESCHICHTE DES HOTELS LÖWEN - EINER
JAHRHUNDERTEALTEN TAVERNE / PETER ALBERTIN
Im zweiten Obergeschoss verursachte die Erwei-
terung der Gastzimmer um je ein Bad/WC die Re-
duktion des 1786 in barocker Manier kreuzförmig
angelegten Ganges, zur Hebung des Wohnkomfor-
tes sind die Wände aufgedoppelt - geblieben sind
die ziervoll profilierten Türrahmen von 1786.
Das Dachgeschoss dient weiterhin lediglich
extensiv als Estrichraum, so bleibt der qualitätvoll
abgezimmerte Dachstuhl von 1786 als Zeuge ge-
konnter Handwerksarbeit erhalten und sichtbar.
Aus dem Ökonomietrakt haben sich der haus-
eigene Landwirtschaftsbetrieb und die Weinkel-
terei bereits vor Jahren verabschiedet. Seit der
kürzlich erfolgten Renovation erfüllen die Räum-
lichkeiten neue Aufgaben. Im rückwärtigen Teil des
Ökonomietraktes sind Nebenräume und haustech-
nische Installationen untergebracht. Tenne und
Heuscheune dienen losgelöst vom Gasthofbetrieb
als Verkaufs- und Ausstellungslokal für qualitätvol-
le Antiquitäten. Im Torkelraum mit der 1805 d
erneuerten, kräftigen Weinpresse und dem aus der
Zeit um 1600 d stammenden eichenen Torkelbaum
lädt eine grosse Tafel zum gesellschaftlichen Zu-
sammensein. Die einstigen Pferde- und Viehställe
sind in sorgfältiger Art zu einem grossen Saal
zusammengefasst. Die unverputzten Bruchstein-
mauern, hölzernen Tragkonstruktionen und das
gebündelt durch die hochliegenden, kleinen Fens-
ter einfallende Aussenlicht sorgen für eine beson-
dere Stimmung.
Abb. 39: Osteinsicht in die
Pferde- und Viehstallungen
nach dem sorgfältigen
Umbau mit Umnutzung
1987/89
ABBILDUNGSNACHWEIS
Alle Pläne und Abbildun-
gen: Peter Albertin und
Mitarbeiter/innen; ausser:
Abb. 6: Liechtenstei-
nisches Landesmuseum,
Vaduz
Abb. 21: Heinz Preute,
Vaduz
ANSCHRIFT DES AUTORS
Peter Albertin
Bauanalytiker
Etzbergstrasse 33
CH-8405 Winterthur
REZENSIONEN
REZENSIONEN / BAU- UND KUNSTDENKMÄLER
[M FÜRSTENTUM LIECHTENSTEIN
Bau- und Kunstdenkmäler im
Fürstentum Liechtenstein
«BILDBAND MIT TEXT»
Die Darstellung vergangener Kulturbestände im
liechtensteinischen Talraum begleitet dessen Zer-
siedelung und Neubebauung wie ein Schatten.
Mittlerweile sind Denkmalschutz und Baudoku-
mentation zu Staatsaufgaben mit identitätsverge-
wissernder Funktion geworden. Der vorliegenden
Publikation ist es um die Identität, die «Seele» von
3au- und Kunstdenkmälern zu tun. Deren einfühl-
same wie verständige Bewahrung, als Zeit- und
Stildokument, ist mit ein praktisches Anliegen des
Autors Anton Wilhelm. Wie aber kann ein über
Jahrhunderte geprägter Kulturraum zwischen zwei
Buchdeckel gefasst werden? Bereits der Buchtitel
nimmt Abstand von einer umfassenden Darstellung
des interessierenden Bestandes. Denkmäler «im
Fürstentum Liechtenstein» meint hier ausgewählte
Bau- und Kunstzeugnisse, im Lande lokalisierbar,
aber über dessen Grenzen hinausweisend. Zudem
haben sich Autor und Verlag für eine im Text eher
komprimierte, im Bildaufbau dafür grosszügige
Buchaufmachung entschieden. Der Kunsthistoriker
Anton Wilhelm kann für den Textteil auf eine um:
fangreiche Literatur, darunter einige jüngere Bau-
lokumentationen sowie eigene Arbeiten zurück-
greifen. Die Publikation ist kein Forschungsbeitrag,
sondern illustrierter Wissenstransfer für eine er-
K«lärtermassen weiter gezogene Leserschaft. Die
Mehrzahl der im Buch gezeigten Denkmal-Porträts
wurde vom spanischen Fotografen Ignacio Marti-
ıez Suärez eigens für die Publikation erstellt. Dies
oringt einen malerischen Zug in die Betrachtung,
ımso mehr als Wilhelm den Akzent auf die vorin-
dustrielle Vergangenheit, die «Alte Bau- und Wohn-
<ultur» legt.
ANTON WILHELM: BAU-
UND KUNSTDENKMÄLER
[IM FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN
Dieth-Kulturverlag,
Lauterach, 1997.
263 Seiten, CHF 98.-
ISBN 3-901 362-05-0
ÄLTERE UND JÜNGERE DENKMÄLER
Die im Buch starke Präsenz bäuerlicher Wohn- und
Wirtschaftsgebäude ist gegenüber ähnlich pitto-
cesken Liechtenstein-Bildbänden allerdings ein Ge-
winn. Das agrarische Liechtenstein ist hier nicht
einfach die reizvolle Beigabe zu Landesimpres-
sionen, sondern eben sichtbarer Niederschlag lan
ge vorherrschender Wohn- und Lebensformen.
Schliesslich werden Bauernhäuser in Innenausstat-
tung und Funktion angesprochen. Durch Umbau
ten scheinen einige von ihnen über Jahrhunderte
praktische Nutzungs- und Lebensorte geblieben zu
sein. Sinnvoll ist auch, dass im Text Verbindungen
hergestellt werden, die in den Bildern unausge-
sprochen beziehungsweise in der fotografischen
[ndividualisierung von Gebäuden auch unanschau-
lich bleiben. Wie immer aufschlussreich sind jene
[nformationen, welche die örtliche materielle Kul-
tur in ihr nahes und weiteres Umland einbetten.
Auch hier kann Wilhelm an bereits Publiziertes
anschliessen, insbesondere an das derzeit sich in
Neubearbeitung befindliche Standardwerk von Er-
win Poeschel aus dem Jahre 1950.' Die Auslands-
verwiesenheit von Ortsansässigem zieht sich auch
in diesem Buch durch alle Bereiche, vom Rhein-
taler Bauernhaus über die spätgotische Kirchen-
plastik aus dem süddeutschen Raum bis zu den
Stationsgebäuden der österreichischen Eisenbahn
im Durchgangsland Liechtenstein.
Zu kurz greift der Band gegenüber dem eigenen
Vorsatz, «anhand von Bau- und Kunstdenkmälern
das Fürstentum Liechtenstein als Kulturraum vor-
zustellen». Letzterer ist eben nicht nur erhaltens-
wert, sondern auch wandelbar. Hier kann eine all-
zu kulinarische Darstellungsweise von Gebäuden
das kulturelle Gepräge verklären und verunklaren.
Zumeist begegnen uns die vom Autor beschriebe-
nen Objekte oder Objektgruppen als fein aus Dorf-
bild und -entwicklung herauspräparierte, sonnen-
beschienene und menschenleere Stilleben. Der
Zusammenhang von Ökonomie, Siedlungsgeschich-
te, Dorfwandel und Wohnformen bleibt unanschau-
lich und unerkannt. Damit wird der Kulturraum
nicht nur faktisch unterbelichtet: Sein bauliches
Erscheinungsbild wurde in den Jahrzehnten nach
dem Zweiten Weltkrieg stärker geprägt als in den
vielen Jahrhunderten zuvor. Angesichts anderer
Möglichkeiten der Bilddokumentation (historische
Bildvergleiche, Siedlungsaufnahmen, Veduten etc.)
entspricht die gewählte Präsentation auch einer
inhaltlichen Verkürzung des Kulturbegriffs.
RÜCKWÄRTSGEWANDTER KULTURBEGRIFF
Wilhelm legt einen konservatorischen Akzent auf
bäuerliche und vorindustrielle Kulturzeugnisse.
Dies ist vor dem Hintergrund des anhaltenden
Landschaftsfrasses und einer grassierenden Bau-
wut nur zu verständlich. Problematischer ist es,
auch den Begriff des Kulturraums vom Tradierten
herzuleiten. Bereits im Geleitwort wird der zu-
nächst allgemein eingeführte Begriff der «Kultur-
iandschaft» zurückbuchstabiert auf ein Ensemble
traditioneller Merkmale: Bauernhäuser, Dorfbrun-
nen, Kirche und Burg. Diesen Bestand gelte es als
«Kulturerbe» zu wahren, gegen dessen «Verun-
treuung» und gegenüber «störend eingreifender
neuzeitlicher Bauentwicklung». Was genauer unter
solchen Vorgängen zu verstehen sei, wird nicht
weiter erörtert. Tatsächlich verharrt das Buch in
einer unentschiedenen Stellung zu Bauten und
Bauentwicklungen der jüngeren Vergangenheit.
Angemessen und beinahe überfällig ist einerseits
die Aufnahme moderner Zweck- und Wohnbauten
in einen derart kursorischen Denkmalsführer zum
liechtensteinischen Kulturraum. Hier finden Ar-
chitekturdokumentation und Industriearchäologie
auch bei Wilhelm zu ihren vereinzelten Schaufens-
tern. Jedoch gerät hier die auswählende Präsenta-
tionsweise zu einer äusserst knappen bis dürftigen
Katalogisierung jener Denkmäler, mit und in denen
wir immerhin noch leben.
Gerade im Falle industrieller Grossbauten zei-
gen sich die Defizite einer Gebäude und Gebäude-
gruppen isolierenden Darstellungsweise. Vermisst
werden müssen Hinweise auf jenen Kontext, in
welchem Industriebauten in Liechtenstein entstan
den sind und stehen, ebenso deren genauere Loka-
lisierung im Landschaftsbild. Während bei Bauern-
häusern oft noch Nutzungs- und Naturhintergrün-
de angesprochen und im Bild erahnbar werden,
sind Sprache und Bilder gegenüber den Fabriken
inhaltsarm und geglättet. Zur Textilfabrik Jenny,
Spoerry & Cie. in Vaduz wird wenigstens noch der
Produktionszweck und der sozialgeschichtliche Do-
kumentationswert des Baus angeführt. Anders bei
zwei modernen Industriebauten in Schaan. Der
u
REZENSIONEN / BAU- UND KUNSTDENKMÄLER
IM FÜRSTENTUM LIECHTENSTEIN
Text zu den drei bildlichen Gebäudestudien be-
gnügt sich mit einer Sprache, die sich kaum mehr
von firmeneigener Werbung unterscheidet. Mit ei-
nem bemerkenswerten Unterschied: Es bleibt un-
erwähnt, welche Produkte eigentlich in den Gebäu-
den konzipiert beziehungsweise fabriziert werden.
Hier stellt sich allerdings die Frage, was Autor und
Verlag bewogen hat, gegenwärtige Industriearchi-
s:ektur in die historischen Baudenkmäler Liechten-
steins zu reihen. Auch bei anderen Vertretern zeit-
geschichtlicher Architektur ist die kunst- und bau-
geschichtliche Aussagekraft gering bis ungenau. So
werden unter die Formensprache des «Neuen Bau-
ens» der Zwischenkriegszeit sowohl ein Wohnhaus
des Architektur-Pioniers Ernst Sommerlad als auch
das etwa zeitgleich entstandene Vaduzer Rathaus
von Franz Roeckle zusammengefasst. Dies ist ange-
sichts der auffällig historisierenden Züge des Rat-
hausbaus nicht nur eine künstlerisch merkwürdige
Assoziation. Die Einordnung Roeckles in die bau-
liche Moderne entbehrt auch nicht der biographi-
schen Ironie: Das Rathaus — schreibt Wilhelm - sei
«in seiner Bauform ganz dem damaligen Zeitgeist
verpflichtet». Franz Roeckle sass bei der Einwei-
hung des Rathauses noch im Vaduzer Gefängnis,
als nationalsozialistischer Mittäter der Rotter-Ent-
führung, in seiner Baugesinnung und wohl auch
politisch weit entfernt vom Zeitgenossen Ernst
Sommerlad
oindungslinien, welche die Einordnung der kunst-
vollen Lebenszeugnisse in Entwicklungszusam-
nenhänge und Siedlungskontexte erlauben, sind
‚edenfalls noch nachzutragen oder von den Lesen-
den anhand der angegebenen Literatur selbst zu
ergänzen. Angesichts der von Wilhelm geübten
Aufmerksamkeit für Sakral- und Profanbauten der
älteren Vergangenheit wäre eine ebenso verstän-
dige Fortschreibung in die zeitgeschichtliche Ge-
genwart wünschbar und erhellend.
1) Erwin Poeschel: Die Kunstdenkmäler des Fürstentums Liechten-
stein. Basel, 1950,
FORTSCHREIBUNG IN DIE GEGENWART
Die Vorstellung des liechtensteinischen Kultur-
raums im vorliegenden Bildband folgt dem Verlauf
der Gemeinden von Norden nach Süden. Das von
Wilhelm beschriebene Kulturerbe erschliesst sich
freilich im Übergreifen dieser politischen Gliede-
rung. Hier gibt der Band einiges Anschauungsma-
terial für historische Verbindungen im liechten-
steinischen und weiteren Alpengebiet. Was eine
gerade durch die englischen und französischen
Vorworte angesprochene Leserschaft hierbei ver-
missen wird, ist eine kartographische Darstellung
des besprochenen Raumes. Kulturräumliche Ver-
ANSCHRIFT DES AUTORS
Mag. Jürgen Schremser
Pradafant 24
FL-9490 Vaduz
JAHRESBERICHT
DES HISTORISCHEN
VEREINS FÜR DAS
FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
ein fälliger Gemeindsteil nicht mehr vom Vater auf
den Sohn, sondern auf den jeweils ältesten Anwär-
ter übergehen. 6 3
Ein inhaltlich fast gleiches Schreiben ging am
selben Tag an die Gemeindevorgesetzten von Va-
duz mit dem Schluss: «Man zweifelt nicht, die Vor-
gesetzten werden als Männer, die die Billigkeit
lieben, diese Beschwerden gar wohl einsehen, und
selbst trachten, dass eine Ungleichheit abgestellet
und künftighin gegründete Klagen vermieden blei-
ben». 6 4
Die erwähnten verschiedenen Klagen hatten
das Verhältnis zwischen Schaan und Vaduz offen-
sichtlich zusehends belastet. Am 27. Juni 1793
führte die Gemeinde Vaduz erstmals Klage gegen
Schaan. 6 5 Seit einiger Zeit bestünden Klaggründe
gegen Schaan. Jetzt würden sie schriftlich vorge-
bracht, um eine Regelung zu erreichen. Es handel-
te sich um folgende Klagpunkte: Erstens brächte
das Schaaner Sommerried nicht den möglichen
Nutzen; ein Teil des Rieds sollte «gemeinschaftlich
eingegraben werden, damit das Streue-Ried von
dem Atzungs-Ried geschieden, und so jeder Theil
für den Gemeindsmann in allweg nützlicher und
brauchbarer werde». Zweitens sollte Schaan eini-
gen Vaduzer Gemeindsleuten im Schaaner Bezirk
nutzbare Waldungen anweisen. Drittens hätte
Schaan vor einigen Jahren herrschaftliche Güter
angekauft, davon aber bisher keine Steuer erlegt.66
Auch diese Güter müssten in die Steuer gelegt
werden. Das Oberamt wolle, so schloss die Klag-
schrift, «die Gemeinde Schaan und ihre Bürger
dahin anzuhalten geruhen, dass diesen unsern
Klägden nachbarlich abgeholfen, und unsere Wün-
sche erfüllet werden mögen». Die Beschwerde
wurde der Gemeinde Schaan zugestellt mit dem
Auftrag, sich innert 14 Tagen «darüber standhaft
vernehmen zu lassen». Ob und wie sich Schaan
dazu geäussert hat, ist aus den Akten nicht zu
entnehmen.
Wahrscheinlich waren alle bisher erwähnten
Vorstösse vorerst ergebnislos geblieben. Am 27.
März 1795 jedenfalls gelangten vier «minder ver-
mögliche Untertanen in der Gemeinde Vaduz», die
alle schon frühere Beschwerden mit unterzeichnet
hatten, an den Fürsten. 6 7 Sie nahmen sich «die
Freiheit, sich vor dem Throne Ihrer Herzoglichen
Durchlaucht in tiefster Ehrfurcht niederzuwerfen
und um eine Gnade demüthigst zu flehen.» Vor
etwa zwei Jahren, hiess es in der Bittschrift, hätte
der Fürst dem Oberamt den Auftrag erteilt, «dass
die Gemeinheiten zwischen Vaduz und Schaan
voneinander abgesondert und einem jeden, wel-
cher keine Gemeindstheilung hat, ein Stück von der
Allmeind zugetheilet werden solle.» Bisher sei
«wegen besondern Umständen» der Auftrag nicht
erfüllt worden. Deshalb bäten die Unterzeichneten
um Vollzug des Auftrags. Es gäbe viele «arme
Gemeindsmänner», die schon 20, 30 und mehr
Jahre gleich wie die Bemittelten die «Gemeinds-
beschwerden» getragen hätten. Es herrsche harte
und drückende Teuerung, «dass sich der arme und
minder vermögliche Unterthan nebst den Seinigen
kaum mehr mit Ehren durchzubringen im Stande»
sei. Es wäre viel unkultivierter Boden vorhanden.
Wenn davon jedem Notdürftigen ein Stück zugeteilt
würde, könnte dem armen Untertanen «bey gegen-
wärtig üblen Kriegszeiten und in die Zukunft in den
so vielfachen Beschwerden einige Linderung ver-
59) LLA RA 29/3/1/4. Schriftsatz («Fürsteher der Gemeinden Vaduz
und Tschaan» an Oberamt), o. D.. eingegangen am 29. Apr i l 1 790.
60) LLA RA 29/3/1/5. Oberamtsbefehl an die Vorsteher der Gemein-
de Schaan, 21. Dezember 1791.
61) LLA RA 29/3/1/6, Oberamtsprotokoll über die Antwort der
Schaaner Vorsteher, Landammann Lorenz Tschetter und Alexander
Frick. 31. Dezember 1791.
62) LLA RA 29/3/7: Joseph Boss an Oberamt, 8. März 1793, Ober-
amt an Vorsteher der Gemeinde Vaduz. 14. März 1793.
63) LLA RA 29/3/8. Oberamt an Thomas Hilti und Konsorlen in
Vaduz. 5. November 1793.
64) LLA RA 29/3/9. Oberamt an Gemeindevorgesetzte zu Vaduz,
5. November 1793.
65] L L A RA 29/4. Gemeinde Vaduz an Oberamt wegen «schlechter
und ungleicher Benutzung der Gemeindegüter» . 27. Juni 1793.
66) Damit war wohl der von der Gemeinde Schaan erworbene
Gamanderhof gemeint.
67) LLA RA 32/1/2. Bittschrift von Johannes Ospelt. Thomas Hilty.
Joseph Hilty und J ö r g T h ö n y an die Gemeinde Vaduz. 27. März
1795.
21
Inhalt
Tätigkeitsbericht des Vereins pro 1998
Jahresrechnung des Vereins pro 1998
Archäologie: Tätigkeitsbericht 1998
Liechtensteiner Namenbuch:
Tätigkeitsbericht 1998
Historisches Lexikon für das Fürstentum
Liechtenstein: Tätigkeitsbericht 1998
259
270
276
35
/
1
284
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
Tätigkeitsbericht des Vereins
pro 1998
Wesentliche Ereignisse im Berichtsjahr waren
nebst der Jahresversammlung in Vaduz - das Er-
scheinen von Band 95 und Band 96 der Jahrbücher
des Historischen Vereins. Daneben bemühte sich
der Verein auch erfolgreich um den Abschluss des
Forschungsprojektes «Nach Amerika'!», die zwei-
bändige Publikation konnte schliesslich Ende No-
vember 1998 der Öffentlichkeit präsentiert werden.
Der Historische Verein setzte sich 1998 zudem
dafür ein, dass die Erinnerung an das europaweite
Revolutionsjahr 1848 auch in Liechtenstein wach-
gehalten wurde. Ein wichtiger Einschnitt in die
Vereinsgeschichte erfolgte durch die Abgabe der
Trägerschaft für die archäologische Forschung per
Ende 1998. Daraus erwachsende Konsequenzen
ür die Vereinsstrukturen wurden im Vorstand
erörtert. Es war und ist dem Vereinsvorstand ein
Anliegen, dem Verein auch inskünftig eine mate-
rielle und finanzielle Basis für die Zukunft zu
sichern. Ein Blick in die Zukunft wurde insofern
auch getan, als verschiedene Projekte und Aktivitä-
ten im Hinblick auf das 100-jährige Bestehen des
Historischen Vereins im Jahre 2001 im Berichts-
jahr 1998 beschlossen wurden.
JAHRESVERSAMMLUNG
Die 97. Jahresversammlung des Historischen Ver-
sins für das Fürstentum Liechtenstein fand am 21.
März 1998 im Rathaussaal in Vaduz statt. Der Ver-
einsvorsitzende Dr. Rupert Quaderer eröffnete um
16 Uhr die Versammlung in Anwesenheit von zirka
35 Vereinsmitgliedern. Er begrüsste insbesondere
die anwesenden Vertreter des Landtages, verschie-
dene Ehrenmitglieder sowie Gäste aus der öster-
reichischen und schweizerischen Nachbarschaft.
Für die Jahresversammlung entschuldigt hatten
sich S. D. der Landesfürst, I. D. die Landesfürstin,
der Vaduzer Bürgermeister Karlheinz Ospelt sowie
verschiedene Vereinsmitglieder.
Nach der Begrüssung verlas Aktuar Helmut Kon-
rad das Protokoll der 96. Jahresversammlung vom
26. April 1997 in Triesenberg. Die anwesenden
Vereinsmitglieder genehmigten anschliessend das
Protokoll einstimmig. Die Jahresberichte des Vor-
standes sowie der verschiedenen vom Historischen
Verein getragenen Projekte wurden den Mitglie-
dern bereits vor der Jahresversammlung schriftlich
zugestellt. Der Vereinsvorsitzende Rupert Quaderer
blickte im Rahmen der Versammlung kurz auf die
im letzten Vereinsjahr durchgeführten Exkursionen
zurück und kündigte für das bevorstehende Ver-
ainsjahr weitere Angebote an. Des weiteren ver-
wies er im Zusammenhang mit der Verlagstätigkeit
les Vereins auf das ausserordentlich grosse Inter-
asse, auf das die zweibändige Publikation «Krisen-
zeit — Liechtenstein in den Dreissigerjahren 1928
is 1939» von Peter Geiger gestossen war. Der Ver-
sin dürfe stolz sein auf seinen Beitrag zum Erschei-
ıen dieses Werkes. Dasselbe gelte auch für das
Jahrbuch Band 95, das die Mitglieder vor kurzem
arhalten hatten. Der Vorsitzende dankte allen Auto-
°:en und Autorinnen sowie dem Geschäftsführer für
ihren grossen Einsatz.
Nach einigen Kurzinformationen zu den vom
Historischen Verein betreuten wissenschaftlichen
Projekten standen die Jahresberichte zur Diskus-
sion. Die Gelegenheit zur Diskussion wurde jedoch
nicht genutzt und die Berichte wurden in der Folge
ainstimmig genehmigt.
Anschliessend stimmte die Mitgliederversamm-
‚ung der Aufnahme von 29 Neumitgliedern zu. Sie
zedachte auch der 15 im Berichtsjahr verstorbenen
Mitglieder. Ein besonderes Gedenken galt dem Le-
en und Wirken des verstorbenen Ehrenmitglieds
Felix Marxer. Für ihn war der Historische Verein
jis an sein Lebensende eine Herzensangelegenheit.
Die Jahresrechnung war den Vereinsmitgliedern
wiederum zusammen mit den Jahresberichten in
gedruckter Form zugestellt worden. Kassier Alfred
G00D verlas die wichtigsten Posten der Jahresrech-
ıung. Das erfreulich hohe Vermögen des Vereins
mit einem Aktivsaldo von CHF 402 107.79 musste
‚elativiert werden, da der Verein noch einen Rück-
stand in der Jahrbuchproduktion wettzumachen
1at. (Es sollte dann im folgenden Berichtsjahr 1998
gelingen, durch die Produktion von zwei Jahr-
Jdüchern diesen Rückstand zu verringern.) Nach
dem Verlesen des Berichtes der Kontrollstelle wur-
7“
de die Jahresrechnung 1997 einstimmig geneh-
migt. Ebenfalls einhellig gutgeheissen wurden die
Rechnungen der Fonds «Forschung und Publikatio-
nen» sowie «Nach Amerika!».
Die Mitgliederversammlung stimmte ebenso
dem Vorschlag des Vorstandes zu, die Mitglieder-
veiträge auf der bisherigen Höhe zu belassen. Auch
‚Ur 1998 galt, dass natürliche Personen CHF 75.-,
juristische Personen und Kollektivmitglieder CHF
150.—- sowie Studenten und Studentinnen CHF 40.-
als Jahresbeitrag zu entrichten hatten.
Unter dem Traktandum «Freie Aussprache» lud
der Vereinsvorsitzende Rupert Quaderer die Mit-
gliederversammlung ein, Anregungen und Vor-
schläge einzubringen, Kritik zu üben, Lob zu äus-
sern, etc. Zuerst nutzte Rupert Quaderer selbst die
Möglichkeit zu einigen Äusserungen.
Ausgehend von der Tatsache, dass die Regie-
rung sich Gedanken mache über grundlegende
strukturelle Veränderungen im kulturellen Bereich,
welche sich auch auf den Historischen Verein
auswirken könnten, unterstrich Rupert Quaderer
vor allem die Bedeutung des Jahrbuches: Es stelle
ein «wertvolles und wichtiges Ergebnis der Tätig-
keit des Vereins für die Geschichtsforschung des
Landes und damit für das Land selbst» dar. Um
dessen Publikation — es erscheint ununterbrochen
seit 1901 - weiterhin gewährleisten zu können, ist
eine mittelfristig gesicherte materielle Basis uner-
lässlich, sowohl für das Jahrbuch wie auch für die
Geschäftsstelle, ohne die das Erscheinen des Jahr-
buches in Frage gestellt sei. Der Vorsitzende appel-
lierte in diesem Zusammenhang an die Vereinsmit-
glieder um Unterstützung und brachte auch seine
Hoffnung auf das Verständnis der Verantwortlichen
im Staat zum Ausdruck.
Anschliessend meldete sich Robert Allgäuer,
Ehrenmitglied des Historischen Vereins, zu Wort.
Zr bestärkte in seinem Votum die Worte des Vorsit-
zenden und hielt zudem fest, dass fast alle kulturel-
ien Institutionen in Liechtenstein den Historischen
Verein als Vater oder Mutter hätten und dass sich
der Verein auch heute noch in vielen Bereichen um
deren Gedeihen. kümmere. Er unterstrich deshalb
den Appell des Vorsitzenden an die Mitglieder, den
Verein zu unterstützen und ihm allenfalls auch po-
litisch zu helfen, damit er seine Aufgaben weiterhin
wahrnehmen könne.
Robert Allgäuer äusserte sich auch besorgt be-
züglich der Entwicklung der Ereignisse in der Sa-
che «Anwesen Gamanderhof» in Schaan. Das Land
Liechtenstein und die Gemeinde Schaan hätten die
Möglichkeit, dieses bedeutende und historisch ein-
nalige Zeitzeugnis für die Geschichte der Gemein-
de und des Landes zu erwerben und damit in
öffentlichen Besitz zu nehmen. Allerdings dränge
die Zeit. Robert Allgäuer stellte deshalb den An-
trag, die Mitgliederversammlung solle in einer Re-
solution die Verantwortlichen in Staat und Gemein-
de ersuchen, alles zu unternehmen, damit der
Gutshof «Gamander» in den Besitz der öffentlichen
Hand komme.
RESOLUTION FÜR DEN ERWERB DES
«GAMANDERHOFES» IN SCHAAN DURCH DIE
ÖFFENTLICHE HAND
Die folgende Resolution wurde von den Anwesen
den einstimmig - bei einer Stimmenthaltung
angenommen: «Die öffentliche Hand —- das Land
Liechtenstein und/oder die Gemeinde Schaan - hat
derzeit die grosse Chance, den «Gamanderho® in
Schaan käuflich zu erwerben. Die Jahresversamm-
lung des Historischen Vereins ersucht die Verant-
wortlichen in Staat und Gemeinde, alles zu unter-
nehmen, damit der Gutshof «Gamander>» in den
Besitz der öffentlichen Hand kommt».
Die von der Mitgliederversammlung angenom-
mene Resolution wurde im Berichtsjahr 1998 der
Regierung und der Gemeinde Schaan in schriftli-
cher Form zugestellt. Ergänzend dazu führte der
Historische Verein folgende erläuternde Beweg-
gründe an:
—- Der «Gamanderhof» ist ein bedeutendes und
historisch einmaliges Zeugnis für die Geschichte
nicht nur der Gemeinde Schaan, sondern auch des
Landes Liechtenstein. Das Anwesen «Im Gaman-
der» war früher herrschaftlicher Besitz. Im Jahre
1780 verkaufte der Fürst von Liechtenstein den
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
«Meierhof Gamandra» samt den dazugehörenden
Grundstücken um 15000 Gulden an die «Genoss
Schaan». 1941 schliesslich erwarb die Familie von
Halem das Anwesen «Im Gamander». Nun bietet
die Familie den Hof zum Verkauf an.
- Aus Gründen der Landschafts- und Ortsbild-Er-
haltung ist es wichtig, dass das Anwesen «Gaman-
derhof» mit dem heutigen Umschwung erhalten
oleibt. Da bei einem Verkauf dieses Objektes an Pri-
vate eine Parzellierung und Überbauung sehr
wahrscheinlich ist, sollte die öffentliche Hand die-
ses Objekt erwerben. Dabei geht es nicht in erster
Linie um einen «vorsorglichen Landerwerb», son-
dern um die Erhaltung und Sicherung eines histo-
risch wichtigen Objektes.
- Darüber hinaus ist der Erwerb dieses Gutshofes
durch die öffentliche Hand aber auch ein Zeugnis
‘ür kulturell und historisch verantwortungsbewuss-
ies Denken und Handeln des Staates und der Ge-
meinde Schaan. Ausserdem hätte - bei einem Er
werb durch das Land Liechtenstein —- der Staat ein
äusserst repräsentatives Anwesen für vielseitige
Verwendungen zur Verfügung.
GEPLANTE AKTIVITÄTEN FÜR DAS 100-JAHR-
JUBILÄUM
ım Februar 2001 darf der Historische Verein auf
die ersten 100 Jahre seiner Existenz zurück-
blicken. An der Mitgliederversammlung wurde die
Frage nach den geplanten Aktivitäten zum Vereins-
jubiläum gestellt. Der Vereinsvorsitzende erklärte,
der Vorstand habe sich diesbezüglich bereits Ge-
danken gemacht. Ideen seien vorhanden, zum Bei-
spiel die Erstellung einer Vereinsgeschichte, die
Aufnahme der Jahrbücher auf CD-Rom, die Erstel-
‚ung eines Gesamtregisters für die erschienenen
Jahrbücher sowie die Durchführung verschiedener
Veranstaltungen. Zuerst gelte es aber, die finan-
zielle Seite zu klären, bevor mit der konkreten Pla
ıung einzelner Projekte begonnen werden könne.
Anregungen und Ideen für weitere Aktivitäten wür
den vom Vorstand gerne entgegengenommen.
DANK UND AUSBLICK AUF DAS KOMMENDE
VEREINSJAHR
Abschliessend gab der Vorsitzende Rupert Quade-
rer einen Ausblick auf die Arbeitsschwerpunkte
des Historischen Vereins für das kommende Ver-
einsjahr. Im Zentrum der Bemühungen stehe die
Herausgabe des Jahrbuches Band 96, die Planung
ınd Durchführung von Exkursionen, die Vorberei-
‚ung des Vereinsjubiläums sowie die Klärung von
vereinseigenen Strukturfragen. Rupert Quaderer
verdankte schliesslich die finanzielle Unterstützung
des Vereins durch die Regierung und den Landtag
sowie weitere Unterstützungsbeitrage durch die
Gemeinden sowie private Gönnerinnen und Gön-
ner. Seinen Dank richtete er an die verschiedenen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den vom Ver-
3in getragenen Projekten und Publikationen. Eben-
so bedankte er sich bei den Vorstandsmitgliedern
für die angenehme und vertrauensvolle Zusam-
menarbeit. Ein weiteres Dankeschön richtete er an
alle Mitglieder für ihre Vereinstreue sowie an alle
Anwesenden für ihr Kommen
ÖFFENTLICHER VORTRAG
Nach ein paar einleitenden Worten von Rupert
Quaderer zur Bedeutung des Revolutionsjahres
1848 für Liechtenstein, deren man sich aus seiner
Sicht zu wenig bewusst sei, referierte Professorin
Brigitte Mazohl-Wallnig von der Universität Inns-
bruck über die Revolution von 1848 in Europa un-
‚er besonderer Berücksichtigung der Ereignisse im
Fürstentum Liechtenstein. Sie ging in ihrem Vor-
trag ausführlich auf die Vorkommnisse in Frank-
reich, Deutschland und Österreich ein und zeigte
zudem auf, wie der revolutionäre Funken auf
Liechtenstein hinübersprang. Auch wenn letztlich
die unmittelbaren Auswirkungen dieser Ereignisse
nicht so gross gewesen und in allen Ländern schon
bald die vorrevolutionären Verhältnisse (vorüber-
gehend) wieder hergestellt worden seien, so dürf-
ten doch die mittel- und langfristigen Folgen für
den Demokratisierungsprozess in diesen Ländern
22,1
nicht hoch genug eingeschätzt werden, stellte die
Referentin in einer abschliessenden Würdigung der
Ereignisse von 1848 fest.
VORSTAND
Der Vorstand des Historischen Vereins traf sich
im Berichtsjahr 1998 zu neun Sitzungen. Behan-
delt wurden im Wesentlichen die folgenden Ge-
schäfte: Vorbereitung der Jahresversammlung,
Veranstaltungen zum Gedenken an die Revolution
von 1848, Planungen für das 100-jährige Vereins-
jubiläum 2001, Strukturfragen betreffend den His-
torischen Verein, die vorgesehene Neuregelung
für die Arbeitsstelle Archäologie, die Buchprojekte
«Nach Amerika!» und «Borscht», die forcierte Pro-
duktion der noch ausstehenden Jahrbücher des
Historischen Vereins, die Neubestellung des Stif-
tungsrates für das Landesmuseum sowie der Inter-
net-Anschluss für die Geschäftsstelle.
bührende Aufmerksamkeit gewidmet werden. Wir
verweisen darauf, dass der Deutsche Bundestag im
Mai 1998 eine eigene Festsitzung zur Erinnerung
an 1848 abhält. Damit würdigt er die Bedeutung
der Revolution von 1848, die in vielen Staaten Eu-
ropas zum Aufbrechen einer breiten und sponta-
nen demokratischen Bewegung führte.» Der Land-
tag nahm zwar Abstand von einer Sondersitzung,
griff die Anregung aber dennoch auf und lud auf
den 4. September 1998 zu einer Veranstaltung in
den Schaaner Rathaussaal. Nach einem grundle-
genden Referat von Dr. Peter Geiger stellte sich der
Referent zusammen mit den Landtagsabgeordne-
ten Dr. Volker Rheinberger, Helmut Konrad, Paul
Vogt unter der Moderation von Dr. Rupert Quaderer
einer Podiumsdiskussion. Das Thema «1848» wur-
de im Berichtsjahr ferner durch den bereits er-
wähnten Vortrag an der Jahresversammlung des
Historischen Vereins sowie durch weitere Veran-
staltungen (unter anderem durch eine vom Histori-
schen Lexikon organisierte Tagung) aufgegriffen
und gewürdigt.
ZUM GEDENKEN AN DIE REVOLUTION VON 1848
Aus Anlass des 150-jährigen Gedenkens an die
europaweite Revolution von 1848 gelangten der
Historische Verein, die Liechtensteinische Akade-
mische Gesellschaft, das Historische Lexikon sowie
das Liechtenstein-Institut mit einem gemeinsamen
Brief an den Landtag. In diesem Schreiben vom
9. März 1998 unterstrichen diese Organisationen
die Bedeutung des Jahres 1848 gerade auch für die
liechtensteinische Geschichte. So hiess es im Brief
unter anderem: «Die Ereignisse im Jahre 1848
sind für die Grundlegung der Volksrechte und die
Stärkung der Volksvertretung von grundsätzlicher
Bedeutung. Es ist der Schritt, der Untertanen zu
Bürgern machte und die Volksvertretung als demo-
kratisch legitimierten Mitträger der Staatsgewalt
interpretierte. Nach Auffassung der Unterzeichne-
‚en wäre es sinnvoll, wenn der Landtag eine eigene
Festsitzung zum Jahr 1848 abhalten würde. Min:
destens aber sollte während einer ordentlichen
Landtagssitzung den 1848-er Ereignissen die ge-
L00 JAHRE HISTORISCHER VEREIN
Der Vereinsvorstand beschloss im Berichtsjahr, die
folgenden Projekte im Hinblick auf das Vereins-
jubiläum im Jahre 2001 zu realisieren:
— Verfassen einer Vereinschronik. Es ist dem Vor-
stand ein wichtiges Anliegen, die 100-jährige Ver-
einsgeschichte aufzuarbeiten und als Jubiläums-
band zu publizieren. Dafür wird ein Autorenteam
verschiedene Forschungsthemen bearbeiten und
quellenkritisch untersuchen. Zusätzlich zum Blick
in die Vergangenheit soll eine Standortbestimmung
des Historischen Vereins und eine Analyse der
zukünftigen Ziel- und Zwecksetzung des Vereins
vorgenommen werden.
- Sozusagen als Geschenk an seine Mitglieder und
Freunde möchte der Vorstand den gesamten Be-
stand der bisherigen Jahrbücher (im Umfang von
über 23000 Seiten) auf eine CD-Rom aufnehmen
lassen. Gleichzeitig soll ein umfassendes Sach- und
Personenregister für die Bände 1 bis 100 erstellt
UL
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
werden. Dieses wird zudem ergänzt durch ein Ver-
zeichnis von allen Autorinnen und Autoren sowie
durch ein Titelverzeichnis.
- Im Jubiläumsjahr selbst sollen auch verschie-
dene Veranstaltungen (Vorträge, Tagungen, Exkur
sionen, Berichte in den Medien) realisiert werden.
werden. Die Archäologie zeichnet verantwortlich
:ür die Redaktion, das Werk wird im Verlag des
listorischen Vereins für das Fürstentum Liechten-
stein erscheinen.
STRUKTURFRAGEN BETREFFEND DEN
HISTORISCHEN VEREIN
ARCHÄOLOGIE
m Berichtsjahr 1998 bekräftigte der Historische
Verein seine Absicht, die Trägerschaft für die Fach
stelle Archäologie definitiv abzugeben. Dieser Ent-
scheid erfolgte im Einvernehmen mit der Archäo-
logie. Es stand nun im Kompetenzbereich der Re-
gierung, für die Archäologie entweder eine neue
Trägerschaft zu finden oder sie einer bereits beste-
henden Institution einzugliedern. Auf Antrag der
Regierung entschied der Landtag im Berichtsjahr,
die Archäologie neu dem Hochbauamt zuzuordnen.
Der Entscheid wird auf Anfang 1999 wirksam.
(Nähere Ausführungen hierzu sind im Jahresbe-
richt der Archäologie enthalten.)
Bereits für 1995 war die Herausgabe der Buch-
publikation «Borscht» geplant. Bei dieser Studie
nandelt es sich um die wissenschaftliche Auswer-
tung der Altgrabung «Borscht» (Schellenberg), dar-
gestellt von Professorin Dr. Magdalena Maczynska.
Im Berichtsjahr konnte das Projekt durch Ge-
spräche des Vereinsvorstandes mit dem Leiter
der Archäologie, Hansjörg Frommelt, entscheidend
vorangetrieben werden. Mit Zustimmung der Re-
gierung wurde aus dem Budget 1998 der Archäo-
logie der Betrag von CHF 60 000.- ausgeschieden,
der dem Historischen Verein im Jahre 1999 zweck-
gebunden für das Buchprojekt «Borscht» zur Verfü-
gung stehen wird. Zusammen mit einer Spende der
LGT Bank in Liechtenstein aus dem Jahre 1995 —-
sie wurde damals aus Anlass des 50. Geburtstages
von S.D. Fürst Hans-Adam Il. gesprochen - ist
damit die Finanzierung der Publikation gesichert.
Die Publikation wird nun voraussichtlich im Früh-
jahr 1999 erscheinen. Vorgesehen sind ein Text:
vand, ein Tafelband sowie ein Planband, wobei alle
drei Teile zusammen in einem Schuber abgegeben
Seit ihrer Errichtung im Jahre 1991 wird die Ge-
schäftsstelle des Historischen Vereins durch Ver-
waltungskostenbeiträge der vom Verein getrage-
aen wissenschaftlichen Projekte und Dienste finan-
ziert. Mit dem Weggang der Archäologie entfallen
die von dieser Fachstelle bisher entrichteten Ver-
waltungskostenbeiträge. Dieser Einnahmenverlust
wurde inzwischen durch Regierungsbeschluss mit
einer entsprechenden Erhöhung des Staatsbeitra-
ges an den Historischen Verein kompensiert. Dem
Vereinsvorstand ist es jedoch ein Anliegen, die
Finanzierung der vereinseigenen Geschäftsstelle
auf eine gesicherte Basis zu stellen. In Gesprächen
mit der Fürstlichen Regierung soll eine Lösung ge-
[unden werden, welche die Aufrechterhaltung der
Geschäftsstelle mittel- bis längerfristig sicherstellt.
BUCHPROJEKT «NACH AMERIKA!»
Der Vorstand des Historischen Vereins bemühte
sich in Zusammenarbeit mit den Herausgebern
Norbert Jansen und Pio Schurti im Berichtsjahr um
die Veröffentlichung der seit langem erwarteten
NVeubearbeitung der 1976 erschienenen Geschichte
ler liechtensteinischen Auswanderung nach Ame-
rika. In der Sitzung vom 26. August 1998 wurden
lie Vorstandsmitglieder Volker Rheinberger und
Alfred Goop in eine Kommission gewählt. Deren
Aufgabe war es, bei Land, Gemeinden und Sponso-
‚en vorzusprechen, um die notwendigen finanziel-
en Mittel für das Buchprojekt aufzubringen. Diese
Bemühungen waren von Erfolg gekrönt, so dass
der Vereinsvorstand Ende September grünes Licht
für die Buchproduktion geben konnte. Das zwei-
bändige Werk konnte schliesslich am 29. Novem-
2653
ber 1998 im Foyer des Vaduzer Saales der Öffent-
lichkeit vorgestellt werden. Die Herausgeber und
der Historische Verein sind allen Spenderinnen
und Spendern zu grossem Dank verpflichtet. Einen
Überblick zu den eingegangenen Geldern gibt die
Fondsrechnung an anderer Stelle in diesem Jah-
resbericht.
Das Buch, welches in der Schweiz vom renom-
mierten Chronos Verlag in Zürich vertrieben wird,
stiess auf reges Interesse. In Band 1 ist die Aus-
wanderungsgeschichte im Überblick dargestellt.
Hilfreich ist das anschliessende Register mit per-
sönlichen Daten von allen bekannten Frauen und
Männern aus Liechtenstein, die emigrierten, er-
gänzt durch ein Personen- und Ortsregister für
Band 1 und Band 2. Einzelbiographien von Perso-
nen und Familien sowie persönliche Beiträge von
Auswanderern bilden den Bestandteil von Band 2.
Anders als bei der ersten Publikation von 1976,
welche sich auf Nordamerika beschränkte, wurde
in der Neubearbeitung auch die Auswanderung
nach Lateinamerika dargestellt. Das Thema wurde
somit um eine interessante Facette erweitert.
NACH AMERIKA!
GESCHICHTE DER LIECH
TENSTEINISCHEN AUS-
WANDERUNG NACH
AMERIKA.
Hrsg. von Norbert Jansen
und Pio Schurti. Verlag des
Historischen Vereins für
das Fürstentum Liechten-
stein, Vaduz, und Chronos
Verlag, Zürich, 1998.
2 Bände, 268 und 298
Seiten, CHF 98.-
[SBN 3-906393-21-6
[ISBN 3-905312-98-0
LIECHTENSTEINER SAGENBUCH
Das Liechtensteiner Sagenbuch ist seit längerer
Zeit vergriffen, der Text ist lediglich noch über
Erwerb des Jahrbuches Band 65 erhältlich. Da
das Sagenbuch aber immer wieder verlangt wird,
befasste sich der Vereinsvorstand mit einer Neu-
edition. Angestrebt wird eine vollständige Neube-
arbeitung und Neuausgabe des liechtensteinischen
Sagengutes mit Berücksichtigung des neuesten
Forschungsstandes in den Bereichen Volkskunde
und «oral history». Eine solche Neuausgabe soll
einerseits wissenschaftlichen Kriterien genügen,
andererseits aber auch allgemein verständlich ab-
gefasst sein. Das Buch soll gezielt auch als Lehrmit-
tel eingesetzt werden, der Vorstand des Histori-
schen Vereins äusserte diesbezüglich den Wunsch
für eine Zusammenarbeit mit dem Schulamt. Der
Vereinsvorstand gelangte im Berichtsjahr mit ei-
nem Schreiben an die Regierung mit der Bitte um
finanzielle Unterstützung für diese Neubearbeitung
und -edition des Liechtensteiner Sagenguts. Die
Regierung antwortete in positivem Sinn, verlangte
aber die Einreichung eines Konzeptes für dieses
Projekt. Der Historische Verein will die Neube-
arbeitung des Liechtensteiner Sagenbuches im
kommenden Jahr konkretisieren.
NEUBESTELLUNG STIFTUNGSRAT LANDES-
MUSEUM
Da die Mandatsperiode des Stiftungsrates für das
Liechtensteinische Landesmuseum im Berichtsjahr
zu Ende ging, musste dieses Gremium für die Man-
datsperiode 1998 bis 2002 neu bestellt werden.
Dem neuen Stiftungsrat des Landesmuseums ge-
hören als Vertreter des Historischen Vereins an:
Mag. Edmund Banzer, Hohenems (bisher), lic. phil.
Roland Hilti (bisher) sowie lic. phil. Eva Pepic
(neu), letztere beide aus Schaan. Eva Pepic ersetzte
das ausscheidende Stiftungsratsmitglied lic. phil.
Veronika Marxer. Der Historische Verein dankt
Veronika Marxer für ihren Einsatz als Stiftungs-
ratsmitglied in den vergangenen vier Jahren, ist
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LICHTENSTEIN 1998
gleichzeitig aber auch dankbar dafür, dass sich die
bisherigen Mitglieder Edmund Banzer und Roland
Hilti bereit erklärten, auch die kommenden vier
Jahre im Stiftungsrat mitzuwirken. Ebenso gratu-
liert der Historische Verein dem neuen Mitglied
Eva Pepic für die ehrenvolle Wahl zur Präsidentin
des Stiftungsrates des Liechtensteinischen Landes-
Museums.
GESCHÄFTSSTELLE
Die Geschäftsstelle des Historischen Vereins wurde
auch im Berichtsjahr 1998 von Klaus Biedermann
betreut.
Das Führen der Geschäftsstelle umfasst vor al-
lem administrative Arbeiten für den Verein, Korre-
spondenz, Teilnahme und Protokollführung an den
Vorstandssitzungen, Rechnungsführung und Buch:
haltung, Entgegennahme und Versand von Buch-
bestellungen, die Betreuung der Vereinsbibliothek
sowie des Tauschschriftenverkehrs, und — neu ab
Band 95 —- auch die Redaktionsarbeit für das Jahr-
buch des Historischen Vereins. Trotz Übernahme
der redaktionellen Tätigkeit für das Jahrbuch blieb
die Geschäftsstelle ein Ein-Personen-Betrieb mit
einem Arbeitspensum von 50 Prozent. Die zusätz-
che Arbeit des Geschäftsführers für das Jahrbuch
wurde gemäss Aufwand separat abgerechnet. Auch
die Entschädigung des administrativen Mehrauf-
wandes für die vereinseigene Publikation «Nach
Amerika!» erfolgt nach einem ähnlichen Modus,
sofern diese Mehrarbeit nicht mehr innerhalb des
j0-Prozent-Pensums zu bewältigen ist. Der Ge-
schäftsführer Klaus Biedermann dankt an dieser
Stelle dem Vereinsvorstand unter dem Vorsitz von
Rupert Quaderer für das gewährte Entgegenkom:
men sowie für die stets angenehme und gute Zu-
sammenarbeit,.
m Berichtsjahr 1998 wurde die Geschäftsstelle
neu mit einem Internet-Anschluss versehen. Die
Home-Page wird 1999 definitiv eingerichtet, Kon-
takt via E-Mail-Nachrichten ist aber jetzt schon
jederzeit möglich, die Adresse lautet: hvfl@hvfl.li.
JAHRBÜCHER
im Berichtsjahr kam der Historische Verein seinem
Ziel, den Rückstand in der Jahrbuch-Produktion
aufzuholen, einen wichtigen Schritt näher. Das
Jahrbuch Band 95 konnte am 6. März 1998 anläss-
ich einer Pressekonferenz in der Bibliothek des
Aistorischen Vereins der interessierten Öffentlich-
keit vorgestellt werden. Der darauffolgende Band
96 wurde im Rahmen einer kleinen öffentlichen
Feierstunde am 25. November 1998 in der «Alten
Neberei» in Triesen präsentiert.
Ein besonderes «Dankeschön» geht an die Liech-
tensteinische Landesbank in Vaduz, welche durch
eine grosszügige Spende die Publikation der in
Band 96 enthaltenen Studie von Manfred Tschaik-
ner ermöglichte. Die Untersuchung von Manfred
Tschaikner trägt den Titel ««Der Teufel und die
Hexen müssen aus dem Land» - Frühneuzeitliche
Hexenverfolgungen in Liechtenstein» und beinhal-
‚et interessante neue Forschungsergebnisse zum
Thema. Zu Dank verpflichtet ist der Historische
Verein auch lic. phil. Arthur Brunhart, dessen Ver-
mittlungsbemühungen die Realisierung dieser auf-
schlussreichen Studie erst ermöglichten und der
auch erste Kontakte zur Liechtensteinischen Lan-
desbank knüpfte.
EXKURSIONEN
[m Berichtsjahr lud der Historische Verein seine
Mitglieder und weitere Interessierte zu zwei Ex-
<ursionen ein. Die erste Exkursion nach Chur, die
am Samstag, 6. Juni 1998, stattfinden sollte, mus-
ste leider abgesagt werden, da zuwenig Anmeldun-
gen eingetroffen waren. Hingegen konnte der an-
gekündigte Ausflug nach Kempten durchgeführt
werden. Diese Exkursion wurde organisiert als ge-
nNeinsame Veranstaltung des Historischen Vereins
ınd der Erwachsenenbildung. Sie fand am 26. Sep-
tember 1998 statt. Unter der Führung des Kunst-
naistorikers Bruno Roth fuhren die rund 30 Exkur-
sionsteilnehmer/innen zuerst nach Isny. Dort gal-
jien Kurzbesuche der katholischen Stiftskirche und
265
der evangelisch-lutherischen Stadtkirche. Dann ging
es weiter nach Kempten, dem Hauptziel der Exkur-
sion. Das Hauptanliegen des Besuchs in Kempten
war eine geführte Besichtigung der dortigen Aus-
stellung «Bürgerfleiss und Fürstenglanz», welche
die spannungsgeladene Wechselbeziehung zwischen
der evangelischen Reichsstadt und der katholi-
schen Herrschaft des Fürstabtes von Kempten an-
schaulich darstellte. Zwischen Kempten und Liech-
tenstein besteht ja ein historischer Bezug; denn der
Kemptener Fürstabt Rupert von Bodman war es,
der das Gebiet des heutigen Fürstentums Liechten-
stein gegen Ende des 17. Jahrhunderts verwaltete
und die Verhandlungen leitete, welche zum Verkauf
der Herrschaftsrechte auf dieses Territoriums an
das Fürstenhaus Liechtenstein führten.
MITGLIEDER
Folgende neun Personen, die ihre Mitgliedschaft
ıoch vor der Jahresversammlung angemeldet hat-
‚en, aber im vorhergehenden Jahresbericht noch
nicht genannt sind, wurden an der Mitgliederver-
sammlung vom 21. März 1998 definitiv als Vereins-
mitglieder aufgenommen:
Anny Biedermann, Bartlegroschstrasse 33,
9490 Vaduz
Iris Friedli, Hega, 9497 Triesenberg
Helmut Hilti, Hirschgraben 20, A-6800
“eldkirch
Christian Marti, Reberastrasse 33, 9494 Schaan
Holger Marxer, Silligatter 285, 9492 Eschen
Melitta Marxer, St. Annagasse 8, 9490 Vaduz
Dominik Schatzmann, Buchenweg 2, 8889
Plons
Barbara Vogt, Gässle 26, 9496 Balzers
Rösle Vogt-Hassler, Unterm Schloss 32, 9496
Balzers
Jie nachstehenden 39 Personen und Institutionen
haben seit der letzten Jahresversammlung ihre
Mitgliedschaft angemeldet:
Archäologie FL, Messinastrasse 5, 9495 Triesen
Peter Amann, Brandiserweg 20, 9490 Vaduz
Thomas Bargetze, Matschilsstrasse 5, 9495
Triesen
Alois Beck, Täscherloch 777, 9497 Triesenberg
Franz Biedermann, Geissmattstrasse 1, 6004
Luzern
Dieter von Deichmann, Duxweg 36, 9494
Schaan
Sigmund Elkuch, Jägerweg 5, 9490 Vaduz
Franz Fillafer, Chr.M.Wielandstrasse 12, A-9020
<lagenfurt
„ranz Frick, Rheinstrasse 15, 9496 Balzers
Jans Gassner, Cafe Guflina, 9497 Triesenberg
Adeimatmuseum Wilfersdorf, Brünnerstrasse 16,
A-2193 Wilfersdorf
Irma Hilbe, Hofi 464, 9497 Triesenberg
Marcel Hermann, Hinterbühlen 648 H, 9493
Mauren
Michael Hilbe, Hofi 464, 9497 Triesenberg
Johanna Hilti, Im Loch 1, 9494 Schaan
Regula Imhof, Zu den drei Eichen, 9487
Gamprin
Hranz Kindle, Elgagass 2, 9496 Balzers
5ylvia Konzett, Feldstrasse 74, 9495 Triesen
Clemens Köstlin, Ahrenshooper Zeile 5,
D-14129 Berlin-Schlachtensee
Prinz Christof von Liechtenstein, Los Naranjos
37, E-38360 El Sauzal/Tenerife
?rinz Karl von Liechtenstein, Schloss Waldstein,
A-8122 Schloss Waldstein
?rinz Luitpold von Liechtenstein, Weisskirch-
1erstrasse 21, A-8750 Judenburg
Prinzessin Adelgunde von Liechtenstein, Schel-
ingstrasse 59, D-80799 München
Asunta Link, 135 Soi Polo, Wireless Road,
10500 Bangkok, Thailand
Liechtensteinische Gesellschaft für Umwelt-
schutz, Im Bretscha, 9494 Schaan
Ludovic Marock, Vorarlbergerstrasse 44, 9486
Schaanwald
‘solde Marxer, Seestrasse 336, 8038 Zürich
41STORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
„IECHTENSTEIN 1998
Angela Matt, Am Exerzierplatz 2, 9490 Vaduz
zZugen Nägele, Speckibündt 16, 9494 Schaan
Bruno Näscher, Stelzengasse 173, 9487
Gamprin
Wilfried Ospelt, Kirchstrasse 11, 9490 Vaduz
Elfriede Quaderer-Vogt, Fürst-Johannes-Strasse
26, 9494 Schaan
Patrik Schädler, Gschind 530, 9497 Triesenberg
Marcel Schönenberger, Rütelti 705, 9497
Triesenberg
Patrick Sele, St. Markusgasse 13, 9490 Vaduz
Paula Weber-Hasler, Oberfeld 96, 9495 Triesen
Eckhard Wollwage, Auf der Egerta 94, 9498
?lanken
Christa Zwiefelhofer, Platte 138, 9488 Schellen-
berg
Thomas Zwiefelhofer, Fürst-Franz-Josef-
Strasse 52, 9490 Vaduz
Seit der letzten Jahresversammlung mussten wir
den Tod der folgenden sieben Vereinsmitglieder
zur Kenntnis nehmen:
Martin Gstöhl, Restaurant Eintracht, 9492
Eschen
Albert K. Haas, Meierhofstrasse 44, 9495
[riesen
Berta Jehle, Landstrasse 27, 9494 Schaan
Franz Marten, Am Widagraba 5, 9490 Vaduz
August Sprenger, Lettstrasse 18, 9490 Vaduz
Otto Schurte, Sägastrasse 29, 9495 Triesen
Emanuel Vogt, Ramschwagweg 82, 9496
Balzers
Sechs Mitglieder sind seit der letzten Jahresver-
sammlung aus dem Verein ausgetreten.
Ende Februar 1999 zählte der Historische Verein
für das Fürstentum Liechtenstein 801 Mitglieder.
PROJEKTE DES HISTORISCHEN VEREINS
NEUBEARBEITUNG «DIE KUNSTDENKMÄLER
JES FÜRSTENTUMS LIECHTENSTEIN»
Jer Historische Verein übernahm im Berichtsjahr
ı1eu die Trägerschaft des Projektes «Neubearbei-
‚ung «Die Kunstdenkmäler des Fürstentums Liech-
‚enstein»». Das 1950 erschienene und von Erwin
Poeschel verfasste Buch ist seit langem vergriffen.
Neue Forschungserkenntnisse sollen in eine nun
äallige wissenschaftliche Neubearbeitung einflies-
sen. Nachdem der Landtag in seiner Sitzung vom
L6. September 1998 dem Finanzbeschluss über
diese Neubearbeitung zugestimmt hat, steht der
Weg für das weitere Vorgehen offen. Im Jahre 1999
soll eine geeignete Fachperson als Projektleiter
der Projektleiterin angestellt werden, damit die
wissenschaftliche Neubearbeitung der liechtenstei-
nischen Kunstdenkmäler dann beginnen kann.
LIECHTENSTEINISCHES URKUNDENBUCH
Die Gewährung eines Verpflichtungskredites in
Höhe von CHF 410 000.- ermöglichte die Anstel-
ung von Claudius Gurt als Bearbeiter des Liechten-
steinischen Urkundenbuches für die kommenden
sechseinhalb Jahre. In diesem Zeitraum sollen die
für die Geschichte Liechtensteins wichtigen Urkun-
den aus der Herrschaftszeit der Freiherren von
3randis (1416 bis 1510) bearbeitet und schluss-
endlich in transkribierter und kommentierter
720orm der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wer-
den. Claudius Gurt hat seine Tätigkeit anfangs
1998 im Rahmen eines 50-Prozent-Pensums auf-
genommen. Er hat seinen Arbeitsplatz im Liech-
tensteinischen Landesarchiv in Vaduz. Wir danken
dem Landesarchiv für das Claudius Gurt gewährte
Gastrecht. Zu grossem Dank sind wir auch den
Sponsoren verpflichtet, die durch ihre finanzielle
Unterstützung die Anschaffung eines eigenen Com-
puters für die Urkundenbearbeitung ermöglichten.
Speziell um eine Finanzhilfe angesucht hatten wir
‚b7
schafft werden», ohne dass der Weidgang beträcht-
lich geschädigt würde.
Am 2. Mai 1795 schickte die fürstliche Hofkanz-
lei die Bittschrift an das Oberamt mit dem Auftrag,
«zu versuchen, ob nicht mit gütlicher Einverständ-
niss der beyden Gemeinden Vadutz und Schaan
eine schicksame Abtheilung ihrer Gemeinheiten
bewirket werden könne». 6 8 Nun kam Bewegung in
das bislang stockende Teilungsgeschäft.
Am 20. Juli 1795 vermerkte das Oberamt den
Eingang eines Protokolls über eine vermutlich am
gleichen Tag in Vaduz abgehaltene Gemeindever-
sammlung. 6 9 Danach war die «ehrsame Gemeind
... auf den gewöhnlichen Gemeindsplatz zusam-
men berufen» worden. Der Versammlung war
folgendes eröffnet worden: Es sei «einem jeden
bekannt, dass wir Vaduzer von unsern Mitge-
meindsgenossen zu Schaan sowohl auf den Waid-
gängen, in den Auen, im Holz, auf den Wiesen und
auf dem Ried, wie auch in Ansehung der Waldun-
gen, als überhaupt in all übrigem schon lange, und
je länger je mehr übervortheilet worden sind.» Die
Gemeinde Vaduz müsse «durch diese Gemeinheit
oder gemeinsame Benutzung jährlich grossen
Schaden und Nachtheil leiden». Deshalb habe man
schon mehrmals «darauf angetragen, mit der Ge-
meind Schaan alle Gemeinheiten abzutheilen». Es
hätten sich aber bisher immer «Hindernisse erge-
ben», so dass die Teilung nicht zustandegekommen
sei. Nun habe man es aber «in auswärtig benach-
barten Herrschaften als auch selbst in der untern
Herrschaft Schellenberg für besser und nützlicher
erfunden, sich von der Gemeinheit abzusondern».
Dieses Beispiel habe auch «viele von uns» ange-
eifert, die den Fürsten mit einer Bittschrift um Ge-
meinheitenteilung ersucht hätten. Der Fürst habe
diese Bitte erhört und das Oberamt beauftragt,
«eine gütliche Abtheilung aller Gemeinheiten zwi-
schen Vadutz und Schaan« zustande zu bringen.
Dieses Vorhaben wurde der versammelten Ge-
meinde nicht nur vorgetragen. Es wurden auch
«die Stimmen aufgenommen, welche ... abtheilen
wollen oder nicht, und zwar auf folgende Art:
ltens Es solle, ehe und bevor man wirklich zur
Abtheilung mit der Gemeind Schaan schreite, ein
öffentliches Instrument oder schriftliche Verab-
kommniss von uns Gemeindsleuten zu Vadutz
errichtet, von allen Gemeindsleuten unterschrie-
ben, und sodann obrigkeitlich ratifiziert werden,
dass nach wirklich erfolgender und beschehener
Abtheilung alle die uns betreffenden Gemeinheiten
zu allen Zeiten für die Zukunft ein gemeinsames
Wesen für unsere Gemeind Vadutz seyn und ver-
bleiben sollen. Und dass
2tens Wenn wir miteinander dahin übereinkom-
men würden sowohl in Ansehung des Waidgangs
als der Waldungen eine bessere und nützlichere
Ordnung einzurichten, dennoch kein Gemeinds-
mann befugt seyn solle, eine weitere Theilung oder
Forderung eines Eigenthumes verlangen zu kön-
nen.
Wer nun auf solche Art zu Abtheilung von der Ge-
meind Schaan sich einlassen will, der solle seinen
Namen eigenhändig hieher unterschreiben.»
Es folgten 82 Unterschriften oder Stimmen und
eine «Pro Nota» des Oberamts auf dem Protokoll.
Danach wurde dieser Antrag der Gemeinde Vaduz
«den Vorgesetzten zu Schaan durch ein Befehl ...
mit dem zu wissen gemacht, dass sie sich in mög-
lichster Bälde hierüber äussern sollen, um mit dem
Oberamte die Wege überlegen zu können, wie diese
Theilung zum schicklichsten, wohlfeilsten und ge-
schwindesten vorgenommen werden könne.» 7 0
Mit Protokollauszügen belegte das Oberamt am
25. Februar 1796 gegenüber der fürstlichen Hof-
kanzlei in Wien, dass es sich sehr wohl bemüht
habe, zwischen Schaan und Vaduz «eine schick-
liche Abtheilung der Gemeinheiten» zu erzielen.
«... Wir haben aber biesher nichts ausgerichtet, die
Vadutzer dringen zwar mit Ungeduld auf die Ab-
theilung, die Schaner hingegen, die den biesher
bezogenen Vortheil nicht gern aus den Händen las-
sen, suchen die Abtheilung zu verhindern; und
da sie aus Erfahrung wissen, dass sie dieses direc-
te nicht bewirken können, so suchen sie es indi-
recte zu erlangen; das ist, sie setzen Bedingnussen
voraus, die mit einer vernünftigen Abtheilung nicht
bestehen können, z. B. sie wollen vor allem ver-
sicheret seyn, dass man ihnen ihren betreffenden
22
die Verwaltungs- und Privatbank in Vaduz, welche
einen Sponsoringbeitrag in Höhe von CHF 3 000.-
gewährte. Auch hat der Historische Verein im
Berichtsjahr eine grosszügige Spende der Hilti Fa-
milienstiftung, Schaan, erhalten, die für die Ko-
stendeckung dieser PC-Anschaffung eine wertvolle
Hilfe war.
VORARLBERGER SPRACHATLAS MIT
EINSCHLUSS DES FÜRSTENTUMS LIECHTEN-
STEIN, WESTTIROLS UND DES ALLGÄUS
(VALTS)
[m Berichtsjahr erfolgte die Veröffentlichung der
5. Lieferung von Band II. Sie umfasst 32 Karten
sowie zwei Kommentar-Lieferungen ä 32 Seiten;
die Kommentar-Lieferungen stellen die 14. und 15.
Teillieferung dar. Band II des Sprachatlasses doku-
mentiert den überlieferten Gebrauch der Mundart
in Bezug auf Langvokale und Diphthonge, Silben-
dehnungen und -kürzungen sowie den Konsonan-
tismus. Die 1998 gelieferten Karten behandeln zum
Beispiel Wörter wie «Knie», «tief», «heute», «ver-
lieren», aber auch Begriffe wie «Fuss», «Bube» und
«Besen». Die sprachwissenschaftlichen Untersu-
chungen über die politischen Grenzen hinaus bele-
gen historisch gewachsene Gemeinsamkeiten, aber
auch Unterschiede in einem regionalen Umfeld mit
gemeinsamen alemannischen Sprachwurzeln.
Verantwortlich für den Sprachatlas war auch
im Berichtsjahr Professor Dr. Eugen Gabriel, unter-
stützt vom wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Hu-
bert Klausmann. Während Professor Eugen Gabriel
sich auf die Fertigstellung von Band II konzentrier-
te, arbeitete Hubert Klausmann weiter an Band V,
der den Bereich «Wortgeographie» umfasst.
Das wissenschaftliche Projekt «Sprachatlas» ist
ein weitgehend vom Land Vorarlberg getragenes
Werk, das vom Land Liechtenstein mit einem An-
teil von 11,33 Prozent mitfinanziert wird. Der Hi-
storische Verein für das Fürstentum Liechtenstein
wird sich auch die kommenden Jahre bemühen, in
Zusammenarbeit mit Professor Gabriel, Herrn Dr.
Klausmann sowie mit den verantwortlichen Stellen
in Vorarlberg und Liechtenstein den «Sprachatlas»
zu einem guten Fortgang und Abschluss zu brin-
gen.
ARCHÄOLOGIE, NAMENBUCH UND
JISTORISCHES LEXIKON
Über die Tätigkeit der Archäologie sowie der Pro-
iekte «Liechtensteiner Namenbuch» und «<«Histori-
sches Lexikon» informieren separate Berichte, wel-
che diesem Jahresbericht im Anschluss an die Jah-
resrechnung beigefügt sind.
Triesen, 19. Februar 1999
Dr. Rupert Quaderer
Vorsitzender des Historischen Vereins
Klaus Biedermann
Geschäftsführer des Historischen Vereins
Vom Vorstand in seiner Sitzung vom 2. März 1999
beschlossen.
76a
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
ANSCHRIFT
Historischer Verein
‚ür das Fürstentum
Liechtenstein (HVFL)
Messinastrasse 5
Postfach 626
‘1,-9495 Triesen
Telefon 00423/39217 47
Telefax 00423/392 1961
E-Mail: hvfl@hvfl.li
Jahresrechnung des Vereins
pro 1998
ÜBER DIE EINNAHMEN UND AUSGABEN
VOM 1. 1. 1998 BIS 31. 12. 1998
EINNAHMEN
BEITRÄGE UND SPENDEN
Mitgliederbeiträge
„andesbeitrag
Gönnerbeiträge:
- S. D. Fürst Hans-Adam II.
- Gemeinde Balzers
- Gemeinde Eschen
- Gemeinde Planken
- Gemeinde Triesen
- Gemeinde Vaduz für 1997 und 1998
Liechtensteinische Kraftwerke Schaan
- Liechtensteinische Landesbank Vaduz
. Hilti Familienstiftung Schaan
- Verwaltungs- und Privatbank für Urkundenbuch
- Private Einzelspenden
spenden für Publikationsbeiträge:
. Gemeinde Vaduz
Karl Mayer-Stiftung
. Guido Feger-Stiftung
- Liechtensteinische Landesbank Vaduz
Unkostenbeitrag des Landesmuseums für den Druck des
Jahresberichtes 1997
Unkostenbeitrag der Archäologie für Manuskriptbearbeitung
Anteilige Kostenbeiträge der vom Historischen Verein
zetragenen wissenschaftlichen Dienste und Projekte
‘Archäologie, Personen-Namenbuch, Historisches Lexikon)
für die Geschäftsstelle des Historischen Vereins
VERKAUF UND VERTRIEB DIVERSER PUBLIKATIONEN
- Jahrbücher und Sonderdrucke
- Rupert Quaderer: Militärgeschichte
- Mario Broggi: Landschaftswandel im Talraum
- Peter Kaiser: Geschichte des Fürstenthums Liechtenstein
Alexander Frick: Mundarten
Festschrift «1342»
Arthur Brunhart: Biographie Peter Kaiser
Fabriklerleben
Liechtensteinisches Urkundenbuch
Peter Geiger: Krisenzeit
Manfred Tschaikner: Hexenverfolgungen in Liechtenstein
- Diverse Verkäufe
in CHF
5 000.—
i 100.—
| 000.—
150.—
i 200.—
0 000.—
| 500.—
5 000.—
3 000.—
3 000.—
2 775. —
20 000.—
13 883.90
13 000.—
10 000.—
11 414.—
42,50
/1.—
369.50
30.—
172.25
/54.—
969.—
160.—
28 677.—
1 620.—
126.—
in CHF
54 865.—
80 000.—
33 725.—
56 883.90
5 000.—
5 000.—
45 850.35
14 905.25
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
ZINSEN
Bank- und Postcheck-Zinsen
TOTAL EINNAHMEN 1998
a CF
in CHF
3 445.35
329 674.85
AUSGABEN
JAHRBÜCHER
Band 95:
- Satzarbeiten
- Gestaltung, Produktionsleitung (Restzahlung)
- Fotoreproduktionen
Lithos
- Druck- und Buchbinderarbeiten
- Sonderdrucke
- Versand (inklusive Begleitschreiben)
- CD-Rom-Produktion
Band 96:
Satz, Lithos, Druck, Buchbinder, Gestaltung und
Produktionsleitung
Fotoreproduktionen
Aufwand Redaktion
Versand (inklusive Begleitschreiben)
- Diverse Spesen
Band 97:
Jahresbericht 1997:
Gestaltung
Druck
Datenbeschaffung Jahresbericht
Total Aufwand Jahrbücher
PUBLIKATION «KRISENZEIT»
- Inserate, Werbung
- Foto-Spesen
Total Aufwand Publikation «Krisenzeit»
in Chr
13 232,05
7 417.80
202.35
6 714.95
36 173.30
9 920.50
1 585.10
106.50
96 807.25
417.40
5 495.85
1471.50
35. —
1 635.85
3 905.60
309 55
264.05
62.60
in CHF
80 373.45
107 227.-
193 181.45
326.65
+
Sn
GESCHÄFTSSTELLE
- Personalkosten
- Büroaufwand
- Drucksachen
Total Aufwand Geschäftsstelle
PUBLIKATIONSBEITRÄGE
ÜBRIGE AUFWENDUNGEN
Abonnemente und Mitgliedschaften
Ankäufe für die Vereinsbibliothek
Computer für das Liechtensteinische Urkundenbuch
Diverse Spesen
Bank- und Postcheck-Spesen
TOTAL AUSGABEN 1998
ÜBERSICHT
VEREINSVERMÖGEN per 31. 12. 1998
Liechtensteinische Landesbank, Kontokorrent
Liechtensteinische Landesbank, D-Konto
Liechtensteinische Landesbank, Sparkonto
Postcheck-Konto .
Kassa
Transitorische Aktiven
Transitorische Passiven
SINNAHMEN- UND AUSGABENRECHNUNG
Total Einnahmen 1998
Total Ausgaben 1998
Vermögensverminderung 1998
Z Vereinsvermögen 1.1. 1998
VEREINSVERMÖGEN per 31. 12. 1998
in CHF
49 693.60
10 739.30
1 602.45
2 374.75
1 555.06
7 570.05
2 344.05
815.91
in CHF
62 035.35
66 883.90
14 659.82
337 087.17
in CHF
394 695.47
83 162.40
1 347.20
259 464.20
154 742.32
881.75
63 053.35
/. 167 955.75
329 674.85
337 087.17
/. 7412.32
402 107.79
394 695.47
4
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
FONDS
«FORSCHUNG UND PUBLIKATIONEN»
Vermögensstand per 31. 12. 1998
Banksaldo 31. 12. 1998
Erlös aus dem Verkauf der Publikation «Castellani» 1997
(Überweisung 1999)
Einnahmen:
Erlös aus dem Verkauf der Publikation «Castellani» 1998
(Überweisung 1999)
. Zinsen
Vermögenszuwachs 1998
PUBLIKATION «NACH AMERIKA!»
Vermögensstand per 31. 12. 1998
Banksaldo 31. 12. 1998
Vermögensstand 1. 1. 1998
Banksaldo 1. 1. 1998
Einnahmen:
Beiträge der öffentlichen Hand:
- Kulturbeirat Liechtenstein
A-Konto-Zahlung
Restzahlung (Überweisung 1999)
- Gemeinde Balzers
- Gemeinde Eschen
- Gemeinde Gamprin
- Gemeinde Mauren
- Gemeinde Planken
- Gemeinde Schaan
- Gemeinde Ruggell
- Gemeinde Schellenberg
; Gemeinde Triesen
Gemeinde Triesenberg (Überweisung 1999)
- Gemeinde Vaduz
Total Beiträge der öffentlichen Hand
Stiftungen und private Donatoren:
- Administral Anstalt, Vaduz
- Firma Balzers AG, Balzers
- Karl Danzer Stiftung, Vaduz (Überweisung 1999)
- Stiftung Fürstlicher Kommerzienrat Guido Feger, Vaduz
— lic. 1ur. Harry Gstöhl. Vaduz
in CHF
550.50
136.80
ın CHF
45 000.—
20 000.—
12 822.—-
11 216.—
3 694.—
8 500.—-
1 076.—
16 472.40
9 390.—
3 000.—
‚2 970.—
7 883.—
‚5885
163 908.40
1 000.—
1 000.—-
15 000.—
14 995.—
1 000. —
in CHF
14 651.05
10 907.70
3 092 85
787.30
787.30
in CHF
/. 5353.95
68 324.—
16 027.70
1 020.50
43
- Erika Hautmann, Vaduz
Hilti Familienstiftung, Schaan
Firma Hoval AG, Vaduz
Neue Bank AG, Vaduz
Emil Nipp, Calgary
Stiftung Propter Homines, Vaduz
Dr. Karlheinz Ritter, Vaduz (Überweisung 1999)
Dr. Norbert Seeger, Schaan
Dr. Gregor Steger-Stiftung, Vaduz
- Verwaltungs- und Privatbank AG, Vaduz
Total Stiftungen und Donatoren
Zusätzliche Einnahmen: N
- Erlöse aus dem Buchverkauf (Überweisungen 1999)
Zinsen
Total Einnahmen 1998:
+ Vereinsvermögen 1. 1. 1998
Ausgaben:
Manuskript- und Buchproduktion:
- Buchgestaltung
—- Buchproduktion A-Konto-Zahlung
- Buchproduktion Restzahlung (Überweisung 1999)
- Manuskriptproduktion, Redaktion, Produktionsbegleitung
und Lektorat, A-Konto-Zahlungen
Manuskriptproduktion, Redaktion, Produktionsbegleitung
und Lektorat, Restzahlungen (Überweisungen 1999)
- Foto-Reproduktionen
- Zusätzliche Honorarzahlungen
Total Manuskript- und Buchproduktion
Werbung:
- Druck der Einladung zur Buchpublikation
— Spesen Versand Einladungen (Überweisung 1999)
- Inserate (Überweisung 1999)
Total Werbung
Zusätzliche Ausgaben: _
Spesen Buchtransport (Überweisung 1999)
Spesen Buchversand (Überweisung 1999)
Total zusätzliche Ausgaben
Total Ausgaben 1998
in CHF
5 000.—
20 000.—
1 000.—
5 000.—
1 295.—
50 000.—
3 000.—
1 000.
3 000.-
LO 000.
‘32 290.—
413 347.—
150.15
43 497.15
339 695.55
16 027.70
355 723.25
in CHF
35 571.—
30 600.—
62 628.—
109 066.25
97 847.80
1 562.35
19 800.—
357 075.40
1 455.95
697.80
ı 248.05
3 401.80
106.50
493.50
600 .—
361 077.20
Ad
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
EINNAHMEN- UND AUSGABENRECHNUNG
Total Einnahmen 1998 a
Total Ausgaben 1998
Vermögensverminderung 1998
$ Fondsvermögen 1. 1. 1998
FONDSVERMÖGEN per 31. 12. 1998
339 695.55
361 077.20
21 381.65
16 027.70
‚/. 5 353.95
PRÜFUNGSBERICHT
Auftragsgemäss habe ich die Rechnung über die
Einnahmen und Ausgaben vom 1. Januar bis zum
31. Dezember 1998 Ihres Vereins sowie die Fonds-
rechnungen «Forschung und Publikationen» und
«Nach Amerika!» geprüft.
[ch stelle fest,
dass die Rechnung über die Einnahmen und
Ausgaben sowie die Fondsrechnungen mit der
3uchhaltung übereinstimmen,
dass die Buchhaltung sauber und ordnungs-
gemäss geführt ist,
dass der Aktivsaldo der Jahresrechnung (CHF
394 695.47) und die Fondsvermögen «For-
schung und Publikationen» (CHF 14 651.05) so-
wie «Nach Amerika!» (Passivsaldo CHF 5353.95)
nachgewiesen sind.
Aufgrund des Ergebnisses der Prüfung beantrage
ich, dem verantwortlichen Kassier Alfred Goop so-
wie dem Rechnungsführer Klaus Biedermann
für die ausgezeichnet geführte Jahresrechnung zu
danken, ihnen Entlastung zu erteilen sowie die
Jahresrechnung und die Fondsrechnungen zu ge-
aehmigen.
Mauren, 2. März 1999
gez. Georg Kieber, Revisor
5
Archäologie:
Tätigkeitsbericht 1998
Das Berichtsjahr stand im Zeichen von Verände-
rungen in der Organisationsstruktur der Fachstelle
Archäologie. Der Hohe Landtag betraute die Fürst-
iche Regierung im Sommer 1995 mit der Aufgabe,
bis Ende des Jahres 2000 «eine dauernde Lösung
‘ür die Archäologie zu finden und die notwendigen
gesetzlichen Grundlagen zu schaffen». Gleichzeitig
stellte er für die Weiterführung der Archäologi-
schen Forschung in Liechtenstein für die Jahre
1996 bis 2000 einen Verpflichtungskredit zur Ver-
ügung. Wie bereits anlässlich des letztjährigen
Tätigkeitsberichts aufgeführt wurde, befassten sich
sowohl der Vorstand des Historischen Vereins für
das Fürstentum Liechtenstein wie auch die Fach-
stelle Archäologie seit geraumer Zeit mit der Neu-
organisation der liechtensteinischen Archäologie.
Ende 1997 wurde die Fachstelle Archäologie vom
Aistorischen Verein für das Fürstentum Liechten-
stein um eine Stellungnahme zum «Konzept zur
Neustrukturierung von staatlichen Kulturträgern»
gebeten. Dieses von der Regierung erarbeitete Kon-
zept sah die Schaffung einer «Kulturstiftung Liech-
(enstein» vor, in welche unter anderem die Fach-
stelle Archäologie integriert werden Sollte. Die
Fachstelle Archäologie beurteilte dieses Modell
sowohl aus kulturpolitischen wie auch aus staats-
rechtlichen Gründen als ungeeignet. Sie regte die
Schaffung eines Amtes für Kultur an, welchem die
Abteilungen Denkmalpflege, Archäologie und Kul-
turgüterschutz angehören sollten. Als zweitbeste
aller Lösungen wurde die Eingliederung der liech-
tensteinischen Archäologie in ein bestehendes Amt
bezeichnet. Als Voraussetzung für die Realisierung
dieser Variante wurde die Ausstattung des archäo-
‚ogischen Fachpersonals mit den entsprechenden
Kompetenzen definiert. Detaillierter wurde auf
dieses Modell nicht eingegangen. Nachdem sich
der Historische Verein für das Fürstentum Liech-
tenstein im Sommer 1998 für die Abgabe der Trä-
gerschaft über das Projekt Archäologie ausgespro-
chen hatte, wurde davon ausgegangen, dass die
künftige Organisationsstruktur in gemeinsamen
Gesprächen evaluiert wird. Der Fachstelle Archäo-
logie blieb jedoch diese Möglichkeit verwehrt. In
der öffentlichen Sitzung vom 22. Oktober 1998 hat
der Hohe Landtag auf Bericht und Antrag der
Regierung der Eingliederung der Fachstelle Ar-
chäologie ins Hochbauamt sowie der Schaffung
zweier Stellen beim Hochbauamt für die archäolo-
gische Betreuung des Landes zugestimmt. Erstmals
in der Geschichte der liechtensteinischen Archäolo-
gie, die seit bald 100 Jahren vom Historischen Ver-
ein für das Fürstentum Liechtenstein betreut und
mitgetragen wurde, sind somit ab 1999 im Stellen-
plan der Landesverwaltung des Fürstentums Liech-
ijenstein zwei Stellen für archäologische Fachkräfte
vorgesehen. Der Tätigkeitsbericht der Fachstelle
Archäologie erscheint somit dieses Jahr das letzte
Mal im Jahresbericht des Historischen Vereins für
das Fürstentum Liechtenstein. Als Projektverant-
wortliche möchten wir uns beim Historischen Ver-
ain für das Fürstentum Liechtenstein für den un
ermüdlichen Einsatz um die archäologische Er-
forschung des Landes bedanken. Er hat jahr-
zehntelang hoheitliche Aufgaben wahrgenommen
und gefördert. Unter seinem Patronat konnte eine
Fachstelle geschaffen werden, «die heute selbstän-
dig und unabhängig von ausländischen Institu-
onen alle Aufgaben von archäologischem Inter-
esse wahrnimmt» (Kulturbericht der Regierung an
den Landtag. Nr. 61/1989, 5. 53).
Im Berichtsjahr waren zwei archäologische
Jachkräfte vollamtlich bei der Regierung ange-
stellt. Zwei Archäologinnen, eine Restauratorin und
eine wissenschaftliche Zeichnerin waren in redu-
ziertem Arbeitspensum für die Fachstelle Archäo-
logie tätig. Sie hatten befristete Arbeitsverträge mit
dem Historischen Verein für das Fürstentum Liech-
tenstein. Eine Anthropologin, ein Restaurator, zwei
Archäozoologen und ein Numismatiker bearbei-
teten Spezialaspekte als selbständig erwerbende
Fachleute auf Honorarbasis. Vier Personen waren
im Rahmen von Praktika bei der Fachstelle Ar-
chäologie beschäftigt.
1ISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
„JECHTENSTEIN 1998
AUSWERTUNGEN UND ANALYSEN
\bgesehen von einer Notbergung im Sommer wur-
len im Berichtsjahr keine grösseren Notgrabungen
lurchgeführt. So konnte die Bearbeitung abge-
schlossener Ausgrabungen weitergeführt werden.
Die Auswertung der römischen Keramikfunde
aus der Notgrabung «Areal Amtshaus/Balzers»
wurde weitergeführt. Die anlässlich dieser Not-
grabung gefundenen römischen Münzen wurden
obenso bestimmt, wie die Mollusken- und Tier-
knochenfunde. Erste Untersuchungsberichte liegen
inzwischen vor.
Im Rahmen einer Lizentiatsarbeit bei Professor
Werner Stöckli an der Universität Bern befasste
sich ein Student während des ganzen Jahres aus-
(ührlich mit der Auswertung der Grabinventare der
Grabung «Foser/Kaufmann, Balzers (1981 bis
1983)». In diesem Zusammenhang wurde der Lei-
chenbrandbefund von einer Anthropologin unter-
sucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit werden in die
Auswertung der Grabinventare miteinbezogen.
Die anthropologische Auswertung der mensch-
lichen Skelette aus der Notgrabung «St. Florins-
gasse, Vaduz» konnte weitergeführt werden.
Die Funde aus der 1995 durchgeführten Notgra-
bung «Schlosskapelle, Vaduz» wurden zeichnerisch
erfasst. Die Untersuchung der in der Schlosskapel-
le getätigten Tierknochenfunde konnte zum Ab-
schluss gebracht werden.
Die Auswertung und Neuinterpretation des
Schellenberger Münzschatzfundes wurde im Be-
richtsjahr abgeschlossen. Dabei wurde erstmals
auch jener Teil des Münzschatzfundes wissen-
schaftlich bearbeitet, der im Anschluss an das Auf-
üinden nach Vorarlberg in Privatbesitz gelangte.
Das Manuskript liegt im Entwurf vor. Die Druckle-
gung der aufschlussreichen Arbeit ist im Jahre
2000 vorgesehen.
Wie bereits im Vorjahr berichtet, wurde an der
Vorbereitung der Publikation «Borscht» weiterge-
arbeitet. Es handelt sich dabei um die wissen-
schaftliche Aufbereitung und Auswertung der über-
regional bedeutenden Altgrabung «Schellenberg/
Borscht (1935/36 und 1947 bis 1952)». Diese soll
\bb. 1: Schellenberger
Vünzschatzfund. Böhmen.
Königreich, Wenzel IV.
(1378 bis 1419), Groschen
(«Prager Groschen») mit
drei Gegenstempeln, Rs
mit Gegenstempel von
Feldkirch und des Riedlin-
ger Bunds . S& 27,4/
26,6 mm; 2,217 g. Privat-
besitz. Massstab 2:1
A
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
Antheil an der Vadutzer Au in na(tur)a wolle zu-
kommen lassen. Nun ist zu bemerken, dass Vadutz
104, Schaan hingegen über 140 Bürger zählet; und
da sich die Au gegen Schan zu ausspitzet, ober
Vadutz aber sehr ausbreitet, so würde das Terrain
um Vadutz grösstentheils den Schauern zufallen,
und die Vadutzer bekämen ihre Besitzungen unter
Schaan. Die Vadutzer, die das Unzulässliche einer
solchen Abtheilung wohl einsehen, wollen alles auf
Sachverständige ankommen lassen, und diesen
anheimstellen, in wie weit ein solches Verlangen
stattfinden könne; die Schaner hingegen, die ihrer
Sache selbst nicht trauen, wollen vorher versiche-
ret seyn, dass ihnen ihr Antheil an der Au bleiben
solle, und sich vorher weder auf Sachverständige
noch Schiedsrichter einlassen. Vadutz verlangte,
das Oberamt möchte erkennen; und da man den
Schanern zu verstehen gab, dass es allerdings
der Natur der Sache angemessen sey, zuerst unpar-
teyl.[iche] Sachverständige zu erwählen, ehe man
sich in die Theilung selbst einlasse, so war dies den
Schanern genug, das Oberamt als parteyl.[ich] aus-
zurufen und demselben, so ungegründete als un-
billige Vorwürfe wegen Llinauslassung des Frucht-
quantums zu machen; wie ich der Landvogt dieser
Tagen mit einem andern Anlass umständl.[ich]
zeigen werde. Dieses veranlasste uns, uns heraus-
zuziehen und beide Theile anzuweisen, sich ent-
weder sachverständige Schiedrichter zu wählen,
oder die Sache an Se.Line] Durchlaucht selbst ge-
langen zu lassen, wie wir diese auf Ansuchen der
Vadutzer anmit gehorsamst einsenden.» 7 1
Am 3. März 1796 schickte das Oberamt die
zwischenzeitlich eingetroffene Gegenäusserung der
Gemeinde Schaan, «um allem Vorwurf, dass man
sie nicht genugsam angehört habe, auszuweichen»,
unverzüglich an die Hofkanzlei in Wien. 7 Z Im Be-
gleitschreiben7 3 hiess es wörtlich: «Sie Schaner
stellen darin vor, dass dieses Unternehmen auf die
dermaligen Zeiten, wo man die Abgaben ohnehin
nicht aufzubringen wisse, gar nicht schickl.fich]
wäre. Allein die Vadutzer sind auf die Abtheilung
der Gemeinheiten so stark versessen, dass sie diese
unter gar keinem Vorwand verschieben lassen
wollen; nicht nur darum, weil sie ein für allemal
dermal einst zu dem ihnen gebührenden Genuss
der Gemeindsnutzungen gelangen wollen, sondern
auch darum, weil die Schaner diejenigen Waldun-
gen etc., die ihnen Vadutzern in der Abtheilung
zufallen möchten, auszuholzen suchen und derglei-
chen. Im übrigen suchen die Schaaner ihren Satz:
<Sie werden sich weder auf Schiedsrichter noch
Sachverständige einverstehen, wenn man ihnen
nicht vorher gewisse Bedingnussen versichere> auf
eine andere gangbare Art einzuleiten; indem sie
gewisse Präliminarfragen ausgemacht wissen wol-
len, ehe man Sachverständige oder Feldmesser
anstelle. Zu diesem Ende aber sey eine Zusammen-
trettung einsichtsvoller Männer nöthig. Hierzu aber
haben sich die Vadutzer schon lang aufs bereitwil-
ligste erkläret, und nur die Schaner wollten nichts
davon wissen; es sey dann, dass man ihnen ihren
betr.feffenden] Antheil an der Vadutzer Au noch
vorher accordire und folgl.fich] zuerst theile, und
dann erst Schiedsrichter und Sachverständige auf-
stelle. Wir überlassen den weitern Innhalt höherm
Ermessen und verharren in vollkommenstem Re-
spekt.»
Am 30. März 1796 antwortete die Hofkanzlei auf
die Oberamtsberichte und schickte die Bittschrift
der Gemeinde Schaan vom 29. Februar an das
Oberamt zurück mit dem Auftrag, diese der Ge-
meinde Vaduz zur Vernehmlassung mitzuteilen. 7 4
Falls die Gemeinde Vaduz die Teilungssache nicht
«bis zum Ausgang des gegenwärtigen Krieges in
Anbetracht der von der Gemeinde Schan angeführ-
ten Beweggründe» ruhen lassen wolle, habe sie
innert vier Wochen «einen ausführlichen und be-
68) L L A RA 32/1/3. Hofkanzlei an Oberamt.. 2. Mai 1795.
69) LLA RA 32/1/4, Protokoll über einen Vaduzer Gemeindever-
sammlungsbeschluss. o. D. (20. Juli 1795).
70) LLA RA .32/1/4, «Pro Nota» des Oberamts auf dem Gemeinde-
versammlungsprotokoll vom 20. Juli 1795 (?).
71) LLA RA 32/1/6. Oberamt an Hofkanzlei, 25. Februar 1796.
721 LLA RA 32/1/7, Oberamt an Hoftanzlei . 3. März 1796.
73) Ebenda.
74) LLA RA 32/1/8. Hofkanzlei an Oberamt, 30. März 1796.
23
erstmals der interessierten Leserschaft in Form
einer Publikation zugänglich gemacht werden. Das
Projekt stand und steht unter der wissenschaft-
lichen Aufsicht von Eva Pepic. In der Zwischenzeit
sind die Arbeiten soweit fortgeschritten, dass der
Druck des dreibändigen Werks in einer Auflage von
zirka 600 Exemplaren im Frühjahr 1999 in Auftrag
gegeben werden kann. Die Regierung stimmte dem
Vorschlag der Fachstelle Archäologie zu, die Rest-
finanzierung der Fachpublikation aus Mitteln des
Budgets 1998 der Fachstelle Archäologie zu be-
streiten. Der Forderung des Landtags nach der
Auswertung und Veröffentlichung von alten Aus-
grabungsergebnissen kann somit Rechnung getra-
gen werden.
BAUÜBERWACHUNG, SONDIERUNGEN UND
DENKMALSCHUTZ
Abb. 2: Schellenberger
Münzschatzfund. Kg.
Sigismund (1410 bis
1437), Nürnberg, Reichs-
münzstätte, Goldgulden
1414 bis 1419), Vs.
SHGHSIMVnDV{S} RO RX;
Gekröntes Brustbild des
Königs mit Schwert und
zeichsapfel. & 22,1/21,3
mm; 3,463 g. Privatbesitz.
Massstab 2:1
\bb. 3: Schellenberger
Münzschatzfund. Kg.
Sigismund (1410 bis
1437), Goldgulden
1414 bis 1419), Nürn-
)erg, Reichsmünzstätte,
is. + MONETA nOVA
ıVREMG; Adler n.l., auf
3rust Schild mit Doppel-
<reuz. Doppelschlag.
3 22,1/21,3 mm; 3,463 g.
?>rivatbesitz. Massstab 2:1
Wie in den Vorjahren zählte auch im Jahre 1998
die Kontrolle der Bautätigkeit in Liechtenstein zu
einer der Hauptaufgaben der Fachstelle Archäolo-
gie, In diesem Zusammenhang wurden sämtliche
beim Hochbauamt eingereichten Baugesuche ge-
orüft. Diverse Aushubprojekte wurde begleitend
beobachtet. Auf Meldungen von Privatpersonen hin
musste auf zwei Baustellen festgestellt werden,
dass archäologische Funde mit dem Bagger ange-
graben und teilweise zerstört worden waren.
In Gamprin «Oberbüel» wurden bei Tiefbauar-
beiten Holzkohleschichten zu Tage gefördert, deren
Bedeutung und zeitliche Einordnung zur Zeit un-
klar sind. Von einer naturwissenschaftlichen Datie-
rung der entnommenen Holzkohleproben wurde
ainstweilen abgesehen.
Anlässlich von Tiefbauarbeiten in der «Aleman-
nenstrasse» in Eschen wurden alamannische Grä-
ber teilweise zerstört. Während einer mehrere
Wochen dauernden Notbergung konnten sieben
alamannische Gräber freigelegt, dokumentiert und
geborgen werden. Sie waren zum grossen Teil bei-
gabenlos. Zu den wenigen Funden gehören ein
Beinkamm, zwei Saxe (Hiebschwerte), ein Messer
und Bestandteile einer Gürtelgarnitur. Die Fund-
1ISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
Abb. 4: Notgrabung
«Eschen/Alemannen
strasse». Juli 1998.
Grab 7. Alamannische
Körperbestattung mit
Steineinfassung
Abb. 5: Notgrabung
«Eschen/Alemannen-
strasse». Beigabe aus
Grab 4: Beinkamm. Länge
7,2 cm. Massstab 1:1
abjekte mussten zur umgehenden Konservierung
ajnem externen Restaurierungsatelier überlassen
werden.
Hansjörg Frommelt war auch im Berichtsjahr
wieder beratend für die Denkmalschutz-Kom-
mission der Fürstlichen Regierung tätig. Er unter-
stützte darüber hinaus die Arbeit der Denkmal:
schutz-Sachbearbeitung beim Hochbauamt. Stell-
vertretend für die verschiedenen Projekte seien die
Vorbereitungsarbeiten für die bevorstehenden Re-
ı10vationen der Kapelle St. Maria in Triesen und
der Kirche St. Maria in Bendern sowie die Begut-
achtung mehrerer historischer Bauernhäuser auf-
geführt.
Fa
EDV-PROJEKTE
Die Fachstelle Archäologie hat den Auftrag, Altgra-
bungen wissenschaftlich zu bearbeiten und die Re-
sultate zu publizieren. Die Basis für diese Arbeiten
ist die Erfassung und Aufbereitung aller relevanten
Daten. In den Jahren 1988 und 1989 ist zu diesem
Zweck für die Fachstelle Archäologie eine Daten-
bank entwickelt worden. Eine projektbezogene
Weiterentwicklung konnte in der Folgezeit nicht in
Auftrag gegeben werden. In dieser Datenbank sind
inzwischen unzählige Daten gespeichert. Die Soft-
ware ist veraltet. Sie kann den wissenschaftlichen
Anforderungen der Archäologie nicht mehr gerecht
werden. Die Kantonsarchäologien Zürich und
Thurgau haben die Archäologie-Software SPATZ
entwickelt. Dieses Programm erfüllt die geltenden
wissenschaftlichen Standards. Die von der liech-
tensteinischen Archäologie auf EDV erfassten Da:
ten lassen sich in dieses Inventarisationsprogramm
übertragen. Damit kann die betriebseigene Daten-
bank den aktuellen Standards angepasst werden.
Die kontinuierliche Wartung des Programms ist ge-
währleistet. Darüber hinaus bietet SPATZ die Mög-
lichkeit der wissenschaftlichen Kommunikation mit
fachverwandten Institutionen. Diese Kommunika-
tion über Landesgrenzen hinaus ist für die tägliche
archäologische Arbeit von unschätzbarem Wert
und unerlässlich. Aufgrund des positiven Resultats
verschiedenster Abklärungen wird sich die liech-
tensteinische Archäologie am Softwareprojekt
SPATZ beteiligen. Ihre Mitarbeit bei der weiteren
Antwicklung der Programme wird begrüsst. Das
Projekt wurde in das EDV-Budget des Jahres 1998
aufgenommen. Das vom Landtag genehmigte Bud-
get für die Aktualisierung der archäologischen
Datenbank ist von der Regierung Ende des Be-
richtsjahrs freigegeben worden. Als Vertreterin der
Fachstelle Archäologie arbeitet Ulrike Mayr in der
Projektgruppe der Kantonsarchäologien Zürich
und Thurgau mit.
Im Herbst 1998 wurden die Arbeitsplätze der
rachstelle Archäologie im Mehrzweckgebäude in
Triesen an die zentrale EDV-Anlage der Landesver-
waltung angeschlossen
ARCHÄOLOGISCHES BÜRO
In Zusammenhang mit der Eingliederung der Fach-
stelle Archäologie ins Hochbauamt wurden Ende
des Berichtsjahrs erste vorbereitende Gespräche
geführt.
Wie in den Vorjahren wurden die Fund- und Do-
kumentationskataloge weitergeführt und wiederum
durch die neuesten Analysenergebnisse ergänzt.
Die Katalogisierung der wissenschaftlichen Hand-
bibliothek lief routinemässig weiter. Dabei leisteten
Praktikantinnen wertvolle Arbeit.
Am 7. Mai 1998 ist im Rätischen Museum in
Chur die Sonderausstellung «Schmuck aus den
Alpen. Von der Prähistorie bis zum Frühmittel-
alter» eröffnet worden. Von liechtensteinischer Sei:
te wurde dazu eine viel beachtete Auswahl archäo-
logischer Fundobjekte zur Verfügung gestellt. Die
Fachstelle Archäologie verfasste Objektlisten und
Legendentexte. Weiter bereitete sie die Objekte für
die Präsentation, die den ganzen Sommer hindurch
dauerte, vor.
Nach abgeschlossenem Architekturwettberweb
für die Renovation und Erweiterung des Liechten-
steinischen Landesmuseums bestellte die Regie-
rung im Berichtsjahr eine Arbeitsgruppe zur Ent-
wicklung und Realisierung eines Museums- und
Ausstellungskonzepts. In dieser Arbeitsgruppe mit
der Bezeichnung «Nutzergruppe Landesmuseum»
wird die Fachstelle Archäologie durch Hansjörg
Frommelt vertreten. Seit September 1998 trifft sich
die Arbeitsgruppe regelmässig zu Besprechungen.
Die zeitintensive Ausarbeitung des Museums- und
Ausstellungskonzepts wird die «Nutzergruppe»
noch bis zur Wiedereröffnung des Liechtensteini-
schen Landesmuseums beschäftigen.
Die Fachstelle Archäologie ist Mitglied im Ver-
yand Schweizerischer Kantonsarchäologen. Wie in
den Vorjahren war sie an den Tagungen des Ver-
bands vertreten.
im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit wurden
zahlreiche Schulklassen durch die Arbeitsräume
der Fachstelle Archäologie geführt. Den Schülern
wurden bedeutende Fundobjekte ausführlich vor-
gestellt. Dieser Arbeit wird von den Mitarbeiterin-
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
L„IECHTENSTEIN 1998
nen und Mitarbeitern der Fachstelle Archäologie in
Anbetracht des seit Jahren geschlossenen Landes-
museums besondere Bedeutung beigemessen.
Anlässlich der Generalversammlung der Gesell-
schaft Schweiz-Liechtenstein hielten Ulrike Mayr
ınd Hansjörg Frommelt einen Vortrag mit dem
Titel «Die Geschichte der Gemeinde Balzers aus
archäologischer Sicht». Sie beteiligten sich an ver-
schiedenen Veranstaltungen mit Vorträgen und
Führungen. Erwähnt seien die Begehungen zu den
Burgruinen in Schellenberg anlässlich der Feier-
üchkeiten «300 Jahre Liechtensteiner Unterland»
im Herbst 1998.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachstelle
Archäologie verfassten verschiedene Aufsätze für
vachpublikationen und Zeitungen. Im Rahmen
fachspezifischer Weiterbildung nahmen sie im Be-
richtsjahr wiederum an Tagungen und Seminaren
‚eil.
ABBILDUNGSNACHWEIS ANSCHRIFT
Alle Aufnahmen:
lansjörg Frommelt,
Archäologie FL
Landesverwaltung des
ürstentums Liechtenstein
Archäologie
Messinastrasse 5
Postfach 417
FL-9495 Triesen
Telefon 00423/236 7531
Telefax 00423/23675 46
Triesen, den 11. Februar 1999
Hansjörg Frommelt, Koordination und Leitung
Mag. Ulrike Mayr, Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Liechtensteiner Namenbuch:
Tätigkeitsbericht 1998
Auch im Berichtsjahr 1998 waren für das Liechten-
steiner Namenbuch lic. phil. Toni Banzer und Her-
bert Hilbe unter der Leitung von Professor Dr. Hans
Stricker tätig. Während Herbert Hilbe ein Arbeits-
pensum von 100 Prozent wahrnahm, war Toni
Banzer zu 70 Prozent für das Liechtensteiner Na-
menbuch tätig. Das Projekt «Liechtensteiner Na-
menbuch» stand auch im Berichtsjahr unter der
Trägerschaft des Historischen Vereins für das Für-
stentum Liechtenstein.
DRUCK ORTSNAMENBUCH
Die Druckvorbereitungen für die vier Materialbän-
de mit den Flurnamensammlungen der elf Gemein-
den (Bände 1 bis 4 des Gesamtwerks) konnten im
Berichtsjahr praktisch abgeschlossen werden. Zu
bewältigen waren im wesentlichen (in einem Text-
umfang von über 2000 Seiten):
- Einbau der Namendeutungen bei den vordeut-
schen Namen.
- Durchsicht und Korrektur der gesamten Texte
durch Professor Hans Stricker.
- Umsetzung eines Teils der Korrekturen durch
die Herren Banzer und Hilbe.
- Vorbereitung der sehr umfangreichen Register
(Markierungen im Text).
3and 5, der das Lexikon der Namenwörter enthält
und nochmals über 500 Seiten umfasst, befindet
sich in der Schlussphase der Druckvorbereitung
bezüglich Einbau und Anordnung aller Daten
sowie bezüglich Korrektur durch Professor Hans
Stricker (zu etwa 80 Prozent erledigt).
Der jetzige Stand der Bände 1 bis 5 liess sich in
der gegebenen Zeit nur erreichen dank straff kon-
zentrierter gemeinsamer Anstrengung und teils
extrem hoher Einsatzzeiten.
Band 6 (Einleitung, Register, Abkürzungs-, Lite-
ratur- und Quellenverzeichnisse) entsteht Hand in
Hand mit dem Fortschreiten der Arbeiten an den
Bänden 1 bis 5.
PERSONENNAMENBUCH
Für das Personennamenbuch wurden im Berichts-
jahr folgende Arbeiten geleistet:
- Das Konzept für den Aufbau der einzelnen Na-
menartikel wurde zu Beginn des Jahres bespro-
chen und diskutiert.
Die zur Sammlung der Daten nötigen Daten-
bank-Tabellen und -formulare wurden erstellt.
Die bestehende und neu eingegangene Sekundär-
iteratur wurde kontrolliert, exzerpiert und erfasst.
- Die aus den historischen Quellen exzerpierten
?}ersonennamen wurden in eine ACCESS-Daten-
bank überführt und kontrolliert.
In Triesen wurde eine Feldaufnahme zur Erhe-
bung der Sippschaftsnamen durchgeführt. Mit Hilfe
eines Strassenplans von 1950 wurden sämtliche
Gebäude einzeln nach ihren Bewohnern unter die
Lupe genommen.
SONSTIGE TÄTIGKEITEN
[m Herbst 1998 hatte Toni Banzer zum zweiten Mal
Gelegenheit, vor dem Gampriner Gemeinderat un-
sere Argumente für eine Neuorientierung bei der
Strassennamenschreibung darzulegen. In der Zwi-
schenzeit hat die Gemeinde Gamprin die neuen
Schreibungen, von denen nun sehr viele auf unse-
ren Vorschlägen beruhen, eingeführt.
Herbert Hilbe wurde im Herbst von der Gemein-
de Ruggell in eine Kommission einberufen, die ein
Konzept für das Dorfmuseum erarbeitet.
Triesen, 8. Februar 1999
LIECHTENSTEINER NAMENBUCH
7rof. Dr. Hans Stricker, Leiter
lic. phil. Toni Banzer
JTerbert Hilbe
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
ANSCHRIFT
“iechtensteiner Namenbuch
Messinastrasse 5
Dostfach 415
-L-9495 Triesen
Telefon 00423/23675 50
Telefax 00423/23675 58
Historisches Lexikon für
das Fürstentum Liechtenstein:
Tätigkeitsbericht 1998
ALLGEMEINES
Die Arbeiten am Historischen Lexikon für das Für-
stentum Liechtenstein (HLFL) gingen im Berichts-
jahr 1998 planmässig weiter. Die Anzahl der Ein-
träge belief sich per Jahresende auf rund 3500
Lemmata (Artikel, Direktverweise) mit insgesamt
cund 84000 Zeilen. Die Haupttätigkeiten der Re-
daktion betrafen die Artikelproduktion. Neben die-
sen Arbeiten wurden verschiedene andere mit dem
HLFL zusammenhängende und dem Projekt dien-
liche Aufgabenbereiche wahrgenommen.
Insgesamt konnte 1998 wieder ein Schritt bei
der Realisierung des Historischen Lexikons inner-
halb des gesetzten Zeitrahmens gemacht werden.
Das Projekt blieb wie bisher ein Einmannbetrieb.
DIE TRÄGERSCHAFT
Die Trägerschaft des Historischen Lexikons, der
Vorstand des Historischen Vereins, behandelte die
sie betreffenden Geschäfte in den ordentlichen Sit-
zungen. Die Kontakte der Redaktion zur Träger-
schaft. liefen über die Geschäftsstelle des Histori-
schen Vereins (lic. phil. Klaus Biedermann) und
über den Präsidenten des Vereins, Dr. Rupert Qua-
derer.
DIE BERATENDEN GREMIEN
Der Wissenschaftliche Beirat des Historischen Lexi-
kons traf sich im Juli 1998 zu einer Arbeitssitzung
im Bildungshaus Gutenberg Balzers, in welcher er
die von der Redaktion vorgelegten Geschäfte be-
sprach. Mitglieder des Beirates waren im Berichts-
jahr Dr. Rupert Quaderer (Vorsitz, Schaan), Dr.
Martin Bundi (Chur), Prof. Dr. Dr. Karl Heinz Bur-
meister (Bregenz), Prof. Dr. Heinz Dopsch (Salz-
yurg), lic. phil. Claudia Heeb-Fleck (Schaan), Dr.
Marco Jorio (Bern) und Dr. Werner Vogler (St. Gal-
‚en). Die Arbeitssitzung galt zentral der Begutach-
‚ung und Diskussion der Gemeindeartikel.
Die weiteren wissenschaftlichen Berater und Be-
raterinnen wurden in ihren Sachbereichen und in
Bezug auf die eingelieferten Artikel, bei Vernehm-
lassungen und redaktionellen Arbeiten nach Bedarf
zu Rate gezogen. Des weiteren wurden sie in die
von der Redaktion initiierten und organisierten
Veranstaltungen miteinbezogen.
DIE REDAKTION
Jie Redaktion blieb wie bisher ein Einpersonenbe-
trieb. Die Aufgabenbereiche umfassten die Berei-
che Administration, Redaktion, Beratung, Veran-
staltungen, Publikationen. Die redaktionellen An-
forderungen sind weiter gestiegen. Das Anwachsen
der administrativen Belastungen konnte nur teil-
weise durch Straffung der Arbeitsabläufe kompen-
siert werden. Im Hinsicht auf diese Zielsetzung
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
besuchte der Redaktor auf eigene Kosten und ne-
ben der Arbeit über das ganze Jahr hinweg einen
Nachdiplomkurs an der Hochschule für Wirtschaft
und Tourismus in Chur (Bereich: Management,
Öffentliche Verwaltung und Non Profit Organisatio-
nen).
REDAKTIONELLE TÄTIGKEITEN
Die redaktionellen Tätigkeiten umfassten wie
bisher im Wesentlichen die weitere Bearbeitung
der Stichwortliste, die Produktionsleitung bei der
Schaffung von Artikeln durch Autoren und Autorin-
nen, die Eigenproduktion von Artikeln, die Ver-
pflichtung und die Betreuung der Autoren und
Autorinnen sowie die Betreuung weiterer Projek:
te. Mit verschiedenen Autoren und Autorinnen fan-
den einzelne Besprechungen oder Sitzungen statt,
deren Vorbereitung und Durchführung einen ge-
wissen Zeitaufwand erforderte. Die Redaktion un-
‚erstützte die Autoren und Autorinnen bei biblio-
graphischen Abklärungen, bei der Literatur- und
Quellenbeschaffung und bei Archivstudien in Liech-
‚enstein. Sie leistet insgesamt einen weitaus grös-
seren und breiteren Support, als das bei anderen
„eXika der Fall ist.
Für Unterstützung und Mitarbeit möchte ich an
dieser Stelle Jürgen Schindler (Eschen) und Donat
Büchel (Balzers) herzlich danken.
ARTIKELPRODUKTION
Die Artikelproduktion konnte (im wesentlichen auf-
grund der wachsenden zeitlichen Beanspruchung
insbesondere durch administrative Belange) nicht
im gewünschten Masse vorangetrieben werden. Es
war weiterhin schwierig, genügend (kompetente)
Autoren und Autorinnen zu verpflichten. Auch die
externe Terminkontrolle ist sehr schwierig durch-
zusetzen, weil die Autoren und Autorinnen durch
oerufliche Belastungen oftmals beansprucht sind
und dies zwangsläufig zu vielen Terminerstreckun-
gen führt, was wiederum Verzögerungen der Pro-
duktion nach sich zieht. Die Redaktion wird des:
ı1alb die Eigenproduktion soweit als möglich stei-
gern.
KONTAKTE, VERMITTLUNGEN
Die redaktionellen Kontakte zum Historischen Le-
xikon der Schweiz (HLS) waren sporadisch, zumal
der Chefredaktor des HLS, Dr. Marco Jorio, auch
Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates ist. Herrn
Dr. Jorio möchte ich bei dieser Gelegenheit für die
Unterstützung danken.
Im Rahmen seiner Tätigkeiten engagierte sich
der Redaktor in verschiedenen Gremien, so im Vor-
stand des Vereins für Geschichte des Bodensees
ınd seiner Umgebung als Schriftführer, und bei der
Planung und Durchführung von Projekten des Ar:
beitskreises für Regionale Geschichte. Er wurde
in den Vorstand der Internationalen Gesellschaft
tür Historische Alpenforschung gewählt. Die Kon-
takte zu verschiedenen Institutionen und Projekten
wurden im Berichtsjahr aufgenommen beziehungs-
weise weitergeführt. Auch beteiligte er sich an
der von Regierungsrätin Dr. Andrea Willi initiierten
«Gesprächsrunde Kultur».
Des weiteren konnten dank der aufgebauten
Kontakte Referenten nach Liechtenstein vermittelt
werden, So Frau Professor Brigitte Mazohl-Wallnig
(Universität Innsbruck) für die Jahresversammlung
des Historischen Vereins in Vaduz sowie Professor
Dr. Wolfram Siemann (Universität München) für
einen Vortrag über «Die Revolution 1848» vor der
Liechtensteinischen Akademischen Gesellschaft.
BERATUNG, PLANUNG, FÖRDERTÄTIGKEIT
Der Redaktor des HLFL leistete auf entsprechende
Anfragen hin Hilfestellung und Beratung auf dem
Gebiet der historischen Landeskunde. Das betraf
zum Beispiel die derzeit laufende Schaffung einer
Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum des Liech-
tensteinischen Feuerwehrverbandes oder die Lie-
ferung eines Textes für die von Roman Banzer ver-
va
gelegte Mundart-CD «Wia ma bi üüs red» (Gemein-
de Balzers). Dazu kam die Mitarbeit bei der Schaf-
fung von Publikationskonzepten.
Der Redaktor beteiligte sich an den Vorge-
sprächen zur Planung der Ausstellung in den Esch-
ner Pfrundbauten anlässlich der Feierlichkeiten
«300 Jahre Unterland, 1699 bis 1999» sowie der
Schaffung einer CD zur liechtensteinischen Ge-
schichte. Er war ausserdem Mitglied der «Nutzer:
gruppe Liechtensteinisches Landesmuseum», de-
ren Aufgabe es 1998 und 1999 ist, für das Landes-
museum eine Museumskonzeption zu entwicklen
(Raumprogramm, Ausstellungskonzept, Informati-
onskonzept, Realisierung).
Des weiteren initiierte und unterstützte er un-
ter anderem mehrere Studienabschlussarbeiten zu
Themen der liechtensteinischen Geschichte. Vorge-
legt wurden im Berichtsjahr — zusätzlich zu den
schon früher erschienenen Arbeiten über den
«Rhein im 17. und 18. Jahrhundert» (R. Schläpfer,
Universität Zürich), die «aussenpolitische Gesandt-
schaftstätigkeit des liechtensteinischen Gesandten
in Österreich, Dr. Eduard Prinz von und zu Liech-
tenstein (1919 bis 1921)» (C. Sulzbacher, Univer-
sität Salzburg) und den «Landsbrauch der Graf-
schaft Vaduz und der Herrschaft Schellenberg aus
dem Jahre 1667» (K. Schamberger, Universität
Salzburg) - eine Studie zur «Entwicklung der liech-
tensteinischen Banken seit 1945» (A. Meili, Univer-
sität Freiburg). In Zürich, Innsbruck und Freiburg
befinden sich mehrere Studien in Bearbeitung
(Themen unter anderem: Urbare, Gymnasium Feld-
kirch und Liechtenstein, Ausländer, Liechtenstein
und die Schweiz 1862 bis 1914, Liechtensteinische
Gesandtschaft in der Schweiz). Die Förderung sol-
cher Studien und Grundlagenarbeiten beziehungs-
weise die Unterstützung dieser jungen Forscher
und Forscherinnen erachtet der Redaktor, auch
wenn etwas Zeit investiert werden muss, als eine
wichtige Aufgabe im Interesse des Historischen
Lexikons und der liechtensteinischen Geschichts-
forschung insgesamt.
Ebenso konnte eine Transkription des Brief-
wechsels zwischen Schmitz von Grollenburg und
H. von Haymerle (und weiterer Korrespondenzen)
aus den Jahren 1806 bis 1814 betreffend den
Rheinbund und die liechtensteinischen Militärver-
träge mit deutschen Rheinbund-Staaten aus dem
Fürstlichen Hausarchiv ermöglicht werden.
VORTRÄGE, FÜHRUNGEN, PUBLIKATIONEN
Auf entsprechende Einladung hin referierte der Re-
daktor über geschichtliche Themen. Erwähnt wer-
den sollen nur ein Vortrag im Bildungshaus Guten-
berg (Balzers) über die «Geschichte der Burg und
des Bildungshauses Gutenberg», ein historischer
Abriss der liechtensteinischen Parteiengeschichte,
ein Vortrag über die «Abtretung des Ellhorns 1948
an die Schweizerische Eidgenossenschaft» sowie
ein Referat über das Historische Lexikon anlässlich
einer Sitzung der «Gesprächsrunde Kultur».
Der Redaktor leitete ausserdem historische Füh-
rungen auf der Burg Gutenberg und legte verschie-
dene kleinere Publikationen vor. Sie behandelten
unter anderem Themen wie die «Auswanderer-
familie Manzele-Büchel aus Balzers» (in: «Nach
Amerika!», Vaduz, Zürich 1998), die «Revolution
1848 in Liechtenstein» (sechsteilige Serie im Liech-
tensteiner Vaterland), das «Amtshaus in Balzers»
(in: Balzner Neujahrsblätter 1998) und den «Ver-
lust des Ellhorns 1948» (in: Balzner Neujahrsblät-
ter 1999). Zudem verfasste er einen Beitrag für die
Gedächtnisschrift Josef Görres und war an der Vor-
bereitung der 2. Auflage der von ihm verfassten
Biographie «Peter Kaiser 1793 bis 1864» beteiligt.
Er arbeitete beim «Lexikon für Theologie und Kir:
she» (LThK) als Autor mit.
Erheblichen Zeitaufwand erforderte die redak-
tionelle Vorbereitung der dreibändigen Publikation
«Bausteine zur liechtensteinischen Geschichte» mit
den Studien und studentischen Forschungsbeiträ-
gen der vom HLFL in Zusammenarbeit mit den
Universitäten Zürich, Salzburg und Innsbruck
durchgeführten Seminaren für den Druck. Die im
Chronos Verlag (Zürich) erscheinenden Bände
konnten nicht mehr 1998 publiziert werden, was
aber im Frühjahr 1999 der Fall sein wird. Die Her-
ausgabe wurde dank der Unterstützung seitens der
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
«Stiftung Propter Homines», der «Karl Mayer Stif-
tung», der «Binding-Stiftung» und der «Stiftung
fürstl. Kommerzienrat Guido Feger» möglich. Da-
für möchte ich herzlich danken.
Im Verlaufe des Berichtsjahres wurden auch
einige historische Seminararbeiten zu liechtenstei-
nischen Themen aus dem Seminar für Allgemeine
und Schweizerische Zeitgeschichte an der Univer-
sität Freiburg (Lehrstuhl: Professor Urs Altermatt)
verfasst beziehungsweise bereinigt.
Im Rahmen des vom Historischen Lexikon in
Zusammenarbeit mit dem Bildungshaus Gutenberg
alljährlich organisierten «Gutenberger Geschichts-
vortrages» referierte lic. phil. Klaus Biedermann
Ende November 1998 zum Thema «Rodwesen und
Verkehrsgeschichte in Liechtenstein im 18. Jahr-
hundert unter besonderer Berücksichtigung von
Balzers und der Rolle der Balzner Wirtshäuser».
TAGUNGEN
Das Historische Lexikon organisierte im Berichts-
jahr mehrere Tagungen, die den Zielsetzungen des
Historischen Lexikons wie auch der liechtensteini-
schen geschichtlichen und volkskundlichen For-
schung dienen. Die Tagungen konnten mit grossem
Erfolg durchgeführt werden. Die zahlreichen Teil-
nehmerinnen und Teilnehmern belegten, dass sie
einem Bedürfnis entsprachen.
FRAUEN- UND GESCHLECHTERGESCHICHTE
Die Instrumentarien der Frauen- und Geschlech-
tergeschichte sind in den letzten zwanzig Jahren so
vervielfältigt und erprobt worden, dass sie für die
Geschichtsforschung unverzichtbar geworden sind
und damit auch bei der Geschichtsschreibung eines
Historischen Lexikons von Nutzen sein können.
Vielmehr: Ohne geschlechtsspezifische Fragestel-
lungen lässt sich heute kaum noch Geschichte in
relevanter Art rekonstruieren. Die Redaktion enga-
gierte deshalb die durch einschlägige wissenschaft-
liche Forschungen, Projekte und Lehrveranstaltun-
gen namhafte Schweizer Historikern Heidi Witzig
(Uster) für eine ganztägige Fortbildung zum Thema
«Frauen im Historischen Lexikon ... Von der Frau-
en- und der Geschlechtergeschichte». Das span-
aende Kolloquium bot Anregungen und konkrete
3Zeispiele, wie sich die Geschichtsforscherinnen
und -forscher in fruchtbarer Art und Weise dieses
Instrumentariums bedienen können. Die Tagung,
die einen theoretisch-methodischen und einen
praktisch-angewandten Teil mit Arbeit an konkre-
;en Quellen umfasste, stiess auf grosses Interesse.
LIECHTENSTEIN UND DIE REVOLUTION 1848
[m November führte das Historische Lexikon die
zweite «Liechtensteinische Historische Tagung»
durch, diesmal im Bildungshaus Gutenberg (Bal-
zers). Thema war die Revolution von 1848 in
Liechtenstein und in angrenzenden Nachbargebie-
ten (Schweiz, Österreich). Die Tagung fragte da-
nach, in welchem Umfeld sich die Revolution 1848
in Liechtenstein abspielte, welche Ursachen sie
auslösten, was verlangt und erwartet wurde, wel-
che Konsequenzen sich aus ihr ergaben, was sie
zur Schaffung einer Liechtensteiner Identität leiste-
je? Es beteiligten sich folgende Referenten und Re-
ferentinnen (mit Themen):
— Dr. phil. Peter Geiger (Schaan): 1848 in Liech-
tenstein — die Ereignisse in einem chronologischen
Überblick. - Der lange Atem der Revolution von
1848 in Liechtenstein. Elf Thesen zu Folgen, Be-
deutung und Nachwirkung.
- Dr. phil. Georg Jäger (Chur): ««Die Bundessache
geht voran ...>. Graubünden 1848,»
- Mag. phil. Rupert Tiefenthaler (Feldkirch): Alar-
mierende Gerüchte —- Liechtenstein und die Revolu-
tion 1848 aus der Sicht Vorarlbergs.
—- Dr. phil. Rupert Quaderer (Schaan): Jahre der
Retardation — Liechtensteins innenpolitische Ent-
wicklung von 1815 bis 1848.
- Dr. phil. Evelin Oberhammer (Wien): Die Fürsten
von Liechtenstein und die Revolution von 1848.
— lic. phil. Paul Vogt (Balzers): Staatliche Organi-
sation und Verwaltung als Träger der Macht.
287
stimmten schriftlichen Vorschlag oder Theilungs-
plan» vorzulegen und zu begründen, wie sie «auf
eine ausführbare, gerechte und billige Art» die Tei-
lung bewerkstelligen wolle, insbesondere
«1. die Gemeindslasten
a) der Wuhrungen
b) des Strassenbaues und
c) der Beholzung des Pfarrers, des Kaplans und
des herrschaftl.[ichen] Müllers, so wie auch
d) der allenfallsigen anderen gemeinschaftl.[ichen]
Obliegenheiten, als auch
2. der gemeinschaftl.[ichen] Realitäten
a) der Waldungen,
b) der Auen und Riedern, und zwar vorzüglich und
besonders der sogenannten Auen wie nicht minder
c) der etwaigen anderen Realitäten, und wobey
sie ferner
3. auf alle und jede dabey interessirte dritte Per-
son z. B. den Pfarrer, den Kaplan und den Herr-
schaftl.[ichen] Müller etc. oder resp. Gemeinden
wegen ihren Beholzungsrechten aus den Waldun-
gen besondere Rücksicht zu nehmen und rechts-
beständig anzuzeigen hätten, wie diese dritte Per-
sonen auf eine den Umständen angemessene Art
nach Recht und Billigkeit beruhiget werden und
abzufinden seyn würden.»
Diese Vernehmlassung der Gemeinde Vaduz samt
Plan sei vom Oberamt auf ihre Vollständigkeit zu
prüfen und anschliessend der Gemeinde Schaan
befristet zur Vernehmlassung zu übergeben. Falls
diese den Vaduzer Vorschlag nicht für ausführbar
oder gerecht erachte, habe sie ihre Meinung genau
zu begründen und ihrerseits dem Oberamt einen
detaillierten Gegenvorschlag zu unterbreiten. Auch
diesen habe das Oberamt genau zu prüfen. Sollte
die Gemeinde Schaan keine Stellungnahme abge-
ben oder diese unzulässig verzögern, würde «der
von der Gemeinde Vaduz vorgelegte Plan in con-
tumaciam zur Grundlage der vorzunehmenden
Theilung genommen werden». Die Gegenvernehm-
lassung der Gemeinde Schaan sei der Gemeinde
Vaduz «zur schlüsslichen Handlung, diese aber der
Gemeinde Schan zur schlüsslichen Gegenäusse-
rung mitzutheilen, und die eingekommene schlüss-
liche Gegenäusserung der Gemeinde Vaduz zuför-
derst noch ad notitiam zu communiciren, sodann
aber sämtliche Verhandlungen in Beisein beeder-
seitigen Gemeinds-Deputirten zu collationiren und
verschlossen anhero einzuschicken». Mittlerweile
sei der Gemeinde Schaan «zu ihrer einsweiligen
Beruhigung» auf ihre Bittschrift mitzuteilen, dass
diese der Gemeinde Vaduz zur Vernehmlassung
mitgeteilt worden sei und «nach deren Einlangung
und weiteren rechtlichen Verfahren in Sachen er-
gehen würde, was rechtens seye». Einstweilen sol-
le das Oberamt zwischen den beiden Gemeinden
ein Provisorium oder gütliches Einverständnis ein-
leiten, «dass sie sich während dieser Verhandlung
oder Vorbereitung zu dem abzweckenden Vergleich
keine Excessen oder Missbrauch in denen abzu-
theilenden Gemeinrealitäten über den bisherigen
gewöhnlichen Fruchtgenuss erlauben, weilen an-
sonsten ein oder andere Gemeinde bei der nach
erfolgtem Vergleich bestehenden Theilung und
Uibergaab oder Abtrettung der Realitäten über der-
selben einstweilige Deterioration 7 5 wieder eine Be-
schwerde führen könnte, folglich die Processe kein
Ende nehmen würden». Das Hofkanzleischreiben
schloss mit dem Bemerken-, «Diese provisorische
Verfügung ist so nothwendig als wichtig, wird aber
auch von Seiten des Oberamts am schwersten zu
erzielen sein, dahero solche desselben Gutbefund
und der Laage der Umstände überlassen wird.»
Damit war das Oberamt aufs Eis geschickt. Der
Auftrag aus Wien war überaus heikel.
Am 8. April 1796 teilte das Oberamt der Bürger-
schaft zu Vaduz den Bescheid und Auftrag der Hof-
kanzlei wörtlich mit. 7 6
Am 23. April 1796 erhielt die Bürgerschaft zu
Schaan vom Oberamt die Vaduzer Gegenäusserung
«zu dem Ende zugestehet, dass, wenn sie in dieser
ihrer Abtheilungssache etwas besseres und schick-
sameres an Händen zu geben im Stande ist, sie
solches längstens in Zeit 14 Tagen anher eingeben
solle». 7 7
Am 12. Mai 1796 übersandte das Oberamt die
Stellungnahme der Gemeinde Vaduz und die Ge-
genäusserung der Gemeinde Schaan an die Hof-
kanzlei. Vaduz beantragte, dass zuerst, «wie es bey
24
Dr. phil. Alois Ospelt (Vaduz): Grundentlastung
und Bauernbefreiung im Revolutionsjahr 1848:
Kernpunkt einer Agrar- und Sozialreform.
Mag. phil. Roland Steinacher (Innsbruck): Franz
Josef Oehri und Peter Kaiser —- ein Vergleich (1848:
Laufbahn und Tätigkeit, Verfassung und Politik).
cand. phil. Alicia Längle (Triesen): Die nationale
[dentität Liechtensteins - eine Momentaufnahme
Dr. Walter Leimgruber (Zürich) und Hanno Platz-
summer (Dornbirn), sowie Urs Kamber (Direktor
Heidiland) und Gieri Spescha (Leiter PR/Medien
Graubünden) über Bedeutung, öffentliche Förde-
rung und Vermarktung von Volkskunde und volks-
kundlichen Themen.
UNTERSTÜTZUNGEN
Die erfolgreich durchgeführte Tagung erhielt zahl-
reichen Publikumszuspruch und konnte mit einer
angeregten Diskussion abgeschlossen werden. Die
Fagungsbeiträge werden unterdessen für den Druck
vorbereitet.
VOLKSKUNDE HEUTE
Am Samstag, den 21. November 1998, wurde vom
Arbeitskreis für Regionale Geschichte (ARG) eine
Tagung zum Thema «Zwischen Markt und Elfen-
beinturm — Volkskunde heute» veranstaltet. An der
vorbereitenden Planung und Organisation vor Ort
war das Historische Lexikon beteiligt und mitver-
antwortlich. Die Tagung umfasste drei Teile. Ein-
führend referierte der Tübinger Volkskundler und
Kulturforscher Professor Dr. Hermann Bausinger
grundsätzlich über die Volkskunde. Im zweiten Teil
fanden drei Workshops statt, die von ausgewiese-
nen Fachleuten, etwa des volkskundlichen Semi-
nars der Universität Zürich oder Fachpersonal von
Museen geleitet wurden. Der erste Workshop be-
fasste sich mit «Bildern, Fotografien und Film» in
der Volkskunde, der zweite informierte über die
«Erzählforschung am Beispiel unserer alpinen
Sagen», der dritte Workshop gab Einblick in den
Alltag eines universitären Volkskunde-Instituts
(Zürich, Professor U. Gyr). Am Nachmittag disku-
tierten im Rahmen einer Podiumsdiskussion zum
Thema «Volkskunde - Mauerblümchen oder Markt-
schlager?» unter Leitung des Programmchefs des
rätoromanischen Fernsehens, Peter Egloff, Frau
Regierungsrätin Dr. Andrea Willi (unter anderem
Leiterin des Ressorts Kultur), Dr. Walter Fink
(Leiter Volkskultur beim ORF), die Volkskundler
Im Berichtsjahr liess die Givalda Stiftung auf An-
trag des Stiftungsrates lic. iur. Walter Matt dem
HLFL einen Beitrag zur Förderung seiner Projekte
zukommen. Für diese verdienstvolle Förderung
Möchte ich meinen herzlichen Dank aussprechen.
Die Liechtensteinische Landesbank ermöglichte
auf Vermittlung der Redaktion des Historischen
"exikons die Publikation der von Manfred Tschaik-
Jıer erarbeiteten Studie «<«Der Teufel und die Hexen
Nüssen aus dem Land; ... Frühneuzeitliche Hexen-
verfolgungen in Liechtenstein» im Jahrbuch des
Historischen Vereins mit einem grosszügigen För-
derbeitrag. Für diese Unterstützung möchte ich der
Liechtensteinischen Landesbank, insbesondere den
Ansprechpartnern Ernst Risch und Monica Borto-
lotti, sowie Dr. Josef Fehr, herzlich danken.
AUSBLICK
Im Jahre 1999 wird die Artikelproduktion den zen-
tralen Schwerpunkt der Redaktionstätigkeit des
Historischen Lexikons für das Fürstentum Liech-
tenstein bilden. Zielsetzung ist eine starke Stei-
gerung der Artikelproduktion in den Bereichen
Biographien, Familien und Orten. Für den Bereich
der Sachstichwörter (Artikel) sind, weil gravieren-
de Forschungslücken vorhanden sind, vorgängig
und weiterhin eingehende Grundlagenstudien not-
wendig. Das Erreichen dieses Zieles ist, wie auch in
den letzten Jahren, davon abhängig, ob genügend
kompetente Autoren und Autorinnen rekrutiert
werden zu können.
Zusätzliche Aufgabenbereiche betreffen die
Drucklegung der Bände «Bausteine zur liechten-
—— \
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
steinischen Geschichte» und des Tagungsbandes
«Liechtenstein und die Revolution 1848», zudem
die Durchführung der 3. Liechtensteinischen Histo-
rischen Tagung am 11./12. Juni 1999 zum Thema
«Repräsentation, Herrschaft, Herrschaftswechsel»
sowie die Weiterführung laufender Aufgaben.
DANK
ANSCHRIFT
Historisches Lexikon
Für das Fürstentum
Liechtenstein (HLFL)
Messinastrasse 5
Postfach 626
FL-9495 Triesen
Telefon 00423 /392 36 36
Felefax 00423 /392 36 37
£-Mail: hlfl@lie-net.li
Das Historische Lexikon für das Fürstentum Liech-
jenstein kann nur dank des Goodwills und der
Unterstützung anderer Institutionen und Personen
gedeihen. Ich möchte deshalb der Fürstlichen Re-
gierung für das Vertrauen und die Unterstützung
danken. Dank schuldig ist das HLFL auch der Trä-
gerschaft, dem Historischen Verein und seinem
Vorstand, besonders dem Präsidenten Dr. Rupert
Quaderer und dem Geschäftsführer lic. phil. Klaus
Biedermann. Zu danken habe ich auch den Mitglie-
dern des Wissenschaftlichen Beirates, den wissen-
schaftlichen Beratern und Beraterinnen, den Auto-
en und Autorinnen, dem Historischen Lexikon der
Schweiz (HLS) und seinem Chefredaktor Dr. Mario
Jorio. Gedankt sei ebenso den Vorständen der in:
volvierten Institutionen, dem Landesarchiv, der
Landesbibliothek und dem Landesmuseum
Triesen, am 15. Februar 1999
HISTORISCHES LEXIKON FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN (HLFL)
lic. phil. Arthur Brunhart
Chefredaktor
LIECHTEN-
STEINISCHES
LANDESMUSEUM
1998
LIECHTENSTEINISCHES
LANDESMUSEUM 1998
Jahresbericht 1998
STIFTUNGSRAT
Der Stiftungsrat des Liechtensteinischen Landes-
museums trat am 9. Februar 1998 zu seiner letzten
Sitzung unter dem Vorsitz des Präsidenten Dr. Kurt
F. Büchel zusammen. Am 17. März 1998 wurde der
Stiftungsrat durch die Fürstliche Regierung für die
Mandatsperiode von 1998 bis 2002 neu bestellt.
Der Stiftungsrat setzt sich aus folgenden Mitglie-
lern zusammen: Mag. Edmund Banzer, Hohen-
ems (bisher), Trudy Bricci-Marok, Mauren (bisher),
Ulrike Brunhart, Balzers (bisher), lic. phil. Roland
Hilti, Schaan (bisher), Maria Marxer, Gamprin
neu), lic. phil. Eva Pepi€c, Schaan (neu), Dr. Tho-
mas Wilhelm, Vaduz (neu); ausgeschieden sind Dr.
Kurt F. Büchel, Triesen, Paul Büchel, Ruggell, und
lic. phil. Veronika Marxer, Schaan.
In der konstituierenden Sitzung vom 12. Mai
1998, an der Frau Regierungsrat Dr. Andrea Willi,
Kulturministerin, teilnahm, wurde Frau lic. phil.
Eva Pepic zur Präsidentin des Stiftungsrates ge-
wählt. In drei weiteren Sitzungen befasste sich der
Stiftungsrat neben dem Budgetantrag 1999 insbe-
sondere mit dem im Mai abgeschlossenen Archi-
tekturweitbewerb «Renovation und Erweiterung
des Liechtensteinischen Landesmuseums» sowie
mit Fragen der personellen Struktur des Museums.
MUSEUMSKOMMISSION
Die Museumskommission wurde in der bisherigen
Zusammensetzung durch den neu ernannten Stif-
‚ungsrat bestätigt. Ihr gehören Johann Otto Oehry,
Triesen, Manfred Wanger, Planken, und Univ. Prof.
Dr. Elmar Vonbank, Bregenz, an. Vorsitz in der
Museumskommission führt der Museumsleiter lic.
ohil. Norbert W. Hasler. Die Museumskommission
entschied in zwei Sitzungen über zahlreiche An-
Käufe, Neuzugänge und Schenkungen, über Ge-
suche um Leihgaben und befasste sich eingehend
mit weiteren museumsrelevanten Fragen, nament-
lich im Zusammenhang mit dem Architekturwett-
voewerb sowie mit den Zukunftsperspektiven des
Liechtensteinischen Landesmuseums.
MUSEUMSVERWALTUNG
Das Berichtsjahr 1998 stand aus der Sicht des
"iechtensteinischen Landesmuseums ganz im Zei-
chen des Architekturwettbewerbs zur «Renovie-
rung und Erweiterung des Liechtensteinischen
Landesmuseums». Auf den 1997 europaweit ausge-
schriebenen Architekturwettbewerb sind insge-
samt 191 Bewerbungen eingegangen, aus denen
das Preisgericht unter dem Vorsitz von Regierungs-
chef Dr. Mario Frick in der Sitzung vom 12. Dezem-
ver 1997 insgesamt 29 Architekten beziehungs-
weise Architekturbüros zum Wettbewerb zugelas-
sen hat. Termingerecht wurden in der Folge 23
Projekte eingereicht. Am 18. und 19. Mai 1998 trat
das Preisgericht zur Beurteilung zusammen. Nach
eingehenden Diskussionen und mehreren Wer:
tungsrundgängen kam die international zusam-
nengesetzte Jury, in der das Landesmuseum durch
den Stiftungsratspräsidenten Dr. Kurt F. Büchel
ınd den Museumsleiter vertreten war, zur defini-
ven Wertung. Auf Rang 1 kam das Projekt Nr. 8
nit dem Kennwort «Reihenfolge», Architekturbüro
Frank Brunhart, Balzers. Das Ergebnis des Archi-
tekturwettbewerbs wurde in den liechtensteini-
schen Landeszeitungen sowie in Fachzeitschriften
bekanntgegeben. Sämtliche Entwürfe wurden nach
der Beurteilung durch das Preisgericht unter Na-
mensnennung der Verfasser im Foyer des Vaduzer-
Saales vom 26. Mai bis 8. Juni 1998 ausgestellt.
Stiftungsrat und Museumskommission haben die
Gelegenheit zum Besuch der Projektausstellung ge-
nutzt. Mit der Projektleitung wurde Dipl. Arch. ETH
Michael Pattyn vom Hochbauamt beauftragt. Meh-
rere Arbeitsgruppen wurden durch die Fürstliche
Regierung einberufen, welche umgehend die Vor-
arbeiten zur Organisation und Strukturierung der
Realisierungsphase aufnahmen. Eine Fachkommis-
3ion, unter Beizug der Beratungsstelle für Landes-
geschichte unter der Leitung von Univ. Prof. Dr.
Roger Sablonier, Zürich/Zug, erarbeitete in zahl-
reichen Sitzungen ein Museumsleitbild und ent-
schied über die verschiedenen Nutzungsbereiche
der beiden Altbauten (Landesmuseumsbau und
Verweserhaus) sowie über den künftigen Erweite-
243
rungsbau und klärte grundlegende Fragen für ein
aeues Ausstellungskonzept der Dauerausstellung
des Liechtensteinischen Landesmuseums unter
Einbezug einer naturkundlichen Abteilung. Die Er-
arbeitung des Ausstellungskonzeptes wird eine der
Hauptaufgaben für das Jahr 1999 sein. Am 8. Okto-
ver 1998 erfolgte im Regierungsgebäude in Anwe-
senheit von Vertretern aller planungsbeauftragten
Büros der offizielle Projektstart. Der Museumsleiter
stellte dabei in einem Einführungsreferat das Leit-
oild und das geplante Nutzungskonzept vor. Im
Dezember konnte eine umfassende Dokumenta-
‘on der Vorprojektphase (Konzepte 12/98) vorge-
‚egt werden.
«Die Hauptaktivitäten eines Museums finden
gleichsam hinter den Kulissen statt» (Felix Marxer,
1987); dies umso mehr, wenn es seit nunmehr
sieben Jahren geschlossen ist. Dennoch gilt die
3ewahrung des Vergangenen als Dienst am Heute
als erster Auftrag, namentlich eines historischen
Landesmuseums. Somit konnten im Berichtsjahr
1eben der Wahrnehmung umfangreicher admini-
strativer Aufgaben mehrere Projekte abgeschlos-
sen beziehungsweise weitergeführt werden. Immer
wieder ist das Landesmuseum Anlaufstelle für
Wissenschafter und Autoren. So konnte sich die
Museumsleitung u. a. an folgenden Publikationen
oeteiligen: Schweizer Museumsführer mit Ein-
schluss des Fürstentums Liechtenstein, heraus-
gegeben vom Verband der Museen der Schweiz,
$. Ausgabe, Basel, Berlin 1998; DuMont Kunst-
Reiseführer Ostschweiz. Die Kantone Zürich,
Schaffhausen, Thurgau, St. Gallen, Appenzell, Gla-
rus und das Fürstentum Liechtenstein, Köln 1998;
Spätgotische Flügelaltäre in Graubünden und im
Fürstentum Liechtenstein, Chur 1998. Das Landes-
museum stand jeweils mit fachlicher Beratung und
Bildmaterial aus seinem reichhaltigen Archiv zur
Verfügung. Der Museumsleiter seinerseits konnte
mehrere Fachbeiträge publizieren. Die im April
1997 begonnene Beitragsserie «Objekt des Monats
- Aus den Sammlungen des Liechtensteinischen
Landesmuseums», publiziert im Liechtensteiner
Vaterland, wurde lückenlos weitergeführt. In re-
stauratorischen, konservatorischen, denkmalpfle-
gerischen und museumstechnischen Fragen war
das Museumspersonal für Private, Gemeinden und
Museen tätig.
Erneut war das Liechtensteinische Landesmu-
seum mit Leihgaben an Ausstellungen vertreten,
u.a. mit zahlreichen Exponaten aus der Archäolo-
gischen Sammlung an der Ausstellung «Schmuck
aus den Alpen. Von der Prähistorie bis zum Früh-
Mittelalter» im Rätischen Museum in Chur (7. Mai
Dis 18. Oktober 1998) und an der Ausstellung «Bür-
gerfleiss und Fürstenglanz. Reichsstadt und Fürst-
abtei Kempten» in der Kemptener Residenz (16.
Juni bis 8. November 1998), durchgeführt vom
Haus der Bayerischen Geschichte, Augsburg. Nach
wie vor befinden sich zahlreiche Leihgaben in der
Ausstellung «Klar und Fest. Geschichte des Hauses
Liechtenstein» in der Riegersburg, Oststeiermark.
Jie Ausstellung dauert noch bis Ende 1999.
Zur Eröffnung des Liechtenstein-Instituts im
ehemaligen Pfarrstall Bendern vom 6. bis 8. März
1998 führte das Landesmuseum in Zusammen-
arbeit mit der Fachstelle Archäologie eine Ausstel-
'ung im Foyer des Liechtenstein-Instituts durch, die
dem Gebäude und dem historisch bedeutsamen
Kirchhügel von Bendern gewidmet war. Die Veran-
staltung ist auf grosses Interesse gestossen
TAGUNGEN, KOMMISSIONSARBEIT.
PROJEKTE
Neben dem Besuch zahlreicher Museen und Aus-
stellungen im In- und Ausland im Rahmen von
Arbeitssitzungen und Tagungen soll hier nament-
lich erwähnt sein, dass das Liechtensteinische Lan-
desmuseum durch seinen Leiter am Festakt zum
L00-Jahrjubiläum des Schweizerischen Landesmu-
seums in Zürich am 25. Juni 1998 vertreten war.
Der festliche Anlass stand unter dem Patronat von
Frau Bundesrat Ruth Dreifuss, Vorsteherin des Eid-
genössischen Departements des Inneren. Gleich-
zeitig wurde die Sonderausstellung «Die Erfindung
der Schweiz 1848-1998» eröffnet.
Am 9. November 1998 fand im Naturmuseum
in Dornbirn die Generalversammlung des Vereins
SP
LIECHTENSTEINISCHES
LANDESMUSEUM 1998
Museen und Schlösser Euregio Bodensee statt. Der
Leiter des Liechtensteinischen Landesmuseums
wurde dabei in den Vorstand gewählt, dem er
dereits seit 1997 als Beirat angehörte.
Überdies war das Museum durch seinen Leiter
vertreten an der Pressekonferenz des Organisa-
tionskommitees «300 Jahre Liechtensteiner Unter-
and» in Bendern vom 19. Februar 1998, an der
J.a. eine für 1999 vorgesehene Publikation über
das Fastentuch von Bendern vorgestellt wurde; an
der Pressekonferenz der Eugen Zotow-Ivan Mias-
sojedoff-Stiftung in Vaduz vom 11. April 1998 im
Vorfeld der Zotow-Ausstellung in der Tretjakoff-Ga
‚erie in Moskau; an der Internationalen Bodensee-
Konferenz (IBK) in Vaduz vom 26. März 1998 sowie
in der Jury-Kommission über den Künstlerischen
Projektwettbewerb zur Errichtung einer Brunnen-
anlage in Vaduz (Schweizer Verein im Fürstentum
Liechtenstein in Zusammenarbeit mit dem Land
.ljechtenstein), die am 6. November 1998 unter
dem Vorsitz von Frau Regierungsrat Dr. Andrea
Willi zur Jurierung zusammentrat.
Mit grossem Zeitaufwand war die Tätigkeit der
Museumsleitung im Berichtsjahr 1998 für Projekte
des Denkmalschutzes verbunden. Bis zum 25.
März 1998 dauerten die Renovationsarbeiten der
Duxkapelle in Schaan. Im Zuge konservatorischer
Überwachungsmassnahmen führt das Landesmu-
seum seit längerem regelmässige Klimamessungen
in der Duxkapelle in Schaan, in der Pfarrkirche
Triesen (spätgotisches Hochaltarretabel aus der
Kapelle St. Mamertus) und in der Marienkapelle in
Triesen durch. Ebenfalls beratend tätig war und ist
das Museumspersonal betreffend Konservierung
ınd Restaurierung der Altäre der Pfarrkirche Rug-
gell und hinsichtlich einer bevorstehenden Reno-
vation der Pfarrkirche Bendern, der Marienkapelle
in Triesen, der Heiligkreuz-Kapelle in Rofaberg,
Eschen, sowie verschiedener Profanbauten des
Landes. In einer eigens einberufenen Arbeitsgrup-
pe engagiert sich der Museumsleiter für die Erar-
Deitung eines künftigen Nutzungskonzeptes des
unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes Nr. 53
in Ruggell.
Bereits zum sechsten Mal war das Landesmu-
seum bei der Vorbereitung und Durchführung des
Europäischen Tages des Denkmals beteiligt, der
aım 27. September 1998 stattgefunden hat und der
dem Thema «Kapellen des Fürstentums Liechten-
stein» gewidmet war. In der Zeitschrift «Terra
jlana» 1998/Nr. 3 ist ein umfangreicher Beitrag
des Museumsleiters erschienen, der die historisch
bedeutendsten Kapellen des Landes in Wort und
3ild darstellt. Die Zeitschrift war in allen für diesen
Tag speziell geöffneten Kapellen für die Besucher
aufgelegt.
Dank der Zusicherung erheblicher finanzieller
Mittel seitens der Gemeinde Gamprin konnte eine
seit langem geplante Publikation über «Das Fasten-
tuch von Bendern, 1612» bis zur Druckreife vorbe-
reitet werden. Die Arbeit wird im Frühjahr 1999
erscheinen.
Im Rahmen der Aktivitäten «300 Jahre Liech-
tensteiner Unterland 1999» ist auch das Liechten-
steinische Landesmuseum in verschiedene Projekte
ınvolviert. Unter der Projektleitung von Pio Schurti
'st dazu eine CD-Rom Produktion und Ausstellung
zum Thema «Liechtensteins Weg» und ein Ge-
schichtspfad bei den Pfrundbauten in Eschen in
Ausarbeitung. Bei der Erstellung einer Kopie des
lohenemser Grenzsteins aus dem Jahre 1693, der
sich in den Sammlungen des Liechtensteinischen
Landesmuseums befindet, stand das Museums-
personal beratend zur Seite. Die Nachbildung wird
im März 1999 in Schaanwald aufgestellt werden.
Verschiedene Sitzungen des Internationalen Ar-
heitskreises Bodenseeausstellungen mit Beteiligung
des Liechtensteinischen Landesmuseums galten
der Vorbereitung der Ausstellung und Erarbei-
jung einer entsprechenden Begleitpublikation zum
Thema «Jahrhundertwende - Jahrtausendwende,
900-2000». Die Ausstellung wird in verschie-
denen Museen im Bodenseeraum in den Jahren
999 und 2000 gezeigt werden. Beim Liechtenstei-
aischen Landesmuseum liegt für dieses Projekt
zudem die Finanzverwaltung.
Überdies war der Museumsleiter im Vorstand
des Historischen Vereins für das Fürstentum
Liechtenstein, in der Lehrerprüfungskommission,
Ar
353
im Museumsbeirat des Walser Heimatmuseums
Triesenberg, der Eugen Zotow-Ivan Miassojedoff-
Stiftung und weiteren Gremien aktiv tätig.
Das 1997 begonnene Projekt «Museumsshop
Liechtensteiner Museen» konnte weitergeführt und
ieicht ausgebaut werden. Die Administration liegt
bei Frau Gertrud Frick, Teilzeitmitarbeiterin seit
1996 beim Landesmuseum. Paul Frick, seit 28 Jah-
ren Mitarbeiter des Landesmuseums, war im we-
sentlichen mit technischen und photographischen
Arbeiten und Aufträgen ausgelastet.
Intern konnte die Museumsleitung nach langen
Verhandlungen im Mehrzweckgebäude in Triesen
einen zusätzlichen Depotraum gewinnen, was eine
wesentliche Verbesserung der Verwahrung der
Sammlungen darstellt. Dadurch konnten eine Mo-
nogrammstickereimaschine und eine Bandsticke-
creimaschine aus der Mitte des 19. Jahrhunderts,
die sich in den Museumssammlungen befinden und
heute bereits grosse Raritäten darstellen, durch
Herrn Kurt Gantenbein von der Stickereifachschule
St. Gallen fachgerecht bis zur Betriebsbereitschaft
aufgebaut werden. Die Museumsleitung ist bemüht,
einen Videofilm im Rahmen der Serie «Sterbendes
Handwerk» über die Anfänge der maschinellen
Stickerei in Liechtenstein zu realisieren.
RESTAURIERUNGEN
Das Restaurierungsprogramm der museumseigenen
Sammlungen konnte durch Restaurator Thomas
Müssner neben der Depotverwaltung und konser-
vatorischen Sammlungsbetreuung kontinuierlich
weitergeführt werden. Neben dem Besuch ver-
schiedener fachspezifischer Tagungen wurde Tho-
mas Müssner die Möglichkeit geboten, in der Zeit
vom 21. September bis 18. Dezember 1998 den
Kurs «Mastro» am Europäischen Zentrum für
Restauratoren und Denkmalpfleger in Venedig
zu absolvieren. Herr Müssner konnte den Kurs
erfolgreich mit einem Zertifikat abschliessen, die
dabei gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse
können bei seiner weiteren anspruchsvollen Tätig-
keit beim Liechtensteinischen Landesmuseum für
die kommenden Arbeiten im Dienste der Erhaltung
ınseres Kulturgutes eingebracht werden. Der
Jürstlichen Regierung sei an dieser Stelle für die
Gewährung des Studienaufenthaltes namens des
Landesmuseums bestens gedankt.
WOHNMUSEUM HAUS NR. 12
IN SCHELLENBERG
Am Sonntag, 5. April 1998 war das Wohnmuseum
Jaus Nr. 12 in Schellenberg —- eine Aussenstelle
des Liechtensteinischen Landesmuseums —- wieder
erstmals regulär für die interessierten Besucher
geöffnet; es war dies bereits die fünfte Saison seit
der Museumseröffnung im Frühjahr 1994. Wenige
Tage zuvor konnte eine Videoanlage installiert wer-
den und der soeben fertiggestellte Videofilm «Die
yewegte Geschichte vom Haus Nr. 12 in Schellen-
berg», eine KÖ-Filmproduktion Schaan, erstmals
aufgeführt werden. Idee, Drehbuch und Kommen-
tar stammen von Hansjörg Frommelt und Norbert
N. Hasler. Der Film beinhaltet Aufnahmen, die
während des Abbaus und der Wiedererstellung des
Biedermannhauses in den Jahren 1992 und 1993
‚aufend gedreht wurden, ergänzt mit Erläuterun-
gen zur bald fünfhundertjährigen Geschichte des
dauses anhand einer Führung durch das Wohn-
museum. Er will einen Einblick in die bewegte Ver-
gangenheit des Hauses geben und damit auch ein
Stück weit unsere eigene Geschichte aufzeigen. Am
20. September 1998 fand im Vorfeld der Aktivitäten
«300 Jahre Liechtensteiner Unterland 1999» der
Tag der Begegnung mit den Einwohnern und Ein-
wohnerinnen von Triesenberg in Schellenberg
statt. Das Aufsichtspersonal und der Museums-
leiter standen den zahlreichen Besuchern — es
waren an die vierhundert —- mit Aus- und Ein-
führungen über das Haus zur Verfügung. In einem
Saal des Gemeindezentrums wurde der Videofilm
auf Grossleinwand projiziert. Insgesamt durfte das
Wohnmuseum im Berichtsjahr rund 1200 Besu-
cher begrüssen. Verschiedentlich haben Gruppen-
führungen stattgefunden. Für den bewährten Auf-
sichtsdienst sei an dieser Stelle Frau Rosemarie
1,
LIECHTENSTEINISCHES
LANDESMUSEUM 1998
Biedermann, Mauren, sowie Frau Rösle Jehle,
Schaan, wiederum herzlich gedankt.
SAMMLUNGEN UND BIBLIOTHEK
«Das Jahrhundert geht dem Ende zu, und neben
den Zielen und Erwartungen für die Zukunft sollte
der Blick in die Vergangenheit nicht vergessen
werden. Wirtschaftliche und technische Faktoren,
Datenautobahnen und Globalisierung sind auch für
die Zukunft nur eine Seite der gesellschaftlichen
Grundlagen, die Kultur und ihre Vermittlung blei-
ben ein wichtiger Bestandteil einer humanen Ge-
sellschaft.» (Gerd Biegel, Braunschweig)
Die reichhaltigen und vielseitigen Sammlungsbe-
reiche des Liechtensteinischen Landesmuseums
konnten im Berichtsjahr um 110 Objekte - Ankäufe
und Schenkungen - erweitert, bisherige Samm-
Jungslücken geschlossen werden. Sämtliche Neu-
zugänge sind in Eingangsmeldungen erfasst und
photographisch dokumentiert. Als ein eigentlicher
Sammlungsbeginn konnte der Bereich «Schule und
Bildung» aufgegriffen werden. Die Objekte reichen
von einer Schiebewandtafel über hölzerne Griffel-
schachteln und Schiefertafeln bis hin zu alten
Schulbüchern und Schullandkarten. Im folgenden
soll auf einige der bedeutendsten Neuerwerbungen
des Jahres 1998 eingegangen werden. Ein Ver-
zeichnis der wichtigsten Erwerbungen und Schen:
kungen findet sich im Anhang.
Dank einer grosszügigen Spende der Gedächt-
nisstiftung Peter Kaiser, Vaduz, konnte das Liech-:
tensteinische Landesmuseum ein seltenes und kost-
bares Orgelpositiv aus der Mitte des 17. Jahr:
hunderts für seine Sammlungen erwerben. Nach
neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen durch
den Schweizer Organologen Willi Lippuner, Hinter-
forst (SG), und Frau Mag. Dr. Julia Penninger,
Wien, ist dieses Instrument geradezu der Prototyp
der sogenannten «Bodensee-Positive», die rund um
den Bodensee (mit den Eckpfeilern Vorarlberg und
Liechtenstein, das Rheintal, die Kantone St. Gallen,
Appenzell, Thurgau und Schaffhausen, die deut-
schen Landkreise Konstanz, Bodensee und Lindau)
angetroffen werden können. Der gute Zustand des
instrumentes und der überwiegend hohe Anteil an
alten Pfeifen machen dieses Kleinod zu einem aus-
sergewöhnlichen Objekt des Museums und der
gesamten Region. Dem Liechtensteinischen Lan-
desmuseum eröffnet sich die seltene Chance, der
liechtensteinischen und angrenzenden Bevölke-
rung einen Orgelklang näher zu bringen, der aus
den kulturellen Wurzeln dieser Region herrührt.
Dem Stiftungsrat der Gedächtnisstiftung Peter
Kaiser, Vaduz, sei an dieser Stelle für die Verga-
bung nochmals bestens gedankt.
Im numismatischen Bereich finden sich neben
Jetons, Halb- und Ganztalern der liechtensteini-
schen Fürsten von Johann Adam (1728) bis Fürst
Franz Joseph I. (1778) auch hervorragende Kro-
nenstücke, darunter Raritäten wie das 5-Kronen-
Probe-Stück von 1898, von dem nur wenige Exem-
olare bestehen.
Aus dem künstlerischen Schaffen von Professor
Ferdinand Nigg konnte eine Kohlezeichnung von
hervorragender Qualität erworben werden.
Der Bereich religiöse Volkskunde konnte um
eine erlesene Sammlung filigraner Rosenkränze
des 18. und frühen 19. Jahrhunderts sowie um so-
genannte Stundengebets- und Bruderschaftsformu-
lare ergänzt werden.
Aus der kartographischen Sammlung sei der
Atlas Suisse des J. R. Meyer und J. H. Weiss mit 16
grossformatigen Kupferstichkarten, erschienen in
Aarau im Zeitraum 1796 bis 1802, erwähnt.
Die Fachbibliothek des Liechtensteinischen Lan-
desmuseums konnte ebenfalls kontinuierlich aus-
gebaut und erweitert werden.
+
DANK
Die Leitung des Liechtensteinischen Landesmu-
seums dankt der Fürstlichen Regierung, dem Stif-
tungsrat und der Museumskommission für Vertrau-
en und Unterstützung, den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern für eine angenehme und effiziente
Zusammenarbeit. Ein besonderer Dank gebührt
dem Personal der Archäologischen Forschung in
.lechtenstein, Herrn Hansjörg Frommelt, Leiter,
“rau Mag. Ulrike Mayr und Frau Dr. Verena Hasen-
bach für vielfältige und gute Zusammenarbeit.
Insbesondere gilt ein herzlicher Dank für Ver-
gabungen in die Sammlungen und die Fachbiblio-
ihek des Museums:
- Fürstlicher Rat Robert Allgäuer, Vaduz
Antoinette Beck, Schaan
Albert Bicker, Grabs
Pfarrer Engelbert Bucher, a. Dekan, Triesenberg
Gedächtnisstiftung Peter Kaiser, Vaduz
Gemeindeverwaltung Eschen
Helmut Kranz, Vaduz
Dr. Edwin Oberhauser, Götzis
Arthur Reutimann, Buchs
Univ. Prof. Dr. Elmar Vonbank, Bregenz
Norbert Wenaweser, Nendeln
STIFTUNGSRAT
Mag. Edmund Banzer, Hohenems
Trudy Bricci-Marok, Mauren
Jirike Brunhart, Balzers
Dr. Kurt FE. Büchel, Triesen (Präsident);
is 17. März 1998
Yaul Büchel, Ruggell; bis 17. März 1998
lic. phil. Roland Hilti, Schaan
Maria Marxer, Gamprin; seit 17. März 1998
lic. phil. Veronika Marxer, Schaan;
bis 17. März 1998
lic. phil. Eva Pepic, Schaan (Präsidentin);
seit 17. März 1998
Dr. Thomas Wilhelm, Vaduz; seit 17. März 1998
MUSEUMSKOMMISSION
lic. phil. Norbert W. Hasler, Schaan (Vorsitz)
Johann Otto Oehry, Triesen
Univ. Prof. Dr. Elmar Vonbank, Bregenz
Manfred Wanger, Planken
MUSEUMSPERSONAL
lic. phil. Norbert W. Hasler, Schaan, Museumsleiter
Gertrud Frick, Schaan, Teilzeitmitarbeiterin
Paul Frick, Schaan, Museumstechniker, Photo-
graph
Thomas Müssner, Bendern, Restaurator
Rosemarie Biedermann, Mauren, Aufsicht Wohn-
museum Schellenberg
Rösle Jehle, Schaan, Aufsicht Wohnmuseum
Schellenberg
Vaduz, im Januar 1999
Der Jahresbericht 1998 ist vom Stiftungsrat des
Liechtensteinischen Landesmuseums in seiner Sit-
zung vom 8. Februar 1999 genehmigt worden.
LIECHTENSTEINISCHES
LANDESMUSEUM 1998
Verzeichnis der wichtigsten
Erwerbungen und Geschenke
GRAPHIK UND KARTOGRAPHIE
Ursula von Liechtenstein. Kupferstich um 1550
VRSVLA A LIECHTENSTAIN CONIVNX NVPTA
Ao. D: 1540.
33,6 x 24 cm. E 98/54
Atlas Suisse von J. R. Meyer und J. H. Weiss.
16 Kupferstichkarten. Erstausgabe, Aarau,
1796 bis 1802.
208 x 284 cm. E 98/91
Rundschau vom Margarethenkapf bei Feldkirch.
Lithographie. Hrsg. Wagner’sche Lithographie in
.nnsbruck, um 1900.
23 x 52 cm. E 98/55
Umgebung von Bludenz und Vaduz.
Kupferstichkarte von J. David, um 1840
27 x 39 cm. E 98/33
Gebirgs-, Post- und Reisekarte.
Tyrol, Südbayern und Liechtenstein.
Verlag Georg Franz, München 1855/56.
324 x 56.6 cm. E 98/30
Kupferstich mit dem
Porträt der Ursula von
Liechtenstein, angefertigt
Jım 1550
Aus 16 Kupferstichkarten
gesteht der in den Jahren
1796 bis 1802 in Aarau
gedruckte «Atlas Suisse».
Der die Karten schützende
Jriginalschuber ist eben-
:alls vorhanden
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
der Abtheilung der Gemeinheiten zwischen Ruckell
und Schellenberg geschehen ist, ein Plan und Be-
schrieb über das Ganze aufgenommen und dann
erst zur Abtheilung geschritten werden sollte. Und
weil hier in Vadutz und zu Schan kein einziger
Mann sey, welcher einen solchen Plan aufzuneh-
men im Stand wäre, so bittet dieselbe, dass der
Plan durch auswärtige Sachverständige aufgenom-
men werden möchte.» Schaan wolle es «der Ge-
meind Vadutz neml.[ich] zum Vergehen anrechnen,
dass sie keinen Plan machen könne, und ist doch
eben so wenig oder noch weniger im Stande, einen
Plan zu Wege zu bringen.» 7 8
Am 10. Juni 1796 erliess die Hofkanzlei folgen-
den Bescheid: Der Gemeinde Vaduz sollte es frei
stehen, eine «Abschätzung und Ausmessung der
Gemeinheiten durch die beeden Moser, Vater und
Sohn, oder allenfalls auch durch andere verstän-
dige und unpartheyische Männer, gegen welche die
Gemeinde Schaan irgend etwas Erhebliches und
Gegründetes einzuwenden nicht vermag, und wel-
che auch, falls sie nicht ohnehin schon zu solchen
Unternehmungen beeidiget sind, auf Verlangen der
Gemeinde Schaan annoch besonders zu beeidigen
wären, im Beyseyn eines oberamtljichen] Kom-
missärs vornehmen zu lassen.» Falls Vaduz die
Sache nicht bis zum Ende des Kriegs liegen lassen
wolle, habe die Gemeinde einstweilen die anfallen-
den Kosten allein zu tragen, «bis sich etwa in der
Folge näher bestimmen lassen würde, in wie weit
die Gemeinde Schaan hieran eine Vergütung zu
leisten gehalten seye.» Wenn das Oberamt die Ge-
meinde Schaan «zu gleicher oder verhältnismäs-
siger Tragung der Unkosten» bringen könne, wäre
dies umso besser, «diesen abermaligen künftigen
Streitgegenstand gleich derzeit zu vermindern.»
Die Gemeinde Schaan könne «Deputirte oder sonst
verständige Männer dem Ausmessungs- und Ab-
schätzungswerke» auf ihre Kosten beiwohnen las-
sen. Vaduz müsse Schaan Ort, Stelle und Zeitpunkt
der «zu veranstaltenden Ausmessung und Schät-
zung bey Zeiten» bekannt machen.7'1
Das Oberamt teilte den Gemeinden Vaduz und
Schaan den Bescheid der Hofkanzlei mit. 8 0
Am 27. November 1796 gelangte das Oberamt
an die Gerichtsschreiberei zu Dornbirn. Diese soll-
te den beeidigten Feldmesser Kaspar Moser anfra-
gen, ob er bereit wäre, einen Plan zur Verteilung
der Gemeinheiten zwischen Vaduz und Schaan zu
entwerfen. Moser habe bereits in einem ähnlichen
Geschäft zwischen Ruggell und Schellenberg seine
Geschicklichkeit erprobt.8 1 Moser sagte zu . 8 2
Am 8. Januar 1797 teilte das Oberamt der Ge-
meinde Schaan mit, «dass die geschworenen Feld-
messer Moser Vater und Sohn von Dorrenbieren
wirkl.[ich] dahier [d.i. in Vaduz] angekommen sind,
um den Plan zur künftigen Abtheilung der Gemein-
heiten ... aufzunehmen. Da nun nichts mehrer zu
wünschen ist, als dass dieses Geschäft mit beider-
seitiger Einverständnuss vor sich gehen und durch
Missverständnuss keine weitere Kosten veranlasset
werden, als wird die Gemeind Schan erinnert, dass
sie zu Aufnehmung dieses Planes Abgeordnete er-
wählen und zugeben sollen, damit solches in Ge-
genwart beider Theilen, wohin auch die höchste
Gesinnung abzielet, zu Stande gebracht werde .» 8 3
Eine gleiche Mitteilung ging auch an die Gemeinde
Planken. 8 4 In der Folge wurde das ganze Gebiet im
Beisein von Vertretern der drei Gemeinden ver-
messen.
Im März 1797 stand die Schätzung der ver-
messenen Gemeinheiten an. Auf Ansuchen der
75) Das heisst: Beschädigung.
76) LLA RA 32/1/9. Oberamt an Gemeinde Vaduz. 8. Apr i l 1796.
77) LLA RA 32/1/11, Oberamt an Gemeinde Schaan. 23. Apr i l 1796.
78) LLA RA 32/1/12, Oberamt an Hofkanzlei. 12. Mai 1796.
79) LLA RA 32/1/13. Hofkanzlei an Oberamt, 10. Juni 1796, einge-
gangen am 26. Juni 1796.
80) L L A RA 32/1/14. Oberami an die Gemeinden Vaduz und Schaan.
28. Juni 1796.
81) LLA RA 32/1/15. Oberamt an Gorichtsschreiberei zu Dornbirn.
27. November 1796.
82) LLA RA 32/1/16, Gericht Dornbirn an Oberamt. 10. Dezember
1796.
83) LLA RA 32/1/18, Oberamt an Gemeinde Schaan. 8. Januar 1797.
84) Ebenda. Oberamtsvermerk.
25
Das aus dem Bodensee-
°aum oder aus dem Rhein-
:al stammende Orgel-
Jositiv ist die wohl bedeu-
;‚endste Neuerwerbung
°ür das Landesmuseum im
Berichtsjahr 1998. Das
sich in einem guten
Zustand befindliche In-
strument wartet mit einem
ıohen Anteil an alten
Pfeifen auf. Der Orgelklang
les 17. Jahrhunderts kann
leshalb in beinahe un-
verfälschtem Zustand
wiedergegeben werden.
\uf dem linken Flügel ist
<önig David mit der Harfe
zu sehen, auf dem rechten
Zügel ist Orpheus zu er-
<ennen, der mit seinem
Geigenspiel die Tiere
oetört. Sowohl David als
auch Orpheus sind Ver:
mittler der göttlichen
Musik.
LIECHTENSTEINISCHES
LANDESMUSEUM 1998
KUNST UND KUNSTHANDWERK
Orgelpositiv, 1. Hälfte 17. Jahrhundert.
Provenienz Rheintal / Bodenseeraum.
Höhe 198 cm, Breite mit geöffneten Flügeln
270 cm.
Disposition: Koppel 8’, Holzflöte 4’, Prinzipal 2’
Oktave 1’, Quinte.
Bemalte Flügel: König David und Orpheus.
Geschenk der Gedächtnisstiftung Peter Kaiser.
Vaduz.
E 98/50
Puttenpaar. Holzgeschnitzt und gefasst.
Umkreis Erasmus Kern, Feldkirch, Mitte 17. Jahr-
hundert.
Zirka 26 x 14 cm. E 98/48
Putto. Holzgeschnitzt und gefasst.
17. Jahrhundert.
Zirka 30 x 16 cm. E 98/47
Napoleon in der Schlacht bei Waterloo.
Gouache über Aquatinta, weiss gehöht.
Frankreich, um 1815.
17 x 23 cm. E 98/51
Maria mit Kind und Engel.
Kohlezeichnung von Ferdinand Nigg (1865 bis
1949).
Links unten bez. F.N.
62 x 23,5 cm. E 98/62
Bristen im Maderanertal. Öl auf Leinwand.
Gemälde von Fritz Blacha.
Rechts unten datiert und signiert: F. B. 1936.
417,5 x 63 cm. E 98/90
Ferdinand Sele und sein Haus. Bauer und
Wilderer von Triesenberg (* 1829; + 1920). Porträt
in Farbkreide von Peter Balzer.
Rechts unten bezeichnet Balzer, 1914.
32,5 x 27 cm. E 98/84
Weg vom Steg ins Malbun. Öl auf Leinwand.
Friedrich Kaufmann (1892 bis 1972).
Links unten signiert Fr. Kaufmann.
67 x 55.5 cm. E 98/23
Zin charakteristisches
Werk von Ferdinand Nigg
ist diese Kohlezeichnung,
auf der die Gottesmutter
Maria mit dem Jesuskind,
von einem Engel behütet,
zu sehen ist
al
Wr
4)
HERALDIK
Wappen der Grafen von Montfort.
Kolorierter Kupferstich auf Pergament.
30 x 23,5 cm. E 98/24
Wappentafel (Gusseiserne Ofenplatte), datiert 1851
Wappen des Königreichs Bayern (1806 bis 1918),
Wappenspruch: GERECHT UND BEHARRLICH.
56 x 70 cm. E 98/1
Geschenk: Helmut Kranz, Vaduz
NUMISMATIK
Peter Balzer porträtierte
im Jahre 1914 den damals
35-jährigen Bauern und
Wilderer Ferdinand Sele.
[m Hintergrund dieser
charaktervollen, mit Farb
kreide angefertigten Por-
trätstudie ist das Wohn-
und Stallgebäude des
Triesenbergers Ferdinand
Sele zu erkennen
Jeton. Silber, unzirkuliert, 1773.
Fürst Joseph Wenzel von Liechtenstein.
DZ 2,5 cm. E 98/37
Halbtaler. Silber, stempelglanz, unzirkuliert, 1758.
Fürst Joseph Wenzel von Liechtenstein.
DZ 3,4 cm. E 98/35
Halbtaler. Silber, unzirkuliert, 1778.
Fürst Franz Joseph I. von Liechtenstein.
Z 3.4 cm. E 98/36
Ganztaler. Silber, vorzüglich, unzirkuliert, 1728.
Fürst Johann Adam von Liechtenstein.
241cm.E 98/38
Ganztaler. Silber, vorzüglich, unzirkuliert, 1758.
Fürst Joseph Wenzel von Liechtenstein.
24.1 cm. E 98/39
Ganztaler. Silber, stempelglanz, unzirkuliert, 1778.
Fürst Franz Joseph I. von Liechtenstein.
Z 4.1 cm. E 98/40
Fünf-Kronen-Probestück.
Silber, unzirkuliert, 1898.
Fürst Johann II. von Liechtenstein.
DZ 3,7 cm. E 98/2
Eines der wenigen erhaltenen Exemplare.
Zehn-Kronen-Stück.
Gold, Avers- und Revers-Abschlag, 1900.
1,9 cm. E 98/3
Grosse Rarität.
»UJ)-
LIECHTENSTEINISCHES
LANDESMUSEUM 1998
In sehr gutem Zustand
präsentiert sich der hier
abgebildete Halbtaler aus
dem Jahre 1758. Er zeigt
ein Profilporträt des Fürs
ten Joseph Wenzel sowie
auf der Rückseite das
Wappen des Fürstlichen
Hauses Liechtenstein
Vom hier gezeigten Fünf-
Kronen-Probestück aus
dem Jahre 1898 gibt es
nur einige wenige Exem-
plare. Die unzirkulierte
Silbermünze zeigt ein
Profilporträt des Fürsten
Johann II. sowie auf der
Rückseite das fürstlich-
lechtensteinische Wappen
RELIGIÖSE VOLKSKUNST
Reliquienkreuz. Holzgeschnitzt, mit Elfenbein-
plättchen an den Kreuzenden. Darstellung der
Hl. Dreifaltigkeit, der Schmerzensmutter Maria,
auf der Rückseite die Leidenswerkzeuge Christi.
18. Jahrhundert.
Höhe 18,5 cm, Breite 8 cm, Tiefe 2,5 cm. E 98/85.
Rosenkranz, Silber mit Holzperlen. Silberanhänger
mit der Wallfahrtskirche Altöttingen, datiert 1810.
Länge 47 cm. E 98/67
Rosenkranz, Silber mit emailliertem Kreuz und
Medaillen.
Korallenperlen. 18. Jahrhundert.
Länge 36 cm. E 98/72
Stundenbruderschafts-Formulare oder «heilsamer
Trost für die Sterbenden», mit Kupferstich
«Wachet, denn ihr wisset weder den Tag, noch
die Stunde. Math. 25.» Gedruckt in Konstanz,
Wagner’sche Schriften. Um 1800.
16,5 x 19,8 cm. E 98/86
3U3
\us dem Alpenraum
stammt dieses im
18. Jahrhundert angefer-
igte holzgeschnitzte
Reliquienkreuz. Auf der
Vorderseite sind die heilige
Dreifaltigkeit und die
Schmerzensmutter Maria
zu sehen
Dieser alpenländische
Rosenkranz ist mit Koral-
lenperlen, filigranen
Silberanhängern und
-kreuz sowie einem email-
lierten Kreuzigungsbild
ausgestattet. Er datiert
aus dem späten 18. Jahr-
hundert
14
LIECHTENSTEINISCHES
LANDESMUSEUM 1998
VERSCHIEDENES
Waffeleisen. Um 1880.
20x 13 cm. E 98/92
Fliegenglas. Sogenannte «Fliegenfalle», Mitte
19. Jahrhundert.
Höhe zirka 20 cm, © Boden zirka 13 cm. E 98/42
Hölzernes Rahmgefäss.
Höhe 16 cm, © Boden zirka 45 cm. E 98/76
Getreidemass. Holzzylinder mit Metallsteg.
Höhe 27,5 cm. @ 28 cm. E 98/75
Bügeleisen. Gusseisen mit Metalleinsatz, Holzgriff
Um 1820.
Länge 22 cm, Höhe zirka 19 cm. E 98/45
Messingbügeleisen mit Metalleinsatz, Holzgriff.
Um 1850.
Länge 19 cm, Höhe zirka 17 cm. E 98/44
Heuschrote.
Länge 92 cm, Klingenbreite 21,5 cm. E 98/74
Dem
sthalt[;
A “ De,
z Fürstentum ©
5 © %
Sichtenstein.
Gewidmel
_ von
del El Sialeher S.Gallen.
(© CA 188 Sa
A
3
Aus dem 19. Jahrhundert
stammt dieses hölzerne
Getreidemass in Form
eines Zylinders, der durch
Eisenbänder und einen
Metallsteg zusammenge-
halten wird
Der St. Galler Sticklehrer
Fidel Erni widmete im
Jahre 1887 diese Sticke:
reiarbeit dem landwirt
schaftlichen Verein in
Liechtenstein
Zwei Paar Ochsenhufeisen.
Länge zirka 10 cm, Breite je 6 cm. E 98/106 und
E 98/107
Dreipassfenster mit Butzenscheiben, angeblich
aus der alten Pfarrkirche St. Lorenz in Schaan.
Höhe 51,5 cm, Breite 44,5 cm. E 98/5
Stickereiarbeit. «Dem Landwirtschaftlichen Verein.
Fürstentum Liechtenstein», gewidmet von Fidel
Erni.
Sticklehrer St. Gallen 1887.
45,5 x 47 cm. E 98/82
Diplom der Liechtensteinischen Landesausstellung
in Vaduz vom 29. September bis 15. October 1895.
Auszeichnung an den landwirtschaftlichen Verein
für die instructive Ausstellung.
Lithographie von Peter Balzer, 1895.
38 x 46 cm. E 98/83
ABBILDUNGSNACHWEIS
Paul Frick, Liechtenstei-
nisches Landesmuseum,
Vaduz
ANSCHRIFT DES AUTORS
lic. phil. Norbert W. Halser
Liechtensteinisches
Landesmuseum
FL-9490 Vaduz
Faksimile-Urkunde Kaiser Karls VI. vom 23. Janu-
ar 1719, Erhebung der Herrschaft Schellenberg
und der Grafschaft Vaduz zum Reichsfürstentum
Liechtenstein. Nr. 5/980. E 98/112
Schulwandtafel. Zwei an Seilzug verschiebbare
Schiefertafeln mit Ablagefläche und -fächern.
2. Hälfte 19. Jahrhundert.
Länge 149 cm, Höhe 85 cm. E 98/6
Griffelschachtel. Holz, mit Schiebedeckel und
Schwenkfach.
Länge 23,5 cm, Breite 3,7 cm, Höhe 3,4 cm.
E 98/7
Griffelschachtel. Holz, mit Schiebedeckel und
Schwenkfach.
Lange 23,2 cm, Breite 6,2 cm, Höhe 3,3 cm.
KR 98/8
Habbel’s Fleisszettel («Privilegien»). 24 Blatt mit je
12 Spruchzetteln in Originalumschlag, um 1900.
Verlag von Josef Habbel in Regensburg.
19 x 12 cm (Blatt). E 98/89
DAS LIECHTEN-
STEINISCHE
LANDESMUSEUM
VOR DEM
NEUBEGINN
RENOVATION UND ERWEITERUNG LIECHTEN-
STEINISCHES LANDESMUSEUM
MICHAEL PATTYN UND NORBERT W. HASLER
3lick von Nordwesten auf
las renovierte Landes-
nuseumsgebäude mit dem
Nordwestteil des Erweite-
‘ungsbaus. Computer-
grafik
DAS LIECHTENSTEINISCHE LANDESMUSEUM VOR DEM
NEUBEGINN / MICHAEL PATTYN / NORBERT W. HASLER
Seit der aus statischen Gründen notwendig gewor-
denen Schliessung des Landesmuseums im Früh-
jahr 1992 befindet sich das Ausstellungsgut in
Depoträumen im Mehrzweckgebäude in Triesen.
Zusammen mit den Museumssammlungen ist auch
die Museumsleitung nach Triesen übersiedelt.
Nach sorgfältigen Vorbereitungs- und Planungs-
arbeiten kann nun bald mit der Renovation der
bestehenden Bauten des Landesmuseums wie auch
mit der seit langer Zeit notwendig gewordenen
baulichen Erweiterung begonnen werden.
KURZER RÜCKBLICK IN DIE GESCHICHTE
DES LIECHTENSTEINISCHEN LANDES-
MUSEUMS
Bald nach seinem Amtsantritt im Jahre 1892 fasste
der damalige Landesverweser Friedrich Stellwag
von Carion den Plan, «in den früheren Kasernloka-
litäten auf Schloss Vaduz ein Museum einzurichten,
das aus einer Abteilung von Antiquitäten und
Raritäten, einer naturhistorischen Abteilung und
einer Ausstellung von Erzeugnissen der hierländi-
schen Industrie und des Gewerbefleisses bestehen
soll». Stellwag von Carion dachte zunächst daran,
die Mittel für die Einrichtung und den Ankauf
musealer Gegenstände dem fürstlichen Wohltätig-
keitsfonds zu entnehmen. Er hatte erkannt, dass
unser Land schon lange ein begehrtes Tätigkeits-
feld für Antiquitätenhändler geworden war, wo-
durch vieles an altem und wertvollem Kulturgut
spurlos und unwiederbringlich verlorengegangen
ist. Am 18. Oktober 1893 legte er seine Pläne Fürst
Johannes Il. bei einer Audienz in Wien vor und
fand beim Fürsten, der stets für kulturelle Anliegen
sehr interessiert war, volles Verständnis und die
Bereitschaft zur Förderung. Es wurde nicht nur die
Unterbringung des zu gründenden Museums auf
Schloss Vaduz bewilligt, sondern Fürst Johannes
sagte zugleich die finanzielle Unterstützung zu und
widmete einen ersten Betrag von 1000 Gulden für
Einrichtung und Ankäufe des Museums. Stellwag
gab seiner Gründung den Namen «Fürstliches Lan-
desmuseum». Die erste bescheidene Sammlung
kam auf Schloss Vaduz. Der Gründer Stellwag von
Zarion erlebte jedoch die Eröffnung des Museums
ıaicht mehr, er starb bereits 1896 im Alter von vier-
zig Jahren. Im Jahre 1904 wurde die grundlegende
zenovation von Schloss Vaduz in Angriff genom-
nen, die Museumssammlung wurde vorüberge-
a1end im neuen Regierungsgebäude untergebracht.
Einige Jahre nach der Wiederherstellung des
schlosses konnte das Museum im Bibliothekszim-
mer und zwei weiteren Räumen erneut eingerichtet
werden. Schon bald nach der Gründung des Histo-
:ischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein
im Jahre 1901 wurde die Förderung der Museums-
ziele ein erklärtes und zentrales Anliegen des His-
‚orischen Vereins.
Als im Jahre 1938 der Umbau des Schlosses zur
zesidenz des Fürsten in Angriff genommen wurde,
musste das Museumsgut wieder übersiedeln, dies-
mal in das Rathaus in Vaduz und als Depotsamm-
lung in das Schulhaus Ebenholz. 1952 kommt eine
Vereinbarung der Regierung mit dem Verwaltungs-
rat der Liechtensteinischen Landesbank zustande:
Die Bank überlässt dem Museum das oberste
Stockwerk des Neubaues. Zu Pfingsten 1954 wird
das Museum eröffnet. 1966 kam die Nachricht,
dass die Landesbank die Räume des Museums
dringend für eigene Zwecke benötige. Das Landes-
museum wurde erneut geschlossen, die Samm-
ıungsbestände behelfsmässig magaziniert. Erst
aach erfolgitem Umbau des benachbarten ehema-
ligen Zoll- und Gasthauses «Zum Adler» in den
Jahren 1968 bis 1970 verfügte das Landesmuseum
arstmals über ein eigenes Ausstellungs- und Ver-
waltungsgebäude. Am 15. April 1972 konnte das
Liechtensteinische Landesmuseum in den neu re-
novierten Räumlichkeiten eröffnet werden. Mit
Gesetz vom 9. Mai 1972 wurde die öffenlich-recht-
iche Stiftung Liechtensteinisches Landesmuseum
arrichtet. Das zwischen dem Gebäude des Landes-
Museums und dem Regierungsgebäude liegende
Verweserhaus, ursprünglich das Verwaltungsge-
bäude des Landesverwesers, wurde in weiterer
Folge für die Erweiterung der Verwaltungsräume
des Landesmuseums sowie für Unterrichtsräume
der Liechtensteinischen Musikschule genutzt.
209
Gemeinde Vaduz wurden der Richter Franz Joseph
Öhry von Ruggell und der Schellenberger Säckel-
meister Hans Jörg Wohlwend als unparteiische
Schätzer aufgeboten.85 Auf Drängen des Oberamts
nominierte auch Schaan seine Schätzleute, nämlich
alt Landammann Rhomberg und Gerichtsschreiber
Ganahl, beide von Dornbirn. 8 6 Auch die Gemeinde
Buchs wurde aufgefordert, ihre allfälligen Rechte
im Vermessungsgebiet nachzuweisen. 8 7 An einer
Gemeindeversammlung wurden Ammann Hans
Jakob Senn, die Richter und Säckelmeister sowie
einige andere Private als Interessenvertreter be-
stimmt. 8 8 Sie sollten gemeinsam mit den Vertretern
von Schaan und Vaduz die Grenzen ihrer Gemein-
heiten aufsuchen und «die nuzung bejder Theilen
aus ein andern zu sezen und zu sonderen». 8 9
Am 26. März 1797 fand im Beisein von Amt-
schreiber Goldner in Schaan eine Gemeindever-
sammlung statt. Sie sollte entscheiden, ob sie mit
dem von den Feldmessern vorgeschlagenen Tei-
lungsplan einverstanden wäre und die Teilung den
unparteiischen Schiedsrichtern «zu geschlossener
Hand übergeben» wolle, oder ob sie eine gütliche
Teilung ablehne und die Sache den Gerichten über-
lassen wolle. Die Versammlung war einverstanden,
die Teilung letztlich den Schiedsrichtern zu überge-
ben. Vorher aber wollte Schaan mit der Gemeinde
Vaduz drei eigene Teilungsvorschläge verhan-
deln. 9 0
Nun begann eine weitere Kette von Auseinan-
dersetzungen. Sie kann hier im einzelnen nicht
erörtert werden. Vaduz weigerte sich, auf die
Schaaner Vorschläge einzutreten.91 Auch ein Ver-
mittlungsvorschlag seitens der von Schaan bestell-
ten Schiedsrichter aus Dornbirn wurde abgelehnt.
Diese beklagten sich beim Oberamt: «Es ist, wir
müssen bekennnen, ein wahres Unglück für die
zwo streitenden Gemeinden, wenn sie im Wege der
Güte, wozu wir noch nicht alle Hoffnung aufgeben,
nicht auseinander gebracht werden können.» 9 2 Die
Hoffnung war vergebens. Das Misstrauen beider-
seits war zu gross. Vaduz warf den Schaaner
Schiedsrichtern vor, das Teilungsgeschäft absicht-
lich zu verzögern. 9 3 Schaan klagte, dass das Tei-
lungsergebnis von Vaduzer Bürgern schon vorweg-
genommen und dementsprechend widerrechtliche
Nutzungen vorkämen. 9 4 Schadenklagen wurden
auch von Vaduz gegen Schaan erhoben. 9 5 Auch die
gewählten Gemeindevorgesetzten gerieten unter
den Druck ihrer eigenen Leute. So wollte Land-
ammann Tschetter von Schaan seinen Dienst quit-
tieren. In Schaan seien Aufwiegler am Werk. Er
werde in allen Häusern, Gassen und Strassen, bei
Jungen und Alten, Schelm, Spitzbub und Ketzer
gerufen. Seine ganze Familie, ja die unschuldigen
Enkel seien wie «verscheuchte Häslein» und müss-
ten nichts als Flüche über ihren Ehni hören . 9 6
Nach mehreren vergeblichen Anläufen ordnete
das Oberamt die Schätzung der Gemeinheiten auf
den 3. August 1797 an. Per Amtsbefehl wurden
die Gemeindevertreter aufgeboten und gemahnt,
85) LLA RA 32/1/20, Oberamt an Richter Franz Joseph Öhry,
Ruggell, sowie an Säckelmeister Hans Jörg Wohlwend. Schellenberg,
12. März 1797.
86) L L A RA 32/1/22. Lorenz Tschetter, alt Landammann. namens
der Gemeinde Schaan an die Gemeinde Vaduz, o. D., beim Oberamt
eingegangen am 13. März 1797.
87) L L A RA 32/1/27, Oberamt an Landvogt zu Werdenborg.
19. März 1797.
88) L L A RA 32/1/28, Landschreiber Fridolin Luchsinger, Werden-
berg an Oberamt, 16. März 1797.
S9) Ebenda.
90) LLA RA 32/1/29. Protokoll von Amtsschreiber Johann Joseph
Goldner über eine Gemeindeversammlung in Schaan. 26. März
1797.
91) LLA RA 32/1/45, Vorgesetzte der Gemeinde Vaduz an Oberamt.
o. D., eingegangen am 8. Mai 1797.
92) LLA RA 32/1/42. Dr. Joseph Ganahl und Franz Martin Rhom-
berg, alt Landammann, an Oberamt, 23. Apr i l 1797.
93) LLA RA 32/1/45, Vorgesetzte der Gemeinde Vaduz, an Oberamt,
o. D., eingegangen am 8. Mai 1797.
94) LLA RA 32/1/37. alt Landammann Lorenz Tschetter an Oberamt.
12. Apr i l 1797.
95) LLA RA 32/1/38. Oberamt an Dr. Ganahl, k. k. Gerichtssehreiber
zu Dornbirn. 12. Apri l 1797; LLA RA 32/1/45. Vorgesetzte der
Gemeinde Vaduz an Oberamt. o. D., eingegangen am 8. Mai 1797.
96) LLA RA 32/1/32, alt Landammann Lorenz Tschetter an Oberamt,
o. D.
26
Das Liechtensteinische Landesmuseum erfreute
sich nicht zuletzt auch wegen seines wertvollen
Ausstellungsgutes ständig zunehmender Beliebt-
heit, so dass zu Beginn der 1980er Jahre an eine
bauliche Erweiterung gedacht werden musste. Die-
se sollte im Zusammenhang mit der ebenfalls
notwendig gewordenen Einrichtung eines Land-
tagsgebäudes und einer baulichen Erweiterung des
Landesarchivs erfolgen. Ein hierfür vom Schweizer
Architekten Luigi Snozzi geplantes Gesamtprojekt
wurde jedoch in einer im März 1993 durchge-
führten Volksabstimmung abgelehnt, womit auch
die zwischenzeitlich prekär gewordenen Raum-
verhältnisse des Landesmuseums nicht verbessert
werden konnten.
Der widrigen Umstände waren jedoch noch
nicht genug. Das vorläufige Aus der Ausstellungen
des Liechtensteinischen Landesmuseums kam
1992 mit der Errichtung der Zubauten der benach-
barten Liechtensteinischen Landesbank. An Lan:
desmuseum und Verweserhaus entstandene Ge-
bäudesetzungen von bis zu sieben Zentimeter
machten die Schliessung des Landesmuseums not-
wendig. Der Unterrichtsbetrieb der Liechtenstei-
nischen Musikschule im Verweserhaus konnte
noch unter schwierigen Bedingungen fortgesetzt
werden.
EIN NEUER ANFANG FÜR DAS LANDES-
MUSEUM
Im Mai 1996 hat der Landtag 26,5 Millionen
“ranken für eine Renovation und Erweiterung
des Liechtensteinischen Landesmuseums geneh-
migt. Am bisherigen Standort sollte das Landes-
Museum Nun SO rasch wie möglich seinen Aus-
stellungsbetrieb im Gebäude des Landesmuseums,
im benachbarten Verweserhaus sowie in einem
irweiterungsbau wieder aufnehmen können. Ne-
ben landeskundlichen und landesgeschichtlichen
Dauerausstellungen von prähistorischer Zeit bis
in die Gegenwart sollen nun auch naturkundliches
Ausstellungsgut in einer Dauerausstellung gezeigt
und Wechselausstellungen durchgeführt werden
können. Medien- und Schulungsräume, eine Cafe-
teria sowie Ausstellungswerkstätten, Kulturgüter-
schutzräume und Büros für die Museumsleitung
waren ebenfalls einzuplanen.
Im Oktober 1997 wurde ein europaweit aus-
geschriebener Architekturwettbewerb eingeleitet.
«Die Wiederherstellung der Bauten und die Wie-
dereinrichtung des Museumsbetriebes ist vordring-
ich. Nach sorgfältiger Abwägung der politischen,
kulturellen und fachlichen Aspekte hat der Landtag
entschieden, diese beiden Bauten zu sanieren und
mit einem hangseitigen Erweiterungsbau zu ergän-
zen. Mit dem vorliegenden Architekturwettbewerb
soll der bestgeeignete Projektvorschlag und Ar-
chitekt für die rasche Realisierung dieses Bau-
vorhabens ermittelt werden. Mit den bisherigen
Vorarbeiten sind die Finanzierung mit Gesamtanla-
gekosten von 26,5 Millionen Franken sowie die
eigentums- wie planungsrechtlichen Voraussetzun-
gen definitiv gesichert»', heisst es im Wettbewerbs-
programm. Die Zielsetzung wird wie folgt um-
schrieben: «Der Wettbewerb soll in Projekten
aufzeigen, wie eine historische Bausubstanz zeit-
gemäss und substanziell schonend adaptiert, reno-
viert und erweitert werden kann. Es ist im wei-
teren aufzuzeigen, wie in grundsätzlicher Beach-
tung der ortsplanerischen Grundlagen der Zen-
ırumsplanung Vaduz der planerische Spielraum für
die künftige bauliche Entwicklung im Bereich des
DAS LIECHTENSTEINISCHE LANDESMUSEUM VOR DEM
NEUBEGINN / MICHAEL PATTYN / NORBERT W. HASLER
Regierungsviertels und der Schlosshalde offenge-
ıalten werden kann. Obwohl die Renovation und
Erweiterung des Landesmuseums ein in sich ab-
geschlossenes Projekt darstellt, soll sichergestellt
werden, dass der Planungsspielraum ausserhalb
des Planungsperimeters für künftige Zu- und
Erweiterungsbauten offenbleibt».*
Unter insgesamt 191 Bewerbern aus ganz
Europa wurden durch eine Jurykommission 29
Architekten beziehungsweise Architekturbüros —
unter ihnen drei aus Liechtenstein - zur Teilnahme
am Architekturwettbewerb eingeladen.
Am 19. Mai 1998 war es dann soweit. Nach
zweitägiger Prüfung und Begutachtung wurde der
Projektvorschlag mit dem Synonym «Reihenfolge»
des aus Balzers stammenden Architektenteams
Frank Brunhart, Johannes Brunner und Christoph
Kranz durch ein internationales Preisgericht? unter
lem Vorsitz von Regierungschef Dr. Mario Frick
aus 23 eingereichten Projektvorschlägen ausge-
wählt. Der Architekturwettbewerb wurde im ano-
aymen Verfahren durchgeführt.
Neben dem ersten Rang wurden vom Preisge-
cicht fünf weitere Ränge vergeben. Rang zwei bis
sechs gingen an Architekt Hansjörg Göritz aus
Hannover, die Architekten Wilhelm Kugler, Regi-
nald Eckhoff und Mathias Richlmann aus Stuttgart,
die Architekten Valentin Bearth und Andrea De-
olazes aus Chur, die Architekten Dietrich Fink und
Thomas Jocher aus München sowie die Architekten
1) Wettbewerbsprogramm mit Erläuterungen zur Planungsauflage.
Yaduz, 9. Oktober 1997, S. 4
2) Wettbewerbsprogramm mit Erläuterungen zur Planungsauflage.
obenda, S. 12.
3) Das Preisgericht setzt sich wie folgt zusammen: Sachpreisrichter
Regierungschef Dr. Mario Frick, Vorsitzender; Regierungsrätin Dr.
Andrea Willi; lic. oec. Karlheinz Ospelt, Bürgermeister von Vaduz;
“achpreisrichter: Arch. BSA/SIA Ernst Gisel, Zürich; Arch. Prof.
3arbara Jakubeit, Berlin; Arch. BSA/SIA Peter Quarella, St. Gallen;
Arch. BSA/SIA Wilfrid Steib, Basel; Arch. Walter Walch, Hochbau-
amt, Vaduz; Beratende Mitglieder: Dr. Kurt F. Büchel, Präsident des
Stiftungsrates des Liechtensteinischen Landesmuseums:; lic. phil.
Norbert W. Hasler, Leiter des Liechtensteinischen Landesmuseums;
Arch. ETH Michael Pattyn, Hochbauamt, Vaduz; Arch. Florin Frick,
Schaan; Dr. Georg Malin, Kunsthistoriker und Kunstschaffender,
\Mauren
Jury-Kommission bei der
Arbeit, Mai 1998
Jury-Kommission beim
Rundgang. Diskussion
über die einzelnen Wett-
bewerbsproiekte
Blick in die Ausstellung
der Pläne und Modelle im
Foyer des Vaduzersaales
Modell des Siegerprojektes
«Reihenfolge» der Archi-
‚ektengemeinschaft Frank
Zrunhart, Johannes Brun-
ner und Christoph Kranz,
Balzers
Planansicht der West-
[assade der gesamten
Museumsgebäude. Links
der Landesmuseums-
bau, rechts das Verweser-
haus, im Hintergrund
die Fassade des Erweite-
rungsbaus
Liechtensteinisches Landesmuseum, Renovation und Erweiterung, Vorprojekt
Westfassade
Brunhart Brunner Kranz Architekten AG
21.01.99
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317
DAS LIECHTENSTEINISCHE LANDESMUSEUM VOR DEM
NEUBEGINN / MICHAEL PATTYN / NORBERT W. HASLER
Johannes Modersohn und Antje Freiesleben aus
Berlin. Zusätzlich zu den Rängen wurde ein Ankauf
an Architekt Professor Wilhelm Kücker aus Mün-
chen vergeben. Das Ergebnis des Architektur-
wettbewerbs «Renovation und Erweiterung des
Liechtensteinschen Landesmuseums» wurde vom
26. Mai bis 8. Juni 1998 im Foyer des Vaduzer-Saa-
les öffentlich ausgestellt.
Das unter der Leitung von Architekt Frank Brun-
hart eingereichte Projekt zeichnet sich durch einen
sensiblen Umgang mit dem historischen Baube-
stand und durch Zurückhaltung bei der Planung
des in den Hangfuss des Schlosswaldes integrierten
Erweiterungsbaus aus. Im Schlussbericht der Jury
heisst es: «Projekt Nr. 8, Kennwort: Reihenfolge. —
Das Projekt ist das Resultat einer sorgfältigen
Analyse der topographischen Gegebenheiten am
Schlosswald / Schlossberg. Der Neubau versteht
sich als «Bauen im Berg» und artikuliert sich nach
aussen durch seine Zugehörigkeit zum System der
parallel verlaufenden Stützmauern -— gleichzeitig
auch Schutzmauern für die bestehenden Gebäude.
Durch die Neubaumassnahmen klärt sich die
Konstellation von Hangsituation und Altbauten. Die
geometrische Struktur des Neubautrakts entsteht
aus dem präzisen Studium des Terrains. Auf na-
türliche Belichtung wird zu Gunsten geschlossener
Mauerflächen weitgehend verzichtet. Da das Ge-
bäude in den Hang eingegraben ist, werden auch
keine Oberlichträume vorgeschlagen.
Durch das «Bauen im Berg» und die zurückhal-
tende Verfestigung des Schlossbergs in Form einer
Abfolge von Stützmauern werden die beiden Alt-
bauten - Landesmuseum und Verweserhaus - in
ıhrer solitären Wirkung gesteigert und aufgewertet.
Der Haupteingang zum Landesmuseum liegt wie
bisher auf der Nordseite des Altbaus. Von hier wer-
den auch das Verweserhaus und der Neubautrakt
erschlossen. Ein Gelenk, bestehend aus Treppen
und Rampen, verbindet die Altbauten hindernis-
frei. Die räumlichen Verhältnisse im Eingangs-
bereich des Altbaus sind eng.
Hervorzuheben ist die zweigeschossige Trep-
penhalle, die zur Wechselausstellung führt. Am
Gelenkpunkt liegt ein Ausstellungsraum mit Seiten-
üicht und Ausblick. Darunter befinden sich die
ıaturwissenschaftlichen Sammlungen. Das Aus-
stellungsgut der landeskundlichen Abteilung ist auf
die Altbauten verteilt.
Der Entwurf basiert auf einer intensiven Aus-
3äinandersetzung mit Hang und Topographie. Die
gestalterischen und architektonischen Formulie-
rungen sind auf hohem Niveau. Der Umgang mit
der historischen Bausubstanz ist vorbildlich. Es
handelt sich beim vorliegenden Projekt um einen
eigenwilligen und wertvollen Beitrag zur Lösung
der gestellten Aufgabe».*
ERARBEITUNG DES BAUPROJEKTES
Auf Grundlage des vom Preisgericht zur Aus-
führung empfohlenen Siegerprojektes hat das
Architektenteam gemeinsam mit Fachplanern und
Spezialisten ein Vorprojekt und schliesslich ein zur
Baueingabe reifes Bauprojekt bis zum Sommer
1999 ausgearbeitet. Neben der grundrisslichen
Anpassung des Projektes auf die Bedürfnisse der
künftigen Nutzung und der Besucher des Gebäudes
bedurfte die Berechnung des zu erwartenden
Hangdrucks auf den geplanten Erweiterungsbau
und der fachgerechte Umgang mit den historischen
und in arge Mitleidenschaft gezogenen Altbauten
grösster Sorgfalt sowie umfangreicher Überprü-
fungen und Abklärungen.
Neben der Schaffung attraktiver und zeitgemäs-
ser Bedingungen für den Betrieb und Unterhalt
eines Museums von ganz besonderer Kkulturpoli-
tischer Tragweite für das Land Liechtenstein ver-
folgt das Projekt das Ziel der Erhaltung eines
tetzten bedeutenden Reliktes von Alt-Vaduz, einer
unter Denkmalschutz stehenden Gebäudegruppe
von historischer Bedeutung im Regierungsviertel,
in einem sich markant und kontinuierlich ändern-
den Umfeld.
14) Architekturwettbewerb zur Renovation und Erweiterung des
Liechtensteinischen Landesmuseums in Vaduz. Bericht des Preis-
gerichts, 19. Mai 1998, 5. 21
351.)
BAUBEGINN IM HERBST 1999
Im Oktober 1999 wird mit der Einrichtung der
Baustelle des Landesmuseums begonnen. Sie wird
sich damit in die Reihe der in Vaduz zur Zeit be-
stehenden prominenten Baustellen eingliedern.
Zusammen mit der Verkehrsfreihaltung der Städtli-
strasse und deren Neugestaltung werden der Zu-
bau von Gemeinde- und Privatbauten, der Neubau
eines Kunstmuseums und die Bauarbeiten für ein
renoviertes und erweitertes Landesmuseum das
Geschehen im Zentrum der Kapitale Liechtensteins
in den kommenden Jahren mitbestimmen. Nach
der Installation der Baustelle des Landesmuseums
und nach erfolgter Durchführung von Rodungs-
arbeiten im hangseitigen Bereich von Landesmu-
seum und Verweserhaus wird im Herbst mit dem
Abtrag von Hangschutt und Felsen für den künf-
tigen Erweiterungsbau begonnen. Diese Arbeiten
nehmen einen Zeitraum von fast einem Jahr in An-
spruch. Im Herbst 2000 werden dann die eigent-
lichen Hochbauarbeiten am Erweiterungsbau und
anschliessend Renovation und Umbau der Altbau-
ten folgen.
DIE KÜNFTIGEN AUSSTELLUNGEN DES
LANDESMUSEUMS
Noch präsentieren sich die
Museumsbauten in ihrem
ıavarierten Zustand, ein
Jereits gewohnter Anblick
'm Dorfbild von Vaduz.
Am 20. September 1999
erfolgt der Spatenstich,
der offizielle Beginn
der Bau- und Renovations-
arbeiten. Aufnahme
August 1999
Blick auf Verweserhaus
ınd Landesmuseum vor
Beginn der Renovations-
arbeiten. Aufnahme
August 1999
Gleichzeitig mit der Planung des Bauvorhabens hat
auch die Museumsleitung damit begonnen, die
künftigen Ausstellungsbereiche zu konzipieren und
durch Wahl ansprechender Themen inskünftige
Yuseumsbesuche interessant und spannend wer-
den zu lassen. Eine von der Regierung eingesetzte
Arbeitsgruppe mit Fachleuten aus den verschie-
denen musealen Fachbereichen entwickelte dazu
in enger Zusammenarbeit mit Univ. Prof. Dr. Roger
Sablonier, Zürich und Zug, und der Beratungs-
stelle für Landesgeschichte B/L/G, Zug, entspre-
chende Ausstellungs- und Informationskonzepte.
Während die Dauerausstellungen des Landesmu-
seums einen repräsentativen Überblick über die lan-
desgeschichtliche Kultur- und Naturentwicklung auf
gesamthaft rund 1400 m? Dauerausstellungsfläche
DAS LIECHTENSTEINISCHE LANDESMUSEUM VOR DEM
NEUBEGINN / MICHAEL PATTYN / NORBERT W. HASLER
vermitteln sollen, besteht auf rund 500 m“ Wech-
selausstellungsfläche die Möglichkeit, bestimmte
Themenbereiche zu vertiefen und neue Ausstel-
lungsschwerpunkte zu setzen.
Neben der Präsentation von Ausstellungen wird
sich das Landesmuseum auch weiterhin der
sammlung und fachgerechten Restaurierung und
Konservierung sowie der Aufbewahrung der
Museumsobjekte widmen. Fachleute und interes-
sierte Laien sollen über das Medium der Elektronik
Informationen unterschiedlichster Art erhalten. Es
werden zudem Medien- und Schulungsräume ein-
gerichtet, die speziell Kinder und Jugendliche
ansprechen sollen. Mittelfristig ist auch die Ein-
richtung einer Fachstelle für Museumspädagogik
geplant. Ausstellungskataloge, Publikationen sowie
ain reichhaltiges, ausgewähltes Angebot aus dem
Museumsshop runden das dem Museumsbesucher
angebotene Programm ab.
Das bislang erarbeitete Konzept der Daueraus-
stellungen sieht folgende Grundsituation und Aus-
gangslage vor:
Räumlich ist von drei Häusern auszugehen, von
denen jedes einen eigenen Charakter hat, für die
aber eine gemeinsame Erschliessung und Nutzung
vorgegeben ist. Inhaltlich und museologisch fordert
das Leitbild des Liechtensteinischen Landesmu-
seums ausdrücklich eine Integration der Teilge-
biete Naturgeschichte, Archäologie, Volkskunde
und historische Landeskunde. Unterschiede in der
Zielsetzung und im Objektbestand dieser Teilge-
biete sind trotzdem zu respektieren. Auch die Dau-
erausstellungen sollen ein hohes Potential zur
Flexibilisierung aufweisen. Dem ist mit einer Ge-
staltungsweise, welche Ausbaugrad und Mittel-
einsatz differenziert, Rechnung zu tragen.
Auf einen festen Rundgang durch das ganze
Museum -—- auf Zeiten, Themen oder Materialien
ausgerichtet - wird verzichtet.
Das neue Landesmuseum wird als Kommuni-
kationsort verstanden, in dem die verschiedensten
Medien zum Einsatz kommen. Visueller Kommu-
nikation durch die angemessene Präsentation von
Objekten kommt dabei besondere Bedeutung zu.
Anschauungs- und Informationsvermittlung durch
Schrift und computergestützte Aktivitäten ist genü-
gend Platz zu gewähren.
Der vorhandene und teilweise noch zu ergän-
zende Objektbestand soll möglichst breit zur Gel-
tung gebracht werden. Gleichzeitig sollen mit einer
sorgfältigen und restriktiven Auswahl an Objekten,
nit der auch Vielfalt und Phantasie nicht zu kurz
<ommen sollen, ästhetisierender Formalismus und
didaktisierende Belehrungswut, aber auch Orien-
jerungslosigkeit und Sammelsurium-Eindruck ver
mieden werden. Thematischer Aufbau, Platzierung
der Hauptobjekte, Art und Ort multimedialer und
anderer Installationen, Informationsmittel werden
der Gestaltung vorgegeben. Auf eine grundsätzlich
einheitliche Gestaltungsweise wird Wert gelegt,
allerdings unter Berücksichtigung der unterschied-
lichen baulichen Voraussetzungen. An der Basis
arfolgt - im Sinne einer einfachen «Grammatik» für
die Orientierung - eine nach verschiedenen Krite-
rien bestimmte Aufteilung der Dauerausstellung in
sechs Grundbereiche, von denen jeder einem be-
stimmten Raumteil im Museumsbau, im Verweser-
haus sowie im Erweiterungsbau zugeordnet wird.
Jeder dieser Grundbereiche steht in der Vermitt-
lung unter einem Leitthema. Die Grundbereiche
werden unter dem Leitthema nach Modulen auf-
gebaut. Dabei wird zwischen Grundmodulen und
variablen Satellitenmodulen unterschieden. Pro
Grundbereich sollen je ein oder zwei Grundmodule
eingerichtet werden. Das Grundmodul wird als
ihematischer Schwerpunkt aufgebaut, mit einem
visuell prägnanten und inhaltlich aussagekräftigen
Leitobjekt beziehungsweise einer Leitobjektgruppe
im Zentrum und einer Reihe zusätzlicher Objekte
oder Objektgruppen, die sich um diesen Themen-
schwerpunkt gruppieren lassen und teilweise auch
aus anderen Grundbereichen stammen können.
Mit drei bis sechs Satellitenmodulen pro Grundbe-
reich sollen mit weniger hohem Ausbaustandard
5) Folgende Ausführungen basieren auf einem zusammenfassenden
Cxpose der bisherigen Tätigkeit der Fachgruppe «Museumsausstel-
ungen», verfasst von Univ. Prof. Dr. Roger Sablonier, Beratungsstelle
"ür Landeskunde Zug, Manuskript vom 11. August 1999. 5. 14-16.
ÖL
Südwestansicht des reno-
vierten Verweserhauses
ınd des Erweiterungsbaus
n einer Computergrafik.
m Jahr 2002 sollen die
3Bauarbeiten abgeschlos-
sen sein
Treppenaufgang im Erwei-
‚erungsbau des künftigen
„andesmuseums
nstallierte, grundsätzlich flexible und auswechsel-
bare Zusatzeinheiten geschaffen werden, ausge-
hend von weiteren wichtigen Objektgruppen oder
von als wichtig erachteten Einzelthemen des
Grundbereichs, die nicht in das Grundmodul inte-
srierbar sind.
GEPLANTE WIEDERERÖFFNUNG AM ENDE
DES JAHRES 2002
Während ein Grossteil der Bauarbeiten zur Mitte
des Jahres 2002 abgeschlossen sein wird, wird zu
dieser Zeit mit der eigentlichen Einrichtung des
Landesmuseums begonnen werden. Diese Arbeiten
werden bei entsprechender Vorbereitung einen
Zeitraum von rund einem halben Jahr in Anspruch
nehmen, so dass mit der feierlichen Wiederer-
Öffnung des Landesmuseums nach mehr als zehn-
jähriger Schliessung bis zum Ende des Jahres 2002
zerechnet werden darf.
%
A565
JAS LIECHTENSTEINISCHE LANDESMUSEUM VOR DEM
NEUBEGINN / MICHAEL PATTYN / NORBERT W. HASLER
DAS LANDESMUSEUM ALS TEIL EINES
ENTWICKLUNGSPROZESSES
Noch nie haben in den unterschiedlichsten Berei-
chen so viele Veränderungen stattgefunden, wie im
vergangenen halben Jahrhundert. Auch in Vaduz
hat man sich schon längst dazu entschlossen, aus
apinem ursprünglichen Dorf ein Verwaltungs- und
Kulturzentrum zu machen. Allen Ortes wurden Ge-
Jäude abgerissen und es entstanden so für viele
Jahre Baulücken und Parkplatzwüsten, die so man-
’hen von weither angereisten Besucher die Frage
stellen liess, wo denn nun hier das Zentrum von
Vaduz sei. Gerade noch rechtzeitig an der Schwelle
zum kommenden Jahrtausend wurde es mit den
zeplanten Veränderungen in Vaduz doch noch
arnst. Rückkehrend auf die bevorstehende Renova-
tion und Erweiterung des Liechtensteinischen Lan-
lesmuseums möge sich der Wunsch erfüllen, dass
zu all den Neubauten und baulichen Erneuerungen
hinzu mit den Bauten des Landesmuseums auch
aäin Stück liechtensteinischer Tradition und Landes-
geschichte zur Lebendigkeit und Attraktivität des
künftigen Vaduz, aber auch zur Identität des Lan-
les, beitragen werde.
Blick nach Westen durch
lie Loggia des Erweite-
rungsbaus
BILDNACHWEIS
S. 308, 316 und 317:
Architekturbüro Brunhart
Brunner Kranz Architek-
ten AG, Balzers
S. 311 und 312 oben:
Studio Heinz Preute,
Vaduz
5. 312 unten: Paul Frick,
Liechtensteinisches
Landesmuseum, Vaduz
S. 314: Norbert W. Hasler,
Liechtensteinisches
Landesmuseum, Vaduz
ANSCHRIFT DER
AUTOREN
Dipl. Arch. Michael Pattyn
„andesverwaltung des
Zürstentums Liechtenstein
Hochbauamt
FL-9490 Vaduz
lic. phil. Norbert W. Hasler
Liechtensteinisches
Landesmuseum
FL-9490 Vaduz
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
^ ^ / ^ ; ^ ^ ^ ^ ^
l^i-w y'f y tjt ,v -
LCA czJr- •
/ 6
9c
Vollmacht der Vaduzer
Gemeindsleute, Vaduz,
8. August 1797
95 Versammlungsteil-
nehmer respektive stimm-
berechtigte Haushaltvor-
stände bestätigen mit ihrer
eigenhändigen Unter-
schrift, dass sie «in Sachen
die Abtheilung der
Gemeinheiten zwischen
Vadutz und Schan betr.»
den Adlerwirt Johann
Rheinberger, Joseph Risch
und Johann Georg Thöny
«nebst den Richter, Säckel-
meister und geschwohr-
nen als Ausschüsse erwäh-
let haben». Sie erteilen
ihnen auch «alle Vollmacht
und Gewalt, sich in Sachen
gütlich einzuverstehen,
über diejenigen Punckten,
über welche man nicht
gütlich überein komen
könnte, zu compromitiren
und diese Punckten zu
geschlosener Hand zu
übergeben, der gestalten,
dass sodan von dem Com-
promis Spruch kein weite-
res Rechtmittel Platz
greifen, sonder alles bey
solichem sein lediges
bewenden haben solle».
Die gewählten Vaduzer
Ortsvorstände (die vier Ge-
schworenen) waren, wie
aus den Oberamtsproto-
kollen zu entnehmen ist,
Ferdinand Rheinberger,
Johann Risch und Andreas
Verling, alle «des Ge-
richts», sowie Matthäus
Kaufmann, Säckelmeister.
21
«durch Widersetzlichkeit zu Kosten und Zögerung
keinen Anlass zu geben». 9 7
Am 8. August 1797 fanden in allen beteiligten
Gemeinden Versammlungen statt. Es wurden be-
vollmächtigte Vertreter zu den eigentlichen Tei-
lungsverhandlungen gewählt. Die Vollmachten
wurden von allen Versammlungsteilnehmern un-
terschrieben.9 8
Am 8. und 10. bis 16. August 1797 fanden beim
Oberamt getrennte und gemeinsame Verhandlun-
gen zwischen den Gemeindevertretern statt.99 Den
Verhandlungen zugrunde lagen die Vermessung,
die vorgenommene Schätzung und der Teilungs-
vorschlag seitens der Geometer und Schiedsrichter.
Strittig waren nicht nur Einzelheiten der vorge-
schlagenen Bodenzuteilung, sondern vor allem die
Festlegung der Zahl der berechtigten Nutzungsteil-
nehmer in den beteiligten Gemeinden. Diese Zahl
bildete nämlich den Verteilungsschlüssel. Am 13.
August bestätigten die Vertreter von Schaan und
Vaduz die Zahl der Teilnehmer an der Teilung:
Schaan - 146 Vz, Vaduz - 124, Mühleholz - 3 Teil-
nehmer. 1 0 0 Am 19. August 1797 deponierten die
Schiedsrichter den Markenbeschrieb. 1 0 1 Die Ge-
meindeterritorien von Schaan, Vaduz und Planken
waren damit bis auf wenige Ausnahmen abge-
steckt.
Dann gingen die Streitereien aber erst rich-
tig los. Schaan beschuldigte Vaduz des Betrugs.
Vaduz habe «gegen die Abred und gegen den
vorliegenden Gemeindsbrief» (von 1740) zu viele,
beziehungsweise nicht berechtigte Teilhaber an
der Gemeindenutzung angegeben.1 0 2 Es folgte ein
Gerichtsprozess durch alle damaligen Instanzen.
Erneut reihten sich Äusserungen und Gegenäus-
serungen aneinander, verfasst von beigezogenen
Juristen. Stets wachsende Aktenpakete mit Rechts-
gutachten, beglaubigten Akten- und Protokollaus-
zügen, amtlichen Stellungnahmen und anderen
Dokumenten, wurden zwischen Wien und Vaduz
hin- und her versandt. Die Gemüter in den beiden
Dörfern erhitzten sich erneut.
Am 30. Mai 1798 klagten die Vaduzer beim
Oberamt, Schaan «treibe alles ihr Vieh auf den
Antheil im Sommerried, der nun der Gemeind
Vadutz zugehöre, und ruiniere ihn dergestalten,
dass sie von dem beträchtlichen Nutzen, den sie
sonst gehabt hätte, nichts zu hoffen habe.» Auch
die Pfaffenmäder hätten die Schaaner «gänzlich
ausgefrätzt». 1 0 3 Der Schaden wurde vor Ort durch
neutrale Schiedsrichter aus dem Unterland fest-
gestellt. Sie fanden das Sommerried so abgeätzt
wie seit mehreren Jahren nicht mehr und «einen
von der Gemeind Schan aufgestellten Kuhhirten
unter einem dabey stehenden Felbenbaum schla-
fend». 148 Stück Hornvieh wurden gezählt . 1 0 4 Der
Schaden wurde später unter Beizug von Josef Leo-
pold Gugger, vorarlbergisch ständischer Buchhal-
ter, Landammann Nescher und Johann Georg Hei-
bert, des Gerichts, aus Eschen geschätzt. Er wurde
auf 248 Gulden beziffert, was 124 Fudern Streue
entsprach. 1 0 5
Am 26. November 1799 entschied schliesslich
ein 80-seitiges Rechtsgutachten der juristischen
Fakultät der Universität Freiburg i . Br . 1 0 6 Es kam
zum Schluss, «dass die klägerische Gemeinde
Schaan mit ihrem ganz unbegründeten und un-
97) L L A RA 32/1/52. Oberamtsbefehl vom 3. August 1797.
98) LLA RA 32/1/58, Vollmacht für die Vertreter der Gemeinde
Schaan. 8. August 1797: LLA RA 32/1/59, Vollmacht für die
Vertreter der Gemeinde Vaduz. 8. August 1797; L L A RA 32/1/60.
Gemeindeversammlungsprotokoll Schaan, 8. August 1797.
99) L L A RA 32/1/61-63, Oberamtsprotokolle vom 8., 10. und 14.
August 1797.
100) LLA RA 32/1/64, Bestätigung, 13. August 1797.
101) L L A RA 32/1/75, Verzeichnis der abgemessenen und zuge-
wiesenen Gemeinheiten. 19. August 1797; L L A RA 32/1/76-78,
Oberamtsprotokolle vom 19. August 1797.
102) L L A RA 32/1/80. Oberamtsprotokoll vom 16. Dezember 1797.
103) LLA RA 32/1/126, Oberamtsprotokoll vom 30. Mai 1798.
104) LLA RA 32/1/144. Bericht von Amtsschreiber Goldner, Land-
ammann Franz Josef Nescher und Sebastian Marxer, des Gerichts,
über einen Augenschein im Sommerried.
105) L L A RA 32/1/145. Kommissionsprotokoll vom 14. Dezember
1798.
106) L L A RA 32/1/166, «Rechtliches Gutachten in Sachen der
Gemeinde Schaan contra die Gemeinde Vadutz pto. streitiger Zahl
der Atitheilnehmer an den Gemeinheiten, und Uibervortheilung
bei geschehener Abtheilung derse lben», Freiburg, 26. November
1799.
28
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
^ f}> f ^ J ^ c ^'t^$ ] ' S 1
\
' S U / P
«Tagfahrts»-Beschluss,
Schaan, 8. August 1797
Besonders interessant
ist die Art der Beschluss-
fassung in Schaan,
die aus dem dem Oberamt
übergebenen Dokument
zu ersehen ist. Danach
wurde eine «Tagfahrt»
anberaumt. Mit Tagfahrt
wird eigentlich eine
Vorladung zu einem Ge-
richtstermin bezeichnet.
Hier ist wohl eine Ge-
meindsversammlung ge-
meint. Möglicherweise
wurden die Unterschriften
aber auch «botweise»
durch die Geschworenen
eingeholt. In der Einlei-
tung wird festgehalten,
dass den Ausschüssen,
«welche das abtheilungs-
geschäft mit der gemeind
Vaduz abzuteilen, vor-
nehmen wolen», «von je-
dem gemeindsman» eine
Vollmacht gegeben werden
soll. Dies könne mit eigen-
händiger Unterschrift
(«sovil schreiben kahn, mit
nahm und geschlecht»),
mit Hauszeichen oder mit
Vollmacht an einen Drit-
ten geschehen. Zuerst
werden die Namen der
Vertreter der Gemeinde
Schaan aufgeführt, die
bevollmächtigt werden
sollen: Lorenz Tschetter,
alt Landammann, Johann
Peter Gutschalk und
Johann Risch, beide «des
Gerichts», sowie Andreas
Konrad, Johannes Qua-
derer, Andreas Risch und
Joseph Anton Beck.
i ! m - -
29
«Geschworenen bot in Winckler bot «Specke bot»
dem Winckel»
Dann folgen die Listen der
zustimmenden Gemeinds-
leute (Haushaltvorstände),
gegliedert nach «Geschwo-
renenboten», d. h. einzel-
nen Dorfteilen.
Aufgeführt werden das
«Geschworen bot in dem
Winckel» oder «Winckler
bot» mit 35 Namen, das
«Specke bot» mit 36 Na-
men, das «Lindauer bot»
mit 26 Namen und das Bot
«Obergass» mit 20 Namen
30
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
«Lindauer bot» «Ober gass»
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Dieses Dokument ist ein
seltener Beleg für die
Organisation der alten
örtlichen Nachbarschaft
oder Dorfgenossenschaft
vor der Aufhebung der
alten Landammannverfas-
sung im Jahre 1808. Es
zeigt die Einteilung des
Dorfes in vier «Bote», d.h.
Bezirke. In diesen war
wohl jeweils ein Geschwo-
rener für das Aufgebot zu
Gemeinwerk, für den
Einzug von Umlagen
u.a.m. zuständig. Mögli-
cherweise wählte jedes
Bot seinen eigenen
Geschworenen. In den
Listen finden sich unter
den «Gemeindsmannen»
vereinzelt auch Frauen,
Witwen, die einem Haus-
halt vorstanden. Auch der
heute nicht mehr bekannte
Name «Lindau» für einen
Ortsteil respektive ein
«Bot» von Schaan scheint
im Dokument auf. Der
Name ist bereits in
der Fahr- und Triebord-
nung von 1704 enthalten,
wo «Lindauer» als Orts-
teilbewohner erwähnt
werden (vgl. S. 10, Anmer-
kungen 24 und 25 sowie
S. 15, Anmerkungen 31
und 32).
statthaften Klagwerke platterdings abgewiesen,
auch der beklagten Gemeinde Vadutz alle verur-
sachte Kosten nach richterlicher Ermässigung,
so wie den erweislich vermissten Nutzen, und ver-
ursachten Schaden zu erstatten und zu ersetzen
schuldig erkannt, auch der Gemeinde Schaan und
ihrem Schriftverfasser die gebrauchte ungebührli-
che, anzügliche Schreibart, mit Anbedrohung einer
schärfern Ahndung für den Wiederbetretungsfall,
nachdrucksamst verwiesen, die beklagte Gemeinde
Vadutz dagegen mit der angestellten Injurienklage
auf Abbitte und Genugthuung, ebenfalls abgewie-
sen werden solle».
Schaan versuchte, weiter zu prozessieren. Das
Oberamt berichtete dazu an die Hofkanzlei: 1 0 7 «Wir
äusserten zwar den Wunsch, dass sich die Ge-
meind Schan, die nicht nur den Prozess verloren
hat, sondern auch in alle Kosten und verursachte
Schäden verfällt worden ist, von weitern recht-
l.Iichen] Prozeduren abstehen möchte: allein die
Leute sind hievon nicht abzubringen; und damit sie
uns nicht wieder perhorreficiren und als par-
teyl.[ich] ausrufen: So haben wir den sichersten
Weg gewählt, und bitten gehorsamst uns die
Weisung zugehen zu lassen». Aus Wien kam dann
am 9. November 1801 der fürstliche Auftrag ans
Oberamt, die Gemeinde «weilen res judicata vor-
handen» schlechterdings abzuweisen. 1 0 8 Es blieb
bei der Teilung und den Grenzen von 1797. 1811
schliesslich wurde auch noch der gemeinsam
genutzte Wald bei Planken zwischen den drei Dör-
fern aufgeteilt.1 0 9 Das Teilungsgeschäft war damit
abgeschlossen, die Gemeindegrenzen waren fest-
gelegt.
Anhand der zeitgenössischen Vermessungsplä-
ne 1 1 0 und Verzeichnisse 1 1 1 aus dem Jahre 1797 lässt
sich das geschilderte Teilungsgeschäft etwas näher
illustrieren. Zur Verteilung zwischen Schaan und
Vaduz kamen 1797 unter der Landstrasse rhein-
wärts 1960 815 Klafter Auen, Wiesen und Riede, ob
der Strasse 1329 035 Klafter an «Weidgang und
Waldungen». Schaan wurden unter der Landstras-
se 1 260 143 Klafter, ob der Strasse 739 342 Klaf-
ter mit einem Schätzwert von total 74 527 Gulden
zugeteilt. Vaduz bekam unter der Landstrasse
700 671 Klafter, ob der Strasse 589 692 Klafter mit
einem Schätzwert von insgesamt 63 547 Gulden.
Pro teilnehmende Hausstätte errechnete sich so
ein Anteil von insgesamt etwa 12 000 Klaftern
Boden. 1 1 2
Noch nicht verteilt wurden die von Vaduz,
Schaan und Planken gemeinsam genutzten Böden
und die «MayenAtzung» auf dem Plankner Ried mit
einer Fläche von 213 217 Klaftern. Ebenso erst spä-
107) LLA RA 32/1/178, Oberamt an Hofkanzlei, 13. Oktober 1801.
108) LLA RA 32/1/179. Hofkanzlei an Oberamt. 9. November 1801.
109) LLA RB S8, Nr. 268pol.. GAP 106, Teilungsprotokoll vom
7. November 1811.
110) Im Landesarchiv befinden sich dazu zwei grossflächige Plan-
blätter. 1797 erstellt von den beiden Feldmessern Kaspar und
Johann Michael Moser, Vater und Sohn, aus Dornbirn (LLA K34 u.
K35). Das erste Blatt trägt den Titel «Mapa oder Blan von der Obern
Au am Rhein zu Fadutz alwo das Slarkgelbe der Gemeinde Fadutz
und das Schwach gelbe der Gemeinde Schau zugetheilt worden» ,
auf der Rückseite «Mapa oder Blan von der Au am Rhein, zu Fadutz.
so die Gemeinde Fadutz und Schan gehören, wie selbe jeder zu-
getheilt worden» . Das zweite Blatt ist bezeichnet mit «Mapa oder
Blan von dem Schan ried und Banried und Blangner Ried, wie auch
der Mayen trätigen Wiessen, alwo auf dem Algemeinen Ried und
Auen das Starck Gelb geduschte der Gemeind Fadutz und schwach
Gelbe der Gemeinde Schan zugetheilt worden» , auf der Rückseite
mit «Mapa oder Blan von dem Schan- und Banried. wie auch der
Mayenträl igen Wiessen so der Gemeinde Fadutz und Schan in der
Liechtensteinischen Herrschaft Fadutz». Ebenfalls vorhanden ist ein
nicht datierter Plan übe r die Vermessung der Waldparzellen um
Planken mit dem Titel « Mapa oder Blan von der Abgemessenen
Waldung auf Pla[n]gen, was selbe von einem bezirg oder Linie bis an
die andere Mass hab. für die Löbl. Gemeind Schan und Faduz, so im
Jahrgang 1797 Abgemessen worden durch mein Joh: Kaspar
Mässer. Feldmesser von Dornbiern» (LLA o.S. bei RB S8 Nr. 268 pol./
neu in Plansammlung). Der Plan wurde zweifellos gleichzeitig mit
den genannten beiden Blättern von den Feldmessern Moser erstellt.
Die von diesen ebenfalls gezeichneten Pläne über die Vermessung
und Zuteilung des gesamten übrigen Waldbesitzes von Vaduz und
Schaan sind leider nicht mehr vorhanden.
11 1) I..LA RA 3271/75. Flächen-, Schätzungs- und Teilungsverzeich-
nisse, unterzeichnet in Vaduz von den Feldmessern Johann Michael
und Johann Kaspar Moser, sowie von den Schä tzmännern Franz
Martin Rhomberg. alt Landammann, Franz Joseph Öhry und Rochus
Fehr, des Gerichts, Hans Jörg Wohlwend, Säckelmeister, 19. August
1797.
112) In den Bitt- und Rekursschriften der Gemeinde Schaan an den
Fürsten vom 29. März und 5. Apr i l 1798 werden pro Teilnehmer
9 660 Klafter Wald und Auen sowie 2 808 Klafter Maientrattwiesen
mit einem Gesamtwert von mindestens 1 000 Gulden angeführt, (LLA
RA 32/1/85 und 86).
32
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
Teilungspläne 1797
zwei Planblätter, 1797
erstellt von den beiden
Feldmessern Kaspar und
Johann Michael Moser,
Vater und Sohn, aus Dorn-
birn
a) Das erste Blatt trägt
den Titel «Mapa oder Blan
von der Obern Au am
Rhein zu Fadutz alwo das
Starkgelbe der Gemeinde
Fadutz und das Schwach
gelbe der Gemeinde Schan
zugetheilt worden», auf
der Rückseite «Mapa oder
Blan von der Au am
Rhein, zu Fadutz, so die
Gemeinde Fadutz und
Schan gehören, wie selbe
jeder zugetheilt worden»
33
b) Das zweite Blatt ist
bezeichnet mit «Mapa
oder Blan von dem Schan
ried und Banried und
Blangner Ried, wie auch
der Mayen trätigen Wies-
sen, alwo auf dem Alge-
meinen Ried und Auen
das Starck Gelb geduschte
der Gemeind Fadutz und
schwach Gelbe der Ge-
meinde Schan zugetheilt
worden», auf der Rück-
seite mit «Mapa oder Blan
von dem Schan- und
Banried, wie auch der
Mayenträtigen Wiessen so
der Gemeinde Fadutz
und Schan in der Liech-
tensteinischen Herrschaft
Fadutz»
34
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
c) zusammengesetzte
Pläne a) und b)
d) Plan über die Vermes-
sung der Waldparzellen
um Planken im Jahre 1797
mit dem Titel « Mapa
oder Blan von der Abge-
messenen Waldung auf
Pla[n]gen, was selbe von
einem bezirg oder Linie
bis an die andere Mass
hab, für die Löbl. Gemeind
Schan und Faduz, so im
Jahrgang 1797 Abgemes-
sen worden durch mein
Joh: Kaspar Mässer, Feld-
messer von Dornbiern»
35
ter, im Jahre 1811, wurden gemeinsam genutzte
Wälder auf Planken mit einer Fläche von 141226
Klaftern sowie weitere nicht vermessene Flächen
in schlecht nutzbarem Steilgelände geteilt. Ihr
Gesamtwert wurde mit 9 829 Gulden geschätzt . 1 1 3
Insgesamt betraf das Teilungsgeschäft zwischen
den drei Dörfern etwa 3,65 Millionen Klafter (zirka
13,1 km2) Boden mit einem damaligen Schätzwert
von zirka 145 000 Gulden.
Nachdem am 22. Januar 1804 32 Bürger eine
entsprechende Bittschrift beim Oberamt einge-
reicht hatten, 1 1 4 verteilte schliesslich Vaduz nach
entsprechenden Vorbereitungen und Abklärungen
im Jahre 1806 insgesamt zirka 685 000 Klafter
der ehemaligen Mark. Es handelte sich dabei um
den grössten Teil des Bodens unter der Landstrasse
sowie um einige Flächen ob der Strasse. Für diese
Teilung erstellten die Feldmesser Johann und Jo-
seph Ellensohn, Vater und Sohn, aus Götzis, sowie
Andreas Büchel aus Balzers einen Plan. 1 1 5186 Teile
wurden ausgemessen und nach einem eigenen
Schlüssel an insgesamt 154 berechtigte Haushal-
tungen und Personen ausgegeben.
Der Schlüssel wurde in einer «Tabelle über die
Gemeindsgenossen dahier in Vadutz, wie solche
am 12ten Aprill 1806 bes tanden» 1 1 6 umschrieben.
Danach hatten zu beziehen:
1. ein Ehepaar einen ganzen Teil,
2. ein Witwer oder eine Witwe einen halben Teil,
3. grossjährige Ganzwaisen, wenn zwei eine eige-
ne Haushaltung führen und alle Lasten tragen, mit-
einander einen ganzen, Minderjährige einen Fünf-
tel Teil,
4. Grossjährige Ganzwaisen, wo nur eines die
Haushaltung führt und die Lasten trägt, vier Sechs-
tel, und jeder Minderjährige einen Viertel Teil,
5. Grossjährige Waisen, die keine eigene, oder
wenn mehr als zwei eine eigene Haushaltung
führen, einen Drittel Teil,
6. Grossjährige Halbwaisen, denen Vater oder Mut-
ter gestorben, einen Viertel Teil, und jeder Minder-
jährige einen Fünftel Teil,
7. Grossjährige, deren beide Eltern noch leben, ei-
nen Fünftel Teil,
8. Minderjährige, deren beide Eltern noch leben,
einen Sechstel Teil,
9. Witwer, Witwen und grossjährige Waisen, die
keine Haushaltung führen, einen Sechstel Teil.
Die Grossjährigkeit wurde mit vollendetem 18.
Altersjahr festgelegt.
Um das Ausmass der Privatisierung des Boden-
eigentums in Vaduz zu verdeutlichen, sei kurz
auf das Ergebnis einer Auswertung der erhalten
gebliebenen Steuererklärungen aus dem Jahre
1808 1 1 7 hingewiesen. Danach umfasste der im Pri-
vateigentum der Vaduzer Haushaltungen befind-
liche Boden (Gärten, Reben, Äcker, Wiesen, Streu-
mäder) vor der Aufteilung von 1806 eine Fläche
von total zirka 530 000 Klaftern. Insgesamt 826 000
Klafter an Acker-, Wies- und Streumäderfläche
wurde in den Fassionen noch als Gemeindeboden
(«sämtliche Gemeinden») geführt. Darin ist die
1806 ins Privateigentum überführte Fläche ehema-
liger Gemeinheiten von 684 630 Klaftern enthalten.
Das Privateigentum in Vaduz wurde also damals
mit einem Schlag mehr als verdoppelt. In Gemein-
besitz der Vaduzer Bürgerschaft verblieben neben
den Wäldern lediglich die Gemeinweidefläche (All-
mend) im Ebenholz mit 48 950 Klaftern und die
Flur Äscher (Streumäder im Ried) mit 50 750 Klaf-
tern. 1 1 8 Letztere wurde 1834 um 1024 Gulden an
die Gemeinde Planken verkauft. 1 1 9
36
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
Ausblick und Schluss
Auf die geschilderten Teilungsvorgänge folgte im
19. Jahrhundert eine Zeit tiefgreifender Umwäl-
zung und Reform von Wirtschaft und Gesellschaft.
Auf diese Vorgänge kann hier nicht eingegangen
werden. Nur stichwortartig sei die Ereigniskette
der Differenzen zwischen Schaan und Vaduz, der
allmählichen Loslösung der Tochter von ihrer Mut-
ter, weiter ausgelegt. Ein erstes Glied bildete die
1828 einsetzende und 1873 mit der Gründung der
Pfarrei Vaduz abgeschlossene kirchliche Trennung
von der Mutterpfarrei Schaan. 1 2 0 Auch dies war ein
spannungsgeladener, konfliktreicher Vorgang. Es
folgte zu Beginn der 1880-er Jahre eine Auseinan-
dersetzung um den Standort der Baumwollspinne-
rei Spoerry.1 2 1 Und es reihte sich danach bis in die
Gegenwart weiter Glied an Glied in der Kette der
Rivalitäten. Es gibt die Rivalitäten noch heute. Sie
sind wohl bekannt, haben aber nicht mehr ganz so
ernsten Charakter.
Mit diesem Beitrag ist es hoffentlich gelungen,
die in der Geschichte liegenden Wurzeln der beson-
deren Verhältnisse und Beziehungen zwischen
Schaan und Vaduz aufzuzeigen. Es konnte nur
ein kleiner Abschnitt auf dem weiten Feld der
Gemeindegeschichte etwas gestreift werden. Uner-
wähnt blieben Einkaufsregelungen und Bürger-
rechte, die Organisation der verschiedenen dörf-
lichen Korporationen und der Gemeinde, ihre
Zuständigkeiten, ihr Verhältnis zum Staat, ihre Be-
deutung für die demokratische Tradition unseres
Landes; unerwähnt blieben auch die Grössen und
die Verteilung der verschiedenen Besitzarten, das
verworrene Geflecht von vielfältigen Abgaben und
Leistungen, erwachsen aus Herrschaft und Genos-
senschaft. Interessant wäre es auch gewesen, die
Zusammenhänge näher aufzuzeigen zwischen den
angesprochenen geschichtlichen Vorgängen und
den aktuellen Fragen der Reform des Gemeinde-
rechts 1 2 2, insbesondere denjenigen der Bildung
einer Bürgergenossenschaft . 1 2 3 Ortsgeschichte ist
ein wirklich anspruchsvolles, weites, und auch
aktuelles Feld der historischen Forschung!
113} LLA RB S8. Nr. 268pol.. Teilungsprotokoll vorn 7. November
1811. Schaan wurden 164. Vaduz 130. Planken 33 Teile zugerech-
net.
114) LLA RA 32/2/1. Bittschrift vom 22. Januar 1804.
115) L L A RA 32/2/1-84, Akten betr. «Vadutz. Vertheilung und Ur-
barmachung der Gemeinheiten der Gemeind», 1804-1808; GAV V8,
Plan über die Gemeinheitenaufteilung, d. h. der Privatisierung des
Gemeindebodens: «Plan der löblichen Fürst-Lichtensteinische
Gemeind Vadutz im Jahr 1806».
1 16) LLA RA 32/2/55. «Tabelle über die Gemeindsgenossen dahier
in Vadutz wie solche am 12ten Apr i l 1806 bes tanden» . 18. Apr i l
1806. Nachtrag. 29. Apr i l 1806.
117) GAV 11/1/6. «Steuerfass ionen» (Steuerformulare, -erklärungen)
der Besitzer der Hausnummern 1-131 in Vaduz, o.D. (Juni 1808).
118) Der Autor hat einen Beitrag zur Privatisierung des Boden-
eigentums in Vaduz (1804 bis 1808) in Vorbereitung.
119) GAP 119, Kaufvertrag vom 19. Mai 1834. vom Oberamt
bestätigt. 11. Juni 1834.
120) Vgl. dazu Ospelt, Alois: Einige historische Notizen zu den
Anlangen der Vaduzer Ortskirchengemeinde. In: 125 Jahre Pfarrei-
gemeinschaft zu Sankt Florin Vaduz. Hrsg. Gemeinde und Pfarrei
Vaduz, 1999.
121) Vgl. dazu Ospelt. Alois: Gründung und Anfänge der Baum-
wollspinnerei Spoerry in Vaduz. 1880 bis 1885. In: Fabriklerleben:
Industr iearchäologie und Anthropologie. Triesen, 1994. S. 69-99.
122) Die 1 982 mit einer umfassenden Vernehmlassung einsetzende
und mit Erlass des Gemeindegesetzes vom 20. März 1996 (LGB1.
1996, Nr. 76) abgeschlossene Reform des Gemeinderechts hatte
auch die historische Entwicklung des Gemeindewesens in Liechten-
stein zu berücksichtigen (vgl. Bericht und Antrag der Regierung an
den Landtag, 1990, Nr. 67 und 1996, Nr. 10).
123) Das gleichzeitig mit dem Gemeindegesetz erlassene Gesetz über
die Bürgergenossenschaf ten vom 20. März 1996 (LGBl. 1996/77)
ermöglicht das Fortleben der alten Dorfgenossenschaften und
Nachbarschaften in den Bürgergenossenschaf ten . Diese sollen die
Tradition der alten Wirtschaftsgemeinde fortsetzen. Ihre Mitglieder
sind Nachkommen respektive Rechtsnachfolger der an den oben
geschilderten Teilungsvorgängen beteiligten Gemeindsgenossen. Bei
der erforderlichen Vermögensausscheidung mit den politischen
Gemeinde ist der Teil des oben e rwähn ten Bodens zu identifizieren,
der bis heute noch nicht privatisiert wurde. Er bildet den wesent-
lichen Kern der Existenzgrundlage für die Bürgergenossenschaf ten
(vgl. Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag. 1990. Nr. 68
und 1996, Nr. 9).
37
Die bis zur Grenz-
regulierung zwischen
Schaan und Vaduz 1951/
52 geltende Gemeinde-
grenze von 1797, übertra-
gen auf den neuesten
amtlichen Übersichtsplan
aus dem Jahre 1997
Die bis zur Grenz-
regulierung zwischen
Schaan und Vaduz 1951/
52 geltende Gemeinde-
grenze von 1797,
übertragen auf eine
jüngere Flugaufnahme
des Gemeindegebiets
38
200 JAHRE GEMEINDEGRENZEN SCHAAN/VADUZ/
PLANKEN / ALOIS OSPELT
ABBILDUNGSNACHWEIS
S. 6 f.: Walther Fach,
Landeskunde des Fürsten-
tums Liechtenstein. Dorn-
birn, 1938, S. 22 f.
S. 11 oben: LLA RA 41/6/
2/31, Skizze des Rheinver-
lauls von Landvogt Men-
zinger, 1790; vgl. dazu
auch: Ospelt, Alois: Wirt-
schaftsgeschichte des
Fürstentums Liechtenstein
im 19. Jahrhundert. In:
JBL 72, 1972, S. 16-31,
und Anhang, Nr. 2, S. 7 f.
S. 11 unten: Landeskarte
der Schweiz 1:25 000.
Karte Nr. 1135 (Buchs).
Hrsg. Bundesamt für Lan-
destopographie. Wabern,
1998 (reproduziert
mit freundlicher Geneh-
migung)
S. 12 f.: «Special-Charte
von dem innern Theile des
Reichs-Fürstenthums
Liechtenstein, nebst An-
zeigung dessen Landes
Beschaffenheit auf gnädig-
sten Befehl des regieren-
den Herrn Fürsten Ioseph
Wenzl von und zu Lichten-
stein aufgenommen und
verfertiget vom 28t. Octob-
ris bis ultimo Decembris
Anno 1756 durch Kolleffel,
Obri. Lieutenant.» Aqua-
rellierte Federzeichnung.
Format 44,5 x 134,5 cm.
Original Zentralbibliothek
Zürich. Fotoreproduktion
LLA
S. 18: LLA RA 29/3/1/1
und 2, Beschwerde vom
28. Dezember 1789,
eingegangen am 25. Ja-
nuar 1790
S. 27: LLA RA 32/1/59,
Vollmacht für die Vertreter
der Gemeinde Vaduz,
8. August 1797
S. 29, 30 und 31: LLA RA
32/1/60, «Tagfahrts»-
Beschluss, Schaan, 8.
August 1797
S. 33, 34 und 35 oben:
LLA K 34 u. K 35
S. 35 unten: LLA o.S. bei
RB S8 Nr. 268 pol./neu in
Plansammlung
S. 38: Ingenieurbüro
Frommelt AG, Vaduz 1997
ANSCHRIFT DES AUTORS
Dr. phil. Alois Ospelt
Meierhofstrasse 45
FL-9490 Vaduz
39
ULI MARISS -
«VERRÄTER UND
WETTERDÄMON»
MANFRED TSCHAIKNER
ULI MARISS - «VERRÄTER U N D WETTERDÄMON»
M A N F R E D T S C H A I K N E R
Vor nunmehr über einem halben Jahrtausend fand
die Schlacht bei Frastanz statt. Sie gilt als «eines
der bedeutendsten Kriegsereignisse in der Vorarl-
berger Geschichte». 1 Es verwundert deshalb nicht,
dass diese Schlacht über Jahrhunderte hindurch
im Bewusstsein der Menschen geblieben ist und
sich darum einige Volkserzählungen gerankt ha-
ben. Dazu zählt die Überlieferung, dass die Nie-
derlage der österreichischen Seite massgeblich auf
den Verrat des Schaaner Bauern Uli Mariss zurück-
zuführen sei. Er soll einen Teil der Schweizer Trup-
pen über die Berge in den Rücken der Österreicher
geführt haben.
Vor einigen Jahrzehnten versuchte Alexander
Frick diesem Aspekt des Kriegsgeschehens den
Nimbus des Sagenhaften zu nehmen und seine his-
torische Realität nachzuweisen.2 Fricks Darlegun-
gen fanden breite Akzeptanz. Im Folgenden sollen
dem vermeintlichen Verräter Uli Mariss dennoch
einige weitere Überlegungen gewidmet sein, die
eine neue Interpretation seiner Rolle bieten.
DER HISTORISCHE ULI MARISS
Der bislang früheste historische Beleg für den Ver-
räter aus Schaan findet sich in der Kreyfeuer-
ordnung für die Herrschaften Bludenz und Sonnen-
berg aus dem Jahr 1652. Dort ist die Rede von
einem «Pauren von Schann, der Flerrschaft Vadutz,
Ulrich bej der Kirchen genandt». : i Gemeint war
wohl schon damals Uli Mariss, dessen Familien-
name jedoch erstmals in der Prugger'schen Chro-
nik aus dem Jahr 1685 aufscheint («ein falscher
und geldbegieriger Bauer, mit Namen Ulrich Mariss
von Schaan ab der Kirche»). 4
Dass diese Angaben aus der zweiten Hälfte des
17. Jahrhunderts noch keinen Beleg für die Flisto-
rizität des Uli Mariss und seines Verrats bilden,
steht wohl ausser Zweifel. Genauso wenig kann der
Umstand, dass für die Zeit kurz nach 1500 tatsäch-
lich ein bei der Schaaner Kirche wohnhafter Uli
Mariss in den Quellen fassbar ist, als Beweis dafür
gelten, dass er den Verrat begangen hat. Diese his-
torischen Nachweise gaben Alexander Frick über-
haupt mehr Rätsel auf, als sie zur Klärung der An-
gelegenheit beitrugen, denn laut Sage hatte der
Verräter seine Tat ja noch am Tag der Schlacht, am
20. April 1499, mit dem Leben büssen müssen. 5
1) Burmeister, Karl Heinz: Die Schlacht bei Frastanz am 20. Apr i l
1499. In: Rheticus 21 (1999). S. 113-125. hier S. 120.
2) Frick. Alexander: Ist der Verrat des Uli Mariss nur eine vage
Sage oder geschichtliche Wirklichkeit? In: Jahrbuch des Historischen
Vereins für das Fürs tentum Liechtenstein, Band 62 (1962), S. 81-101:
ders.: Der Verrat des Uli Mariss wurde nicht in der Prugger'schen
Chronik 1685 erstmals aufgezeichnet, dies geschah schon etwa 150
Jahre früher. In: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürsten-
tum Liechtenstein. Band 66 (1967). S, 37-45.
3) Burmeister (wie Anm. 1). S. 116.
4) Frick, 1962 (wie A n m . 2), S. 85 f.
5) Frick. 1962 (wie A n m . 2). S. 99 f.; Frick, 1967 (wie Anm. 2), S. 45.
43
^ ff v ^ ^ «v- ^ ^ ^ ^
^ V H V V * n«Exj. W'5adtm$iB* „ , , .....
Eintragung i m alten
Frastanzer Jahrzeitbuch
mit der E r w ä h n u n g des
Ver rä t e r s von 1499:
«Trad i to r dictus [?] Ur ich
ob der Ki rchen»
DIE EINTRAGUNG IM FRASTANZER JAHR-
ZEITRUCH
Die bislang wichtigste und gleichzeitig älteste Quel-
le zum Verrat bildet eine Eintragung im Frastanzer
Jahrzeitbuch. Sie lautet: Anno domini 1499 ist der
schwitzer Krig gesin den 20. tag Aprilis. Traditor
dictus [?] Urich ob der Kirchen.1'
Wie die Schriftzüge erkennen lassen, handelt es
sich beim zweiten Satz der Aufzeichnung um einen
Nachtrag. In der Beschreibung des Generalvika-
riats Vorarlberg von Rapp und Ulmer heisst es,
dass «diese Eintragung zufolge ihres Schriftcha-
rakters noch mindestens der ersten Hälfte des 16.
Jahrhunderts an[gehört]». Diese zeitliche Zuord-
nung ist nachvollziehbar, nicht jedoch die Behaup-
tung, dass im Jahrzeitbuch auch schon der «Verrä-
ter Mariß von Schaan, genannt <ob der Kirchen»),
angeführt sei. Diese Auffassung entspringt wohl
derselben Begeisterung für Sagen, auf Grund deren
4 4
ULI MARISS - «VERRÄTER U N D WETTERDÄMON»
M A N F R E D T S C H A I K N E R
die Autoren die Überlieferung vom Hirten auf
Amerlügen als «durchaus glaublich» bezeichneten:
Er soll beim Herannahen des Feindes zur Warnung
der österreichischen Truppen so lange ins Horn
geblasen haben, bis er tot umfiel. 7
Der Vermerk im Frastanzer Jahrzeitbuch, der
möglicherweise erst ein halbes Jahrhundert später
eingetragen wurde, bildet ebenfalls noch keinen
überzeugenden Beleg dafür, dass bei der Niederla-
ge von 1499 wirklich Verrat im Spiel war. Ja, selbst
wenn unmittelbar nach der Schlacht von Seiten der
Besiegten behauptet worden wäre, ihr Misserfolg
sei auf Verrat zurückzuführen, muss dies nicht
zutreffen.
Es lässt sich zwar einwenden, dass in der histo-
rischen Erinnerung der Eidgenossen möglicher-
weise auch deshalb keine Nachrichten über einen
Verräter erhalten sind, weil die Sieger wenig
Anlass sahen, sich dessen zu rühmen. Dagegen
spricht wiederum, dass aus Schweizer Sicht eine
bezahlte Führung der Truppen über den Berg-
rücken keinen Verrat dargestellt hätte, denn die
Bewohner der Grafschaft Vaduz hatten schon eine
Weile davor den Eidgenossen einen Untertaneneid
geleistet. Wenn Uli Mariss beim Übergang über die
nördlichen Ausläufer des Drei-Schwestern-Massivs
wirklich eine bedeutende Rolle gespielt hätte, wäre
dies also in der eidgenössischen Chronik nicht un-
bedingt zu vertuschen gewesen. Gleichzeitig kann
ein nicht erwähnenswerter Hilfsdienst kaum mit
der Entscheidung der Schlacht in Verbindung ge-
bracht werden.
DER FREMDE ULRICH OB DER KIRCHEN
War aber mit dem «traditor» (Verräter) im Frastan-
zer Jahrzeitbuch überhaupt Uli Mariss gemeint? In
den von Frick vorgestellten Quellen aus der Zeit um
1500 wird dieser nie allein als «Ulrich ob der Kir-
chen», sondern immer mit seinem Familiennamen
Mariss und der Zusatzangabe «zu[r] Küchen» an-
geführt.
Schwerer wiegt jedoch der Umstand, dass im
Frastanzer Jahrzeitbuch kein Herkunftsort ver-
zeichnet ist, denn es gab in fast jedem Dorf einen
Bauern, der «ob der Kirchen» wohnhaft war. Wa-
rum ist die Herkunft aus Schaan nicht angeführt,
wenn ein Bewohner dieser Nachbargemeinde ge-
meint gewesen sein sollte? Wäre der Verräter all-
seits bekannt gewesen, hätte man seinen Namen
überhaupt nicht ins Jahrzeitbuch eintragen müs-
sen. War aber die Nachricht für spätere Jahrhun-
derte bestimmt, die von den Vorgängen nichts
mehr wussten, wäre die Herkunft des Verräters
unbedingt zu erwähnen gewesen. Es drängt sich
die Vermutung auf, dass man diese eben nicht
(mehr) kannte.
Zum Zeitpunkt der Eintragung ins Frastanzer
Jahrzeitbuch wurde also wahrscheinlich noch eine
Person unbekannter Herkunft des Verrats beschul-
digt. Möglicherweise hatte sie sich früher arbeits-
bedingt eine gewisse Zeit lang in der Region um
Frastanz aufgehalten. Jedenfalls erfüllte ein Fremder
die Sündenbockfunktion viel unproblematischer als
Einheimische, deren soziale Ausgrenzung unter
Umständen tiefe Gräben zwischen Verwandtschaf-
ten aufgerissen hätte.
Für die Annahme, dass der Verrat einem Frem-
den zugeschrieben wurde, spricht auch das Kürzel
vor dem Namen, das wohl am ehesten wie bei
Burmeister mit «dictus» (= genannt) aufzulösen ist.
Bei Einheimischen würde damit höchstens der
Zuname angefügt sein (z. B. 1505: Virich Mares
genandt zur Küchen); zumindest der Vorname
stand in jedem Fall fest. Wenn aber beide Namens-
formen unter dem Vorbehalt «dictus» angeführt
sind, deutet dies daraufhin, dass es sich um keinen
allseits bekannten Ulrich ob der Kirchen aus Fra-
stanz oder einem Nachbardorf handelte, sondern
dass man eben nur wusste, wie er genannt wurde.
6) Pfarrarchiv Frastanz. Altes Jahrzeitbuch, fol. 14a; bei der Auflö-
sung der Abkürzung nach dem Wort «traditor» halte ich mich an die
Lesung von Burmeister (wie Anm. 1), S. IIS.
7) Rapp. Ludwig; Ulmer. Andreas: Topographisch-historische Be-
schreibung des Generalvikariates Vorarlberg. Bd. 6. Dornbirn, 1937,
S. 133.
45
DIE ZUSCHREIBUNG DES VERRATS
AN ULI MARISS
Wie könnte es später zur Gleichsetzung des «Ulrich
ob der Kirchen» im Frastanzer Jahrzeitbuch mit
dem um 1500 in Schaan bezeugten Uli Mariss ge-
kommen sein? Auf eine heisse Spur wies bereits
Alexander Frick hin, indem er Darlegungen des
liechtensteinischen Historikers Peter Kaiser an-
führte, die Mariss in Verbindung mit den Flexen-
verfolgungen bringen. Kaiser schrieb um die Mitte
des 19. Jahrhunderts: «Das sonst angesehene Ge-
schlecht der Düntel in Schan, so wie das der Mariß
wurde besonders hartnäckig verfolgt. Beide Fami-
lien sind seitdem erloschen.» 8
Hatte vielleicht die Namensähnlichkeit zwischen
der im Frastanzer Jahrzeitbuch eingetragenen Per-
son und dem Zunamen des Uli Mariss dazu geführt,
dass der Verrat von 1499 Jahrzehnte später eine
Rolle bei der Verfolgung eines oder mehrerer Mit-
glieder der Familie Mariss als Hexen oder Zauberer
spielte? Die Auffassung, dass sich die verderbliche
Bösartigkeit und der Hang zur Schädlichkeit ver-
erbten, gehörte jedenfalls zum Standardrepertoire
der Verfolger. Und für das Jahr 1598 ist tatsächlich
die Bezichtigung einer Eis Mariss durch die Ge-
meindegeschworenen von Schaan belegt. Sie wur-
de in der Folge mit grosser Wahrscheinlichkeit als
Hexe hingerichtet.9
Die Abstammung von dem Verräter, der die
höchsten Menschenverluste seit unvordenklichen
Zeiten (mit)verursacht haben sollte, bildete für
die Mitglieder der Familie Mariss zusätzlich eine
starke Stigmatisierung. Bezeichnenderweise schei-
nen die Mariss kurz nach 1600 in Schaan nicht
mehr auf.1 0
Der Verrat von 1499 hatte sich noch verheeren-
der ausgewirkt als die Taten der Hexen. Diese gal-
ten ebenfalls als Verräter, und zwar an der gesam-
ten Christenheit; denn sie verbanden sich zu deren
Schaden mit den Mächten des Bösen und fügten
den Menschen heimtückisch unermesslichen Scha-
den zu.
Die Zuschreibung des Verrats an Uli Mariss
musste nicht in zynischer Absicht erfolgt sein,
sondern konnte durchaus derselben Überzeugung
entspringen wie die ernsthafte Bezichtigung des
Wetterzaubers und der magischen Schädigung von
Tieren.
Die Annahme einer nachträglichen Gleichset-
zung des Verräters von 1499 mit Uli Mariss im Zuge
der Hexenverfolgungen entkräftigt überdies einen
berechtigten Einwand Alexanders Fricks, der
meinte, die Bewohner von Schaan hätten sich
unter gewöhnlichen Umständen «sicher dagegen
gewehrt, dass einer der ihrigen zu Unrecht so ver-
unglimpft werde» ." Wie sich zeigen lässt, erhielt
die Überlieferung von Mariss' Verrat in Schaan
eine zumindest gleich schlechte Erinnerung wie
diejenige in Frastanz, obwohl die Region von
Schaan - anders als der Walgau und das Grosse
Walsertal - bei der Schlacht von 1499 keine Opfer
zu beklagen hatte. Dass die Liechtensteiner mit
ihrem Landsmann trotzdem so hart ins Gericht
gingen, passt gut zum Klima der Hexenverfolgun-
gen, die dort bekanntlich spätestens im 17. Jahr-
hundert beachtliche Ausmasse annahmen.
DIE VERFLUCHUNG DES ULI MARISS
Verstärkt wird die Vermutung, dass die Rolle des
Uli Mariss eng mit den Hexenverfolgungen zusam-
menhing, durch folgenden Brauch, den ebenfalls
schon Alexander Frick anführte: «Wenn ... das
Wetter sich gar nicht recht einstellen wollte, gingen
die Leute von Mauren in offizieller Prozession nach
St. Ilga in Tosters. Wenn das nichts nützte, griff
man zu einem richtigen Zauber. Eine Schar Mäd-
chen und Frauen fanden sich zusammen und pil-
gerten nach Maria Ebene. Dort beteten sie einen
Rosenkranz, aber statt eines Geheimnisses fügten
sie in der Mitte des Ave Maria immer die Verwün-
schung ein: <Verfluocht und vermaledeit sei der
Uoli Maris>. Und wenn sie das fünfzigmal getan
hatten, so waren sie überzeugt, dass [sich] nun das
Wetter bessern werde. Das nannte man <den Uoli
Maris verfluchen).» 1 2
Hier zeigt sich die enge Verbindung zwischen
Mariss und dem Hexenwesen ganz deutlich: Der
46
ULI MARISS - «VERRÄTER UND WETTERDÄMON»
M A N F R E D T S C H A I K N E R
vermeintliche Verräter, der nach seinem Tod keine
Ruhe finden konnte und als Gespenst weiter sein
Unwesen treiben musste, erscheint nun als bedeu-
tender Wetterdämon. Seine verderbliche Tat von
1499 hatte Mariss, den Stammvater von Hexen,
noch stärker als diese - nämlich für alle Zeiten -
zur Bedrohung für die (bäuerlichen) Menschen
gemacht. Als Herr über das Wetter versuchte man
ihn wie die Flexen magisch beziehungsweise durch
einen (volks-)religiösen Ritus zu bannen. 1 3
Blieb im Vergleich dazu die Rolle des Uli Mariss
in der Frastanzer Tradition nicht eigentlich be-
scheiden? In der Prugger'schen Chronik von 1685
heisst es nur, dass der Name des Verräters
während einer jährlichen Flurprozession im Mai
von den Frastanzern «verlesen» worden sei. Aus
der Geschichte Vorarlbergs von Weizenegger-Mer-
kle (1839) erfährt man allein, dass bei den Umgän-
gen für die Opfer des Verrats von Uli Mariss gebetet
wurde. 1 4 Peter Kaiser schreibt kurze Zeit später
sogar noch deutlicher, dass «bei dem jährlichen
Umgang in der Bittwoche für die Seelen der Gefal-
lenen gebetet oder, wie das gemeine Volk glaubte,
der Fluch über Uli Mariß gesprochen wurde, des-
sen Verrath so viel fromme Männer in den Tod ge-
bracht» hatte.15
Diese Diskrepanz in der Wahrnehmung ist noch
über ein Jahrhundert später dokumentiert: Bei
seinen Recherchen um 1960 erfuhr Alexander
Frick vom damaligen Frastanzer Pfarrer, dass er
von einer Erwähnung des Uli Mariss im Rahmen
der örtlichen Flurumgänge selbst bei alten Leuten
nichts gehört habe, während gleichzeitig der Histo-
riker Meinrad Tiefenthaler erklärte, eine Verflu-
chung habe einst sehr wohl stattgefunden.16 Die
Angelegenheit erscheint allgemein sehr vage und
ist darüber hinaus nicht vor dem 19. Jahrhundert
nachweisbar.
Für den heute liechtensteinischen Raum liegen
ebenfalls keine früheren Angaben über eine rituelle
Verfluchung vor. Dennoch verweist ihre stärkere
Ausprägung darauf, dass der Vorstellungskomplex
von Uli Mariss dort entstanden ist.
Im Gegensatz zu Frastanz war seine Verflu-
chung durch die Frauen von Mauren nicht in die
Flurumgänge während der Bittwoche im Mai inte-
griert. Sie erfolgte ohne zeitliche Festlegung und
wies auch nicht erinnernden Charakter auf, son-
dern galt der Bekämpfung eines Wetterdämons,
der noch in der Gegenwart als wirksam erlebt
wurde. Die Vorgangsweise der Maurer «gegen» Uli
Mariss lässt diesen geradezu als Gegenstück eines
regionalen Heiligen erscheinen. Wurde von kirchli-
chen Heiligen durch Bittgänge Zuwendung erfleht,
so glaubte man, durch eine rituelle Verfluchung des
Schaaner Verräters im Rahmen einer Prozession
das Gegenteil erreichen zu können. Dadurch blieb
noch lange über die Zeit der Flexenprozesse hinaus
eine weitgehend akzeptierte Form von indirekter
Hexenverfolgung im öffentlichen Raum möglich.
ZUSAMMENFASSUNG
Der historisch nachweisbare Bauer Uli Mariss aus
Schaan soll laut Sage einen Teil der eidgenös-
sischen Truppen vor der Schlacht bei Frastanz
1499 über die Berge in den Rücken der Österrei-
cher geführt und damit deren verlustreiche Nie-
derlage wesentlich mitverursacht haben. Eine Ein-
8) Kaiser, Pcler: Geschichte des Fürs l en thums Liechtenstein. Nebst
Schilderung aus Chur-Raüen's Vorzeit. 1847. Hrsg. von Arthur
Brunhart. Vaduz, 1989. S. 433.
9) Ebenda, S. 3S7 f.: Tschaikner, Manfred: «Der Teufel und die
Hexen müssen aus dem Land . . .». Frühneuzeit l iche Hexenverfolgun-
gen in Liechtenstein. In: Jahrbuch des Historischen Vereins für das
Fürs ten tum Liechtenstein, Band 96 (1998). S. 1-197, hier S. 13.
10) Tschugmell, Fridolin: Schaaner Geschlechter 1227-19:50. Kurzer
Auszug aus dem allgemeinen Familienbuch Schaan. In: Jahrbuch
des Historischen Vereins für das Fürs ten tum Liechtenstein. Band 60
(1960). S. 71-157. h ie rS . 99.
11) Frick. 1962 (wie Anm. 2). S. 100.
12) Frick, 1967 (wie Anm. 2). S. 40.
13) Vgl. Handwör te rbuch des deutschen Aberglaubens. Hrsg. von
Hanns Bächtold-Stäubli. Band 2. Berlin-New York, 1987 (Nachdruck
v. 1927). Sp. 1637.
14) Frick, 1962 (wie Anm. 2). S. 86 und 88.
15) Kaiser (wie Anm. 8), S. 326.
16) Frick, 1962 (wie A n m . 2). S. 96 f.
47
tragung im Frastanzer Jahrzeitbuch lässt jedoch
darauf schliessen, dass die Tat ursprünglich einem
ortskundigen Fremden zugeschrieben wurde, von
dem nur der Name, nicht jedoch die Herkunft
bekannt war.
Die Namensähnlichkeit (Ulrich ob der Kirchen -
Ulrich Mariss, genannt zur Kirchen) sowie die
Wesensverwandtschaft von Verrat und Hexerei er-
möglichten oder förderten vermutlich eine Gleich-
setzung des Verräters mit einem früheren Mitglied
der Schaaner Familie Mariss, die dadurch im Zuge
der örtlichen Hexenverfolgungen in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts zusätzlich stark stig-
matisiert wurde. Bald darauf übernahm die Bevöl-
kerung der Herrschaft Schellenberg und der Vor-
arlberger Nachbargemeinden die Identifizierung
des Verräters mit Uli Mariss.
Dieser galt nicht nur als Stammvater von Hexen,
sondern selbst als bedeutender Wetterdämon, der
für Unbilden der Witterung verantwortlich war. Als
solcher wurde er in Mauren bis ins 19. Jahrhundert
im Rahmen von eigens gegen ihn durchgeführten
Frauenprozessionen rituell bekämpft. Aufgrund ih-
rer Entstehungsgeschichte erscheint die dämoni-
sierte Gestalt des Uli Mariss als ein Gegenstück zur
Verdammung der Hexenverfolger in der Tobel-
hockersage.
BILDNACHWEIS
Diözesana rch iv Feldkirch
ANSCHRIFT DES AUTORS
Dr. Manf red Tschaikner
Be im Kreuz 42
A-6700 Bludenz
48
«DER EINZIGE M A N N ,
D E R DIE S A C H E
A U F SICH N E H M E N
KÖNNTE .. .»
ZUR ROLLE VON DR. ALOIS VOGT IN DEN
LIECHTENSTEINISCH-DEUTSCHEN BEZIEHUNGEN
1938 BIS 1945
JÜRGEN SCHREMSER
Inhalt
VORWORT 53
VOR 1938:
ALOIS VOGTS ENGAGEMENT IM
LIECHTENSTEINER HEIMATDIENST UND
IN DER VATERLÄNDISCHEN UNION 55
Ständestaatsidee und Antisemitismus 55
Alois Vogts Studien in Wien:
Deutschnationale und antisemitische
Bewegungen auf Universitätsboden 57
Machtkompromisse und soziale Quer-
verbindungen 58
ALOIS VOGTS EINTRITT IN DIE REGIERUNG
HOOP 1938:
WEICHENSTELLUNGEN UND ZUSAMMEN-
ARBEIT 60
Erste Weichenstellung 1938:
Vorgaben Hoops und Einbindung Vogts 60
Zweite Weichenstellung 1938:
Selbstverpflichtung der VU - Distanzierung
von der Volksdeutschen Bewegung in
Liechtenstein (VDBL) 63
Wahrnehmung Alois Vogts im Deutschen
Reich:
Erwartungen und Unsicherheiten 64
Der Putschversuch 1939:
Testfall und Muster für die Zusammenarbeit
Hoop - Vogt 66
DIE REICHSDEUTSCHEN VERBINDUNGEN
VON ALOIS VOGT 1938 BIS 1945 68
Vogts deutsche Verbindungen im Überblick 68
Umstände der Verbindungsaufnahme:
Geheimdiplomatie und Nachrichtendienste 75
Abstimmung von Vogts Verbindungen
mit Regierungschef Hoop und Fürst Franz
Josef IL? 78
KONTAKTNAHMEN ALOIS VOGTS ZUR ZEIT
DER DEUTSCHEN SIEGE 1940 UND 1941 80
Alois Vogts Kontaktvorstösse in den
deutschen Quellen 80
Zwiespältiger Eindruck der Kontaktdiplomatie
der Jahre 1940 und 1941 81
Das Gedächtnisprotokoll vom 14. Oktober
1940 als Nachrichtenvorgang 82
Das Gedächtnisprotokoll vom 14. Oktober
1940 als politisches Verhandlungsdokument:
Rücksichten auf das Deutsche Reich und
die VDBL 84
IM VORFELD UND NACHGANG ZUR
BESPRECHUNG VON FRIEDRICHSHAFEN
A M 13. UND 14. MÄRZ 1943 87
Kontaktvorstösse Alois Vogts in den Jahren
1940 und 1941:
Vorsprachen im Auswärtigen Amt und bei
der Volksdeutschen Mittelstelle (VOMI) 87
Kooperationspläne VU - VDBL:
Deutsche Divergenzen und Alois Vogts
Lavieren 88
Disposition, Verlauf und Folgen der
Friedrichshafner Besprechung vom 13. und
14. März 1943 90
50
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
ALOIS VOGTS INVOLVIERUNG IN DEUT-
SCHE GEHEIMDIENSTUNTERNEHMEN
1942 BIS 1944 93
Verhaftung des deutschen Devisenhändlers
Rudolf Blaschke:
Ein schweizerisch-liechtensteinischer
Kriminalfall 93
Gestapo Feldkirch:
«Weil uns die liechtensteinische Regierung
tatsächlich hilft wie sie nur kann» 95
«Der Fall ist einer der delikatesten über-
haupt» 97
Zwei Anfragen des SD-Auslandsgeheim-
dienstes an Alois Vogt:
Aktion Rosl und Steimle 99
RESÜMEE:
ZU UMSTÄNDEN UND INTERESSENLAGEN
DER REICHSDEUTSCHEN KONTAKTE ALOIS
VOGTS 102
Quellenverzeichnis 105
Verwendete Literatur 105
Abkürzungen 107
51
Unsicherheiten und Zu-
trauen in der Koalitions-
regierung nach 1938
(v. l.n.r.): Vizeregierungs-
chef Alois Vogt (VU), VU-
Parteichef Otto Schaedler,
Regierungschef Josef Hoop
(FBP). Mit abgenomme-
nem Hut: Dr. Ludwig
Marxer (FBP), Regierungs-
chef-Stellvertreter 1928
bis 1933
52
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Vorwort
Im Herbst des Jahres 1996 wurde der Verfasser
dieses Forschungsberichts von den Nachkommen
des liechtensteinischen Juristen und Politikers Dr.
Alois Vogt (1906-1988)' beauftragt, Nachforschun-
gen zur politischen Biographie ihres Vaters anzu-
stellen. Der Verfasser übernahm diese Aufgabe als
ausgebildeter Fachhistoriker. Abzuklären war die
politische Tätigkeit Vogts in den Jahren 1933 bis
1945, insbesondere die Phase seiner Regierungs-
mitarbeit während des Zweiten Weltkrieges. Alois
Vogt bekleidete damals neben dem liechtensteini-
schen Regierungschef Dr. Josef Hoop das Amt des
Regierungschef-Stellvertreters.
Vor Beginn dieser Arbeit und hinsichtlich ihrer
möglichen Publikation war die Wissenschaftlichkeit
des Unterfangens abzusichern: die quellenmässige
Nachvollziehbarkeit der Forschungsergebnisse und
die Unparteilichkeit des Erkenntnisinteresses. Die-
sen Anforderungen des Verfassers entsprachen die
Auftraggeber in dreifacher Hinsicht: Erstens konn-
ten die Nachforschungen ohne Rücksicht auf eine
familiär «günstige» Einschätzung Alois Vogts durch-
geführt und kommuniziert werden. Dem Verfasser
wurde zweitens ein zeitlich offener Horizont für die
ihm notwendig erscheinenden Abklärungen ge-
währt. Schliesslich ermöglichten die Auftraggeber
die Auswertung der Privatakten ihres Vaters. Diese
Quelle wird in der vorliegenden Arbeit als PAAV
(Privatakten Alois Vogt) gekennzeichnet und stellt
eine wertvolle Ergänzung zum öffentlichen Archiv-
materia] dar.2
Die Recherchen unterstellten einen umfassen-
den Begriff der «politischen Tätigkeit». Von Inter-
esse waren alle parteilichen und amtlichen Hand-
lungen Vogts sowie damit verknüpfte, diesen vor-
gelagerte oder daraus erwachsende persönliche
Beziehungen. Demgegenüber legt die vorliegende
Darstellung den Schwerpunkt auf Vogts Regie-
rungsmitarbeit 1938 bis 1945. Es interessieren vor
allem die informellen Beziehungen mit Stellen und
Personen im Deutschen Reich.
Drei Gründe sind für diese Einschränkung mass-
geblich:
- In der zeitgeschichtlichen Literatur zu Liechten-
steins Aussenbeziehungen ist die generelle Aus-
richtung «freundlich nicht-provokativer Diplomatie
gegenüber Hitlerdeutschland» (Geiger) wenig um-
stritten.3 Bezüglich der einzelnen Flauptakteure
werden unterschiedliche Akzente gesetzt.4 Fürst
Franz Josef IL, Regierungschef Dr. Josef FIoop und
Dr. Alois Vogt unterhielten jeder für sich persönli-
che und diskrete Beziehungen ins Reich, unter
Umgehung, teils unter Brüskierung der schweize-
rischen Vertretungen.5 Wurden dabei Sonderinter-
essen geltend gemacht, wurde zur Wahrung der
Eigenstaatlichkeit (zu) weitgehendes Entgegen-
kommen signalisiert, gar konspiriert? Alois Vogt
nimmt in den liechtensteinisch-reichsdeutschen
Beziehungen eine ambivalente Stellung ein. Der
Historiker Peter Geiger weist auf Vogts Sympathien
für das nationalsozialistische Deutschland hin,
1) A l o i s V o g l , geb . 19 . J u l i 1 9 0 6 i n ß a l z e r s , gest. 23 . M ä r z 1 9 S 8 i n
V a d u z , seit 1933 A d v o k a t u r b ü r o in V a d u z , 1 9 3 8 - 1 9 4 5 s te l lver t re -
t ende r R e g i e r u n g s c h e f des F ü r s t e n t u m s L i e c h t e n s t e i n . N a c h 1 9 4 5 i n
z a h l r e i c h e n p a r t e i l i c h e n u n d a m t l i c h e n F u n k t i o n e n t ä t i g .
2) N i c h t v e r w e n d e t w u r d e n die A k t e n aus d e m f ü r s t l i c h e n H a u s -
a rch iv . B e t r e f f e n d Dr. A l o i s Vogt k o n n t e n die a b z u k l ä r e n d e n V o r -
g ä n g e d u r c h a n d e r e Q u e l l e n u n d d ie b i s h e r i g e L i t e r a t u r e r fass t
w e r d e n . So lches be t r i f f t d e n P u t s c h v e r s u c h 1 9 3 9 . die Ü b e r f ü h r u n g
f ü r s t l i c h e r G e m ä l d e n a c h L i e c h t e n s t e i n u n d den K o n f l i k t z w i s c h e n
F ü r s t F r a n z J o s e f II. u n d de r l i e c h t e n s t e i n i s c h e n R e g i e r u n g u m die
E r r i c h t u n g der B e r n e r G e s a n d t s c h a f t 1944 .
3) Z u r f r e u n c l l i c h - n i c h t p r o v o k a t i v e n Po l i t ik g e g e n ü b e r d e m Deut-
s c h e n R e i c h u n d de r b e i b e h a l t e n e n A n l e h n u n g an die S c h w e i z s iehe
H o r s t C a r l : L i e c h t e n s t e i n u n d das Dr i t t e R e i c h . K r i s e u n d Selbs t -
b e h a u p t u n g des K le in s t aa t e s . In: L i e c h t e n s t e i n - F ü r s t l i c h e s H a u s u n d
s t aa t l i che O r d n u n g . H r s g . V o l k e r Press . D i e t e r W i l l o w e i t . V a d u z /
M ü n c h e n / W i e n , 1 9 8 7 . S. 4 1 9 - 4 6 4 : z u r a n g e s p r o c h e n e n F r a g e de r
a u s w ä r t i g e n Po l i t ik s iehe S. 4 4 2 f.
K u r z b e l c g : C a r l : L i e c h t e n s t e i n u n d das Dr i t te R e i c h . - Peter Ge ige r :
A n s c h l u s s g e f a h r e n u n d A n s c h l u s s t e n d e n z e n in de r l i e ch t ens t e in i -
s c h e n G e s c h i c h t e . In: L i e c h t e n s t e i n . K l e i n h e i t u n d I n t e r d e p e n d e n z
(LPS 14). H r s g . Peter Geiger . A r n o W a s c h k u h n . V a d u z . 1990 , S. 8 3 .
4) In B e z u g a u f A l o i s Vogt bei C a r l : L i e c h t e n s t e i n und das Dr i t te
R e i c h . S. 4 3 6 : a u c h be i G e r h a r d K r e b s : Z w i s c h e n F ü r s t u n d F ü h r e r .
L i e c h t e n s t e i n s B e z i e h u n g e n z u m « D r i t t e n R e i c h » . In: G W U 9 (1988) .
S. 5 4 8 - 5 6 7 . In d i e se r F r a g e s iehe S. 559 .
K u r z b e l e g : K r e b s : Z w i s c h e n F ü r s t u n d F ü h r e r .
5) Die S c h w e i z besorg te die d i p l o m a t i s c h e V e r t r e t u n g L iech t ens t e in s
i m A u s l a n d . Diese w u r d e be i d e r V o r b e r e i t u n g u n d D u r c h f ü h r u n g
des o f f i z i e l l e n B e r l i n - B e s u c h s 1 9 3 9 u m g a n g e n ; s iehe Peter Ge ige r :
K r i s e n z e i t . L i e c h t e n s t e i n in den D r e i s s i g e r j a h r e n 1 9 3 8 - 1 9 3 9 , 2 Bde .
V a d u z / Z ü r i c h , 1997, S. 3 3 8 - 3 4 0 ( B d . 2),
K u r z b e l e g : G e i g e r : K r i s e n z e i t 1 (2).
53
konstatiert andererseits: «Vogt stellte sich der Ver-
antwortung und arbeitete in der Koalitionsregie-
rung loyal zuammen.» 6 Es ist aufschlussreich zu
sehen, unter welchen Bedingungen diese Loyalität
herausgefordert wurde.
- Nach dem Krieg begannen die Behörden in
Liechtenstein und der Schweiz mit Abklärungen
zu nachrichtendienstlich oder nationalsozialistisch
verdächtigen Personen. Alois Vogt wurde Gegen-
stand entsprechender Erhebungen. In Liechten-
stein führten sie zur Erwägung einer Minister-
anklage,7 in der Schweiz zur Verhängung einer
Einreisesperre gegen Alois Vogt vom April 1946 bis
zum Dezember 1947.8 Alois Vogt wurde ausführ-
lich zu seiner Rolle in den deutsch-liechtensteini-
schen Beziehungen befragt. Die protokollierten
Aussagen Vogts beleuchten Motive und Umstände
der liechtensteinischen Beschwichtigungsdiplo-
matie und sind eine wichtige Ergänzung der zeit-
genössischen Quellen.
- Schliesslich war Vogts Ernennung zum stellver-
tretenden Regierungschef im März 1938 für die
politische Laufbahn des jungen Juristen sowohl
retro- wie prospektiv eine Zäsur. Vogts Regierungs-
eintritt bedeutete für dessen Partei, die Vaterländi-
sche Union (VU), die Besetzung ihrer bis dahin ein-
flussreichsten landespolitischen Position. Zugleich
hatte sich die VU als Koalitionspartner zu be-
währen; Vogt zählte zusammen mit dem Parteiprä-
sidenten Dr. Otto Schaedler zum rechten deutsch-
völkischen Lager der einstigen Oppositionspartei.
Was an ihrer Spitze vor 1938 ideologisch und tak-
tisch erwogen wurde, Allianzen mit dem Dritten
Reich, konnte nach dem Anschluss des Nachbar-
landes Österreich verbindlich und riskant werden.
Der Krieg verschärfte diese Situation, gerade für
Vogt. Der Bestand einer liechtensteinischen Staat-
lichkeit war nach 1939 elementar mit einer funk-
tionierenden Landesversorgung und dem Wohl-
wollen der deutschen Kriegsmacht verknüpft. Alois
Vogt stand als wirtschaftszuständiger Regierungs-
rat an zentraler Stelle der liechtensteinischen
Kriegsvorsorge und zusehends auch der reichsbe-
zogenen Kontaktdiplomatie. An ihn, das «deutsch-
freundliche» Regierungsmitglied, waren von an-
schlusswilligen Gruppen in Liechtenstein und im
Deutschen Reich Erwartungen geknüpft. Der Hin-
tergrund dieser Erwartungen, Alois Vogts Einsatz
in rechtsgerichteten Oppositionsgruppen der Dreis-
sigerjahre, ist eingangs dieses Forschungsberichts
kurz zu beleuchten.
Dennoch bleibt der Darstellungsanspruch ein-
geschränkt. Von Vogt lagen dem Verfasser keine
intentionalen Quellen: keine persönlichen Auf-
zeichnungen, kein «Kriegstagebuch» vor. Absich-
ten und Motive des Handelnden müssen aus Amts-
dokumenten, Protokollen und Einschätzungen von
Gesprächspartnern erschlossen werden. Zahlrei-
che Kontaktnahmen Vogts sind zudem allein durch
deutsche Quellen überliefert, 9 hier sind Kontexte
abzuklären, Verbindungen zwischen scheinbar iso-
lierten Dokumenten aufzuweisen und Fragen an die
Involvierung Vogts zu stellen. Schliesslich wird kei-
ne zusammenhängende Darstellung der Kriegszeit,
auch keine Biographie des Politikers und Juristen
Alois Vogt vorgelegt. Durchsichtiger werden soll
Vogts Einbindung in die Kriegsdiplomatie, damit -
so hofft der Verfasser - auch deren kleinstaatliche
Voraussetzungen und «ungewöhnliche Mittel». 1 0
54
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Vor 1938:
Alois Vogts Engagement im
Liechtensteiner Heimatdienst
und in der Vaterländischen
Union
Vor Eintritt in die Regierung Hoop hatte sich Vogt
fünf Jahre politisch exponiert. Er gehörte am 1. Ok-
tober 1933 zu den Mitbegründern der oppositio-
nellen Gruppierung Liechtensteiner Heimatdienst
(LHD). Deren anfänglich reformerische Bekennt-
nisse wurden bald durch völkische und autoritäre
Positionen überlagert. Zahlreiche Gründungsmit-
glieder trennten sich deshalb vom LHD. Alois Vogt
blieb, neben Otto Schaedler und Carl von Vogel-
sang, in der Landesleitung. Nach Zusammen-
schluss des LHD mit der christlich-sozialen Volks-
partei (VP) zur Vaterländischen Union (VU) auf den
Jahreswechsel 1935/36 gehörte Vogt erneut als Se-
kretär dem Parteivorstand an. Zusammen mit Otto
Schaedler und Carl von Vogelsang zählte er zum
einflussreichen «rechten» Flügel der erweiterten
Opposition. Vogelsang war wie zuvor im LHD lei-
tender Redaktor der Parteizeitung, des nunmeh-
rigen «Liechtensteiner Vaterland».
Politische Praxis und personelle Zusammenset-
zung des LHD als rechtsgerichtete liechtensteini-
sche Oppositionsbewegung sind andernorts aus-
führlich dargestellt.1' In Bezug auf Alois Vogt sollen
zwei Eigentümlichkeiten des LHD kurz beleuchtet
werden. Von Belang sind erstens die ideologische
Annäherung an völkische, antiliberale und autori-
täre Positionen in der europäischen Rechten der
Dreissigerjahre, zum zweiten die organisatorische
Verbindung mit Stellen und Personen im national-
sozialistischen Deutschland. Für die politische Prä-
gung Vogts und für seine spätere Zusammenarbeit
mit Regierungschef Dr. Josef Hoop sind weitere
Hintergründe benennbar: Vogts Studienzeit in
Österreich und soziale Querverbindungen in der
liechtensteinischen Kleingesellschaft.
STÄNDESTAATSIDEE UND ANTISEMITISMUS
Der LHD hatte kaum eigenes ideologisches Profil.
Er bediente sich ausländischer Modelle. In Rhe-
torik und organisatorischer Selbstdarstellung wur-
den Elemente des deutschen Nationalsozialismus
und italienischen Faschismus, der österreichischen
Ständestaatsidee und der schweizerischen Erneue-
rung übernommen. Ausdrücklich lehnte man sich
an die katholische Gesellschaftslehre an. Die kirch-
liche Kritik an wirtschaftlicher und kultureller Mo-
dernisierung traf sich mit dem Wunsch nach einer
konservativ-autoritären Wende. Auch die antisemi-
tischen Ausfälle des LFID konnten an eine katholi-
sche Tradition anknüpfen und fanden über die
Grenzen der Organisation Gehör. 1 2
Ideologisch exponierte sich Alois Vogt von An-
fang an. Er verfasste zahlreiche Leitartikel in der
LHD-Zeitung und trat an den LHD-Versammlungen
neben Otto Schaedler als Redner auf. Zentral in
Vogts Texten ist die Propagierung eines liechten-
steinischen Ständestaates zur Überwindung von
Parteienstreit und Wirtschaftskrise. Vogt beschwor
den Gemeinnutz und die «religiösen und kulturel-
len Güter» Liechtensteins, die es gegen Atheismus
6) Ge ige r : K r i s e n z e i t 2. S. 180 .
7) In den l i e c h t e n s t e i n i s c h e n L a n d t a g s a k t e n 1 9 4 6 f i n d e n s i c h die
s t a a t s a n w a l t l i c h e n G r u n d l a g e n z u d i e se r Ü b e r l e g u n g : L L A L T A 1 9 4 6
L 26 .
8) D o k u m e n t i e r t i m B u n d e s a r c h i v B e r n ( B A B ) : B A B E 2 0 0 1 (E)
1 9 6 9 / 2 6 2 B d . 4 0 s o w i e e b e n d a E 4 3 2 0 fB) 1990/1 33 B d . 5 2 .
9) Z u d i e se r Q u e l l e n p r o b l e m a t i k e rgab s i ch e ine K o n t r o v e r s e z w i -
s c h e n den d e u t s c h e n « L i e c h t e n s t e i n - H i s t o r i k e r n » H o r s t C a r l u n d
G e r h a r d K r e b s . S i e h e H o r s t C a r l : V o m H a n d l u n g s s p i e l r a u m eines
K l e i n s t a a t e s - z u G e r h a r d K r e b s : Z w i s c h e n F ü r s t u n d F ü h r e r .
L i e c h t e n s t e i n s B e z i e h u n g e n z u m « D r i t t e n R e i c h » . In: G W U 8 (1989) ,
S. 4 8 6 - 4 9 3 .
K u r z b e l e g : C a r l : V o m H a n d l u n g s s p i e l r a u m e ines K l e i n s t a a t e s .
10) F o r m u l i e r u n g v o n A l o i s Vogt i n e i n e m S c h r e i b e n a n Dr. A l f r e d
Z e h n d e r (BPD) v o m 8. J u l i 1 9 4 6 . S i ehe B A B E 4 3 2 0 (B) 1 9 9 0 / 1 3 3
B d . 52 .
11) Ich s t ü t z e m i c h a u f f o l g e n d e A r b e i t e n : J o s e p h W a l k : L i e c h t e n -
s te in 1 9 3 3 - 1 9 4 5 . N a t i o n a l s o z i a l i s m u s i m M i k r o k o s m o s . In: Das U n -
r e c h t s r e g i m e . H r s g . U r s u l a B ü t t n e r . H a m b u r g 1 9 8 6 . B d . 1.
S. 3 7 6 - 4 2 5 . K u r z b e l e g : W a l k : L i e c h t e n s t e i n 1 9 3 3 - 1 9 4 5 .
K l a u s B i e d e r m a n n : D e r L i e c h t e n s t e i n e r H e i m a t d i e n s t 1 9 3 3 - 1 9 3 5 .
D r e i J a h r e K a m p f gegen d e n Pa r t e i ens t aa t f ü r e ine b e r u f s s t ä n d i s c h e
O r d n u n g , S e m i n a r a r b e i t U n i v . B e r n , 1 9 9 1 .
Ge ige r : K r i s e n z e i t 1, S. 3 6 5 - 4 1 3 .
12) A n t i s e m i t i s m u s a r t i k u l i e r t e s i c h im L i e c h t e n s t e i n de r Z w a n z i g e r -
bis V i e r z i g e r j a h r e i n de r Presse , b e i den P f a d f i n d e r n , i n L a n d t a g s -
deba t ten u n d - b ü r o k r a t i s c h k a n a l i s i e r t - i m N a c h v o l l z u g deu t sche r
V e r t r e i b u n g s - u n d s c h w e i z e r i s c h e r E i n w a n d e r u n g s p o l i t i k g e g e n ü b e r
j ü d i s c h e n P e r s o n e n ab 1 9 3 8 . S iehe W a l k : L i e c h t e n s t e i n 1 9 3 3 - 1 9 4 5 ,
S. 3 7 9 - 3 8 4 , s o w i e Ge ige r : A n t i s e m i t i s m u s u n d L i e c h t e n s t e i n , ö f f e n t -
l i c h e r V o r t r a g 26 . M a i 1997 . D e r s e l b e : K r i s e n z e i t 2 . S. 4 2 7 - 4 6 7 .
55
und Bolschewismus zu verteidigen gelte.13 Auf den
Modellcharakter rechter europäischer Bewegungen
wies Vogt hin, ohne ihn näher zu untersuchen.1 4
Vogts Texte tragen stark rhetorische Züge, sie sind
im LHD-Jargon appellativ und behauptend, Diffe-
renzierungen finden sich bei der Ständestaatsidee.
Ein berufsständischer Staatsaufbau sei gerade dem
kleinen kulturell, religiös und wirtschaftlich «ziem-
lich gleichförmigen» Liechtenstein angemessen.15
Antisemitisches wurde in Vogts LHD-Artikeln, so es
dort überhaupt eine Rolle spielt, indirekt ange-
tönt . 1 6 In der Praxis machte Vogt einen zwiespälti-
gen Eindruck. Er assistierte in den Jahren 1936 bis
1938 in der VU-Kampagne gegen den landesansäs-
sigen deutsch-jüdischen Sally Isenberg dem Kam-
pagnenführer Carl von Vogelsang rechtlich und in
der Materialbeschaffung.1 7 Vogt trug die antisemi-
tisch versetzte Einbürgerungskritik mit, ebenso die
Assoziierung des Jüdischen mit übermächtigen
Finanzkräften. In persönlichen und geschäftlichen
Beziehungen relativierten sich Vogts antisemitische
Einstellungen. In Unterredungen mit Isenberg
verhielt sich Vogt ausweichend, distanzierte er sich
vom Rassenantisemitismus.18 1936 vertrat er die
jüdische Mandantin eines österreichischen Kolle-
gen in einer Einbürgerungsfrage. 1 9 Während des
Krieges sollte Alois Vogt die Regierungspolitik ge-
genüber jüdischen Personen mittragen, die Abwei-
sung zahlreicher Aufenthaltsgesuche nach 1938
wie die deutscherseits beargwöhnte Duldung einer
jüdischen Kolonie in Liechtenstein während des
Krieges.
Auch in persönliche LFID-Verbindungen mit
Stellen im Deutschen Reich war Alois Vogt einbe-
zogen. Die Kontakte bestanden vor allem zum na-
tionalsozialistisch geprägten deutschen Auslands-
institut in Stuttgart und dem damit verbundenen
Volksbund für das Deutschtum im Ausland (VDA).
Sie wurden vom rechten VU-Flügel nach 1936 auf-
rechterhalten. Es kam zu gegenseitigen Besuchen,
zur Einrichtung eines deutschvölkischen Fremden-
verkehrs und zur Belieferung des LHD mit Propa-
gandamaterial.2 0 Ein VDA-Mitarbeiter datierte die
Verbindungsaufnahme ins Frühjahr 1934,2 1 Vogt
selbst gab nach dem Krieg an, anlässlich einer
LHD-Reise nach Stuttgart VDA-Vertreter persönlich
kennengelernt zu haben. 2 2 Für den LHD-Exponen-
ten Vogt erwiesen sich die Kontakte ins Reich als
zweischneidig: Sie bedeuteten einerseits eine Auf-
wertung der eigenen ausserparlamentarischen Be-
wegung. Indem man sich auf Staatlichkeit und Auf-
bau-«Leistungen» der NSDAP bezog, machte man
die eigene Organisation wichtiger, ihre vagen
Reformideen und Einflussschwäche überspielend.
In dieser Hinsicht wurde die Anlehnung auch im
Vokabular, über den LHD-Besuchsverkehr 2 3 und in
den antisemitischen, durch das Dritte Reich «auto-
risierten», Spitzen der Einbürgerungskritik offen-
gelegt. Dennoch gestalteten sich die deutschen Ver-
bindungen nicht problemlos. Dies lag einerseits an
Einschätzungen im Deutschen Reich, aber auch an
unterschiedlichen Ambitionen der LHD-Exponen-
ten. Der LHD wurde als zu schwach oder als zu
wenig profiliert eingeschätzt. 2 4 Skeptisch wurde
der umtriebige Carl von Vogelsang beurteilt,2 5 der
sich Meriten im Reich erhoffte und weitgehende
Kooperationsideen nähr te . 2 6 Vogt und Schaedler
andererseits, laut Vogelsang «zwei junge CVer», 2 7
bekannten sich zu ihren Sympathien für Elemente
des Nationalsozialismus, teilten aber weder den
Eifer noch die Ziele ihres Redaktors. Ihr Augen-
merk galt der Landespolitik. Den engeren VDA-
Kontakt behandelte wohl auch Vogt diskret. 2 8 Vo-
gelsang Hess man gewähren, als nützlicher Fana-
tiker, wohl auch, da man vermeinte, die deutschen
Linien kontrollieren zu können, 2 9 permanent um
sie gekümmert hat man sich nicht. In Vogelsangs
umfangreicher, nach Deutschland gerichteter Kor-
respondenz taucht Vogt nur sporadisch auf, eine
für Kooperationsfragen anberaumte Neujahrsbe-
sprechung mit dem Stuttgarter Kontaktmann Dr.
Frank liess er 1936 platzen. 3 0
Als die Spitzeltätigkeit Vogelsangs für Reichs-
stellen im Januar 1937 aufflog, kippte die Nützlich-
keit der deutschen Verbindungen. Vogelsangs Ak-
tivitäten überraschten nicht in ihrem Bestehen,
aber in ihrem Ausmass den VU-Parteivorstand un-
ter Otto Schaedler, Alois Ritter und Alois Vogt. 1937
stand der innenpolitische Kredit, die Machtbetei-
ligung in Liechtenstein auf dem Spiel. Vogelsang
56
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
wurde ausser Landes geschafft,31 die deutschen
Linien in eigener Regie aufrechterhalten. Im März
1938, nach der Eingliederung Österreichs ins Deut-
sche Reich, erwiesen sie sich als innenpolitisches
Druckmittel, institutionelle Macht zu erlangen.
ALOIS VOGTS STUDIEN IN WIEN:
DEUTSCHNATIONALE UND ANTISEMITISCHE
BEWEGUNGEN AUF UNIVERSITÄTSBODEN
Alois Vogts Vertretung der ständischen Idee ver-
dankte sich einer österreichischen Prägung. Vogt
studierte in den Jahren 1928 bis 1933 in Innsbruck
und Wien Rechtswissenschaften.32 Bei Professor
Othmar Spann, dem prominentesten Theoretiker
eines ständisch-organischen Gesellschaftsaufbaus
in Österreich, belegte Vogt Volkswirtschaftslehre.
Über Vogts Zugehörigkeit zur katholischen Studen-
tenschaft Österreichs ergab sich eine weitere Nähe
zum österreichischen Ständeregime. Auch anti-
semitische und völkische Haltungen hatten einen
Hintergrund in Vogts Studienzeit in Wien. 3 3 Dort
ereignete sich verbale und tätliche Judenhetze in
Hörsälen, ein einflussreicher deutschnationaler
Teil der Professorenschaft stützte dies. Der pronon-
ciert deutschvölkische Wenzel Gleispach war Vogts
Strafrechtsprofessor. Gleispach forderte eine Un-
terteilung der Studentenschaft nach Volks- und
Sprachgruppen. Vogts deutschnationale und anti-
semitische Beeinflussung im Umkreis der Wiener
Universität ergeht aus knappen Eintragungen in
den Inskriptionsbüchern; dort gibt Vogt unter der
Rubrik Volkszugehörigkeit einmal «deutsch», ein
ander Mal «deutsch-arisch» an. 3 4 Welche genaue
politische Zuordnung diese Kürzel einschlössen, ist
schwieriger zu bestimmen. Zu Vogts Studienzeit
und bis zum Anschluss 1938 war das deutschna-
1.3) L H D - Z e i t u n g 14. O k t o b e r 1 9 3 3 .
14) L H D - Z e i t u n g 28 . O k t o b e r 1 9 3 3 ; 13. J a n u a r 1 9 3 4 .
15) L H D - Z e i t u n g 14. F e b r u a r 1 9 3 4 .
16) E t w a bei e iner ö f f e n t l i c h e n V e r t e i d i g u n g V o g e l s a n g s in de r L H D -
Z e i t u n g I S . A p r i l 1 9 3 4 .
1 0 Ge ige r : K r i s e n z e i t 1, S. 4 4 1 - 4 4 9 .
18) P A A V / 3 4 0 . 2 3 . J u n i 1 9 3 6 ; L L A R F 1 8 0 / 3 0 9 , 25 . M a i 1 9 3 8 .
19) L L A R F 1 6 1 / 0 4 1 .
20) L L A R E 1 6 9 / 1 7 0 K o r r e s p o n d e n z C a r l v. V o g e l s a n g , B r i e f e
Nr. 1 1 7 - 1 1 9 .
21) A A , PA Po l i t i s ches 1 9 2 2 - 1 9 3 6 . 19. S e p t e m b e r 1 9 3 5 : W a l t h e r
R e u s c h ( V D A ) an A A .
22) B A B E 4 3 2 0 (B) 1 9 9 0 / 1 3 3 B d . 52 . V e r n e h m u n g s p r o t o k o l l e A l o i s
Vogt de r s c h w e i z e r i s c h e n B u n d e s p o l i z e i (Bupo) v o m 2 4 . / 2 5 . Sep-
t e m b e r 1 9 4 6 u n d 2 1 . A u g u s t 1 9 4 7 .
K u r z b e l e g : B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1946 (1947) .
23) B e r i c h t ü b e r L H D - R e i s e g e s e l l s c h a f t b e i m d e u t s c h e n A u s l a n d s -
ins t i tu t i n L H D - Z e i t u n g 23 . N o v e m b e r 1 9 3 5 .
24) A A , P A Pol i t . S c h r i f t s t ü c k e 1 9 2 3 - 1 9 3 8 , 29 . N o v e m b e r 1935:
K o n s u l V o i g t an A A . S iehe a u c h W a l k : L i e c h t e n s t e i n 1 9 3 3 - 1 9 4 5 .
S. 3 8 8 , ü b e r e i n e n B e r i c h t de r L a n d e s l e i t u n g L H D v o m 2 2 . D e z e m -
ber 1 9 3 4 .
25) A A . P A Pol i t . S c h r i f t s t ü c k e 1 9 2 3 - 1 9 3 8 , 17. J u n i 1 9 3 5 : S c h ä f e r -
R ü m e l i n ( K o n s u l a t Z ü r i c h ) a n A A ; e b e n d a Po l i t i s ches 1 9 2 2 - 1 9 3 6 .
15 . A u g u s t 1935: S t e i n a c h e r ( V D A ) an P r o m i . Das G e n e r a l k o n s u l a t
Z ü r i c h r ie t b e i A A u n d P r o m i v o n e i n e r Z u s a m m e n a r b e i t m i t
V o g e l s a n g ab . Dies w u r d e d e m V D A m i t S c h r e i b e n v o m 5. A u g u s t
1935 mi tge te i l t .
26) L L A R E 1 6 9 / 1 7 0 , Nr. 4 8 - 5 3 , Nr. 1 1 7 - 1 1 9 , L a g e b e r i c h t e aus
L i e c h t e n s t e i n u n d V o r s c h l ä g e z u r Z u s a m m e n a r b e i t m i t LFID bzw.
V U .
27) L L A R E 1 6 9 / 1 7 0 , Nr . 24 , 19. J u n i 1 9 3 5 .
28) L L A R E 1 6 9 / 1 7 0 . Nr . 3 4 - 3 5 , 8. N o v e m b e r 1 9 3 5 : Dr. F r a n k
e r s u c h t u m « a l l e r s t r e n g s t e s S t i l l s c h w e i g e n » ü b e r A r b e i t s d i e n s t -
P l ä n e , « n u r de r engste F ü h r e r r a t des L H D » sol le d a v o n K e n n t n i s
h a b e n .
29) A A . P A Po l i t i s ches 1 9 2 2 - 1 9 3 6 . 15 . A u g u s t 1 9 3 5 : S t e i n a c h e r
( V D A ) an P r o m i .
30) L L A R E 1 6 9 / 1 7 0 , Nr. 36 . 7. J a n u a r 1936.
31) S i ehe d ie d r a m a t i s c h e S c h i l d e r u n g be i G e i g e r : K r i s e n z e i l 1,
S. 4 5 6 - 4 6 0 .
32) Das S o m m e r s e m e s t e r 1931 v e r b r a c h t e er i n F r e i b u r g i n de r
S c h w e i z . A l o i s Vogt b e g a n n m i t d e m W i n t e r s e m e s t e r 1 9 2 8 / 2 9 i n
I n n s b r u c k , wechse l t e i m W i n t e r s e m e s t e r 1 9 3 0 / 3 1 n a c h W i e n ü b e r
u n d sch loss do r t se ine S t u d i e n i m M ä r z 1 9 3 3 , k n a p p 2 7 - j ä h r i g ,
m i t de r P r o m o t i o n z u m Dr. jur . ab .
33) S iehe h i e r z u O l i v e r R a t h k o l b : Die R e c h t s - u n d S t a a t s w i s s e n s c h a f t -
l i che F a k u l t ä t de r U n i v e r s i t ä t W i e n z w i s c h e n A n t i s e m i t i s m u s ,
D e u t s c h n a t i o n a l i s m u s u n d N a t i o n a l s o z i a l i s m u s 1 9 3 8 , d a v o r u n d
d a n a c h . In: W i l l f ä h r i g e W i s s e n s c h a f t : die U n i v e r s i t ä t W i e n
1 9 3 8 - 1 9 4 5 . H r s g . H e i s s . M a t t l . M e i s l et a l . W i e n , 1 9 8 9 . S. 1 9 7 - 2 3 2 .
34) U A W « N a t i o n a l e » J u r i s t e n : W i n t e r s e m e s t e r 1 9 3 1 / 3 2 . S o m m e r -
semes t e r 1 9 3 2 .
57
tionale Lager in Österreich gespalten. Vogt gehörte
einer Studentenverbindung des Katholischen Car-
tellverbands (CV) an. 3 5 Der CV sah sich im Gegen-
satz zu «schlagenden Verbindungen», das heisst
Duellwaffen tragenden und zusehends nationalso-
zialistisch gesinnten Burschenschaften. Mit wach-
sendem Einfluss des Nationalsozialismus auf öster-
reichischem Universitätsboden und mit Hitlers
Machtübernahme 1933 rückte der CV von seiner
Anschlussorientierung ab und bekannte sich, zu-
mal offiziell, zum österreichischen Ständeregime. 3 6
Zu Vogts Haltung in diesen Fragen fanden sich kei-
ne Dokumente, allerdings blieb er auch nach seiner
Studienzeit dem CV verbunden. Eine Deutschland-
kritische Zeitung dieser Provenienz hatte Vogt bei
sich aufliegen. 3 7
MACHTKOMPROMISSE UND SOZIALE
QUERVERBINDUNGEN
Die Wende von der lärmigen Radikalopposition des
LHD zur Selbsteinbindung ins bekämpfte Parteien-
system Liechtensteins machte Alois Vogt mit, in lei-
tender Position, zugleich taktisch moderierend und
verhandlungsbereit.
1935 zählte Vogt zu den Befürwortern einer
Zusammenarbeit von LHD und VP mit der Regie-
rungspartei FBP. 3 8 Vogt nahm an den entsprechen-
den «Friedensverhandlungen» zwischen Oktober
und Weihnachten 1935 teil. Die 1938 durchge-
setzte Regierungs-, Landtags- und Behördenbeteili-
gung wurde bereits in Vorschlag gebracht. Als es
im Gefolge des Anschlusses Österreichs zur liech-
tensteinischen «Märzkrise» 3 4 und zum Abschluss
eines Parteienfriedens kam, war Alois Vogt in des-
sen Aushandlung einbezogen, zusammen mit Dr.
Alois Ritter und im Kontakt mit dem vermittelnden,
wirtschaftlich argumentierenden Floldingunterneh-
mer Guido Feger. Schaedler trat als Hardliner auf:
mit rigorosen Forderungen und über den nicht un-
gefährlichen, eigenmächtigen Umweg in Berlin. 4 0
Am 29. März 1938 wurde Alois Vogt durch den VU-
Landesausschüss als Regierungschef-Stellvertreter
nominiert. 4 1
Vogts Beteiligung an der Regierungsmacht 1938
ist nicht allein mit Blick auf einen parteilich
gestützten Ehrgeiz zu beurteilen. Seiner «Anpas-
sungsfähigkeit» lagen überparteiliche Werthaltun-
gen und Beziehungen zugrunde. 4 2 Bereits hinter
der rhetorischen Kraftmeierei und Neuerungsgeste
des LHD fand sich ein breiter Konsens mit dem
ländlich-katholischen Liechtenstein. An kulturellen
Grundstrukturen wie Geschlechterrollen, Besitz-
verhältnissen und Machthierarchien rührte die
«Radikalopposition» nicht. 4 3 Die liechtensteinische
Kleingesellschaft funktioniert(e) schliesslich über
Beziehungen, die quer zu den parteilichen Einfluss-
sphären und amtlichen Abstufungen verlaufen.
Alois Vogt war diesbezüglich gut verknüpft: gebo-
ren 1906, in eine Zeit vor der Parteiengründung,
erfolgte seine politische Sozialisierung über ver-
wandtschaftliche Nähe, männerbündische Protekti-
ons- und Allianzbeziehungen. Der ältere Cousin
Otto Schaedler und die Verbindung zur entfernt
verwandten Familie Rheinberger standen beim
Eintritt Vogts in den LHD Pate.4 4 Die Rheinbergers
hatten kulturelle und familiäre Beziehungen nach
Deutschland. Sie wohnten auf Schloss Gutenberg in
Baizers, der Geburtsgemeinde von Alois Vogt.
Schliesslich kam der Student Vogt bereits vor Ein-
tritt in den LHD enger mit Regierungschef Dr. Josef
Hoop zusammen.
Aus den Jahren 1931 bis 1933 ist uns im Liech-
tensteinischen Landesarchiv eine Korrespondenz
zwischen dem Jus-Studenten Alois Vogt und Josef
FIoop überliefert. 4 5 In den Briefen herrscht der Ton
studentischer Kameraderie, Vogt schreibt «Lieber
Alter Herr», Hoop begrüsst mit «Lieber Cartell-
bruder» . 4 6
Im gesamten Briefwechsel schlägt sich auch ein
Protektionsverhältnis Hoops gegenüber dem elf
Jahre jüngeren Vogt nieder. Dieser überarbeitete
für den Regierungschef Korrekturabzüge neuer
Gesetzesregister. FIoop vermittelte ausserdem Stu-
dienstipendien und verwandte sich für eine Anstel-
lung Vogts bei der Landesverwaltung. Aus Anrede
und Briefform spricht oft der Respekt des jungen,
von allerlei Geld- und Prüfungssorgen geplagten
Vogt gegenüber dem korrekt-väterlich auftretenden
58
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE . . .»/JÜRGEN SCHREMSER
Regierungschef Hoop. Letzterer hatte seine Studien
ebenfalls in Österreich absolviert.4 7
Anders als viele Anhänger des LHD und der
nachmaligen VU, aufgrund der politischen Majori-
sierung durch die FBP verbittert, durch die Wirt-
schaftskrise getroffen, anders auch als der «poli-
tisch naive Eiferer» 4 8 Vogelsang war Alois Vogt ein
integrierter Landesbewohner. Er war verwandt-
schaftlich weitläufig eingebettet, als Jurist mit dem
Treuhandpionier und VU-Mitglied Guido Feger
früh geschäftlich verbunden. 4 9 Alois Vogt war
politisch ambitioniert, zur Erreichung konkreter
Machtziele aber auch kompromissfähig. Schliess-
lich dürfte er kein Hasardeur gewesen sein, die
Entwicklung Hitlerdeutschlands, anfänglich mit
Sympathie und Geltungsdrang begrüsst, rückte
1938 und danach in ein anderes Licht.
45) L L A R F 1 1 7 / 0 6 6 .
46) A l o i s Vogt u n d J o s e f H o o p g e h ö r t e n z u d e n G r ü n d e r n de r ers ten
l i e c h t e n s t e i n i s c h e n S t u d e n t e n v e r b i n d u n g e n . H o o p w a r M i t b e g r ü n d e r
de r R h e n a n i a 1 9 1 6 , Vogt de r R h e i n m a r k 1 9 2 5 .
47) Dr. J o s e f H o o p . 1 8 9 5 - 1 9 5 9 . s tud ie r te o r i e n t a l i s c h e S p r a c h e n a n
d e r U n i v e r s i t ä t I n n s b r u c k u n d p r o m o v i e r t e do r t 1 9 2 0 . V o n
1 9 2 8 - 1 9 4 5 w a r er R e g i e r u n g s c h e f des F ü r s t e n t u m s L i e c h t e n s t e i n .
48) Ge ige r : K r i s e n z e i t 1. S. 4 6 0 .
49) P A A V / 1 S 0 . A l o i s Vogt hatte bere i t s 1 9 3 3 e ine B ü r o g e m e i n s c h a f t
m i t G u i d o Feg e r u n d w a r P r o k u r i s t v o n d e s s e n A l l g e m e i n e r
T r e u h a n d A G . Pe te r G e i g e r b e m e r k t , dass A l o i s Vogt « a l s Rech t s -
a n w a l t n o c h w e n i g e r f o l g r e i c h » war . S i ehe Ge ige r : K r i s e n z e i t 2,
S. 1 8 0 . Diese E i n s c h ä t z u n g w i r d m a n f ü r den V e r l a u f der D r e i s s i g e r -
j a h r e d i f f e r e n z i e r e n m ü s s e n . Im P A A V f i n d e n s i ch H i n w e i s e a u f
z a h l r e i c h e z i v i l r e c h t l i c h e u n d no t a r i e l l e M a n d a t e . A l o i s Vog t e r k l ä r t e
1 9 4 6 . dass er v o r d e m R e g i e r u n g s e i n t r i t t v e r m ö g e n d e r g e w e s e n sei
a ls d a n a c h : B A B E 4 3 2 0 (B) 1 9 9 0 / 1 3 3 B d . 52 , 2. M a i 1 9 4 6 : Vogt a n
V i z e r e g i e r u n g s c h e f N i g g .
35) S iehe K o r r e s p o n d e n z H o o p - V o g t in L L A R F 1 1 7 / 0 6 6 ; RF, 169/
170. Nr . 24, 19 . J u n i 1935 . s o w i e P A A V / 3 2 5 , O k t o b e r 1 9 3 7 : B r i e f -
w e c h s e l A l o i s Vog t m i t de r k a t h o l i s c h e n K o r p o r a t i o n R a e t o - B a v a r i a .
36) Z u d iese r T h e m a t i k : M a r k u s J u e n : W a f f e n s t u d e n t e n u n d
ka tho l i s che K o r p o r a t i o n e n a n de r U n i v e r s i t ä t W i e n 1 9 1 8 - 1 9 3 8 .
V e r s u c h e ine r B e s l a n d e s a u f n a h m e . D i p l o m a r b e i t U n i v . W i e n 1 9 9 4
s o w i e M i c h a e l G e h l e r : S tuden t en u n d Po l i t i k . Der K a m p f u m d ie
V o r h e r r s c h a f t a n de r U n i v e r s i t ä t I n n s b r u c k 1 9 1 8 - 1 9 3 8 ( I n n s b r u c k e r
F o r s c h u n g e n z u r Ze i t ge sch i ch t e . H r s g . R o l f S te in inger , Inst i tut f ü r
Ze i tgesch ich te de r U n i v e r s i t ä t I n n s b r u c k . B d . 6 , 1990) .
37) L L A R E 1 6 9 / 1 7 0 . Nr . 10 . 9. J u n i 1 9 3 4 : V o g e l s a n g sch re ib t , dass
er den « C h r i s t l i c h e n S t ä n d e s t a a t » ö f t e r s « b e i Dr. Vog t» sehe u n d
beklagt s i ch ü b e r d ie P u b l i k a t i o n , s ie « g l a u b t n u r i n F o r m v o n H e t z e
ü b e r D e u t s c h l a n d s c h r e i b e n z u s o l l e n . »
38) Ge ige r : K r i s e n z e i t 1, S. 4 2 1 .
39) S iehe die a u s f ü h r l i c h e D a r s t e l l u n g i n Ge ige r : K r i s e n z e i t 2.
S. 1 0 8 - 1 8 6 .
40) E b e n d a , S. 1 6 3 - 1 6 7 .
41) P A A V / 4 6 7 , 29 . M ä r z 1 9 3 8 : P r o t o k o l l V U - L a n d e s a u s s c h u s s -
s i t zung .
42) Peter G e i g e r b e m e r k t , dass s i c h A l o i s Vogt v e r ä n d e r t e n p o l i -
t i schen S i t ua t i onen r a s c h anpass te , m i t R e g i e r u n g s e i n t r i t t 1 9 3 8 se i
s e in E h r g e i z b e f r i e d i g t g e w e s e n . S i ehe Ge ige r : K r i s e n z e i t 2, S. 180 .
43) Peter G e i g e r w e i s t a u f d e n « r ü c k w ä r t s g e w a n d t e n » Z u g von
O r g a n i s a t i o n u n d P r o g r a m m des L H D h i n ; s iehe Ge ige r : K r i s e n z e i t 1.
S. 379 .
44) In te rv iews m i t R u d o l f R h e i n b e r g e r . 2 7 . J a n u a r 1 9 9 7 , u n d
E m a n u e l Vogt , 9. D e z e m b e r 1 9 9 6 .
59
Alois Vogts Eintritt
in die Regierung Hoop 1938:
Weichenstellungen und
Zusammenarbeit
Die Koalition zwischen FBP und VU vom März
1938 band ungleiche, bislang gegnerische poli-
tische Kräfte ein. Sie hatte Kompromisscharakter
und musste sich als Entscheidungsstruktur erst be-
währen. Regierungschef Dr. Josef Hoop und sein
Stellvertreter Dr. Alois Vogt traten ihrerseits unter
diesen Vorzeichen an. Hoop hatte die auswärtigen
Beziehungen über Jahre geprägt, Vogt kam als
Neuling, mit deutschvölkischem Hintergrund und
einer Rückbindung an seine Partei, die VU. Deren
Präsident, Otto Schaedler, hatte eine eigene reichs-
deutsche Allianz noch nicht aus den Augen verlo-
ren. Wie wirkte sich diese Konstellation in den
deutsch-liechtensteinischen Beziehungen aus, wie
in Rücksicht auf die Schweiz?
Die kleinstaatliche Aussenpolitik blieb ein be-
sonders sensibler Bereich. Sie war nach dem An-
schluss Österreichs durch eine duale Ausrichtung
bestimmt. Nach wie vor galt die enge Anbindung
Liechtensteins an den Zollvertragspartner Schweiz.
Sie sollte während des Krieges noch vertieft wer-
den. Andererseits wuchs der Einfluss Deutsch-
lands. Faktisch über die militärische Zugriffsmög-
lichkeit und das deutsche Wirtschaftspotential: Be-
schäftigungschancen und Flandelsverbindungen.
Die deutsche Vormacht beeinflusste auch den Be-
reich spekulativer Erwartungen, die Befürchtungen
und Floffnungen der Bevölkerung und der Behör-
den Liechtensteins. Abhängigkeiten und Erwartun-
gen sind aufeinander verwiesen. Beide Hinsichten
gelten auch bezüglich der Rolle Alois Vogts. Ein-
zuschätzen ist seine amtlich-diplomatische Einbin-
dung in den vorgegebenen aussenpolitischen Rah-
men und seine Ansprechbarkeit für Dienststellen
im nationalsozialistischen Deutschland. Für das
Gelingen des ersteren können einige Umstände be-
nannt werden, für letzteres gilt es auf Signale und
Details zu achten, Vorkehrungen und Kontaktver-
suche. In den Dokumenten klingen Spannungs-
momente im Regierungsgremium an, aber auch ge-
genseitiges Zutrauen.
Fragmentarisch ist die Quellenlage bezüglich der
von der VU-Spitze weitergeführten deutschen Kon-
takte. Immerhin sind sie belegt. Belege dafür, dass
die Zusammenarbeit Hoop-Vogt vor Kriegsbeginn
eine persönliche Vertrauensbasis schuf, ergeben
sich nachträglich durch die gemeinsame Putschab-
wehr im März 1939. Sie gelang, während Vogt de
facto Chef der liechtensteinischen Exekutive war,
über Rückversicherung in Bern und durch wirksa-
men Einsatz der jeweiligen Sonderlinien ins Reich.
ERSTE WEICHENSTELLUNG 1938:
VORGABEN HOOPS UND EINBINDUNG VOGTS
Die ersten Verhandlungsschritte im zweiseitigen
Verhältnis Liechtensteins gegenüber der Schweiz
und dem neuen Nachbarn Deutschland setzte Re-
gierungschef Dr. Josef Hoop. Die Visiten Hoops in
Bern und Berlin erfolgten vor Alois Vogts Vereidi-
gung in Vaduz am 1. April und vor dem Regent-
schaftsantritt des nachmaligen Fürsten Franz Josef
II. am 25. Juli. Hoop beschwichtigte nach aussen
angesichts der innenpolitischen «Märzkrise». Sie
hatte sich in den durch den VU-Präsidenten Otto
Schaedler vermittelten Vorbehalten zur Eigenstaat-
lichkeit zugespitzt. Zugleich suchte Hoop die Hal-
tung der für Liechtensteins Souveränität massgeb-
lichen Nachbarstaaten abzuklären. Solches erfolgte
nicht ohne gewagte Annäherungssignale während
des Berlinbesuchs vom 20. bis 24. März. 5 0
Als die Behörden- und Regierungsbeteiligung
der VU verbindlich wurde, drängte die Partei auch
auf aussenpolitische Mitwirkung. Gleichzeitig mit
der Bestellung Vogts zum Stellvertreterkandidaten
forderte der VU-Landesausschuss am 29. März
dessen Beizug zu den Verhandlungen mit ausländi-
schen Vertretern, ehestens solle Vogt den schweize-
rischen Behörden vorgestellt werden. 5 1 Dieses Er-
suchen, welches auch an den Thronfolger Franz
Josef erging, 5 2 zielte vorerst auf den Antrittsbesuch
in Bern am 4. April 1938. Er wurde noch in «klei-
ner» Besetzung vom Thronfolger und FIoop, ohne
50) Ge ige r : K r i s e n z e i t 2 . S. 171 f.
51) P A A V / 4 6 7 . 29 . M ä r z 1 9 3 8 : P r o t o k o l l V U - L a n d e s a u s s c h u s s -
s i t z u n g .
52) E b e n d a , 2 . A p r i l 1 9 3 8 : V U - V o r s t a n d an P r i n z F r a n z Josef .
60
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Ein Monat nach Vereidi-
gung Alois Vogts zum
Regierungschef-Stellver-
treter (unter dem Tor-
bogen v.l.n.r): Regie-
rungschef Josef Hoop,
Thronfolger Franz Josef
und Alois Vogt in Balzers
8. Mai 1938. Im Vorder-
grund rechts Gemeinde-
vorsteher Georg Vogt
Hauptakteure der liechten-
steinischen Staatsführung
während des Krieges
(v.l.n.r): Dr. Josef Hoop
(abgewendet), Fürst Franz
Josef IL, Dr. Alois Vogt
und Regierungsrat Pfarrer
Anton Frommelt an
der Huldigungsfeier am
29. Mai 1939
61
den Vizeregierungschef, eilends durchgeführt. Vom
erwünschten Einbezug Vogts in die offizielle Aus-
senvertretung war schliesslich auch die Volksdeut-
sche Mittelstelle (VOMI) unterrichtet.5 3
Hoop reagierte drei Tage nach den Besprechun-
gen in Bern auf das Drängen der VU, er notierte:
«Mit H. [Herrn, d. Verf.] Dr. Vogt vereinbart, fall-
weise sich über die Unterhandlungspartner zu eini-
gen», hiervon werde der VU-Parteiausschuss von
Vogt verständigt. 5 4 Hoops Notiz ist für das Mitwir-
ken Vogts in der Aussenvertretung eigentümlich.
Beide, Hoop wie Vogt, hatten sich auf ihre aussen-
politischen Auftritte zu einigen. Hier kam das koa-
litionäre Moment zur Geltung. Hoops knapper Ver-
merk deutet andererseits auf informelle Spielräu-
me in der auswärtigen Interessenwahrung. Hier
bestand keine feste Ressortordnung, sie konnte
«fallweise» nötig werden, mit wechselnden «Unter-
handlungpartnern». Hoop selbst war mit dem
improvisierten Charakter der liechtensteinischen
Diplomatie vertraut. Auch in den Kontakten mit
dem Deutschen Reich griff er ohne eigene aussen-
politische Bürokratie und Vertretung auf persönli-
che Beziehungen zurück. Einer dieser informellen
Drähte ins Reich war der liechtensteinische Brief-
markenberater und NSDAP-Funktionär Hermann
Sieger.55
Sieger war FIoop bei dessen Berlinreise während
der Märzkrise behilflich. Dieser Besuch erfolgte
noch in Rücksprache mit Bern, 5 6 der zweite, «offizi-
elle» Staatsbesuch vom 2./3. März 1939 wurde
unter Umgehung der schweizerischen Diplomatie
von Hoop und Fürst Franz Josef II. vorbereitet.57
Im Inland verteidigte Hoop die informelle Kontakt-
pflege mit dem Deutschen Reich. In seiner Eschner
Rede vom 11. Dezember 1938 5 8 meinte Hoop, dass
er mit «hohen Persönlichkeiten» im Reich ver-
kehre, er werde dabei nicht «wie ein Elephant in
einem Porzellanladen» auftreten, sondern «klug
und überlegend» handeln. 5 9 Dieses Rechtferti-
gungsmuster der Beschwichtigungspolitik - das
Wohlwollen des Reiches durch persönliche Kon-
taktpflege zu erhalten - wird im Laufe des Krieges
beibehalten, von Hoop und Vogt. 6 0
In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass
FIoop trotz Bevorzugung der schweizerischen An-
bindung Liechtensteins an einer grundsätzlichen
Abklärung der eigenen Handlungsspielräume in-
teressiert war. Angeführt werden Hoops Erörterun-
gen eines allfälligen Zollanschlusses an das Deut-
sche Reich 6 1 und der Wunsch des Regierungschefs
nach einer Absicherung der liechtensteinischen
Neutralität. Eine entsprechende Anfrage wurde
nach Bern gerichtet.62 Rechtliche Abklärungen
erfolgten aber auch an anderer Stelle. Die an-
schlussfreudige VOMI berichtete dem Auswärtigen
Amt über ein Gutachten, dass Hoop zur Frage der
Neutralität Liechtensteins und der Schweiz aus-
fertigen liess. 6 3 Die Rechtsauskunft an FIoop deckte
sich im Resümee mit der offiziellen Sprachregelung
der Reichsführung, die von einer weiteren Anleh-
nung Liechtensteins an die Schweiz abriet. 6 4 Der
liechtensteinischen Souveränität wäre es demge-
genüber dienlicher, «wenn sich das Fürstentum die
Pflege seiner diplomatischen Beziehungen zu Staa-
ten gleichfalls deutschen Volkstums gegebenenfalls
selber vorbehält .» 6 5 Schliesslich wurde ein Spiel-
raum für fallweise, völkerrechtliche Abmachungen
durch Staatschefs, Chefs der Regierung oder Be-
vollmächtigte eingeräumt. 6 6 Im auswärtigen Ver-
kehr nach dem 30. März 1938 waren damit Regie-
rungschef Dr. Josef Hoop, Thronfolger beziehungs-
weise Fürst Franz Josef und der Regierungschef-
Stellvertreter Dr. Alois Vogt bezeichnet.
In die praktische Aussenvertretung Liechten-
steins wurde Alois Vogt von Regierungschef Hoop
im Laufe der ersten Regierungsmonate einbezogen.
Eine erste gemeinsame Besprechung mit deut-
schen Unterhändlern am 18. Juli 1938 betraf die
Durchführung eines HJ-Lagers in Liechtenstein.6 7
Das Vorhaben wurde nach Rücksprache mit Bern
abgeblasen. Als die Frage der Errichtung einer
liechtensteinischen Vertretung aufgeworfen wurde,
verständigte Hoop den Fürsten darüber, dass allen-
falls sowohl in Bern wie in Berlin anzufragen wäre.
Dies teilte er auch Vogt mit. 6 8 Später, während des
Krieges, sollte Vogt diesen Standpunkt im Deut-
schen Reich erneuern. 6 9
62
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE . . .»/JÜRGEN SCHREMSER
Schliesslich verhandelte der Vizeregierungschef
auch hinsichtlich der Beschäftigung liechtensteini-
scher Arbeiter in Deutschland. Die entsprechende
Initiative war bereits 1936 von Hoop eingeleitet
worden, 7 0 nun wurde Vogt als Wirtschaftszustän-
diger damit betraut.71 Alle drei Bereiche erforder-
ten Rücksichten auf das zweiseitige Verhältnis
Liechtensteins zur Schweiz und zum Reich, direkt
beim HJ-Lager und in der Gesandtschaftsfrage, in-
direkt bei der Arbeitsmarktpolitik, die sich auf-
grund erschwerten Zugangs in die Schweiz auf
Deutschland richtete. Dafür, dass Vogt in den an-
gesprochenen Fragen einen deutschfreundlicheren
Kurs als Hoop steuerte, finden sich keine Hinweise.
In der zitierten Eschner Rede resümierte Hoop
Ende 1938, dass die Zusammenarbeit mit den
neuen Regierungsräten «eine korrekte, verständ-
nisvolle, kollegiale und angenehme ist.» 7-
Hoop ist der diplomatische Routinier und Taktie-
rer, auf dessen Verhandlungsvorgaben der Neuling
Vogt zunächst verwiesen war. 7 3 Vogt habe während
des Krieges gegenüber dem SD-Offizier Klaus Hue-
gel geäussert, dass er Hoop nicht gewachsen sei,
der sei «ein viel zu raffinierter Fuchs», er, Vogt, sei
nur ein «Bauernbub». 7 4 Das Drängen der VU, Alois
Vogt ehestens in der Schweiz vorzustellen, signa-
lisierte nicht nur Einflusssicherung, sondern auch
den Nachholbedarf des Juniorpartners.
ZWEITE WEICHENSTELLUNG 1938:
SELBSTVERPFLICHTUNG DER VU -
DISTANZIERUNG VON DER VOLKSDEUTSCHEN
REWEGUNG IN LIECHTENSTEIN
(VDBL)
Unbesehen der diplomatischen Vorgaben Hoops
hatte die VU durch Eintritt in die Landesbehörden
Liechtensteins selbst eine Weichenstellung im Ver-
hältnis zum Deutschen Reich eingeleitet. Die Be-
kenntnisse der VU zur Wahrung von Souveränität,
Dynastie und Zollvertragsgemeinschaft Liechten-
steins verpflichteten insbesondere den Heimat-
dienstflügel der Partei. Die entsprechende Zustim-
mung hatte nicht nur symbolisches Gewicht, sie
53) A A , PA Pol i t . A b i . II 1 9 3 6 - 1 9 3 9 . 3. A p r i l 1 9 3 8 : V O M I - B e r i c h t .
54) L L A R F 1 7 9 / 3 6 0 . r ü c k s e i t i g e r V e r m e r k .
55) Z u w e i t e r e n K o n t a k t l e u t e n FIoops s iehe C a r l : L i e c h t e n s t e i n u n d
das Dr i t te R e i c h . S. 4 3 7 ; Ge ige r : K r i s e n z e i t 2, S. 117 f. o d e r 167 f.
56) Ge ige r : K r i s e n z e i t 2, S. 168 .
57) E b e n d a . S. 3 3 8 - 3 4 0 .
58) W i e d e r g e g e b e n i n A A . P A Pol i t . A b t . II 1 9 3 6 - 1 9 3 9 . Rede J o s e f
H o o p . 1 1 . D e z e m b e r 1 9 3 8 .
59) E b e n d a , Rede J o s e f H o o p , 11 . D e z e m b e r 1 9 3 8 , S. 3, 9.
60) S iehe L L A L T P 10. O k t o b e r 1 9 4 0 . 23 . A p r i l 1 9 4 1 , 7. D e z e m b e r
1944 .
61) C a r l : V o m H a n d l u n g s s p i e l r a u m e ines K le ins t aa t e s , In: G W U 8
(1989) S. 4 8 9 : Ge ige r : K r i s e n z e i t 2, S. 171 f.: 391 f.
62) G e i g e r : K r i s e n z e i t 2, S. 2 4 0 .
63) A A , PA Po l i t i s ches II. 28 . M ä r z 1 9 3 8 : V O M I an R i n t e l e n ( A A .
Pol i t . A b t . Wes t eu ropa ) .
64) S i ehe A D A P D V. 5 1 1 . . 18 . M ä r z 1 9 3 8 : W e i z s ä c k e r an K ö c h e r
(deutsche G e s a n d t s c h a f t Be rn ) s o w i e A A , P A Pol i t . A b t . II
1 9 3 6 - 1 9 3 9 , 2 5 . M ä r z 1 9 3 8 : R i n t e l e n f ü r W e i z s ä c k e r .
65) S i ehe A n m . 6 3 .
66) F a l l s d ies n ich t a u s d r ü c k l i c h i n d e m A b k o m m e n ü b e r L i e c h t e n -
s te ins l a u f e n d e d i p l o m a t i s c h e V e r t r e t u n g d u r c h d ie S c h w e i z ausge-
s c h l o s s e n se i . F ü r H o o p . de r u m A b s t i m m u n g m i t B e r n b e m ü h t war ,
d ü r f t e ge rade d iese P r ä z i s i e r u n g w i c h t i g g e w e s e n se in .
67) L L A R F 1 7 9 / 3 3 2 ; A k t e n P K N S D A P T e i l II Reg . B d . 3, Dok .
N r . 0 2 2 4 3 6 - 0 2 2 4 4 4 .
68) A A , P A Pol i t . S c h r i f t s t ü c k e 1923-19 .38 . 12 . M a i 1 9 3 8 : Voig t
( G e n e r a l k o n s u l a t Z ü r i c h ) a n A A .
69) L L A 0 . S. S a m m e l a k t N S . D o k . Nr. 1 9 2 0 3 7 / 3 8 , 24 . N o v e m b e r
1 9 4 2 u n d D o k . Nr . 1 9 2 0 4 8 , 2 7 . J u n i 1 9 4 4 . Dass . i n A A . P A B ü r o des
S t a a t s s e k r e t ä r s .
70) Ge ige r : K r i s e n z e i t I. S. 2 4 4 - 2 4 9 .
71) P A A V / 6 0 6 , 15. A p r i l 1 9 4 7 : S c h r e i b e n Dr . M a x K n ö z i n g e r betr.
2 1 . O k t o b e r 1938 ; V e r h a n d l u n g e n m i t d e n A r b e i t s ä m t e r n L i n d a u
u n d K e m p t e n .
72) A A , PA Pol i t . A b t . II 1 9 3 6 - 1 9 3 9 . Rede J o s e f H o o p , 1 1 . D e z e m b e r
1 9 3 8 , S. 5.
73) L a u t l i e c h t e n s t e i n i s c h e r V e r f a s s u n g von 1 9 2 1 ver t r i t t de r L a n -
d e s f ü r s t den Staa t n a c h aus sen « u n b e s c h a d e t de r e r f o r d e r l i c h e n
M i t w i r k u n g s e i n e r R e g i e r u n g » . D e r l a u f e n d e B e h ö r d e n k o n t a k t i n
B e r n u n d B e r l i n w u r d e de facto von de r R e g i e r u n g s s p i t z e unter-
h a l t en , n a c h 1 9 3 8 i n A b s p r a c h e u n d A b s t i m m u n g m i t F ü r s t F r a n z
J o s e f II.
74) I n t e r v i e w m i t K l a u s H u e g e l , 1. M a i 1997 . A l o i s Vogt e n t s t a m m t e
b ä u e r l i c h e n V o r h ä l t n i s s e n .
63
blieb fortan kritische7"' Voraussetzung der Macht-
beteiligung.
Zwei Umstände trieben die Einbindung der VU
in den liechtensteinischen Verfassungsbogen vor-
an: die zustimmende Haltung der Reichsführung
zur Frage der liechtensteinischen Eigenstaatlich-
keit und die Formierung einer anschlussorientier-
ten politischen Kraft im Fürstentum, der Volks-
deutschen Bewegung in Liechtenstein (VDBL).
Die in den Märztagen grundgelegte Nichteinmi-
schungspolitik der deutschen Entscheidungsspit-
zen 7 6 stabilisierte den liechtensteinischen Parteien-
kompromiss. Sie entsprach Hoops Bemühen um
die Erhaltung des zweiseitigen Status quo, die
deutscherseits geschonte liechtensteinische Staat-
lichkeit in der schweizerischen Zollunion. Sie stütz-
te andererseits den legalen, am administrativen
Einflussgewinn orientierten Kurs der VU-Spitze.
Mit dem organisierten Auftreten einer natio-
nalsozialistischen Anschlussbewegung wurde eine
Spaltung im deutschfreundlichen Lager der VU
eingeleitet. Alois Vogt trug ihre Konsequenzen mit,
als Amtsträger und als ehemaliger Heimatdienst-
Exponent. Eine gemeinsame politische Linie der
VU mit der VDBL sollte sich nicht ergeben.7 7 Es gibt
keinen Hinweis, dass Vogt den Bruch mit den
«radikalen Gefolgsleuten der Vaterländischen Uni-
on» 7 8 nach innen, d. h. durch politische Konzessio-
nen, überbrückt hätte, im Gegenteil. Als Amtsträ-
ger vollzog Alois Vogt die behördlichen Einschrän-
kungen der VDBL-Tätigkeiten mit. Nach aussen
versuchte er schliesslich über Reichsstellen die
VDBL als namhafte liechtensteinische Stimme aus-
zuschalten.7 9
WAHRNEHMUNG ALOIS VOGTS
IM DEUTSCHEN REICH:
ERWARTUNGEN UND UNSICHERHEITEN
Die Regierungspartner Hoop und Vogt wurden von
deutschen Stellen, namentlich der VOMI und dem
Auswärtigen Amt, unterschiedlich wahrgenom-
men. FIoop galt als «katholisch-monarchisch-kon-
servativ», 8 0 1940 gar als «liberal» 8 1 . In solchen
Kürzeln wurde Hoops ideologische Distanz zum
deutschen Regime wie sein Interesse an der be-
stehenden liechtensteinischen Staatlichkeit kom-
muniziert. Demgegenüber figurierte Vogt als Ver-
treter des deutschorientierten Lagers der VU. Alois
Vogt wurde vor Kriegsbeginn von der VOMI als
«Vertrauensmann» 8 2 geführt, eine Einschätzung,
die 1940/41 vom deutschen SD, dem Geheimdienst
der SS, und von der Deutschlandabteilung im Aus-
wärtigen Amt geteilt wurde. 8 8
Erste Einschränkungen einer stereotypen Ko-
operationserwartung an Vogt tauchen erst im
Laufe des Krieges auf, als sich der Regierungschef-
Stellvertreter allein und mit unterschiedlichen
Dienststellen im Deutschen Reich besprach.
Worauf konnten sich die Einschätzungen an-
fänglich stützen?
Bei der kritischen Beurteilung Hoops wird in
deutschen Quellen dessen Taktieren und Anpas-
sungsdiplomatie angeführt . 8 4 Für deutsche Vor-
behalte lieferte FIoop auch inhaltliche Anhaltspunk-
te, etwa in jenen Passagen seiner Eschner Rede
1938, die auf kleinstaatliches Selbstbewusstsein
zielten. Vogt entwickelte für die deutsche Wahr-
nehmung 1938 kein mit Hoop vergleichbares indi-
viduelles Profil; die Quellen zeichnen ein wider-
sprüchliches Bild des Partei- und Regierungsman-
nes Alois Vogt. Die deutschvölkische Charakterisie-
rung Vogts durch die VOMI gründete zunächst in
dessen LHD-Engagement. Die dortige Annäherung
an den Nationalsozialismus und die damals auf-
gebauten VDA-Kontakte wirkten in der deutschen
Wahrnehmung fort. Und diese wurde - trotz der
aufgedeckten Spitzeltätigkeit des Vaterland-Redak-
tors Carl von Vogelsang - weiterhin bedient.
Ein Gesprächspartner aus dem Reich erinnert
im Juli 1938 sein Bekanntwerden mit Alois Vogt im
Herbst 1937; zu Weihnachten habe er Vogt eine
Aufsatzsammlung aus der SS-Zeitschrift «Das
Schwarze Korps» zukommen lassen. 8 5 Ein SS-
Bericht vom 21. März 1938 resümierte, dass die
VU gegen die «Verjudung Liechtensteins» gegrün-
det worden sei. 8 6 Auch während und nach der
Märzkrise 1938 blieb die rechte VU-Spitze an eige-
nen Linien ins Deutsche Reiche interessiert. In den
64
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
diesbezüglichen Dokumenten tritt Parteipräsident
Dr. Otto Schaedler massgebend auf. Gegenüber der
VOMI vermittelte Schaedler im März 1938 den Ein-
druck, die VU halte eine nicht umsturzorientierte
und zugleich völkische Position inne. Der Regie-
rungseinsitz Vogts bedeute eine innenpolitische
Einflusssicherung. 8 7 Ein Moment aussenpolitischer
Einfmss-Rivalität 8 8 klingt bei einem späteren Kon-
taktversuch an, der Schaedler und Vogt mit den
Spitzen von SS und Auswärtigem Amt zusammen-
führen sollte. Der Vorstoss erfolgte im Oktober
1938. Der in den Quellen 8 9 aufscheinende Wunsch
der VU-Leute, mit dem Reichsführer SS Himmler,
dem Aussenminister Ribbentrop oder einem sei-
ner Vertreter zu sprechen, ist nur durch deutsche
Korrespondenz und hier wiederum durch eine
anonyme Vermittlungsinstanz überliefert. Dies er-
schwert, wie bereits Geiger bemerkt, eine Deutung
der massgeblichen Motive und Absichten. Proble-
matisch und riskant erscheint der Kontaktversuch
gerade durch die Beteiligung des stellvertretenden
Regierungschefs Vogt - vermutlich ohne Rückspra-
che mit Hoop - und ob der angezielten Personen
in der deutschen Reichsführung. Geiger schliesst
Wünsche auf Änderung des bisherigen, regierungs-
loyalen VU-Kurses ebensowenig aus wie das Inter-
esse, den Status quo zu festigen.9 0 Andere Momen-
te sprechen unseres Erachtens für eine ehrgeizige,
riskante, gleichwohl nicht anschlusswillige9 1 Gele-
genheitsdiplomatie der VU-Spitzen: Der Vorstoss
erscheint singulär und ohne deutsche Interessen
begründende Vorverständigung. Das gewünschte
JYeffen hat den Dokumenten nach zu schliessen
nicht stattgefunden. In einem Schreiben des Aus-
wärtigen Amtes wird schliesslich auf eine vorgän-
gige Vorsprache von Otto Schaedler, vermutlich
jene bei der VOMI in den kritischen Märztagen,
verwiesen. Anscheinend, so schliesst auch Geiger,
bestand für das Reich kein Grund, die im März
1938 festgehaltene Nichteinmischungspolitik ge-
genüber Liechtenstein zu ändern . 9 2
Die Anbindung Vogts an Schaedler stützte bei
Reichsstellen das herkömmliche Bild der Heimat-
dienst-Vertrauten. Aus anderer Quelle 9 8 ergeht,
dass Alois Vogt als Amtsträger seine Verbindungen
75) « K r i t i s c h » i m D o p p e l s i n n e d e r K o n t r o l l e u n d de r K o n d i t i o n :
1. D ie V e r b i n d l i c h k e i t e n ga l t en g e g e n ü b e r i n t e r e s s i e r t en A d r e s s a t e n :
e i d g e n ö s s i s c h e n B e h ö r d e n , d e m L a n d e s f ü r s t e n u n d de r ü b e r w i e -
g e n d s c h w e i z o r i e n t i e r t e n P a r t e i b a s i s de r V U . 2 . D ie V e r l e t z u n g des
M a c h t k o m p r o m i s s e s h ä t t e e inen j a h r e l a n g anges t r eb t en l a n d e s p o l i -
t i s c h e n E i n f l u s s u n d d a m i t k o n k r e t e A m t s p o s i t i o n e n - e t w a j ene
A l o i s Vogts - aufs S p i e l gesetzt.
76) Ge ige r : K r i s e n z e i t 2 . S. 1 4 0 - 1 4 6 .
77) W e d e r in de r A n s c h l u s s f r a g e n o c h i n de r a n t i s e m i t i s c h e n Hetze ,
n o c h i n d e r ö f f e n t l i c h e n V e r h e r r l i c h u n g des D r i t t e n Re i chs i m
K r i e g e .
78) F o r m u l i e r u n g v o n A l o i s Vogt in P A A V / 6 3 9 , Rede A l o i s Vogt ,
15 . J u l i 1 9 4 5 , S. 3.
79) S i ehe S. 8 4 - 8 6 . 9 0 - 9 2 .
80) A A , P A , B ü r o R A M , 2 1 . M ä r z 1 9 3 8 : H e y d r i c h (SD) an K o r d t ( A A ) .
81) L L A 0 . S. S a m m e l a k t . N S , D o k . Nr. 4 8 4 8 5 2 . Dass . in A A , P A
I n l a n d H g 4 0 9 , H e r b s t 1 9 4 0 , N o t i z i m A A .
82) A D A P D VI 1 4 1 . . 3 1 . März . 1939: B e r i c h t L o r e n z ( V O M I ) .
83) L L A 0 . S. S a m m e l a k t N S . D o k . Nr. 4 8 4 8 5 5 , 24 . O k t o b e r 1 9 4 0 :
S c h r e i b e n Jos t (SD): e b e n d a D o k . Nr . 4 8 4 8 7 2 f.. 14 . M a i 1 9 4 1 :
H a n d n o t i z . N e u w i r t h ( A A ) . Dass . in A A . P A In l and II g 4 0 9 .
84) A A , P A B ü r o R A M . 19 . M ä r z 1 9 3 8 : N o t i z S t a h m c r f ü r R i b b e n -
t rop , e b e n d a B e r n Po l i t . S c h r i f t s t ü c k e 1 9 2 3 - 1 9 3 8 . 1. J u l i 1 9 3 8 : Voig t
a n K ö c h e r : e b e n d a Poli t . A b t . II 1 9 3 6 - 1 9 3 9 , 24 . S e p t e m b e r 1 9 3 8 :
K r e i s l e i t e r H a m m e r b a c h e r ( F e l d k i r c h ) a n A A .
85) A k t e n P K N S D A P , s iehe A n m . 6 7 ; Ge ige r : K r i s e n z e i t 2, S. 250 .
S6) A A , P A B ü r o R A M , 2 1 . M ä r z 1938 : H e y d r i c h (SD) an K o r d t ( A A ) .
87) A A . PA Pol i t . A b t . II 1 9 3 6 - 1 9 3 9 . 2 5 . M ä r z 19.38: R i n t e l e n {AA) an
G e s a n d t s c h a f t B e r n .
88) A A . P A B ü r o R A M , 19 . M ä r z 1 9 3 8 : S t i e r ( V O M I ) a n R i b b e n t r o p :
H o o p h a b e a u f S c h a e d l e r s v ö l k i s c h - a n t i s e m i t i s c h e F o r d e r u n g e n h i n
se ine e i g e n e n « B e z i e h u n g e n z u h ö c h s t e n N a t i o n a l s o z i a l i s t e n » a n -
g e f ü h r t . « W a s Sie v o r h a b e n , k a n n i ch a u c h » so l l H o o p g e ä u s s e r t
h a b e n .
89) L L A 0 . S. S a m m e l a k t N S . Dok . Nr . 1 1 7 3 9 7 - 1 1 7 4 0 1 . Dass . A A , P A
B ü r o R A M .
90) Ge ige r : K r i s e n z e i t 2, S. 2 5 1 .
91) L a u t B e r i c h t des V O M I - L e i t e r s L o r e n z sei die « r a d i k a l e G r u p p e »
de r Volksdeutschen B e w e g u n g v o n der V U - L e i t u n g bis z u m P u t s c h -
v e r s u c h 1939 z u r ü c k g e h a l t e n w o r d e n , s iehe A D A P D VI 1 4 1 ,
3 1 . M ä r z 1 9 3 9 : B e r i c h t L o r e n z ( V O M I ) . Z e i t z e u g e n e r i n n e r n , dass
Vogt v o m A n s c h l u s s g e d a n k e n g r u n d s ä t z l i c h A b s t a n d g e n o m m e n
hatte: I n t e rv i ews m i t R u d o l f R h e i n b e r g e r , 2 3 . J a n u a r 1 9 9 7 . u n d
K l a u s H u e g e l , 1. M a i 1 9 9 7 .
92) Ge ige r : K r i s e n z e i t 2, S. 2 5 1 .
93) P A A V / 3 2 5 , 1. A p r i l 1 9 3 8 : S c h r e i b e n A l o i s Vogt an Dr. E b e r h a r t e r ,
B e r l i n .
65
ins Reich einer Neubewertung unterzog. Zu mög-
lichen deutschen Auskunftserwartungen räumte er
sich Distanz ein: In einem Schreiben einen Tag
nach Bestellung zum Vizeregierungschef bat Vogt
den Adressaten, Dr. Eberharter in Berlin, um Ent-
schuldigung «wegen der Zurückhaltung, die ich
anlässlich unseres letzten Telephongesprächs in
der Frage Liechtenstein zeigte». Erklärend führte
Vogt an, dass er Telefonüberwachung befürchte,
und er schloss vorsorglich: «Ich werde auch
zukünftig als Regierungschef-Stellvertreter mich
nicht anders einstellen können.» 9 4
DER PUTSCHVERSUCH 1939:
TESTFALL UND MUSTER FÜR DIE ZUSAMMEN-
ARBEIT HOOP - VOGT
Am 24. März 1939 unternahm die nationalsozialis-
tische VDBL den Versuch eines Anschlussputsches
in Liechtenstein, mit Unterstützung von Parteifor-
mationen in Vorarlberg und in der Hoffnung auf
Rückendeckung durch Berlin. Die Abwehr dieses
Putschversuchs erfolgte koordiniert: im Zusam-
menwirken der liechtensteinischen Regierungsmit-
glieder, in Rücksprache mit dem Eidgenössischen
Politischen Departement (EPD) in Bern und unter
Aktivierung deutscher Verbindungen durch Regie-
rungschef FIoop und seinen Stellvertreter Vogt.
Letzterer war mittlerweile ein Jahr im Amt, die
zentrale Forderung seiner Partei nach einem Ver-
hältniswahlrecht war gesetzlich umgesetzt, in die
Aussenvertretungen Liechtensteins war Vogt einge-
bunden. In welchem Masse solches galt, wird mit
Blick auf den Putschversuch und seine erfolgreiche
Abwehr deutlicher. Peter Geiger hat die bislang
gründlichste Untersuchung der Putschvorgänge
vorgelegt.95 Hinsichtlich der Rolle von Alois Vogt
lassen sich ein paar Ergänzungen anbringen.
Alois Vogt tritt vor, während und nach den
Ereignissen vom 24. März 1939 als einer der zen-
tralen Akteure auf. Als mitentscheidend für das
Misslingen des lokalen Putschversuchs erwies sich
der fehlende Rückhalt in den Führungsstellen des
Deutschen Reiches. Während der Putsch im Rollen
war, intervenierten sowohl Vogt wie FIoop in der
Vermutung, dass die Entscheidungsspitzen in Ber-
lin die lokalen Nationalsozialisten nicht decken
würden. Vogts wiederholter Hinweis gegenüber
den Vorarlberger Behörden, notfalls Bern und Ber-
lin einzuschalten, zeigte Wirkung. 9 6 Auf welche
Auskünfte konnten sich die Liechtensteiner stüt-
zen? Geiger weist darauf hin, dass sich Vogt durch
Besprechung mit Dr. Ernst Peter, dem damaligen
Leiter des Ausland-Nachrichtendienstes des SD in
Stuttgart, einer deutscherseits nicht drohenden
Aktion versicherte. Dies geschah Tage vor dem 24.
März. FIoop hatte, durch Gerüchte beunruhigt, sei-
nerseits vorgefühlt. Zu Kommissar Josef Schreieder
von der Grenzpolizei Bregenz bestand «engerer
Kontakt». Schreieder sicherte Hoop zu, allfällige
Putschbestrebungen in Vorarlberg zu verhindern. 9 7
Geiger bemerkt, dass die vorgängige Besprechung
Vogts mit dem SD-Mann Peter nur Parteifreund
Schaedler bekannt war. Während der turbulenten
Ereignisse sei dies der Grund gewesen, dass Vogt
den Putschführern und den Behörden in Vorarl-
berg «so sicher» entgegentreten konnte.9 8 Wusste
Vogt von Hoops Kontakten mit Kommissar Schrei-
eder? Wusste der Fürst um die Sonderlinien seiner
Regierungsspitze? Für eine laufende gegenseitige
Unterrichtung gibt es keine Flinweise. Aufschluss-
reich ist demgegenüber, wie trotz Kommunika-
tionslücken und Verunsicherung während des Ab-
laufs des Putschversuches Zutrauen beansprucht
und eng kooperiert wurde. Letzteres galt auch für
die politische Bereinigung der Folgen des 24. März.
Während des Putschtages lag der Fürst krank in
Zürich, Hoop weilte mit seiner Frau in Lugano.
Vogt handelte in Liechtenstein und Feldkirch
gleichsam als «Chef vom Dienst», durch Bern
gedeckt, aber durch die konkreten Ereignisse ver-
unsichert,9 9 durch die drängenden VDBL-Führer
in seinem Büro wurde er hautnah mit dem An-
schlusswunsch konfrontiert. Die Besprechung mit
dem SD-Mann Peter hatte ihn bezüglich der deut-
schen Haltung beruhigt, doch wie weit war auf ver-
mittelte Signale der Reichsführung Verlass? Ver-
bindliche Zusagen hatten die Liechtensteiner keine.
Im Oktober 1938 hatte Vogt von einem deutschen
66
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Arbeitsamtsfunktionär auf Anfrage erfahren, dass
Hitler nach dessen Erachten an «traumatischer
Neurose» leide. 1 0 0 Der Führer stehe angeblich un-
ter psychiatrischer Beobachtung.
Alle mit dem Putschversuch konfrontierten Ent-
scheidungsträger in Bern, Berlin, Vaduz und im
Gau Vorarlberg-Tirol waren an einer möglichst un-
auffälligen Abwicklung der Vorgänge vom 24. März
interessiert. Die publizistische, rechtliche und poli-
tische Durchführung dieses diplomatischen Vorsat-
zes dauerte in einer ersten Phase bis in den April
1939. Die deutschen Stellen hielten sich hierbei an
zwei liechtensteinische Gesprächspartner, an Re-
gierungschef Hoop und dessen Stellvertreter Vogt.
In einer deutschen Darstellung der Putschereig-
nisse, dem Bericht des VOMI-Leiters, SS-Obergrup-
penführer Werner Lorenz, 1 0 1 erscheint Vogt als
jener Vertrauensmann, der seinem Gesprächspart-
ner Günther Stier, dem VOMI-Referenten für Liech-
tenstein, Zusagen machte. Vogt, so der Lorenz-
Bericht, werde sich für die rechtliche Schonung der
Putschbeteiligten einsetzen. Beim Fürsten bestün-
de Amnestiemöglichkeit. «Verhandlungen durch
Mittelsleute schweben noch», bemerkte Lorenz. Zu
einer dieser Verhandlungen ist uns im Vorarlberger
Landesarchiv (VLA) ein Dokument überliefert. 1 0^ Es
handelt sich um die Aufzeichnung eines deutschen
Unterhändlers, welche dieser nach Besprechung
mit «Reg. Chef Dr. Hob» an seine vorgesetzte Stelle
in Berlin sandte. Hoop wurde ähnlich Vogt vom
deutschen Wunsch verständigt, die Strafverfahren
gegen die Putschisten niederzuschlagen und auch
die nach Vorarlberg geflüchteten Beteiligten unbe-
helligt zu lassen. Hoop erwiderte, dass ihm und
«einem grössten Teil der Regierungsmitglieder»
daran gelegen sei, dass die Angelegenheit in der
gewünschten Form bereinigt werde. Der Regie-
rungschef präzisierte, dass er dies nicht allein ver-
fügen könne, auch Regierungsrat Pfarrer Anton
Frommelt müsse zustimmen, ansonsten, so wird
nach Berlin berichtet, drohe «schwere Hetze gegen
Hob und Vogt» durch Frommelt, der «überhaupt
der Scharfmacher gegen die Nationalsozialisten»
sei. Hoop schlug dem deutschen Gesprächspartner
vor, ihn in Vaduz zu besuchen, «wo wir zusammen
mit dem Richter über die Möglichkeiten einer Nie-
derschlagung der eingeleiteten Strafverfahren re-
den könnten .» 1 0 3
Hoop und Vogt blieben mit der stillen Abwick-
lung der Putschereignisse weiterhin befasst, be-
schwichtigten bezüglich der Rechtsfolgen, verhiel-
ten andererseits die Vorarlberger Behörden zur
Unterbindung künftiger Übergriffe. 1 0 4 Der Fürst zog
mit, sprach im Mai 1939 von der Verzögerung und
schliesslich Niederschlagung des Verfahrens, für
die Untersuchungen stellte er einen entsprechend
verschwiegenen Richter in Aussicht. 1 0 5 Im Dezem-
ber 1939 wurden die Klageschrift gegen die liech-
tensteinischen Putschistenführer abgemildert und
- mit Rücksicht auf Hitlerdeutschland - der Prozess
suspendiert.1 0 6 Die Weichen hierzu waren freilich
schon bald nach dem 24. März gestellt worden.
Regierungschef Dr. Josef FIoop und sein Stell-
vertreter Dr. Alois Vogt rücken in den Quellen zum
Putschversuch 1939 näher zusammen: im Rückgriff
94) E b e n d a .
95) Ge ige r : K r i s e n z e i t 2 . S. 3 4 6 - 4 0 8 .
96) V L A P r ä s . 3 7 3 / 3 9 . 25 . M ä r z 1 9 3 9 : B e r i c h t L a n d r a t Dr. Ignaz
T s c h o f e n an G a u l e i t u n g I n n s b r u c k , u . a. ü b e r die V o r s p r ä c h e Vogts
u n d d ie d a r a u f f o l g e n d e W a r n u n g de r S A - L e i t u n g F e l d k i r c h .
97) L L A 0 . S. S a m m e l a k t N S . M a n u s k r i p t Schre iede r , 1 7. J u n i 1968 .
D e r Deu tsche J o s e f S c h r e i e d e r w a r n a c h d e m A n s c h l u s s Ö s t e r r e i c h s
bei de r G r e n z p o l i z e i (Gestapo) i n V o r a r l b e r g t ä t i g . Im A u g u s t 1 9 4 0
w u r d e er z u m S D i n d e n N i e d e r l a n d e n versetz t , w o er a n de r Ze r -
s c h l a g u n g n i e d e r l ä n d i s c h e r W i d e r s t a n d s g r u p p e n gegen die deu t sche
B e s a t z u n g m i t w i r k t e .
98) Ge ige r : K r i s e n z e i t 2 . S. 3 9 0 .
99) Vogt f u h r nach t s e in z w e i t e s M a l n a c h F e l d k i r c h , u m s i c h z u
v e r g e w i s s e r n , dass die Z u s a g e d e r V o r a r l b e r g e r B e h ö r d e n , n a t i o n a l -
s o z i a l i s t i s c h e G r e n z ü b e r g r i f f e z u v e r h i n d e r n , w i r k s a m w u r d e ; s iehe
P A A V / 5 2 3 Z e u g e n a u s s a g e A l o i s Vogt . 15 . J a n u a r 1 9 4 6 , S. 14 f.
100) P A A V / 6 0 6 . 15 . A p r i l 1947 : S c h r e i b e n Dr. M a x K n ö z i n g e r betr.
2 1 . O k t o b e r 1 9 3 8 .
101) A D A P D VI 1 4 1 . , 3 1 . M ä r z 1939: B e r i c h t L o r e n z ( V O M I ) .
102) V L A P r ä s . 3 7 3 / 3 9 undat . A u f z e i c h n u n g n a c h 2 7 . M ä r z 1 9 3 9 .
103) E b e n d a .
104) W e i t e r e A k t e n in V L A P r ä s . 3 7 3 / 3 9 .
105) A k t e n P K N S D A P T e i l II Reg . B d . 3, Dok . Nr. 0 2 2 1 4 9 f.
106) Ge ige r : K r i s e n z e i t 2, S. 4 0 4 - 4 0 8 .
67
Die reichsdeutschen
Verbindungen von Alois Vogt
1938 bis 1945
auf die Kontaktdiplomatie, der punktuellen Ko-
operationsbereitschaft gegenüber deutschen Wün-
schen und in grundsätzlichen Vorbehalten zu einer
liechtensteinischen Integration ins militarisierte
Reich.
In den Verbindungen der liechtensteinischen Re-
gierungsspitze mit deutschen Unterhändlern griff
ein pragmatisches Räsonnement, das Anpassung
und gelegentliches Entgegenkommen einschloss.
Ein unbedingter moralischer Patriotismus, wie ihn
Regierungsrat Frommelt verkörperte, hätte dieses
Vorgehen nicht zugelassen. Nach innen rechtfer-
tigte Hoop seine Verbindungen mit deutschen Per-
sönlichkeiten bereits 1938, 1 0 7 im Laufe des Krieges
verteidigten beide, Hoop und Vogt, vor dem Land-
tag das Mittel der Kontaktdiplomatie im Deutschen
Reich. 1 0 8
Die nach Berlin gerichteten Interventionen am
24. März, die Vorabsprachen und Nachverhand-
lungen mit Reichsstellen wurden von Hoop und
Vogt getragen, Frommelt erscheint in der Putsch-
bereinigung als diplomatisch nicht involvierte, aber
auch ungeeignete Person. 1 0 9
Vogt machte sich im Zuge der Putschereignisse
ein Argument gegen den Anschluss zu eigen, das
einige Monate zuvor Regierungschef Hoop vertrat.
Hoop wies auf die von Hitler geforderte Opferbe-
reitschaft und die Militanz des deutschen Staates
hin, Umstände, welche sich mit der liechtenstei-
nischen Lebensweise nicht ver t rügen. 1 1 0 Als ihn die
Putschführer persönlich konfrontierten, verdeut-
lichte ihnen Vogt diesen Gewalthintergrund. Zum
VDBL-Führer Theodor Schädler meinte Vogt, «es
werde sich in der ganzen Regierung" niemand Fin-
den, der die Verantwortung dafür übernehme, dass
Liechtensteiner in den Krieg gehen müssen .» 1 "
Die Verbindungsaufnahme und Zusammenarbeit
Alois Vogts mit deutschen Dienststellen hat sich
in zahlreichen Akten niedergeschlagen. Der grösste
Bestand stammt dabei aus dem deutschen Dienst-
verkehr selber. Er kann durch einige zeitgenössi-
sche Unterlagen aus Liechtenstein ergänzt werden.
Nach dem Krieg gaben sowohl Vogt wie ehemalige
Mitarbeiter deutscher Nachrichtendienste Auskunft
zu den inoffiziellen deutsch-liechtensteinischen Ver-
bindungen. Als zentrale Quelle darf die wichtigste
Kontaktperson Vogts, der SD-Offizier Dr. Klaus
Huegel 1 1 2, gelten. Huegel wurde nach dem Krieg
von der schweizerischen Bundespolizei einvernom-
men und auch zu seiner Verbindung mit Alois Vogt
befragt. Der Verfasser konnte Klaus Huegel auf-
grund dieser Dokumente im Jahre 1997 als Zeit-
zeugen befragen. Der vergleichende Zusammenzug
aller genannter Quellen erlaubt Präzisierungen
zu Zeiträumen, Ablauf und Zielsetzung von Vogts
Kontaktnahmen im Deutschen Reich. Sie sollen
zunächst in ihrem Umfang umrissen werden. E i -
nige Aspekte werden herausgehoben: die Umstän-
de der Kontaktaufnahme, die damit verbundenen
gegenseitigen Erwartungen und die Verankerung
solcher Sonderlinien im auswärtigen Verkehr von
Regierung und Fürst.
VOGTS DEUTSCHE VERBINDUNGEN
IM ÜBERBLICK
Als wichtigste Adressen für Vogts reichsdeutschen
Verkehr erwiesen sich während des Krieges Ab-
teilungen des Auswärtigen Amtes und zwei Äm-
ter der SS, namentlich der Auslandsnachrichten-
dienst des SD, der in den Dokumenten unter der
Kennziffer römisch VI aufscheint, und das Haupt-
amt Volksdeutsche Mittelstelle (VOMI). Beide hat-
ten ihre Befehlszentralen in Ber l in ," 8 der SD ver-
fügte über zahlreiche Dienststellen im Reichsge-
biet, deren Mitarbeiterstäbe Vorgänge im In- und
Ausland überwachten.
In VOMl-Berichten zu Liechtenstein wurde Vogt
seit 1938 als zugewandte Vertrauensperson ge-
führt. Eine erste persönliche Absprache ergab sich
68
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
bei der Bereinigung des Putschversuches vom
24. März 1939. 1 1 4 Die VOMI wurde vom SS-Führer
Werner Lorenz11"' geleitet. Der für Liechtenstein
zuständige VOMI-Mann war 1940 Dr. Günther
Stier. Im Juni 1941 wurde er vom SS-Offizier Dr.
Hans Sichelschmidt abgelöst. Mit beiden stand Vogt
im Kontakt, mit Sichelschmidt ergaben sich bezüg-
lich der VDBL mehrere Besprechungen in den Jah-
ren 1941 bis 1943.
In wiederholter Verbindung stand Alois Vogt mit
Vertretern des SD. Die wichtigste Kontaktperson
107) A A , P A Pol i t . A b t . II 1 9 3 6 - 1 9 3 9 . R e d e J o s e f H o o p , 11 . D e z e m -
be r 1 9 3 8 .
108) L L A L T P 10. O k t o b e r 1 9 4 0 u n d 2 3 . A p r i l 1 9 4 1 .
109) Dies be t r i f f t F r o m m e l t s V e r h ä l t n i s z u d e u t s c h e n D iens t s t e l l en .
M i t A l o i s Vogt w a r d e r e h e m a l i g e po l i t i s che G e g n e r s eh r w o h l i n
V e r h a n d l u n g e n e i n g e b u n d e n , e t w a 1 9 3 9 i n d e r S c h w e i z z u r E l l h o r n -
F r a g e u n d i m Fa l l e e ines I n d u s t r i e p r o j e k t s . S iehe Ge ige r : K r i s e n z e i t
2, S. 3 0 5 - 3 0 8 s o w i e L L A L T P 5. J u l i 1 9 3 9 .
110) A A , P A Pol i t . A b t . II 1 9 3 6 - 1 9 3 9 , Rede J o s e f H o o p , 1 1 . D e z e m -
b e r 1 9 3 8 , S. 7: « . . . m o r g e n s c h o n k a n n e i n K r i e g a u f l o d e r n , d e r
E u r o p a i n B r a n d s t e c k t . »
111) P A A V / 5 2 3 Z e u g e n a u s s a g e A l o i s Vogt , 15 . J a n u a r 1 9 4 6 , S. 13 .
112) K l a u s H u e g e l , geb. 3 0 . J a n u a r 1 9 1 2 i n F r e i b u r g i . B r , 1 9 3 7
P r o m o t i o n z u m Dr. j u r , ab 1 9 3 8 V e r w a l t u n g s a u s b i l d u n g i n d e r
A b t e i l u n g V I , d e m A u s l a n d s n a c h r i c h t e n d i e n s t des S D Stu t tgar t u n t e r
Dr. E r n s t Peter, seit 1. A u g u s t 1 9 4 0 i n P e r s o n a l u n i o n Le i t e r des
A u s l a n d s n a c h r i c h t e n d i e n s t e s u n d des A l e m a n n i s c h e n A r b e i t s k r e i s e s
( A A K ) , sei t M ä r z 1 9 4 3 B e a u f t r a g t e r f ü r V o l k s t u m s p o l i t i k d e r V O M I
i n L i e c h t e n s t e i n , ab 15 . A p r i l 1 9 4 3 i m R S H A , A m t V I , i n B e r l i n ,
seit 2 1 . J u n i 1943 i m R a n g e ines S S - S t u r m b a n n f ü h r e r s ( m i l i t ä r .
M a j o r s r a n g ) , a m 6. M ä r z 1 9 4 4 n a c h V e r o n a verse tz t , a m 28 . A p r i l
1945 i n eng l i s che K r i e g s g e f a n g e n s c h a f t ge ra t en , d a n a c h v o n d e n
A l l i i e r t e n u n d de r B u p o e i n v e r n o m m e n . E n d e de r V i e r z i g e r j a h r e aus
d e m E n t n a z i f i z i e r u n g s v e r f a h r e n a ls « m i n d e r b e l a s t e t » en t l a s sen . -
A n g a b e n bei H a n s R u d o l f F u h r e r : S p i o n a g e gegen d ie S c h w e i z . D ie
g e h e i m e n d e u t s c h e n N a c h r i c h t e n d i e n s t e gegen d ie S c h w e i z i m
Z w e i t e n W e l t k r i e g . F r a u e n f e l d . 1 9 8 2 , S. 119 ( K u r z b e l e g : F u h r e r :
S p i o n a g e gegen d ie S c h w e i z . ) u n d I n t e r v i e w m i t K l a u s H u e g e l ,
1. M a i 1 9 9 7 .
113) D e r S D w a r i m R S H A in tegr ie r t , w e l c h e s sei t S e p t e m b e r 1 9 3 9
die Ges t apo , K r i p o u n d die p o l i t i s c h e n Ü b e r w a c h u n g s d i e n s t e d e r SS
(SD In land , S D A u s l a n d ) u m f a s s t e . Le i t e r des R S H A w a r e n b is 1 9 4 2
R e i n h a r d H e y d r i c h ; n a c h dessen E r m o r d u n g i m J u n i 1 9 4 2 f ü r e in ige
M o n a t e H i m m l e r selbst , ab J a n u a r 1 9 4 3 E r n s t K a l t e n b r u n n e r .
114) S i ehe S. 6 7 .
115) W e r n e r L o r e n z , 1 8 9 1 - 1 9 7 4 , sei t 1 9 3 7 L e i t e r de r V O M I , B e v o l l -
m ä c h t i g t e r f ü r i n t e r n a t i o n a l e B e z i e h u n g e n i m S S - H a u p t a m t , o r g a n i -
sier te w ä h r e n d des K r i e g e s i m Rasse - u n d S i e d l u n g s h a u p t a m t U m -
s i e d l u n g e n von V o l k s d e u t s c h e n . 1 9 4 8 z u 20 J a h r e n H a f t ve ru r t e i l t .
Dr. Klaus Huegel, SD-
Offizier und wichtigster
Kontaktmann Alois Vogts.
Aufnahme um 1939
69
Schaubild zu den reichs-
deutschen Stellen, mit
denen Alois Vogt Verbin-
dung hatte, zu Personen,
die kontaktiert wurden
und zum ungefähren
Zeitraum der Kontakt-
nahmen gemäss ver-
wendeter Quellen.
(Schema in Anlehung an
Fuhrer: Spionage gegen
die Schweiz, S. 67)
OKW Oberkommando
der Wehrmacht
> Unterstellung
> Zusammenarbeit
Andere Abkürzungen
siehe Abkürzungs-
verzeichnis
Himmler
VDA
(Leitung:
Steinacher
bis 1937
Zander
ab 1941)
VDA-
Gauverband
Württemberg
Krehl
1935
VOMI
(Leitung:
Lorenz
1937-45)
Referat CH7
FL:
Stier
1939
Sichel-
schmidt
1941-43
RSHA IV
Gestapo
Stapoleit-
stelle
Innsbruck
Hilliges
1942
Greko
Bregenz
Möllmann
1941- 45
Hühner
1942- 43
Grepo
Feldkirch
Kriener
1941-45
RSHA III
SD-Inlands-
nachrichten-
dienst
Referat III B:
Hummitzsch
1943
NF-
SD LA
Stuttgart
Referat III D:
Busemann
1940/41-
1943
Deutsches
Auslands-
institut
Stuttgart
SD-
Hauptaus-
senstelle
Stuttgart
Referat VI:
Wandel
1943
70
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Ribbentrop Keitel Goebbels
RSHA VI
SD-Auslands-
nachrichten-
dienst
(Leitung:
Jost 1939-41
Schellenberg
1941-45)
Gruppe West-
europa VI B:
Steimle
1943-44
Referat CH/
FL:
Huegel
1943-44
SD LA
Stuttgart
Referat VI:
Peter
1939
Huegel
1939-43
SD LA Mün-
chen Referat
VF
Kurrek
1941
Dauser
(Kontakt nicht
gesichert)
SD LA Inns-
bruck
Nockerl
1943
AA Polit. Abt.
(Leitung:
Woermann
1938-43
Hencke
1943-45)
Erdmanns-
dorff
1941-44 ->
AA Abt.
Deutschland
(Leitung:
Luther
1940-43
Referat D III:
Rademacher
1942
Referat D
VIII:
Triska
1942
OKW Amts-
gruppe
Abwehr
Deutsche
Gesandtschaft
Bern
Deutsches
Generalkon-
sulat Zürich
SD-Haupt-
aussenstelle
Bregenz
Referat VI:
Schratte-
necker
1941 oder
1942
Wandel
1944-45
Promi
Propaganda-
amt München
Arntz
1941
Abwehrstelle
VII München
Süss
ab 1941
Alemanni-
scher
Arbeitskreis
Peter
1939
Huegel
1940-43
71
wurde Dr. Klaus Huegel, seit 1938 Mitarbeiter, ab
1. August 1940 Leiter des Auslandsnachrichten-
dienstes des SD-Leitabschnitts Stuttgart. Mit Hue-
gel baute Vogt eine vertrauliche und freundschaft-
liche Verbindung auf. 1 1 6
Huegel war Vogt noch vor dem Putschversuch
1939 als «Mitarbeiter des VDA und des Auslands-
institutes in Stuttgart» bekannt geworden." 7 Als
Nachrichtenoffizier der SS vermittelte er Vogt nach
1940 weitere Verbindungen zu deutschen Dienst-
stellen und war seinerseits an Hilfestellungen des
Regierungschef-Stellvertreters interessiert. Huegel
wurde im April 1943 Leiter des Schweiz/Liechten-
stein-Referates im Amt VI des Reichssicherheits-
hauptamts (RSHA) Berlin. Vogt wusste, dass Huegel
Angehöriger der SS beziehungsweise des SD war,
über dessen genaue Stellung habe er sich nicht ins
Bild gesetzt."8
Im Auswärtigen Amt wurde Alois Vogt lange vor
konkreten Begegnungen in Berlin registriert. Zu
den VDA-Verbindungen und zur LHD-Tätigkeit war
unter anderem vom Generalkonsulat Zürich nach
Berlin berichtet worden." 9
Mehrere Abteilungen im Auswärtigen Amt be-
fassten sich nach 1938 mit Liechtenstein-Fragen:
das Büro des Reichsaussenministers Ribbentrop,
hier hatten der Fürst und Hoop wohlgesinnte Mit-
telsmänner; die politische Abteilung, ab April 1938
bis April 1943 von Ernst Woermann geleitet, und
das Büro des Staatssekretärs, dies war 1938 bis
1943 Ernst von Weizsäcker. Woermanns Nachfol-
ger wurde im April 1943 Andor Hencke, auf Weiz-
säcker folgte im März 1943 Gustav Adolf Steen-
gracht von Moyland. Schliesslich agierte noch die
sogenannte Deutschlandabteilung, von Mai 1940
bis April 1943 Martin Luther unterstellt. Obwohl
der 1938 formulierte Kurs der vorläufigen Scho-
nung Liechtensteins während des Krieges vom
Aussenministerium beibehalten wurde, war er zwi-
schen dessen Untergliederungen nicht unumstrit-
ten. Insbesondere Luthers Abteilung verfolgte die
Umsetzung von Volkstums- und Rassenpolitik mit
Ehrgeiz. Vogt nahm seine Kriegsverbindungen zum
Auswärtigen Amt in diesem Spannungsfeld auf.
Sein wiederholter Gesprächspartner in der politi-
schen Abteilung war seit 1941 der Ministerialdiri-
gent Otto von Erdmannsdorff. Die Abteilung Lu-
thers hatte Liechtenstein-Berichte und Fühlung-
nahmen Vogts mit deutschen Stellen seit Juli 1940
registriert. 1 2 0 Zu einer persönlichen Vorsprache
kam es erst im Sommer 1942, auf Empfehlung Erd-
mannsdorffs.
Alois Vogt unterhielt aus eigener Initiative oder
infolge des regionalen Behördenverkehrs zahlrei-
che weitere Kontakte mit Stellen im Reich. Deut-
sche Dokumente belegen einen Kontaktversuch
Vogts mit dem SD München, 1 2 ' Vogt bestätigte dies
nach dem Krieg für die Jahre 1940 und 1941. 1 2 2
Der SD-Leitabschnitt München war neben den
Leitabschnitten Stuttgart und Innsbruck für den
politischen Nachrichtendienst der SS im Raum
Schweiz/Liechtenstein zuständig. 1 2 3 Nach dem
Herbst 1940 habe München die nachrichtendienst-
liche Arbeit von Stuttgart übernommen, also kurz
nachdem dort Klaus Huegel Leiter des äusseren
Geheimdienstes wurde. 1 2 4 Alois Vogt versuchte mit
Hilfe Peter Rheinbergers, der für die SD-Stellen
Stuttgart und München arbeitete, Verbindung zu
letzterer aufzunehmen. Ebenfalls über Rheinberger
konnte Vogt die Bekanntschaft von Hauptmann
Süss machen, einem Offizier der Abwehr, des mi-
litärischen Nachrichtendienstes in München. An-
ders als mit dem Münchner SD ergaben sich mit
dem Abwehrmann Süss weitere persönliche Be-
sprechungen. 1 2 5
Mit den Leitern der SD-Aussenstelle Bregenz,
Anton Schrattenecker und Gottlob Wandel, hatte
Vogt nach eigener Angabe nur wenig Verbindung.
Die Stelle Bregenz war dem SD Innsbruck un-
terstellt. Wandel wurde Vogt im Winter 1943 von
LIuegel vorgestellt, 1944 besorgte er Schlafwagen-
karten für eine Zugreise Vogts nach Berlin. Der
Vizeregierungschef besprach sich dort wegen der
Ausfuhr fürstlicher Gemälde. 1 2 6
Wichtiger als die SD-Filialen waren für Vogt
im Grenzbereich Liechtenstein/Vorarlberg die Ge-
stapo-Stellen, insbesondere die Gestapo Feldkirch
unter Karl Kriener und das Grenzpolizeikommissa-
riat Bregenz mit den Kommissaren Hohmann und
Hübner. Übliche Besprechungen erfolgten bis Ende
72
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
des Krieges im Zusammenhang mit Fragen des
Grenz- und Wirtschaftsverkehrs. Für übergeord-
nete Gestapo- und SD-Ämter waren Feldkirch und
Bregenz zudem verlängerte Auskunfts- und Ku-
rierstellen zu Vorgängen in Liechtenstein. Als Pas-
sierposten und Kurier zu Alois Vogt war Kriener
für den SD-Offizier Huegel nützlich. 1 2 7 Der Putsch-
versuch 1939 hatte gezeigt, dass untergeordnete
Gestapostellen auch für lokale Absprachen im In-
teresse Berlins eingesetzt wurden. 1 2 8 1942 sollten
Kriener und Hübner vom RSHA für die Bereinigung
einer missglückten Geheimdienstoperation einge-
spannt werden. Ähnlich 1939 erfolgte dies in enger
Zusammenarbeit mit der liechtensteinischen Re-
gierungsspitze.1 2 9 Schliesslich erforderten auch der
Gemäldetransfer und Flüchtlingsbewegungen bei
Kriegsende Rücksprachen mit der Grenz-Gestapo.
116) B A B E 4 3 2 0 (B) 1 9 8 4 / 2 9 B d . 5 7 , 5. D e z e m b e r 1 9 4 2 : K a r l
K r i e n e r (Gestapo F e l d k i r c h ) a n K o m m i s s a r H ü b n e r (Ges tapo
Bregenz ) : « D a s R S H A so l l d o c h d e n Dr. H u e g e l v o n Stu t tgar t n a c h
L i e c h t e n s t e i n s c h i c k e n . D i e s e r M a n n v e r k e h r t seit J a h r e n g a n z i n t i m
m i t Dr. Vogt u n d s i n d D u z f r e u n d e » .
117) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 6 , S. 3; I n t e r v i e w m i t
K l a u s H u e g e l , 1. M a i 1 9 9 7 .
118) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vog t 1 9 4 6 , S. 3. A u c h in de r
S c h w e i z t rat K l a u s H u e g e l v o r a l l e m als K u l t u r b e a u f t r a g t e r des
P r o m i ode r als W i r t s c h a f t s d e l e g i e r t e r auf . A l s N a c h r i c h t e n d i e n s t -
O f f i z i e r w u r d e H u e g e l e rs t E n d e A u g u s t 1942 v o n d e n s c h w e i z e r i -
s c h e n B e h ö r d e n a u f g e d e c k t (s iehe B A B E 27 1 1 2 1 5 - 1 1 2 3 0 ) .
119) S iehe S. 57 , A n m . 2 5 . D o k u m e n t e i n A A , P A P o l i t i s c h e S c h r i f t -
s t ü c k e 1 9 2 3 - 1 9 3 8 .
120) A A , P A I n l a n d II g 4 0 9 , 2 5 . J u l i . 5. u n d 12 . A u g u s t 1 9 4 0 :
Lagebe r i ch t e z u L i e c h t e n s t e i n .
121) L L A O. S. S a m m e l a k t N S , D o k . Nr. 4 8 4 8 7 1 - 7 3 . Dass . A A , P A
In l and II g 4 0 9 .
122) B A B B u p o V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 6 , S. 6 f.
123) F u h r e r : S p i o n a g e gegen d ie S c h w e i z , S. 6 3 .
124) P A A V / 5 2 4 B u p o - V e r n e h m u n g K l a u s H u e g e l 1 9 4 6 , S. 5.
125) B A B E 2 0 0 1 (E) 1 9 6 9 / 2 6 2 B d . 4 0 , 14 . A p r i l 1 9 4 7 , B e r i c h t B e n z :
W i e d e r g a b e A u s s a g e H a u p t m a n n S ü s s ; B A B B u p o - V e r n e h m u n g
A l o i s Vogt 1 9 4 6 , S. 7 - 9 .
126) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vog t 1 9 4 6 , S. 11 f.
127) In t e rv i ew m i t K l a u s H u e g e l , 1. M a i 1 9 9 7 .
128) S iehe S. 66 . K o n t a k t H o o p - K o m m i s s a r Schre i ede r .
129) S iehe S. 9 6 - 9 9 .
Ehrgeiziger Leiter der
Rassen- und Volkstumspo-
litik im Auswärtigen Amt:
Unterstaatssekretär Martin
Luther
73
Diplomatie vor den Kulis-
sen: Staatsbesuch in Berlin
März 1939, an der Spitze
mit Zylinder Fürst Franz
Josef IF, im Hintergrund
mit weissem Schal Regie-
rungschef-Stellvertreter
Dr. Alois Vogt
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
UMSTÄNDE DER VERBINDUNGSAUFNAHME:
GEHEIMDIPLOMATIE UND NACHRICHTEN-
DIENSTE
Alois Vogt war im Laufe des Jahres 1938 von Re-
gierungschef FIoop in Liechtensteins Aussenver-
tretung einbezogen worden. 1 3 0 Als Regierungschef-
Stellvertreter war Vogt auch beim offiziellen Berlin-
Besuch am 2./3. März 1939 beteiligt, bei den
Besprechungen mit Hitler, Göring und Ribbentrop
waren nur Hoop und Fürst Franz Josef II. zuge-
gen. 1 3 1 Der nationalsozialistische Putschversuch in
Liechtenstein erfolgte nur drei Wochen nach Ber-
lin. Er erwies, dass man sich bezüglich der bestim-
menden deutschen Haltung auf persönliche Ein-
drücke, Stimmungsbilder und zugetragene Hin-
weise, im besten Falle von der Führungsebene,
stützen musste. Der Berlin-Besuch vor Kriegsbe-
ginn sollte der einzige offizielle Staatsakt in den
deutsch-liechtensteinischen Beziehungen werden.
Inoffizielle Linien wurden aufrechterhalten, für Be-
schwichtigungen und Informationszugänge im Um-
feld der Reichsspitzen. Regierungschef Hoop hatte
Mittelsmänner in Gauverwaltungen, Propaganda-
ministerium und im Auswärtigen Amt. Sein Kon-
taktmann Konsul Sieger blieb bis nach Kriegsende
in Liechtenstein. Vogt baute seine Verbindungen
allmählich auf, im Amtsverkehr und im Rückgriff
auf Bekanntschaften, die er während seines LHD-
Engagements gemacht hatte. Ein wichtiger An-
knüpfungspunkt lag in Stuttgart. Das dortige deut-
sche Auslandsinstitut war eine Anlaufstelle für
Volksdeutsche Aktivitäten im Ausland. Vogt hatte
als LLID-Sekretär in Stuttgart Vertreter des VDA
kennengelernt. Solche Bekanntschaften wurden
durch den rechten VU-Flügel, Alois Vogt, VU-Präsi-
dent Otto Schaedler und nachmalige VDBL-Mitglie-
der weiterverfolgt. Den SD-Mann Klaus Huegel und
dessen damaligen Vorgesetzten Dr. Ernst Peter
lernte Vogt vor dem März 1939 als Bekannte von
Otto Schaedler und Peter Rheinberger kennen.
Auch der VOMI war Vogt zunächst durch Parteiprä-
sident Schaedler und dessen deutschvölkische For-
derungen im März 1938 empfohlen. In der Folge
sollte Vogt die Verbindung zu Fluegel selbständig
ausbauen; mit dem VOMI-Gesandten Stier verhan-
delte er anlässlich des Putschversuchs ebenfalls
alleine, in Wahrnehmung deutscher und liechten-
steinischer Interessen.1 3 2 Vogt lernte Einzelperso-
nen kennen, zu deren Stellung im verflochtenen
Behörden- und Parteiapparat Flitlerdeutschlands
gewann er nur partiellen Einblick. Huegel und
Peter traten in kulturell-publizistischer Mission auf,
als Geheimdienstoffiziere hielten sie sich sowohl in
der Schweiz wie in Liechtenstein bedeckt. 1 3 3
1939 nutzte Alois Vogt seine Verbindung zu
Klaus Huegel für die Abklärung eines liechten-
steinischen Industrievorhabens bei deutschen Fir-
men. 1 3 4 Über Vermittlung Huegels und mit Hilfe
Peter Rheinbergers konnte Vogt ab 1940 weitere
Verbindungen zu liechtensteinbezogenen Dienst-
stellen einleiten. Für 1940 und 1941 sind mehrere
Kontaktvorstösse belegt. Vogt gab nach dem
Kriegsende an, dass er über mehrere Monate
vergeblich eine Erkundung der deutschen Haltung
zur VDBL anstrebte.1 3 5 In den deutschen Quellen
erscheinen die Vorstösse problematischer, wird
als Besprechungsgegenstand die «Einverleibung
Liechtensteins ins Grossdeutsche Reich» ange-
führ t . 1 3 6 Über Vermittlung eines Bekannten sprach
Alois Vogt schliesslich im Reichsaussenministerium
bei Otto von Erdmannsdorf!' und dessen Mitar-
beiter «Geheimrat Strak» vor. Erdmannsdorf be-
stätigte den wohlwollenden Liechtenstein-Kurs und
130) S i ehe S. 6 0 - 6 3 .
131) P A A V / 5 2 3 Z e u g e n a u s s a g e A l o i s Vogt , 18 . J a n u a r 1 9 4 6 . S. 10.
132) S i ehe S. 6 6 - 6 7 .
133) V g l . A n m . 1 1 8 .
134) P A A V / 2 7 9 . 6. J u n i 1 9 3 9 : S c h r e i b e n K l a u s H u e g e l an T o r p e d o
W e r k e A . G . Es hande l t e s i c h u m die i n d u s t r i e l l e V e r w e r t u n g
des S c h r e i b i n a s c h i n e n m o d e l l s « O r i o n » des d e u t s c h e n Ingen ieu r s
Otto H a a s . Peter R h e i n b e r g e r w a r e i n M i t a r b e i t e r von H a a s . A l o i s
Vogt ve r t r a t seit d e n D r e i s s i g e r j a h r e n die von H a a s u n d R h e i n b e r g e r
g e g r ü n d e t e « O r i o n R e g i s t r e d M a n u l a c t o r y » . D ie Idee e i n e r S c h r e i b -
m a s c h i n e n p r o d u k t i o n w u r d e v o n de r l i e c h t e n s t e i n i s c h e n R e g i e r u n g
u n t e r s t ü t z t . 1 9 3 9 u n d 1 9 4 0 / 4 1 k l ä r t e A l o i s Vogt d i e s b e z ü g l i c h i m
D e u t s c h e n R e i c h ab . S iehe a u c h G e i g e r : K r i s e n z e i t 1. S. 2 7 6 .
135) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 6 , S. 13 .
136) L L A 0 . S. S a m m e l a k t N S . D o k . N r . 4 8 4 8 5 1 . Dass . A A , PA In l and
II g 4 0 9 .
75
Warnte Vogt vor Ein-
wendungen der SS:
Ministerialdirigent Otto
von Erdmannsdorff.
Aufnahme um 1936
soll vor diesbezüglichen Einwendungen der SS
gewarnt haben. 1 3 7 Er empfahl Vogt, sich dort
umzusehen. 1 3 8 Huegel nannte Vogt weitere Liech-
tenstein-Dienststellen von SS und Auswärtigem
Amt . 1 3 9 Aufgrund von Erdmannsdorffs Empfehlung
und der Einschaltung Huegels wurde Vogt zu einer
Reihe von Besprechungen im Deutschen Reich bei-
gezogen. Diese dauerten bis 1943 und galten der
VDBL, damit immer auch der jeweiligen deutschen
Haltung zu Liechtenstein.1 4" Alois Vogt konnte sich
nun, im Zuge von Folgekontakten der ersten Vor-
stösse 1940/41, einigermassen über den Umfang
Volksdeutscher Aktivitäten orientieren. Letztere
präsentierten sich aggressiver, aber auch unein-
heitlicher als zu LHD-Zeiten. Bezeichnenderweise
hatte der VDA, die zentrale Adresse für den LHD
und den rechten VU-Flügel, nach 1937 an Bedeu-
tung verloren. Dies wurde Vogt anscheinend erst
im Jahre 1941 deutlich, als er auf Hinweis Huegels
beim VDA in Berlin vorsprach. 1 4 1
Alois Vogt gab nach dem Krieg an, dass er bei
seinen Kontakten zu «ungewöhnlichen Mitteln» 1 4 2
griff, für Informationsgewinne einen Gesetzesver-
stoss in Kauf genommen hä t t e . 1 4 3 Vogt wies auch
darauf hin, dass Liechtenstein über keine eigenen
Nachrichtendienste verfügte. Die Kontaktdiplo-
matie beinhaltete, zumal für Vogt, auch dieses
Element. 1 4 4
Der Regierungschef-Stellvertreter bewegte sich
gegenüber reichsdeutschen Adressaten von Anfang
an in einer Grauzone. Das liechtensteinische «Spit-
zelgesetz» von 1937 sanktionierte politische Nach-
richtenübermittlung auf liechtensteinischem Ge-
biet, sofern sie zugunsten einer fremden Macht und
zum möglichen Schaden des Landes erfolgte. 1 4 5
Das Gesetz traf keine Unterscheidung zwischen
Informationsweitergabe im vertraulichen Behör-
denverkehr und der beauftragten Informations-
beschaffung für ausländische Interessenten. Die
meisten Stellen, an welche Vogt gelangte, waren
dienstlich mit Nachrichtenbeschaffung zu Personen
und Institutionen im In- und Ausland befasst. Be-
kannterweise galt dies für die Gestapo und Stellen
der SS; aber auch das Auswärtige Amt, namentlich
die Deutschlandabteilung unter Luther, war in den
76
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Nachrichtenverkehr einbezogen. Für den laufenden
Kontakt mit dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA)
war in Luthers Abteilung eine eigene Gruppe D II
zuständig. Bereits 1938 wurden Lageberichte aus
dem Raum Schweiz/Liechtenstein auch unter mi-
litärischen Aspekten beurteilt. 1 4 6 Vogt unternahm
seine Kontaktvorstösse gerade in der Erwartung
vertraulicher Informationszugänge und funktionie-
render Meldungslinien. Seine Nachfrage beim SD-
Mann Peter im Vorfeld des Märzputsches 1939
machte erst unter dieser Voraussetzung Sinn. 1 4 7
Auch die deutsche Gegenseite suchte, Auskünfte
zu Vorgängen in Liechtenstein oder der Schweiz
einzuholen. Die Gestapostellen in Vorarlberg pro-
tokollierten Dienstbesprechungen mit dem Regie-
rungschef-Stellvertreter routinemässig und melde-
ten sie unter einer internen Verwaltungsnummer
weiter. 1 4 8 Vogt scheint seinerseits Besprechungs-
137) P A A V / 6 3 9 Rede A l o i s Vogt , 15 . J u l i 1 9 4 5 , S. 8.
138) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 6 , S. 14 f.
139) E b e n d a , S. 15 .
140) S i ehe S. 8 7 - 9 0 .
141) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vog t 1 9 4 6 , S. 12 , 15 .
142) B A B E 4 3 2 0 (B) 1 9 9 0 / 1 3 3 B d . 52 , 8. J u l i 1 9 4 6 : Vog t a n Dr .
A l f r e d Z e h n d e r ( E P D ) .
143) B A B E 2 0 0 1 (E) 1 9 6 9 / 2 6 2 B d . 4 0 , 2 . D e z e m b e r 1 9 4 6 : Vogt
a n B u n d e s r a t Pe t i t p i e r r e ( E P D ) ; B A B E 4 3 2 0 (B) 1 9 9 0 / 1 3 3 B d . 52 ,
6. A p r i l 1 9 4 6 : A k t e n n o t i z In spek to r B e n z ( E J P D / B u p o ) .
144) B A B E 4 3 2 0 (B) 1 9 9 0 / 1 3 3 B d . 52 , 8. J u l i 1 9 4 6 : Vogt a n
Dr. A l f r e d Z e h n d e r ( E P D ) .
145) L G B 1 . 3 / 1 9 3 7 : Gese tz b e t r e f f e n d d e n S c h u t z d e r S i c h e r h e i t des
L a n d e s u n d s e i n e r B e w o h n e r .
146) Pe te r Ge ige r : L i e c h t e n s t e i n i m J a h r e 1 9 3 8 . In: J B L 88 (1990)
S. 16.
147) S iehe S. 66 .
148) A l o i s Vogt w u r d e d iese « D e c k n u m m e r » n a c h 1945 a ls B e l e g f ü r
p r o d e u t s c h e n N a c h r i c h t e n d i e n s t v o r g e h a l t e n . Vogt m e i n t e , da s s d ie
V e r w e n d u n g s e i n e r B e s p r e c h u n g e n S a c h e d e r Ges t apo war , G e h e i m -
w i s s e n h a b e er n i c h t p r e i s g e g e b e n ( L L A L T P 6. S e p t e m b e r 1 9 4 6
« E r h e b u n g s b e r i c h t ü b e r A l o i s V o g t » , S. 2). A n d e r e Q u e l l e n b e s a g e n ,
dass G e s t a p o - C h e f K r i e n e r o f t m a l s B e l a n g l o s e s w e i t e r g a b ( L L A R F
2 3 0 / 4 7 8 , 2 3 . O k t o b e r 1 9 4 5 : A u s s a g e v o n G e s t a p o - M i t a r b e i t e r
E m m e r i c h D ü n s e r ; I n t e r v i e w m i t K l a u s H u e g e l , 1. M a i 1997) u n d
dass « D e c k n u m m e r n » b e i w i e d e r h o l t e r M e l d u n g e i n e r a ls A u s -
kunf t ss te l le ge l t enden P e r s o n i n t e r n e i n g e f ü h r t w u r d e n (Aussage
E m m e r i c h D ü n s e r ) .
Vogts Verbindungsmann
für den Aufbau der liech-
tensteinischen Firma Hilti
Maschinenbau: SD-Offizier
Karl Wilhelm Busemann.
Aufnahme um 1942
77
Gegen Ende des Krieges:
Alois Vogt (links) und der
fürstliche Kabinetts-
sekretär Dr. Rupert Ritter
(rechts) auf Schloss Vaduz
mit Auskunftsangeboten verbunden zu haben. 1 4 9
Hierbei nahm er die nachrichtendienstliche Ver-
wendbarkeit seiner Vorstösse - und damit einen
Gesetzesbruch - in Kauf beziehungsweise setzte sie
nach Kriegsbeginn zur Herstellung vertraulicher
Sonderlinien e in . 1 5 0 Für deren Aufrechterhaltung
blieben gegenseitige Nutzenerwägungen bestim-
mend. Vogts Entgegenkommen bemass sich hierbei
an Gesprächspartnern und Besprechungsgegen-
ständen. Gegenüber den SD- und Gestapo-Beamten
in Innsbruck verhielt sich Vogt nach eigener Anga-
be reserviert, die Stellen im Gau Tirol schienen ihm
in den Putschversuch 1939 involviert, 1 5 1 laut einem
VOMI-Dokument vom Sommer 1942 war der SD
Innsbruck Verbindungsstelle für die V D B L . 1 3 2 An-
dererseits liess sich Vogt auf einen Informations-
austausch mit dem Abwehr-Hauptmann Süss ein.
Liechtenstein-Meldungen, die ihm dieser vorlegte,
habe er berichtigt oder in ihrer Wichtigkeit herun-
tergespielt.1 5 3 Vogt legitimierte Grenzausweise für
Vertreter des SD Stuttgart, namentlich für Huegel
und den Wirtschaftsreferenten Busemann. Der SD-
Angehörige Karl Wilhelm Busemann wurde 1940
Vogts deutscher Verbindungsmann für den Aufbau
der liechtensteinischen Firma Hilti Maschinenbau.
In der VDBL-Frage stützte Huegel die Interventio-
nen Vogts. Andererseits wurde der Vizeregierung-
schef von Huegel und dessen Vorgesetztem im
RSHA, Eugen Steimle 1 5 4, um Mithilfe bei nachrich-
tendienstlichen Aktivitäten angegangen.1 5 5
ABSTIMMUNG VON VOGTS VERBINDUNGEN
MIT REGIERUNGSCHEF HOOP UND FÜRST
FRANZ JOSEF IL?
Regierungschef-Stellvertreter Alois Vogt baute sei-
ne deutschen Verbindungen im Laufe des Jahres
1939 und verstärkt ab 1940 aus. Dies erfolgte
nachdem es zwischen ihm und Regierungschef
Hoop zu einer engeren Zusammenarbeit gegenüber
deutschen Stellen gekommen war. 1 5 ( 1 Während der
Putschbereinigung 1939 stimmten Vogt und Hoop
ihr Vorgehen mit deutschen Ansprechpartnern von
Gestapo und VOMI ab. In die stille Abwicklung der
78
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Putschfolgen war auch der Landesfürst einbezo-
gen.'1'7 Vogt dürfte seine weiteren Kontakte im
Reich mit Zutrauen des Regierungschefs und des
Landesfürsten verfolgt haben. Für eine Missbilli-
gung durch Hoop oder Fürst Franz Josef II. finden
sich keine Hinweise. Vogts deutschvölkischer Par-
teihintergrund war Hoop bekannt, Besprechungen
und Reisen des Vizeregierungschefs im Deutschen
Reich wurden auch in Liechtenstein misstrauisch
oder mit Anschlusserwartungen verfolgt. Aller-
dings beanspruchten FIoop und Vogt ihre jewei-
ligen Kontaktleute «für sich». Vogts SD-Vertrauter
Huegel erinnert, dass Vogt ihn nie mit Regierungs-
chef Hoop zusammengebracht habe, sein «dezen-
tes» Auftreten in Liechtenstein sei sehr wohl
argwöhnisch vermerkt worden. Andererseits un-
terhielt Alois Vogt zu Hoops Mittelsmännern, etwa
Konsul Sieger, keine vertrauliche Beziehung.
Während Hoop und Vogt ihre freundliche Linie
gegenüber Deutschland im Landtag gemeinsam
vertraten, scheint sich Hoop nach 1941 aus den
Kontakten im Reichsgebiet zurückzuziehen. Vogt
blieb für Besprechungen verfügbar, nach Einschät-
zung Huegels wollte Regierungschef Hoop nicht
mehr persönlich im Reich hervortreten, anderer-
seits habe er Reisen nach Berlin aufgrund der
Kriegseinwirkungen gescheut.1 5 8 Die Reichshaupt-
stadt wurde von den Alliierten stark bombardiert.
Alois Vogt habe von einem Luftangriff 1944, bei
Eintreffen seines Zuges nach Berlin, erzähl t . 1 5 9
Vogt setzte sich auch im Auftrag des Fürsten
mehrmals mit Berlin in Verbindung, 1 6 0 zuletzt Ende
1944, um die Ausfuhr fürstlicher Kunstschätze zu
erwirken. 1 6 1 Zu einer grösseren Verstimmung die
auswärtigen Beziehungen betreffend kam es Ende
1944. Unmittelbarer Anlass war die eigenmächtige
Errichtung einer liechtensteinischen Gesandtschaft
in Bern durch Franz Josef II. Hierbei stellten sich
die Gesamtregierung und der Landtag im Dezem-
ber 1944 gegen den Monarchen. Die Regierung leg-
te ihre Argumente schriftlich nieder, sie befürchtete
Komplikationen nicht zuletzt hinsichtlich «guter
Beziehungen zu Deutschland». 1 6 2 Die Argumenta-
tion der Regierung deckte und bekräftigte nur fünf
Monate vor Kriegsende die bisherige Linie gegen-
über dem Reich. Ein diplomatischer Verkehr mit
Berlin über Gesandtschaften oder das E P D 1 6 3 wäre
«als Mangel auch insofern zu werten, als der viel-
fach gepflogene Verkehr ein gewisses Vertrauens-
verhältnis geschaffen hat, das zur Erledigung der
mannigfachen schwebenden Fragen sehr beigetra-
gen ha t .» 1 6 4
149) S iehe S. 8 0 - 8 1 .
150) S iehe S. 8 2 - 8 3 .
151) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 6 , S. 24 .
1 52) A A , P A In l and II g 4 0 9 . 26 . A u g u s t 1 9 4 2 : S i c h e l s c h m i d t (VOMI)
an A A .
153) L a u t B u p o - B e r i c h t habe S ü s s ü b e r d e n A b w e h r - C h e f A d m i r a l
W i l h e l m C a n a r i s V e r b i n d u n g m i t W i d e r s t a n d s k r e i s e n gehabt : B A B E
2001 (E) 1 9 6 9 / 2 6 2 B d . 4 0 . 14 . A p r i l 1 9 4 7 : B u p o - B e r i c h t Inspek to r
B e n z .
154) E u g e n S t e i m l c , geb. 1 9 0 9 . von S e p t e m b e r 1936 bis F e b r u a r
1943 Le i t e r des S D Stut tgar t , d a n a c h C h e f de r W e s t e u r o p a - G r u p p e
des A u s l a n d s - S D i m R S H A , ab J u n i 1 9 4 4 i m R a n g e ines S S - S t a n d -
a r t e n f ü h r e r s ( m i l i t ä r . R a n g e ines Obers t ) . S t e i m l e u n t e r b r a c h se ine
z i v i l e S D - T ä t i g k e i t z w e i m a l f ü r K o m m a n d o ü b e r n a h m e n bei den
b e r ü c h t i g t e n S D - E i n s a t z g r u p p e n i m Os ten . E r w u r d e 1 9 4 8 n a c h d e m
E i n s a t z g r u p p e n - P r o z e s s z u m T o d verur te i l t . Das U r t e i l w u r d e i n e ine
2 0 - j ä h r i g e H a f t s t r a f e u m g e w a n d e l t .
155) S i ehe S. 9 9 .
156) S i ehe S. 6 7 - 6 8 .
157) S iehe A n m . 1 0 5 .
158) P A A V / 5 2 4 B u p o - V e r n e h m u n g K l a u s H u e g e l 1 9 4 6 , S. 6.
159) M i t t e i l u n g R u d o l f R h e i n b e r g e r , 1. S e p t e m b e r 1 9 9 7 .
160) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 6 , S. 12 , 22 : A l o i s Vogt
e r i nne r t e s i c h , v o m F ü r s t e n w i e d e r h o l t z u r A b k l ä r u n g d e u t s c h e r
L i e c h t e n s t e i n - E i n s c h ä t z u n g e n a u f g e f o r d e r t w o r d e n z u se in . Im
N o v e m b e r 1 9 4 2 k o r r i g i e r t e er e ine E i n s c h ä t z u n g des F ü r s t e n als
« d e u t s c h f e i n d l i c h » g e g e n ü b e r E r d m a n n s d o r f ! ' v o m A u s w ä r t i g e n
A m t . F ü r e inen i n o f f i z i e l l e n F ü r s t e n b e s u c h i m J u l i 1 9 4 3 k l ä r t e Vogt
eben fa l l s bei E r d m a n n s d o r f ab ( L L A O . S. S a m m e l a k t N S , D o k .
Nr. 1 9 2 0 3 7 / 3 8 , 1 9 2 0 4 1 . Dass . i n A A , P A B ü r o des S t a a t s s e k r e t ä r s . )
161) S i ehe G u s t a v W i l h e l m : D e r W e g de r L i e c h t e n s t e i n - G a l e r i e v o n
W i e n n a c h V a d u z . In: J B L 9 5 (1998) S.23 f.: Pe te r Ge ige r : « A m
R a n d e de r B r a n d u n g » . K r i e g s e n d e 1945 in L i e c h t e n s t e i n . In: J B L 95
(1998) S. 57 .
162) L E A R F 2 2 7 / 2 2 8 . 7. D e z e m b e r 1944 : R e g i e r u n g s m e m o r a n d u m
z u r F r a g e de r G e s a n d t s c h a f t s e i n r i c h t u n g .
163) A u c h g e g e n ü b e r de r S c h w e i z beh ie l t m a n s i c h d e n von H o o p
seit 1 9 3 8 a n v i s i e r t e n F r e i r a u m o f f e n . V g l . S. 6 2 .
164) L L A R F 2 2 7 / 2 2 8 .
79
Kontaktnahmen Alois Vogts
zur Zeit der deutschen Siege
1940 und 1941
Eine Dokumenten-Gruppe aus dem deutschen
Dienstverkehr belegt mehrere Versuche des liech-
tensteinischen Vizeregierungschefs Alois Vogt, mit
deutschen Stellen in Verbindung zu treten. 1 6 3 Die
Quellen datieren aus dem Zeitraum September
1940 bis Mai 1941. 1 6 6 Sie können in einen chrono-
logischen und inhaltlichen Zusammenhang gestellt
werden.
Unter Beizug anderer zeitgenössischer Quellen
und der Aussagen Vogts vor der schweizerischen
Bundespolizei (Bupo) lassen sich bestimmende
Momente der damaligen Geheimdiplomatie benen-
nen. Sie erfolgte, als sich die VDBL verstärkt zu
Wort meldete und die liechtensteinische Regierung
Wirtschaftsverhandlungen in Bern führte; der für
die Achsenmächte günstige Kriegsverlauf in Eu-
ropa ist als Hintergrund merkbar. In einem der
deutschen Dokumente werden die genannten drei
Umstände angesprochen. Es handelt sich um das
Gedächtnisprotokoll einer Unterredung Vogts mit
einem EPD-Vertreter in Bern. Das Protokoll gelang-
te an Heinz Jost, den damaligen Leiter des Amtes
VI, dem SD-Auslandsnachrichtendienst im RSLIA
Berlin. Von diesem Nachrichtenvorgang ausgehend
können Vogts reichsdeutsche Verbindungen in den
Jahren 1940/41 näher befragt werden.
ALOIS VOGTS KONTAKTVORSTÖSSE IN DEN
DEUTSCHEN QUELLEN
In den deutschen Berichten über die «Fühlungnah-
me» des Regierungschef-Stellvertreters Alois Vogt
taucht der SD als erste Anlaufstelle auf. Im Sep-
tember 1940 meldet der Chef des RSHA, Rein-
hard Heydrich, dass Vogt «erneut» an eine seiner
Dienststellen, den SD, herangetreten sei . 1 6 7 Heyd-
richs Mitteilung erfolgte im Zusammenhang mit
einer vorgängig bekannt gewordenen «Auffassung
liechtensteinischer Kreise über einen Zollanschluss
Liechtensteins an das Reich». 1 6 8 Kurz darauf wird
über einen Beauftragten Vogts, den Liechtensteiner
SD-Verbindungsmann Peter Rheinberger, gemel-
det, dass dieser für Verhandlungen «zwecks
Einverleibung Liechtensteins ins Grossdeutsche
Reich» zur Verfügung stehe. 1 6 9 Rheinberger halte
sich in Lindau auf. In Lindau befanden sich Aus-
senstellen der deutschen Geheimdienste von Wehr-
macht und SS in München. Auch die dritte Benach-
richtigung, vom 24. Oktober 1940, wurde vom SD
unternommen. Der Leiter des SD-Auslandsnach-
richtendienstes Heinz Jost übermittelte das Proto-
koll einer Besprechung Vogts in Bern an die
Deutschlandabteilung im Aussenministerium. 1 7 0
Weitere Kontaktnahmen mit dem SD sind erst ein
halbes Jahr später dokumentiert. Sie zielten expli-
zit auf den Leitabschnitt München und sollen
gleichfalls «die Frage der Eingliederung Liechten-
steins in das Grossdeutsche Reich», aber auch
«Schweizer Fragen» berührt haben. 1 7 1
Untergeordnete Dienstebenen des SD waren die
ersten Adressaten für die Vorstösse Vogts. Die
Besprechungsangebote zielten aber nach Inhalt
und Korrespondenzweg weiter. Sämtliche Schrei-
ben aus 1940 und 1941 wurden dem Auswärtigen
Amt zur Stellungnahme zugeleitet. Die dortige
Deutschlandabteilung unter Martin Luther bearbei-
tete sie und entschied in Rücksprache mit Aussen-
minister Ribbentrop. Vogt beziehungsweise sein
Beauftragter Rheinberger gingen den SD an, um
für ihre Anfragen mit «zuständigen» oder «mass-
gebenden» Stellen Kontakt zu nehmen. Letztere,
namentlich die Deutschlandabteilung, machten
sich erst gelegentlich der gemeldeten Vorstösse ein
Bild ihres Gegenübers: Vogt könne «jetzt als na-
tionalsoz. (bedingt) Teil der Regierung angespro-
chen werden» , 1 7 2 zur eigenen Orientierung wird
angefügt: «Dr. Hoop ist Chef der Regierung (libe-
ral)». 1 7 8 Vogt selbst hatte bis dahin kaum Verbin-
dung mit dem Auswärtigen Amt unterhalten, Rib-
bentrop sah er erstmals anlässlich des Staatsbe-
suchs 1939 im Rahmen eines Diners. 1 7 4
In den Vorstössen der Jahre 1940/41 empfahl
sich Vogt durch Einschätzungen der SD-Stellen.
Alois Vogt - laut Notiz im Aussenministerium «Chef
der Liechtensteinischen Regierung» - stehe «seit
etwa einem Jahr [d. h. seit Frühjahr 1940, d. Verf.]
mit dem SD in Verbindung, «dem er Nachrichten
l iefere». 1 7 3 Im Schreiben des SD-Führers Jost vom
Oktober 1940 gilt Vogt als verdeckter VDBL-Mann,
80
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
dem man von deutscher Seite «Anweisungen» ge-
ben könne . 1 7 6 Gerade daran schien das Reichsaus-
senministerium nicht interessiert, es reagierte auf
die gemeldeten Vorstösse mit Zurückhaltung: Peter
Rheinberger solle beruhigt werden, «Jeder Putsch
könne sich sehr zu Ungunsten Liechtensteins aus-
wirken.» 1 7 7 Zu den Fragen der liechtensteinisch-
schweizerischen Beziehungen nehme man «Auf
Anweisung des H. RAM», also Ribbentrops, «vor-
läufig», das heisst im Oktober 1940, keine Stel-
lung 1 7 8 und auch im Mai 1941 solle «in der
Sache selbst» - Anschlussfrage und Verhältnis zur
Schweiz - «kurz getreten werden .» 1 7 9 Diese Posi-
tion solle Vogt beziehungsweise Rheinberger wie-
derum vom SD vermittelt werden, an einer wei-
teren Nachrichtenverbindung mit Alois Vogt und
einer diesbezüglichen Unterrichtung seiner Abtei-
lungen war das Auswärtige Amt interessiert.'8 0
ZWIESPÄLTIGER EINDRUCK DER K O N T A K T -
DIPLOMATIE DER J A H R E 1940 UND 1941
Alois Vogt äusserte nach dem Krieg gegenüber
der schweizerischen Bupo, dass er seit Herbst
1940 über mehrere Monate versuchte, «heraus-
zubringen, wo die liechtensteinische Opposition,
die Volksdeutsche Bewegung, in Deutschland ihre
Stützpunkte habe», um der VDBL dort entgegen-
zutreten.1 8 1 Als Adressaten seiner Vorstösse gab
Vogt unter anderem den SD in München an. Hier-
bei habe ihm Peter Rheinberger geholfen. 1 8 2 Über
Vermittlung eines Bekannten in Berlin sei schliess-
lich ein Treffen mit Erdmannsdorff im Auswärtigen
Amt zustande gekommen. 1 8 8
Vogts Angaben bestätigen den Zeitraum und
decken sich teilweise mit den Inhalten der deut-
schen Korrespondenz. Beide Quellen bieten den-
noch ein lückenhaftes und zwiespältiges Bild der
damaligen Kontaktdipiomatie. Möglicherweise ging
es Vogt darum, die Haltung der «massgebenden»
Stelle zur VDBL, der liechtensteinischen Anschluss-
bewegung, einzuholen. Seine nächstliegenden Kon-
takte bestanden 1940 nicht zum Auswärtigen Amt,
sondern zur VOMI und zu Vertretern des SD Stutt-
gart. 1 8 4 Auf Anfrage hatte bereits der SD-Mann Pe-
ter seinen Bekannten Alois Vogt zur Liechtenstein-
Einstellung der Reichsführung orientiert. Dies er-
folgte im Vorfeld des VDBL-Putschversuchs vom
24. März 1939. 1 8 S Allerdings erscheint Vogt in den
späteren deutschen Quellen exponierter, ja selbst,
der VDBL-Linie folgend, zu Eingliederungsver-
handlungen bereit. Sowohl die Erinnerung Vogts
als auch die deutsche Wahrnehmung bleiben selek-
tiv. Vogt erwähnte 1946 keine Besprechungsange-
bote zu Eingliederungs- oder «Schweizer Fragen».
165) L L A 0 . S. S a m m e l a k t N S , D o k . Nr. 4 8 4 8 5 0 - 4 8 4 8 7 4 . Dass . A A ,
P A In land II g 4 0 9 . Z u r B e w e r t u n g i n de r L i t e r a t u r s iehe K r e b s :
Z w i s c h e n F ü r s t u n d F ü h r e r , S. 559 L
166) Dok . Nr. 4 8 4 8 7 4 e n t h ä l t e ine H a n d n o t i z « b e t r e f f e n d L i e c h t e n -
s t e i n » v o m 2 5 . S e p t e m b e r 1 9 4 1 , ohne dass e in Z u s a m m e n h a n g mit
d e n v o r h e r g e h e n d e n V o r g ä n g e n d e u t l i c h w ü r d e .
167) L L A 0 . S. S a m m e l a k t N S , D o k . Nr. 4 8 4 8 5 0 , 12 . S e p t e m b e r
1 9 4 0 : H e y d r i c h (SD) a n R i b b e n t r o p ( A A ) .
168) E b e n d a .
169) L L A 0 . S. S a m m e l a k t N S . D o k . Nr. 4 8 4 8 5 1 , unda t . A k t e n n o t i z
i m A m t VI F (SD).
170) L L A 0 . S. S a m m e l a k t N S . D o k . Nr. 4 8 4 8 5 5 - 4 8 4 8 6 5 . 24 . Okto -
b e r 1 9 4 0 : Jos t (SD) an L u t h e r ( A A ) .
1 71) L L A 0 . S. S a m m e l a k t N S . D o k . Nr. 4 8 4 8 7 0 - 4 8 4 8 7 4 . M a i 1941 .
172) E b e n d a , D o k . Nr . 4 8 4 8 5 2 , unda t . H a n d n o t i z i m A A , A b t e i l u n g
D e u t s c h l a n d .
173) E b e n d a .
174) P A A V / 5 2 3 Z e u g e n a u s s a g e A l o i s Vogt , 18 . J a n u a r 1 9 4 6 . S. 10.
175) L L A 0 . S. S a m m e l a k t N S . Dok . Nr . 4 8 4 8 7 2 f., 14. M a i 1 9 4 1 :
H a n d n o t i z N e u w i r t h ( A A ) . T a t s ä c h l i c h hatte A l o i s Vogt m i t M i t -
a r b e i t e r n des S D Stut tgar t s c h o n 1939 B e k a n n t s c h a f t g e m a c h t .
176) E b e n d a D o k . N r . 4 8 4 8 5 5 . 24 . O k t o b e r 1940 .
177) E b e n d a D o k . Nr . 4 8 4 8 5 3 . 9. O k t o b e r 1 9 4 0 .
178) E b e n d a D o k . Nr. 4 8 4 8 5 5 . 2 7 . O k t o b e r 1 9 4 0 : H a n d n o t i z L u t h e r
( A A ) .
179) E b e n d a D o k . Nr . 4 8 4 8 7 0 . 14. M a i 1 9 4 1 : H a n d n o t i z K i e s e r ( A A ) .
180) E b e n d a Dok . Nr. 4 8 4 8 6 6 , 3 1 . O k t o b e r 1 9 4 0 : P ico t ( A A ) .
181) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 6 . S. 12 f.
182) E b e n d a , S. 6 f.
183) E b e n d a , S. 13 .
184) S i ehe S. 75 .
185) S i ehe S. 66 .
81
Umgekehrt pflegten die SD-Meldungen eine opti-
mistische, durch VOMI-Berichte 1938 und 1939
eingeführte Auffassung der liechtensteinischen In-
nenpolitik. Der Vizeregierungschef galt demnach
als «Vertrauensmann», «Aussenposten» 1 8 6 und ver-
deckter Anschlusspolitiker, die VU als Haus der
Umsturzbetreiber. Vogts Regierungsloyalität wäre
in dieser Sicht nur vorgetäuscht gewesen. 1 8 7
Lassen sich die je einseitigen Perspektiven der
Beteiligten verbinden?
Alois Vogt kommt in den Besprechungsange-
boten nur vermittelt zu Wort, auch die deutschen
Interessen bleiben an wichtiger Stelle im Dunkeln.
Zu einer Verständigung des zuständigen SD-Offi-
ziers Bunsen im RSHA vermerkt der Korrespon-
dent im Auswärtigen Amt, Picot: «Wir hätten an
einem Putsch [in Liechtenstein, d. Verf.] nicht das
geringste Interesse. Über die politischen Hinter-
gründe habe ich Herrn Bunsen nicht orientiert .» 1 8 8
DAS GEDÄCHTNISPROTOKOLL
VOM 14. OKTOBER 1940 ALS NACHRICHTEN-
VORGANG
Zu Motiven und Absichten von Vogts Kontakt-
versuchen geben die Quellen keine direkten Auf-
schlüsse, allerdings können einige Begleitumstände
und Hintergründe präzisiert werden. Als Schlüssel-
text hierzu erweist sich das vom SD behändigte
«Gedächtnisprotokoll» einer Besprechung Vogts im
EPD in Bern vom 14. Oktober 1940. 1 8 9
Alois Vogt besprach sich in Bern mit Legations-
rat Dr. Peter Anton Feldscher zu einer von Liech-
tenstein gewünschten Gleichbehandlung liechten-
steinischer Arbeitsuchender in der Schweiz. Wenig
später, am 24. Oktober, verfügte der SD über eine
«zusammengefasste Darstellung der über eine
Stunde dauernden Besprechung». 1 9 0 Laut Heinz
Jost, dem zuständigen SD-Führer, habe ein Verbin-
dungsmann das Protokoll beschaffen können. Ohne
auf dessen Inhalt näher einzugehen, wertet Jost
den Nachrichtenvorgang als Gelegenheit, Vogt
deutscherseits zu instruieren. Über die näheren
Umstände der Protokollverfassung und -beschaf-
fung schweigen sich die Quellen aus, der von Jost
erwähnte «VM» des SD bleibt anonym. Was spricht
dafür, dass die Protokollzuspielung im Interesse
und mit Wissen Alois Vogts erfolgte? 1 9 1
Die Protokollbeschaffung für Jost fügt sich in die
Reihe der deutscherseits registrierten Kontakt-
versuche Alois Vogts ein. In dem im September von
Heydrich an Ribbentrop gemeldeten Herantreten
Vogts an eine SD-Dienststelle firmiert die Nachrich-
tengruppe Westeuropa des SD als meldungs-
zuständig. 1 9 2 Die Vorsprache Peter Rheinbergers
und Josts Schreiben wurden ebenfalls in der West-
europa-Gruppe behandelt. Auch im Protokolltext
finden sich Entsprechungen zu den früheren und
späteren SD-Berichten. Der EPD-Vertreter drängte
gemäss Protokoll auf eine klare Loyalitätserklärung
Liechtensteins gegenüber der Schweiz. Laut einer
früheren SD-Meldung habe Vogts Beauftragter
Rheinberger von einem bevorstehenden schweize-
rischen Ultimatum zu einem «wirtschaftlichen und
politischen Anschluss» gesprochen. 1 9 8 Im Protokoll
hegt Feldscher Zweifel an Liechtensteins aussen-
politischer Zuverlässigkeit. Er führt Umsturzge-
rüchte und Anschlussforderungen ins Treffen. Von
Anschlussangeboten berichten auch die SD-Mel-
dungen, Alois Vogt erscheint hier als deren inoffi-
zieller Unterhändler; seiner Gesinnung nach ein
VDBL-Mann.
Welche Personen und welche Wahrnehmungen
bestimmten Vogts Meldungslinie zum SD?
Zu den SD-Führern in Berlin, dem damaligen
Leiter der Westeuropa-Gruppe Bielstein und des-
sen Chef Heinz Jost, dürfte Vogt keine persönliche
Verbindung gehabt haben. Allerdings kannte er
Klaus Huegel. Zur Zeit der Kontaktvorstösse führte
Huegel die schweizerisch-liechtensteinische Ge-
heimdienstarbeit im SD Stuttgart und war Bielstein
und Jost in Berlin unterstellt. Klaus Huegel teilte
mit, dass er sich an den Nachrichtenvorgang im
Oktober 1940 nicht erinnern könne , 1 9 4 er hätte sich
damals in Stuttgart einarbeiten müssen. Diese An-
gaben sind mit Vorsicht aufzunehmen. Seiner
Beauftragung nach war Huegel für die Auskund-
schaftung und Verbindungsaufnahme im Raum
Schweiz/Liechtenstein eingesetzt. Mit Vertretern
82
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
der Erneuerungsbewegung und nationalkonser-
vativen Kreisen in der Schweiz führte er im Sep-
tember und Oktober 1940 Besprechungen.19"' Im
Herbst 1940, so Huegel, habe ihm Alois Vogt eine
Grenzkarte nach Liechtenstein legitimiert.1 9''
Der Zeitraum von Vogts Verbindungsaufnahmen
kreuzte sich mit einer heissen Phase der deutschen
Richtungseinstellung gegenüber der Schweiz und
Liechtenstein. Heerführung und Nachrichtendien-
ste schmiedeten Anschlusspläne. ' 9 7 Diese Disposi-
tionen kannte Vogt nicht, als er sich den Deutschen
näherte. SD-Ausland-Chef Jost befürwortete noch
im April 1941 eine militärische Lösung. Anpas-
sungssignale aus dem Raum Schweiz/Liechtenstein
wurden auf seiner Dienststelle registriert und ge-
legentlich überzeichnet . ' 9 8
Huegel gehörte zu jenen, die für eine deutsche
Vormachtstellung arbeiteten und die dafür bei
deutschnational geprägten Politikern wie Alois Vogt
Entgegenkommen sahen. 1 9 9 Andererseits zählte
sich Huegel einer Gruppe im SD zugehörig, die auf-
grund genauer Stimmungskenntnis und schliess-
lich aus Eigeninteressse von einem militärischen
Anschluss der kleinen Neutralen abriet. 2 0 0 Vogt
fand in Huegel einen Verbindungsmann, dem er
Vorbehalte zu völkischen Aufbau- und Anschluss-
plänen vermitteln konnte. 2 0 1 In den Kontaktauf-
nahmen von 1940 und 1941 schienen solche
Vorbehalte keine Rolle zu spielen. Von Seiten
des Regierungschef-Stellvertreters werden Unter-
redungsangebote gemeldet, die Protokollzuspie-
lung an den SD relativiert die im Protokolltext ver-
folgte Anbindung an den schweizerischen Wirt-
schaftsraum. War gerade dieser abschwächende
Eindruck von Vogt erwünscht? Zwei Umstände
sprechen dafür: das analoge Auftreten gegenüber
dem deutschen Reich und den schweizerischen
Stellen sowie Vogts Reaktion auf die 1940 wieder-
erstarkte VDBL. In Bern diente Vogt die Befürch-
tung einer Deutschorientierung Liechtensteins als
Druckmittel für wirtschaftliche Zugeständnisse. Im
Deutschen Reich wiederum wurden die Kontakt-
vorstösse zur Anschlussfrage mit Hinweisen auf
schweizerische Forderungen an Liechtenstein ver-
knüpft.
Die Stellung Alois Vogts zur VDBL und ihren An-
schlussbestrebungen in den Jahren 1940 und 1941
ist im folgenden näher zu beleuchten.
186) L L A 0 . S. S a m m e l a k t N S , D o k . Nr . 4 8 4 8 5 2 , unda t . H a n d n o t i z
i m A A .
187) D i e s e r A u f f a s s u n g w a r S D - F ü h r e r H e i n z Jost : «Dr . Vogt ha t s ieh
b i s h e r a b s i c h t l i c h n i c h t z u r Volksdeutschen B e w e g u n g bekann t , e r
gen iess t d a d u r c h das V e r t r a u e n des F ü r s t e n v o n L i e c h t e n s t e i n u n d
a u c h d e r S c h w e i z e r S t e l l e n . » Zi t . n a c h L L A 0 . S. S a m m e l a k t N S .
D o k . Nr . 4 8 4 8 5 5 . 24 . O k t o b e r 1 9 4 0 .
188) L L A 0 . S. S a m m e l a k t N S . Dok . Nr . 4 8 4 8 5 3 . 9. O k t o b e r 1 9 4 0 :
P ico t ( A A ) .
189) S iehe A n n . 170 .
190) E b e n d a .
191) G e r h a r d K r e b s ver t r i t t d ie A n s i c h t , dass A l o i s Vogt d ie SS m i t
d e m P r o t o k o l l be l i e fe r t e , ohne d e n V o r g a n g selbst n ä h e r z u un te r -
s u c h e n . S iehe K r e b s : Z w i s c h e n F ü r s t u n d F ü h r e r . S. 5 5 9 .
192) Das e n t s p r e c h e n d e A k t e n k e n n z e i c h e n ist «VI F » - e ines der
W e s t e u r o p a - R e f e r a t e gal t d e m R a u m S c h w e i z / L i e c h t e n s t e i n , L e i t e r
w a r 1 9 4 0 u n d 1941 de r S S - O f f i z i e r B u n s e n . A b S o m m e r 1941
firmierte die gesamte W e s t e u r o p a - G r u p p e un te r «VI B» .
193) L L A 0 . S. S a m m e l a k t N S . D o k . Nr . 4 8 4 8 5 1 , s iehe A n m . 169 .
194) I n t e r v i e w m i t K l a u s H u e g e l . 1. M a i 1 9 9 7 .
195) A m 2 3 . S e p t e m b e r 1 9 4 0 in W ü l l l i n g e n (CH). s iehe H u e g e l -
B o r i c h t B A B F. 27 1 1 2 2 3 . Im O k t o b e r 1 9 4 0 f a n d e ine B e s p r e c h u n g
m i t V e r t r e t e r n des A A u n d R S H A s o w i e s c h w e i z e r i s c h e n F r o n t i s l e n -
f ü h r e r n i n M ü n c h e n statt, s iehe W e r n e r R i n g s : S c h w e i z i m K r i e g
1 9 3 3 - 1 9 4 5 , 8. e rw. A u f l . Z ü r i c h 1 9 9 0 . S. 2 9 8 - 3 0 2 . K u r z b e l e g : R i n g s :
S c h w e i z i m K r i e g .
196) P A A V / 5 2 4 B u p o - V e r n e h m u n g K l a u s H u e g e l 1946 . S. 5 f.
197) B A B E 4 3 2 0 (B) 1 9 6 8 / 1 9 5 B d . 79 . E i n v e r n a h m e K l a u s H u e g e l
16 . N o v e m b e r 1 9 4 5 ; F u h r e r : S p i o n a g e gegen die S c h w e i z , S. 6 5 - 6 8 .
198) S i ehe F u h r e r : S p i o n a g e gegen d ie S c h w e i z , S. 6 6 , 68 .
199) I n t e r v i e w m i t K l a u s H u e g e l . 1. M a i 1 9 9 7 .
200) F u h r e r : S p i o n a g e gegen die S c h w e i z . S. 68 ; I n t e r v i e w m i t K l a u s
H u e g e l . 1. M a i 1 9 9 7 : E i n e n B e r i c h t , w o n a c h mi t e i n e r n e n n e n s -
w e r t e n n a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h e n B e w e g u n g i n der S c h w e i z n i ch t z u
r e c h n e n se i . sand te H u e g e l i m H e r b s t 1 9 4 0 n a c h B e r l i n .
201) D ies gal t e t w a f ü r Vogts A b l e h n u n g e i n e r p r o d e u t s c h e n
P r e s s e a g e n t u r i n L i e c h t e n s t e i n 1 9 3 9 ode r de r von R e i c h s s t e l l e n
e r w ü n s c h t e n F u s i o n v o n V U u n d V D B L . A l o i s Vogt habe H u e g e l
a u s s e r d e m e r k l ä r t , dass er m i t de r SS ke ine G e s i n n u n g s g e m e i n -
scha f t habe ; s iehe P A A V / 5 2 4 B u p o - V e r n e h m u n g K l a u s H u e g e l 1 9 4 6 ,
S. 5: B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 7 . S. 4.
83
DAS GEDÄCHTNISPROTOKOLL
V O M 14. OKTOBER 1940 ALS POLITISCHES
VERHANDLUNGSDOKUMENT:
RÜCKSICHTEN AUF DAS DEUTSCHE REICH
UND DIE VDBL
Die Besprechung zwischen Alois Vogt und Peter
Anton Feldscher vom 14. Oktober 1940 betraf un-
mittelbar «eine bessere fremdenpolizeiliche Be-
handlung der Liechtensteiner in der Schweiz und
vor allem die Zusicherung freier Arbeitsannah-
me .» 2 0 2 Bei den Verhandlungen zur Öffnung des
schweizerischen Arbeitsmarktes waren Regie-
rungschef Hoop und sein Stellvertreter Alois Vogt
federführend. 2 0 3 Die Besprechung mit Feldscher
war auf Vogts Ersuchen hin erfolgt. Eine verstärkte
Integration Liechtensteins in den schweizerischen
Wirtschaftsraum hatte politisches Gewicht. Die
Koalitionsregierung von 1938 war auch unter
dem Vorzeichen einer Beibehaltung der schwei-
zerischen Zollunion angetreten. Im Herbst 1940
sahen beide Seiten in einer wirtschaftlichen Annä-
herung den Hebel, deutschorientierten Anschluss-
forderungen in Liechtenstein die Grundlage zu ent-
ziehen. Feldscher argumentierte, indem er diesen
Zusammenhang umkehrte. Er konfrontierte Vogt
wiederholt mit Zweifeln an der liechtensteinischen
Vertragsloyalität, Feldscher führte jüngste natio-
nalsozialistische Umtriebe und «Anschlusspropa-
ganda» in Liechtenstein an. 2 0 4 In der Schweiz wäre,
so der EPD-Vertreter, einiges Misstrauen zu besei-
tigen. Als politische Vorleistung für einen Vertrags-
abschluss insistierte Feldscher gegenüber Vogt auf
einer «baldigen und klaren Loyalitätserklärung»
von Regierung und Bevölkerung Liechtensteins.2 0 S
Vogt taktierte, seinerseits auf schweizerisches Ent-
gegenkommen bedacht. Feldschers Besorgnissen
entgegnete er beschwichtigend, die liechtensteini-
sche Regierung sehe «keinerlei Anlass zu irgend-
welcher Nervosität». 2 0 6 Indirekt nährte er gleich-
wohl Feldschers Bedenken: «Es wird» - so Vogt -
«wesentlich von der Haltung [der Schweiz, d. Verf.l
abhängen, wie sich die Dinge entwickeln». 2 0 7 In der
Verhandlungsführung setzte Alois Vogt am rich-
tigen Punkt an. Dies wird aus einer Notiz Feld-
schers einen Monat nach dem Treffen mit Vogt 2 0 8
und aus einem späteren Bundesratsprotokoll 2 0 9
deutlich. Alle Departementsvertreter, insbesondere
das Eidgenössische Militärdepartement (EMD),
empfahlen ein Eingehen auf die liechtensteinischen
Wünsche, um «alles zu vermeiden, was Liechten-
stein in die Arme Deutschlands treiben könnte .» 2 1 0
In der Besprechung vom 14. Oktober argwöhnte
Feldscher, dass «hinter der Deutsch-Völkischen Be-
wegung» in Liechtenstein «deutsche Propaganda»
stehe. Möglicherweise erfolge eine Stützung der
VDBL nicht durch die Behörden, sondern durch
mächtige Kreise im Reich. 2 1 1 Vogt beschwichtigte,
sprach vom korrekten Verhalten der deutschen
Behörden. Auch auf die von Feldscher angespro-
chenen Kreise in Deutschland werde er «sein per-
sönliches Augenmerk» lenken. 2 1 2
Im Besprechungsprotokoll beliessen es Vogt und
Feldscher in der Frage einer reichsdeutschen
Rückendeckung der VDBL bei Andeutungen. An-
dere Quellen der Jahre 1940 und 1941 weisen dar-
auf hin, dass Liechtensteins Regierung, namentlich
Alois Vogt, sehr wohl «Anlass zur Nervosität»
hatten.
Zur Zeit der deutschen Eroberungen setzte die
Regierung Hoop deutliche Anpassungssignale. 2 1 3
Feldscher meinte später, Regierungschef Hoop und
sein Stellvertreter Vogt hätten in den Jahren 1940
und 1941 «wohl mit dem deutschen Einmarsch in
das Fürstentum und die Schweiz gerechnet und
versucht, sich mit den deutschen Behörden mög-
lichst gut zu stellen.» 2 1 4 Hoop bezog in die aussen-
politische Rücksichtnahme auch allfällige Mass-
nahmen gegen die VDBL ein. Am 10. Oktober 1940
gab er im Landtag zu bedenken: «... wenn in Liech-
tenstein eine Bewegung unterdrückt würde, die ein
enges Verhältnis zu Deutschland herbeizuführen
beabsichtigt, so könnte das katastrophale Folgen
haben .» 2 1 5
Alois Vogt war von der VDBL persönlich heraus-
gefordert, dieser Hintergrund der Besprechung
vom 14. Oktober 1940 erhellt aus zeitgenössischen
VDBL-Dokumenten. 2 1 6
Nach ihrem Rückschlag infolge des gescheiter-
ten Märzputsches 1939 wurde die VDBL im Juni
84
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE . . .»/JÜRGEN SCHREMSER
1940 reorganisiert. In ihrer Führung standen junge
Akademiker, ihre Anhängerschaft wuchs, die na-
tionalsozialistische Propaganda konnte deutsche
Kriegserfolge ausbeuten. Basis der VDBL-Politik
blieb nach Auffassung von Landesleiter Dr. Alfons
Goop «das rassisch und blutmässig, von Natur aus
deutsche Völklein Liechtensteins.» 2 1 7 Der Wirt-
schaftsanschluss an das Deutsche Reich war in
den VDBL-Statuten festgehalten, das Endziel des
Totalanschlusses behielt man im Auge. 2 1 8 Landes-
leiter Goop versuchte wiederholt Alois Vogt, den er
als «entschieden deutschfreundlich» einschätzte, 2 1 9
für die Sache der VDBL zu gewinnen. Diesbezüg-
liche Gespräche mit Vogt führte Goop im Juli und
August 1940. Die Versuche, über den Partei- und
Regierungsmann Vogt zu einer völkischen Allianz
von VU und VDBL zu kommen, dauerten letztlich
bis ins Jahr 1943. Im Sommer 1940 machte Alois
Vogt auf VDBL-Leiter Goop einen unentschlossenen
und reservierten Eindruck. Von der «Notwendig-
keit einer Erneuerung des Volkstumsgedankens»
habe er Vogt nicht überzeugen können . 2 2 0
Interessant ist Vogts Entgegnung zur Forderung
eines Wirtschaftsanschlusses an das Deutsche
Reich. Hier ging der Regierungschef-Stellvertreter
auf die VDBL-Position ein und bezeichnete zwei
Voraussetzungen. Die beste Lösung war gemäss
Alois Vogt «wenn sich der Fürst aufraffen könnte,
die Sache [den Wirtschaftsanschluss, d. Verf.] zu
bereinigen.» Zweitens wies Vogt auf eigene Son-
dierungen hin, die er in Berlin vornehmen wolle.
Abzuklären wäre, «ob das Deutsche Reich auf
einen Wirtschaftsvertrag mit Liechtenstein eingeht
oder nicht .» 2 2 1 Die Stellungnahme des Regierungs-
chef-Stellvertreters erfolgte am 20. August 1940.
Nur wenig später, am 12. September 1940, meldete
der RSHA-Chef Heydrich einen erneuten Vorstoss
Alois Vogts. Dieser galt, wie erwähnt, nicht dem
SD selber, sondern über ihn einer «zuständigen
Reichsstelle in Berlin». Heydrich nahm im An-
schluss daran Bezug auf «die Auffassung liechten-
steinischer Kreise über einen Zollanschluss Liech-
tensteins an das Reich». War damit die VDBL ge-
meint? Sie war die organisierte Verfechterin des
Anschlussgedankens und seit 1938 reichsdeut-
schen Stellen bekannt. Goop sandte seine Berichte
zur Anschlussfrage und zur Haltung Alois Vogts
ebenfalls ins Reich. 2 2 2
Kreuzten sich im September 1940 die Wege
Vogts und der VDBL?
In der Wahrnehmung der deutschen Stellen
beim SD gingen sie konform, Vogt erschien als Pro-
motor des von Landesleiter Goop erstrebten An-
202) Zi ta t F e l d s c h e r i n LLA 0 . S. S a m m e l a k t N S , Dok . Nr. 4 8 4 8 5 5 -
4 8 4 8 6 5 , S. 2. Im f o l g e n d e n mit S e i t e n a n g a b e n z i t i e r t als «LLA
G e d ä c h t n i s p r o t o k o l l 1 9 4 0 » .
203) V e r h a n d l u n g s d o k u m e n t e f i n d e n s i c h i n L L A R F 1 9 9 / 4 1 6 . E i n
a u f d e n Z o l l v e r t r a g g e s t ü t z t e s f r e m d e n p o l i z e i l i c h e s A b k o m m e n trat
a m 1. F e b r u a r 1 9 4 1 i n K r a f t .
204) L L A G e d ä c h t n i s p r o t o k o l l 1940 . S. 3 f.
205) E b e n d a . S. 6.
206) E b e n d a . S . S .
207) E b e n d a .
208) B A B E 2001 (F.) 1 9 6 9 / 2 6 2 B d . 8. 19. N o v e m b e r 1940: N o t i z
Fe ldsche r .
209) B A B E 2001 (E) 1 9 6 9 / 2 6 2 B d . 1. 14. J a n u a r 1 9 4 1 : S i t z i m g s -
p r o t o k o l l des s c h w e i z e r i s c h e n B u n d e s r a t e s .
210) E b e n d a .
211) L L A G e d ä c h t n i s p r o t o k o l l 1 9 4 0 . S. 7.
212) E b e n d a .
213) Z u B e i s p i e l e n h i e r f ü r s iehe K r e b s : Z w i s c h e n F ü r s t u n d F ü h r e r .
S. 5 5 9 : a u f s c h l u s s r e i c h s i n d a u c h d ie L a n d t a g s v o t e n von Dr. Otto
S c h a e d l e r (VU) u n d R e g i e r u n g s c h e f H o o p ( F B P ) , w i e d e r g e g e b e n in
L L A L T P 10. O k t o b e r 1 9 4 0 .
214) B A B E 2001 (E) 1 9 6 9 / 2 6 2 B d . 4 0 , 16 . S e p t e m b e r 1 9 4 7 :
F e l d s c h e r a n E P D .
215) L L A L T P 10. O k t o b e r 1940 : V o t u m R e g i e r u n g s c h e f H o o p .
216) L L A 0 . S. S a m m e l a k t N S . B e r i c h t e u n d K o r r e s p o n d e n z von
V D B L - L a n d e s l e i t e r Dr. A l f o n s G o o p . S c h u l u n g s b l ä t t e r de r V D B L
1 9 4 0 u n d 1 9 4 1 .
217) L L A 0 . S. S a m m e l a k t N S . v e r m u t l i c h A p r i l 1 9 4 1 : G o o p ( V D B L )
a n Dr. H e r m a n n W a l s e r ( V D B L ) .
218) E b e n d a . 23 . A u g u s t 1 9 4 0 : G o o p ( V D B L ) an Dr. Puls , B e r l i n :
2 5 . F e b r u a r 1 9 4 1 : B e r i c h t V D B L - L a n d e s l e i t e r G o o p .
219) Ebenc ia , 25 . F e b r u a r 1 9 4 1 : B e r i c h t V D B L - L a n d e s l e i t e r G o o p .
220) E b e n d a , 2 7 . J u l i 1 9 4 0 : G o o p ( V D B L ) an K r i e n e r (Gestapo) .
221) E b e n d a , 2 3 . A u g u s t 1 9 4 0 : G o o p ( V D B L ) a n Dr . Puls , B e r l i n .
222) L L A R F 2 3 2 / 4 8 4 S t r a f s a c h e Dr. A l f o n s G o o p ; d i e s b e z ü g l i c h e r
B e r i c h t i m LVolksb la t t v o m 2 6 . O k t o b e r 1946 .
85
Schlusses. Diesem Eindruck steht Vogts Auftreten
in Liechtenstein entgegen. Tatsächlich ging Vogt
auf die von der VDBL angebotene Mitarbeit nicht
ein, weder 1939 noch in den folgenden Jahren des
Krieges. Über den Inhalt seiner Privatunterredung
mit Goop vom Juli 1940 orientierte Alois Vogt
Regierungschef Hoop. 2 2 3 Goop versuchte seiner-
seits, den VU-Politiker im Reich als massgeblichen
Vertreter einer «nationalen Richtung» in Frage zu
stellen. 2 2 4 Dies könnte Vogt erfahren haben, etwa
durch Klaus Huegel, der sowohl Landesleiter Goop
wie auch dessen Kontaktperson von der Feldkir-
cher Gestapo, Karl Kriener, kannte.
Währenddem in Liechtenstein behördliche Ab-
wehrmassnahmen gegen die VDBL getroffen wur-
den, schien Vogt im Reich selbst als Anschluss-
befürworter zu gelten. Dafür gab es Gründe: Bei
seinen Kontaktversuchen bewegte sich Alois Vogt
in jenem deutschvölkischen Bekanntenkreis, den er
einst selbst, als LHD-Politiker, mitinitiierte. Sein
Verbindungsmann Peter Rheinberger war 1938
kurzzeitig VDBL-Mitglied gewesen, die Stuttgarter
SD-Leute Peter und Fluegel hatten ihrerseits per-
sönliche Bekanntschaft mit VU- und VDBL-Ver-
tretern. Vogt gab nach Kriegsende an, dass er zur
Herstellung von Verbindungen im Reich sein
deutschvölkisches Image einsetzte. Bei der VOMI
und der Deutschlandabteilung, die ihm von Klaus
Huegel als VDBL-Stützen bezeichnet wurden, habe
er sich als «Nationalsozialist» einführen lassen. 2 2 5
Alois Vogts spätere Angaben bieten einen Er-
klärungsansatz für den Eindruck, den seine ge-
wagten «Fühlungnahmen» beim SD hinterliessen:
Vogt als reichsdeutscher Vertrauensmann. Indem
Vogt diese Rolle bestätigte, so das innenpolitisch
motivierte Kalkül, überbot er die VDBL, die sich
als einzige Trägerin des völkischen Gedankens
sah und den VU-Politiker im Reich zu denunzieren
suchte. 2 2 6 Vogt schickte sich 1940 an, der erste
Ansprechpartner zu einer liechtensteinbezogenen
Volkstumsarbeit im Reich zu werden. Und er tat
dies mit dem grösstmöglichen «Spieleinsatz», zu
welchem deutsche Reaktionen erwartbar waren:
die staatliche Zukunft Liechtensteins. Die vom
Auswärtigen Amt an die SD-Stellen übermittelten
Rückmeldungen bestätigten eine nichtinterventio-
nistische Haltung zu Liechtenstein. Dies war eine
der Auskünfte, um derentwillen Vogt nach eigenen
Angaben seine gewagten Vorstösse unternahm.
Das Desinteresse der Reichsführung an Putsch
oder politischer Neuorientierung im Fürstentum
stärkte Vogts Position gegenüber der VDBL. Zu-
gleich bewahrte es den taktierenden Landespoliti-
ker davor, sich für oder gegen die Eigenstaatlich-
keit aussprechen zu müssen.
86
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Im Vorfeld und Nachgang
zur Besprechung von Friedrichs-
hafen am 13. und 14. März
1943
Im Kriegsjahr 1943 besprachen sich im Kurhotel
Friedrichshafen am Bodensee führende Vertreter
der VDBL und der VU. Dies war nach Teilnehmern
und Ziel der Besprechung ein erstaunlicher Vor-
gang. Mitglieder einer liechtensteinischen Regie-
rungspartei und die Führer der nationalsozialisti-
schen Opposition verhandelten unter der Regie der
VOMI, auf deutschem Boden, zu Fragen einer mög-
lichen Zusammenarbeit in Liechtenstein.
Das Verhältnis der zwei Gruppierungen war seit
der Bildung der VDBL im März 1938 keine bloss
innenpolitische Angelegenheit. Die VDBL verfolgte
den Anschluss an das Reich und erhoffte sich dort
Stützung bei massgeblichen Stellen. Auch der VU-
Mann und Regierungschef-Stellvertreter Alois Vogt
suchte seit 1940 Verbindung mit Instanzen im
Deutschen Reich, die für den Fortbestand eines
souveränen Liechtenstein bestimmend waren. In-
folge von Vorsprachen in Berlin und durch Vermitt-
lung seines SD-Verbindungsmannes Klaus Huegel
kam Vogt schliesslich mit Zuständigen für die na-
tionalsozialistische Volkstumspolitik in Kontakt. Bei
ihnen bestand Interesse an einer deutschvölki-
schen Zukunft Liechtensteins, über Zeitplan und
Ausgestaltung waren sich die jeweiligen Funktio-
näre im Aussenministerium und den SS-Ämtern
uneinig. Die Besprechung von Friedrichshafen
markierte diesbezüglich einen Abschluss und eine
Weichenstellung. Laut deutscher Quelle war die
«Führung der Volkstumspolitik gegenüber Liech-
tenstein»- 2 7 im Vorfeld von Friedrichshafen endlich
geklärt. Eine von VOMI und VDBL erwünschte
Zusammenarbeit mit der VU konnte aber nur in
Vorschlägen umrissen werden. Als entscheidende
Konsequenz der Besprechung sollte sich die Be-
trauung Klaus Huegels mit der weiteren Umset-
zung jener Kooperationsvorschläge erweisen. Da-
mit scheint, entgegen ihren früheren Ambitionen,
der Rückzug der VOMI und anderer SS-Stellen aus
einer eigenen «Liechtenstein-Politik» im März 1943
eingeleitet.
Deutsche Quellen datieren die Vorgeschichte der
Friedrichshafner Besprechung ins Frühjahr 1942.
Zeitgenössische Dokumente aus Liechtenstein und
die Aussagen Alois Vogts gegenüber schweize-
rischen Vernehmungsbehörden gestatten eine er-
weiterte Chronik des Treffens.
KONTAKTVORSTÖSSE ALOIS VOGTS
IN DEN J A H R E N 1940 UND 1941:
VORSPRACHEN IM AUSWÄRTIGEN A M T UND
REI DER VOLKSDEUTSCHEN M I T T E L S T E L L E
(VOMI)
Alois Vogt gab nach dem Krieg an, dass Beunru-
higung über die Stellung des Reichs zur Anschluss-
bewegung VDBL das entscheidende Motiv seiner
gewagten Kontaktversuche ab Spätsommer 1940
war. Aus liechtensteinischen Quellen ergeht, dass
die Landesleitung der VDBL Vogt für einen gemein-
samen deutschorientierten Kurs zu gewinnen such-
te. Das Vorhaben einer völkischen Allianz mit der
VU, den die Friedrichshafner Besprechung reichs-
deutsch abdecken sollte, wurde seit 1940 von der
VDBL verfolgt. Vogt ging darauf nicht ein, 2 2 S im
Reich suchte er nach eigener Aussage Auskunft
über die Einstellung zur VDBL und, gemäss deut-
schen Quellen, Verbindung mit zuständigen Stellen
in der Anschlussfrage.™ Im überlieferten Dienst-
verkehr reagierten die Deutschlandabteilung und
durch sie der Reichsaussenminister mit Zurück-
haltung auf Eingliederungswünsche, die in SD-Mel-
dungen Alois Vogt zugeschrieben wurden. Vogt
223) E b e n d a .
224) L L A 0 . S. S a m m e l a k t N S , 27 . J u l i 1 9 4 0 : G o o p ( V D B L ) a n
K r i e n e r (Gestapo) .
225) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 7 . S. 4.
226) L L A 0 . S. S a m m e l a k t N S . 2 7 . J u l i 1 9 4 0 : G o o p ( V D B L ) an
K r i e n e r (Gestapo) .
227) A A , P A I n l a n d II g 4 0 9 , 19. M ä r z 1 9 4 3 : B e s p r e c h u n g s p r o t o k o l l
S i c h e l s c h m i d t ( V O M I ) .
22S) L L A 0 . S. S a m m e l a k t N S . 25 . F e b r u a r 1 9 4 1 : B e r i c h t V D B L -
L a n d e s l e i t e r G o o p .
229) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 6 . S. 12 f.; L L A 0 . S.
S a m m e l a k t N S , D o k . Nr . 4 8 4 8 5 0 - 4 8 4 8 7 4 . Dass . A A . PA In land II g
4 0 9 .
87
selbst erklärte, dass nach mehrmonatigen vergeb-
lichen Kontaktversuchen ein erstes Treffen mit Otto
von Erdmannsdorf! im Auswärtigen Amt zustande
kam. 2 3 0 In einem zweiten Treffen, vermutlich eben-
falls 1941, 2 3 1 vermittelte Erdmannsdorff eine wohl-
wollende Haltung der Reichsführung zu Liechten-
steins Fortbestand in der schweizerischen Nach-
barschaft. Allerdings habe der deutsche Offizial
Vogts Vermutungen bezüglich einer auswärtigen
Unterstützung der VDBL bestätigt. Erdmannsdorff
verwies auf «SS-Kreise», welche seine Amtsstelle
in der Liechtenstein-Frage kritisierten und empfahl
Vogt, dort zu intervenieren. 2 3 2
Alois Vogt wurden schliesslich von seinem SD-
Vertrauten Klaus Huegel die fraglichen SS-Stellen
bezeichnet. Vogt erinnerte sich an eine erste Vor-
sprache bei der VOMI, namentlich dem für die
Schweiz und Liechtenstein zuständigen SS-Führer
Dr. Hans Sichelschmidt, im Jahre 1941. 2 3 3 Die Aus-
sagen Alois Vogts sind auch hier die einzige vorlie-
gende Quelle; nach Zeitpunkt und Inhalt erschei-
nen sie plausibel. Vogt wies den VOMl-Vertreter
daraufhin, dass gerade aus Sicht seiner Stelle eine
Stützung der VDBL ungünstig sei. In der grundsätz-
lich deutschfreundlich eingestellten Bevölkerung
Liechtensteins wirkten die «nach deutschem Mus-
ter angewandten Methoden» der VDBL eher ab-
schreckend. 2 3 4
Gemäss Erinnerung Vogts habe die VOMI aber
unverdrossen an einer Verbindung zur Anschluss-
bewegung festgehalten. Tatsächlich scheint die
VOMI ihre Wunschvorstellung eines nationalso-
zialistischen Liechtenstein erst im Zuge der Frie-
drichshafner Besprechung korrigiert zu haben.
KOOPERATIONSPLÄNE VU - VDBL:
DEUTSCHE DIVERGENZEN UND ALOIS VOGTS
LAVIEREN
Gemäss zweier unabhängiger Quellen wurde ein
politisches Zusammengehen von VU und VDBL
mindestens seit Frühjahr 1942 gezielter verfolgt. 2 3 5
Der deutsche Dienstverkehr belegt, dass hierbei im
Laufe des Sommers und im Herbst 1942 wenigs-
tens dreimal unterschiedliche Positionen einge-
nommen wurden:
Im August 1942 berichtete der VOMI-Zuständige
Sichelschmidt von «Verhandlungen über die Zu-
sammenlegung der Volkdeutschen Bewegung und
der Vaterländischen Union in Liechtenstein». Diese
seien auf gutem Wege, «aussenpolitische Schwie-
rigkeiten» gebe es nicht, der SD Innsbruck solle die
Vorverhandlungen mit VU und VDBL soweit
führen, dass deren Abschluss unter Leitung der
VOMI «auf jeden Fall ein positives Resultat» er-
gebe. 2 3 6 In einer dem VOMI-Schreiben beigefügten
Handnotiz schränkt ein Volkstumsreferent im Aus-
wärtigen Amt die Zuversicht Sichelschmidts ein:
Helmut Triska von der Deutschlandabteilung (Refe-
rat D VIII) hielt eine Besprechung im Amt fest, bei
der Alois Vogt, Dr. Sichelschmidt von der VOMI, der
SD-Mann Klaus Huegel und Legationsrat Franz
Rademacher, ebenfalls von der Deutschlandabtei-
lung, anwesend waren. In diesem Treffen vom 8.
September 1942, also kurz nach der optimistischen
VOMI-Meldung, wurde ein «Zusammenschluss»
der VU mit der VDBL abgelehnt. Allerdings solle
ein «gegenseitig abgestimmtes Vorgehen bei aku-
ten Anlässen» in einer weiteren Besprechung ab-
geklärt werden. 2 3 7 Zwei Monate später habe sich
Vogt entgegen der Abmachung in Berlin mit einem
Vertreter des RSHA in Liechtenstein auf «ein Ab-
kommen über eine Vereinbarung» zwischen der
VU und der VDBL eingelassen. Dies berichtete Ra-
demacher von der Deutschlandabteilung, bei dem
Alois Vogt persönlich vorsprach. 2 3 8 Der liechten-
steinische Regierungschef-Stellvertreter bestätigte
die Meldung und rechtfertigte sich gegenüber
Rademacher: «Vogt gab zu verstehen, dass er den
Mann [vom RSHA, d. Verf.] habe loswerden wollen.
Er habe die Vereinbarung aber so abgefasst, dass
sie ihn praktisch nicht b inde .» 2 3 9
Das deutsche Besprechungsprotokoll des Fried-
richshafner Treffens bestätigt das angesprochene
Lavieren Vogts in völkischen Fragen. Auch dort
erweist sich der liechtensteinische Regierungs-
mann als rhetorisch entgegenkommend, in der
Konkretisierung einer VDBL-Zusammenarbeit aber
praktisch unverbindlich. 2 4 0
88
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Vogts schwankendem Verhalten korrespondier-
ten Uneinheitlichkeit und Undurchsichtigkeit der
reichsdeutschen Volkstumspolitik. Allein in der
VDBL-Frage waren mindestens zwei Abteilungen
des Auswärtigen Amtes, davon drei Referate der
Deutschlandabteilung, involviert. Seitens der SS
scheint die VOMI Flauptakteurin zu sein, im Dienst-
verkehr tauchen weitere Ämter auf: das RSHA mit
den Gliederungen SD Ausland, SD Inland und
Gestapo sowie das SS-Hauptamt. Dort war die
Gruppe D I der «Germanischen Leitstelle» für den
Raum Schweiz/Liechtenstein, insbesondere für ille-
gal ins Reich Ausreisende und Waffen-SS-Freiwil-
lige, zuständig. 2 4 1 Vogt war durch Huegel über ein
Segment dieses Beteiligtenkreises informiert. 2 4 2
Konkret gelangte er 1942 an mehrere Instanzen,
unter denen die Zuständigkeit für Volkstumsfragen
fortlaufend ausgehandelt wurde; die jeweils höchs-
ten Amtsspitzen blieben im Hintergrund. 2 4 3
Der Umstand, dass sich Dienststellen aufgrund
unklarer Führungsstellung in der «grossgerma-
nischen Arbei t» 2 4 4 konkurrenzierten, wird durch
Vogts Aussagen 1946 bestätigt. 2 4-' Seine Verneh-
mung durch die Bupo ergab sowohl chronologisch
wie inhaltlich Entsprechungen mit den deutschen
Akten, ohne dass die Schweizer Behörden diese
Vogt gegenüber vorgebracht hätten:
Laut den deutschen Quellen rückten die beteilig-
ten Stellen in Berlin zwischen dem 26. August und
dem 8. September 1942 von der Einschätzung der
VOMI ab, wonach die Fusion von VDBL und VU
aussenpolitisch unbedenklich und abschlussreif er-
schien. 1946 erinnerte Alois Vogt eine erste Vor-
sprache in der Deutschlandabteilung des Auswär-
tigen Amtes im Sommer 1942. 2 4 6 Aufgrund ihres
Ablaufs und Inhalts könnte sie der Besprechung an
nämlicher Stelle vom September 1942 vorausge-
gangen sein. Das Treffen sei durch Huegel vermit-
telt worden, Vogt war der Abteilung als «sehr
deutschfreundlich» empfohlen. 2 4 7 Der empfangen-
de Legationsrat habe in Anwesenheit von mehre-
ren SS-Angehörigen Ausführungen zur deutschen
Position gegenüber der Schweiz und Liechtenstein
gemacht: «Die Schweiz werde schon eines schönen
Tages eine Neuordnung Europas anerkennen müs-
230) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 6 . S. 13 . S iehe a u c h
S. 7 5 , 76 . E r d m a n n s d o r f f w u r d e E n d e J u n i 1941 v o m G e s a n d t -
s c h a f t s p o s t e n in B u d a p e s t a b b e r u f e n u n d w a r ab S e p t e m b e r 1941
D i r i g e n t de r p o l i t i s c h e n A b t e i l u n g , e ine h ö h e r e S e k r e t ä r s - , abe r
ke ine E n t s c h e i d u n g s p o s i t i o n .
231) A l o i s Vogts Z e i t e r i n n e r u n g g e g e n ü b e r d e r B u p o ist ehe r g rob ,
n a c h J a h r e s z e i t e n - u n d M o n a t s a n g a b e n s o w i e i m V e r g l e i c h mi t den
d e u t s c h e n A k t e n a b e r e i n g r e n z b a r .
232) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 6 . S. 14 f.
233) E b e n d a . S. 15 .
234) E b e n d a .
235) A A , P A In l and II g 4 0 9 . 19. M ä r z 1 9 4 3 : B e s p r e c h u n g s p r o t o k o l l
S i c h e l s c h m i d t , S. 1.
P . A A V / 5 8 7 , undat . ( v e r m u t l i c h 1943) : « G e d ä c h t n i s - P r o t o k o l l ü b e r d ie
Konfe r enz , v o n F r i e d r i c h s h a f e n » , S. 1.
236) A A . P A In land II g 4 0 9 . 26 . A u g u s t 1 9 4 2 : S i c h e l s c h m i d t (VOMI)
an A A (Refe ra t D VIII . D e u t s c h t u m s f r a g e n ) .
237) A . A . P A In l and II g 4 0 9 . 9. S e p t e m b e r 1 9 4 2 : H a n d n o t i z T r i s k a
( A A ) . E b e n f a l l s fes tgeha l ten in I n l a n d II g 4 0 9 . 4. D e z e m b e r 1942:
G e i g e r ( A A ) an M ü l l e r ( R S H A . Ges tapo) .
238) .A.A. P A In l and II g 4 0 9 , 26 . N o v e m b e r 1 9 4 2 : B e r i c h t Rade -
m a c h e r ( A A ) . Z u v o r w a r V o g t be i E r d m a n n s d o r f f g e w e s e n , d e m er
sagte, dass er G e r ü c h t e , w o n a c h de r F ü r s t d e u t s c h f e i n d l i c h e Po l i t i k
be t re ibe , bei R a d e m a c h e r r i c h t i g s t e l l e n w o l l e , s iehe A A , PA B ü r o
des S t a a t s s e k r e t ä r s , 24 . N o v e m b e r 1 9 4 2 : A u f z e i c h n u n g E r d m a n n s -
d o r f f ( A A ) .
239) A A , PA I n l a n d II g 4 0 9 . 26 . N o v e m b e r 1942 : B e r i c h t Rade -
m a c h e r ( A A ) .
240) A A . PA In l and II g 4 0 9 . 19. M ä r z 1 9 4 3 : B e s p r e c h u n g s p r o t o k o l l
S i c h e l s c h m i d t .
241) S iehe F u h r e r : S p i o n a g e gegen d ie S c h w e i z , S. 7 2 - 7 4 .
242) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 6 , S. 15 .
243) In d i e sen F ä l l e n M a r i i n L u t h e r ( A A . D e u t s c h l a n d a b t e i l u n g ) .
W e r n e r L o r e n z ( V O M I ) u n d W a l t e r S c h e l l e n b e r g (SD A u s l a n d ) s o w i e
d e r e n C h e f s i n de r R e i c h s f ü h r u n g : J o a c h i m von R i b b e n t r o p u n d
H e i n r i c h H i m m l e r . S i ehe a u c h S c h a u b i l d S. 70 , 7 1 .
244) W o r t w a h l M a r t i n L u t h e r aus A A , PA I n l a n d II g 2 1 4 . M a i 1 9 4 2 :
S t e l l u n g n a h m e L u t h e r ( A A ) z u B e s c h w e r d e n de r SS i m B e r e i c h d e r
be id se i t i gen V o l k s t u m s p o l i t i k .
245) Es w a r e i n w e s e n t l i c h e s M o m e n t v o n H i t l e r s M a c h t a u s ü b u n g ,
ke ine k l a r e n K o m p e t e n z e n z u z u w e i s e n und s i c h die letzte E n t s c h e i -
d u n g v o r z u b e h a l t e n , d ies galt a u c h f ü r d ie « R a s s e n - u n d V o l k s -
t u m s p o l i t i k » ; a u f s c h l u s s r c i c h d o k u m e n t i e r t i n A A , P A In l and II g
214 : V o l k s t u m s f r a g e n 1 9 3 8 - 1 9 4 4 .
246) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 6 , S. 16 f. Vogt e r i n n e r t
ke ine N a m e n , er habe d e n L e i t e r de r A b t e i l u n g , e i n e n Lega t ions ra t .
g e s p r o c h e n , d. h . v e r m u t l i c h F r a n z R a d e m a c h e r .
247) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1946 , S. 17 .
89
sen und dann kriechen kommen . . . » . 2 4 S Anders
sehe es mit Liechtenstein aus; in einer kürzlichen
Konferenz habe man beschlossen, Liechtenstein
«als deutsches Land zu behandeln und die liech-
tensteinische Frage zu forcieren». Dies bedeutete
damals, so Vogt, den Anschluss herbeizuführen.
Alois Vogt teilte diese Eröffnungen umgehend Erd-
mannsdorff und Strak in der politischen Abteilung
mit, damit diese bei der Reichsregierung inter-
venierten. Erdmannsdorff habe ihn beruhigt und
eine Verständigung Ribbentrops zugesichert.2 4 9
Möglicherweise, diese Deutung würde durch Vogts
Erinnerung nahegelegt, stand die September-
Besprechung im Auswärtigen Amt bereits unter
dem Eindruck einer von der Ministeriumsspitze
1942 erneuerten Zurückhaltung in der Liechten-
stein-Frage.
Im November 1942 traf Vogt in Liechtenstein
eine über die Besprechungsergebnisse vom 8. Sep-
tember hinausgehende Abmachung mit einem
RSHA-Vertreter. 1946 gab Vogt an, dass seitens ei-
niger SS-Stellen die Idee einer Fusion der VDBL
und der V U seit Herbst 1942 verfolgt wurde; der
SD-Mann Klaus Huegel habe ihm dies mitgeteilt.
Huegel meinte, dass die SS - welcher er ja selber
angehörte - ein Interesse daran habe, das Rand-
problem VDBL «ohne Prestigeverlust» loszuwer-
den. 2 5 0 Vogt vermutete, dass seine Vorsprachen im
Auswärtigen Amt den Fusionsplan mitbewirkten,
dass er selber mit einem RSHA-Vertreter Abspra-
chen traf, erwähnte er 1946 nicht. Allerdings hatte
auch die Deutschlandabteilung im Auswärtigen
Amt eine abschliessende Regelung der Volkstums-
politik offen gelassen, eine weitere Besprechung im
Reich zu einem anlasslälls abgestimmten Vorgehen
von VU und VDBL wurde «ins Auge gefasst». 2 5 1
Eine interne Folge von Vogts «Verstoss» war, dass
nun die Deutschlandabteilung ihrerseits alarmiert
wurde und über mehrere Monate im RSHA Nach-
fragen zu Gegenstand und Beteiligten jener Abma-
chung unternahm. 2 5 2
DISPOSITION, V E R L A U F UND FOLGEN
DER FRIEDRICHSHAFNER BESPRECHUNG
V O M 13. UND 14. MÄRZ 1943
Ein Treffen zwischen den politischen Führern der
VU und der VDBL wurde bereits im September
1942 im Aussenministerium in Aussicht genom-
men. Am Abend des 13. März 1943 und am da-
rauffolgenden Tag fand es schliesslich im Kurgar-
tenhotel in Friedrichshafen statt, von SS-Stellen
erwünscht , 2 5 3 unter den Auspizien des Auswärtigen
Amtes und unter Beteiligung eines Mitarbeiters des
RSFIA. Seitens der VU nahmen Parteiführer Dr.
Otto Schaedler, der Verwalter des Parteiorgans
«Liechtensteiner Vaterland» Gustav Schädler so-
wie, wortführend, Alois Vogt teil. Von der VDBL
waren der ehemalige Landesleiter Dr. Alfons Goop,
sein Nachfolger Dr. Sepp Ritter, Ingenieur Martin
Hilti, bis 1942 «Schriftleiter» des VDBL-Organs
«Umbruch», sowie der VDBL-Jugendführer und
Lehrer Ernst Schädler anwesend. Goop war Vogts
Besprechungspartner, seine Landesleiterstellung
hatte er kurz zuvor mit Eintritt in die Waffen-SS an
Sepp Ritter abgegeben. Vom SD Innsbruck nahm
SS-Hauptscharführer Nockerl teil, aus Stuttgart
waren der SS-Sturmbannführer Böhm und Haupt-
sturmführer Klaus Huegel in Begleitung einer Se-
kretärin, «Frl. Hacker», angereist. In der Person
des SS-Sturmbannführers Hummitzsch vom SD
Inland war auch das RSHA in Berlin beteiligt. Die
VOMI vertrat der zuständige Referatsleiter Dr.
Sichelschmidt, damals im Rang eines SS-Haupt-
s turmführers . 2 5 4
Obwohl die Besprechung im März 1943 auf
deutschem Boden und in Regie der VOMI durchge-
führt wurde, galt sie keiner expansiven und akti-
vistischen Volkstumspolitik mehr. Vorabsprachen,
insbesondere jene im Auswärtigen Amt vom Sep-
tember 1942, 2 5 5 schlugen sich in entsprechenden
Dispositionen des Konferenzleiters Sichelschmidt
nieder: Erwünscht war eine «Zusammenarbeit
der beiden deutsch-orientierten Gruppen in Liech-
tenstein», eine Parteienfusion von VU und VDBL
schien wegen der fortdauernden Aussetzung der
Landtagswahlen innenpolitisch nicht angezeigt.2 5 6
90
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Im Deutschen Reich habe, laut Sichelschmidt, nun-
mehr die VOMI die Führung einer völkischen
Liechtenstein-Politik übernommen, freilich musste
diese nach Massgabe des Auswärtigen Amtes erfol-
gen. Von den zwei Gruppen solle «nichts verlangt
werden, was gegen die Anerkennung des Liechten-
steinischen Staates Verstösse». 2 5 7 Im Verlauf der
Besprechung sollte sich erweisen, dass die von der
VOMI und der VDBL erhofften deutschvölkischen
Gemeinsamkeiten mit der VU nicht weit trugen.
Dies belegen die beiden ausführlichsten Quellen
zum Verhandlungsverlauf in Friedrichshafen: das
Protokoll Sichelschmidts und ein zeitgenössisches
Gedächtnisprotokoll der VU-Leitung 2 5 8 .
Goop von der VDBL hatte schon 1940 einen An-
schlusskurs mit legalen Mitteln verfolgt, in Frie-
drichshafen kam er der VU entgegen und machte
Vorschläge zur Zusammenarbeit. Die VDBL erklär-
te sich bereit, Liechtensteins Souveränität als ge-
geben hinzunehmen und von ihren offenen An-
schlussforderungen abzurücken. Aufschlussreich
ist die in den Protokollen unterschiedlich wieder-
gegebene Reaktion Alois Vogts. Im VU-Protokoll
sah er «keine Möglichkeit der Zusammenarbeit».
Vogts Auftreten wird ins Grundsätzliche gewendet,
eine Zusammenarbeit von VU und VDBL berühre
wegen deren Anschlusswünschen die Existenz des
Landes. 2 5 9 Schliesslich habe sich Sichelschmidt für
die Position Goops eingesetzt. Er empfahl der VU
eine Umstellung ihrer Presse auf eine «rein an-
tikommunistische Haltung» und verwies auf mög-
liche Verstimmungen in Berlin, falls keine Einigung
zustande komme. Vogt habe empört reagiert: «We-
der Berlin noch Bern hat uns in diese Frage etwas
hineinzureden.» 2 6 0 Diese Protokollierung entspricht
im Stimmungseindruck den Schilderungen Sichel-
schmidts: die VDBL sei den Herren der VU auf die
Nerven gefallen. Inhaltlich wirkt Vogts Entgegnung
patriotisch stilisiert. Gerade er zielte in seiner Kon-
taktdiplomatie zur Schwächung der VDBL auf den
Rückhalt deutscher Stellen. Plausibler wohl ist
Sichelschmidts drohendes Drängen auf eine Ver-
einbarung, laut Alois Vogt hätten seine VU-Beglei-
ter bei Rückkehr nach Liechtenstein befürchtet,
verhaftet zu werden. 2 6 1
Die Protokollierung Sichelschmidts ist differen-
ziert und illusionslos: «Das greifbare Ergebnis der
Verhandlungen ist also gering» lautet die nüchter-
ne Bilanz des VOMI-Referenten. Sichelschmidt, der
Alois Vogt mindestens seit 1941 aus Begegnungen
kannte, stützt seine Einschätzung des Gegenübers
auf aufmerksame Beobachtungen. Anders als im
VU-Protokoll festgehalten, sei Alois Vogt auf die
248) Diese d r o h e n d e H a l t u n g g e g e n ü b e r de r S c h w e i z i m S o m m e r
1 9 4 2 w i r d v o n a n d e r e r Sei te b e s t ä t i g t . D e m s c h w e i z e r i s c h e n
N a c h r i c h t e n o f f i z i e r M e y e r - S c h w e r t e n b a c h w u r d e i m J u l i 1 9 4 2 i n
B e r l i n e r ö f f n e t , dass s i c h d ie S c h w e i z e n t w e d e r d u r c h Z w a n g o d e r
f r e i w i l l i g i n das « n e u e E u r o p a » e i n f ü g e n k ö n n e . S iehe R ings :
S c h w e i z i m K r i e g , S. 3 7 7 - 3 8 0 .
249) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 6 , S. 17 f. s o w i e P A A V /
1 0 6 4 Rede A l o i s Vogt 1 9 6 3 . S. 5. L a u t e igene r A n g a b e k a m E r d -
m a n n s d o r f f n a c h A b b e r u f u n g aus B u d a p e s t 1941 n ie mi t R i b b e n t r o p
z u s a m m e n . A l l e r d i n g s s t and er an e i n e r Schni t t s te l l e de r a u s w ä r -
t igen I n f o r m a t i o n s d u r c h g ä n g e , i m A r b e i t s k o n t a k t m i t d e m Le i t e r der
Pol i t . A b t . u n d d e m S t a a t s s e k r e t ä r . S i ehe S t A N K V - I n t c r r o g a t i o n s
E 42 ( E i n v e r n a h m e n E r d m a n n s d o r f f 1947) .
250) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 7 , S. 5.
251) A A , P A I n l a n d II g 4 0 9 . 4. D e z e m b e r 1 9 4 2 : G e i g e r ( A A ) a n
M ü l l e r ( R S H A , Ges tapo) .
252) D e r letzte d i e s b e z ü g l i c h e V o r g a n g i n A A , P A In land II g 4 0 9 .
16. A p r i l 1943 : H u m m i t z s c h ( R S H A , S D In land) a n A A ( D e u t s c h l a n d -
ab te i lung) .
253) A l o i s Vogt gab 1947 an , dass H u e g e l i h m das D r ä n g e n v o n SS-
Ste l len a u f e ine E r l e d i g u n g de r V D B I . - F r a g e d u r c h Z u s a m m e n -
sch lu s s m i t de r V U n o c h A n f a n g s 1 9 4 3 ve rmi t t e l t habe . S iehe B A B
B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 7 , S. 5.
254) Z u r T e i l n e h m e r s c h a f t s iehe d ie A n g a b e n i m B e s p r e c h u n g s p r o -
t o k o l l S i c h e l s c h m i d t , die d u r c h das « G e d ä c h t n i s - P r o t o k o l l ü b e r d ie
K o n f e r e n z v o n F r i e d r i c h s h a f e n » b e s t ä t i g t w e r d e n . Die h ö c h s t e n SS-
R ä n g e bek l e ide t en B ö h m u n d H u m m i t z s c h ; « S t u r m b a n n f ü h r e r »
e n t s p r a c h d e m m i l i t ä r i s c h e n M a j o r s r a n g , « H a u p t s t u r m f ü h r e r » d e m
des H a u p t m a n n s .
255) S iehe A n m . 2 3 7 .
256) F ü r s t F r a n z J o s e f II. v e r l ä n g e r t e i m F e b r u a r 1 9 4 3 die A m t s -
d a u e r de r sei t J a n u a r 1 9 3 9 ü b e r e ine E i n h e i t s l i s t e von V U u n d F B P
z u s a m m e n g e s e t z t e n V o l k s v e r t r e t u n g a u f u n b e s t i m m t e Ze i t .
257) A A . P A In l and II g 4 0 9 , B e s p r e c h u n g s p r o t o k o l l S i c h e l s c h m i d t .
S. 2.
258) P A A V / 5 8 7 , 1 9 4 3 : « G e d ä c h t n i s - P r o t o k o l l ü b e r die K o n f e r e n z von
F r i e d r i c h s h a f e n » : s. A n m . 2 3 5 .
259) E b e n d a , S. 4.
260) E b e n d a . S. 6.
261) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 7 . S. 8.
91
Idee einer antibolschewistischen Allianz einge-
gangen, die «Schaffung eines Heimatbundes auf
überparteilicher Grundlage» habe er begrüsst . 2 6 2
Die praktische Umsetzung solcher Kooperations-
vorschläge liessen Alois Vogt und seine Begleiter
von der VU-Führung allerdings in der Schwebe.
Zum Erstaunen Sichelschmidts stellte Vogt Kalkül
und Ressentiment der Landespolitik in den Vorder-
grund: Er und Dr. Schaedler hätten kein Programm
für die VU, diese Partei sei «lediglich das Instru-
ment zur Unterbauung ihrer persönlichen Positio-
nen in der Regierung und im Landtag». Ausserdem
habe Vogt den nationalsozialistischen Charakter
der VDBL bestritten, «sie [die VDBL, d. Verf.] sei
lediglich ein Sammelbecken der grundsätzlich
oppositionell Eingestellten.» 2 6 3 Sichelschmidts ab-
schliessende Einschätzung der VU-Haltung doku-
mentiert Realitätssinn und Verachtung des «gross-
deutsch» gesinnten SS-Führers gegenüber den un-
entschlossenen Liechtensteinern:
«Es zeigt sich, dass Männer wie Dr. Vogt und
Dr. Schaedler einfach nicht in der Lage und Willens
sind, direkt auch nur die kleinsten Entschlüsse
zu fassen. Neben der liberal-parlamentarischen
Grundeinstellung dieser Männer tragen daran
natürlich die engen Verhältnisse in Liechtenstein
schuld, die aus jedem kleinen Problem gleich eine
Staatsfrage erster Ordnung machen. Hinzu kommt,
dass sie offenbar klare Festlegungen aus politi-
schen Gründen nicht wollen, dass ihre Verhand-
lungsbereitschaft mit der Volksdeutschen Bewe-
gung und Reichsstellen also nur dem Gebot der
politischen Klugheit entspricht, sich für alle Fälle
nach der nationalsozialistischen Seite hin den Weg
offen zu hal ten .» 2 6 4
Sichelschmidt gab die Hoffnung auf eine völ-
kische Zusammenarbeit in Liechtenstein nicht ganz
auf. Bereits vor der Besprechung war Klaus Huegel
vom SD Stuttgart zum «ständigen Verbindungs-
führer» der VOMI für Liechtenstein bestellt wor-
den. Nun war es an Huegel, für die Umsetzung der
besprochenen Kooperationsanregungen - «Hei-
matbund» und «Antibolschewistisches Komitee» -
besorgt zu sein. Huegels Beauftragung dürfte das
Ende einer vom Reich beförderten, anschlussorien-
tierten Volkstumspolitik in Liechtenstein besiegelt
haben. Das Vorhaben einer Fusion von VDBL und
VU scheint durch Absprachen zwischen Auswär-
tigem Amt und RSHA im April 1943, einen Monat
nach Friedrichshafen, aktenmässig abgeschlos-
sen. 2 6 5 Zur selben Zeit wurde Klaus Huegel nach
Berlin ins RSHA berufen und Leiter des Schweiz/
Liechtenstein-Referates des SD.
Im Arbeitsgebiet Fluegels war der neutrale
Kleinstaat vorab nachrichtendienstlich interessant.
Seit Sommer 1942 streckte Huegels Chef im RSHA,
Walter Schellenberg, vorsorgliche Friedensfühler
in der Schweiz aus. 2 6 6 Huegel konnte seinen liech-
tensteinischen Vertrauten Alois Vogt 1942 und
1943 in dieser Angelegenheit gewinnen, als Mit-
telsmann zum englischen Generalkonsul Cable. 2 6 7
Vogt wurde ausserdem in zwei Fällen um nach-
richtendienstliche Hilfestellung angegangen. Sol-
ches erfolgte nach Friedrichshafen, im Sommer
1943; auch mit Verweis auf die Unterstützung des
SD bei der Ausschaltung der VDBL. In Liechten-
stein selbst wurden Herausgabe und Vertrieb des
VDBL-Organs «Der Umbruch» am 8. Juli 1943 per
Regierungsverfügung eingestellt.
92
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Alois Vogts Involvierung in
deutsche Geheimdienstunter-
nehmen 1942 bis 1944
Der liechtensteinische Regierungschef-Stellvertre-
ter Alois Vogt wurde in den Jahren 1942 bis 1944
in unterschiedlicher Weise mit deutschen Geheim-
dienstoperationen konfrontiert. Zwei Vorgänge
sind durch interne Gestapo- und SD-Protokolle gut
dokumentiert. Im Dezember 1942 wurde das Re-
gierungskollegium und die Justiz Liechtensteins
für die Abwicklung einer gescheiterten Devisen-
transaktion des SD angegangen. Im zweiten Fall -
der sogenannten Aktion Rosl - wurde Alois Vogt
persönlich von seinem SD-Vertrauten Klaus Huegel
um Mithilfe bei einem Agentenunternehmen gebe-
ten. Vogt berichtete nach dem Krieg eine weitere
Begebenheit, bei der ihn der SD-Chef Westeuro-
pa im RSHA, Eugen Steimle, um Auskünfte zur
Schweiz und ihrer Haltung gegenüber den Alliier-
ten bat. Eugen Steimles Anfragen datieren aus dem
Sommer 1943.
Die Nachrichtendienst-Operationen der zweiten
Kriegshälfte dokumentieren ein strategisches Inter-
esse an der intakten Staatlichkeit des Fürstentums.
Diese war den Deutschen nützlich: einmal als neu-
trales Devisenausland im schweizerischen Wirt-
schaftsraum, zum anderen als rechtsstaatlicher
Schirm für die Durchführung geplanter oder die
Bereinigung gescheiterter Geheimunternehmen.
VERHAFTUNG DES DEUTSCHEN DEVISEN-
HÄNDLERES RUDOLF BLASCHKE:
EIN SCHWEIZERISCH-LIECHTENSTEINISCHER
KRIMINALFALL
Am Morgen des 30. November 1942, einem Mon-
tag, wurde der 42-jährige deutsche Staatsbürger
Rudolf Blaschke, nachdem er mit dem Zug von
Feldkirch im Bahnhof Schaan angekommen war,
von der liechtensteinischen Polizei aufgehalten, auf
dem Posten Vaduz einvernommen, vormittags «bei
bestehender Fluchtgefahr» festgenommen und ins
Gefangenenhaus eingeliefert.2 6 8 Blaschke hatte ge-
fälschte Ausweispapiere auf den Namen «Hans
Hacker» bei sich. Zwei Tage später, am 2. Dezem-
ber, leitete die liechtensteinische Staatsanwalt-
schaft das Strafverfahren gegen Blaschke wegen
Geldfälschung, Betrug und Falschmeldung ein. Ver-
fahrenszuständig war das liechtensteinische Land-
gericht. Dort übernahm Landrichter Dr. Hermann
Risch den F a l l . 2 6 9 Die Vorwürfe gegen Blaschke
stützten sich auf ein Telefonat und einen entspre-
chenden Bericht des Polizeikommandos Zürich an
die liechtensteinische Landespolizei vom 27. und
28. November 19 4 2 . 2 7 0 Rudolf Blaschke habe ver-
sucht, bei der American Express Co. in Zürich
falsche Pfundnoten in Schweizerfranken bezie-
hungsweise Gold einwechseln zu lassen. Ein Kas-
sier der American Express liess die von Blaschke
unter anderem Namen (nämlich «Schwend») nach
Zürich gesandten Pfundnoten von der National-
bank prüfen; diese habe mitgeteilt, dass es sich um
ausgezeichnete Fälschungen handle. Blaschke
habe den Devisenchef der American Express, Josef
Dommen, telefonisch ersucht, den Geldwechseler-
lös an die Bank in Liechtenstein (BiL) in Vaduz zu
schicken. In Kenntnis dieser Mitteilungen stellte die
Landespolizei am 28. November fest, dass Blasch-
ke bei der BiL unter dem Namen «Hans Hacker»
bekannt war und sich seit einigen Tagen wieder-
holt in Liechtenstein aufgehalten hatte.2 7 1 Bei sei-
nen Einvernahmen am 30. November und 1. De-
zember 1942 wies Rudolf Blaschke die Vorwürfe
der Herstellung wie des absichtlichen Vertriebs von
262) A A . PA In l and II g 4 0 9 . B e s p r e c h u n g s p r o t o k o l l S i c h e l s c h m i d t .
S. 2 f.
263) E b e n d a , S. 3.
264) E b e n d a . S. 5.
265) A A , PA In l and II g 4 0 9 , 16 . A p r i l 1 9 4 3 : H u m m i t z s c h ( R S H A , S D
In land) an A A ( D e u t s c h l a n d a b t e i l u n g , Re fe r a t D II).
266) V e r g l e i c h e h i e r z u : R i n g s : S c h w e i z i m K r i e g . S. 3 7 7 - 3 8 0 , s o w i e
E r w i n B ü c h e r : Z u r L i n i e M a s s o n - S c h e l l e n b e r g . In: S c h w e i z e r i s c h e
Z e i t s c h r i f t f ü r G e s c h i c h t e 3 (1988) S. 2 S 5 - 2 8 7 .
267) P A A V / 5 2 4 B u p o - V e r n e h m u n g K l a u s H u e g e l 1 9 4 6 , S. 1.
268) L L A R F 2 3 8 / 1 9 4 S t r a f a k t e n R u d o l f B l a s c h k e .
269) E b e n d a .
270) V e r a r b e i t e t i n L L A R F 2 3 8 / 1 9 4 , 30 . N o v e m b e r 1 9 4 2 : F L - P o l i z e i
a n F L - I . a n d g e r i c h t , H a f t a n z e i g e vs. R u d o l f B l a s c h k e .
271) E b e n d a .
93
Falschgeld zurück. 2 7 2 Schwend sei ein Freund, über
dessen BiL-Konto er, Blaschke, verfügen könne,
deshalb habe er die Geldnoten unter dem Namen
Schwend an den ihnen beiden persönlich bekann-
ten Dommen von der American Express abge-
schickt. Die namensgefälschte Grenzkarte («Hans
Hacker») habe er von Schwends Sekretärin erhal-
ten und erneuern lassen. Der Betrag, den Rudolf
11
^ K i m e Btaafepotijei
Sfartspotijelllille SnnsbruA
•59«
'Kaum für ©nflartfisltf mpei
__
G E H E I M , - ^
• M M M r W
17.12.42 21.10 = AB. GREPO FELDKIRCH^NR. 2066
DRINGEND SOFORT VORLEGEN»
AN SD-LA MUENCHEN, Z . HD jL^S^UBAF.~BUCHBERGER,
NACHRI CHTLl CH AN GEKO BREGENZ.~ 5? —
BETRI FFT: SACHE H A C K E R . — . ~. *~! *
/BEZUG.. BEKANNT.. r. '
Btl DER HEUTE STATTGEFUNDENN BESPRECHUNG ZWI SCHEN~
DR. V S ' G T UND^MLR* .HAT MICH DR^ VOGT ERSUCHT, DIE SOFORTIGE
GERICHTLICHE EINVERNAHME DES H u f s C H WE H D ZU VERANLASSEN
UND DAS PROTOKOLL .UjyERZBEGUeH HIERHER ZU LEI TEN, WEI L DIESES
IM HAFTPRUEFUNGSVERFÄHREN HACKER DRINGEND GEBRAUCHT WIRD.;\
Ä f f « I N FEOK1RCHJDTAET1GTE VERNEHMUNG DES HR. SCHWEiD
I^ANN FUER DEN GERICHTSAKT IN LIECHTENSTEIN NVCHT VERWENDET^-:
WERDEN. ICH BJTTE UM UMGENENDE^ÖfcfDI GONG.
JjfERNER BITTE I Cjt^ HRH^ SCHWEND ZU VERANLASSEN, DASS ER*
B I S ZUR RUECKKEHR DES S S - O S T Ü F ^ DAUSER IN MUENCHEN BLEI BTT*
- •„'.«V-.t: -v ; 7. * : ' . ' - . V . - - "TT
Gestapo-Fernschreiben
vom 17. Dezember 1942,
abends 21.10 Uhr:
Nach Besprechung mit Dr.
Vogt in Vaduz telegrafiert
Karl Kriener (Grepo Feld-
kirch) an den SD München
und ersucht um dortige
gerichtliche Einvernahme
des Friedrich Schwend.
Ein diesbezügliches Proto-
koll soll nach Liechten-
stein übermittelt werden.
SS-Obersturmführer («SS-
OSTUF») Dauser hatte
München unterdessen
Richtung Feldkirch verlas-
sen.
Blaschke nach Zürich sandte, war anscheinend
ordnungsgemäss eingeführt und deklariert: 10 000
britische Pfund in Fünfer- und Zehner-Noten zum
damaligen Kurswert von etwa 90 000 bis 100 000
Schweizerfranken. Die Schweizer Banken mit Bei-
zug der «Bank of England» bemühten sich
während der Inhaftierung von Rudolf Blaschke um
die Prüfung der von ihm eingesandten Pfundnoten.
Die Ergebnisse wurden dann jeweils den Polizei-
stellen in der Schweiz und in Liechtenstein mitge-
teilt, zuletzt am 26. Dezember, vier Tage vor der
Haftentlassung Blaschkes. Sowohl American Ex-
press als auch die Nationalbank und schliesslich
die «Bank of England» beurteilten die Noten als ge-
fälscht . 2 7 3
Auch zur Person des Schwend erhielten die
Liechtensteiner Auskunft: aus einer eidesstattli-
chen Aussage von «Friederico Schwend» geht
hervor, dass dieser umfangreiche Handels- und
Devisengeschäfte tätigte und im vorliegenden Fall
seinen «Angestellten» Blaschke mit dem Transport
und Verkauf der angeblich aus dem Iran stammen-
den Pfundnoten betraute. Den Schweizer Banken
und auch der BiL war Schwend aus mehrjäh-
rigen, bislang unverdächtigen Devisengeschäften
bekannt. Allerdings meldete die Polizei Zürich, ein
Direktor Schwab von der Schweizer Nationalbank
habe gemeint, dass Blaschke nur vorgeschoben sei
und Schwend interessanter gewesen w ä r e . 2 7 4 Zum
namensgefälschten Ausweispapier gab Blaschke
amtlich zu Protokoll, dass ihm dieses jeweils aus-
gehändigt wurde. Bei der Behörde «Landrat Feld-
kirch», deren Stempel in der Grenzkarte auftaucht,
sei er nie gewesen. Die Falschangabe «Hans
Hacker» erklärte er mit einer bürokratischen Ver-
wechslung; er gab zu, sich dadurch strafbar ge-
macht zu haben. 2 7 5
Am 17. Dezember stellte Blaschke ein Haftent-
lassungsgesuch an das Obergericht, worin er sich
auch zur Stellung einer Kaution bereit erklärte. Das
Gericht hatte nun Gelegenheit, die ihm und der
Regierung mittlerweile bekannten Umstände zu
würdigen. Tags darauf, am 18. Dezember, wurde
das Gesuch Blaschkes abgewiesen. 2 7 6 Das Oberge-
richt deutete eine grössere Dimension des Falles
94
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
an: Aufgrund des frühen Abklärungsstadiums, un-
geklärter Beziehungen zwischen den Geschäfts-
partnern Blaschke und Schwend, falscher Ausweis-
papiere und der «offenbar bestehenden internatio-
nalen Beziehungen der Beteiligten» sei auch bei
Leistung einer Kaution von 20 000 Franken weiter-
hin Verabredungs- und Fluchtgefahr gegeben. Fünf
Tage später, am 23. Dezember 1942, wurde Blasch-
ke der Obergerichtsentscheid durch Landrichter
Risch mitgeteilt. Am 28. Dezember erhielt die liech-
tensteinische Polizei einen weiteren Bericht vom
Polizeikommando Zürich «mit dem Ersuchen um
weitere Abklärung.» 2 7 7
Tags darauf erfolgte eine letzte Einvernahme
Blaschkes; er blieb dabei, die Noten korrekt in Ver-
kehr gebracht zu haben. Am 30. Dezember wurde
Rudolf Blaschke in Anwesenheit von Landrichter
Risch «gegen Gelöbnis» aus der Haft und ausser
Landes gelassen. Blaschke kehrte ins Deutsche
Reich zurück. Die liechtensteinische Regierung in-
formierte am 9. Januar 1943 die dortigen Behör-
den offiziell über die Entlassung. 2 7 8 Den schweize-
rischen Behörden wurde davon keine Meldung ge-
macht. Am 11. Mai 1943 ersuchte das Polizeikom-
mando Zürich das Landgericht in Liechtenstein,
über den Schlussentscheid in der Angelegenheit
Blaschke und Schwend zu orientieren. 2 7 9 Das Land-
gericht antwortete, dass nach Prüfung der Aussa-
gen Blaschkes angenommen werden müsse, «dass
zumindest er [wenn schon nicht Schwend, d. Verf.]
die Noten gutgläubig in Verkehr gebracht ha t . » 2 8 0
GESTAPO FELDKIRCH:
«WEIL UNS DIE LIECHTENSTEINISCHE
REGIERUNG TATSÄCHLICH HILFT WIE SIE
NUR KANN»
Als Liechtensteins Staatsanwalt in der causa
Blaschke fungierte im Dezember 1942 Ferdinand
Nigg, zugleich Sekretär der Regierung. Tatsächlich
musste sich diese und über sie Mitglieder der betei-
ligten Justizbehörde mit einem dringlichen Inter-
esse deutscher Stellen an der Freilassung Blasch-
kes befassen. Bereits einen Tag nach dessen Inhaf-
tierung erkundigte sich Kriminalkommissar Hüb-
ner von der Gestapo-Stelle Grenzpolizeikommissa-
riat («Greko») Bregenz bei Regierungschef Hoop
über den Vorfall. Alois Vogt sei bei dieser ersten
Vorsprache ebenfalls anwesend gewesen.2 8 1 Die
Unterrichtung durch die Regierung in Vaduz gab
Hübner umgehend an höhere Dienststellen weiter,
an die Gestapo Innsbruck, die SD-Aussenstelle Bre-
genz und das RSLIA. Die Verhaftung des deutschen
Devisenhändlers in Liechtenstein beunruhigte ins-
besondere die SD-Zentrale in Berlin. Hübner liess
an diese Adresse weitermelden, dass der einver-
nommene Blaschke «keinerlei Angaben bezüglich
seines Auftrages» gemacht habe. 2 8 2 Das RSLIA sei-
272) L L A R F 2 3 8 / 1 9 4 E i n v e r n a h m e n R u d o l f B l a s c h k e v o m
3 0 . N o v e m b e r u n d 1. D e z e m b e r 1 9 4 2 .
273) Die A u s s a g e B l a s c h k e s . d ie S c h w e i z e r i s c h e K r e d i t a n s t a l t ( S K A )
Base l habe se ine N o t e n n o c h i m N o v e m b e r als echt beze i chne t ,
w u r d e i n B a s e l a b g e k l ä r t . L a u t d e m z u s t ä n d i g e n B a n k b e a m t e n
habe B l a s c h k e ke ine 5- o d e r 1 0 - P f u n d - N o t e n vorgelegt , w i e er
behaup te , s o n d e r n 5 0 - u n d 1 0 0 - P f u n d - N o t e n . d ie echt w a r e n . S iehe
L L A R F 2 3 8 / 1 9 4 , 26 . D e z e m b e r 1 9 4 2 : P o l i z e i Z ü r i c h a n F L - P o l i z e i
u n d - L a n d g e r i c h t .
274) L L A R F 2 3 8 / 1 9 4 , 3. D e z e m b e r 1 9 4 2 : E r m i l t l u n g s b e r i c h t P o l i z e i
Z ü r i c h , A n g a b e n D i r e k t o r S c h w a b .
275) L L A R F 2 3 8 / 1 9 4 . 1. D e z e m b e r 1 9 4 2 : A u s s a g e R u d o l f B l a s c h k e .
276) Die V e r h a n d l u n g z u m F a l l B l a s c h k e p r ä s i d i e r t e Dr. J a k o b
E n g s t e r aus de r S c h w e i z , i m K o l l e g i u m sassen R i c h t e r Dr. W a l t e r
M u r r (aus d e m D e u t s c h e n Re ich) s o w i e d ie l i e c h t e n s t e i n i s c h e n
B e i s i t z e r A l o i s W i l l e . G e m e i n d e v o r s t e h e r i n B a l z c r s , L e h r e r H u g o
B ü c h e l u n d E r s a t z r i c h t e r A l o i s Ospel t , be ide aus V a d u z . V g l . L L A R F
2 3 8 / 1 9 4 B e r a t u n g s p r o t o k o l l des O b e r g e r i c h t s v o m 18 . D e z e m b e r
1 9 4 2 .
277) L L A R F 2 3 8 / 1 9 4 . 26 . D e z e m b e r 1 9 4 2 : P o l i z e i Z ü r i c h an F L -
P o l i z e i .
278) L L A R F 2 1 4 / 3 1 2 , 9. J a n u a r 1 9 4 3 : H o o p ( F L - R e g i e r u n g ) a n
G r e n z p o l i z e i k o m m i s s a r i a t (Greko) B r e g e n z .
279) L L A R F 2 3 8 / 1 9 4 , I i . M a i 1943 : P o l i z e i Z ü r i c h a n F L - I . a n d -
g e r i c h l .
280) L L A R F 2 3 8 / 1 9 4 , 13 . M a i 1 9 4 3 : F L - L a n d g e r i c h t a n P o l i z e i
Z ü r i c h .
281) B A B E 4 3 2 0 (B) 1 9 8 4 / 2 9 B d . 5 7 . D o s s i e r « B l a s c h k e R u d o l f » ,
S B A 6. N o v e m b e r 1 9 4 5 , F e r n s c h r e i b e n 5. D e z e m b e r 1 9 4 2 : H ü b n e r
(Greko Bregenz ) a n H i l l i g e s (Ges tapo I n n s b r u c k ) ; i m f o l g e n d e n z i t ie r t
a ls B A B D o s s i e r B l a s c h k e , D a t u m des F e r n s c h r e i b e n s / K o r r e s p o n -
den ten .
282) B A B D o s s i e r B l a s c h k e , F e r n s c h r e i b e n 1. D e z e m b e r 1 9 4 2 :
H ü b n e r (Greko B r e g e n z ) a n G e s t a p o I n n s b r u c k .
95
nerseits befürchtete eine Aushändigung des Inhaf-
tierten an die Schweizer Behörden. 2 8 3
Auf Nachfrage wurde Hübner von Alois Vogt
über einen legalen Weg orientiert, Blaschke in
Vaduz zu enthaften. Vogt habe vertraulich empfoh-
len, dass Deutschland einen Auslieferungsantrag
stelle «für den Fall, dass an der Auslieferung des
Hackert [alias Rudolf Blaschke, d. Verf.] an deut-
sche Behörden Interesse bes tünde.» 2 8 4 Hübner und
ihm zur Seite Karl Kriener, der Gestapochef in
Feldkirch, waren im Dezember 1942 die lokalen
Unterredungspartner der liechtensteinischen Be-
hörden. Zu seiner Vorgangsweise in Liechtenstein
sprach sich Hübner weiterhin mit höheren SD- und
Gestapo-Stellen ab. Vom RSFIA erhielt der Gestapo-
Kommissar Rückendeckung für die Stellung eines
Auslieferungsbegehrens. Im internen deutschen
Dienstverkehr stand dieses Vorgehen zeitweise in
Konkurrenz zu waghalsigeren Erwägungen. Der
ebenfalls durch Blaschkes Verhaftung alarmierte
SS-Führer Dauser vom SD-Leitabschnitt München
meldete sich am 5. Dezember telefonisch bei Gesta-
pochef Kriener. Dauser wünschte eine Unterredung
mit Alois Vogt, «um diesen zu veranlassen gegen
eine Bezahlung von 30 000 bis 50 000 sfr. den H.
[Hacker, d. Verf.] freizulassen bezw. ihm die Flucht
zu ermöglichen.» 2 8 5 Der förmliche Weg, so tele-
grafierte die lokale Gestapo an München zurück,
sei «erfolgversprechender und ungefährl icher». 2 8 6
Hübner und Kriener standen zwar unter Erfolgs-
druck, wünschten aber im Verkehr mit der liech-
tensteinischen Regierung, «dass der offizielle Cha-
rakter unserer Dienststelle gewährleistet bleibt». 2 8 7
Die liechtensteinische Regierung hielt den in-
formellen Weg zur Gestapo offen, agierte aber
ebenfalls vorsichtig. Hübner, der aus München
einen eigens für Blaschke verfertigten Haftbefehl
und fingierte Ermittlungsakten zur Übergabe in Va-
duz erhielt, gab zu bedenken, «dass die Regierung
in Liechtenstein diesen Weg als formell falsch ab-
lehnt .» 2 8 8 Ein amtliches Auslieferungsgesuch wur-
de am 10. Dezember von Kommissar Hübner an
Regierungschef Hoop ausgefolgt.2 8 9 Alois Vogt habe
Hoop daraufhin geraten, den «ad hoc» gestellten
Antrag zu schubladisieren. 2 9 0 Andere Wege wurden
beschritten, die ein Eingehen auf das deutsche Ge-
such schliesslich erübrigten. Der «Geschäftspart-
ner» Blaschkes, Friedrich Schwend, tauchte in
Begleitung eines SS-Offiziers, Dr. Wilhelm Groebl
vom RSHA, in Feldkirch auf. Dort traf sich der
Regierungschef-Stellvertreter mit Schwend, mit
Groebl, so Vogt, sei er nicht zusammengekommen.
Schwends Ansuchen, ihm eine Grenzkarte zur
Einreise nach Liechtenstein und dortigen Zeugen-
aussage, zu legitimieren, lehnte Vogt ab. Ein an-
deres Vorgehen wurde gewählt. Auf Anraten Vogts
und nach Vorschlag von Gestapochef Kriener
begab sich der zuständige Untersuchungsrichter
Dr. Hermann Risch in Begleitung eines Polizeibe-
amten nach Feldkirch und führte eine Einvernah-
me Schwends durch. 2 9 1
Die gegenseitigen Bemühungen um eine rechts-
förmige und stille Abwicklung des Falles Blaschke
mündeten schliesslich in eine bemerkenswerte
Lagebesprechung in Vaduz. Diese fand am Don-
nerstag den 17. Dezember 1942 statt, am Vortag
der Obergerichtssitzung zu Blaschkes Enthaftungs-
gesuch. Quellenmässig festgehalten ist die Bespre-
chung durch eine diesbezügliche Verständigung
zwischen den Gestapostellen Feldkirch und Bre-
genz. 2 9 2 Kriener war frühmorgens nach Vaduz ge-
laden und wurde über die bevorstehende Sitzung
des Obergerichts und ein mögliches Vorgehen
zugunsten Blaschkes orientiert. Anwesend waren
Regierungschef Hoop, dessen Stellvertreter Vogt
sowie Dr. Risch als Untersuchungsrichter. Risch,
der in der fraglichen Sache als Landrichter, Unter-
suchungsrichter und Verteidiger in einem (!) fun-
gierte, schätzte die Aussichten des Gesuchstellers
Blaschke als gut ein. «Es handelt sich aber da-
rum, dem Obergericht die Sache günstig darzustel-
len» erinnerte Kriener Rischs Ansicht. Zwei Dinge
wären von deutscher Seite erforderlich: eine Kau-
tionsstellung sowie eine ordentliche gerichtliche
Einvernahme des Friedrich Schwend, jene in Feld-
kirch genügte nicht. Alois Vogt habe diesen Punkt
unterstrichen und die Gestapo-Beamten um Erledi-
gung der Angelegenheit ersucht. Diese erwogen
nach der Besprechung in Vaduz, sich an Vogt zu
wenden, damit er das Telegramm zur Kautions-
96
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
Überweisung aufgebe und sie nicht in Erscheinung
treten müssten. Mit einem entsprechenden Vor-
schlag Krieners war Hübner einverstanden, für ihn
war Alois Vogt «der einzige Mann, der die Sache
auf sich nehmen könnte .» 2 9 3 Parallel zur liechten-
steinischen Absprache suchten Hübner und Krie-
ner das reichsdeutsche Obergerichtsmitglied Dr.
Walter Murr zu beeinflussen. 2 9 4 Mit Untersu-
chungsrichter Risch wurde vereinbart, das Resultat
der Obergerichtssitzung vom 18. Dezember eben-
falls über Murr der Gestapo durchzugeben. Als
das Haftentlassungsgesuch Rudolf Blaschkes vom
Obergericht abgewiesen wurde, informierte Gesta-
pochef Kriener am Morgen des darauffolgenden
Tages, dem 19. Dezember, den SD in München,
ebenso die Gestapostellen in Bregenz und Inns-
bruck. 2 9 5
Für die Zeit zwischen dem 20. Dezember und
der Haftentlassung Blaschkes am 30. Dezember
1942 ist keine deutsche Fernmelde-Korrespondenz
mehr erhalten. Die hintergründigen behördlichen
Enthaftungsbemühungen dürften angehalten ha-
ben. Von Seiten der Gestapo wurde «nun anheim-
gestellt, die Angelegenheit mit Dr. Vogt weiter zu
regeln.» 2 9 5 Ausserdem wünschte Kommissar Hüb-
ner für den 22. Dezember, sich mit Regierungschef
Hoop in Feldkirch zu treffen. 2 9 7
Am 23. Dezember 1942 wurde dem inhaftierten
Rudolf Blaschke der abweisende Entscheid des
Obergerichts mitgeteilt. Nur eine Woche später, am
30. Dezember, sollte Blaschke auf freien Fuss
gesetzt werden. Landrichter Risch erklärte ihm,
dass er gegen Gelöbnis, sich gerichtlich verfügbar
zu halten, entlassen werde. 2 9 8
Das juristische Vorgehen von Untersuchungs-
richter Risch war von der liechtensteinischen Re-
gierung politisch erwünscht . 2 9 9 Gemäss Alois Vogt
wurde Regierungssekretär Ferdinand Nigg Ende
Dezember durch die liechtensteinische Regierung
bevollmächtigt, als Staatsanwalt einen Einstel-
lungsantrag einzubringen. An einer diesbezügli-
chen Sitzung hätten Vogt selber, Regierungschef
Hoop, Landrichter Risch, Regierungssekretär Nigg
und eventuell auch Regierungsrat Anton Frommelt
teilgenommen.3 0 0
«DER FALL IST EINER DER DELIKATESTEN
Ü B E R H A U P T »
Alois Vogt erklärte der schweizerischen Bundes-
polizei nach dem Krieg, dass er in der Angelegen-
heit «Blaschke» weder mit den SD-Leuten Groebl
und Dauser verhandelt noch Kenntnis von den in-
ternen Vorgängen bei SD und Gestapo gehabt
283) E b e n d a . F e r n s c h r e i b e n 2. D e z e m b e r 1 9 4 2 : R S H A / A m t V i a n
H ü b n e r (Greko B r e g e n z ) .
284) E b e n d a , F e r n s c h r e i b e n 3. D e z e m b e r 1 9 4 2 : H ü b n e r (Greko
B r e g e n z ) an B e r n h a r d ( R S H A ) .
285) E b e n d a , F e r n s c h r e i b e n 5. D e z e m b e r 1 9 4 2 : K r i e n e r (Grepo
F e l d k i r c h ) an H ü b n e r (Greko B r e g e n z ) .
286) E b e n d a , F e r n s c h r e i b e n 5. D e z e m b e r 1 9 4 2 : K r i e n e r (Grepo
F e l d k i r c h ) au D a u s e r (SD M ü n c h e n ) .
287) E b e n d a , F e r n s c h r e i b e n 5. D e z e m b e r 1 9 4 2 : K r i e n e r (Grepo
F e l d k i r c h ) a n H ü h n e r ( G r e k o B r e g e n z ) .
288) E b e n d a , F e r n s c h r e i b e n 8. D e z e m b e r 1 9 4 2 : H ü b n e r (Greko
B r e g e n z ) an Ges t apo I n n s b r u c k .
289) L L A R E 2 1 4 / 3 1 2 . 10 . D e z e m b e r 1942: A u s l i e f e r u n g s g e s u c h
O b e r s t a a t s a n w a l l s c h a f t M ü n c h e n .
290) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 6 , S. 4 2 .
291) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 6 , S. 42 f.: L L A R F
2 3 8 / 1 9 4 « V c r n e h m u n g s p r o t o k o l l F r i e d e r i c o S c h w e n d » .
292) B A B D o s s i e r B l a s c h k e . F e r n s c h r e i b e n 17. D e z e m b e r 1 9 4 2 :
K r i e n e r (Grepo F e l d k i r c h ) a n G r e k o B r e g e n z .
293) E b e n d a . F e r n s c h r e i b e n 17 . D e z e m b e r 1942 (18 .30 U h r ) :
H ü h n e r (Greko B r e g e n z ) an K r i e n e r (Grepo F e l d k i r c h ) .
294) E b e n d a . F e r n s c h r e i b e n 17. D e z e m b e r 1 9 4 2 : K r i e n e r (Grepo
F e l d k i r c h ) an G r e k o B r e g e n z .
295) E b e n d a , F e r n s c h r e i b e n 19. D e z e m b e r 1 9 4 2 (9.55 U h r ) :
K r i e n e r (Grepo F e l d k i r c h ) a n S D M ü n c h e n , « n a c h r i c h t l i c h a n die
S tapo I n n s b r u c k u n d G r e k o B r e g e n z » .
296) E b e n d a .
297) E b e n d a . F e r n s c h r e i b e n 1 7 . D e z e m b e r 1 9 4 2 : K r i e n e r (Grepo
F e l d k i r c h ) an G r e k o B r e g e n z .
298) L L A R F 2 3 8 / 1 9 4 . 3 0 . D e z e m b e r 1 9 4 2 : F L - L a n d g e r i c h t .
299) Die o f f i z i e l l e E i n s t e l l u n g des V e r f a h r e n s gegen B l a s c h k e
er fo lg te a u f A n t r a g v o n S t a a t s a n w a l t N i g g a m 23 . D e z e m b e r 1943
« m a n g e l s h i n r e i c h e n d e r V e r d a c h t s g r ü n d e f ü r e i n e n s t r a f b a r e n
T a t b e s t a n d » : d e s g l e i c h e n endete « w e g e n L a n d e s a b w e s e n h e i t » das
V e r f a h r e n gegen F r i e d r i c h S c h w e n d . de r mi tbe te i l i g t e r s c h i e n . V g l .
L L A R F 2 3 8 / 1 9 4 . 3 0 . N o v e m b e r 1 9 4 2 , r ü c k s e i t i g e V e r m e r k e .
300) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 6 , S. 4 3 .
97
habe. 3 0 1 Aus den Gestapo- und SD-Meldungen wird
ersichtlich, dass für die deutschen Stellen, insbe-
sondere das RSHA, die Bereinigung der Angelegen-
heit Blaschke «ausserordentlich eilig» war. 3 0 2 Die
Beziehung Blaschkes zum SD stand unter Geheim-
haltung, auf seine Person bezogen sich die internen
Korrespondenzen unter stereotyper Verwendung
des Decknamens «Hacker(t)». Als eine Zusammen-
arbeit mit den liechtensteinischen Behörden erfor-
derlich wurde, sollte Blaschke als normaler Krimi-
nalfall gelten; gegenüber dem Unterhändler Karl
Kriener von der Gestapo Feldkirch unterstrich der
SD-Führer Dauser: «Dr. Vogt soll nicht erfahren,
was hinter der ganzen Angelegenheit s teckt». 3 0 3
Woher rührte die alarmierte Stimmung beim RSHA
und die wiederholte Befürchtung, die Schweizer
Behörden würden Rudolf Blaschke in Gewahrsam
nehmen? In der ersten Meldung des Gestapokom-
missars Hübner wurde lapidar von der «Festnah-
me des im Auftrage des Amt VI des RSHA tätigen
Hans Flackert» gesprochen. Eine gute Woche spä-
ter begab sich dessen «Geschäftspartner» Friedrich
Schwend nach Feldkirch, ebenso der SS-Führer
Groebl vom RSHA Amt VI (SD Ausland).
Aufgrund der damaligen Korrespondenz und
der nach dem Kriege erhobenen Auskünfte zu
deutschen Geheimdienstunternehmen lässt sich
die Dimension des Falschgeldfalles «Blaschke-
Schwend» abschätzen. Friedrich Schwend war
einer der erfolgreichsten deutschen Devisenver-
treiber und -beschaffer im Dienste der SS, des
Reichsfinanzministeriums und der militärischen
Abwehr. 3 0 4 Sein Deckname war «Wendig» (sie!).305
Rudolf Blaschke war einer von Schwends Agenten.
Seit Sommer 1942 ging eine Spezialabteilung des
Amtes VI daran, fälsche Pfundnoten in grosser Auf-
lage zu drucken. 3 0 6 Damit sollten einerseits das bri-
tische Währungssystem gestört, andererseits Devi-
sen zur Finanzierung eigener Geheimoperationen
beschafft werden. Friedrich Schwend organisierte
als logistischer Kopf des Unternehmens «Bern-
hard» den Vertrieb in Europa. Der damals 27-
jährige SS-Obersturmführer Wilhelm Groebl war
Schwend vom Amt VI als «Führungsmann» zuge-
teilt. 3 0 7 Als der Pfundvertrieb Blaschkes in Liech-
tenstein und der Schweiz aufflog, war auch Groebl
beunruhigt und instruierte die lokalen Stellen.
Huebner berichtete am 10. Dezember, dass Groebl
mit ihm gesprochen habe: «Der Fall ist einer der
delikatesten überhaupt. Ausser dem Reichsführer
[Heinrich Plimmler, d. Verf.] ist nur er [Wilhelm
Groebl, d. Verf.] und ein SS-Führer der SD-Leit-
stelle München orientiert. Selbst Dauser kennt die
Zusammenhänge nicht .» 3 0 8 Allerdings deckte der
SD noch weitere Verbindungen. In einem Bericht
des Reichsfinanzministeriums wird zum Fall
«Blaschke» nach Abschluss dem Auswärtigen Amt
gemeldet: Blaschke sei Ende November 1942 in die
Schweiz gereist, um unter anderem «einen Auftrag
zu erledigen, der unmittelbar vom Reichswirt-
schaftsministerium ausging und sich auf Devisen
bezog.» 3 0 0 Die SD-Führung in Berlin dürfte nach
Bekanntwerden der «Panne» in Liechtenstein das
grösste Interesse an einer Bereinigung in ihrem
Sinne gehabt haben. Eine Auslieferung des Devi-
senagenten an die Schweizer Behörden hätte das
laufende Falschgeld-Unternehmen einschliesslich
der damit betrauten Personen gefährdet. Diese
Dimensionen des Falles Blaschke blieben den
Liechtensteinern verborgen. Allerdings war auch
ihnen, der Regierung und dem Landrichter Risch,
klar, dass mit Blaschke kein gewöhnlicher Straf-
täter einsass. Alois Vogt erinnerte sich, dass Krie-
ner bei seinen Vorsprachen immer andeutungswei-
se geäussert habe: «<man glaubt bei uns>, <man
hofft bei uns>». 3 1 0 Die Übergabe des ad hoc ausge-
stellten Auslieferungsantrags gab Hoop und Vogt
Anlass, die Rechtswege der Gestapo als vorge-
schützte Formalie einzuschätzen und die Justiz für
eine baldige Erledigung einzubinden. Schliesslich
habe die Regierung Landrichter Risch um die Be-
schleunigung der Untersuchung gebeten.3 1 1 Indem
zugleich der Schein der Legalität gewahrt wurde,
suchten sich die Liechtensteiner gegenüber den
Schweizer Behörden abzusichern. Alois Vogt habe
bei der Lagebesprechung am 17. Dezember darauf
hingewiesen, dass eine Kautionsstellung und ein
Einvernahmeprotokoll von Schwend vorliegen
sollten, «falls die Schweizer Akteneinsicht ver-
langen würden» . 3 1 2
98
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
ZWEI ANFRAGEN DES SD-AUSLANDS-
GEHEIMDIENSTES A N ALOIS VOGT:
AKTION ROSL UND STEIMLE
Aufgrund der Aktenlage scheint Vogts SD-Vertrau-
ter Klaus Huegel an der Affäre um die Devisen-
schieber Schwend und Blaschke nicht direkt betei-
ligt. Allerdings soll ihn Alois Vogt auf den Vorgang
angesprochen haben, mit dem Wunsch, Huegel
möchte seinen Einfluss zur Verhinderung ähnlicher
Aktionen von Liechtenstein aus einsetzen." * Hue-
gels persönliche Beziehung zum liechtensteini-
schen Regierungsmann war nicht uneigennützig.
Für Hilfestellung bei nachrichtendienstlichen Un-
ternehmen des Amtes VI gelangte er seinerseits an
Alois Vogt. Zwei Vorgänge sind aus Huegels und
Vogts Erinnerungen rekonstruierbar. In deutschen
301) E b e n d a , S. 4 5 - 4 7 .
302) B A B D o s s i e r B l a s c h k e , F e r n s c h r e i b e n 9. D e z e m b e r 1 9 4 2 :
S c h m i d (Gestapo I n n s b r u c k ) an H ü b n e r (Greko B r e g e n z ) .
303) E b e n d a , F e r n s c h r e i b e n 5. D e z e m b e r 1 9 4 2 : K r i e n e r (Grepo
F e l d k i r c h ) a n H ü b n e r (Greko B r e g e n z ) .
304) A A P A , I n l a n d II g 515 a, 2 . O k t o b e r 1 9 4 2 : N o t i z P ico t ( A A ) z u
A n g a b e n de r Z o l l f a h n d u n g M ü n c h e n ü b e r S c h w e n d : D a n k s e i n e r
M i t w i r k u n g h ä t t e n M i l l i o n e n b e t r ä g e i n a u s l ä n d i s c h e r W ä h r u n g f ü r
D e u t s c h l a n d s icherges te l l t w e r d e n k ö n n e n .
305) Z u r P e r s o n F r i e d r i c h S c h w e n d s iehe W a l t e r H a g e n (= W i l h e l m
Höt t l ) : U n t e r n e h m e n B e r n h a r d , W e l s 1 9 5 5 , S. 1 0 2 - 1 2 2 .
306) B A B E 4 3 2 0 (B) 1 9 6 8 / 1 9 5 B d . 7 9 , aus d e m B e r i c h t des « S e c r e t
C o u n t e r In te l l igence W a r R o o m L o n d o n » ; s iehe a u c h Pe te r F e r d i -
n a n d K o c h : G e h e i m - D e p o t S c h w e i z . M ü n c h e n / L e i p z i g , 1 9 9 7 , S. 2 0 1 -
206 .
307) P A A V / 5 2 4 B u p o - V e r n e h m u n g K l a u s H u e g e l 1 9 4 6 . S. 3.
308) B A B D o s s i e r B l a s c h k e , F e r n s c h r e i b e n 10 . D e z e m b e r 1 9 4 2 :
H ü b n e r (Greko B r e g e n z ) a n S c h m i d (Ges tapo I n n s b r u c k ) .
309) A A , P A I n l a n d II g 5 1 5 a, 1 1 . F e b r u a r 1 9 4 3 : Dr. G a l l e i s k e
( F i n a n z m i n i s t e r i u m ) a n S i e d l e r ( A A ) .
310) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 6 , S. 4 5 .
311) E b e n d a , S. 4 3 .
312) B A B D o s s i e r B l a s c h k e , F e r n s c h r e i b e n 17 . D e z e m b e r 1 9 4 2 :
K r i e n e r (Grepo F e l d k i r c h ) a n G e b h a r d t (Greko B r e g e n z ) .
313) P A A V / 5 2 4 B u p o - V e r n e h m u n g K l a u s H u e g e l 1 9 4 6 , S. 3.
Traf Alois Vogt im Sommer
1943 in Berlin:
Eugen Steimle, Leiter des
SS-Auslandsnachrichten-
dienstes für Westeuropa
99
Fernmeldeprotokollen ist insbesondere die soge-
nannte Aktion Rosl gut dokumentiert. 3 1 4
«Rosl» war der Deckname einer Operation, die
von der SD-Amtsgruppe VI D im RSHA ausging. VI
D bearbeitete die «englisch-amerikanischen Ein-
flussgebiete». Gedacht war, einen deutschen Agen-
ten mit falscher Identitätsangabe per U-Boot in die
Vereinigten Staaten einzuschleusen. Klaus Huegel
wurde angefragt, Dokumente für eine Tarnidentität
in Liechtenstein zu beschaffen. Daraufhin habe
sich Fluegel nach eigener Aussage an Alois Vogt
gewandt, «ohne auf Zweck und Ziel näher einzu-
gehen». 3 1 5 Vogt sollte Papiere zustellen, die eine
Anfertigung von Passfälschungen ermöglicht hät-
ten. Für die technische Durchführung war die näm-
liche SD-Abteilung zuständig, die auch gefälschte
Pfundnoten fabrizierte. 3 1 6 Der deutsche Agent, so
war gedacht, wäre aufgrund liechtensteinischer
Dokumente mit der Identität eines Amerika-Aus-
wanderers der Dreissigerjahre versehen worden.
Laut Alois Vogt sei Huegel im Frühherbst 1943 in
der fraglichen Sache an ihn gelangt.3 1 7 Gemäss den
deutschen Protokollen setzten erste Kontakte mit
Vogt Ende August 1943 ein. Vogts Anlaufadresse
für die Überbringung der gewünschten Dokumente
war die Gestapostelle Feldkirch. Die lokale Gestapo
sandte Papiere und Situationsmeldungen nach Ber-
lin, die dortige RSHA-Abteilung VI D sowie Klaus
Huegel von der Auslandsgruppe VI B instruierten
im Gegenzug den Posten Feldkirch. Alois Vogt
überbrachte der Gestapo bis zum November 1943
Passunterlagen sowie Personendaten eines Josef
Büchel aus der liechtensteinischen Gemeinde Bal-
zers. Diese waren für die Planung des RSHA aber
unzureichend. Der deutsche USA-Agent benötigte
einen auf 1936 rückdatierten Ausweis Büchels, ge-
fragt waren Ausstellungsdatum und Passnummer
aus den Dreissigerjahren. Am 3. November 1943
teilte der Gestapo-Mann Kühnlein dem RSHA mit,
dass Alois Vogt betreffend der früheren Daten
Schwierigkeiten sehe. 3 1 8 Am 18. November wurde
dem RSHA gemeldet, dass «Nach Mitteilung des FI.
Dr. Vogt» die gewünschten Angaben nicht erhält-
lich seien, da die alten Passregister bis zum Jahre
1938 vernichtet wurden. 3 1 9
In den Fernmeldeprotokollen zogen sich die
deutschen Nachfragen bis in den Apri l 1944 hin
und liefen dann ohne Erfolg aus. Wie lassen sich
Vogts Verzögerungen gegenüber dem RSHA er-
klären? In den Fernschreiben wurde seit Beginn
der Aktion wiederholt nach Berlin gemeldet, dass
Dr. Vogt «Schwierigkeiten» bei der Datenbeschaf-
fung sehe, auch dass er sich in Liechtenstein dabei
«gefährden» würde. Vogt bestätigte den schweize-
rischen Vernehmungsbehörden, dass ihn Klaus
Huegel um die Übermittlung von Passmuster und
Heimatschein für einen deutschen Agenten ange-
gangen war. Huegel habe auf bisherige Dienste «im
Interesse Liechtensteins» hingewiesen. Nach an-
fänglicher Kooperation habe er, Vogt, dann die Sa-
che «wochen- und monatelang» hinausgezögert . 3 2 0
Die Mitteilung, dass die benötigten Passformulare
vor 1938 vernichtet wurden, entsprach nicht den
Tatsachen. Sie erschien Alois Vogt aber geeignet,
die Ausstellung des Passes durch den SD zu ver-
hindern. Auch den Grenzübertritt des deutschen
Agenten Feeser, der im April 1944 in Feldkirch auf-
tauchte, habe er schliesslich verweigert.3 2 1 Huegel
gab zu Protokoll, dass der besagte Agent, «um spä-
ter einem Verhör gewachsen zu sein, auch seine
angebliche Heimat [Liechtenstein, d. Verf.] in Au-
genschein nehmen» sollte. 3 2 2 «Dieses Ansinnen er-
klärte Dr. Vogt unmöglich durchführen zu kön-
n e n . » 3 2 3 Für Huegel endete die Aktion Rosl im April
1944. Gemäss Fernmeldekorrespondenz bemühten
sich Gestapo und RSHA noch bis in den August
1944 um die Beschaffung liechtensteinischer Per-
sonendaten und -dokumente. Alois Vogt scheint in
diesen späteren Quellen nicht mehr auf. 3 2 4
Neben der Aktion Rosl kam der SD im Sommer
1943 in einem anderen Zusammenhang auf den
liechtensteinischen Vizeregierungschef zu . 3 2 5 Alois
Vogt erinnerte ein Zusammentreffen in einem SS-
Heim am Wannsee in Berlin, wohin ihn Klaus Hue-
gel gelegentlich eines Berlinbesuchs einlud. Durch
Huegel lernte Vogt damals dessen Vorgesetzten,
den SS-Führer Eugen Steimle, Leiter der gesam-
ten Westeuropa-Gruppe im Auslands-SD, kennen.
Steimle sei nach einem ungezwungen und allge-
mein gehaltenen Gespräch konkreter geworden. Er
100
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
habe seine Unterstützung gegen die VDBL zugesagt
und Vogt dafür um Auskünfte aus dessen Verkehr
mit schweizerischen Behörden gebeten. Alois Vogt
habe erst ausweichend auf seine Arbeitsbelastung
in Liechtenstein hingewiesen, über die Schweiz sei
er «selbst auch sehr schlecht informiert.»
Steimle drängte nicht. Später, seiner Erinnerung
nach «etwa September oder Oktober 1943», also
parallel zur Aktion Rosl, wurden Vogt durch die
Gestapo Feldkirch Fragebogen zu «Politik und
Wirtschaft in der Schweiz» und zu «Auffassungen
über den Kriegsverlauf» zugestellt. Vogt konnte
sich nach Kriegsende an konkrete Frageinhalte er-
innern, derart ob ein Sektionschef im EPD zu Wirt-
schaftsverhandlungen in die USA fahre oder ob auf
einem bestimmten Flugplatz in der Schweiz alli-
ierte Kursflugzeuge landeten.3-6 Nach anfänglicher
Überlegung, die Fragebogen den Schweizer Behör-
den vorzulegen, habe sie Vogt schliesslich zer-
rissen. Bei seinem letzten Zusammentreffen mit
Steimle im Frühjahr 1944 sei dieser nicht mehr auf
die Anfragen zurückgekommen. 3 2 7
325) E i n z i g e d i e s b e z ü g l i c h e Que l l e s i n d die V e r n e h m u n g s a u s s a g e n
Vogts 1946 . Die A n g a b e n s t ü t z e n s i c h a l so auf: B A B B u p o - V e r n e h -
m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 6 . S. 1 9 - 2 3 .
326) A l o i s Vogts E r i n n e r u n g e r s c h e i n t i n D a t i e r u n g u n d Deta i l s
g l a u b h a f t . D ie d e u t s c h e n G e h e i m d i e n s t e ha t t en 1 9 4 3 i n E r w a r t u n g
e i n e r a l l i i e r t e n L a n d u n g a u f d e m e u r o p ä i s c h e n F e s t l a n d ein s t a rkes
Interesse an d e r p o l i t i s c h - m i l i t ä r i s c h e n H a l t u n g de r S c h w e i z .
327) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 6 , S. 2 2 .
314) B A B E 4 3 2 0 (B) 1 9 8 4 / 2 9 B d . 57, D o s s i e r « A k t i o n R o s l » , S B A
6. N o v e m b e r 1945 ; i m f o l g e n d e n z i t i e r t als B A B D o s s i e r R o s l .
D a t u m des F e r n s c h r e i b e n s / K o r r e s p o n d e n t e n .
315) P A A V / 5 2 4 B u p o - V e r n e h m u n g K l a u s H u e g e l 1 9 4 6 . S. 1.
316) Das w a r d ie A b t e i l u n g VI F un te r Doerne r . E i n e r von D o e r n e r s
M i t a r b e i t e r n w a r der f ü r die F a l s c h g e l d - O p e r a t i o n « B e r n h a r d »
z u s t ä n d i g e S S - F ü h r e r B e r n h a r d K r ü g e r , e in « K r u e g e r » v o m A m t VI
taucht a u c h in d e n F e r n m e l d e p r o t o k o l l e n z u r A k t i o n R o s l auf.
317) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 6 . S. 36 .
318) B A B D o s s i e r R o s l . F e r n s c h r e i b e n 3. N o v e m b e r 1 9 4 3 : K ü h n l e i n
(Grepo F e l d k i r c h ) an C a r s t e n n ( R S H A ) . D e r S D - F ü h r e r F r i e d r i c h
C a r s t e n n w a r z u r Ze i t de r A k t i o n R o s l z u s t ä n d i g f ü r d e n B e r e i c h
N o r d a m e r i k a .
319) E b e n d a . F e r n s c h r e i b e n 18 . N o v e m b e r 1943 : K ü h n l e i n (Grepo
F e l d k i r c h ) an C a r s t e n n ( R S H A ) .
320) B A B B u p o - V e r n e h m u n g A l o i s Vogt 1 9 4 6 , S. 36 .
321) E b e n d a , S. 36 f.
322) P A A V / 5 2 4 B u p o - V e r n e h m u n g K l a u s H u e g e l 1 9 4 6 . S. 1.
323) E b e n d a . V g l . a u c h B A B D o s s i e r R o s l , F e r n s c h r e i b e n 20 . A p r i l
1944: K r i e n e r (Grepo F e l d k i r c h ) an H o l t m a n n (Greko B r e g e n z ) .
324) B A B Doss i e r R o s l . F e r n s c h r e i b e n 2 7 . J u l i 1 9 4 4 u n d 4. A u g u s t
1 9 4 4 .
101
Resümee:
Zu Umständen und Interessen-
lagen der reichsdeutschen
Kontakte Alois Vogts
Alliierte Untersuchungsbehörden sprachen von
den Anstrengungen Dr. Vogts, Liechtenstein dem
Deutschen Reich einzuverleiben. 3 2 8 Sie stützten ihr
Urteil auf Akten aus dem deutschen Dienstverkehr.
Demgegenüber erklärte die Zeitung «Liechtenstei-
ner Vaterland» kurz nach Kriegsende Alois Vogt
mit Blick auf die Putschabwehr 1939 zum Retter
des Landes vor einem drohenden Anschluss. 3 2 9
Beide Beurteilungen hatten zweierlei gemeinsam:
der Beurteilte selber, Alois Vogt, kam nicht oder
nur vermittelt zu Wort. Schliesslich wurden in
beiden Fällen einzelne Vorgänge aus Vogts Re-
gierungsmitarbeit herausgehoben. Und auch diese
waren einseitig, allein aus deutschen Einschät-
zungen beziehungsweise der Patriotismuspflege
von Vogts Partei, der VU, zur Kenntnis gebracht.
Ein Teil wurde fürs Ganze genommen, Legenden-
bildung setzte ein. Der Wunsch nach eindeutigen
Identifikationsfiguren, Übeltätern oder Helden, er-
schwerte, ja verhinderte eine differenzierte Be-
trachtung. Letztere kann mittlerweile an Vogts um-
fangreich festgehaltene Aussagen vor dem liechten-
steinischen Landgericht und der schweizerischen
Bundespolizei nach 1945 anknüpfen. Unter dem
Druck informierter Vernehmungsbeamter war Vogt
um Rechtfertigung seiner Geheimkontakte bemüht,
zugleich aber genötigt, deren genauere Umstände
auszuführen. Seine protokollierten Erinnerungen
an einzelne Phasen der Kriegsdiplomatie ermögli-
chen aufgrund ihrer Detaillierung und Vergleich-
barkeit mit anderen Dokumenten ein genaueres
Bild der jeweiligen Vorgänge.
Was lässt sich zum Ablauf der Geheimdiplomatie
aussagen? In welchen Interessenlagen handelte
Vogt, welche Rücksichten wurden im Laufe des
Krieges massgebend? Eine Diplomatie der infor-
mellen, persönlichen Kontaktpflege im Deutschen
Reich war von Liechtensteins Regierungschef Dr.
Josef Hoop bereits in den Dreissigerjahren einge-
setzt worden. Aus einer Position der strukturellen
Schwäche heraus, bestimmt von prekärer Wirt-
schaftslage und dem Abstimmungsbedarf mit dem
Zollvertragspartner Schweiz, wurde um reichs-
deutsche Gunst geworben. Ein vertraulicher Gestus
der staatlichen Selbstverkleinerung, äusserliche
Anpassung und - mit Rücksicht auf die Schweiz -
Zurückhaltung gegenüber institutionellen Bindun-
gen finden sich sowohl bei Regierungschef Hoop
als auch bei dessen Stellvertreter Vogt. Solches ist
nicht Beleg für konspirative Linien, sondern Aus-
druck einer liechtensteinischen Verlegenheit, das
grösstmögliche Verständnis des Mächtigeren mit
kleinstmöglicher Rückwirkung zu verbinden. Hoop
und Vogt behaupteten ihre freundlich-entgegen-
kommende Diplomatie im Deutschen Reich sowohl
im Inland wie gegenüber den schweizerischen
Behörden. Misstrauen begegnete ihnen auf bei-
den Seiten. 3 3 0 Bei heiklen Absprachen mit Gestapo,
SD- oder VOMI-Beamten im Grenzraum traten
Hoop und Vogt gemeinsam in Aktion, der gegen
das Hitlerregime eingestellte Regierungsrat und
katholische Priester Anton Frommelt, Parteigänger
Hoops, blieb hierbei weitgehend unbeteiligt. Den-
noch exponierte sich Alois Vogt ungleich stärker als
FIoop, galt bei Gestapo, Auswärtigem Amt und
SS als «Vertrauensmann» und war ab 1941 bis
Kriegsende wohl der einzige Vertreter der Kolle-
gialregierung im Reichsgebiet jenseits Vorarlbergs.
In seiner Anpassungs- und Verständigungsbereit-
schaft ging der deutschnational geprägte Landes-
politiker weiter als sein konservativer Chef. Laut
den SD-Meldungen des Sommers und Herbstes
1940, zur Zeit der deutschen Siege im Westen, soll
Vogt an Anschlussbesprechungen interessiert ge-
wesen sein.
War für Vogt, anders als für Hoop, Liechten-
steins Eigenstaatlichkeit eine historisch erledigte
Kategorie? Die deutschen Quellen der Jahre 1940
und 1941 sind die einzigen, in denen Vogt Angliede-
rungsangebote explizit zugeschrieben werden. Bei
genauerer Analyse zeigt sich, dass Vogt im schma-
len Horizont des Krieges mit einem absehbar
deutschbestimmten Europa rechnete. Er wog tak-
tierend verschiedene Loyalitäten ab und wurde
gerade in jenen Jahren, und vehementer als Regie-
rungschef Hoop, von unterschiedlichen Interessen-
ten beansprucht: von der VDBL, die den Anschluss
verfolgte, Vogt persönlich bedrängte und ihrer-
seits Verbindung mit Reichsstellen suchte; von den
schweizerischen Behörden in Bern, die das Lavie-
102
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
ren der Liechtensteiner beargwöhnten und Ver-
tragstreue forderten; von Funktionären im SD, der
Gestapo und im Auswärtigen Amt, die profilie-
rungsbedacht und in teilweiser Konkurrenz den
328) L L A O . S . S a m m e l a k t N S . D o k . Nr . 4 8 4 8 3 6 , 2 0 . J u n i 1 9 4 7 :
U . S . F o r e i g n Of f i ce /S ta t e D e p a r t m e n t : « T h e d o c u m e n t s on the
P r i n c i p a l i t y o f L i e c h t e n s t e i n r e v e a l the e f fo r t s o f its D e p u t y P r i m e
M i n i s t e r (Dr. Vogt) to i n c o r p o r a t e it i n the R e i c h . . . » .
329) L V a t e r l a n d 12. M a i 1 9 4 5 .
330) B A B E 2 0 0 1 (E) 1 9 6 9 / 2 6 2 B d . 4 0 . 28 . M a i 1 9 4 7 : S c h r e i b e n
Dr. Robe r t J e z l e r ( E J P D , Pol ize iab t . ) a n B u n d e s r a t v o n S te iger ( E J P D ) :
H o o p u n d Vogt h ä t t e n i m M a i 1942 o h n e t r i f t i g e n G r u n d i n B e r n
v o r g e s p r o c h e n u n d H o o p h ä t t e s i c h a b s c h l i e s s e n d a u f W u n s c h e ines
h o h e n d e u t s c h e n P a r t e i f u n k t i o n ä r s n a c h d e m aus D e u t s c h l a n d
g e f l o h e n e n G e n e r a l H e n r i H o n o r e G i r a u d e r k u n d i g t . J e z l e r k o m m e n -
tierte: « D i e f r ü h e r e l i e c h t e n s t e i n i s c h e R e g i e r u n g l iess s i c h , g e r n o d e r
u n g e r n , v o n d e u t s c h e n B e h ö r d e n i n d e r e n In te ressen < e i n s p a n n e n > » .
Spähen über die Reichs-
grenze im Mai 1945:
Rechtsanwalt Dr. Johannes
Fäh aus Uznach (SG),
Hauptmann und seit
August 1945 VBI-Präsi-
dent (links) sowie Dr. Alois
Vogt (rechts), beide einen
Hut tragend
103
Nebenschauplatz Schweiz/Liechtenstein bearbeite-
ten. In dieser Konstellation handelte Vogt eigen-
mächtig und gewagt, seine Bindung an das landes-
politische Reservat und dessen Regierungschef
blieb bestehen: Die für Liechtenstein essentielle
Arbeitsmarktöffnung der Schweiz wurde mit Ge-
schick ausgehandelt, die de facto verfolgte Annähe-
rung an den Zollvertragpartner mit weitgehenden
Unterredungsangeboten im Reich heruntergespielt.
Über das ihn betreffende Drängen der VDBL-
Landesleitung setzte Vogt Regierungschef Hoop in
Kenntnis.
Vogt begann im Sommer 1940 seine eigenen
Verbindungen zu Stellen im Deutschen Reich aus-
zubauen als sich Hoop aus eben diesem Feld
zurückzog. Weder war Vogts Kontaktnetz planvoll
geknüpft noch zeigte sich darin über die Kriegs-
jahre die Linie einer eigenen, die Haltung des
Fürsten und des Regierungschefs hintertreibenden
Anschlusspolitik. Vogt suchte Anhaltspunkte zur
deutschen Position gegenüber Liechtenstein und
verliess sich dabei auf seine nächstliegenden per-
sönlichen Verbindungen zu lokalen Stellen des SD.
Zur Einfädelung erster Kontakte wurden Erwar-
tungen genährt und das von der VOMI gepflegte
Bild des loyalen Aussenpostens im Fürstentum
bestätigt. In der deutschen Wahrnehmung wurden
Vogts anfängliche «Fühlungnahmen» mit den
VDBL-Anschlussbestrebungen identifiziert. Nach-
dem Vogt weiteren Einblick in diverse Instanzen
der liechtensteinbezogenen Volkstumspolitik er-
hielt, änderten sich das Auftreten und die Einschät-
zung des Politikers durch seine deutschen An-
sprechpartner. Vogt eröffnete sich zwischen rivali-
sierenden Abteilungen der SS und des Auswärtigen
Amtes in Berlin ein kleiner Spielraum taktischer
Reserven. Liechtenstein, diesen Eindruck mag Vogt
seit 1941 mehrheitlich erhalten haben, hatte zu-
sammen mit der Schweiz keine strategische Prio-
rität. Entscheidungen und Absprachen galten aber
auch auf deutscher Seite «vorläufig»: In den Vor-
zimmern der Macht wurden Vogt gegenüber Beru-
higungen und Drohungen ausgesprochen. Der
Vizeregierungschef zeigte sich bereit zur völki-
schen Zusammenarbeit. Bei konkreten Forderun-
gen wurde er unverbindlich, verzögerte und di-
stanzierte sich vom anfänglichen Entgegenkom-
men. Gewagt waren seine informellen Treffen auch
hinsichtlich seiner persönlichen Sicherheit. Seit
1942 war Deutschland alliierten Flächenbombar-
dements ausgesetzt, hinter den Kooperationswün-
schen höherer SS-Offiziere stand ein gewaltbereiter
Apparat.
Vogts Verbindungen zu Reichsvertretern wurden
über persönliche Sympathien und in Erwartung
gegenseitiger Nützlichkeit aufrechterhalten. Hilfe-
stellung in liechtensteinischen Belangen fand Vogt
insbesondere bei seinem SD-Vertrauten Klaus Hue-
gel. Dieser vermittelte jene Kontakte, die im Früh-
jahr 1943 zur «Entsorgung» der VDBL führten.
Vogt gab seinerseits den Deutschen dienliche Doku-
mente und für diese verwertbare Einschätzungen
der politischen Lage weiter. Den Bruch mit gesetz-
lichen Bestimmungen nahm er dabei in Kauf. Für
reichsdeutsche Funktionäre unter Erfolgsdruck
war insbesondere die kooperative Bereinigung von
«Störfällen» am Rande von Nutzen: die Abwicklung
des Märzputsches 1939 oder die Enthaftung des
Devisenagenten Blaschke Ende 1942.
Alois Vogt rechtfertigte im Juli 1945 in einer
Parteiversammlung seine und Regierungschef
Hoops Verstrickungen mit deutschen Stellen. We-
nig heroisch meinte er: «Wir haben das Land ... in
aller Form, das möchte ich einmal sagen, durch die
Weltgeschichte durchgeschwindelt .» M 1
331) R A A V / 6 3 9 Rede A l o i s Vogt . 15 . J u l i 1 9 4 5 . S. 7.
104
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
QUELLEIWERZEICHNIS
ÖFFENTLICHE ARCHIVE
Liechtensteinisches Lan-
desarchiv Vaduz(LLA)
Österreichisches Staats-
archiv Wien (ÖStA)
Politisches Archiv des
Auswärtigen Amtes Bonn
(AA, PA)
Schweizerisches Bundes-
archiv Bern (BAB)
Staatsarchiv Nürnberg
(StAN)
Vorarlberger Landesarchiv
Bregenz (VLA)
Universitätsarchiv Wien
(UAW)
PRIVATARCHIVE
UND ZEITZEUGEN-
INTERVIEWS
Privatakten Alois Vogt
(PAAV)
Interview mit Dr. Klaus
Huegel, Tettnang, 1. Mai
1997.
Interview mit Dr. Rudolf
Rheinberger, Vaduz,
23.Januar 1997.
Interview mit Emanuel
Vogt t, alt Gemeinde-
vorsteher, Balzers,
27. November 1996.
OUELLENEDITIONEN
Akten der Partei-Kanzlei
der NSDAP. Hrsg. Institut
für Zeitgeschichte.
München/London/New
York/Paris, 1983-1992,
Bde. 1-4.
Kurzbeleg: Akten PK
NSDAP.
Akten zur Deutschen
Auswärtigen Politik
1918-1945. Archiv des
Auswärtigen Amtes.
Baden-Baden 1953-1970,
Serie D, 1937-1941.
Kurzbeleg: ADAP D.
Diplomatische Dokumente
der Schweiz 1848-1945.
Bd. 13: 1939-1940. Bern,
1990-1992.
Kurzbeleg: DDS.
VERWENDETE
LITERATUR
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Der Zweite Weltkrieg und
die Schweiz. Zürich, 1997.
Bedürftig, Friedemann;
Zentner, Christian: Das
grosse Lexikon des Dritten
Reiches. München, 1985.
Biedermann, Klaus: Der
Liechtensteiner Heimat-
dienst 1933-1935. Drei
Jahre Kampf gegen den
Parteienstaat für eine
berufsständische Ordnung.
Seminararbeit Univ. Bern,
1991.
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nehmen Bernhard. Die
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JBL 95 (1998), S. 1-48.
106
«DER EINZIGE MANN, DER DIE SACHE AUF SICH
NEHMEN KÖNNTE ...» / JÜRGEN SCHREMSER
ABKÜRZUNGEN
AA
Auswärtiges Amt
AA, PA
Politisches Archiv des
Auswärtigen Amtes
ADAP
Akten zur Deutschen
Auswärtigen Politik
BAB
Bundesarchiv Bern
Bupo
Bundespolizei (schweize-
rische)
DDS
Diplomatische Dokumente
der Schweiz
EJPD
Eidgenössisches Justiz-
und Polizeidepartement
EMD
Eidgenössisches Militär-
departement
EPD
Eidgenössisches Politi-
sches Departement
FBP
Fortschrittliche Bürger-
partei
Gestapo
Geheime Staatspolizei
Greko
Grenzpolizeikommissariat
(Gestapo)
Grepo
Grenzpolizeiposten
(Gestapo)
GWU
Geschichte in Wissenschaft
und Unterricht
JBL
Jahrbuch des Historischen
Vereins für das Fürsten-
tum Liechtenstein
LGB1.
Landesgesetzblatt
LHD
Liechtensteiner Heimat-
dienst
LLA
Liechtensteinisches Lan-
desarchiv
LPS
Liechtenstein Politische
Schriften
LTP
Landtagsprotokoll(e)
LVaterland
Liechtensteiner Vaterland
LVolksblatt
Liechtensteiner Volksblatt
NS/ns.
Nationalsozialismus
(Nationalsozialisten)/
nationalsozialistisch
NSDAP
Nationalsozialistische
Deutsche Arbeiterpartei
O.S.
Ohne Signatur
ÖStA
Österreichisches Staatsar-
chiv
PAAV
Privatakten Alois Vogt
PK
Partei-Kanzlei (NSDAP)
Polit. Abt.
Politische Abteilung (AA)
Promi
Propagandaministerium
RAM
Reichsaussenmi nister
RSHA
Reichssicherheitshauptamt
(Zentrale von SD. Krimi-
nalpolizei und Gestapo)
SBA
Schweizerische Bundesan-
waltschaft (EJPD)
SD
Sicherheitsdienst der SS
SD LA
Sicherheitsdienst Leit-
abschnitt
SS
Schutzstaffeln der NSDAP
StAN
Staatsarchiv Nürnberg
UAW
Universitätsarchiv Wien
VBI
Verwaltungsbeschwerde-
instanz im Fürstentum
Liechtenstein
VDA
Volksbund für das
Deutschtum im Ausland
VDBL
Volksdeutsche Bewegung
in Liechtenstein
VLA
Vorarlberger Landesarchiv
VOMI
Volksdeutsche Mittelstelle
(SS)
VP
Volkspartei (Christlich-
soziale)
VU
Vaterländische Union
107
ABBILDUNGSNACHWEIS
S. 52: PAAV
S. 61 oben: PAAV
S. 61 unten: LLA B 273/1/
128
S. 69: Bundesarchiv Berlin
S. 73: Bundesarchiv Berlin
S. 74: PAAV
S. 76: Bundesarchiv
Koblenz
S. 77: Bundesarchiv Berlin
S. 78: PAAV
S. 94: Schweizerisches
Bundesarchiv Bern
S. 99: Bundesarchiv Berlin
S. 103: LLA BS 6/39 u.
ANSCHRIFT DES AUTORS
Mag. Jürgen Schremser
Pradafant 24
FL-9490 Vaduz
108
LANDESVERRAT:
DER FALL DES 1944
IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN
A L F R E D QUADERER
PETER GEIGER
Inhalt
1. EINLEITUNG 111
Fragestellung, Quellengrundlagen I I I
Verrat, Spionage, Landesverrat 112
2. LANDESVERRÄTER-URTEILE IN DER
SCHWEIZ IM ZWEITEN WELTKRIEG 113
Übersicht und Liechtensteiner Anteil 113
Todesurteile und Hinrichtungen 113
3. DER FALL «QUADERER, ROOS UND
KONSORTEN» 115
Alfred Quaderer und sein Umfeld 115
Die konkreten Straftaten 118
Der Militärgerichtsprozess 120
Warum das Todesurteil? 121
Warum keine Begnadigung? 123
Die Hinrichtung am 7. Juni 1944 128
4. INFORMATION DER ÖFFENTLICHKEIT
UND REAKTIONEN 131
5. FRAGEN ZUM FALL QUADERER 137
Rechtsstaatliches Verfahren? 137
Strafzwecke: Abschreckung, Sühne,
Gerechtigkeit? 137
Was hätte Quaderer vor einem liechten-
steinischen Gericht erwartet? 137
Landesverräter auch gegenüber
Liechtenstein? 138
Verhältnismässigkeit: Den Kleinen
gehängt? 139
6. ZEIT UND MENTALITÄT 140
Quellen und Literatur 141
110
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
1
Einleitung
Am 6. Juni 1944 begann an der französischen
Westküste in der Normandie die grosse westalli-
ierte Invasion. In jenen folgenden Junitagen ent-
schied sich nicht nur das Schicksal Hitlerdeutsch-
lands, sondern endete auch das Leben unzähliger
einzelner Soldaten und Personen in der Schlacht,
wie es etwa der Spielfilm «Saving Private Ryan»
(1998) veranschaulicht. Am zweiten Invasionstag,
dem 7. Juni 1944, wurde auch das Leben des 24-
jährigen Liechtensteiners Alfred Quaderer aus
Schaan beendet: Er wurde in der Schweiz als Spion
und Landesverräter erschossen.
Damals erfuhr man im Fürstentum von der Hin-
richtung Quaderers. Sie wurde in den Radionach-
richten mitgeteilt. Doch wusste man schon seiner-
zeit nur Vages zur ganzen Sache. Seither hat sich
auch das Wenige fast ganz verloren. Im Folgenden
soll der ausserordentliche Fall des Alfred Quaderer
detailliert dargelegt und analysiert werden, mit
Blick auch auf sein Umfeld, den Fakten folgend,
aus den Quellen dokumentiert.
FRAGESTELLUNG, QUELLENGRUNDLAGEN
Die einen Liechtensteiner betreffende Landesver-
räter-Hinrichtung gibt Anlass zu einer Reihe von
Fragen. Was bedeutete Landesverrat damals in der
Schweiz? Warum erfasste die Todesstrafe auch
Liechtensteiner? War er der einzige? Was hatte er
konkret verübt? Welches waren seine Motive? War
er sich der Schwere und der Konsequenzen seines
Handelns bewusst? Wie lief das Strafverfahren ab?
Hätte man ihn nicht begnadigen können? Unter-
nahm man von Liechtenstein aus etwas für ihn?
Unter was für Umständen erfolgte die Hinrichtung?
Was erfuhr die Öffentlichkeit und wie reagierte
sie? Wäre Quaderer in Liechtenstein auch als Lan-
desverräter abgeurteilt worden? Hat man mit ihm
den sprichwörtlichen Kleinen exekutiert?
Die Quellengrundlagen für die nachfolgenden
Ausführungen sind vielfältig. Sie sind am Ende des
Beitrags im Einzelnen aufgeführt. Daher wird auf
Anmerkungen verzichtet, diese wären sehr zahl-
reich und würden sich ständig wiederholen. Alle
Aussagen, puzzleartig gewonnen, sind aus den an-
gegebenen Quellen überprüfbar. Zu nennen sind
insbesondere die Archivakten im Bundesarchiv in
Bern - für die der Oberauditor der Schweizer
Armee dem Verfasser die Einsichtnahme speziell
erlaubt hat - , im Landesarchiv in Vaduz und im
Staatsarchiv St. Gallen. Das gerichtliche Hauptdos-
sier zu Alfred Quaderer ist zwar gegenwärtig im
Bundesarchiv in Bern nicht auffindbar, doch lässt
sich praktisch alles aus den Akten der übrigen
Prozessbeteiligten, welche drei grosse Aktenbündel
füllen, erschliessen. Vieles enthielten auch die 1945
und 1946 gedruckten offiziellen Berichte von Gene-
ral Guisan, des Schweizer Generalstabschefs, des
Armeeauditors und des Sicherheitsdienstes der
Schweizer Armee über die Aktivdienstzeit von 1939
bis 1945. Für schweizerische Zeitungsmitteilungen
von 1944 sind der «Werdenberger & Obertoggen-
burger», das «St. Galler Tagblatt» und die «Ost-
schweiz» genutzt, ebenso das «Liechtensteiner
Volksblatt» und das «Liechtensteiner Vaterland»
durchgesehen worden. Zeitzeugen haben dem Ver-
fasser Auskünfte zum Thema gegeben, so vorab
Fürst Franz Josef II. und der damalige Schaaner
Pfarrer Johannes Tschuor sowie einige weitere
Personen. Doch ausser Episodischem wussten und
wissen die Zeitzeugen wenig zum Fall Quaderer,
vor allem nicht die konkreten Einzelheiten, Taten
und Zusammenhänge.
Der Zürcher Strafrechtler Peter Noll hat 1980
sein Buch «Landesverrat, 17 Lebensläufe und To-
desurteile» publiziert. Darin analysiert er die
Gerichtsakten der in der Schweiz hingerichteten
Landesverräter im Hinblick auf das rechtsstaat-
liche Verfahren. Allerdings hat Noll - als Bedingung
für Akteneinsicht - alle Namen geändert, selbst in
Quellenzitaten. So ist auch der bei Noll aufschei-
nende «Max Gisinger, Schwyz» blosses Pseudonym,
dem Leser allerdings kaum als solches erkennbar
und zu unliebsamen Verwechslungen geeignet. In
Wirklichkeit verbirgt sich darunter nämlich der
damals in Zug lebende Alfred Quaderer. Dennoch
ist Nolls Buch für die Kernfrage der Rechtsstaat-
lichkeit des Gerichtsverfahrens zentral und auch zu
vielen Detailfragen aufschlussreich. Schliesslich
111
hat Nikiaus Meienbergs faktenmässig sehr gut re-
cherchierte, kritisch wertende Reportage von 1975,
«Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S.»,
einige wertvolle Hinweise auch zum Fall Quaderer
geliefert.
Das Problem der Namen: Mit Pseudonymen hat
Noll 1980 die Täter anonymisiert. Selbst der sonst
so ungenierte Meienberg nennt 1975 Verräterna-
men nur mit Anfangsbuchstaben, so «Ernst S.» für
den von ihm beschriebenen Ernst Schrämli, «Q.»
für den einmal beiläufig angesprochenen Alfred
Quaderer, «R.» für dessen Komplizen Kurt Roos. In
der Kriegszeit hingegen waren Namen und Per-
sonalien von Verurteilten und Hingerichteten am
Schweizer Radio verlesen und als amtliche Mittei-
lungen mehrfach in den Zeitungen veröffentlicht
worden. Ebenso sind die wichtigeren verurteilten
Spione in den offiziellen Berichten des General-
stabschefs und des Armeeauditors von 1945/46
offen genannt, damals und seither für jedermann
zugänglich.
Setzt man, wie es hier im Folgenden geschehen
soll, die zahlreichen Fakten und Daten aus allen
oben genannten Quellen zusammen, so ergibt sich
ein recht dichtes und klares Bild des Falles. Dabei
werden die realen Namen der Handelnden genannt
- sie waren seinerzeit schon öffentlich - , nicht um
ihr Andenken zu schmälern, sondern um die histo-
rische Wirklichkeit objektiv wiederzugeben, Ver-
wechslungen zu vermeiden und auch um ihnen
selber und den damals Lebenden und Handelnden
gerecht zu werden.
Der Verfasser dankt: Dem Personal des Bundes-
archivs, speziell dem Oberauditor der Armee für
die Einsichtnahme in die Prozessakten im Bundes-
archiv Bern; dem Personal des Landesarchivs in
Vaduz, jenem des Staatsarchivs St. Gallen, hier
Dr. Silvio Bucher, sowie des Staatsarchivs Zürich;
des Stadtarchivs Zug, hier Dr. Christian Raschle;
den Zeitzeugen, insbesondere Fürst Franz Josef IL,
Pfarrer Johannes Tschuor, Schaan, Professor Ar-
min Linder, St. Gallen, und Ing. Meinrad Lingg,
Schaan; für Einzelmitteilungen weiteren Personen,
besonders auch Hermann Quaderer, Schaan, und
Erich Quaderer, Vaduz, Neffen von Alfred Quade-
rer; ebenso Professor Ernst Nigg, Vaduz, für Ein-
sicht in nachgelassene Papiere seines Vaters, des
damaligen Regierungssekretärs Ferdinand Nigg;
für Einzelauskünfte verschiedenen Behördenstel-
len in Liechtenstein und in der Schweiz, so Hans
Meier von der Landespolizei, Vaduz, dem Zivil-
standsamt in Vaduz, dem Zivilstandsamt der Stadt
Zug, hier Irene Schwendimann, dem Zivilstands-
amt der Stadt Zürich; dem Kommandanten der
Festung Sargans, Oberst Ulrich Bär; schliesslich
dem Liechtenstein-Institut in Bendern und dessen
Personal, insbesondere der Bibliothekarin Eva
Rückstätter. Für die Besorgung der Abbildungsvor-
lagen sei dem Jahrbuch-Redaktor lic. phil. Klaus
Biedermann, der Buchgestalterin Silvia Ruppen
sowie der Schaaner Gemeindearchivarin lic. phil.
Eva Pepic gedankt.
Der vorliegende Beitrag erwächst als Neben-
produkt aus dem umfassenden Forschungsprojekt
«Liechtenstein im Zweiten Weltkrieg», welches der
Verfasser am Liechtenstein-Institut in Arbeit hat.
VERRAT, SPIONAGE, LANDESVERRAT
Verrat wurde und wird in allen Gemeinschaften
als schlimmstes, schändlichstes Vergehen einge-
stuft. Durch die Verratshandlung verbündet sich
die Verräterperson mit dem Feind. Verraten kann
man Geheimnisse oder Personen oder die Gemein-
schaft als Ganzes. Geheimnisverrat wird landläufig
als Spionage umschrieben. Auseinanderzuhalten
sind hierbei militärischer, wirtschaftlicher und
politischer Nachrichtendienst, ebenso die Länder,
gegen welche dieser sich richtet oder denen er
dient. Die Begriffe «Verrat», «Verräter» wurden
seinerzeit im Sprachgebrauch unscharf umgrenzt.
In Liechtenstein rief man den Hitleranhängern als
Schimpfwort «Verröter!» nach. Damit meinte man
den Verrat an der Gemeinschaft als Ganzem, im
Sinne von Landesverrat.
Nicht alle Spionage ist Landesverrat. Als Lan-
desverrat wurden in der Schweiz Verratshandlun-
gen gewertet, die gegen das existentielle Landes-
interesse, nämlich das Überleben der Schweiz im
112
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADER ER / PETER GEIGER
2
Landesverräter-Urteile
in der Schweiz
im Zweiten Weltkrieg
Zweiten Weltkrieg, gerichtet waren. Spionage, die
ein fremdes Land betraf und sich nicht gegen die
Schweiz richtete, war nicht Landesverrat, sondern
verbotener Nachrichtendienst. Im politischen Be-
reich galt auch das Bemühen nationalsozialisti-
scher Schweizer, die Schweiz ans Dritte Reich
anzuschliessen, als Landesverrat. Doch war die
Todesstrafe gegen politische Landesverräter in der
Schweiz nicht möglich; gegen solche Schweizer
sprach man lange Gefängnisstrafen aus, ab 1943
konnte man sie, wenn sie im Reich weilten, aus-
bürgern. Um diesen politischen Landesverrat geht
es hier aber nicht. Die schweizerischen Landes-
verräter-Urteile ergingen wegen militärischer Spio-
nage und Sabotage zum Nachteil der Schweiz. So
auch im Fall des Alfred Quaderer und der mit ihm
in der Schweiz Verurteilten.
Besonders merkwürdig erscheint der Umstand,
dass mit Quaderer ein Liechtensteiner als schwei-
zerischer Landesverräter hingerichtet wurde. Der
Tatbestand des Landesverrats war nicht auf
Schweizerbürger beschränkt, er betraf auch Per-
sonen, welche in enger Verbindung zur Schweiz
standen. Hier war Liechtenstein inbegriffen, ge-
rade in der Kriegszeit.
Man mag schliesslich fragen, wozu die folgen-
de Ausbreitung der Einzelheiten, bis hin zu den
sehr konkreten Hinrichtungsmomenten, denn die-
ne. Alfred Quaderers Einzelschicksal wirft Licht-
kegel in dunkle Ecken, in Verwicklungen und Zu-
sammenhänge der Kriegszeit, auf das soziale Um-
feld, auf parallele Lebensläufe, auf Mentalitäten,
auf banale Motive für Verratshandlungen ebenso
wie auf existentielle Staatsinteressen, auf Politik-
felder der Schweiz, Liechtensteins und des Dritten
Reiches. Schärfe und Nähe der Lichtkegel machen
erst die realen Details sichtbar, aus denen die Ein-
zelleben bestehen und das Ganze der Geschichte
sich webt.
ÜBERSICHT UND LIECHTENSTEINER ANTEIL
In der Schweiz wurden wegen militärischen Lan-
desverrats im Laufe des Krieges und bis zum Ende
des Aktivdienstes - das heisst bis zum 20. August
1945 - insgesamt 33 Todesurteile ausgesprochen,
daneben noch 50 lebenslange Zuchthausstrafen so-
wie weitere 218 zeitliche Zuchthausstrafen. Todes-
urteile gab es danach keine mehr, wohl aber wei-
tere lebenslange und zeitliche Zuchthausstrafen
wegen Landesverrats.
Nicht alle Verurteilten waren Eidgenossen. Die
33 gefällten Landesverräter-Todesurteile ergingen
gegen 22 Schweizer, sieben Deutsche, drei Liech-
tensteiner und einen Franzosen. Die gegen Liech-
tensteiner gefällten Todesurteile machten somit
immerhin neun Prozent aus. Unter den 50 mit
lebenslangem Zuchthaus bestraften Landesverrä-
tern figurierte ein Liechtensteiner. Die 218 zeit-
lichen Zuchthausstrafen für Landesverrat betrafen
neben 140 Schweizern und 59 Deutschen auch
13 Liechtensteiner, daneben vier Italiener, einen
Belgier und einen Franzosen. Schweizerische Spio-
nage-Urteile, die nach dem 20. August 1945 er-
gingen, erfassten nochmals weitere Personen aus
Liechtenstein.
Die in der Schweiz gegen die Liechtensteiner,
darunter einige wenige Frauen, ausgesprochenen
Zuchthausstrafen wegen Landesverrats und wegen
Nachrichtendienstes für fremde Staaten waren
lang. Allein nach den bis zum 31. Januar 1945 ge-
fällten Urteilen waren es für 13 liechtensteinische
Personen zusammen 89 Strafjahre. Mit später dazu
kommenden Urteilen ergaben sich weit über 100
Jahre Zuchthaus für Personen aus Liechtenstein
wegen Spionagedelikten gegen die Schweiz zu-
gunsten Hitlerdeutschlands.
TODESURTEILE UND HINRICHTUNGEN
Hier interessieren wegen des Falles Quaderer
speziell die Todesurteile. Von den insgesamt 33
schweizerischen Todesurteilen wurden sieben im
Jahre 1942,zehn im Jahre 1943,13 im Jahre 1944
113
- darunter zwei gegen Liechtensteiner, nämlich
Alfred Quaderer und Willy Kranz - sowie noch drei
im Jahre 1945 gefällt, davon eines wiederum gegen
einen Liechtensteiner, nämlich Theo Wolfinger.
Insgesamt 17 Todesurteile gegen Landesverräter
wurden in der Schweiz vollstreckt, und zwar in den
Jahren 1942 bis 1944, darunter jenes an Alfred
Quaderer. Ein Verurteilter wurde 1945 begnadigt.
15 Todesurteile wurden in contumaciam gefällt, in
Abwesenheit der Angeklagten, so dass sie nicht
vollstreckt werden konnten. Unter diesen abwe-
send zum Tod Verurteilten waren die zwei erwähn-
ten Liechtensteiner Kranz und Wolfinger.
Im bürgerlichen Strafrecht, das heisst im nicht-
militärischen Bereich, war die Todesstrafe in der
Schweiz abgeschafft, und zwar durch das neue
Strafgesetzbuch von 1937, das 1938 in der Volks-
abstimmung angenommen wurde und auf den
1. Januar 1942 in Kraft trat. Daher gab es im
Zweiten Weltkrieg auch keine Schweizer Todes-
urteile wegen politischen Landesverrats.
Dagegen blieb im 1927 neu gefassten schwei-
zerischen Militärstrafgesetz die Todesstrafe - trotz
Einwänden von sozialdemokratischer Seite - bei-
behalten, wenn auch eingeschränkt auf «Kriegs-
zeiten» oder «unmittelbar drohende Kriegsgefahr».
Solche bestand von 1939 bis 1945. Zur Anwendung
kamen vorab die Artikel 86 und 87 des schweize-
rischen Militärstrafgesetzes (MStG) von 1927.
Nach Artikel 86 MStG galt die Verletzung mili-
tärischer Geheimnisse als «Verräterei», nämlich
das Ausspähen und Weitergeben von «Tatsachen,
Vorkehren, Verfahren oder Gegenständen, die mit
Rücksicht auf die Landesverteidigung geheimge-
halten werden», an einen fremden Staat, an dessen
Agenten oder an die Öffentlichkeit. Als Strafe war
Zuchthaus vorgesehen, in Zeiten des aktiven Trup-
penaufgebots nicht unter drei Jahren. Störte oder
gefährdete der Täter durch seine Verratshand-
lungen die Unternehmungen des schweizerischen
LIeeres, so konnte in Zeiten des Aktivdienstes le-
benslängliches Zuchthaus, in Kriegszeiten gar die
Todesstrafe verhängt werden.
Nach Artikel 87 MStG wiederum galten als
«militärischer Landesverrat» Sabotagehandlungen,
durch welche in Zeiten aktiven Truppenaufgebots
Unternehmungen des schweizerischen Heeres di-
rekt und indirekt gestört oder gefährdet wurden,
insbesondere durch Beschädigung oder Vernich-
tung von Heereseinrichtungen sowie durch Be-
hinderung von deren Betrieb. Als Strafen war in
schweren Fällen ebenfalls lebenslängliches Zucht-
haus, in Kriegszeiten die Todesstrafe möglich.
Nachdem Hitler am 10. Mai 1940 seine west-
lichen Nachbarstaaten überfiel, auch die Schweiz
sich unmittelbar militärisch gefährdet sah, zudem
deutlich wurde, wie verheerend sich beim deut-
schen Einbruch in den Niederlanden, in Belgien,
Luxemburg und Frankreich Spionage und Sabo-
tage auswirkten, erliess der Bundesrat zweiein-
halb Wochen darauf, am 28. Mai 1940, eine Ver-
ordnung, gemäss welcher bei militärischem Ge-
heimnisverrat nach den Artikeln 86 und 87 MStG
generell auf lebenslängliches Zuchthaus oder To-
desstrafe erkannt werden konnte. Dies bedeutete
eine Verschärfung der Strafandrohung für militä-
rischen Landesverrat und sollte klar abschreckend
wirken.
Auffällig ist indes der Umstand, dass das erste
Todesurteil erst über zwei Jahre später, am 25.
September 1942, gefällt wurde und die erste Hin-
richtung erst im November 1942 geschah, es war
jene des St. Gallers Ernst Schrämli. Die Gerichte
hatten 1939, 1940 und 1941 bei Spionagefällen
noch verhältnismässig milde Strafen verhängt. Als
sich aber 1941 und 1942 die von Deutschland ge-
gen die Schweiz gerichtete und in der Schweiz ver-
übte Spionage verstärkte und schliesslich ganze
einheimische Spionageringe aufgedeckt wurden,
sah man es für notwendig an, härter zu urteilen,
um drastisch darzutun, dass die Verräter die Exis-
tenz des Landes und das Leben der Bewohner ge-
fährdeten.
In diesen zeitlichen und rechtlichen Rahmen im
Kriegsverlauf fügen sich Handlungen und Schicksal
Alfred Quaderers ein. Quaderer handelte nicht
allein, er gehörte zu einem verzweigten Spionage-
netz. Im betreffenden Prozess im März 1944 wur-
den zwei Dutzend Personen abgeurteilt.
114
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
3
Der Fall «Quaderer, Roos
und Konsorten»
ALFRED QUADERER UND SEIN UMFELD
Alfred Quaderer, am 20. April 1920 geboren, war
Liechtensteiner Bürger von Schaan. Er wuchs hier
bis zur fünften Klasse Primarschule auf. Er sei da
glücklich gewesen, sagte Alfred später. Familie und
Freunde riefen ihn «Fredy». Dann zog die Familie
nach Zug, dort arbeitete der Vater, Josef Alfred, bei
Landis und Gyr, er war Elektroingenieur und ein
Erfinder. Die Familie Quaderer wohnte an der
Schwertstrasse 22. 1933 starb die ältere Schwester
von Alfred an Tuberkulose, 17-jährig. Die ver-
bleibende Schwester Klara war ein Jahr jünger als
Alfred. Der Vater wurde magenkrank, was Geld
verschlang. Der Junge fühlte sich in Zug isoliert. Er
durchlief die Sekundärschule und absolvierte eine
Lehre als Maler für Dekorationen und Schriften.
Nach der Lehre wechselte er oft die Stelle, die Ma-
lerarbeit gefiel ihm nicht. Zeitweilig war er ohne
Arbeit.
Alfred Quaderer hatte in Zug bei den Pfadfin-
dern den zwei Jahre jüngeren Kurt Roos, geboren
1922, kennengelernt. Die zwei Freunde verbrach-
ten fortan die ganze Freizeit miteinander. Quaderer
hatte später eine Freundin in Uster. Roos kam aus
unerfreulichen Familienverhältnissen, war Gymna-
siast, trat aber vor der Matura aus und arbeitete als
kaufmännischer Angestellter. Gemeinsam verübten
Quaderer und Roos schliesslich die Verratshand-
lungen, ab 1941. Leitend war dabei der etwas älte-
re Quaderer.
Von sich aus wären sie wohl nicht auf die Idee
gekommen, Spionage zu treiben. Die beiden be-
wunderten zwar die deutschen Waffenerfolge, aber
sie waren im Grunde unpolitische Burschen, ver-
kehrten im Zuger Tanzclub, fuhren Ski, suchten
Vergnügen. Und etwas Geld. Nationalsozialisten im
ideologischen Sinne waren sie nicht, auch wenn
Quaderer später im Verhör aussagte, er sei «sehr
für die Deutschen eingenommen» gewesen. Viel-
mehr spannen sich die Fäden über die liechten-
steinische Herkunft und die verwandtschaftlichen
Beziehungen.
In Feldkirch lebte nämlich ein etwas älterer Cou-
sin von Alfred Quaderer, der 1911 geborene Willy
Als Bub in Schaan sei er
glücklich gewesen: Alfred
Quaderer. Ausschnitt aus
dem Klassenfoto (siehe
übernächste Seite),
um 1930
115
Weh, dessen Mutter eine Quaderer aus Schaan war.
Weh war Österreicher, seit 1938 Deutscher. Als
Nationalsozialist hatte er vor 1938 schon der illega-
len NSDAP angehört. Weh war Baumeister im Feld-
kircher Baugeschäft Hilty. Alfred Quaderer ver-
brachte 1939 Ferien bei Weh in Feldkirch und fuhr
mit ihm auf Baustellen und unter anderem auf
den Brenner. Weh vermittelte dem 19-Jährigen ein
positives Bild des Dritten Reiches.
Im Krieg wurde Weh dann 1941 von der deut-
schen «Abwehrstelle Bregenz» der deutschen Mi -
litärspionage beauftragt, Spionageergebnisse aus
der Schweiz zu beschaffen. Weh sagte später, er sei
dazu gezwungen worden, sonst wäre er in den
Krieg einberufen worden. Willy Weh kam im Früh-
jahr 1941 zu Besuch zu den Verwandten nach Zug,
mit Hintergedanken. Er sass mit der Familie Qua-
derer im Garten, man plauderte. Alfred begleitete
ihn noch durch die Stadt zum Bahnhof, da gab Weh
ihm plötzlich 50 Franken und forderte ihn auf, ge-
gen mehr Geld militärisch Interessantes zu liefern.
Vom Geld verlockt, sagte Alfred zu. Den Vater Qua-
derer hatte Weh bei jenem Besuch in Zug ebenfalls
zur Spionage gedrängt, unabhängig vom Sohn.
Widerstrebend spähte auch der Vater in der Folge
einiges für Weh aus.
Alfred begann im Frühsommer 1941, an Weh
militärische Informationen zu liefern. Weh wieder-
um bewog ihn, weitere Personen in der Schweiz
anzuwerben. Alfred zog sonach bald seinen Freund
Roos ins Vertrauen und im Sommer 1941 ins
Geschäft. Er nahm Roos mit nach Liechtenstein,
zum Volksfest in Vaduz am 15. August 1941, dem
Vorabend des Fürstengeburtstages. Bei der nächs-
ten Liechtensteinfahrt, wenig später, führte Quade-
rer Roos nach Schaan. Hier trafen sie sich mit Qua-
derers Cousin, der auf der Schaaner Post arbeitete.
Dieser lud sie zum Mittagessen ins mütterliche
«Bierhüsle» und führte sie nachher zu Weh in ein
Schaaner Privathaus. Quaderer übergab dort ge-
stohlenes schriftliches Militärmaterial an Weh, und
Weh seinerseits überredete nun auch Roos zur
Spionage. Weh, der bei dieser Unterredung die Zie-
le des Nationalsozialismus pries, instruierte Qua-
derer und den Neuspion Roos, was sie zu tun und
wie sie vorzugehen hätten-. Sie sollten schweize-
rische Festungsanlagen ausmachen, Truppenein-
heiten und Truppenbewegungen notieren, militä-
risches Instruktionsmaterial sowie topographische
Karten beibringen. Als Zwischenträger für Qua-
derer/Roos und Weh fungierte zeitweilig der er-
wähnte Schaaner Cousin, indem er als Postange-
stellter Aufträge von Weh telefonisch nach Zug
übermittelte oder Wehs Briefe an sie in Buchs zur
Post brachte - was schliesslich die Schweizer Er-
mittlungen erleichterte. Zur Rolle von Weh sagte
Alfred Quaderer im späteren Gerichtsverfahren im
März 1944 dann aus:
«Bei meinen ganzen Vorgehen war der Angeklagte
Weh die treibende Kraft.»
Willy Weh und andere Agenten der deutschen
Abwehr in Vorarlberg spannen weitere Fäden. In
Feldkirch arbeitete bei der dortigen Industrie- und
Handelskammer als Grenzgänger der 1921 gebo-
rene Liechtensteiner Willy Kranz aus Nendeln.
Kranz war aktives Mitglied der nationalsozialis-
tischen «Volksdeutschen Bewegung in Liechten-
stein». Als 18-Jähriger war er 1939 an deren ge-
scheitertem Anschlussputsch beteiligt gewesen.
Der junge Kranz wurde nun von Feldkirch aus ab
1941 ebenfalls Richtung Schweiz eingesetzt, als
Kopf eines wachsenden Spionagenetzes in der
Schweiz und in Liechtenstein. Im Spätherbst 1941
wurde Willy Kranz durch Weh mit Quaderer und
Roos in Kontakt gebracht, indem er ihnen am
22. November 800 Franken Spionageentgelt nach
Zug zu überbringen hatte. Kranz, in Zug zuerst
unter dem Decknamen «Willy Ring» auftretend,
sagte zu Quaderer, er sei «gelernter Spion», er
habe einschlägige «Kurse in München, Innsbruck
und Berlin besucht». Kranz kam danach zu Treffen
mit Quaderer und Roos nach Zug, Zürich, Ziegel-
brücke, Luzern und Erstfeld. Er brachte Geld und
neue Aufträge und übernahm Material. Quaderer
händigte ihm auch in Schaan und Nendeln Spio-
nagecouverts aus. Kranz übergab sie Weh, zumeist
in Schaan, wo Weh unauffällig geschäftlich verkeh-
ren konnte. Weh brachte die Beute im Auto nach
Feldkirch, wo seine Abwehr-Auftraggeber sie er-
116
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
Auf dem Klassenfoto der
Primarschule Schaan,
um 1930: Alfred Quaderer
sitzt hinten in der mitt-
leren Reihe in der fünften
Bank (sein Kopf verdeckt
im Bild die rechte Hand
von Lehrer Alfons Kranz,
rechts Pfarrer Josef
Büchel). Siehe den Bild-
ausschnitt auf der voran-
gehenden Seite
117
hielten. Mindestens zehn solcher Übergaben konn-
ten im Prozess nachgewiesen werden, wahrschein-
lich waren es mehr. In umgekehrter Richtung floss
das Geld, gelegentlich 200 bis 300 Franken, da-
mals ein guter Monatslohn. Kranz übergab das
Geld Quaderer, ein Teil davon ging an Roos.
Gerichtlich nachgewiesen wurde Quaderer der
Erhalt von zusammen gut 1200 Franken, für Roos
von gut 800 Franken, innert eineinhalb Jahren. Die
angesichts der UnVerhältnismässigkeit des Risi-
kos doch geringen Summen beziffern die Erbärm-
lichkeit des Spionagegeschäfts. Die beiden jungen
Männer, wie Kranz auch, verfügten zusammen mit
ihrem Arbeitsverdienst dank der Spionagefranken
über mehr Geld für Alltag und Freizeit.
In Wehs und Kranz' Auftrag gingen Quaderer
und Roos ihrerseits in der Innerschweiz verrats-
willige Personen an und gewannen sie zum Mittun.
Es handelte sich vorab um einige Militärdienstleis-
tende, von denen sie Informationen erlangten.
Willy Kranz seinerseits organisierte weitere
Spione, Liechtensteiner und Schweizer. Angewor-
ben wurde etwa auch der Balzner Maler und Textil-
reisende Josef Arnold Vogt, geboren 1907, der
kurzzeitig in Vorarlberg arbeitete und darauf mit
Spionageaufträgen, als Handelsreisender getarnt,
per Bahn und Postauto durch die halbe Schweiz
fuhr, im Gebirge wanderte und eifrig militärische
Anlagen ausspähte. Zu Flause in Balzers installierte
Vogt auch zeitweilig einen aus dem Reich einge-
schmuggelten Funkapparat, den er in einem Kurs
in Stuttgart zu bedienen gelernt hatte. Willy Kranz
setzte für die Spionageaufträge und für Vermittler-
dienste von der Schweiz nach Liechtenstein auch
einzelne Familienmitglieder ein, so insbesondere
seinen italienischen Schwager Pietro Rossi, der in
Näfels im Glarnerland wohnte und Gelegenheit hat-
te, dort zu spionieren.
So ergab sich schliesslich ein Spionagering von
zusammen mindestens 25 Personen. Die wichtig-
sten Figuren darin waren als Organisatoren Weh
und Kranz und als regelmässige Hauptspione Qua-
derer, Roos und Vogt. Nur die beiden Organisato-
ren wussten von allem, die einzelnen Spionieren-
den dagegen hatten keine Übersicht, sie kannten
meist nur eine Kontaktperson. Quaderer und Roos
standen zwischendrin, auf zwei Ebenen: An Weh
und Kranz hängend, spionierten sie hauptsächlich
selber, warben aber zudem weitere Personen an,
die für sie spionierten. Das ganze Spionagenetz
war eines von verschiedenen, die in der Schweiz -
und teilweise eben in und über Liechtenstein - für
LIitlerdeutschland gegen die Schweiz tätig waren.
Nach eineinhalb Jahren Tätigkeit flog es anfangs
1943 auf. Die auf immer mehr Personen ausge-
dehnten Untersuchungen brachten die Einzelhei-
ten allmählich ans Licht, allerdings nicht an die
Öffentlichkeit.
DIE K O N K R E T E N STRAFTATEN
Quaderer spionierte zuerst ab dem Juni 1941 allein,
danach von Ende August 1941 an meistens mit sei-
nem Freund Roos zusammen, gelegentlich agierte
noch jeder zusätzlich auf eigene Faust. Die Spio-
nagetätigkeit erstreckte sich so vom Sommer 1941
an über eineinhalb Jahre hinweg bis zur Verhaf-
tung am 2. Januar 1943. Was verriet Alfred Qua-
derer konkret? War es so schwerwiegend, dass es
dem Todesurteil rief?
Auf Wehs Anweisung notierte Alfred Quaderer
im Sommer 1941 bei jeder Gelegenheit Einteilun-
gen, Nummern und Standorte von Schweizer Sol-
daten, vor allem in Zug, Baar und Zürich. Er mel-
dete sie Weh, der ihm dafür 50 Franken gab. Qua-
derer brachte Weh im Sommer 1941 zweimal je
drei Schweizer Landkarten ins Fürstentum.
Im August 1941 sah Quaderer in Zug im leer-
stehenden Hotel «Casino», wo er Malerarbeiten
verrichtete, militärische Akten des Platzkomman-
dos, das hier einquartiert war, auf den Tischen
liegen. Am Abend entwendete er dort solche Ak-
ten, die ohne grosse Sorgfalt in einem Koffer ver-
wahrt waren. Darunter fand sich ein «rotes Büch-
lein», das Verzeichnis der Korpssammelplätze aller
schweizerischen Grenztruppen, das waren deren
Mobilisationsstandorte. Er fuhr darauf am Sonntag
nach Schaan, begleitet von Roos. Die Grenze über-
querten sie im Postauto von Trübbach nach Bal-
118
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
zers. Die militärischen Papiere aus dem Casino-
Diebstahl hatte Quaderer in einem gelben Couvert
auf sich. An der Rheinbrücke mussten sie dem
Schweizer Heerespolizisten nur die Pässe zeigen.
Durchsucht wurden sie auch nachher beim Grenz-
übertritt nie. Als Weh in Schaan die fette Spionage-
beute übernahm, stellte er Quaderer, wenn er ihm
weitere «solche Sachen» bringe, für später eine
einträgliche Stelle im Baugeschäft in Feldkirch in
Aussicht. Dies war jenes oben schon erwähnte Zu-
sammentreffen mit Weh, bei dem Quaderer Roos
erstmals in Kontakt mit Weh brachte und Weh je-
nen anwarb.
Für Hitlerdeutschland war besonders das
Schweizer Reduit - der ab 1940 im Ausbau befind-
liche befestigte Zentralraum der Alpen - mit seinen
Zugängen und Anlagen von Interesse. Im Spätsom-
mer 1941 spähten Quaderer und Roos gemeinsam
am Zugersee und am Ägerisee Tanksperren und
Bunker aus, so die Panzer- und Minensperren
«Murpfli» und «Lothenbach». Lothenbach liegt am
Zugersee an der engen Strasse zwischen Zug und
Schwyz. Sie erstellten genaue Skizzen der Sperren,
mit Eintragung der Örtlichkeiten, der Minenkam-
mern und der Zündleitungen. Die Angaben gingen
an Weh.
Weh zahlte gut für das «rote Büchlein» der
Korpssammelplätze, wünschte aber auch ein Ver-
zeichnis der Korpssammelplätze aller schweize-
rischen Truppen, sie wären in einem «grünen
Büchlein» zu finden. Quaderer stahl im Oktober
1941 auch dieses «grüne Büchlein» aus den Casino-
Büros des Zuger Platzkommandos, dazu noch das
«weisse» Verzeichnis aller Mobilmachungsfunk-
tionäre der Armee sowie andere greifbare Unter-
lagen. Quaderer brachte die Ausbeute, begleitet
von Roos, Anfang November 1941 ins Fürstentum
nach Schaan und übergab alles Weh.
Kurt Roos absolvierte vom 23. November 1941
bis zum 21. März 1942 die Schweizer Rekruten-
schule, erst in Luzern, ab Mitte Februar in Mend-
risio. Da boten sich Gelegenheiten. Roos stahl in
der Rekrutenschule einen Minenwerfer-Aufschlag-
zünder. Er schickte den Zünder per Post an Quade-
rer, dieser händigte ihn in Thalwil an Willy Kranz
aus. Roos beschaffte auch Waffenreglemente der
Schweizer Armee, über Quaderer gingen sie an
Weh, ebenso mehr als 20 Landkarten.
Auf Aufforderung von Weh drang Quaderer, teils
allein, teils unter Mithilfe von Roos, in den ersten
Monaten des Jahres 1942 erneut und wiederholt
ins Zuger Platzkommando ein. Einmal, im Januar
1942, blieb die Aktion erfolglos, weil die Abwart-
frau erschien.
Willy Weh traf am 16. Apri l 1942 in Zürich mit
Quaderer und Roos zusammen. Er gab ihnen
eine ganze Reihe neuer Aufträge. Unter anderem
sollten sie «das neue 20 mm-Flab-Geschoss» der
Schweiz beschaffen oder wenigstens den Fabri-
kationsstandort feststellen, das Geschoss weise
einen hochempfindlichen Zünderkopf auf, präzi-
sierte Weh. Diese Mission konnten die beiden
offenbar nicht erfüllen.
Einige Tage später brach Quaderer in der Nacht
vom 21./22. April 1942 wieder ins Zuger Platz-
kommando ein. Er konnte grosse Umschläge mit
zahlreichen Verzeichnissen über Kompaniebüros,
Mannschaftsbaracken, Magazine, Stallungen und
ebenso zu Panzer- und Strassensperren im Reduit
mitnehmen, dazu Kriegsmobilmachungsplakate.
Im Sommer 1942 übernahm Quaderer eine
Arbeitsstelle als Maler in Erstfeld, im Gotthard-
Reduitgebiet. Weh erteilte ihm sogleich Ausfor-
schungsaufgaben, er solle Anlagen, Truppentrans-
porte und Ähnliches beobachten und melden.
Quaderer kundschaftete einen für das Armee-
hauptquartier im Bau befindlichen Stollen am
Gotthard aus. Roos sollte ihm dazu auch Zeichnun-
gen anfertigen, was aber nicht gelang. Quaderer
gab im November 1942 seine Stelle in Erstfeld auf.
Kurt Roos leistete im Juni und Juli 1942 als
Infanterie-Kanonier Aktivdienst in seiner Truppen-
einheit, der Stabskompanie 48 im Gebirgsinfante-
rie-Regiment 37. Und im August 1942 absolvierte
er noch einen Hochgebirgskurs der 8. Division im
Gotthardgebiet. Bei dieser Gelegenheit spionierte
Roos die Festung «Sasso da Pigna» aus. Dieses
neue Kasemattenwerk lag 800 Meter östlich des
Gotthard-Hospizes, es war seit dem Herbst 1941 im
Bau und erhielt vier 10,5 cm-Kanonen und vier
119
15 cm-Kanonen, die ersteren waren ab Mitte 1943
schussbereit, die zweiten 1944. Roos nun lieferte
Quaderer nach seinem Hochgebirgskurs einen ge-
nauen Plan des Festungswerks «Sasso da Pigna»,
samt Angaben über die Postierung der Geschütze,
Maschinengewehre, Munitionsstollen und Unter-
künfte.
Quaderer und Roos verleiteten auch drei weite-
re, junge schweizerische Wehrmänner, darunter
einen Korporal, dazu, ihnen gegen Geld militärisch
Geheimes zu verraten. So erlangten sie von zwei
Funkern Chiffrierverfahren und Codes der schwei-
zerischen Funkertruppen, Angaben über die Ein-
richtung des Funkerzentrums Morschach ob dem
Vierwaldstättersee und über die von dort bestehen-
den Verbindungen zum Armeestab und zu den
Armeekorpskommandos, dazu Informationen über
die Organisation und den Betrieb von Funkersta-
tionen im Gebiet von Altdorf über Luzern bis nach
Interlaken und zum Sustenpass. Alles kam in deut-
sche Hände, über Kranz und Weh nach Feldkirch
und von dort nach Bregenz und weiter.
Mit all den von Quaderer und Roos begangenen
Handlungen, so wertete später das Gericht, waren
Teile des Reduits und insbesondere «das Gerippe
der Abwehrorganisation» der Schweiz verraten.
Die Folgen galten als grossenteils irreparabel.
Deutschland hätte bei einem Angriff die Mobilisa-
tion der Schweizer Armee erheblich stören oder
sogar verunmöglichen können. Der organisierte
Widerstand der Schweiz war gefährdet. Entspre-
chend urteilte das Militärgericht.
DER MILITÄRGERICHTSPROZESS
Das Treiben von Alfred Quaderer, Kurt Roos und
Konsorten, wie der grössere Spionagering etwa
genannt wurde, flog Anfang 1943 auf. Manches
war aufgefallen, die Spionierenden waren im Grun-
de unprofessionelle Dilettanten. Die Spionageab-
wehr hatte unter anderem die Diebstähle im Zuger
Platzkommando entdeckt. Sie stiess auf Quaderer,
der observiert wurde.
Alfred Quaderer wurde am 2. Januar 1943 an
der Grenze in Buchs aus dem Postauto heraus
verhaftet, als er von Schaan aus mit Roos und zwei
Schaaner Cousins nach Wildhaus zum Skifahren
unterwegs war. In Kürze sass fast der ganze Spio-
nagering in Haft, ausser den beiden Köpfen Willy
Weh und Willy Kranz, die in Feldkirch blieben.
Alfred Quaderer wurde zuerst im Rathaus in Buchs
und dann in Zürich polizeilich verhört und bald ins
Bezirksgefängnis St. Gallen verlegt. Am 13. Januar
1943 begann die gerichtliche Voruntersuchung.
Quaderer gestand, nach anfänglichem Leugnen.
In Untersuchungshaft genommen wurde auch
der Vater, Josef Alfred Quaderer. Bei ihm fand man
nämlich Fotos und geographische Karten mit mi-
litärischen Einträgen von Anlagen am Zugerberg
und am Zürichsee. Gleiches hatte er Weh geliefert.
Quaderer senior starb aber schon im März 1943
während der Untersuchungshaft in St. Gallen. In
Schaan hielt sich bis heute die Meinung, er habe
Selbstmord begangen. Als Todesursache ist indes
ein durchgebrochenes Magengeschwür genannt.
Quaderer senior wäre angesichts des Belastungs-
materials zweifellos ebenfalls verurteilt worden,
aber sicher nicht zum Tode.
Die Strafuntersucbung, die sich bald auf über
zwei Dutzend Verdächtige erstreckte, und die Vor-
bereitung der Anklagen füllten das ganze Jahr 1943
und die Monate bis zum März 1944. Alfred Quade-
rer sass in dieser ganzen Zeit als Untersuchungs-
häftling in Einzelhaft in St. Gallen; bis zum Ende wur-
den es fast eineinhalb Jahre. Er empfand das Ge-
fängnisessen als knapp, Zigaretten mangelten ihm.
Straffälle nach Militärstrafgesetz wurden nicht
von bürgerlichen, sondern von Militärgerichten be-
handelt. Neben den Divisionsgerichten bestanden
Territorialgerichte. In der Strafsache «Quaderer,
Roos und Konsorten» urteilte das Territorialgericht
3b in St. Gallen.
Das Verfahren lief ab wie bei einem zivilen
Gericht. Ein militärischer Untersuchungsrichter,
Hauptmann E. Brunner, führte die Voruntersu-
chung, danach erfolgte die Überweisung ans Ge-
richt durch den Auditor - wie der Ankläger oder
Staatsanwalt hiess -, und darauf kam es zur
120
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
Hauptverhandlung. Auditor war Major Paul Popp,
St. Gallen. Jeder Angeklagte hatte einen Verteidi-
ger. Für Alfred Quaderer amtete der St. Galler Dr.
Rolf Zollikofer, Rapperswil, als Pflichtverteidiger.
Dem Territorialgericht 3b gehörten sieben Richter
an, alles Militärpersonen. Vorsitzender «Grossrich-
ter» war ein hoher Offizier, in diesem Falle Oberst-
leutnant Hans Roth aus Zürich. Richter waren drei
weitere Offiziere, nämlich ein Oberst, ein Oberst-
leutnant und ein Oberleutnant, sowie drei Unter-
offiziere, nämlich ein Fourier, ein Wachtmeister
und ein Korporal. Alle Mitglieder des Gerichts
stammten aus der Ostschweiz, nämlich aus den
Kantonen St. Gallen, Appenzell und Glarus, der
Vorsitzende aus Zürich.
Ein Todesurteil kam nur zustande, wenn min-
destens sechs der sieben Richter dafür stimmten.
Nach dem LJrteil gab es die Möglichkeit der Kassa-
tionsbeschwerde an das Militärkassationsgericht,
welches das Urteil bei Gesetzesverletzung oder
willkürlichem Ermessen für nichtig erklären konn-
te, dann wäre es zur Neubeurteilung ans Gericht
zurückgegangen. Nach Abweisung einer Kassati-
onsbeschwerde blieb als letztes ein Begnadigungs-
gesuch an die Vereinigte Bundesversammlung.
Die Hauptverhandlungen gegen insgesamt 22
Personen des Spionagerings fanden im März 1944
in St. Gallen statt. LIauptangeklagte waren hierbei
Alfred Quaderer, Kurt Roos und Willy Kranz - die-
se drei wurden zum Tode verurteilt - sowie Willy
Weh, Pietro Rossi, Josef Arnold Vogt und die zwei
Funker-Pioniere Willy Llürlimann und Georg Ur-
sprung - die alle zu lebenslänglichem Zuchthaus
verurteilt wurden - , dazu der Füsilier-Korporal
Alois Landolt, der 20 Jahre Zuchthaus erhielt. Die
weiteren Strafen bewegten sich von 14 Jahren
Zuchthaus an abwärts.
WARUM DAS TODESURTEIL?
Die gesetzlichen Grundlagen für das schwerste
Urteil, jenes des Todes, waren gegeben. Quaderers
Taten erfüllten den Tatbestand nach Artikel 86
Militärstrafgesetz, nämlich die Störung und Ge-
fährdung der Unternehmungen des LIeeres, indem
er «das Gerippe der Abwehrorganisation» der
Schweiz verraten hatte (dieses und die in diesem
Abschnitt folgenden Zitate folgen den bei Noll wie-
dergegebenen Quellenstellen). Das urteilende Ge-
richt folgerte:
«Verrat objektiv schwerster Art ist somit begangen
worden.»
Aber, argumentierte das Gericht, die Todesstrafe,
als «das schwerste Übel das man einem Men-
schen zufügen kann», sollte grundsätzlich nur aus-
gesprochen werden, wenn auch «subjektiv schwer-
ste Schuld» vorliege. Eine solche bejahte das
Gericht ebenfalls. Einziges Motiv Quaderers sei
«Geldgier» gewesen. Mit Deutschland, für das er
spionierte, verbänden ihn keine «vaterländischen»,
allenfalls «achtenswerten Momente», keinerlei
«ethische Beweggründe». Er sei skrupellos vorge-
gangen, habe
«hemmungslos alles ausspioniert und, verraten,
was ihm zugänglich war».
Er habe die Geheimnisse, um mehr Geld zu erlan-
gen, ratenweise verkauft und dabei zeitweilig noch
seinen Freund Roos hintergangen.
Das Gericht war sich bewusst, dass Quaderer
Liechtensteiner, nicht Schweizer war. Es argumen-
tierte indes, als Liechtensteiner sei er
«Bürger eines mit der Schweiz in engster Freund-
schaft verbundenen ... Landes»,
das wie die Schweiz zur Zeit nicht in den Krieg ein-
bezogen sei; er sei in der Schweiz aufgewachsen,
habe hier die Schulen besucht, hier eine Maler-
lehre absolviert und ein Auskommen gefunden;
während die Schweizerbürger Aktivdienst leisten
mussten, habe er hier weiterleben können wie zu-
vor. Er aber habe in verabscheuungswürdiger Wei-
se «Verrat dem Gastlande gegenüber» begangen.
Der Pflichtverteidiger, Dr. Zollikofer, plädierte
für Quaderer auf lebenslängliches Zuchthaus. Doch
das Gericht brach über Quaderer den Stab, indem
es einstimmig zum Schluss kam:
«Es liegt... sowohl subjektiv wie objektiv ein Fall
schwerster Art vor, der im Interesse der Landes-
sicherheit die Todesstrafe erheischt.»
121
Das Urteil für Alfred Quaderer wurde am 18. März
1944 vom Territorialgericht 3b ausgesprochen, in
St. Gallen, im Gerichtshaus an der Neugasse 3, im
heute noch dunkel getäferten Bezirksgerichtssaal,
unter Ausschluss der Öffentlichkeit. In eigentüm-
lich dürrer Rechtssprache besagte es:
«Quaderer Alfred Hermann wird schuldig er-
klärt der wiederholten Verletzung militärischer
Geheimnisse im Sinne der Verräterei, der wieder-
holten versuchten Verletzung militärischer Ge-
heimnisse im Sinne der Verräterei, der Anstiftung
zur Verletzung militärischer Geheimnisse im Sinne
der Verräterei, der versuchten Anstiftung hiezu,
der wiederholten Gehilfenschaft zur Verletzung
militärischer Geheimnisse, des Ungehorsams ge-
gen allgemeine Anordnungen, des wiederholten
militärischen Nachrichtendienstes, des wiederhol-
ten Diebstahls, der wiederholten Hehlerei
und einstimmig verurteilt:
1. zum Tode durch Erschiessen.»
Gleichentags wurden im selben Saal auch die
andern 21 Urteile gefällt, darunter die Todesver-
dikte gegen Kurt Roos und den allerdings abwesen-
den Willy Kranz. Weitere Urteile waren schon in
den Tagen zuvor ergangen, unter anderem gegen
Liechtensteiner.
Mit solchem Ausgang hatten Quaderer und Roos
nicht gerechnet, weder während ihrer Spionage-
tätigkeit noch während des Prozesses. Ein erstes
Todesurteil war erst in den letzten Monaten ihrer
Spionagezeit, nämlich wie erwähnt im September
Verurteilungen wegen
Landesverrats im Fall
Quaderer, Roos und Kon-
sorten am 18. März
1944. Die hier wieder-
gegebene amtliche Mittei-
lung aus dem «Werden-
berger & Obertoggen-
burger» («W&O») vom
22. März 1944 erschien in
praktisch allen Schweizer
Zeitungen sowie wörtlich
gleich, ausser mit leicht
geändertem Titel, auch im
«Liechtensteiner Volks-
blatt» vom 23. März 1944
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S p i o n a g e o r g a - n i j a t i o n bas U r t e i l ge*
fä l l t . SBon ben Spauptangeflagten rourben nerur=
tei l t :
1. Q u a b e r e r Sllfreb Söermann, 3 e b. 1920,
oon 6d)aan ( g ü r f t e n t u m ü i e d j t c n f t e i n ) , D ia l e r ,
roofjntjaft i n 3u9 , j u m t o b e b u r d ) (E r j d) i e =
f j e n .
2. SR o o s Ä u r t 3otjann, geb. 1920, 3nf.=£ano=
nier, Stubent, oon gaste ( i i u j e r n ) , i n 3«8i ä u m
l o b e b u r d ) (E r j dj i e f; e n .
3. SR o f j i Sßietro, geb. 1910, K a u f m a n n , oon
Srof to ( I t a l i e n ) , i n H ö f e l s , j u i e b e n s l ä n g *
l i d j e m 3 u cht h a u s u n o 1 5 oat j ren Sianbess
oerroeifung.
4. SB o g t 3ofej Strnolb, geb. 1907, SOtaler unb
SRetfcnber, oon unb i n SBaljers (iHedjtenftein),
5u l e o e n s l ä n g l i d j e m 3 u ö ) t t ) a u s unb
15 3aljren ü a n b e s o e r r o e i f u n g .
5. ö ü r l t m a n n Sßtllt) SBIbert, geb. 1921,
gunfer>Sßionier , Ä a n j l i f t , oon SHSaldjroil, i n 3u3,
ju l e b e n s l ä n g l i d j e m 3 u dj t h a u s , 10
3abren (Einftetiung i n ber bürger l ichen (Ehren*
f äh ig fe i t , S!tusfdjlu| aus bem Speere.
6. U r f p r u n g ©eorg , geb. 1922, <yunfer=SBio=
nier, (Eleftroinftal lateur, oon SBafelsStabt, i n
3ug, j u l e b e n s l ä n g l i d j e m 3 u d ) t f j a u s ,
10 3ahren (Einftetiung i n ber bürger l i chen g f j r e m
f ä ^ i g f e i t unb Stusfdjlutj aus bem Speere.
7. ß a n b o 11 SMois, geb. 1921, p f i l i e r = Ä o r <
poral , Stubent, oon unb i n SRüfels, su 2 0 3 a fj =
r e n 3udj t f jaus , 10 3afjren lEinfteltung i n
ber bürger l ichen (Ebrenfä f j ig fe i t , Segraba t ion unb
Slusfdj luf j aus bem Speere.
8. 3ro idn Ä a f p a r SRubolf, geb. 1910, güfi=
I i e r=Äorpora I , SOiagasiner, oon unb i n Stfiollis,
5 u l 4 3 a h r e n 3 u d ) t h a u s , 1 0 3ahren (Ein=
Itetiung i n ber bürger l i chen (Ehreniär j igfe i t , £)e=
grabat ion unb SUusfdjluB aus bem § e e r e .
9. SR o f f i geb. Ä r a n j SBaula, geb. 1914, $aus=
f r a u , oon ©rof io (3 ta l i en) , i n SRäfels, j u o i e r
3 a h r e n 3 u c h t h a u s unb 15 3a f j r en Sianbes*
oerroeifung.
10. D 11 i n g e r Sl l f reb SBcrner, geb. 1921,
ymg.=Sd)üt je , SDiafdjinenjchloffer, oon l l r n ä f d )
(ü lppen je l l sil.sSRl).), i n 3ürid), jju o i e r 3 a h =
r e n 3 u dj t tj a u s , 10 3ahren (Einftetiung in
ber bürger l i chen e h r e n f ä h i g t e i t unb 2tus|cf)luR
aus bem Speere.
11. S p u b e r Sffialter 3ofef, geb. 1921, Ie=
Iepljon=Solbat, 6d)reiner, oon Dber fun f l j o f en
(Siiargau), i n 3üri<h, j u } ro e i e i n tj a 1 b 3 a h =
r e n 3 u dj t fj a u s , fünf 3ahren (Einftellung i n
ber bürger l i chen (Ehrenfäh ig te i t unb Sttusjdjlufj
aus bem Speere.
Stujjerbem rourben in contumaciam Ä r a n 3
2BiHrj, geb. 1921, oon (Eidjen (S2iedjtenftein), i n
ge lb t i rd j (SBorarlberg), jutn l o b e b u r d ) ( E r *
j d) i e fj c n ,
SB e h S B i l l n , geb. 1911, SBaumeifter, i n 5elb=
t i rd j (SBorarlberg), su l e b e n s l ä n g l i d j e m
3 u dj t h a u s ,
unb o i e r r o e i t e r e s a u s t ä n b e r j u gro*
fjeren 3ud)thausftrajen oerurtei l t .
D i e SBcrurieil ten haben i n ber 3eit oom Som=
mer 1941 bis Dejcmber 1942 mi l i ta r i fd je ffie=
heimniffe unb Sünlagen a u s g e f p ä h t ober oerra=
ten unb j u m t e i l fid) burd) (Einbrüche roidjtige
m i l i t ä r i f d j e Dotumente oerfdjaff t unb in s silus=
lanb abgeliefert.
122
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
1942 ergangen, die erste Hinrichtung im November
1942 erfolgt. Bis dahin jedenfalls hatten Quaderer
und Roos kaum an eine solche Sanktion für ihr
Treiben gedacht.
Auch im Laufe der Untersuchungshaft waren
Quaderer und Roos, die auch im Gefängnis «in ge-
heimer Verbindung miteinander» standen, offen-
bar noch zuversichtlich. Roos schrieb nämlich aus
der Haft an seine Mutter, sie solle, um bei Willy
Weh aus Feldkirch noch Geld zu erlangen,
«ruhig ziehmlich übertreiben: Todesurteil od. bes-
tenfalls Lebenslänglich».
Demnach erwartete Roos weder das erste noch das
zweite. Roos wie Quaderer hegten auch gar kein
ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein. Sie sahen sich
selber eher als kleine Ganoven denn als grosse
Staatsverräter. Zudem vertrauten sie auf ihre Ju-
gendlichkeit als Milderungsgrund.
Und Quaderer spekulierte darauf, als Liechten-
steiner ebenfalls weniger hart beurteilt zu werden.
In den beiden Tagen vor dem eigenen Todesurteil
war Quaderer auch in den parallel geführten Lan-
desverräterprozessen gegen weitere Mitangeklag-
te, so insbesondere gegen den Deutschen Willy
Weh, im Gerichtssaal vernommen worden. Das
Gericht sprach gegen den abwesenden Weh, den
Kopf des Spionagerings, Anwerber Quaderers und
ebenfalls NichtSchweizer, in der Tat nicht die
Höchststrafe, sondern eine lebenslängliche Zucht-
hausstrafe aus. Mit mehr rechnete Quaderer ge-
wiss nicht, eher mit weniger.
Solche Erwartung hatte sich nun als eitel erwie-
sen. Nun begann das Hoffen auf Gnade. Es dauerte
81 Tage und erfüllte sich nicht.
WARUM KEINE BEGNADIGUNG?
Zwei Tage nach dem Todesurteil erhielten die Mut-
ter Anna und die 22-jährige Schwester Klara, die
wieder in Schaan weilten, von Pflichtverteidiger
Dr. Zollikofer die Nachricht vom Todesurteil. Sie
waren der Verzweiflung nahe. Die Mutter suchte
den Schaaner Rechtsvertreter Louis Seeger auf, der
sogleich das weitere Vorgehen mit dem Pflicht-
verteidiger Dr. Zollikofer eingehend besprach. Zol-
likofer hatte vorsorglich Kassationsbeschwerde
angekündigt. Diese zog er aber wieder zurück, da
keine Erfolgsaussicht bestand. Dafür reichte Alfred
Quaderer über Dr. Zollikofer am 28. März 1944 ein
Gesuch um Begnadigung ein, ebenso tat Roos.
Zuständig für Gnade war die Vereinigte Bundes-
versammlung. Ende März 1944 tagten gerade die
eidgenössischen Räte in der Frühjahrssession.
Doch die Begnadigungsgesuche von Quaderer und
Roos kamen einige Tage zu spät, um noch behan-
delt werden zu können, da Vorinstanzen involviert
waren. Die am 30. März zusammentretende Ver-
einigte Bundesversammlung beriet daher nur das
Begnadigungsgesuch eines andern zum Tode ver-
urteilten Landesverräters, des Majors Ernst Pfister,
S c i r ü b l i d j c (f rfdieinungen ! \
©eftern Stbenö uerbreiieten SRuDio 33ero= i D C l a ) i e i
miinfter foroie anbere Genber bie Wadjiidjt, ! ' U l n f l 1
bie man I)cute in allen 3eituna.cn Icfcn hunn, ;
bajj in einer Spionacieaffatrc 3 SiieditenfteL !
ncr mitoerrotchelt roaren. oon benen ßiuci 311m ;
öern e
Inno, e
ben ©
2Bir Zobe, ein dritter 311 lebenslänglidjem fterher j
oerurteilt rourben. So behlagensroert biefc ! 2u,t2I
Ungliitfilicrjeii finb unb fo fdiroer fic irjie 'Ber- j ^ " v j
fetilungcn büften muffen, fo hommen roit bod) j L
nid)t um bie tfeftftellung tjerum, bafj biefe oer*! y l
urleilten ßeute fid) nid)t nur fdjrocr netten bie I ™
©efcljc eines auslänbifdjen Staates t>ergan= 1 .
gen, fonbern fid) attd) gegen itjr .fjiiinntlanö j " ™
fd)roer oerferjlt rjaben. Es ift unbeftreitf"-
bafj bie Serie ber Spionagefälle
uns liefen, in benen n<"-
ßiedjtenfteii"*'
o'- v Kommentar im «Liechten-
steiner Volksblatt» vom
23. März 1944, unter Ver-
mischtem. In der gleichen
Nummer waren Namen
und Strafen der Haupt-
verurteilten detailliert
publiziert (siehe die voran-
gehende Abbildung)
123
das sie mit 210 gegen 15 Stimmen ablehnte. Un-
günstiges Omen, doch hatte Pfister immerhin als
Offizier Verrat geübt. Die Präsidentenkonferenz der
Räte verzichtete darauf, für die neuerlichen zwei
Gnadengesuche eine ausserordentliche Bundes-
versammlung einzuberufen, und so mussten Qua-
derer und Roos bis zur Sommersession Anfang
Juni warten. Solange konnten sie und ihre An-
gehörigen hoffen. Mit dem ergangenen Urteil wa-
ren sie formell nicht mehr in Untersuchungshaft,
sondern in «Sicherheitshaft», vorerst immer noch
im Bezirksgefängnis St. Gallen. Auf Weisung von
Grossrichter Roth wurden sie am Nachmittag des
4. April 1944 einzeln in die kantonale Strafanstalt
St. Jakob, die im Bereich des heutigen Olma-Areals
lag, transferiert, bis zur Erledigung des Begnadi-
gungsgesuchs.
Mutter und Tochter unternahmen verzweifelte
Rettungsschritte. Die Mutter bat die liechtensteini-
sche Regierung eindringlich, diese möge ebenfalls
ein Gnadengesuch an den Bundesrat zuhanden der
Bundesversammlung einreichen und dazu auch
eine Befürwortung durch den Fürsten erlangen. Ihr
Sohn sei verleitet worden, durch schlechte Kame-
raden und durch einen Verwandten - gemeint war
Weh - , der das Vertrauen der Familie schändlich
missbraucht habe. Sie sei sicher, dass ein Begna-
digungsgesuch des Landesfürsten und der liech-
tensteinischen Regierung angesichts der «ausge-
zeichneten Beziehungen» mit den schweizerischen
Behörden von Erfolg begleitet sein werde. So kön-
ne ihrem Sohn doch das Leben erhalten bleiben.
Zugleich gelangte die Schwester, die wegen des
ihrem Bruder drohenden Schicksals unter Angst-
zuständen litt, flehend an den Fürsten. Sie bat um
Audienz. Sie erhoffte des Fürsten persönliche Für-
sprache bei den Schweizer Behörden.
Fürst Franz Josef II. gewährte keine Audienz, er
liess das schwesterliche Bittschreiben der Regie-
rung übergeben. Er beschied, eine allfällige Inter-
vention in Bern komme nur durch die Regierung in
Frage. Mit einem Vorstoss der Regierung in Bern
zugunsten von Quaderer war der Fürst aber ein-
verstanden. Zu einem eigenen Schritt in Bern zu-
gunsten des zum Tode verurteilten Liechtensteiners
war Franz Josef nicht geneigt, er hatte - wie er
dem Verfasser später als Zeitzeuge sagte - mit den
in der Schweiz verurteilten Verrätern und auch
mit Alfred Quaderer «gar kein Mitleid». Wäre die
Audienz für die Schwester zustande gekommen,
hätte er sich vielleicht doch erweichen lassen.
Der Verurteilte seinerseits richtete Anfang April
1944 ein kurzes Schreiben an den Fürsten. Darin
entschuldigte er sich als «Landeskind» beim Fürs-
ten, dem «Landesvater», für die seinem Vaterlande
zugefügten «Beleidigungen», und versprach:
«Ich will sühnen & sühne als Liechtensteiner mit
Schneid & wie es sich gehört.»
In diesem Schreiben an den Fürsten dankte Quade-
rer zugleich der Regierung. Der wohl auf Anraten
des Verteidigers abgefasste Brief diente offenbar
auch den Anstrengungen zur Begnadigung. Diese
hätte Umwandlung in lebenslängliches Zuchthaus
und irgendwann doch wieder Entlassung bedeutet.
Solches und nicht den Tod hatte der Verurteilte vor
Augen, wenn er von Sühne schrieb.
Die liechtensteinische Regierung teilte im April
der Schwester mit, die Regierung habe
«im. Einvernehmen mit Seiner Durchlaucht dem
Fürsten das uns Mögliche wegen der Begnadigung
Ihres Bruders unternommen».
In der Tat intervenierte die Regierung beim Poli-
tischen Departement in Bern zugunsten einer Be-
gnadigung. Regierungschef-Stellvertreter Dr. Alois
Vogt gab dort auch das Bittschreiben der Mutter
zur Einsicht.
Begnadigungsgesuche gingen einen festgelegten
Weg über mehrere Stationen, und sie wurden ein-
gehend erwogen. Der Bundesrat befasste sich
damit, und zwar aufgrund von Bericht und Antrag
des Militärdepartements. Dieses holte seinerseits
vorgängig die Stellungnahme des Armeeauditors,
des Leiters der ganzen Militär Strafrechtspflege, ein.
Darauf hatte die spezielle Begnadigungskommis-
sion von Nationalrat und Ständerat das Gesuch
zu beraten. Alle genannten beratenden Behörden
stellten Antrag. Schliesslich beschlossen definitiv
über die Begnadigung alle National- und Stände-
räte gemeinsam, als Vereinigte Bundesversamm-
lung tagend, gemäss Bundesverfassung zuständig.
124
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
Verfolgen wir den Gang von Quaderers Begnadi-
gungsgesuch genauer.
In seinem persönlichen Begnadigungsgesuch
machte Quaderer sein jugendliches Alter, seine
ausländische Nationalität und besonders sein um-
fassendes Geständnis, das zur Aufklärung der
ganzen Spionagesache sehr beigetragen habe, gel-
tend. Er hoffte dadurch auf Strafmilderung, jeden-
falls Umwandlung des Todesurteils.
Sein Pflichtverteidiger, Dr. Zollikofer, der schon
im Prozess auf lebenslanges Zuchthaus statt der
Todesstrafe plädiert hatte, argumentierte zuhan-
den des Armeeauditors für Begnadigung: Die Be-
gnadigungsinstanz dürfe den Fall anders behan-
deln als das Gericht, sie könne «rein menschliche
Werte und ethische Momente berücksichtigen», sie
dürfe Gnade walten lassen, ohne die Autorität des
Gerichts zu verletzen. Zollikofer wies darauf hin,
dass mit Quaderer erstmals ein Ausländer durch
ein Schweizer Militärgericht zum Tode verurteilt
würde. Bezüglich von Kurt Roos, den Zollikofer
ebenfalls vertrat, verwies er ebenfalls auf dessen
volles Geständnis, auf die Reue sowie den - für
Quaderer freilich belastenden - Umstand,
«der junge Roos habe völlig unier dem Einfluss des
Quaderer gestanden».
Der Armeeauditor - dies war damals Oberstbriga-
dier Jakob Eugster - referierte diese Verteidiger-
argumentation zwar dem EMD weiter, beantragte
aber ebenfalls Ablehnung der Gesuche von Quade-
rer wie von Roos.
Das Eidgenössische Militärdepartement (EMD)
wiederum erstattete seinerseits am 24. April 1944
Bericht und Antrag zuhanden des Bundesrates.
EMD-Vorsteher war seit Ende 1940 der freisinnige
Bundesrat Karl Kobelt. Aus dem Rheintal stam-
mend und in St. Gallen aufgewachsen, war Kobelt
1933 bis 1940 St. Galler Regierungsrat, 1939/40
auch Nationalrat gewesen. Im Militär war er Ge-
neralstabsoberst. Das EMD schloss sich dem An-
trag des Armeeauditors an und empfahl dem Ge-
samtbundesrat ebenfalls Ablehnung der beiden
Gnadengesuche. Es argumentierte gegenüber den
Überlegungen des Verteidigers - die es ebenfalls
weitergab -, die Begnadigungsbehörde dürfe der
Strafjustiz nicht in den Arm fallen, besonders wenn
es um die höchsten Güter, um Erhaltung und Ver-
teidigung des Staates selbst, gehe. Das Territorial-
gericht 3b habe bei Quaderer den Urteilsspruch
«wohl erwogen», indem es nämlich unter den zahl-
reichen im gleichen Verfahren Beurteilten den
Liechtensteiner Josef Arnold Vogt, den Italiener
Pietro Rossi und die zwei Schweizer Funkersolda-
ten Willy Hürlimann und Georg Ursprung nur zu
lebenslangem Zuchthaus verurteilt habe, während
aber für Quaderer, so das EMD, galt:
«Die Schwere der Verfehlungen und das verletzte
Interesse verlangen die volle Anwendung der
Schärfe des Gesetzes und damit den Vollzug der
Todesstrafe.»
Und nach ähnlichen Erörterungen zu Roos, des-
sen «raffinierte», «von einem stark verbrecheri-
schen Willen» zeugende Taten ebenfalls wesentlich
schwerer wögen als jene der lebenslänglich Ver-
urteilten, schloss das EMD seine ablehnende Stel-
lungnahme zu den Gnadengesuchen von Quaderer
und Roos buchstäblich vernichtend:
«Staat und Armee können nur durch die Vernich-
tung solch niederer und gemeiner Kreaturen vor
weiterem Schaden geschützt werden. Milde und
Gnade Hesse sich hier nicht rechtfertigen und
müsste als Schwäche ausgelegt werden.»
Auch das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepar-
tement (EJPD) war zur Stellungnahme zuhanden
des Bundesrates eingeladen, es erstattete einen
«Mitbericht» zum obigen EMD-Antrag. Geführt
wurde das EJPD seit 1941 vom konservativen
Bundesrat Eduard von Steiger. Er war Berner und
Exponent der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei
(BGB, heute SVP). Der EJPD-Mitbericht argumen-
tierte: Es stelle sich die Frage, ob Gründe zur Mil-
de, um «Gnade für Recht zu setzen», vorlägen. Die
schweizerischen Strafgesetze gäben den Richtern
bereits weitgehende Möglichkeiten, die Strafe ab-
zustufen. Die Verletzungen militärischer Geheim-
nisse durch Quaderer seien «ausserordentlich
schwer». Er habe von Juni 1941 bis zum 1. Januar
1943 spioniert, über eineinhalb Jahre lang, aktiv,
initiativ, Komplizen werbend, für eine Spionage-
125
Organisation, deren Zweck ihm bekannt war. Be-
sonders schwer wögen die Einbrüche ins Platz-
kommando sowie die Beschaffung und Weitergabe
von Angaben über den Chiffrierverkehr, über
Funkstationen, über den Standort einer Telephon-
station des Armeestabes und über den Reduit-
standort des Armeehauptquartiers im Kriegsfall.
Trotz seines jugendlichen Alters von 21 Jahren
beim Beginn seines Tuns sei sich Quaderer der
Tragweite seiner Verrätereien bewusst gewesen.
Man könne ihn daher weder als Verleiteten noch
als jungen Unbesonnenen ansehen. Bezüglich der
Stustunftsbegeljteti 20 !Rp. tn
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(Ejpcbition unb oüc 3lnnoncene;peb.
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Der Bundesrat beantragt
Ablehnung. «W&O» vom
17. Mai 1944
liechtensteinischen Nationalität Quaderers fährt
das EJPD fort:
«Als verfehlt würden wir es sodann betrachten,
dem Umstand entscheidende Bedeutung beizumes-
sen, dass Quaderer Liechtensteiner ist.»
Dies wäre anders, wenn ein Ausländer zugunsten
seines eigenen Landes handelte, was bei Quaderer
indes nicht zutreffe, denn ein Interesse, die schwei-
zerische Wehrkraft zu kennen, um gegen sie auf-
treten zu können, besitze Liechtenstein nicht,
«im Gegenteil ist für diesen Staat die Selbständig-
keit und Neutralität der Schweiz wohl kaum von
geringerem Wert wie für diese selbst.»
Quaderer habe aber auch nicht für Liechtenstein,
sondern für den deutschen Nachrichtendienst spio-
niert. Für Quaderer sei die Schweiz «Gastland»,
mit seinem Heimatland durch den Zollanschluss-
vertrag wirtschaftlich weitgehend verbunden. Wür-
den solche in der Schweiz wohnende Ausländer
durch mildere Bestrafung «privilegiert», so müsste
dies das Ausland geradezu animieren, Spione die-
ser Kategorie anzuwerben. So pflichtete die von
Bundesrat Eduard von Steiger unterzeichnete
EJPD-Stellungnahme vom 12. Mai 1944 ebenfalls
dem EMD-Antrag bei, die zwei Begnadigungsgesu-
che seien abzulehnen.
Wenige Tage darauf standen die Gesuche Qua-
derer und Roos auf der Traktandenliste der
wöchentlichen Bundesratssitzung. Der Bundesrat
tagte am 16. Mai 1944 von 9 bis 13.30 Uhr. Alle Mit-
glieder der schweizerischen Landesregierung wa-
ren anwesend: Bundespräsident Stampfli, die Bun-
desräte Pilet-Golaz, Etter, Celio, von Steiger, Kobelt,
Nobs. Zu erledigen waren 37 grosse und kleinere
Geschäfte. Vor der Behandlung der zwei Begnadi-
gungsgesuche wurde unter anderem der Truppen-
ablösungsplan des Heeres für die Sommermonate
1944 beraten und verabschiedet, wenige Traktan-
den nach der Begnadigungssache wurde ein 57-
Millionen-Kredit zur Flugzeugbeschaffung bewil-
ligt, dann ging es noch um die ausserordentliche
Finanzvollmacht, Pferde- und Maultierzucht, Hin-
terrheinwasserkräfte und um die Botschaft zu Ge-
schäftsbericht und Jahresrechung der SBB. Dazwi-
schen das kurze Traktandum der Begnadigungsge-
126
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
suche, die offenbar nicht oder kaum diskutiert wur-
den. Das Bundesrats-Protokoll hält dazu lapidar
fest, dass der Bundesrat «antragsgemäss» - näm-
lich EMD und EJPD folgend - beschloss:
«Der Bundesrat beantragt der Begnadigungskom-
mission zu Händen der Bundesversammlung die
Abweisung der beiden Begnadigungsgesuche Qua-
derer und Roos.»
Die nächste Behandlung erfolgte in der Begnadi-
gungskommission der eidgenössischen Räte. Die
Kommission versammelte sich am Vormittag des
25. Mai 1944 unter dem Vorsitz ihres Präsidenten,
Nationalrat Brawand aus Grindelwald. Der Kom-
mission waren die Akten zur Einsicht verfügbar.
Das Ergebnis der Beratungen - über die kein Proto-
koll geführt wird - wurde gleichentags amtlich mit-
geteilt:
«Die Kommission beschloss, der Vereinigten Bun-
desversammlung die Abweisung der Gesuche zu
beantragen.»
Zehn Tage später begann in Bern die Sommerses-
sion der eidgenössischen Räte, am Montag, 5. Juni.
Am Dienstag wurde die Session fortgesetzt, es war
der 6. Juni 1944, in der Frühe hatte in der Nor-
mandie die Invasion begonnen. Am nächsten Tag,
Mittwoch, 7. Juni, dem zweiten Invasionstag und
dritten Sessionstag der eidgenössischen Räte, tra-
ten diese zur Vereinigten Bundesversammlung zu-
sammen. Die gemeinsam im Bundeshaus im Natio-
nalratssaal anwesenden 226 National- und Stän-
deräte Hessen sich von der Begnadigungskom-
mission über die Fälle von Alfred Quaderer und
Kurt Roos und ihre Begnadigungsgesuche ins Bild
setzen sowie zusätzlich von Vertretern der Armee
und des Eidgenössischen Militärdepartements über
Fragen militärischer Geheimniswahrung informie-
ren. Dann wurde abgestimmt, geheim. Man folgte
den Anträgen von Bundesrat und Kommission: Bei
Quaderer stimmten nur 15 Räte für Begnadigung -
was lebenslängliches Zuchthaus bedeutet hätte -
und 211 gegen Begnadigung, also für Hinrichtung.
Bei Roos fiel das Ergebnis eng aus: 104 Stimmende
wollten Milde walten lassen, doch 120 lehnten Gna-
de ab.
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oerrätet Q u a b e r e r unb 3t o o s vor.
»ttti>m Gonbercommunique gibt bas Olli«
Die Begnadigungskommis-
sion schlägt Abweisung
vor. «W&O» vom 26. Mai
1944
Sie ^cgmibieutngsgcfucfje
Quaberers unb SRoos' abgelehnt
B e r n , 7. 3uni. ag. Stmtlid) roirb mitgeteiwr-
Die Bereinigte SBunbesoerjammlung 6at in itjrer
Sifcung nom 7. 3uni 1944 bie SBegnabigungs*
ge[uä)e ber non einem 3)fititärgerid)t roegen 35et=
roterei jutn lobe burd) Erfdriejien oerurteitten
Sttngeftagten Sllfreb Hermann Q u a b e r e r unb
Äurt Sotjann SRoos a b g e ro i e f e n. Quabe=
rer unb Koos geprten einet jum 3roede ber
Spionage jugunften eines friegfütjrenben Staa*
tes gegtünbeten Drganifation an. SBeibe ftaben
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fidjt in bie SBerroerflidjfeit itjtet ipanblungen
SBBcttc unb SDTajjnatjmen unfetet 2anbesoettei=
bigung ausgefunbjrfjaftet uni an bas Slusla"s
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für bie SIbletjnung 211. für bie Segnabigung
15 Stimmen, bei Koos füt bie äbletjnung 120,
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Die Vereinigte Bundes-
versammlung beschliesst
am Mittwoch, 7. Juni
1944, Abweisung der
Begnadigungsgesuche.
Amtliche Mitteilung im
«W&O» vom 9. Juni 1944
127
Das Stimmenverhältnis lag bei Quaderer im
üblichen Rahmen, praktisch gleich wie im Falle des
erwähnten Verräters Major Pfister Ende März
1944. Das Stimmenverhältnis bei Roos aber stellte
immerhin den knappsten Ablehnungsentscheid bei
Landesverräter-Gnadengesuchen überhaupt dar.
Die Parlamentarier stuften Quaderers Vergehen als
noch schwerer ein als dasjenige von Roos, der jün-
ger und von Quaderer hineingezogen war. Zur Be-
gnadigung von Roos reichte es dennoch nicht.
Alles war vergeblich gewesen, das Gnadenge-
such Quaderers und des Pflichtverteidigers Zolli-
kofer, die verzweifelten Bemühungen der Mutter
Anna und der Schwester Klara beim Fürsten und
bei der Regierung, die Intervention der liechten-
steinischen Regierung in Bern in Absprache mit
dem Fürsten. Als zu schwerwiegend werteten nach
dem Gerichtsurteil und den Anträgen von Bundes-
rat und Begnadigungskommission auch die eid-
genössischen Volks- und Ständevertreter die Ver-
ratshandlungen.
Die Bundesversammlung entschied übrigens in
allen Fällen ausser einem ebenso, die Gnadenge-
suche von zum Tode verurteilten Landesverrätern
wurden durchwegs abgelehnt, erst im März 1945,
kurz vor Kriegsende, wurde schliesslich ein junger
Franzose begnadigt.
DIE HINRICHTUNG A M 7. JUNI 1944
Noch am selben Mittwoch, 7. Juni 1944, an dem
der Beschluss der Bundesversammlung über Nicht-
begnadigung gefasst war, erfolgte die LIinrichtung
von Alfred Quaderer, 24 Jahre, und von Kurt Roos,
22 Jahre alt.
Schon am Vortag, dem 6. Juni, war Alfred Qua-
derer vorsorglich - nämlich für den Fall eines
negativen Entscheids der Bundesversammlung -
nachmittags durch zwei St. Galler Kantonspolizis-
ten aus der Strafanstalt St. Jakob in St. Gallen in
den Kanton Zürich überführt und der Zürcher Kan-
tonspolizei übergeben worden, offenbar in Win-
terthur, wie eine Angabe auf der Überführungs-
weisung annehmen lässt.
Die ungewöhnliche Überstellung in den Kanton
Zürich war nötig geworden, weil die allfällige Voll-
streckung im Kanton Zürich stattfinden musste,
durch «Truppen aus der Innerschweiz». Quaderer
und Roos hatten in Zug gewohnt, Roos war Soldat
in der Innerschweiz gewesen. Bei einem verurteil-
ten Armeeangehörigen hatten Soldaten aus der
gleichen Truppeneinheit ihren Verräterkameraden
zu exekutieren. Bundesrat Kobelt als EMD-Vorste-
her und Oberstbrigadier Eugster als Armeeauditor
hatten ihrerseits bereits Oberst Thomann, den
Kommandanten des Gebirgsinfanterie-Regiments
37, für den Fall, dass die Bundesversammlung die
Begnadigung ablehne, mit dem Vollzug der Todes-
strafe an Quaderer und Roos auf den Ahend des
7. Juni beauftragt. Aus Thomanns Regiment war
das Exekutionskommando zu stellen, möglicher-
weise aus der Stabskompanie 48, der Roos an-
gehörte.
Auf der Überweisung stehen zwei auffällig
herausgehobene Vermerke: «transportfähig» und
«Vorsicht (englisch schliessen)». Das letztere ist -
wie eine Nachfrage des Verfassers bei der Landes-
polizei in Vaduz und von dort bei der Kantons-
polizei Zürich ergeben hat - eine Fesselungsart, die
seinerzeit beim Transport von Häftlingen mit gros-
sem Fluchtrisiko öfter angewandt wurde und zu-
gleich unauffällig war: Eine dünne Kette war mit
einem Schloss am einen Handgelenk und mit
einem zweiten Schloss am gegenüberliegenden
Fussgelenk festgemacht, dabei lag die Kette unter
dem Rockärmel, die Hand steckte in der Hosen-
tasche, von wo die Kette durch ein Loch durch das
andere Hosenbein zum Fuss hinablief, und zwar so
straff, dass Gehen nur in leicht gebückter Haltung
möglich war. Flucht war unmöglich, obwohl die
zweite Hand frei war. Aussenstehende erkannten
kaum, dass ein Schwerverbrechertransport vor
sich ging. In dieser Weise wurde Alfred Quaderer,
den man mit Grund als fluchtgefährdet einstufte,
«englisch» gesichert von St. Gallen nach Zürich
gebracht. Die Polizei wollte kein Risiko und kein
Aufsehen.
Alfred Quaderer war zweifellos klar, was diese
Verlegung bedeutete. Ihm wurden alle seine weni-
128
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
gen Effekten mitgegeben, im kargen Verzeichnis
ist neben Pass, Ausländerausweis, Kleidungsstü-
cken, Schreibzeug und anderen kleinen Utensilien
mit Bleistiftschrift angefügt: «1 Testament». Quade-
rer und Roos verbrachten die letzte Nacht und den
letzten Tag, an dem in Bern über ihr Leben ent-
schieden wurde, in Zellen der Zürcher Kantons-
polizei.
Die Hinrichtung geschah am Mittwoch, 7. Juni,
abends um acht Uhr, wohl in einem Wald - es hiess
auch, in einer Kiesgrube - , offenbar in der Umge-
bung der Stadt Zürich; der Todesschein ist vom
Zivilstandsamt der Stadt Zürich ausgestellt worden
und nennt «Zürich» als Todesort. Quaderer und
Roos wurden miteinander exekutiert. Die Hinrich-
tungsprotokolle zu Quaderer und Roos sind im
Bundesarchiv zur Zeit (1999) zwar nicht auffind-
bar. Doch das Procedere war durch bundesrät-
liche Verordnung im Detail reglementiert. Zwei
durch Noll publizierte Protokolle anderer Hinrich-
tungen sowie Meienbergs Recherchen zur Er-
schliessung des Landesverräters Ernst Schrämli
bestätigen, dass durchwegs genau nach Reglement
verfahren wurde. Daher wissen wir, wie sich auch
die Hinrichtung von Quaderer und Roos abgespielt
haben muss.
Anwesend mussten gemäss Verordnung sein:
Der Regimentskommandant, hier Oberst Thomann
vom Gebirgsinfanterie-Regiment 37; ein Polizeioffi-
zier des Vollzugskantons, hier von Zürich; dann
vom Territorialgericht 3b, welches das Urteil gefällt
hatte, der Vorsitzende Grossrichter, hier Oberst-
leutnant Hans Roth von Zürich, der Auditor (An-
kläger), hier Major Paul Popp von St. Gallen, der
Gerichtsschreiber, hier Hauptmann Ernst Matter
von Münchenstein, und der Pflichtverteidiger, hier
Dr. Rolf Zollikofer; dazu das mit Camion heran-
geführte Erschiessungskommando, nämlich ein
Offizier mit 20 Unteroffizieren und Soldaten des
Gebirgsinfanterie-Regiments 37, wohl aus der
Stabskompanie 48, in der Roos Aktivdienst geleis-
tet hatte; ein Offizier der Heerespolizei mit zwei
(hier sicher vier) Heerespolizisten; zwei Militär-
ärzte; ein Geistlicher. Nachdem alles bereit stand,
brachten die Heerespolizisten die abseits gehal-
tenen Verurteilten herbei, verbanden ihnen die
Augen, fesselten sie an Stämme oder Pfähle, der
Grossrichter verlas die Urteilsdispositive samt
Rechtskraft- und Vollzugsvermerken, stellte durch
Befragen der Verurteilten nochmals deren Identität
fest, ermächtigte darauf den Regimentskomman-
danten, die Hinrichtung durch Erschiessen vorneh-
men zu lassen, der Feldprediger leistete letzten
Zuspruch, der Regimentskommandant gab gemäss
dem in seinen Händen liegenden schriftlichen
Vollstreckungsbefehl des Eidgenössischen Militär-
departements vom selben Tage den Befehl zum
Erschiessen an den Offizier des Pelotons, dieser
erteilte das Kommando an die 20 Mann, die bis da-
hin in einer Reihe, jeder eine scharfe Patrone im
Karabiner, mit dem Rücken zu den Verurteilten ge-
wartet hatten, sich nun exakt nach den Befehlen
umdrehten, anlegten, auf das Kommando «Feuer»
gleichzeitig schössen, 20 Schüsse in einem, auf die
Llerzgegend, hier verteilt auf die zwei Opfer, diese
sanken in die Stricke, das Erschiessungskomman-
do marschierte sogleich ab, selber stumm, die zwei
Ärzte stellten den Tod fest - wäre er nicht eingetre-
ten, hätte der Pelotonoffizier noch mit der Pistole
den Todesschuss vornehmen müssen - , die Ärzte
beurkundeten den Tod, der Kommandant erklärte
die Vollstreckung des Urteils für beendet und ent-
liess die Urkundspersonen.
Das Ganze dauerte vom Eintreffen auf dem
Richtplatz bis zur Exekution knapp dreissig Minu-
ten, für die Verurteilten vom LIeranführen bis zum
Tod etwa zehn Minuten. Für Alfred Quaderer wie
für Kurt Roos ist in den Akten im Bundesarchiv und
in Zürich die exakte Vollstreckungszeit vermerkt:
«20 Uhr 12».
Quaderer und Roos haben sich im Unterschied
zu manchen anderen zuletzt keineswegs gefasst
verhalten. Dies wissen wir aus der Aussage eines
bei ihrer Hinrichtung Anwesenden. Sein Zeugnis
ist öffentlich überliefert, wenn auch etwas ver-
schlüsselt, nämlich bei Nikiaus Meienberg. Dieser
befragte 1974 Dr. Rolf Zollikofer zu «Ernst S.»,
dem ersten hingerichteten Landesverräter Ernst
Schrämli. Zollikofer hatte Schrämli ebenfalls amt-
lich verteidigt und dessen Exekution beigewohnt.
129
«Am Mittwochabend
hingerichtet». W&O vom
9.Juni 1944
3n(ettion8gcbüt)i: lfpalttge SJttllimettt.
Seile Colaltarjon 7 9?p., fianton, Scrjroet}
9 5Jp., ä u s l a n b 11 Kp., 9ieftamen22 5Jp.
ni) %it 6t.3o^onn unb flnsetgeölait wn 6argon$
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tritt.
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Siefc Kummer umfaßt 8 Seiten
£Das 9teuefte oom Sage
Der SXationalrat befaßte ftcf) au$ in jetner
geftrigen Sitjung mit bem bunbesrätlicfjen ©e=
|<^äftsberi<f)t 1943, roäbrenb ber Stänberat einige
weitere Sollmadjtenbefifjlüffe genehmigte.
Die jum lobe oerurteilten ßanbesoerrätet
91 o o e unb Q u a b e r e r ftnb am 3Jfittroott>
abenb b/ ingertdj te t rootben.
Der gefamte Kifenbabnoerfeljr auf ber 3R o n t
£ e n i s = 2 i n i e tft ft 111 g e l e g t.
Ä ö l n btlbete bas 3^1 eines brtttfdjen 9latt)t=
angriffe. -Ratt) beutfcfjen Reibungen follen 30
otermotortge Sornber abgefdjoffen roorben fein.
J«F" Das alliierte Dberfommanbo gibt bie
Schrämli habe sich, erinnerte sich Zollikofer, auf
dem Hinrichtungsplatz nicht gesträubt, andere
dagegen, so überliefert Meienberg Zollikofers bei-
läufige Bemerkung,
«hätten geschrien und getobt in ihren letzten Mo-
menten, Q. und R. zum Beispiel».
«Q. und R.» - das waren Quaderer und Roos, deren
Erschiessung Zollikofer als Verteidiger ebenfalls
von Amtes wegen mitansehen musste. Sie nahmen
ihr verschuldetes Schicksal nicht an, sie wollten
leben, Verzweiflung brach angesichts des Todes
durch.
Die Leiche jedes Hingerichteten wurde an-
schliessend auf dem Platz in den wegen des Blutes
mit Sägemehl ausgestreuten Sarg gelegt, dieser
wurde vernagelt.
An jenem Mittwoch, 7. Juni 1944, dem Tag der
Hinrichtung von Quaderer und Roos, war es kalt
gewesen, wie den damaligen Zeitungen zu entneh-
men ist, in den Bergen war Schnee gefallen. In der
Nacht auf Donnerstag regnete es, es war Fronleich-
nam, die Dreischwestern trugen «weissen Flor».
Der Feldgeistliche teilte Quaderers Tod dem
Schaaner Pfarrer Tschuor mit. Dieser musste die
Nachricht der Mutter und der Schwester überbrin-
gen. Sie verwanden sie zeitlebens kaum. Sie wa-
ren, des Sohnes und Bruders beraubt, schuldlos
mit bestraft.
Die Angehörigen konnten den Toten am Wohn-
oder Heimatort begraben lassen oder aber auch die
Bestattung den Hinrichtungsbehörden überlassen.
Alfred Quaderer ist weder an seinem Heimatort
Schaan, wo Mutter und Schwester nun wohnten,
noch an seinem Wohnort Zug beerdigt. Er wurde
vielmehr - wie die Recherchen beim Zivilstandsamt
der Stadt Zürich ergeben - in Zürich begraben, auf
dem Friedhof Sihlfeld, Grab Nr. 95, gewiss eilig und
still. Aus dem Umstand, dass die entsprechende
Mitteilung durch das Armeekommando, Abteilung
für Sanität, ans Zivilstandsamt Zürich erfolgte (am
15. Juni 1944), darf man schliessen, dass die Be-
stattung von der Armee veranlasst wurde, wenn
auch im Einvernehmen mit der Mutter Anna Qua-
derer geb. Rüegg, die selber aus Zürich stammte.
Sie und die Verwandten wünschten wohl Aufsehen
in Schaan wie in Zug zu vermeiden.
130
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
4
Information der Öffentlichkeit
und Reaktionen
Wurde die Öffentlichkeit in der Kriegszeit über den
Spionageprozess, das Urteil und die Hinrichtung
Quaderers informiert? Auch in Liechtenstein? Und
wenn, wie weit? Sind Reaktionen feststellbar, ins-
besondere im Fürstentum? Gab es Regungen des
Mitleids, Aufforderungen zur Milde? Oder Rufe
nach Strenge? Wurde das Urteil kommentiert, kri-
tisiert oder bejaht?
Die Interessenlage bezüglich einer Veröffent-
lichung von Spionageurteilen war für die Schweiz
anders als für Liechtenstein. In der Schweiz be-
stand ein vitales Interesse daran, aktive oder
potentielle Verräter abzuschrecken und den Wider-
standsgeist zu stärken. Um solche Effekte zu er-
zielen, musste die Öffentlichkeit über Verräter und
deren schwere Bestrafung informiert werden.
In Liechtenstein dagegen waren Enthüllungen
über Landsleute, die im Solde Hitlerdeutschlands
Spionage gegen die Schweiz trieben, überaus pein-
lich, weil dies sowohl Verwandte und Bekannte in
Verdacht zog als auch den kleinen Staat selber ins
Zwielicht der Unzuverlässigkeit gegenüber der
schützenden Schweiz tauchte.
In der Schweiz erfolgten «amtliche Mitteilun-
gen» über die Spionageurteile. Die Namen der Tä-
ter und ihre Strafen wurden in den Radionach-
richten verlesen und in den Schweizer Zeitungen
veröffentlicht. Auch das Ergebnis der Stationen,
welche die Begnadigungsgesuche durchliefen, so-
wie die Hinrichtungen wurden in der Presse mit-
geteilt, wie zu zeigen sein wird.
Die beiden Liechtensteiner Zeitungen informier-
ten über die in der Schweiz verurteilten Spione
unterschiedlich. Das «Liechtensteiner Volksblatt»
nannte ihre Namen. Das «Liechtensteiner Vater-
land» verschwieg sie. Stellung nahmen beide Blät-
ter. Dies ist nachfolgend ebenfalls darzulegen.
Im März 1944 wurde wenige Tage nach Prozess-
ende die Öffentlichkeit durch Radio Beromünster
und weitere Stationen und durch die Schweizer
Zeitungen über die Urteile des Territorialgerichts
3b gegen 22 Personen des Spionagerings Quaderer,
Roos und Konsorten ins Bild gesetzt, indem die
Personalien der 13 Haupttäter mit den Todesstra-
fen, den lebenslänglichen und den langjährigen
Zuchthausstrafen publiziert wurden. Über die
Straftaten selber hiess es allerdings nur sehr allge-
mein, die Spionierenden hätten in der Zeit vom
Sommer 1941 bis zum Dezember 1942 «militäri-
sche Geheimnisse und Anlagen ausgespäht oder
verraten», auch «durch Einbrüche wichtige militä-
rische Dokumente verschafft und ins Ausland abge-
liefert». Mehr Einzelheiten erfuhr man nicht, das
besagte «Ausland» blieb unbenannt, doch war klar,
dass es nur Hitlerdeutschland sein konnte. Die Zei-
tungsveröffentlichung wurde mit dem Satz «Amt-
lich wird mitgeteilt» eingeleitet. Der in Buchs er-
scheinende «Werdenberger & Obertoggenburger»
brachte den Text am 22. März 1944 und setzte
darüber die fettgedruckten Titelzeilen: «Verurtei-
lungen wegen Landesverrates, Drei Todesurteile».
Am folgenden Tag, 23. März 1944, konnte man
die gleiche, wörtlich identische «amtliche» Mittei-
lung mit allen Namen auch im «Liechtensteiner
Volksblatt» - dem Parteiorgan der Fortschrittlichen
Bürgerpartei - finden, unter dem dicken Titel:
«Verurteilte Spionageorganisation, Drei Todesur-
teile; hohe Zuchthausstrafen». Darin konnten die
Bewohner des Fürstentums unter anderem lesen,
dass Alfred Quaderer und Willy Kranz «zum Tode
durch Erschiessen», Josef Arnold Vogt, Willy Weh
und Pietro Rossi «zu lebenslänglichem Zuchthaus»
sowie Paula Rossi geb. Kranz «zu 4 Jahren Zucht-
haus, 15 Jahren Landesverweisung» verurteilt wor-
den waren.
In der gleichen Ausgabe des «Liechtensteiner
Volksblatts» vom 23. März 1944 stand an anderer
Stelle bei vermischten Meldungen ein kurzer Kom-
mentar mit dem kleinen, unscheinbaren Titel «Be-
trübliche Erscheinungen». Er nimmt Bezug darauf,
dass man am Abend über «Radio Beromünster und
andere Sender» sowie tags darauf «in allen Zeitun-
gen» die Ergebnisse des Spionageprozesses und
die Todesurteile gegen zwei Liechtensteiner und
das lebenslängliche Urteil gegen einen weiteren
Liechtensteiner erfahren konnte; die Namen nennt
er nicht. Der liechtensteinische Zeitungsschreiber
nimmt darauf wertend Stellung:
«So beklagenswert diese Unglücklichen sind und
so schwer sie ihre Verfehlungen büssen müssen, so
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lungcn in einem Spionagcprojejj jutn Schaben
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jum $obe imrd) (Erfcbicfjen, mehrere ju (eben*»
länglichem 3ud>thau£, anbere jn mehr ober mc=
nigcr langjährigen 3ud)tbaueifrrafen »erurtcitt.
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leibet aud) jmei Ciecbtcnfteiner, wooon einer
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3ud)tt)auä oerurteilt.
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®aei Urteil beä febweiäer. 9Jiilirärgerid>te£
bat in Cieebtenftein eine Ißelle ber Empörung
gegen bie an foleben 'SJtacbenfcbaften beteiligten
3n(änber heroorgerufen. (Eä ift wobt anjuneb»
men, bafj baä fcblimme Sd)i<ffal, welches bie
Verurteilten ereilt bat, eine ju abfcbrccfenbc
vfBirtung auelüben werbe, alä bafj auch nur einer
fid) in 3ufunft nod) in Verfucbung führen lajfen
tonnte, ju foleben Unternehmungen bie Jöanb ju
bieten.
Um aber allem falfcben Qlrgmobn unb aller
Verallgemeinerung im Urfeil über unfer Sanb
unb Volt enrgegenjurreten, möchten wir folgen»
beä flarftellen:
Cicd)tenftein bat burd) feinen ßanbeäfürften
gleid) ju Veginn biefeä Äricgeä feine ftritte
SReutralität »erfünben (äffen unb unfere Ve»
hörben haben fid) getreu ber fürftlid)en ^rofla»
mation ftetet ängftlid) bemüht, alletf jit tun, mag
unferer neutralen Äaltung bienlid) war unb
alle* ju oermeiben, waS gegen bie 3ntetcffen
unferer 9!eutralität oerftiep. (Ein ©ewerbe aber,
baä ben Eicbtfdjein ber Sonne fliehen unb bai
©unfel ber 2Rad)t fud)en mufj, ba«
3Bcgen ber normalen P»—'
faljrunn*'—
Spaltenlange «Klarstel-
lung» auf der Frontseite
des «Liechtensteiner
Vaterland» vom 25. März
1944, ohne Nennung von
Namen
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kommen wir doch nicht um die Feststellung herum,
dass diese verurteilten Leute sich nicht nur schwer
gegen die Gesetze eines ausländischen Staates
vergangen, sondern sich auch gegen ihr Heimat-
land schwer verfehlt haben.»
Der Kommentator fährt fort, die bisherige Serie
von Spionagefällen, in welche von Zeit zu Zeit ein
Liechtensteiner verwickelt gewesen sei, zeige sich
«alles andere als dem Land zuträglich», das liech-
tensteinische Ansehen leide darunter, die Folgen
habe eines Tages das ganze Volk Liechtensteins zu
tragen. Die Urteile seien hoffentlich Warnung ge-
nug, dass Ähnliches sich nicht wiederhole.
Aus diesem Kommentar, der offensichtlich von
der «Volksblatt»-Redaktion stammte oder von ihr
inspiriert war, spricht zwar etwas Mitleid mit den
Verurteilten - die «Unglücklichen» seien «bekla-
genswert» -, aber keine Kritik an der Schwere der
Urteile. Diese erschienen dem «Volksblatt»-Kom-
mentator auch aus liechtensteinischer Sicht als
gerechtfertigt, da die Spione sich auch gegen das
eigene kleine Heimatland und Volk «schwer ver-
fehlt» hätten.
Darauf brachte zwei Tage später das «Liechten-
steiner Vaterland» - Organ der Vaterländischen
Union - am 25. März 1944 eine längere Stellung-
nahme, als «Korr.»-Zusendung, unter dem klein
gehaltenen Titel «Zur Klarstellung», aber immerhin
auf der ersten Seite plaziert, nach dem Geschäfts-
bericht der Sparkasse. Der Korrespondent weist
ebenfalls auf die in Radio und Zeitungen veröffent-
lichten Spionageurteile hin. Unter den zum Tode
Verurteilten befänden sich «leider auch zwei Liech-
tensteiner», ein weiterer Liechtensteiner habe le-
benslängliches Zuchthaus erhalten. Namen nennt
der Kommentator nicht. Doch holt er ebenfalls zur
Bewertung aus. Mit den auch Liechtensteiner be-
treffenden Urteilen sei «ein äusserst betrübliches
Kapitel für unser Land» zu Ende gegangen. Nach
Bekanntwerden der Urteile des Schweizer Militär-
gerichts habe sich in Liechtenstein
«eine Welle der Empörung gegen die an solchen
Machenschaften beteiligten Inländer»
132
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
gerichtet. Die Verurteilten habe «ein schlimmes
Schicksal» ereilt. Dieses werde wohl fortan vor je-
der ähnlichen Versuchung abschrecken. Nach sol-
cher Einleitung - die wie im «Volksblatt»-Kommen-
tar neben etwas Mitleid für die Verurteilten die Be-
rechtigung des Urteils nicht in Zweifel zieht -
kommt der «Vaterland»-Korrespondent dann zu
seinem eigentlichen Anliegen:
«Um aber allem falschen Argwohn und aller Ver-
allgemeinerung im Urteil über unser Land und Volk
entgegenzutreten, möchten wir folgendes klarstel-
len»,
nämlich dass Liechtenstein gleich zu Beginn des
Krieges strikte Neutralität verkündet habe, dass
die Landesbehörden diese neutrale Haltung stets
ängstlich geübt hätten, dass die Behörden keine
Schuld an den dunklen Machenschaften der Spione
trügen, vielmehr kräftig eingeschritten seien, wenn
auf liechtensteinischem Territorium verbotener
Nachrichtendienst aufgedeckt wurde. Der «Vater-
land»-Text fährt fort:
«Das liechtensteinische Volk missbilligt entschie-
den und verurteilt die Teilnahme von Inländern an
diesen Spionagefällen. Dass dabei in allen Fällen
zur Llauptsache auch Schweizer massgebend betei-
ligt waren, wird durchaus nicht als Entschuldigung
angesehen.»
Liechtenstein und sein Volk wolle, so schliesst die
«Klarstellung», die Neutralitätspflichten gewissen-
haft erfüllen und insbesondere alles vermeiden,
was mit seinen Pflichten auf Grund des «Wirt-
schaftsanschlusses an die Schweiz» im Wider-
spruch stünde.
Mehrere Aspekte sind in dieser «Vaterland»-
Stellungnahme zum Spionageproblem interessant.
Erstens wird die von Liechtensteinern gegen die
Schweiz verübte Spionage deutlich missbilligt.
Zweitens weist die vom Korrespondenten erwähnte
«Welle der Empörung» der Liechtensteiner gegen
die im März 1944 verurteilten liechtensteinischen
Spione - Quaderer und Konsorten - darauf hin,
dass deren Taten und die Urteile im Lande doch
erregtes Tagesgespräch waren. Drittens werden
die strengen Urteile nicht kritisiert, weder das
Todesurteil noch die sehr langen Zuchthausstrafen.
Viertens aber erweist sich als eigentliches Motiv für
die ganze Stellungnahme die Sorge um das Image
des Landes und der Liechtensteiner, und zwar ge-
rade im Hinblick auf die ausspionierte Schweiz,
von der man auch wirtschaftlich völlig abhing. Die
Klarstellung erfolgte, wie es am Schluss hiess,
«damit nicht bei Lands- und volksunkundigen LIö-
rern und Lesern eine falsche Auffassung hervorge-
rufen wird».
Solche Llörer und Leser mochte es vorab in der
Schweiz, aber auch bei den nun, 1944, bald sieg-
reichen Alliierten geben.
Das «Liechtensteiner Vaterland» druckte neben
dieser Stellungnahme weder die erwähnte amtli-
che Mitteilung, wie sie in den Schweizer Zeitungen
und im «Liechtensteiner Volksblatt» erschien, noch
sonst etwas zum Fall Quaderer und Konsorten ab.
Reine «Vaterland»-Leser erfuhren aus ihrer Zei-
tung ausser der «Klarstellung» nichts, weder Na-
men noch Urteile noch Vergehen noch etwas über
den Gang des Begnadigungsgesuchs und über die
erfolgte Hinrichtung.
Das «Liechtensteiner Volksblatt» informierte,
wie schon gezeigt, in dieser Sache offener. Es äus-
serte sich erneut in der Ausgabe vom 1. April 1944,
und zwar in einem Leitartikel (von «E.») unter dem
breiten Titel «Staat - Volk - Einzelgänger». Die Mit-
arbeit von Liechtensteinern an einer gegen die
Schweiz arbeitenden grossen Spionageorganisati-
on habe «im Lande allerhand unangenehme Gefüh-
le wachgerufen», und «über den Rhein an uns er-
gangene Anfragen» hätten einige «Verwunderung»
gerade befreundeter Schweizer ausgedrückt. Der
Leitartikler argumentiert vorerst in ähnlicher Rich-
tung wie ein paar Tage zuvor der «Vaterland»-Kor-
respondent: Staat und Volk trügen keine Schuld, sie
hielten die «Ehre unseres Landes» und den «guten
Ruf unserer unbedingten Neutralität» aufrecht. Die
Täter seien «Einzelgänger». Dann aber holt der
Leitartikler zu einer politischen Abrechnung aus,
indem er fragte, wie es im Fürstentum zu solchen
Machenschaften - zu Spionage gegen die Schweiz
für Hitlerdeutschland - kommen konnte: Den
Boden dazu bereitet und Schuld habe jene sich
«volksdeutsch» nennende und sich masslos auf-
133
bauschende, unliechtensteinische Bewegung, die
das Land in Gefahr gebracht habe. Gemeint war
die einheimische nationalsozialistische «Volksdeut-
sche Bewegung in Liechtenstein», die von 1938 bis
1945 bestand, 1939 einen Anschlussputsch ver-
suchte und vor allem von 1940 bis 1943 lautstark
hitlerdeutsch agitierte. Dort seien «die Schuldigen
unter den Einzelgängern zu suchen». Das Land
und das liechtensteinische Volk aber hätten von
Anfang an und dauernd ihre «grundsätzliche Ein-
stellung» gegen die «grosse Lüge» und die «faszis-
tische Idee» jener Bewegung gestellt.
Der «Volksblatt»-Leitartikel verfocht zugleich
eine innenpolitische Stossrichtung, indem er die
tatsächliche nationalsozialistische Nährlösung für
die einheimischen Spione geisselte und auch indi-
rekt herausstellte, dass das «Liechtensteiner Vater-
land» und mit ihm die Vaterländische Union, deren
Führung weniger Distanz zur «Volksdeutschen Be-
wegung» hielt, diesen Zusammenhang verschwieg.
Am 31. März 1944 berichtete das «St. Galler Tag-
blatt» kurz unter dem Titel «Zwei neue Begnadi-
gungsgesuche von Landesverrätern», dass Quade-
rer und Roos Begnadigungsgesuche eingereicht
hatten, diese aber erst in der Junisession der
Bundesversammlung behandelt werden könnten,
so dass sie solange zuwarten müssten. Einen Tag
später brachte das «Liechtensteiner Volksblatt» die
amtliche Mitteilung, Major Pfisters Gnadengesuch
sei mit 210 zu 15 Stimmen abgelehnt worden. Den
liechtensteinischen Lesern stand vor Augen, was
Quaderer erwarten mochte. Danach blieb es einen
Monat still.
Anfang Mai 1944 folgte ein neuer Artikel zum
Thema, der unter anderem am 3. Mai in der «Ost-
schweiz», am 4. Mai im «Liechtensteiner Volks-
blatt» und am 5. Mai im «Werdenberger & Ober-
toggenburger» - wo der Schlussabsatz wegblieb -
erschien, mit dem überall gleich lautenden Titel:
«Verräter bitten um Gnade». Darin werden die drei
Todesurteile gegen Quaderer, Roos und Kranz kurz
rekapituliert - mit Namen - , das Verfahren betref-
fend Kassationsbeschwerde und Begnadigung er-
läutert und der Zusammentritt der Begnadigungs-
kommission in Bern auf den 24. Mai angekündigt.
Kranz habe weder Kassation noch Begnadigung
begehrt, da er landesabwesend verurteilt sei und
daher die Strafe nicht zu fürchten brauche - «we-
nigstens vorläufig». Der Autor, offensichtlich ein
Schweizer Korrespondent, stellt danach Überle-
Einzeltäter und Verant-
wortung der NS-Bewegung
im Lande: Leitartikel
im «Liechtensteiner Volks-
blatt» vom 1. April 1944
Staat - ä f o l f - tätmtlQanw
Ii Sie unter öem 18. SOitirä burd) bas fdjroeü
;aifche Jerritorialgericfjt 3B erfolgte 33crur=
teilung oon Siecfjtenftetncrn megen Mitarbeit
an einer umfnngreid)en Spionageorganifation
tat im fianbe allertjanb unangenehme (Befühle
londinerufcn. 3n foleben 3ufaminent)cingen
•miroc ber Siame 2iecf)tenftein beffer nidjt ge»
minnt. aud) in ber uns befreunbeten Sdjroeis
nicht, ober beffer gefagt, gerabe beshalb nidjt,
rotil roir in 2iecbtenftein auf ungetrübte Se=
.üchungen 3toifctjen ben beiben Sänbern ben
( iröjjt e n SB e r t legen. 9!ur roiberftrebenb
haben roir bie über ben fttjetn an un» -
neuen 2ln:ragen beon»*-—'
Sern fl»»~:''
• 3 e i r . bn eine folctje JBeroegung" infolge ber
] aufsenpolitifcfjen Äonftellation für bas 2nnb
i ©efahren in fid) bergen mufcte, bereit fBröfte
niemanb ermeffen ftonnlc. Unb felbft bei aller
S3orfid)t ber §anbt)nbung poiitifdjer 97cad)tmit'
tel honnte bas SSoIh nid)t anbers. als fid) ge-
gen biefe grofje 2üge (teilen, es aijiite bic ©e=
fafjren unb begegnete bem unlauteren SScgin»
nen burd) bic bem 2iechtenfteincr eini'"- "
meffenheit. 2Bcnn ffiinseloö"—
oergingen unb R * *' 3 U '
bi» «• • üinftel lung fd)ul«
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"»tfrittfl»n m a I o f e n Hufbaufdjung. einer
'•"Wanna" gegeben, bie. roie roir biet roie<
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134
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
gungen zum Ausgang an: Am mutmasslichen Ent-
scheid der Begnadigungskommission wie der Bun-
desversammlung zu Quaderer und Roos seien
«kaum Zweifel möglich». Höchstens sei bei Qua-
derer in Betracht zu ziehen, dass er liechtenstei-
nischer Staatsbürger sei und so als Ausländer nicht
sein eigenes Land verraten habe. Dies als mildern-
den Umstand walten zu lassen, «wird jedoch gera-
de in der Heimat Quaderers abgelehnt». Die liech-
tensteinische Presse habe sich nach der Verurtei-
lung von Quaderer, Kranz und Vogt
«mit aller Schärfe gegen die verräterischen Lands-
leute ausgesprochen und ihre Verurteilung be-
grüsst»,
gerade im Hinblick auf das enge Verhältnis zur
Schweiz. Der schweizerische Autor folgerte denn,
die früheren Stellungnahmen des «Liechtensteiner
Volksblatts» und des «Liechtensteiner Vaterlands»
etwas forcierend:
«Wenn also Quaderer als erster Ausländer wegen
Vergehens gegen den Staatsschutz hingerichtet
wird, so ist dies nicht nur juristisch korrekt - auch
ausländische Gerichte beurteilen straffällige Aus-
länder nicht milder als die eigenen Staatsan-
gehörigen -, sondern lässt sich auch vom Stand-
punkt der auswärtigen Beziehungen durchaus ver-
treten.»
Daher, so schliesst der Artikel, werde die Bundes-
versammlung nach Erwägung dieser Momente «al-
ler Voraussicht nach» bei Quaderer und Roos zum
gleichen - negativen - Ergebnis gelangen wie bei
den bisherigen Gesuchen von
«zum Tode verurteilten Feinden unserer staatli-
chen Sicherheit».
Der schweizerische Verfasser dieses Artikels kann-
te die Materie offensichtlich gut. Erstaunlich er-
scheint, dass dieser Text einen Tag nach seinem
Erscheinen in der «Ostschweiz» auch im «Liech-
tensteiner Volksblatt» veröffentlicht wurde, unter
der Rubrik «Aus der Schweiz», und zwar ohne
weiteren Kommentar. Die Erklärung ist einfach:
Das «Liechtensteiner Volksblatt» wurde in Au im
schweizerischen Rheintal gedruckt, dort wurden
auch Texte, etwa Meldungen aus der Schweiz, ohne
11.
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getiefte bitttn um ©noce
3n Sern Hit am 2J. SRai iw Scgnaii.
gungshommiffion ber SSunbesoirfammluncj
jufammen. um bie anträgt übet bie bängijt,
Segnabtgungsgtfudje ju beteinigen. SRit 1*
tum oom 18. SJlärj bat. roie erinnerlich, tea
£ttritoriaigeri<f)t 3B eine Spicmagtorgani.
fation abgeurteilt unb babei äuget höbet
3ucbtbausflrafcn auch bret lobesurteil« gt<
fätlt, nöm(icf) gegen Sllfreo fxrmann £ua-
berer, oon Schaan (Siechtenftein). fturt JJo.
bann 800s, oon &as(e (Sutern), unb SSül̂
Rranj. oon (Eichen (2ied)tenftein). 2Bäb,ttiu>
ber £>?iniai Quaberer» abgelehnt. £ te ^icne
bes gürftentums Siechtenftein bat fid) >m 2h-
fchlufe an bic Verurteilung ber fiiechtenfteiner
Quaberer. Äran3 unb Sogt mit aller Schürfe
gegen bic oerräterifeben Canbsleute auseje«
fproeben unb ihre SkrarteHung begrübt, rot*
bei fie auf bas befon&crs enge Scrtraucns--
ocrbältnis bei beiben Staaten hinroics. Senn
olfo Quaberer als erftcr Sluslänber rocgen
Vergehens gegen ben Staatsfchufc Eingerichtet
roirö. fo ift bics nicht nur juriftifd) horrcht —
auch auslänbifebe (Berichte beurteilen ftraffäl.
(ige SUwlänbcr nicht milber als bie eigenen
Gtciatsangchörigcn —, fonbern läfet fid) auch
oom Stanbpunht ber ausroärtigen Scaiehutp
<icn burdjaus oertreten. 3n Grroägung aller
biefer Sloincntc roirb bie Sunbcsrurfainm«
lung aller Slorausficht nach bei 6er Wtutteb
lung ber (Bnobcngcftichc Quaberer unb 3ioo*
jum felbcn (srgcbnii gelangen roie bei ben
früheren ©efuchen oon jum lobe oerutteilten
Seinben unferer ftaatlichen Gichctheit
Artikel im «Liechtenstei-
ner Volksblatt» vom 4. Mai
1944, unter der Rubrik
«Aus der Schweiz». Tags
zuvor hatte ihn «Die
Gstschweiz» gebracht. Er
erschien auch in andern
Schweizer Zeitungen, so
am 5. Mai 1944 kürzer im
«W&O»
135
Einzelabsprache mit der Vaduzer Redaktion ein-
gerückt. Dies scheint hier geschehen zu sein. Dem
liechtensteinischen «Volksblatt»-Leserpublikum war
hier jedenfalls eine sehr pointierte Meinung vor-
gesetzt.
Damit aber hatte es dann auch sein Bewenden:
Im «Liechtensteiner Volksblatt» wurde danach
keinerlei Meldung mehr zu Quaderer veröffentlicht,
weder zum Gang des Gnadengesuchs noch zur Hin-
richtung. Dieses plötzliche und auffällige öffent-
liche Schweigen auch im Mehrheitsblatt geschah
zweifellos bewusst, durch Einwirken der Bürger-
partei oder der Regierung, die von Dr. Josef Hoop
geführt war, auf die Redaktion. Die öffentliche
Erörterung des Falles und des Themas wurde als
nicht mehr opportun angesehen. Alfred Quaderer
war damit in seiner Heimat schon fünf Wochen vor
der Hinrichtung totgeschwiegen.
Indes wurde über dem Rhein, etwa im «Werden-
berger & Obertoggenburger» in Buchs, regelmässig
über die weiteren Stationen berichtet, so dass man
auch im Ländchen sehr wohl Bescheid wissen
konnte. Am 17. Mai 1944 wurde der Leserschaft auf
der ersten Seite unter der Rubrik «Das Neueste
vom Tage» mitgeteilt: Der Bundesrat beantrage
Ablehnung der Begnadigung der zum Tode verur-
teilten Landesverräter Roos und Quaderer. Eine
gute Woche darauf, am 26. Mai, hiess es unter der
gleichen Rubrik, auch die Begnadigungskommissi-
on der beiden Räte schlage der Bundesversamm-
lung Abweisung der Gnadengesuche vor.
Am 7. Juni ging an Agenturen, Zeitungen und
Radio eine längere amtliche Mitteilung aus Bern:
Die Vereinigte Bundesversammlung habe heute die
Gesuche der beiden zum Tode durch Erschiessen
verurteilten Alfred Quaderer und Kurt Roos abge-
lehnt. Die amtliche Mitteilung enthielt auch eine
Begründung der Ablehnung zuhanden der Öffent-
lichkeit: Quaderer und Roos hätten einer Spio-
nageorganisation «zugunsten eines kriegführenden
Staates» - Deutschland wurde nicht genannt -
angehört. Während eineinhalb Jahren hätten sie
«Werke und Massnahmen unserer Landesvertei-
digung ausgekundschaftet und an das Ausland
verraten». Sie seien dazu auch mehrmals in «eine
militärische Kommandostelle» eingedrungen. Sie
hätten «in voller Einsicht in die Verwerflichkeit
ihrer Handlungen» agiert. Die amtliche Mitteilung-
welche die Folgerungen der Bundesversammlung
zusammenfasst - fährt fort:
«Durch die mit grosser Umsicht und Gründlichkeit
vorbereiteten und durchgeführten Verbrechen ha-
ben sie die Wirksamkeit wichtiger Anordnungen
unserer Landesverteidigung in hohem Masse in
Frage gestellt und das Leben vieler schweizeri-
scher Wehrmänner aufs Spiel gesetzt. So musste
trotz des jugendlichen Alters der Angeklagten die
volle Strenge des Gesetzes Platz greifen.»
Die amtliche Mitteilung enthielt ebenfalls das Stim-
menverhältnis. So erfuhr man auch in der Öffent-
lichkeit und in Liechtenstein, dass Quaderers Ge-
such - und Leben - mit 211 zu 15 Stimmen über-
deutlich fiel, jenes von Roos dagegen nur knapp.
Der «Werdenberger & Obertoggenburger»
brachte diese Mitteilung aber erst am Freitag, 9.
Juni, unter dem Titel «Die Begnadigungsgesuche
Quaderers und Roos' abgelehnt». Daher konnte
man in der gleichen Ausgabe vom 9. Juni 1944
schon auf der ersten Seite zuoberst «Das Neueste
vom Tage» lesen: Der Nationalrat hat den Ge-
schäftsbericht beraten, der Ständerat hat Voll-
machtenbeschlüsse genehmigt, und:
«Die zum Tode verurteilten Landesverräter Roos
und Quaderer sind am Mittwochabend hingerichtet
worden.»
Und: Der Eisenbahnverkehr auf der Mont-Cenis-
Linie ist stillgelegt, Köln ist in der Nacht bombar-
diert worden, 30 britische Bomber seien abge-
schossen, und das alliierte Oberkommando hat die
erste Phase der Invasion für abgeschlossen erklärt.
Wir können zur Informationspolitik und zu Re-
aktionen festhalten: Über den Spionageprozess, die
Urteile und die Hinrichtungen im Fall Quaderer
wurde in der Schweiz die Öffentlichkeit durchaus
informiert, über die Verratshandlungen selber al-
lerdings nur summarisch, da militärische Geheim-
nisse tangiert waren. In Liechtenstein dagegen
wurde ungleichmässig informiert - vom Minder-
heitsorgan gar nicht - , und nach kurzem wurde
136
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
5
Fragen zum Fall Quaderer
auch die offene Information des Mehrheitsorgans
gestoppt, zweifellos aus innen- und aussenpoliti-
schen Rücksichten. Dennoch konnte man hier über
Schweizer Zeitungen und Radio das Wesentlichste
erfahren. Auch in Liechtenstein distanzierte man
sich entrüstet von den aufgeflogenen Spionen, wel-
che Einzeltäter seien, und man betonte die kor-
rekte Haltung des Landes, nämlich von Seiten des
«Volksblatts» die konsequente Ablehnung des Na-
tionalsozialismus und von Seiten des «Vaterlands»
die strikte Neutralität. Man nahm auch hier die
Urteile als selbstverschuldet hin, auch das Todes-
verdikt gegen den in der Schweiz einsitzenden
Quaderer, wies aber von Bürgerparteiseite auch
den einheimischen Nationalsozialisten der «Volks-
deutschen Bewegung» Mitverantwortung am Ver-
rat und damit an Quaderers Schicksal zu. Kritik an
der Todesstrafe oder Anstösse zur Milde wurden,
ausser im Familienkreis, nicht manifest. Auch
Fürst und Regierung taten mit dem halbherzigen
Vorstoss in Bern wenig.
In der Schweiz wurden eine ganze Anzahl wei-
terer Spionage-Urteile gegen Liechtensteiner oder
Personen mit Beziehungen zu Liechtenstein gefällt.
Im März 1945 folgte noch ein drittes schweizeri-
sches Todesurteil - nach Quaderer und Kranz -
wegen militärischen Landesverrats gegen einen
Liechtensteiner, nämlich gegen Theo Wolfinger von
Balzers. Überdies war auch ein Todesurteil gegen
den in Liechtenstein lebenden Schweizer Emil
Scherzinger ergangen. Kranz und Wolfinger und
Scherzinger entgingen der Hinrichtung nur, weil
sie während des Krieges nicht in der Schweiz
gefasst wurden. Kranz und Wolfinger und ebenso
Weh wurden aber nach dem Krieg von den alli-
ierten Besatzungsbehörden an die Schweiz aus-
geliefert, sie verbüssten dort nach neuen Urteilen
teils lange Zuchthausstrafen, so wie etliche wei-
tere Liechtensteiner auch. Wieder andere in der
Schweiz verurteilte liechtensteinische Spione konn-
ten dies vermeiden, indem sie die Schweiz bis zur
Verjährung nicht mehr betraten.
RECHTSSTAATLICHES VERFAHREN?
Des Strafrechtlers Peter Noll Untersuchung der
Prozesse der 17 in der Schweiz hingerichteten Lan-
desverräter, darunter eben Quaderer, zeigt, dass
durchwegs rechtsstaatlich korrekt verfahren wur-
de. Quaderer wurde nicht einfach rasch gefasst,
abgeurteilt und exekutiert. Die Untersuchung wur-
de sorgfältig geführt, ebenso die Gerichtsverhand-
lung und das Begnadigungsverfahren.
Grundsätzlich problematisch aber war und
bleibt vor allem, worauf auch Noll hinweist, die
verhängte und vollstreckte Todesstrafe.
STRAFZWECKE: ARSCHRECKUNG, SÜHNE,
GERECHTIGKEIT?
Auf was für Strafzwecke zielte die Verhängung
der Todesstrafe für Landesverräter? Wurden sie
erreicht? Im Vordergrund standen damals Ab-
schreckung und Sühne, auch Herstellung von Ge-
rechtigkeit.
Die Abschreckung diente der Abwehr weiteren
Verrats. Die Verrätereien gingen denn auch nach
Bekanntwerden der ersten Todesurteile, im Herbst
1942, sogleich auffällig zurück. Das Risiko erschien
nun plötzlich als zu hoch, wegen ein paar hundert
oder tausend Franken das Leben zu verlieren.
Auch Alfred Quaderer, der kein Nationalsozialist
war, sondern leichtes Geld im Auge hatte, rechnete
während seines Tuns gewiss nie damit, dass er auf
dem Richtplatz enden könnte.
Sühne wurde gefordert, für den als niederträch-
tig gewerteten Verrat, der die Existenz des Landes
und das Leben seiner Bewohner gefährdete. Für
das schwerste Verbrechen, den Verrat, galt die
schwerste Sühne, der Tod. Quaderer äusserte Be-
reitschaft zu «sühnen», aber nicht mit dem Tod.
Gerechtigkeit schien aber dem Gericht, den
Behörden, der Bundesversammlung und der Öf-
fentlichkeit in den schwersten Fällen erst durch
den Tod des Verräters wiederhergestellt, waren
doch gleichzeitig Hunderttausende in Angst um ihr
Leben, auch bereit zum Einsatz des Lebens für die
137
Verteidigung des Landes. Sogar der Theologe Karl
Barth, der später die Todesstrafe grundsätzlich
ablehnte, befürwortete sie während des Zweiten
Weltkrieges für Landesverräter, angesichts der na-
tionalsozialistischen Bedrohung der Schweiz.
WAS HÄTTE QUADERER VOR EINEM LIECH-
TENSTEINISCHEN GERICHT ERWARTET?
Quaderer hatte zum Nachteil der Schweiz spio-
niert. Wäre sein Tun auch in Liechtenstein strafbar
gewesen? Mit welchen Konsequenzen? Diese an
sich hypothetische Frage lässt sich in diesem Falle
sehr konkret beantworten. Denn gerade die in der
Schweiz später als Landesverräter zum Tode verur-
teilten Spione Willy Kranz, Emil Scherzinger und
Theo Wolfinger waren wegen ihrer Spionagetaten
aufgrund schweizerischer Liinweise Ende 1942
schon in Liechtenstein verhaftet und 1943 in Vaduz
auch verurteilt worden. Wir dürfen daher davon
ausgehen, dass sich für Alfred Quaderer hier ein
Strafmass in ähnlichem Rahmen ergeben hätte.
Willy Kranz wurde vom liechtensteinischen Kr i -
minalgericht im März 1943 wegen verbotenen mi-
litärischen Nachrichtendienstes zu einem Jahr und
neun Monaten Kerker verurteilt, Wolfinger zu zwei
Jahren Kerker, Scherzinger zu zweieinhalb Jahren
Kerker. In der Schweiz dagegen wurden, wie weiter
oben erwähnt, alle drei später für die gleichen
Spionagevergehen zum Tod verurteilt. Kranz, Wol-
finger und Scherzinger entwichen allerdings schon
im April 1943 aus dem Vaduzer Gefängnis, nach
Deutschland.
Auch Quaderer, dessen Spionagetaten mit jenen
von Kranz vergleichbar waren, hätte also, wäre er
in Liechtenstein verhaftet und hier verurteilt wor-
den, mit einer Kerkerstrafe von etwa zwei Jahren
rechnen müssen.
Der ins Auge springende Unterschied in der Be-
urteilung der gleichen Tatbestände gründete darin,
dass sich erstens die Verratshandlungen gegen die
Schweiz und nicht direkt gegen Liechtenstein rich-
teten und dass sie zweitens im Fürstentum nicht
von einer Strafnorm erfasst wurden, welche sie als
Landesverrat gewertet hätte, sondern nur vom
«Spitzelgesetz» von 1937, dem «Gesetz betreffend
den Schutz der Sicherheit des Landes und seiner
Bewohner», mit entsprechendem Strafrahmen. Auf
«Hochverrat» wäre zwar auch im liechtensteini-
schen Strafgesetz noch die Todesstrafe gestanden.
Aber Spionage für oder gegen ein fremdes Land -
in diesen Fällen für Deutschland, gegen die
Schweiz - galt nicht als Hochverrat, sondern nur
als verbotener Nachrichtendienst.
LANDESVERRÄTER AUCH GEGENÜBER
LIECHTENSTEIN?
Hatten Alfred Quaderer und weitere wegen Lan-
desverrats in der Schweiz verurteilte Liechtenstei-
ner auch Landesverrat an Liechtenstein verübt?
Nach dem Wortlaut der liechtensteinischen Gesetze
offensichtlich nicht, jedenfalls nicht im Sinne des
Hochverrats nach Strafgesetzbuch, wie oben ge-
zeigt. Juristisch waren sie also keine liechtensteini-
schen Landesverräter.
Zumindest politisch und moralisch allerdings
rückten sie in die Nähe auch des liechtensteini-
schen Landesverrats, des «Hochverrats». Quaderer
und die weiteren für Hitlerdeutschland spionie-
renden Liechtensteiner gefährdeten nämlich durch
ihren Verrat gegen die Schweiz auch das Fürsten-
tum und seine Bewohner existentiell. Wie die
militärische Bedrohung der Schweiz Liechtenstein
mit einschloss, so umgriff Landesverrat gegen die
Schweiz auch Verrat gegen Liechtenstein. Entlang
dieser Linie wurde damals, wie hier sichtbar
geworden ist, auch in den Schweizer Instanzen
und ebenso in der liechtensteinischen Presse
und Öffentlichkeit argumentiert. Diese Überzeu-
gung war es ja eigentlich gewesen, welche für Ge-
richt und Behörden in der Schweiz den Ausschlag
gegeben hatte, Quaderer ohne Milde dem Tod zu
überantworten.
Selbst die liechtensteinische Gesandtschaft in
Bern hielt ein Jahrzehnt nach dem Krieg im
Zusammenhang mit Begnadigungseingaben von
Liechtensteiner Spionen, die 1955 noch in Schwei-
138
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
zer Gefängnissen einsassen, im selben Sinne fest:
Handlungen gegen die militärische Bereitschaft der
Schweiz im Zweiten Weltkrieg seien letztlich indi-
rekt auch gegen Liechtenstein gerichtet gewesen.
VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT: DEN KLEINEN
GEHÄNGT?
Trotz allem - war die Todesstrafe für die Verrats-
handlungen von Alfred Quaderer und seinesglei-
chen wirklich verhältnismässig? Hat man ihn nicht
als den sprichwörtlichen Kleinen exekutiert?
In der Tat waren die Verurteilten, wie auch
Quaderer, in der Regel arm oder ärmlich, nicht vom
Leben verwöhnt, auch wenn sie nicht aus Not
handelten, schlecht integriert auch. So schwer ge-
wogen wurden ihre Vergehen aber, weil sie den
vitalsten Bereich, Existenz und Leben, betrafen.
Und weil es Taten waren, nicht nur Gedanken oder
Worte, sondern Werke, verboten, von Sanktion
bedroht, fassbar. Und weil diese eindeutig waren,
nicht ambivalent wie etwa wirtschaftliche Koope-
ration und Kollaboration. Denn die wirtschaftliche
Zusammenarbeit mit Hitlerdeutscbland, insbeson-
dere die Lieferung von Rüstungsmaterial und
kriegswichtigen Gütern, war nicht nur nicht gene-
rell verboten, sondern hatte aus Schweizer wie
Liechtensteiner Sicht immer auch als nützlich er-
achtete Seiten, indem sie Arbeit schuf, die lebens-
wichtigen Einfuhren aus dem Reich sicherte, viel-
leicht Hitler gar vom Angriff abhielte.
So kann man sagen.- Ja, man hat mit den Lan-
desverrätern in der Schweiz, einschliesslich Qua-
derer, die Kleinen erschossen, aber nicht weil man
nur die Kleinen hängen und die Grossen laufen
lassen wollte, sondern weil sie, obwohl Kleine,
Grosses verbrochen, das Land und das Leben der
Bewohner durch Verrat tödlich gefährdet hatten.
Dass dem so war, dessen waren sich allerdings
Quaderer und Roos und manche andere nicht wirk-
lich bewusst.
Und die Verhältnismässigkeit gegenüber den
Bemühungen der Anschluss-Leute, hierzulande der
Anschluss- und «Umbruch»-Aktivisten der «Volks-
deutschen Bewegung in Liechtenstein»? Waren sie
etwa besser als Quaderer? Die Frage nach der Ver-
hältnismässigkeit ist auch die Frage nach der Ge-
rechtigkeit. Gegenüber der tödlichen Konsequenz,
welche Quaderer als militärischen Landesverräter
traf, empörte damals und störte noch später viele
im Fürstentum das ungeschorene Davonkommen
vieler und Grösserer, welche ähnliche Ziele mit an-
dern Mitteln angestrebt hatten. Wie gezeigt, wäre
Quaderer in Liechtenstein mit etwa zwei Jahren
Kerker davongekommen. Man hat in Liechtenstein
gewartet, bis der Krieg vorbei war, und dann jene
Bewegungs-Führer, die 1939 den Anschlussputsch
verantworteten, auch gerichtlich abgeurteilt, eben-
so den ab 1940 tätigen, anschlussbereiten Landes-
leiter der «Volksdeutschen Bewegung», Dr. Alfons
Goop, der für die einheimische NS-Bewegung und
für deren Mitleiter, einschliesslich «Umbruch»-
Kampfblatt-Redaktoren, die ganze Verantwortung
und eine mehrjährige Strafe auf sich nahm.
139
6
Zeit und Mentalität
Zum Schluss muss man sich aus der Rückschau die
Zeitbedingungen vergegenwärtigen: Zweiter Welt-
krieg, die Schweiz und Liechtenstein vom Krieg
umflossen, Gefährdung von allen Seiten, Unsicher-
heit, ob man nicht angegriffen werde, Pflichten,
kriegswirtschaftliche Einschränkungen, Zukunfts-
und Lebensangst, Todesangst. Da erschienen Ver-
ratshandlungen gegen das eigene Land als Dolch-
stösse, Verräterei als eine Form der Kriegführung,
die Verräter als Feinde, als zum Feind übergelau-
fene Soldaten, denen man schliesslich, nach Ge-
richtsverfahren zwar, auf dem Richtplatz auch mit
der Waffe entgegentrat. In jener Zeitsituation und
Stimmung wussten sich die Behörden mit der Be-
völkerung in solcher Bewertung der Landesverrä-
ter, auch der Todesurteile, einig.
Auch in Liechtenstein nahm man den Prozess
gegen Alfred Quaderer und seine Hinrichtung, die
man erfuhr, offenbar mit Interesse, aber ohne gros-
ses Mitleid hin. Viele waren empört ob des verräte-
rischen Treibens. Manche, zumal die aktiven NS-
Gegner, empfanden Genugtuung über die Strafe.
Diese erschien als hart, aber gerecht und nötig. Im
Krieg galt ein Menschenleben wenig, gar das eines
Verräters. Die Behörden zeigten wenig Eifer, zu-
gunsten des Lebens von Quaderer einzuwirken,
das Landesinteresse, die Bewahrung des guten
Verhältnisses zur Schweiz, ging vor. Quaderer war
seit der Primarschulzeit landesabwesend, halb
fremd, Schweizer Dialekt redend, man kannte ihn
hier kaum mehr. Nach dem Krieg redete man
wenig mehr davon, man wusste auch nichts Ge-
naues.
Eines führt der hier geschilderte Fall des Alfred
Quaderer gerade auch für das kriegsverschonte
Liechtenstein drastisch vor Augen: Ins allgemeine
Kriegsgeschehen waren lauter Einzelschicksale
eingebettet, und es ging um Leben und Tod.
Dass freilich der Tod auch im extremsten
Schuldfall einem Menschen nicht als gerichtliche
Strafe von Staates wegen zugefügt, sondern ihm
sein Letztes, das Leben, immer bewahrt werden
sollte - wie es die Überzeugung des Verfassers ist -,
dies hat in jener extremen Zeitsituation nicht der
allgemeinen Mentalität entsprochen.
140
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
QUELLEN UND
LITERATUR
ARCHIVQUELLEN
Liechtensteinisches
Landesarchiv (LLA): RF
219/28. - RF 224/303. -
RF 224/460. - RF 234/
131. - S 75/203. -Weitere
Einzelakten.
Bundesarchiv Bern:
E 5330 1982/1, Bände
92-94, 98/124/1943. -
E 5330 1982/125. -
Protokoll des Bundesrates
vom 16. Mai 1944.
Staatsarchiv St. Gallen:
A116/1383.
Akten aus dem Nachlass
von Regierungschef-
Stellvertreter Ferdinand
Nigg (dem Verfasser
freundlicherweise zur
Einsicht gegeben von
Professor Ernst Nigg,
Vaduz; die Akten heute
auch im LLA).
Stadtarchiv Zug (freund-
liche Auskunft von Stadt-
archivar Dr. Christian
Raschle).
Zivilstandsamt Vaduz.
Zivilstandsamt der Stadt
Zug: Todesschein Alfred
Quaderer (freundliche
Auskunft von Irene
Schwendimann).
Zivilstandsamt der Stadt
Zürich: Todesschein Alfred
Quaderer, Begräbnis-
angabe (freundliche
Auskunft von Hrn. Stein-
mann).
GEDRUCKTE QUELLEN
Bericht an die Bundesver-
sammlung über den Aktiv-
dienst 1939 bis 1945 von
General Guisan (März
1946).
Bericht des Chefs des
Generalstabes der Armee
an den Oberbefehlshaber
der Armee über den
Aktivdienst 1939-1945
(von Generalstabschef
Jakob Huber, November
1945).
Bericht des Armeeauditors
(Oberstbrigadier Jakob
Eugster), in: Bericht des
Generaldajutanten der
Armee an den Ober-
befehlshaber der Armee
über den Aktivdienst
1939 bis 1945, S. 239-265
(20. August 1945).
Die Tätigkeit des Sicher-
heitsdienstes der Armee
(von Oberst Müller und
Oberst Jaquillard), Nach-
trag Nr. 2 zum Bericht
vom November 1945 des
Chefs des Generalstabes
über den Aktivdienst 1939
bis 1945. In: Bericht des
Chefs des Generalstabes
(siehe dort), S. 463-513.
Akten zur Deutschen Aus-
wärtigen Politik 1918-
1945, Serie E: 1941-1945,
Bd. III, Dok. Nr. 258
(Schreiben von Köcher
ans Auswärtige Amt.
1. September 1942).
Schweizerisches Militär-
strafgesetz (MStG), Bun-
desgesetz vom 1 3. Juni
1927.
Schweizerische Militär-
strafgerichtsordnung
(MStGO), Bundesgesetz
vom 28. Juni 1989.
Schweizerisches Strafge-
setzbuch (StGB), Bundes-
gesetz vom 21. Dezember
1937.
Österreichisches Strafge-
setz über Verbrechen,
Vergehen und Übertretun-
gen vom 27. Mai 1852,
eingeführt im Fürstentum
Liechtenstein mit der
fürstlichen Verordnung
vom 7. November 1859.
In: Amtliches Sammelwerk
der Liechtensteinischen
Rechtsvorschriften vor
1863, Liechtensteinisches
Landesgesetzblatt 1967,
Nr. 34.
Gesetz betreffend den
Schutz zur Sicherheit des
Landes und seiner Bewoh-
ner vom 1 7. März 1937
(seinerzeit «Spitzelgesetz»
genannt), Liechtenstei-
nisches Landesgesetzblatt
1937, Nr. 3.
ZEITUNGEN
Werdenberger & Obertog-
genburger (W&O). (Buchs),
1939-1945; hier speziell
März bis Juni 1944.
Liechtensteiner Volksblatt,
März bis Juni 1944.
Liechtensteiner Vaterland,
März bis Juni 1944.
St. Galler Tagblatt (Aus-
schnitte 1944 im Staats-
archiv St. Gallen, s. oben).
Die Ostschweiz (Aus-
schnitte 1944 im Staats-
archiv St. Gallen, s. oben).
Die Jugend, Mitteilungs-
blatt des Fürstlich-Liech-
tensteinischen Pfadfmder-
und Pfadfinderinnen-
Korps, ab April 1944,
1945.
ZEITZEUGEN-INTER-
VIEWS DES VERFASSERS
Armin Linder t, St. Gallen,
vom Juni 1976.
Johannes Tschuort,
Pfarrer von Schaan, vom
LI. und 31. Mai 1988.
Fürst Franz Josef IL
von Liechtenstein t, vom
10. Februar 1989.
Meinrad Lingg, Schaan,
vom 29. Januar 1998.
Weitere Einzelmitteilungen
verschiedener Personen.
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LITERATUR
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Ein biographisches Lexi-
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verräteres Ernst S. Zürich,
1992 (erstmals veröffent-
licht 1975 in Nikiaus
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Nr. 14 / Sommer 1999,
S. 40-47.
Unser Alpenkorps. Hrsg.
vom Gebirgsarmeekorps 3.
Ölten. 1983.
Wanger, Manfred: Stamm-
tafeln der Bürgerfamilien
von Schaan.Schaan,
1989.
BILDNACHWEIS
S. 115 und 117:
Gemeindearchiv Schaan.
S. 123, 132, 134 und 135:
Landesarchiv und Landes-
bibliothek, Vaduz («Liech-
tensteiner Volksblatt»,
«Liechtensteiner Vater-
land»).
S. 122, 126, 127 und 130:
BuchsDruck («W&O»),
Buchs.
ANSCHRIFT DES AUTORS
PD Dr. Peter Geiger
Im obera Gamander 18
FL-9494 Schaan
142
DAS ALTE
PFARRHAUS A U F
D E M KIRCHHÜGEL
B E N D E R N
ARCHÄOLOGISCHE A U S G R A B U N G E N
U N D B A U G E S C H I C H T L I C H E U N T E R S U C H U N G E N
GEORG M A L I N
I n h a l t
E i n f ü h r u n g und Dank 145
Ausgangslage
Darstellung anhand der schrift l ichen
Quellen 146
Zeitlicher Ablauf der Untersuchungen 150
Unmittelbare Umgebung 154
Bauperiode 1
Die f r ü h e s t e n Bauten 155
Bauperiode 2
Erstes erkennbares Grundrissschema,
Ende 16. Jahrhundert 159
Bauperiode 3
Barockbau 1633/1644 166
Bauperiode 4
Bauliche V e r ä n d e r u n g e n im 18. und
f r ü h e n 19. Jahrhundert 175
Bauperiode 5
U m b a u von 1875 180
Das 20. Jahrhundert 191
Die Funde aus dem Grabungsgebiet A 192
- M ü n z f u n d e 192
- Keramikfunde 193
A N H A N G 196
Urkunde vom 12. März 1751 196
- Transkript ion 196
A b k ü r z u n g e n 201
Ungedruckte Quellen 201
Literaturverzeichnis 201
144
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
EINFÜHRUNG UND DANK
Der vorliegende Bericht soll der erste Teil einer
umfassenden Publikation der a r c h ä o l o g i s c h e n und
bauanalytischen Untersuchungen auf dem K i r c h -
hügel von Bendern sein. Es ist geplant, in drei Fo l -
gen die wissenschaftl ichen Ergebnisse zu veröf-
fentlichen. Der erste Teil (A) soll die Baugeschich-
te des alten Pfarrhauses (Pfarrstall) untersuchen
(Abb. 3). In einem zweiten Bericht wi rd die Ge-
schichte der Statthalterei geschildert, also des Hau-
ses, welches den P r ä m o n s t r a t e n s e r n von St. Luz i
in Chur zur Verwaltung der Güte r in unserer Ge-
gend und in Krisenzeiten als Zufluchtsort diente. In
einem dritten Teil sollen die Ergebnisse der K i r -
chengrabungen dargestellt werden. Eine kurze Zu-
sammenfassung dieser bedeutsamen Erhebungen
ist bereits 1978 in der Sondernummer der «helve-
tia a r c h a e o l o g i c a » 1 erschienen.
Die wesentlichen Forschungsergebnisse betref-
fend das alte Pfarrhaus (Pfarrstall) wurden schon
1989 in einem Vorbericht der Gemeinde Gampr in -
Bendern ü b e r g e b e n . -
Ich danke den G e m e i n d e b e h ö r d e n von Gampr in ,
besonders Alt-Vorsteher Lorenz Hasler, der Alt-
Vorsteherin M a r i a Marxer und Vorsteher Donath
Oehri, f ü r das Vertrauen und die Auftragsertei lung
zur Verfassung des Berichts. Dem ehemaligen Präs i -
denten des Historischen Vereins Alois Ospelt, dem
amtierenden Vorsitzenden Rupert Quaderer sowie
dem G e s c h ä f t s f ü h r e r Klaus Biedermann danke ich
fü r die Zusammenarbeit w ä h r e n d der Ausgrabung
und der Drucklegung des Berichts. Bei dieser Gele-
genheit darf ich auch s ä m t l i c h e n Fachleuten, Spe-
zialisten und Beratern fü r die Hilfe und Unte r s tü t -
zung in allen Phasen der Untersuchungen am alten
Pfarrhaus danken. Ich danke der ehemaligen Gra-
bungsequipe des Bauamtes der Regierung unter
der Leitung von Werner Batliner, H a n s j ö r g F r o m -
melt und seinem Team f ü r die Leitung der Nach-
grabungen und die zahlreichen Hinweise und Rat-
schläge . Besonderen Dank schulde ich Peter Alber-
tin und seinen Mitarbei ter innen und Mitarbei tern
fü r die Notizen zu Beobachtungen am Bau, f ü r die
steingerechten A u f n a h m e n i m Grundriss und am
aufgehenden Mauerwerk sowie fü r die Pläne zu
einzelnen Bauphasen. Das Laboratoire Romand de
Dendrochronologie in Moudon bestimmte Ar t und
Alter verschiedener Hölzer. Walter W ä c h t e r lieferte
Fotos zu den Ausgrabungsbefunden, ebenso Peter
Alber t in . Norbert Hasler stellte die Aufnahme zur
Zeichnung von K. A . Kayser (1843) i m Liechten-
steinischen Landesmuseum, Vaduz, zur Ver fügung .
Claudius Gurt verdanke ich die Ü b e r a r b e i t u n g der
Transkription der Urkunde vom 12. März 1751. Ber-
ty Malin-Ziegler leistete aufwendige Schreib- und
Redaktionsarbeit. Rita Vogt b e w ä h r t e sich als akr i -
bische Lektor in . A l l en herzl ichen Dank.
1) Georg Malin: Ausgrabungen auf dem K i r c h h ü g e l von Bendern.
In: helvetia archaeologica, 9/1978-34/36, S. 223-234.
2) Georg Malin: Das alte Pfarrhaus auf dem K i r c h h ü g e l Bendern.
A r c h ä o l o g i s c h e Grabungen und baugeschichtliche Untersuchungen.
Vorbericlit 1989, verv ie l fä l t i g t im Auftrag der Gemeinde Gamprin.
145
Abb. 1: K. A. Kayser,
Kirchhügel Bendern von
Nordosten her, Bleistift-
zeichnung, vermutlich
1843
AUSGANGSLAGE
DARSTELLUNG ANHAND DER SCHRIFTLICHEN
QUELLEN
A u f dem Kirchhüge l von Bendern nimmt der lange
Zeit baufä l l ige PfarrstalP, gemittet durch die n ö r d -
l ich gelegene Statthalterei der P r ä m o n s t r a t e n s e r
von St. L u z i in Chur und die südl ich des Stalles er-
richtete Kirche , eine reizvolle zentrale Stellung ein.
Al le in schon die auszeichnende Lage des Pfarrstal-
les weist darauf hin, dass nicht Viehhal tung und
Tenne die u r s p r ü n g l i c h e n Funktionen dieses Ge-
b ä u d e s gewesen sein konnten.
Vorerst soll die Geschichte des «Pfa r r s t a l l e s» -
so w i r d er g e g e n w ä r t i g genannt - anhand der
gedruckten schrift l ichen Quellen aufgezeigt wer-
den. A l s Pfarrhaus war der Bau schon von Beginn
an geplant gewesen. Das Adjektiv «alt» erhielt
das Pfarrhaus vermutlich i m 18. Jahrhundert . Die
M ö n c h e von St. Luz i renovierten und barockisier-
ten die nahe gotische Statthalterei auf dem K i r c h -
hüge l in der Zeit u m 1730. Damals wirkte das
Pfarrhaus i m Vergleich zu der erneuerten Statthal-
terei alt. So wurde das Pfarrhaus zum «al ten Pfarr-
h a u s » . Aus der Geschichte sind zahlreiche Namen-
gebungen bekannt, die mit dem baulichen Zustand
der Objekte z u s a m m e n h ä n g e n . Vor al lem die A d -
jektive «al t» und « n e u » k ö n n e n dann zu i r r t ü m -
lichen Sch lüssen ü b e r das Al te r der Bauten verlei-
ten. Erst j ü n g s t ist das Verwir r sp ie l zur Zeitstellung
der nahen Burgen Al t - und Neu-Schellenberg ge-
klär t worden. Die Ausgrabungen auf den Burganla-
gen haben ergeben, dass Alt-Schellenberg j ü n g e r
als Neu-Schellenberg ist, und dass Ursache f ü r die
Verwi r rung eben bauliche Vorgänge waren. So dü r -
fen aufgrund von Adjekt iven mit Hinweisen keine
Rücksch lüsse ü b e r f r ü h e B a u v o r g ä n g e gezogen
werden.
Die erste urkundliche E r w ä h n u n g des G e b ä u d e s
in den gedruckten Quellen datiert offenbar vom
Jahre 1636. 4 Der P r ä m o n s t r a t e n s e r - M ö n c h und
Pfarrer Bonaventura Schalk 5 erwarb 1636 f ü r das
146
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
Kloster St. Luz i ein Haus, das unter dem « P f a r r h o f »
lag. Dabei muss es sich nach all dem, was w i r ü b e r
die Bauten auf dem Ki rchhüge l von Bendern wis-
sen, um den heutigen Pfarrstall handeln.
Dann folgt eine weitere E r w ä h n u n g im Jahre
1647. Damals erschien in der «Tafe ls tube» des
Pfarrhauses der kaiserliche Notar Dr. Schalk mit
Begleitung in der Angelegenheit des ersten Noval-
zehntstreites zwischen dem Kloster St. L u z i und
dem Grafen von Hohenems zu Vaduz . 6 Be i der
Ü b e r g a b e der Herrschaftsrechte an die F ü r s t e n von
Liechtenstein am 16. März 1699 wurden im alten
Pfarrhaus entscheidende G e s p r ä c h e g e f ü h r t . 7
Mehr als ein halbes Jahrhundert später , am 12.
März 1751, gab der aus Balzers gebür t ige P r ä m o n -
stratenser-Abt Norbert K a u f m a n n 8 fünf Lehnsleu-
ten aus Gampr in und Ruggell allen der Benderer
Statthalterei zur Ver fügung stehenden Grundbesitz
zu Lehen. Davon ausgenommen waren die St.-
Luzi-Lehen, die Waldungen, die ummauerten Gär-
ten vor der Statthalterei und dem «al ten h a u ß » .
Der vor dem «al ten h a u ß » liegende Garten grenze
an den « g r o ß e n K ü r c h w e e g » . Ausbedungen war
auch, dass im alten Haus, welches die Lehnsleute
erhielten, der «g roße Keller» und zwei Z immer des
Pfarrers weiterhin von diesem genutzt werden soll-
ten. Sonst erhielten die « L e h n s e m p f ä n g e r » alles:
den «a l ten kel ler», den Torkel samt « b ü t t e n e n und
zübe r» , alle ü b r i g e n Z immer des Hauses, die K o r n -
b ö d e n usw. Die M ö n c h e liessen die P ä c h t e r i m al-
ten Haus eine Küche und Stube bauen. F ü r Schä-
den hafteten die Lehnsnehmer. Zur Beschreibung
der ör t l ichen Umgebung um 1751 dient auch eine
weitere Passage aus dem Lehnsbrief: Danach be-
kamen die Lehnsleute den um die Pfarrkirche lie-
genden Weinberg und den hinter dem alten Haus
befindlichen Garten, der sich in der Länge vom
«kleinen K ü r c h w e e g » bis zur Begräbn i s s t ä t t e der
Kinder, in der Breite vom alten Haus bis an die
Friedhofmauer erstreckte. 9 Soweit einige urkundl i -
che Schilderungen der ör t l i chen Situation in der
Mitte des 18. Jahrhunderts.
Gewiss wurde in den folgenden Jahrzehnten
manches am alten Pfarrhaus v e r ä n d e r t und umge-
baut. Genaue Angaben h i e r ü b e r sind heute nicht
bekannt. A m 29. Ju l i 1813 hiess es, Bayern, das in
der Zeit von 1805 bis 1813 die Lehnsrechte in Ben-
dern innehatte, habe f ü r die Bauten der P f r ü n d e
und fü r Stallungen und die Umgebung viel Geld
aufgewendet. 1 0 Vermutl ich ist darunter die Sanie-
rung der S t u r m s c h ä d e n vom Dezember 1810 zu
verstehen. E i n Sturm hatte an den Bauten auf dem
Kirchhüge l Schaden an der Bedachung angerichtet,
der sofort behoben werden musste. Und i m fol-
genden Jahr soll ein S ta l lgebäude fü r 900 Gulden
errichtet worden se in . " F ü r g r ö s s e r e Investitionen
der bayerischen Krone in Bendern aber waren die
Voraussetzungen in politisch unruhigen Zeiten
kaum gegeben: E i n bescheidener bayerischer Be-
sitz in einem anderen s o u v e r ä n e n Staat, mit mit-
telalterlichen R e c h t s a n s p r ü c h e n b e g r ü n d e t und
3) Erwin Poeschel: Die K u n s t d e n k m ä l e r des F ü r s t e n t u m s Liechten-
stein. Hrsg. Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte. Basel,
1950, S. 254. - Grundbuchamt Vaduz, M . 8, 9a.
4) Johann Baptist B ü c h e l : Die Geschichte der Pfarrei Bendern.
In: JBL 23 (1923), S. 122.
5) Pater Bonaventura Schalk, Pfarrer und Administrator in Bendern
(1634-1654), P r ä m o n s t r a t e n s e r aus dem Kloster Roggenburg.
Johann Baptist B ü c h e l , wie A n m . 4. S. 1 18.
6) « . . . den dreisigisten monatstag Jury jm pfarhoff zue Penderenjn
der Tafclstuben . . .» Z e i t g e n ö s s i s c h e Abschrift, 30. Juli 1647. PfABe.
L L A Nr. 28, Akt 24. - Johann Baptist B ü c h e l : Die Urkunden des
Pfarrarchivs zu Bendern. In: J B L 12 (1912), S. 120-123. - Johann
Baptist B ü c h e l , wie A n m . 4. S. 137. - Peter Kaiser: Geschichte des
F ü r s t e n t h u m s Liechtenstein 1847. Neu hrsg. von Arthur Brunhart.
Vaduz. 1989, Bd. 2, Apparat, S. 451, A n m . 274.
7) Otto Seger: Von Hohenems zu Liechtenstein. In: JBL 58 (1958).
S. 113.
8) Pater Norbert Kaufmann, e r w ä h n t 1744-1754, B ü r g e r von
Balzers, Abt des Klosters St. Luzi. gestorben in Chur. - Johann
Baptist B ü c h e l , wie A n m . 4, S. 119. vgl. auch S. 125-127. 141.
9) Ebenda, S. 125-127.
10) Schreiben Landvogt Schupplers an das B i s c h ö f l i c h e Ordinariat
in Chur, 29- Juli 1813. Johann Baptist B ü c h e l , wie A n m . 4. S. 82-84.
11) Um welches Ö k o n o m i e g e b ä u d e auf dem Benderer K i r c h h ü g e l es
sich dabei gehandelt hat, ist nicht sicher festzustellen. Vielleicht geht
es hier um das S t a l l g e b ä u d e , welches am Fuss des Felsens an der
Nordseite der Statthalterei stand. Der First des Stalles erreichte die
K e l l e r h ö h e der Statthalterei. Das G e l ä n d e wurde im S p ä t s o m m e r
und Herbst 1976 a r c h ä o l o g i s c h untersucht. Es k ö n n t e n damit aber
auch die Ö k o n o m i e g e b ä u d e , welche an der Stelle des heutigen
Gasthauses « L ö w e n » standen, gemeint sein.
147
Abb. 2: Blick von Nord- durch Usurpat ion j ü n g s t erworben, konnte die
osten zum Kirchhügel Bayern kaum zu g r o s s z ü g i g e n Ausgaben ermun-
Bendern tern, es sei denn, Bayern spekulierte darauf, um
1809 ganz Liechtenstein unter bayerische Herr-
schaft zu bringen. Landvogt Joseph Schuppler, be-
güns t ig t durch kontinentalpolitische Konstellatio-
nen und gedeckt von der Politik des F ü r s t e n
Johann I. (1760-1836), achtete e i fe r süch t ig auf die
S o u v e r ä n i t ä t s r e c h t e des s o u v e r ä n e n Rheinbund-
staates Liechtenstein. 1 2
In Bendern ging zu Beginn des 19. Jahrhunderts
eine mehr als 6 0 0 - j ä h r i g e Epoche p r ä m o n s t r a t e n -
sischer P r ä s e n z zu Ende. De facto galt der Bende-
rer Klosterbesitz von St. L u z i i n Chur nach 1802 als
säku la r i s i e r t . Das Seminar in Chur ü b e r n a h m am
148
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
17. Januar 1806 alle Rechte des Klosters. Der letzte
Abt, Nikolaus Gyr, starb kurz danach . 1 3 In Bendern
verschied der letzte Konventuale, Pater Andreas
Maiser, am 20. M a i 1816. 1 4 Damit bestand f ü r die
Mönche von St. L u z i kein Bedarf mehr an Wohn-
raum, und die Statthalterei mochte fortan wohl als
Pfarrhaus g e n ü g e n . Doch galt es vorerst, den letz-
ten Patronatsherrn, der 1814 die Nachfolge von
Bayern angetreten hatte, näml ich Ös te r re ich , zu
verabschieden.
Öster re ich erwuchsen aus den Rechten und dem
Besitz in Bendern immer wieder erhebliche Auf-
wendungen beim Unterhalt der Bauten auf dem
Kirchhügel . In den Jahren 1827, 1828, 1832, 1839,
1841 und 1859 bezahlte das ö s t e r r e i ch i s che Ä r a r
Rechnungen fü r den Unterhalt der Pfarrkirche, des
Pfarrhofes und der Ö k o n o m i e g e b ä u d e , 1 5 wenn
auch z ö g e r n d und widerwi l l ig . 1863 schliesslich
entschloss sich Öster re ich , alte Rechte und allen
Besitz des ehemaligen Klosters St. Luz i in Bendern
zu v e r ä u s s e r n . Die Verhandlungen zogen sich
dahin: E i n Käufe r und ein angemessener Kaufpre is
mussten gefunden werden. Die Gemeinde Gampr in
war fü r Ös te r re ich der nahegelegenste und inter-
essierteste Partner. Nicht zuletzt dank der ge-
schickten Vermitt lung der liechtensteinischen Re-
gierung einigten sich schliesslich die ös te r re i ch i -
schen Vertreter und jene der Gemeinde Gampr in
am 8. Januar 1874 in Feldki rch auf die E n t s c h ä d i -
gungssumme von 16 000 Gulden, welche das ös te r -
reichische Ä r a r der Gemeinde fü r die Ü b e r n a h m e
der Patronats- und Baupflicht entrichten musste.
E i n Statut vom 23. Juni 1874 regelte die neue Do-
tierung der P f a r r p f r ü n d e und schrieb unter ande-
rem die notwendige Renovation der Ö k o n o m i e g e -
b ä u d e vor."'
Die Gemeinde handelte rasch. Der Zustand der
Bauten auf dem Kirchhüge l erlaubte kein Zuwarten
mit den Restaurationsarbeiten. A m 17. Januar
1875 ersuchte der Pfrundverwal ter die Regierung
i n Vaduz, « d e n Umbau des alten Pfarrhauses in
Bendern zu einem Ö k o n o m i e g e b ä u d e » zu bewi l l i -
gen. In einer amtlichen Randnotiz auf dem Gesuch
heisst es, dass das alte G e b ä u d e in « s e i n e m U m -
fange u n v e r ä n d e r t » bleibe. Im Inneren werde die
Eintei lung der R ä u m e v e r ä n d e r t . 1 7 So erteilte die
Regierung am 18. Februar 1875 die Bewil l igung
zum Umbau.
In der Folge entstand ein S ta l lgebäude mit
Scheune. Der Raum fü r Weinkelterung im Nordost-
bereich des Erdgeschosses blieb offenbar noch in
Gebrauch, ebenso der beinahe ein halbes Stock-
werk tiefer liegende, gewölb te grosse Weinkeller
(Keller 2) i m s ü d w e s t l i c h e n Teil des Grundrisses. In
der Nordecke des Hauses erstellte man einen K u h -
und Schweinestall (Abb. 4) mit einem neuen Zu-
gang zu den Stallungen. Aus dieser Zeit stammt das
grosse Scheunentor in der nordwestl ichen Fas-
sade. Den e r w ä h n t e n grossen Keller deckte i m
Grundriss ein Lagerraum ab. F ü r Heu und andere
Vorrä te g e w ä h r t e das ehemalige erste Wohnge-
schoss nach Entfernung der Z i m m e r w ä n d e und
Decken g e n ü g e n d Raum fü r eine grosse Scheune
mit sichtbarer Dachkonstruktion.
Nachdem aber die landwirtschaft l iche Nutzung
des G e b ä u d e s endgül t ig eingestellt worden war
und das G e b ä u d e keinem eigentlichen Zweck zuge-
f ü h r t wurde, zerf iel es mehr und mehr. Es diente
als Depot f ü r Dinge, die man nirgends sonst unter-
bringen konnte. Die Tenne wurde zur Garage fü r
das Auto des Pfarrers und lange Zeit auch Lager-
raum fü r Brennholz . W ä h r e n d der Kirchenrenova-
tion 1968/70 war der l ängs rech teck ige südwes t l i -
che Raum Kapelle f ü r Gottesdienste an Werktagen.
Das funktionslos gewordene G e b ä u d e verkaufte
die P f a r r p f r ü n d e Bendern am 16. Dezember 1971
12) Georg Schmidt: Fürs t Johann 1. (1 760-1836). S o u v e r ä n i t ä t und
Modernisierung Liechtensteins, in: Volker Press/Dietmar Willoweit
(Hrsg.): Liechtenstein - F ü r s t l i c h e s Haus und staatliche Ordnung.
Vaduz. Wien, 1986. S. 387-407. - Dazu die A u s f ü h r u n g e n Johann
Baptist B ü c h e l s , wie A n m . 4, S. 81 f.
13) Paler Nikolaus Gyr. e r w ä h n t 1775-1806. stammt aus Einsiedeln,
war Pfarrer in Bendern und starb als letzter Abt (1782-1806) in
St. Luzi in Chur. Johann Baptist B ü c h e l , wie A n m . 4, S. 79 ff , 119.
14) Ebenda. S. 81.
15) Ebenda, S. 89, 104.
16) Ebenda. S. 108 ff. besonders S. 114 f.. Punkt 6 des Statuts.
17) Schreiben des Pfrundverwalters an die Regierung in Vaduz vom
17. Februar 1875; IAA C 1875 / 294.
149
dem Land Liechtenstein unter der Bedingung, das
Haus nach den Gesichtspunkten des Denkmal-
schutzes zu renovieren und dann kulturellen
Zwecken z u z u f ü h r e n .
In diesem Zustand, na tü r l i ch nicht ohne Spuren
erheblichen Zerfalls, trafen w i r den Pfarrstall an,
als die Untersuchungen in den Fundamenten ein-
setzten.
ZEITLICHER A B L A U F DER UNTER-
SUCHUNGEN
Im Zusammenhang mit den Ausgrabungen auf
dem Ki rchhüge l in Bendern kamen w i r i m Oktober
1971 mit Fundamenten des alten Pfarrhauses i n
Kontakt. Bei Grabungen zur A b k l ä r u n g des Nord-
bereiches des ersten Profanbaues auf dem K i r c h -
hüge l und den kirchl ichen Nachfolgebauten entlang
der nö rd l i chen Fr iedhofmauer legte die Grabungs-
mannschaft die s ü d w e s t l i c h e Mauerf lucht der U m -
fr iedung des Gär t le ins vor dem alten Pfarrhaus frei
und stiess dabei auf Fundamente, die in einer Tiefe
bis zu zwei Metern lagen und deshalb mehr sein
mussten als blosse Fundationen zu einem Garten-
m ä u e r c h e n (A S C H S-W 1; A b b . 4, 43).
150
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
GROSSER KIRCHWEG
A H4
151
110 114
22
Rest einer Treppe s io>
2q ehem. T ü r ^
10
Lichtschach! zu
Keller 2
152
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
A n den Fassaden des alten Pfarrhauses wurde
vorerst in zwei Etappen der Putz entfernt. Die
eigentlichen a r c h ä o l o g i s c h e n Untersuchungen am
alten Pfarrhaus setzten am 20. Ju l i 1977 ein. Acht
Tage s p ä t e r stand fest: Der S ü d w e s t g a r t e n beim
Pfarrstall liegt in einem Kellergrundriss. Nach
einer Grabungspause vom 24. August bis 22. Sep-
tember 1977 - es mussten i m Nordrondel l des
Schlosses Vaduz dringende Untersuchungen vorge-
nommen werden - legten wi r entlang der Südos t -
seite des alten Pfarrhauses einen eineinhalb Meter
breiten Sondierschnitt zur Untersuchung der Fun-
damente an. Alsdann folgte die Freilegung der
Fundamente an der Nordwestseite des Baues und
des Eingangs zum bereits ausgegrabenen Keller
(Keller la) . Schliesslich wurden die Fundamente an
der Nordostseite freigeschaufelt (Abb. 4).
Die weiteren a r c h ä o l o g i s c h e n Erhebungen gal-
ten dem in einer Urkunde von 1751 genannten
« g r o ß e n K ü r c h w e e g » mit den ihn begleitenden
Mauern . Der «g roße K ü r c h w e e g » f ü h r t an der
Südos tse i te des alten Pfarrhauses vorbei; er be-
grenzt den um 1751 genannten Pfarrgarten an der
S ü d o s t f a s s a d e des alten Pfarrhauses. Gleichzeitig
zur geschilderten A u s g r a b u n g s t ä t i g k e i t l iefen die
Nachforschungen i m S ü d g a r t e n der Statthalterei.
Die Ausgrabungen und bauanalytischen Untersu-
chungen am aufgehenden Mauerwerk des alten
Pfarrhauses wurden bei Wintere inbruch i n der
zweiten Dezemberwoche 1977 abgebrochen. Kurz -
fristige Erhebungen erfolgten noch im März 1978.
Eine weitere Untersuchungsphase i m Innern des
alten Pfarrhauses datiert vom 5. Februar bis zum
20. März 1979. Die Arbei ten erstreckten sich vor
allem auf die Bereiche der Keller und des Erdge-
schosses (Abb. 4).
Im Zeitraum von Ende Oktober bis anfangs No-
vember 1988 zeichnete Peter Alber t in , Winterthur,
die Aussenansichten des Baues und hielt die we-
sentlichen Befunde fest; ebenso wurden die rele-
vanten Beobachtungen im Innern des Hauses no-
tiert. Das Bestreben aber, die noch ausstehenden
Ergebnisse der Nachgrabungen komplett zu publi-
zieren, ve rzöge r t e die Veröf fen t l i chung . Ü b e r d i e s
war Peter Alber t in wegen gesundheitlicher Proble-
me 1990 nicht in der Lage, die Auswer tung der Er-
hebungen zu dokumentieren, so dass die bereinig-
ten A u f n a h m e n und Unterlagen erst im Oktober
1992 vorlagen, nachdem 1989 der e r w ä h n t e Vor-
bericht zur Geschichte des alten Pfarrhauses er-
schienen war.
In den Monaten November und Dezember 1989
wurden die a r c h ä o l o g i s c h e n Erhebungen durch
H a n s j ö r g Frommel t und Paul Weiler, soweit die
Witterung und andere Verpflichtungen dies zulies-
sen, im Torkelraum (Raum 2a, 2b) fortgesetzt.
Gleichzeitig begannen dieselben F a c h k r ä f t e , inten-
siv die S t a l l r äume ( R ä u m e 3, 4) in der Nordecke
des Flauses zu untersuchen. Diese Grabungskam-
pagne, weitgehend von E v a Pepic-Helfer ich organi-
siert, wurde - mit Unterbrechungen - Ende Juni
1990 abgeschlossen.
Abb. 6: Steingerechte
Planaufnahmen der
Gehhorizonte mit den
Gebäudefundamenten.
Aufnahmen von Peter
Albertin und Hansjörg
Frommelt
Referenzhöhe =
460.00 m ü. M.
• I Backsteine/Ziegel
V, heutiger Bestand an
aufgehendem Mauer-
werk
...» OK-Niveau 468.14
• iM UK-Niveau 466.82
• t Terrain
. B Boden
• f Eels
Ergänzungslinien
Grabungsgrenze
I 1 1 1
0 1 2 3 m
153
UNMITTELBARE UMGEBUNG
Die Untersuchungsergebnisse i m Bereich des alten
Pfarrhauses k ö n n e n wi r wie folgt zusammenfas-
sen: Das Haus steht auf einem nach Osten abfallen-
den, von Gletschern glattgeschliffenen Fe l s rücken ;
die vier Hausecken ruhen auf dem gescheuerten
Kalkfelsen. In der Nordecke des Baues erreichen
die Fundamente schon in 70 cm Tiefe den anste-
henden Fe l s . 1 8 Die übr igen drei Ecken des Flauses
stehen etwas tiefer i m Erdreich, ehe sie auf das an-
stehende Gestein stossen. A m tiefsten steckt die
Südecke i m Löss und M o r ä n e n s c h u t t . Das aufge-
hende Mauerwerk des Flauses deckt ein Grundriss-
geviert von 12,70 m zu 16,60 m Se i ten länge .
Das Haus ist in seiner Ausr ichtung nicht eindeu-
tig festzulegen. Das schlichte Satteldach ü b e r d e c k t
ein G e m ä u e r mit wechselvoller Baugeschichte. Der
erste Eindruck einer Orientierung des Baues nach
Nordosten t äusch t . Die w ä r m e t e c h n i s c h ungüns t i -
ge Ausr ichtung der Fenster i m ersten Obergeschoss
in der Nordostfassade, bei einer fast fensterlosen
S ü d w e s t f a s s a d e , erscheint als ein Resultat bauli-
cher Eingriffe und V e r ä n d e r u n g e n .
Die heutige W e g f ü h r u n g zur Kirche h in ist
sehr alt. Der «g roße K ü r c h w e e g » , wie der Zugang
im Jahre 1751 genannt wurde, f ü h r t direkt zum
spä tgo t i schen Turm. M a n gelangt vom heutigen
Schwurplatz aus, einem geologischen Graben, an-
gefüll t mit M o r ä n e n s c h u t t und Löss, zur Statthal-
terei und zur Kirche mit dem Friedhof. Die W e g f ü h -
rung w i r d alsbald zu einer hohlen Gasse. A n deren
Anfang stand rechter Fland seit dem spä t en 18.
Jahrhundert auf einem Gartenplateau ein T ü r m -
chen. Den weiteren Verlauf des eingetieften Weges
flankiert an der Südos tse i te ein geschliffener Fels-
r ü c k e n , b e k r ö n t - vermutlich seit dem Spätmi t te l -
alter, sicher seit dem 18. Jahrhundert - von einer
Weinbergmauer mit satteldachartiger Abdachung
(Abb. 4; A M 4). A n der Nordwestseite des «gro-
ß e n K ü r c h w e e g e s » steht eine vergleichbare Stütz-
und Gartenmauer. Unmittelbar vor dem Ki rch tu rm
stand das «Rote Tor», durch welches man den
Friedhof betrat. 1 9 Den Belag des Weges bildet ei-
ne Kopfs t e inp f l ä s t e rung , die bei einem Wasserlei-
tungsbau i m Januar 1970 etwa 1 m unter dem heu-
tigen Niveau i n der H ö h e des e r w ä h n t e n runden
Gartenturms gefunden worden ist
A u c h die den Weg begleitende nordwestliche
Stütz- und Gartenmauer hat ihre eigene Geschichte
(Abb. 4, 5, A M 1). In einer ersten Bauphase, ver-
mutl ich in der zweiten Hälf te des 17. Jahrhunderts,
errichteten die M ö n c h e bei der Ostecke des alten
Pfarrhauses eine erste Umfr iedung fü r einen Gar-
ten. Das G e m ä u e r diente entlang des grossen
Kirchweges sowohl als Stütz- wie als Gartenmauer.
Der Aushub von Fundamenten und den Kel lern des
Pfarrhauses wurde hier zumindest teilweise depo-
niert. Diese erste Stütz- und Gartenmauer lag 2,80
m von der g e g e n w ä r t i g e n n o r d ö s t l i c h e n Mauer
z u r ü c k v e r s e t z t und folgte dem grossen Kirchweg,
wie dies das bestehende Mauerwerk tut. Die Fun-
dationstiefe der ersten Mauer war um zi rka 40 cm
geringer als die der Nachfolgemauer. Aus dem Pro-
f i l des abgelagerten Erdreichs kann ferner gelesen
werden, dass der südös t l i che Vorplatz des Pfarr-
hauses u r s p r ü n g l i c h etwa 40 cm tiefer lag, ehe die
Planierung mit Aushub erfolgte. Wie die Urkunde
von 1751 berichtet, lag hier ein Pfarrgarten, « a m
g r o ß e n K ü r c h w e e g n ä c h s t dem alten h a u ß . . .»
Entlang der Nordostseite dieses Gartens und der
entsprechenden Giebelfront des alten Pfarrhauses
sowie der S t ü t z m a u e r des Ostgartens der Statthal-
terei auf der Gegenseite f ü h r t e - wie heute - eine
W e g a b k ü r z u n g zu den rheinseitigen E i n g ä n g e n des
alten Pfarrhauses und zur nörd l i ch gelegenen spä t -
gotischen Statthalterei. Der steile Erschliessungs-
weg g e w ä h r t e auch Zutritt zum grossen rundbogi-
gen Tor im Kellergeschoss der N o r d o s t f ä s s a d e und
diente so unter anderem der Zufuhr des Pressgutes
zum Torkel.
154
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
BAUPERIODE 1
DIE FRÜHESTEM BAUTEN
Im kleinen, eingefriedeten Garten vor der S ü d w e s t -
fassade des alten Pfarrhauses wurde in den Jahren
1977 und 1979 ein Kellergrundriss freigelegt, des-
sen ä u s s e r e südwes t l i che und südös t l i che Mauer-
flucht im Oktober 1971, wie bereits e r w ä h n t , ange-
graben worden waren (Abb. 4, 6, 9, 10).
Der erste Keller erreicht nicht die volle Breite
des bestehenden Hauses: Die südös t l i che Fun-
damentlage ist z i rka 1,50 m zu rückve r se t z t . Im
Nordwesten jedoch, dem Rhein zu, ü b e r k r a g t die
Eingangspartie die jetzige Front um Mauerdicke
(75 cm). Der ä l tes te Keller ist wie seine Nachfolger
nach Nordwesten h in orientiert. Die südwes t l i chen
Aussenmauerfundamente sind an eine Gruben-
wand gemauert, deren Profile im obersten Bereich
aus Humus, zur Hauptsache aus Löss, und zuun-
terst aus M o r ä n e n s c h u t t bestehen. Erscheinen die
A u s s e n w ä n d e der Mauern als sehr u n r e g e l m ä s s i g
und bauchig, so bemerken wi r im Innern eine sorg-
fältige Vermauerung der gebrochenen Steine, als
ob sie in eine Schalung gelegt und dann steinsichtig
verputzt worden w ä r e n . Die Baugrubentiefe ist
durch den anstehenden Felsen gegeben, der im
nordwestlichen Teil etwa zur Hälf te des Grundris-
ses auch den Bodenbelag bildet, w ä h r e n d im
südös t l i chen Teil in Lehm verlegte Rheinkiesel die-
se Aufgabe ü b e r n e h m e n . A u f diese Weise wi rd das
leichte Gefälle des geschliffenen Felsens gegen Süd-
osten hin halbwegs aufgefangen, so dass ein Boden
mit u n g e f ä h r konstanter N i v e a u h ö h e zustande
kommt (466.96, 466.68, Abb . 6,10). Die Nutz f l äche
des Kellers betrug 7,50 m bis 7,25 m x 4,80 m.
Der ä l tes te nachweisbare Eingang zum eben
beschriebenen Keller befand sich in der Westecke
des heute bestehenden Hauses (1875). E in 95 cm
breiter Zugang ist durch zwei F l ü g e l m a u e r n nach-
gewiesen; zudem kann die s p ä t e r e Vermauerung
des Zugangs in der Westecke der Fassadenmauer
beobachtet werden. Die Treppe d ü r f t e in einen Vor-
raum des Kellers g e f ü h r t haben. Das grosse, 2 m
breite Tor konnte so vom Wohnbereich her z u g ä n g -
lich gemacht werden (Abb. 6, 7).
Wie dieses Kellertor damals erschlossen worden
war, ist am ergrabenen Befund nicht abzulesen.
M a n muss schon in dieser ersten Bauphase einen
weiteren Zugang annehmen: Denn ein Sperriegel
sicherte das Tor von innen her. In der kellersei-
tigen, leicht a b g e s c h r ä g t e n Torleibung befinden
sich, 35 cm ü b e r dem Kellerboden, zwei ungleich
tiefe Ba lken löcher (Abb. 8), die zur Einschlaufung
eines Torbalkens dienten (Nordseite: 22 cm H ö h e
x 25 cm Breite x 60 cm Tiefe; Südse i te : 12 cm Höhe
x 12 cm Breite x 25 cm Tiefe). Schliesslich wurde
der nörd l i che , 90 cm breite Zugang in den Vorraum
vermauert und die 2 m breite Steintreppe mit sie-
ben Stufen eingebaut. Die gleichzeitige Benutzung
der beiden Treppen ist mit Bl ick auf die grundriss-
liche Situation sehr unwahrscheinl ich. Der Keller
musste also ü b e r die ganze Zeit hin in der abgebro-
chenen S ü d o s t w a n d eine zweite T ü r aufgewiesen
haben, oder eine i m Gewölbe angebrachte Öf fnung
e rmög l i ch t e den E i n - und Ausstieg zum Keller und
so die Bedienung des von innen verriegelten Tores
(Abb. 7, 8).
Den ersten Kel ler ü b e r w ö l b t e eine gegossene
Tonne, die auf z i rka 1,30 m W a n d h ö h e zur Wöl-
bung ansetzte (468.31). A m Gewölbesche i t e l dü r f t e
die R a u m h ö h e etwa 2,80 m betragen haben.
Wie sich der Keller l a zu weiteren, i m Grundriss
ehedem gewiss vorhandenen Nutz- und Wohnbau-
ten verhielt, konnte nicht mehr ausgemacht wer-
den. Eine Ausdehnung der Bauten zum Friedhof
hin muss ausgeschlossen werden. Die auf der nord-
öst l ichen alten Kel lerwand neben dem Gewölbe-
ansatz aufsitzende 8,80 m lange und z i rka 1,80 m
hohe Wand, welche im unteren Teil gegen Erde
oder Auf fü l lung gemauert ist, hilf t bei der Interpre-
tation auch nicht weiter (Abb. 7, 50). Die genaue
Ausdehnung und Beschaffenheit des f r ü h e s t e n
Hauses bleibt im dunkeln. Reste einer Mauergrube
im Raum 3 des Kellergeschosses (Abb. 7, 13) kön-
18) Nordecke des Hauses: vgl. topographische Karte, Koordinaten
X 156 456.50. Y 231 065.00.
19) L L A , Fasz. 2.13.3, Kostenvoranschlag für Renovation der
Umfassungsmauern 1842.
155
Abb. 7: Grundriss Keller-
geschoss
W Bauperiode 1
I—I—I—I—l—I
0 1 2 3 4 5 m
Abb. 9: Schnitt
Bauperiode 1
i Gewölbe Keller 1
(rekonstruiert)
• Keller 1
% Humus
IUI Löss
Wa Moräne
Fels
l—l—I—I—l—i
0 1 2 3 4 5 m
156
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
Abb. 10: Blick in den
Keller l a von der Nord-
ecke aus gegen Süden.
Vorn rechts Eingang.
Geschliffener Fels als
Kellerboden, anschlies-
send Kopfsteinpflästerung.
Südecke: links oben,
Fundamente für provisori-
sche Bauten
nen letzte Hinweise zu einem Mauerzug dieser
Bauperiode darstellen, ebenso eine schwer zuzu-
ordnende Fundamentgrube mit Lesesteinen unter
der Nordwestwand des Raumes 1. Unter der gan-
zen W a n d l ä n g e der bestehenden Stal lwand (1875)
liegen i m gewachsenen Grund u n g e m ö r t e l t e Lese-
steine als Fundament. Die 50 cm tiefe Grube g e h ö r t
zum ä l t es ten Bestand.
Zur Datierung des Erstbaues k ö n n e n die Mauer-
technik, die ausgegrabene Keramik und weitere
Einzelfunde sowie die Daten der Dendrochronolo-
gie herangezogen werden. Die geschilderte Mauer-
technik i m Keller l a hat in den erhaltenen Maue rn
des alten Pfarrhauses keine Parallelen. Eine ver-
gleichbare Mauertechnik auf dem Ki rchhüge l von
Bendern weisen die Fundamente des s p ä t g o t i s c h e n
Chores (1481) auf.
Die ä l tes ten Einzelfunde aus dem Grabungsbe-
reich (A) des untersuchten Pfarrhauses und dessen
unmittelbarer Umgebung sind ä l te r als die (noch)
vorhandene architektonische Substanz. Die hervor-
ragend erhaltene karolingische Kreuzf ibe l aus dem
s p ä t e r e n 8. oder f r ü h e n 9. Jahrhundert (Abb. 11)
lag als Streufund bei der Südecke des heutigen
Hauses und ist ohne Relevanz f ü r die Baugeschich-
te. E i n stark oxydierter Brakteat erwies sich als ein
Luzerner Hal ler aus dem 15. Jahrhundert und lag
i m beschriebenen Kel le r raum. Mit dieser M ü n z e
vergesellschaftet fanden die A u s g r ä b e r einen baye-
rischen Halbbatzen, g e p r ä g t in den Jahren 1625
bis 1651 (siehe Bearbeitung der F u n d m ü n z e n von
Hortensia von Roten, 1989, am Ende dieses Ber ich-
tes). Einige weitere j ü n g e r e F u n d m ü n z e n aus dem
Grabungsbereich tragen zur L ö s u n g der Datie-
rungsfrage nichts bei.
Die Keramik - h a u p t s ä c h l i c h g rüng l a s i e r t e Ofen-
kacheln und glasierte Gebrauchskeramik - ent-
stammt fast ausschliesslich dem Zeitraum vom 16.
bis z u m 19. Jahrhundert . Ledigl ich ein rötl ich
bemalter Wandscherben aus k ö r n i g e m , gemager-
tem und beigem Ton k ö n n t e dem Hochmittelalter
zugeordnet werden. Das R a n d s t ü c k einer handge-
formten Becherkachel datiert aus dem 14. Jahr-
hundert (siehe Fundbericht) .
Die ä l t e s t en i m Pfarrhaus dendrochronologisch
bestimmten Hölzer sind in s e k u n d ä r e r Verwen-
dung i m Bau integriert. Die Eiche der ä l tes ten
untersuchten Holzsäu le wurde in der Zeit u m
1489/90 gefäll t (Datierung nicht ganz gesichert).
Der u r t ü m l i c h e Eichentrog, der bis vor z i rka zwan-
157
Abb. 11: Karolingische
Kreuzfibel. Ende 8./
frühes 9. Jahrhundert
Bronze, M 2:1
zig Jahren i m Keller der Statthalterei lag, stammt
aus der Zeit u m 1584/85 . 2 0 Eine i m Boden der Ten-
ne liegende E i c h e n s ä u l e t r äg t i n der Kapitellzone
die Jahreszahl 1606 (Abb. 22). Soviel zu den f rü -
hesten absoluten Zahlen aus dem Architektur-
ensemble des alten Pfarrhauses.
Die Entstehungszeit des ersten nachweisbaren
Baues i m Grundrissbereich des alten Pfarrhauses
kann also anhand der heutigen Grundlagen nicht
genau fixiert werden. Al le Indizien - Mauertechnik,
Einzelfunde und Dendrochronologie - weisen aber
mit einiger Wahrscheinl ichkei t die f r ü h e s t e n bauli-
chen Vorkehrungen i m angesprochenen Grabungs-
gebiet dem 16. Jahrhundert zu. Dies w ü r d e aber
nicht ausschliessen, dass schon vorher nicht mehr
nachweisbare Bauten an dieser sehr exponierten
Stelle gestanden h ä t t e n .
Die Bautä t igke i t auf dem Ki rchhüge l i m 16.
Jahrhundert w i r d durch den geschichtlichen H i n -
tergrund - die Reformat ionswir ren in Chur, den ge-
waltsamen Tod des P r ä m o n s t r a t e n s e r - A b t e s Theo-
dul Schlegel (1529) und durch das nachfolgende
E x i l der P r ä m o n s t r a t e n s e r von St. Luz i in Ben-
de rn 2 1 - e rk l ä rba r . Ganz konkret mochte z u m Bei-
spiel der Bedarf an Kel le r raum, der i n der nahen
Statthalterei kaum in hinreichendem Masse vor-
handen war, die Erstel lung des geschilderten Ke l -
lers (1) verursacht haben. Johann Baptist Büchel
fasst die Baugeschichte dieser Jahre, ohne Angabe
von Quellen, lapidar so zusammen: « Im Jahre 1538
aber mussten alle Patres das Kloster [St. Luz i in
Chur] verlassen ... Die M ö n c h e nahmen nun f ü r
100 Jahre ihre Zuflucht in Bendern. Es wurde ne-
ben dem alten B a u ein g r ö s s e r e s G e b ä u d e aufge-
f ü h r t und zu einer Abtswohnung eingerichtet
[Statthalterei, heutiges Pfarrhaus]. Der u r s p r ü n g l i -
che Bau ist jetzt eine Scheune, der s p ä t e r e bildet
die Wohnung f ü r die beiden S e e l s o r g e r . » 2 2 Ob die
beiden wahrscheinl ich aus dem Gebiet Liechten-
steins stammenden Äbte Chris t ian Ganzmann (er-
w ä h n t 1560 bis 1573) und Michae l Paul in ( e r w ä h n t
1564 bis 1576) sich baul ich i n Bendern engagier-
ten, m ö g e hier als Frage festgehalten werden.
158
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
BAUPERIODE 2
ERSTES ERKENNBABES GBUNDBISSSCHEMA,
ENDE 16. J A H B H U N D E B T
In einer heute relativ schwer eingrenzbaren Bau-
periode erreichte das alte Pfarrhaus erstmals die
gröss te grundrissliche Ausdehnung.
Der bereits bestehende Keller (la) wurde u m
3,30 m in südös t l i che r Richtung erweitert (Aussen-
mass) und wie sein ä l t e re r Widerpar t mit einem
T o n n e n g e w ö l b e eingedeckt. Im S ü d o s t e n schliesst
eine gut gebaute Mauer, die bis zu einer Höhe von
2 m erhalten geblieben ist, den nun 10,70 m langen
Raum (Innenmass) ab. Die a n g e f ü g t e n neuen W ä n -
de sind ebenfalls in eine Grube gemauert worden
und haben in der Aussenfront keinen Ü b e r h a n g
nach aussen und keine bauchigen Ausladungen
wie die nordwestlichen Nachbarn . Etwas eigenar-
tig muten die beiden Ansatzstellen an den Innen-
fronten der L ä n g s m a u e r n des Kellers an: Die A b -
bruchbreite der alten Stirnmauer wurde von den
Handwerkern, um den Innenraum zu verbreitern,
a b g e s c h r ä g t und die neu errichtete Mauer zu rück-
versetzt hochgezogen. So verbreiterte man den
neuen Keller i m Innern g e g e n ü b e r dem alten Teil
von 4,80 m auf 5,25 m. Zugleich legten die Bauleu-
te in der Ost- und Südecke des alten Kellers, an
jener Stelle, wo die ehemalige Stirnmauer und die
jeweilige L ä n g s m a u e r eine Ecke bildeten (Abb. 12),
je einen Schacht aus Ziegeln von z i rka 65 cm Länge
x 65 cm Breite und z i rka 40 cm Tiefe (466.46/
466.02) an. Hier dient nicht mehr blanker Fels als
Bodenbelag, sondern Löss und M o r ä n e n s c h u t t
e rmögl i ch ten eine Aushebung der Schäch te . Damit
konnte der Feuchtigkeitshaushalt i m Keller kon-
stant gehalten werden . 2 3 Allfällig vom Eingang her
eindringendes Wasser wurde hier gesammelt und
geschöpf t . Im üb r igen bi lden in L e h m verlegte Kie-
sel den Bodenbelag. Das Sichtmauerwerk wurde
i m Laufe der Zeit, besonders an der Nordostseite,
an den Nahtstellen der beiden Bauperioden nach
Bedarf verputzt. Nach Aulhebung des Kellers dien-
te dessen Südtei l als Kalkgrube. Weitere bemer-
kenswerte Details, wie Hinweise auf Fenster oder
T ü r e n , sind nicht mehr vorhanden.
M a n unterteilte den ganzen Keller i m Laufe der
Zeit in drei u n g e f ä h r gleich grosse R ä u m e von je
3,30 m bis 3,70 m Länge, wie das i m Bodenbelag
und an einer M ö r t e l b r a u e an der Nordostwand
abgelesen werden kann. So dü r f t e der Keller - zu-
mindest in s p ä t e r e r Zeit - nicht nur zur Lagerung
von Wein und Most gedient haben, sondern, als Teil
eines landwirtschaft l ichen Betriebes, auch als
Gemüseke l l e r genutzt worden sein. Die G e m ü s e -
keller aber waren meistens k l e in r äumig . Die ganze
Anlage steckte mehr als zur Hälf te der Höhe , in
Anpassung an die topographischen Gegebenheiten,
im Erdre ich . Die restliche H ö h e dü r f t e , zumindest
bis ü b e r den Gewölbesche i te l , als gemauerter
Sockel (vgl. A b b . 9, Schnitt) sichtbar gewesen sein.
Über den weiteren Aulbau k ö n n e n w i r nichts
Sicheres sagen. Es erscheint als durchaus mögl ich,
dass ein S t ä n d e r b a u oder Mauern weiterhin den
südwes t l i chen Abschluss des Hauses bildeten. Die
gut g e m ö r t e l t e n Fundat ionsmauern haben in den
ersten Bauperioden sehr woh l ein zweis töckiges
G e b ä u d e getragen. Die angebauten s c h w ä c h e r e n
L ä n g s m a u e r n des südös t l i chen Drittels des Kellers
aber lassen in diesem Bereich eine Holzkonstruk-
tion zu einem gedeckten, g ros szüg igen Eingang an
der Südecke des alten Pfarrhauses vermuten. Die
Südecke lag am n ä c h s t e n bei der Kirche und der
Sakristei.
20) Christian Orcel/Alain Orcel/Jean-Pierre Hurni: Analyse dendro-
chronologique de bois provenant du « K i r c h s t a l l » ä Gamprin. Unter-
suchungsbericht vom 27. Dezember 1988, Ref. Nr. LRD 8/R2261
und vom 14. Apri l 1993. Ref. Nr. LRD 93 /R2261A.
21) Oskar Vasella: Geistliche und Bauern. A u s g e w ä h l t e A u f s ä t z e zu
S p ä t m i t t e l a l t e r und Reformation in G r a u b ü n d e n und seinen Nach-
bargebieten. Hrsg. Ursus Brunold/Werner Vogler. Chur, 1996,
S. 507-510, besonders S. 511. - Oskar Vasella: AbtTheodu l Schlegel
von Chur und seine Zeit 1515-1529. Kritische Studien ü b e r Religion
und Politik in der Zeit der Reformation. Freiburg, 1954 (Zeitschrift
für Schweizerische Kirchengeschichte, Beiheft 13). - Johann Baptist
B ü c h e l , wie A n m . 4, S. 33-37, 51-52.
22) Johann Baptist B ü c h e l , wie A n m . 4. S. 37, 117.
23) Christian Renfer: Die B a u e r n h ä u s e r des Kantons Z ü r i c h . In: Die
B a u e r n h ä u s e r der Schweiz. Hrsg. Schweizerische Gesellschaft für
Volkskunde. Basel. 1982, Bd. 1, S. 496.
159
Die nun insgesamt 14,40 m lange und z i rka 6 m
breite (Aussenmasse) Kelleranlage, inklusive E i n -
gangspartie und Treppenhaus, befand sich vor der
Grabung unter dem Garten, unmittelbar vor der
S ü d w e s t f a s s a d e des Pfarrstalles. Die gemauerte
Einf r iedung zeichnet u n g e f ä h r die G r u n d r i s s f l ä c h e
nach (Abb. 13, 43). Wie aber die anschliessenden
R ä u m e ü b e r dem s p ä t e r e n , grossen gewölb ten Ke l -
ler (2) organisiert waren, haben die nachfolgenden
Bauperioden verwischt. Der E inbau des gewö lb t en
Kellers (2) und die Demontage der Aufbauten ü b e r
dem eben beschriebenen Keller (1) v e r u n m ö g l i -
chen p r ä z i s e r e Einsichten in die einzelnen K o m -
partimente der Bauphase 2. Lediglich ein 3,40 m
langes, innen verputztes M a u e r s t ü c k (siehe Grund-
rissplan und Abb . 30) k ö n n t e Rekonstruktionen
begüns t igen , die fü r den Mittelteil der Südos t f a s -
sade des Hauses eine Bauweise in Holz - in wel -
cher Technik auch immer - vermuten lassen. Mit
grosser Wahrscheinlichkeit kann man das gleiche
schon in dieser Bauperiode f ü r den mittleren Nord-
westbereich der Aussenfassade annehmen (Abb.
20, 21, 51, 52).
Zur zweiten Bauperiode g e h ö r e n auch die unter-
sten Fundamentlagen der R ä u m e 1, 2a, 2b, 3 und 4
i m Nordostbereich (Abb. 13) des alten Pfarrhauses.
Wie die Z u g ä n g e zu den R ä u m e n 1, 2a und 2b i n
dieser Bauperiode gestaltet waren, konnte lange
nicht nachgewiesen werden. Doch die Nachgra-
bungen i n den Jahren 1989 und 1990 brachten fü r
diese Fragen mehr Klarheit . Die südös t l i che Be-
grenzung des heutigen Podestes (Raum 1) bildete
ehedem die nordwestliche Begrenzung des Raumes
2a. Der kellerartige, jedoch ungewölb t e Raum (4,10
m x 4,10 m) weist deutlich zwei Bauperioden auf.
Die Nordostmauer - na tü r l i ch ohne das neue Tor
von 1875 - gehör t z u m ä l t es ten Bestand. E i n zuge-
mauertes Kellerfenster ist auf S c h w e l l e n h ö h e des
Tores aus dem 19. Jahrhundert erkennbar. Die
Mauer ist in ihrer Breite gestaffelt; auf der 70 cm
hohen Sockelzone mit 1,15 m Mauerdicke steht die
1,25 m hohe Wand, die 1 m Dicke misst und das
e r w ä h n t e Fenster aufweist. Dann folgt ein zweiter
Schwund der M a u e r s t ä r k e um weitere 10 cm,
offensichtlich zur Auflage von Deckenbalken, die i n
no rdös t l i che r - südwes t l i che r Richtung verlegt wa-
ren. Aber schon nach 35 cm weiteren Anstiegs
verliert die Mauer nochmals u m 15 cm an Wand-
s t ä rke , so dass f ü r die Fassadenmauer schliesslich
noch 70 cm bis 75 cm übr igb le iben . Die Südos t -
wand (Länge: 4,65 m) der ersten Bauperiode ist in
einer Höhe bis zu m a x i m a l 2,20 m erhalten. Auch
hier entdecken w i r ein vermauertes Kellerfenster.
Die aufsitzende, j ü n g e r e Fassadenmauer ü b e r k r a g t
den ä l t e r en Bestand u m 8 cm. Die gegen S ü d w e s -
ten abschliessende Wand ist nur noch i m Ansatz
der Südecke des Raumes 2a erkennbar und in
wenig flachen Steinlagen auf Bodenniveau in der
Westecke. Dieser Mauerrest scheint i n der Südecke
mit dem Fundament der Aussenmauer im Verband
zu sein (vgl. Grundrissplan). Den Bodenbelag bildet
vor allem in der Raummitte anstehender Fels;
die resthche F läche deckte zu einem grossen Teil
blaugrauer, gestampfter L e h m - herbeigeschafftes
Schwemmgut des Rheines - ein (Abb. 14, 15).
Die zur nordwestl ichen S t ü t z m a u e r verkommene
Nordwestwand des Kellers war nur mehr in einer
H ö h e von 1,45 m auf einer Länge von 5,60 m
erhalten: auch hier eine gemör t e l t e , 70 cm hohe
Sockelzone, darauf 75 cm aufgehendes Mauer-
werk, das g e g e n ü b e r der Sockelzone um 20 cm
z u r ü c k v e r s e t z t ist.
Wie sich der südwes t l i ch anschliessende Raum
2b z u m eben Geschilderten verhielt, ehe sie zusam-
mengelegt wurden, kann nicht in allen Einzelheiten
gek lä r t werden. Die S ü d o s t a u s s e n w a n d hat i m
Gegensatz zur entsprechenden Mauer des Raumes
2a kein Vorfundament, und die Steine in den unter-
sten Lagen sind i n lockerer Ordnung gebettet und
achten wenig auf die innere Wandflucht. Es spricht
alles dagegen, dass der Raum 2b schon in der
F r ü h z e i t des alten Pfarrhauses die g e g e n w ä r t i g e
F o r m erhalten hat. Vie lmehr ist er das Resultat
s p ä t e r e r baulicher Vorkehrungen. Die a rchäo log i -
schen Erhebungen in den R ä u m e n 3 und 4 bringen
in die Erschliessungsproblematik der R ä u m e 2a
und 2b etwas Licht.
Es gilt nun, die Verhä l tn i s se in den Grundrissen
der R ä u m e 3 und 4 zu skizzieren. Die Nordwest-
wand des Raumes 3 bestand aus Fachwerk oder
160
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
Abb. 12: Keller l a , lb ,
Blick gegen Westen. Im
Vordergrund Keller l b (mit
späteren Unterteilung,
links). Rechts abgeschräg-
ter Ansatz der Erweite-
rungsmauer. Davor
Schacht. Links unten,
Fundament auf Auffüll-
material
Abb. 13: Grundriss
Kellergeschoss
§1 Bauperiode 1
M Bauperiode 2
0 1 2 3 4 5 m
161
rtfflT0777) össnzzzz» fffnrmny .fsssr% flunnag
Abb. 16: NW-Fassade
Si® Bauperiode 1
» Bauperiode 2
I—I—I—I—I—I
0 1 2 3 4 5 m
162
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
Bohlen. Ferner diente der Raum 3 zur Erschlies-
sung der nordös t l i ch tiefer gelegenen R ä u m e . Das
na tü r l i che Gefälle gegen Südos t en wurde mit Auf-
fü l lmate r ia l planiert. Die reichlich vorhandenen
Brandreste auf dem Gehniveau k ö n n t e n ein H in -
weis auf eine Nutzung als Küche sein.
In der Ostecke des Raumes 3 stiessen die Aus-
g r ä b e r auf eine gemauerte Tür schwe l l e (467.82),
und zwar 1,23 m unter dem Ausgangsniveau des
Stallbodens (Abb. 17). Die Schwelle liegt auf einem
lehmigen Puffer unmittelbar ü b e r dem nach Osten
abfallenden glatten Fels. Zwei mit Stockziegeln ge-
mauerte T ü r g e w ä n d e bieten eine Ö f f n u n g s b r e i t e
von 90 cm an, und ein eiserner T ü r h a k e n weist
da r au fh in , dass die T ü r sich gegen den Raum 4 h in
öf fne te . Zum abgetieften Eingang f ü h r t e im Raum 3
ü b e r anstehenden Fels ein ebenfalls 90 cm breiter
Gang, dessen S ü d w e s t w a n d ein 1,70 m langes
M ä u e r c h e n ist, welches mit a u f g e s c h ü t t e t e m E r d -
reich h in te r fü l l t wurde.
Es muss sich hier um einen Abgang zum Raum 4
handeln, dessen Boden wiederum der allenthalben
vorhandene geschliffene Fels war. Allfällige Risse
und grobe Unebenheiten sind auch hier mittels
Lehm planiert worden. Die Grundr issform des
Raumes 4 d ü r f t e dem des baugeschichtlich nach-
folgenden Raumes entsprochen haben. Der E inbau
eines Jauchekastens im 19. Jahrhundert s tö r te hier
den Befund. Das kellerartige Kompart iment (Raum
4) beachtete w ä h r e n d der f r ü h e n Geschichte des
Hauses die g e g e n w ä r t i g e südös t l i che Begrenzung
gegen den Flur 1 (Raum 1) h in . Das Gehniveau von
Raum 4 befindet sich 35 cm unter demjenigen der
nachfolgenden S t e inp f l ä s t e rung (468.1.4; A b b . 6).
Die mit einer T ü r versehene s ü d w e s t l i c h e Mauer
des Raumes 4 durchquerte die volle Breite des
Hauses. Sie endet in rechtwinkligem Ansatz an der
südös t l i chen Aussenmauer, mit welcher sie - wie
schon e r w ä h n t - im Verband ist (467.25), nicht
aber in der Südecke . Dies deutet darauf h in , dass
die südl iche Fortsetzung der S ü d o s t f a s s a d e in einer
anderen Bautechnik bestand. Es liegt ferner nahe,
in der geschilderten F l ü g e l m a u e r bei der T ü r z u m
Raum 4 hin ebenfalls eine W e i t e r f ü h r u n g parallel
zur eben beschriebenen Mauer zu vermuten, zumal
Steinstellungen i m Fundament des kri t ischen Be-
reichs diese Vorstellung s tü tzen . Lange Zeit ver-
muteten die A u s g r ä b e r hier eine Tür ; die Steinstel-
lungen aber wiesen nur auf einen Durchgang hin.
So bildeten die beiden nur 90 cm voneinander
getrennten W ä n d e einen schlauch artigen Treppen-
raum, quer durch den Flausgrundriss. Die H ö h e n -
differenz von z i rka 1,30 m konnte ü b e r ein Podest
i n der Mitte leicht ü b e r w u n d e n werden (468.34/
467.04). A u f dem unteren Felsboden muss sich die
T ü r zum Keller 2a befunden haben (Abb. 13). Der
grosse gewölb te Keller 2 bestand damals noch
nicht. Demnach lagen, dem felsigen Baugrund ge-
schickt angepasst, in abgetreppter Staffelung, zwei
R ä u m e auf dem nackten Fels, erschlossen von der
vorgestellten T r e p p e n f ü h r u n g .
Es bleibt noch der Frage nachzugehen, was es
mit den R ä u m e n 8 und 9 auf sich hat, die ü b e r den
beiden kellerartigen R ä u m e n 2a und 2b lagen und
deren Bodenauflage bei der Vorstellung der darun-
ter liegenden Kel lermauern e r w ä h n t worden ist
(Abb. 19). Diese Frage kann erst in der Beschrei-
bung der Bauperiode 3 behandelt werden.
Die rheinseitige Fundamentaussenkante der
Nordwestfassade liegt in wi lder Unordnung ü b e r
dem glatten Felsen i m Erdre ich . Nach zi rka 6 m,
von der Nordecke des Hauses aus gemessen,
scheint die Fundat ion der Nordwestmauer förml ich
B 112 114 B'
467.00
Abb. 17: Profil der Ostecke | 1 1 1
des Raumes 3 mit Eingang 0 0.5 1 1,5 m
zu Raum 4
163
Abb. 18: Kellergeschoss
der Nordostseite des alten
Pfarrhauses. In der Mitte
Rundbogentüre. Links
und rechts zwei Türen mit
Sandsteingewände (1875),
Fenster aus derselben
Bauzeit. Am östlichen,
linken Sandsteingewände
anschliessend zwei
übereinandergestellte
vermauerte Fenster
Abb. 19: Grundriss Zwi-
schengeschoss Keller -
Parterre
l—h H 1
0 1 2 3 4 5 m
164
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCIII IÜGEI.
BENDERN / GEORG MALIN
zu zerfal len (Abb. 20, 21). A n eine Kellermauer im
Mittelteil des Hauses mag man beim Anbl ick dieser
Mauertechnik nicht denken.
Im Pianierungs- und Auf fü l lma te r i a l in Raum 3,
das auf einer u n g e s t ö r t e n Humusschicht ruhte und
i m ös t l ichen Bereich bis zu 80 cm stark war, fanden
sich K e r a m i k s t ü c k e aus dem 16. und 17. Jahrhun-
dert. Der Rest einer Napfkachel darf sogar dem
Ende des 15. Jahrhunderts zugerechnet werden . 2 4
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die
Bauperiode 2 - wie die vo rgäng ige - nur noch in
den Fundamenten und K e l l e r w ä n d e n erfasst wer-
den kann. M a n darf davon ausgehen, dass zwei un-
g e f ä h r gleich grosse Bauvolumen von etwa 6 m
Breite und der g e g e n w ä r t i g e n Bautiefe das alte
Pfarrhaus i m S ü d w e s t e n und gleichermassen im
Nordosten begrenzten. Ob die beiden risalitartigen
Archi tekturen ü b e r der Ke l l e rgeschosshöhe ge-
mauerte H a u s w ä n d e aufwiesen oder ob eine Holz-
konstruktion die Erscheinung des Hauses be-
einflusste, ist kaum zu entscheiden. Zwischen den
beiden e r w ä h n t e n unterkellerten Hausteilen lagen
offenbar nicht unterkellerte R ä u m e . Die u n b e k ü m -
mert und f lücht ig verlegten Fundamente in der
jeweiligen Mitte der Traufseitenfassaden eigneten
sich h ö c h s t e n s zur Lagerung eines Schwellenbal-
kens zum A u f b a u einer Holzwand. Ferner s tü tz t
der relativ u n g e s t ö r t e Grund nordös t l i ch des j ü n g e -
ren Kellers 2 diese These.
24) Tagebuch des Autors, 13. M ä r z 1979, S. 49; 16. M ä r z 1979,
S. 51.
Abb. 20: Blick in die
Fundamentlage (A SCH -
N-W 1) der Nordwest-
fassade gegen die Nord-
ecke des Hauses. Un-
gepflegte Fundation auf
anstehendem Fels
Abb. 21: Blick in die Fun-
damentlage (A SCH; N-W
A 1) gegen die Westecke
des Hauses. Fundament
auf anstehendem Fels
165
Was die Datierung der Bauperiode 2 betrifft, so
sind die vorhandenen Hinweise auf genaue Jahres-
zahlen sehr spär l i ch . Zahlreich s e k u n d ä r verwen-
dete E ichenhö lze r sind nicht datiert. Vielleicht gibt
die Jahreszahl 1606, eingestemmt in das Kapitel l
einer gefasten E ichensäu le , die als Bodenunterlage
in der heutigen Tenne liegt (Abb. 22), einen Hinweis
auf die Bauzeit. A u c h die ausgegrabene Keramik
p räz i s i e r t die Bauzeit nicht. Die Konzentrat ion von
dendrochronologischen Daten betrifft in der Folge
vor allem die Jahre 1633/34 sowie die Zeit um 1640.
W i r m ü s s e n aber darauf hinweisen, dass die P rä -
m o n s t r a t e n s e r - M ö n c h e von St. L u z i i n Chur vor a l -
lem in der Zeit ihres Exils in Bendern (zirka 1540 bis
1624) Raum f ü r Unterkunft und Wirtschaft b e n ö -
tigten, so dass die Bauperiode 2 eher in die Wende
vom 16. zum 17. Jahrhundert einzuordnen ist.
Abb. 22: Kapitell einer
Eichensäule mit Jahres-
zahl 1606 C - 0. Unterlage
im Boden der Tenne
BAUPERIODE 3
BAROCKRAU 1633/44
Die dritte Bauperiode ist weit klarer erfassbar als
die beiden V o r g ä n g e r i n n e n . Die Dispositionen die-
ser Zeit best immen heute noch wesentlich das Er -
scheinungsbild des alten Pfarrhauses und dies trotz
der massiven V e r ä n d e r u n g e n in der Bausubstanz
des Hauses in der Folgezeit.
Die no rdös t l i che Giebelfassade wurde neu
hochgezogen. Lediglich einige Mauerreste an der
Ostecke des Hauses (Aussenmauer des Raumes
2a) blieben erhalten, wahrscheinl ich auch einige
Mauerreste in der Nordecke des Hauses (Abb. 14,
15, 24, 49). In der ebenerdigen Mitte entstand ein
rundbogiges, 1,70 m breites Tor (468.97), dessen
G e w ä n d e mit Stockziegeln gemauert worden sind.
Der Zutritt erschliesst einen 4,50 m langen und
2,60 m breiten, in Firs t r ichtung angelegten Gang,
an welchen sich gleichgerichtet eine 1,90 m breite,
zwölfs tuf ige , aus stehenden Stockziegeln erstellte
Treppe (Tr i t thöhe: 23 cm) anschliesst. Die Treppe
f ü h r t ü b e r ein Podest aus Tonplatten von 22 cm
x 25 cm x 5 cm Grösse (466.50) und ü b e r weitere
drei Ziegelstufen in den grossen Keller (2; 465.45).
Der Gang w i r d bis zum Treppenansatz von alten
Fundamenten flankiert. Die Pflasterung schliesst
dann gegen Nordwesten an eine neuere Funda-
mentmauer (1875), die auf einer verfolgbaren Län-
ge von 5 m auf einer weit ä l t e ren , u n g e m ö r t e l t e n
Fundat ion aus Lesesteinen ruht und wohl - wie
f r ü h e r dargelegt - zu den ä l t e s ten Resten des Haus-
grundrisses ü b e r h a u p t gehör t . Die neuere Stall-
mauer von 1875 endet ü b e r dem Eingang zum ge-
w ö l b t e n Keller und schafft durch die gradlinige
Ausr ich tung einen bis zu 60 cm breiten Absatz. Die
T r e p p e n f ü h r u n g selbst w i r d h a n g w ä r t s von einer
gegen die Erde gemauerten, verputzten Stütz-
mauer begleitet, in welcher unmittelbar vor dem
Kellertor eine stichbogige Nische (Höhe: 65 cm,
Breite: 85 cm, Tiefe: 35 cm) ausgespart ist. A n der
Südos t se i t e begleitet auf einer Länge von 5,60 m
die alte, bereits vorgestellte 1,45 m hohe Fundation
der Nordwestwand des Raumes 2a den Gang
(Raum 1). Sie begrenzt das gepf l ä s t e r t e Gehniveau
166
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
an der Südos tse i te des Raumes 1. A u f das Mauer-
haupt wurden zwei Flolzsäulen von 2,37 m und
2,50 m H ö h e in s e k u n d ä r e r Verwendung gestellt.
Sie s tü tzen einen z i rka 8 m langen Balken, auf dem
rechtwinklig aufgesetzt fünf Deckenbalken aus
Weisstannenholz liegen. Die Deckenbalken sind mit
Nuten versehen und dienen zur Montage eines
S c h r ä g b o d e n s , soweit der Grundriss des Raumes 1
dies erfordert. Die drei südwes t l i ch anschliessen-
den Vie rkan thö lze r ü b e r dem eigentlichen Stiegen-
raum weisen keine Nuten auf. Die ganze Konstruk-
tion deckt ein Bretterboden von 1875 ein. Die 1,70
m vor der no rdös t l i chen Giebelfront stehende Tan-
n e n s ä u l e (26 cm x 23 cm) ist dendrochronologisch
auf die Jahre 1640/41 datiert, ebenso die fünf er-
w ä h n t e n , mit Nuten versehenen Deckenbalken. Die
zweite hier verwendete Säule ist aus einem E i -
chenstamm gehauen (28 cm x 30 cm Querschnitt)
und entzieht sich einstweilen einer Dendrodatie-
rung. Diese 2,37 m messende E i c h e n s ä u l e weist
eine 50 cm hohe Basis, einen 1,44 m langen, abge-
fasten Schaft und eine 43 cm starke Kapitellzone
auf, die einseitig zur Montage eines angeblatteten
Kopfholzes hergerichtet ist. Ob der grosse Stein-
sockel mit der eingemeisselten Jahreszahl 171.2 - er
liegt im Keller 2 - als Basis fü r eine J o c h s ä u l e ge-
dient hat oder ob er Bestandteil der Pressvorrich-
tung im Kelterraum war, läss t sich nicht feststellen.
Das Fundament der N o r d w e s t f ä s s a d e ist trotz
der Mängel in der Bauperiode 3 ü b e r n o m m e n wor-
den. Die Steinlager trugen nur eine leichte Wand i n
Holzbauweise. Den Beweis liefert ein i m Oberge-
schoss vermauerter S t ä n d e r mit Nuten (1633/34),
der in der nordwestlichen Front - 6,20 m von der
Nordecke des Hauses entfernt - zum Vorschein
kam (Abb. 27, 28). In der nachfolgenden Bauzeit ist
dieser Fassadenteil neu gestaltet worden, so dass
uns ü b e r dessen Erscheinung keine detaillierten
Hinweise verblieben sind.-' '
Die erheblichen baulichen Neuerungen w ä h r e n d
der Bauperiode 3 verursachten Umstellungen i m
Nordwestbereich des Hauses in den R ä u m e n 3 und
4. Die T ü r e in der Ostecke des Raumes 3 wurde
zugemauert, die ihr zugeordnete Treppe entfernt
und die so entstandene Grube ausgefül l t . Das fel-
sige Gehniveau i m Raum 4 hob man mittels einer
humosen Auf fü l lung um 35 cm an und legte eine
K o p f s t e i n p f l ä s t e r u n g darauf (Abb. 17; 468.14). Das
aufgehende Mauerwerk der Aussenfront ruht auf
den alten Fundamenten. Von der Rheinseite her
erschloss eine 1,30 m breite, heute vermauerte
stichbogige T ü r den Raum 4 (Abb. 19, 25). Die
nicht mehr vorhandene Treppe musste eine H ö h e
von z i rka 1 m ü b e r w i n d e n . Wies der u r sp rüng l i ch
wohl als Keller konzipierte Raum 4 ein F lächen-
mass von 6,40 m x 4,50 m auf, verlor er nun in der
südös t l i chen Ausdehnung 2 m, so dass ein quadra-
tischer Raum entstanden ist. Der beschriebene
Gang (Raum 1) ist der G r u n d r i s s f l ä c h e des Raumes
4 abgenommen worden.
Der aus der v o r g ä n g i g e n Bauperiode stammen-
de Raum 2a erhielt in einem ersten Bauvorgang
einen beinahe gleichgrossen Zwi l l ing (2b). U n d die
auf diesen beiden Grundrissen (8, 9) aufliegenden,
z i rka 2,20 m hohen R ä u m e belichtete je ein 1 m
hohes und 50 cm breites Fenster (Abb. 19, 46, 52).
Die lichte Öf fnung an der Fassade ist mit Vierkant-
holz gefasst. Die W ä n d e im Innern sind unverputzt.
E i n vermutl ich roher Dielenboden war in Firs t r ich-
tung verlegt. Die R ä u m e haben woh l als Depot ge-
dient oder wurden gewerblich genutzt. Zur Wohn-
lichkeit hergerichtet waren sie nie. M a n muss da-
mit rechnen, dass diese Kompart imente bald nach
ihrer Erstel lung w ä h r e n d der Bauperiode 3 mit den
darunter liegenden R ä u m e n (2a, 2b) zu einem
Torkelraum vereinigt worden sind, der durch die
h ö h e r liegenden drei Fenster in der Nordost- und
S ü d o s t f a s s a d e g e n ü g e n d Licht erhielt und mit der
neugewonnenen Höhe erst nutzbar wurde.
Wie die R ä u m e ü b e r den beiden parallel liegen-
den Kel le rn (1, 2) organisiert waren, läss t sich heu-
te nicht mehr sicher feststellen. M a n kann vermu-
2a) Zur Datierung der diversen H ö l z e r vgl. den Bericht von Christian
Orcel/Alain Orcel/Jean-Pierre Hurni. wie A n m . 20, besonders die
Nrn. 10. 11, 66, 71, Ref. Nr. LRD 8 /R2261 .
167
ten, dass auf den Gewölben der Kel ler W o h n r ä u m e
in süd l i che r und südös t l i che r Orientierung lagen
(Räume 5, 6, 7; Abb . 19).
Ü b e r die Geschichte der südwes t l i chen , der K i r -
che zugekehrten Giebelfront auf der entsprechen-
den Fundamentlage des ersten Kellers (la) kann
nichts Bestimmtes ausgesagt werden, we i l dieser
Teil des G e b ä u d e s in der nachfolgenden Baupe-
riode abgebrochen worden ist.
Der E inbau des Torkels und des grossen Kellers
2 in das Erdgeschoss verursachte gegen Ende der
Bauperiode 3 grosse V e r ä n d e r u n g e n und deutliche
Eingriffe in die damalige Bausubstanz. W i r k ö n n e n
sehr woh l davon ausgehen, dass der Eingang an
der Nordostfassade durch den Raum 1 zu Lager-
r ä u m e n und Kel lern f ü h r t e . Die uns verbliebenen
grundrissl ichen Hinweise sprechen dafür . W i r dür -
fen aber nicht ausschliessen, dass an der Stelle des
imposanten Kellers 2 in einer nicht mehr n ä h e r
verif izierbaren Bauphase ein bescheidenerer Keller
lag, der die schwierige Topographie be rücks ich t ig t
hat, wei l man den anstehenden Felsen noch nicht
mit Pulver zu sprengen vermochte. Die Steinbre-
cher sprengten vor dem A u f k o m m e n des Pulvers
mit Kei len, Brecheisen, Hammerschlag und - wenn
nöt ig - durch Erhi tzen des Gesteins und A b -
schrecken mittels Wasser. Dies w ü r d e hier umso
leichter gehen, als der Fels stichig und mit Spalten
durchsetzt ist und schon mit blossem Hammer-
schlag Steinmaterial abgebaut werden konnte.
Wahrscheinl ich nahm man an fäng l i ch die unebene,
felsige Beschaffenheit des Kellerbodens einfach
hin , wie dies in anderen R ä u m e n des Hauses nach-
weisbar zutraf und auch i m Eingangsbereich in der
nahen Statthalterei zu beobachten war. Nun aber
konnten w i r a m Fuss der S ü d w e s t w a n d i m ge-
wachsenen Felsen eindeutig ein Bohrloch finden;
desgleichen wies ein gesprengter Stein i n der un-
tersten Fundamentlage der südös t l i chen Aussen-
front des Kellers ein Bohr loch auf.
Seit welchem Zeitpunkt in unserer Gegend Pul-
ver i m zivi len Bereich verwendet wurde, ist of-
fensichtlich noch nicht hinreichend geklär t . Den
Einsatz von Pulver und Z ü n d s c h n ü r e n bezeugt eine
Urkunde um 1620 f ü r das Kloster P f ä f e r s . 2 6 Die
Faustregel, dass Sprengarbeit in unserer Gegend
erst nach 1700 d u r c h g e f ü h r t wurde, hilft in unse-
rem Fa l l nur bedingt weiter. Demzufolge k ö n n t e n
die Arbei ten f ü r den E inbau des Torkels und des
grossen Kellers (2) in das Ende des 17. oder in den
A n f a n g des 18. Jahrhunderts datiert werden. Im
Bergwerk Gonzen aber wurde nicht vor 1750 mit
168
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
Pulver Erzgestein gesprengt. 2 7 Was also im Keller 2
zu welchem Zeitpunkt gebaut wurde, ist i m Augen-
blick nicht genau zu datieren. Die e r w ä h n t e n Bohr-
löcher im Fundamentbereich sowie ein glasierter
Scherben aus der Mitte des 19. Jahrhunderts in
Putzresten an der Boden-Wandkante weisen auf
bauliche Massnahmen hin, die sich sehr wohl i m
19. Jahrhundert abgespielt haben k ö n n e n . Dabei
dü r f t e es sich um Verputzarbeiten gehandelt ha-
ben. Sicher wissen wir, dass der grosse Keller 1751
bestand und zusammen mit dem nachstehend be-
handelten Torkel in einem Pachtvertrag e r w ä h n t
wi rd . So d ü r f e n wi r die funktionell aufeinander ab-
gestimmten R ä u m e Keller 2a und Torkel in ihrer
Zeitstellung den s p ä t e n B a u v o r g ä n g e n der Bau-
periode 3 zurechnen (siehe auch Anhang, Trans-
kription der Urkunde vom 12. März 1751).
Der von einem T o n n e n g e w ö l b e eingedeckte Ke l -
ler hat einen Grundriss von 5,50 m Breite, z i rka
11,30 m Länge und eine R a u m h ö h e bis zu 3,30 m.
Dieser Kel ler raum gehör t , gerade seiner Schlicht-
heit wegen, zu den wertvolleren R ä u m e n des Flau-
ses. Den Boden bildet zum g rös s t en Teil Fels, des-
sen Unebenheiten wiederum mittels Löss und
Lehm eingeebnet wurden. Im Gegensatz zum Bo-
den des südwes t l i ch paral lel liegenden Kellers 1
wurde der Keller 2 zu einem erheblichen Teil aus
dem anstehenden Fels herausgesprengt - an der
Nordwestwand bis zu 1,80 m tief. Fü r spä r l i ches
Licht und Luf tzufuhr sorgen an beiden Schmalsei-
ten je ein Fenster mit breit und steil, beinahe latz-
artig abfallenden F e n s t e r b ä n k e n . E in zweif lügel i-
ges Tor mit f lachem Stichbogen g e w ä h r t in der Mit -
te der Nordostwand Einlass in den Keller. Die E i n -
gangspartie s töss t als Kappe ins T o n n e n g e w ö l b e
des Kellers. Eine Verbindung zwischen den beiden
parallel liegenden Kellern bestand nicht. Das Ge-
wölbe wurde zur Isolation mit einer Lehmschicht
eingedeckt. Dann folgte mör te lha l t ige Erde und als
Abschluss eine Schicht mit Bauschutt und datier-
barer Keramik, darunter Ofenkacheln aus dem
Jahre 1683. Die oberste Schicht ist also nicht vor
1683 auf dem Gewölbe abgelagert worden.
In Beachtung der P r o d u k t i o n s v o r g ä n g e von
Wein positionierten die M ö n c h e nordwestl ich, dem
Weinkeller vorgelagert, einen Torkel. Durch die
Zusammenlegung der bereits vorgestellten R ä u m e
(2a, 2b) und bei Einbezug des h ö h e r liegenden
Zugangs mit dem Rundbogentor als Zul ieferraum
und - um die notwendige R a u m h ö h e f ü r die Presse
zu erhalten - mit der Zugabe der R ä u m e 8 und 9
(Abb. 19) entstand ein m u s t e r g ü l t i g e r Torkel. Der
Kel terraum wies eine H ö h e von z i rka 4,50 m auf;
im 8,80 m langen und z i rka 7 m breiten Raum
stand auf der unteren, g r ö s s e r e n Ebene (Press-
ebene) die Baumpresse, w ä h r e n d vom h ö h e r e n
Zuliefergang (Raum 1) - gleichsam von einer Gale-
rie aus - das Pressgut eingeliefert werden konnte
(vgl. A b b . 7, 9, 13, 19). Der Pressraum selbst durfte
durch S tü tzen nicht beengt sein, wei l freier Bedie-
nungsraum notwendig war, so dass hallenartige
Archi tekturen erstellt werden mussten. Deshalb
war der Obergeschossboden meistens nur durch
eine J o c h s ä u l e a b g e s t ü t z t worden . 2 8 A u f dem Bo-
den des Pressraumes (2a) liegen in der Ostecke
noch vermoderte Balken, die als Unterlage fü r die
Spindel gedient haben und in einem Viereck von
1,20 m x 1,20 m ausgelegt sind (siehe steingerech-
ter Grundriss , A b b . 6).
Mit diesem Befund stehen auch die Fundament-
reste und Steinstellungen in der Südecke des Rau-
mes 2b im Zusammenhang. E i n 2,60 m x 2,60 m
ummauertes Podest, im Schnitt z i rka 30 cm hoch,
(246.97/247.30) diente als Unterbau fü r das Tor-
kelbett. Die Steinstellungen sind mit den Aussen-
und Innenmauern nicht i m Verband, wei l die
Presseinrichtung n a c h t r ä g l i c h eingebaut worden
26) Mitteilung von Dr. Werner Vogler, Stiftsarchivar St. Gallen, vom
14. Januar 1990.
27) Mitteilung von Hans Eberli. Buchs (SG), vom 18. Januar 1990.
Nach neueren Studien kann man annehmen, dass bereits nach « d e r
Mitte des 17. Jahrhunderts im einheimischen Bergbau vereinzelte
S p r e n g s c h ü s s e g e z ü n d e t w u r d e n » . Aber nach wie vor gilt die Regel,
dass erst nach 1700 in steigendem Mass das Sprengen mit Pulver
ü b l i c h wurde. - Eduard Brun: Die A n f ä n g e der Sprengtechnik im
Bergbau der Schweiz, undatiertes Manuskript, S. 5. Freundliche
Ü b e r m i t t l u n g durch H a n s j ö r g Frommelt vom 26. November 1992.
28) Christian Renfer: Die B a u e r n h ä u s e r des Kantons Zür ich . In: Die
B a u e r n h ä u s e r der Schweiz. Hrsg. Schweizerische Gesellschaft für
Volkskunde. Basel. 1982. Bd. 1. S. 496. 617-628.
169
Abb. 24: NO-Fassade
Bauperiode 3
Abb. 25: NW-Fassade
Bauperiode 3
Abb. 26: SO-Fassade
Bauperiode 3
I 1—I—I—I 1
0 1 2 3 4 5 m
170
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
ist. Über diesem Kelterbett m ü s s e n die J o c h b ä u m e
gestanden haben, in welchen der eigentliche Press-
baum (zirka 7 m lang) h ing. - 9 Dem Torkelbett ist an
der Nordwestseite eine mit Tonplatten versehene,
g e g e n ü b e r dem Bodenniveau des Kellers um 50 cm
abgesenkte F läche beigegeben (467.02/466.55),
die ü b e r zwei Blockstufen aus Stein betreten wer-
den konnte. A n der S ü d w a n d befinden sich zwei
breite A b l a g e f ä c h e r (Flöhe: 60 cm, Breite: 85 cm
und Höhe : 60 cm, Breite: 100 cm und beide 50 cm
Tiefe), voneinander mittels eines aus Ziegel erstell-
ten Pfeilerchens getrennt, das ein eingemauertes
Sturzholz s tützt . D a r ü b e r setzten die Handwerker
Fachwerk mit ä l t e ren , s e k u n d ä r verwendeten Vier-
kan thö l ze rn .
Die Raumeinteilung i m n o r d ö s t l i c h e n und mitt-
leren Bereich des Obergeschosses kann relativ ge-
nau rekonstruiert werden. Z immer und Gänge
waren hier in der Höhe des heutigen, schadhaften
Bretterbodens angelegt (471.50), was anhand der
B o d e n h ö h e n der Fensternischen nachgewiesen
werden kann.
E i n 2 m breiter Gang - erhellt durch das mittlere
Fenster in der N o r d o s t f ä s s a d e - f ü h r t e i n Firstlage
zur Südwes t se i t e des Hauses. Die erste, heute nicht
mehr vorhandene südwes t l i che Giebelmauer hat
den vermutl ich 21 m langen Gang abgeschlossen.
Diesen L ä n g s k o r r i d o r kreuzte nach 6 m ein Quer-
gang (vgl. Abb . 23, R ä u m e 10, 11, 15, 19). In der
Nordecke des Obergeschosses ist, trotz der radika-
len s p ä t e r e n Eingriffe , der Raum 12 (Abb. 23, 24,
25) erkennbar. Das Innere (5,70 m x 4,70 m) be-
lichteten drei Fenster: zwei in der Nordostfassade
und eines in der Nordwestfront. Die Fenster sind
heute teilweise vermauert (Abb. 49, 51). Das unge-
f ä h r 2,80 m hohe Z immer musste trotz der Nord -
lage hell und grosszüg ig gewirkt haben. Die drei
barocken Fenster, mit k rä f t igen Leibungen und
innen mit einem Stichbogen aus dunklen Ziegeln
gemauert, spendeten g e n ü g e n d Licht, um eine
angenehme W o h n a t m o s p h ä r e zu g e w ä h r l e i s t e n .
Dafü r sorgte auch die T ä f e r u n g ü b e r unverputztem
Mauerwerk; die Holzdübel , die eine T ä f e r u n g der
W ä n d e e rmögl i ch ten , sind noch erhalten. Die N i -
sche an der Nordwestwand diente zur Aufnahme
eines E i n b a u m ö b e l s . Die I n n e n w ä n d e k ö n n e n heu-
te nur anhand der Putzbrauen an den A u s s e n w ä n -
den nachgewiesen werden (vgl. A b b . 23). Die
Nordostwand des Zimmers 12 erreichte eine M a u -
erdicke von rund 30 cm und war, auf der entspre-
chenden Mauer i m Erdgeschoss aufsitzend, tragen-
de Mauer f ü r den Kornboden. Die S ü d w e s t w a n d
aber erreichte nur eine Wanddicke von 16 cm und
stiess stumpf an die Aussenmauer. Es handelte sich
mit g rö s s t e r Wahrscheinl ichkei t u m eine Riegel-
wand .
In der Ostecke des Geschosses befand sich
das Z immer 13. Die verputzten weissen W ä n d e
begrenzten eine G r u n d r i s s f l ä c h e von 4,70 m x
5,70 m. In Entsprechung zum Raum 12 belichteten
vier grosse stichbogige Barockfenster das Zimmer.
Die Beheizung der beiden R ä u m e kann nicht ge-
k lä r t werden; vermutl ich standen an den abgebro-
chenen I n n e n w ä n d e n Öfen.
Den 11,50 m langen Quergang (Raum 10) belich-
teten zwei einander g e g e n ü b e r l i e g e n d e Fenster an
der Nordwest- und S ü d o s t f a s s a d e . Vermutl ich
diente eine Hälf te des Korr idors als Treppenhaus,
um vom Erdgeschoss ins erste Obergeschoss zu ge-
langen, was vom Nordwesten her mittels 14 kräf t i -
ger Stufen zu bewerkstelligen war. Das heutige
nordwestliche Fenster aber entstammt einer spä t e -
ren Bauperiode.
M a n muss davon ausgehen, dass der in First-
r ichtung laufende Mittelgang (Raum 15) weitere
Z immer erschlossen hat. Der Raum 18 an der
südös t l i chen Hausfront wurde i n einer s p ä t e r e n
Bauphase, besonders in der Südecke , umgestaltet.
Hier stand eine Nutz f l äche von 4,70 m x 7,40 m zur
Ver fügung . In der Ostecke des Zimmers ist ein
K a m i n nachweisbar.
Vis-ä-vis des geschilderten Raumes 18 lagen,
durch den Korr idor getrennt, die entsprechenden
Nu tz f l ächen der R ä u m e 16 und 17. Die Unter-
teilung der R ä u m e und der Einbau eines Kamins in
29) Vgl. die Einrichtungen im Torkel des Roten Hauses in Vaduz im
Bericht von Waltraud Waid: A r c h ä o l o g i s c h e Sondierung im Torkel
des Roten Hauses zu Vaduz. In: J B L 89 (1991), S. 193-196.
171
der Nordecke des Raumes 17 erfolgten zu einem
s p ä t e r e n Zeitpunkt. W ä h r e n d der Bauperiode 3 b i l -
dete auf einer Länge von mindestens 9,50 m eine
Riegel- oder Holzbohlenwand, ansetzend an der
Westecke des Zimmers 12, die Aussenfront (vgl.
A b b . 23, 25). Vermauertes Fichtenholz, Reste der
ehemaligen e r w ä h n t e n Hauswand, w i r d in die Jah-
re 1633/34 datiert (Abb. 27, 29). Die u r s p r ü n g l i c h
geringere Höhe der Mauerkrone i m Bereich der
ehemaligen Holzkonstruktion, ein Befund, der auf
der Innenseite der nordwestlichen Hausmauer be-
obachtet werden kann, mag mit konstruktiven Not-
wendigkeiten bei der Auflage der Pfetten bedingt
gewesen sein (vgl. A b b . 25).
Was die R ä u m e betrifft, welche ü b e r dem äl tes-
ten Keller i m S ü d w e s t e n lagen, kann - wie bereits
vermerkt - nichts Sicheres ausgesagt werden. Der
Bauteil ist in der zweiten Hälf te des 18. Jahrhun-
derts bis auf die Grundmauern abgetragen worden.
Über dem eben geschilderten Obergeschoss
befand sich ein g e r ä u m i g e r Kornboden oder Est-
rich, den zumindest an der Nordostfassade drei
Fenster und eine unter der Giebe lhöhe sitzende
Öf fnung belichteten. Diese Fenster weisen auch
d a r a u f h i n , dass der Giebel vor dem letzten U m b a u
(1875) um mindestens 1,30 m bis 1,40 m h ö h e r
war; denn die beiden, das mittlere Estrichfenster
f lankierenden Lichtquellen - heute vermauert -
w ä r e n bei der g e g e n w ä r t i g e n F i r s t h ö h e zur Gänze
nicht plazierbar gewesen. In der Tat dokumentiert
die Bleistiftzeichnung von K. A . Kayser «Der K i r c h -
hügel von Bendern von Nordosten her g e s e h e n » ,
vermutlich aus dem Jahre 1843, das Erscheinungs-
bild der Nordostfassade des alten Pfarrhauses vor
dem Umbau von 1875 (Abb. 1, 24). Auch das i m
Mauerwerk in A n s ä t z e n und in der Zeichnung von
Kayser deutlich festgehaltene Fenster unmittelbar
unter dem First w ü r d e die g e g e n w ä r t i g e Dachnei-
gung und F i r s thöhe nicht mehr zulassen.
Der Dachstuhl dieser Bauperiode war am
ehesten als Sparrendach auf liegendem Stuhl ge-
zimmert gewesen. Wahrscheinl ich knickten i m
unteren Drittel Aufschiebhnge die Dachf l ächen . Die
u r sp rüng l i ch um 30 cm geringere Mauerkronen-
h ö h e i m Mittelteil der Nordwestfassade muss - wie
e r w ä h n t - mit der Auflage der Pfette auf der Block-
wand oder der Fachwerkmauer zu tun haben. Hier
brachte wohl ein Kniestock die Pfette auf die Höhe ,
wie sie die Steinmauer nö rd l i ch davon aufweist.
Das Dach selbst war zu dieser Zeit sehr wahr-
scheinlich mit Flachziegeln eingedeckt gewesen,
die - schadhaft geworden - als Fl ickmater ia l wie-
der verwendet worden sind.
In diesem Zusammenhang ist noch ein bauliches
Detail zu beachten: Der alte Kel ler l b sprang etwa
1,30 m ü b e r die Flucht der S ü d o s t f a s s a d e vor
(Abb. 6), eine ä s the t i s ch wenig glückl iche Dispo-
sition. Vielleicht vermag ein 60 cm breiter und
1,30 m langer Fundamentrest, 60 cm von der
Ostecke des alten Pfarrhauses z u r ü c k v e r s e t z t und
ohne Verband mit der ä l t e r en Fundamentmauer,
zur Gestaltung der südös t l i chen Fassade etwas bei-
zutragen (Abb. 6, 28). Wahrscheinl ich wurde die
S ü d o s t f a s s a d e zu dieser Zeit durch zusä tz l iche
bauliche Vorkehrungen mit Holz hervorgehoben,
um dem Haus dem Tal z u eine traufseitige Orientie-
rung zu geben. So w ä r e n das e r w ä h n t e Fundament
und der vorkragende Keller im Süden als Stütze
und Auflage f ü r eine der Fassade vorgestellte Holz-
konstruktion zu interpretieren. D a f ü r sprechen
ebenfalls die acht beobachteten Balkenlöcher , wel-
che die Fenster auf halber H ö h e zu beiden Seiten
f lankieren (Abb. 26). M a n kann in diesem Zusam-
menhang auch an Verstrebungen zur Montage
einer Flugpfette denken, eine Vordachgestaltung,
die eine weit ausladende Bedachung der Fassade
e rmögl i ch te .
Es wurde schon bei der Vorstellung des
barocken Hauses der Bauperiode 3 klar, dass man
das alte Pfarrhaus dieser Epoche nicht auf ein oder
zwei Jahre Bauzeit h in datieren kann. Vielmehr
wickelten sich die B a u v o r g ä n g e in mehreren
Phasen ab. Die Jahre 1633/34 und 1640/41 sind
aufgrund dendrochronologischer Untersuchungen
i m Zusammenhang mit der Bauperiode 3 genannt
worden. Gewiss wurde in den folgenden Jahrzehn-
ten immer wieder gebaut. Jedoch darf man die
Erstel lung der Bohlen- oder Fachwerkteile in der
Nordwestfassade in den Jahren 1633/34 als ge-
sichert annehmen, und in einem zweiten Bauschub
172
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
Abb. 27: NW-Fassade vor
Raum 3; vermauerter
Ständer zu Bohlenwand;
hinter Stallfenster Stich-
bogen zu älterer Tür oder
Wandnische; ganz unten
Fundamentreste der
Bauetappe I—II; links
zugemauerte Tür unter
Stichbogen
Abb. 28: Blick von der
Ostecke des Hauses gegen
Westen entlang der Fun-
damentlage der Südost-
fassade; im Vordergrund
Fundamentreste (130 x
60 cm) der Hausecke
beigestellt, vermutlich als
Auflage einer Holzkon-
struktion, A Sch S-01
Abb. 29: Obergeschoss,
NW-Wand: rechts ver-
mauerter Ständer zu
Bohlenwand; Mitte spätere
Wandausfachung mit
unten stichbogiger Nische
(oder Tür ?), vgl. Abb. 27,
von aussen
173
widmeten sich die Mönche dem Innenausbau des
Hauses (z. B . R ä u m e 12, 13, 15). Die aufgehenden
Mauern d ü r f t e n zum g rös s t en Teil ebenfalls dem
dritten und vierten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts
zugeordnet werden. A u c h die Bauten auf der alten,
der Kirche zugeordneten Kelleranlage (Keller 1)
waren - zumindest i m Konzept - in die architekto-
nische Gestaltung miteinbezogen. Die Erstel lung
des Torkels und des grossen Weinkellers i n der vor-
gefundenen Erscheinung kann als letzter Vorgang
der Bauphase 3 angesehen werden und dü r f t e um
1700 stattgefunden haben.
Die P r ä m o n s t r a t e n s e r von St. Luz i in Chur
waren w ä h r e n d der intensivsten baulichen Tät ig-
keit am alten Pfarrhaus i n Bendern im Zei t raum
von 1633/1644 am Ende ihres 100 - j äh r igen Exils
auf dem Ki rchhüge l von Bendern angelangt.
G r a u b ü n d e n war damals Schauplatz r ivalisieren-
der e u r o p ä i s c h e r Mäch te . Zwar hatte der Abt von
St. Luz i schon 1624 - auf ö s t e r r e i c h i s c h e n Druck
h in - Güter und das zerfallene Kloster in Chur
z u r ü c k e r h a l t e n . Der ös t e r r e i ch i sche Kaiser und
Wallenstein versprachen am 18. Juni 1629, das
Kloster zu schü tzen . Al l e in die allgemeine Un-
sicherheit w ä h r e n d des Dre i s s ig jäh r igen Krieges,
das Misstrauen g e g e n ü b e r den B ü n d n e r n und die
i n Chur besonders arg w ü t e n d e Pestwelle f ü h r t e n
die M ö n c h e immer wieder nach Bendern in ihre
Statthalterei, 3 0 wo sie auch Pfarrdienste verrichte-
ten und dank des Bodenbesitzes eine Existenz-
grundlage hatten.
Die bestimmende und f ü h r e n d e Persön l ichke i t
unter den M ö n c h e n von St. L u z i scheint zur Bauzeit
der Periode 3 des alten Pfarrhauses Johannes Kopp
(t 1661) gewesen zu se in . 3 1 E r war als Pfarrer von
Bendern auch Adminis t ra tor und - nach 1639 -
Abt von St. Luz i . Als Johannes IV. wirkte er segens-
reich f ü r das Kloster und galt als eigentlicher Wie-
derhersteller der Klostergemeinschaft von St. Luz i
in Chur. Das alte Pfarrhaus von Bendern verweist
auf seine reformerische Tät igkei t .
Das barocke Pfarrhaus sollte in der Geschichte
Liechtensteins eine besondere Rolle spielen. Denn
hier versammelten sich am 16. M a i 1.699 alle Män-
ner der Herrschaft Schellenberg, die mehr als 14
Jahre alt waren - 273 an der Zah l - , am Morgen
zwischen neun und zehn Uhr. Sie sollten dem
neuen Landesherrn, F ü r s t Johann A d a m Andreas
von Liechtenstein (1657-1712), vertreten durch
A m t m a n n Johann Franz Bauer, den Huldigungseid
leisten. Die Gäs te begaben sich in die Wohnung des
Pfarrers. N iemand erwartete eine «Diffikultät»
oder gar eine Verweigerung der Eidesleistung. Da
meldeten sich Landammann und Geschworene der
Herrschaft Schellenberg, begleitet von F ü r s p r e c h
Franz Braun, Stadtrat in Feldki rch , und begehrten
zusä tz l i che Sicherheiten in Betreff Einhal tung alter
Rechte und Gewohnheiten - nicht u n b e g r ü n d e t ,
wie es sich s p ä t e r herausstellte. Die Verhandlungen
zogen sich bis nachmittags vier Uhr h in . Dann
kamen der Landammann Andreas Büchel , die
Geschworenen und die stimmberechtigten M ä n n e r
i m Hof vor dem Pfarrhaus zusammen. Die kaiser-
liche Kommiss ion und der Delegierte des F ü r s t e n
begaben sich zum Söller des Pfarrhauses hinaus,
wo der Kaiserl iche Kommissar , Johann Jakob
Motz, « d u r c h das Fenster hinunter gegen den
Ki rchhof h i n ü b e r » an die Versammlung sprach und
sie zum E i d auf die neue Herrschaft aufforderte.
A m s p ä t e n Nachmit tag schworen die M ä n n e r der
Herrschaft Schellenberg F ü r s t Johann A d a m A n d -
reas Treue . 3 2 Seit diesem Vorgang sind beinahe 300
Jahre verflossen.
174
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
BAUPERIODE 4
BAULICHE VERÄNDERUNGEN IM 18. UND
FRÜHEN 19. JAHRHUNDERT
In der ersten Hälf te des 18. Jahrhunderts bef lügel te
die barocke Reform- und Baufreude wenigstens in
A n s ä t z e n auch die M ö n c h e von St. Luzi in Bendern.
Eine dieser Persön l ichke i t en war Abt Milo Rieger
(t 1725), erst Adminis t ra tor in Bendern, dann Abt .
Er und seine Nachfolger planten in den ersten
Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts, den Sitz des
Klosters St. Luz i von Chur nach Bendern zu ver-
legen. Der Plan w ä r e beinahe realisiert worden.
Schliesslich aber waren der Generalvisitator, der
Bischof von Chur und der Papst dagegen. 3 3 Den-
noch wurde in Bendern gebaut. Die Statthalterei
wurde um 1730 umfassend renoviert . 3 4 Es entstan-
den E n t w ü r f e zu aufwendigen und r e p r ä s e n t a t i v e n
Barockanlagen als Zugang zum Kirchhüge l von
Bendern . 3 5 Das alte Pfarrhaus aber blieb von g rös -
seren Eingr i f fen in die Bausubstanz bis zur Mitte
des 18. Jahrhunderts verschont. D a r ü b e r vermag
die bereits eingangs zitierte Urkunde von 1751
N ä h e r e s auszusagen (siehe Anhang).
Beinahe gegen läuf ig zum barocken Auftreten zu
Beginn des 18. Jahrhunderts verpachteten die
W e i s s m ö n c h e sozusagen den ganzen landwirt-
schaftlichen Betrieb, den Weinbau, mit Vorbehalt
jedoch der E r t r ä g n i s s e aus den W ä l d e r n und der
St . -Luzi -Lehnsgüter sowie der beiden Gär t en , ins-
besondere des « a m g r o ß e n K ü r c h w e e g n ä c h s t dem
alten h a u ß » gelegenen, und der E inkünf t e aus
geistlichen Diensten, sonst aber alles, auch das
«alte h a u ß » . Im alten Pfarrhaus behielt der Pfarrer
nur den grossen Keller (Keller 2) und zwei Zimmer,
welche der Geistliche bewohnte und die zusam-
m e n g e h ö r t e n .
Und dann folgt in der Urkunde f ü r die Belange
der Baugeschichte des Hauses eine wichtige Stelle:
Der «alte keller, torkhl sambt denen der statthal-
terey aigenthumlichen b ü t t e n e n und züber , auch
darneben stehenden zimmer, nicht minder die
drey oder vier noch üb r ige z immer und kornbo-
den» wurden den P ä c h t e r n ü b e r l a s s e n . Übe rd i e s
bauten die M ö n c h e f ü r die Vertragspartner «ein
kuchel und S tuben» i m alten Pfarrhaus. Es wurde
«he i t e r und k la r» ausbedungen, dass i m Brandfa l l
die P ä c h t e r hafteten. Das Wasch- und Backhaus in
der Westecke des Gartens bei der Statthalterei
nutzten beide Parteien gemeinsam. Der «grosse
Stad l zu B e n d e r n » , « d e r Zechend Stadl» und auch
die « h ü t t e n und scherm auf der a lp», alle diese
Bauten wurden verpachtet. 3 6 Soviel zu H ä u s e r n
und Bauten.
W i r m ü s s e n also zusammenfassend, was die
nutzbaren R ä u m e i m alten Pfarrhaus betrifft, fest-
halten, dass beide Keller (Keller 1, 2) u m 1751
noch genutzt wurden, ebenso der Torkel. Die i m
Erdgeschoss gelegenen Z immer durften anschei-
nend die P ä c h t e r nutzen; es musste sich dabei um
R ä u m e handeln, die ü b e r den Kellergrundrissen
lagen. Welche zwei Z immer vom damaligen Pfarrer
bezogen waren, läss t sich aufgrund der Urkunde
nicht sagen. Es ist kaum anzunehmen, dass die neu
eingerichtete Küche fü r die P ä c h t e r i m ersten Ober-
geschoss war, vielleicht jene des Pfarrers. In der
nahen Statthalterei lag der K ü c h e n r a u m i n der
Nordecke des Hauses, ü b e r dem Keller. Ferner be-
richtet der Vertrag von einer neuen Stube und drei
oder vier weiteren Z immern , welche den fünf Päch-
tern zustanden, also ein Raumprogramm, das nur
in einem Grundriss unterzubringen war, welcher
mit v e r f ü g b a r e n R ä u m e n ü b e r dem Keller 1 an der
Südwes t se i t e des Hauses rechnen konnte. Mit
anderen Worten: Das Haus muss Mitte des 18.
30) Peter Kaiser, wie A n m . 6, S. 427, siehe auch Apparat S. 446,
A n m . 236. - Johann Baptist. B ü c h e l , wie A n m . 4, S. 52-56.
31) Johann Baptist B ü c h e l , wie A n m . 4, S. 55 f., 118. 169.
32) Otto Seger, wie A n m . 7, S. 112-114. - Peter Kaiser, wie A n m . 6,
S. 427-430. 468-471. Literatur im Apparat.
33) Johann Baptist B ü c h e l , wie A n m . 4. S. 57-63, 118.
34) Erwin Poeschel, wie A n m . 3. S. 253 f.
35) « P r o j e c t f'üer g ü e t h l i c h e r sanction Entzwischen einem I.öbl.
Pfarrhaus Bendern und dennen Ersamen Gemeindt Bendern Gam-
prin, Eschen, R u g g e l l » , Tiroler Landesarchiv Innsbruck. Urkunde
1/4581. - Kopie im L L A , 1/4584.
36) Der grosse Stadel zu Bendern befand sich an der Stelle, wo
der heutige Gasthof L ö w e n steht. Zu den zitierten Stellen vgl. die
Urkunde vom 12. M ä r z 1751, Anhang.
175
Abb. 30: Südecke des CD Kellergewölbe A
Raumes A 5 Keller 2
(2) SW-Mauer der
Giebelfront. Untere
Fundamentlage
gegen Erde u. Schutt
gemauert. / Einfüll-
material auf Keller-
gewölbe
(3) SW-Mauer / Giebel-
wand weist hier
Vorfundament auf
(4) Steinsichtig verputzte
SO-Fassadenmauer
stösst stumpf an
Jahrhunderts noch - i m Gegensatz zu heute - in
seiner ganzen u r s p r ü n g l i c h e n Grösse und Ausdeh-
nung genutzt worden sein.
Die P ä c h t e r waren verpflichtet, das alte Pfarr-
haus und die Stallungen baulich zu unterhalten
und was « n o t h w e n d i g seyn w i r d , verbessern, auch
i n zerfallens begebenheit auf aigene kosten auf-
bauen zu l a s s e n » . Die Instandhaltung des Torkels
samt Z u b e h ö r w a r eigens ausbedungen. Der Ver-
trag galt f ü r acht Jahre und wurde bis 1786 immer
wieder erneuert. Im Jahr darauf trat die Gemeinde
Gampr in-Bendern als Vertragspartnerin mit dem
Kloster auf. 3 7 Immer h ä u f i g e r wurden die Gemein-
den der Herrschaft Schellenberg zu Vertragspart-
nern mit den M ö n c h e n von St. L u z i . Es handelte
sich dabei vor allem u m Z e h n t e r t r ä g n i s s e . Die letz-
ten Abmachungen datieren aus der Wende vom 18.
zum 19. Jahrhunder t . 3 8
Es liegt nahe, dass zu dem Zeitpunkt, als Ge-
meinden der Herrschaft Schellenberg anstelle von
Privaten als Vertragspartner mit dem Konvent auf-
traten, Wohnrechte i m alten Pfarrhaus nicht mehr
Vertragsgegenstand waren, und dass s p ä t e s t e n s
nach 1786 das Haus mangels Nutzung durch Päch-
ter f ü r den Pfarrer allein zu gross w a r und langsam
zu zerfal len drohte. Deshalb nehmen w i r an, dass
die ä l tes ten und baufä l l igen Teile des Hauses in den
letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts abgebro-
chen wurden . Dabei handelt es sich u m das K o m -
partiment an der S ü d w es t s e i t e des G e b ä u d e s mit
den R ä u m e n auf dem Grundr iss des Kellers 1. Der
Kel ler ( la) wurde eingefül l t . Der süd l iche Teil des
Kellers ( lb) diente w ä h r e n d der Bauzeit als Kalk-
grube. In das Auf fü l lma te r i a l des Kellers legten die
Bauleute im S ü d b e r e i c h Fundamente f ü r einen
Schopf oder sonstige provisorische Bauten (vgl.
A b b . 10, 12). Die no rdös t l i che Kellermauer des
abgebrochenen Kellers ( la) blieb stehen. Über dem
G e w ö l b e a n s a t z der Kel le rwand konnte i m Süd-
bereich noch auf z i rka 1,80 m H ö h e ä l t e res Mauer-
werk aus den f r ü h e r e n Bauperioden weiterhin
verwendet werden; es f iel gegen Westen hin
dann allerdings bis z i rka 1 m ü b e r G e l ä n d e h ö h e ab.
A u f diesen Mauerresten bauten die Handwerker
die heutige Giebelfront auf (Abb. 32, 50, 52), eine
176
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
mit karger Befensterung versehene, der Sonne zu-
gekehrte, das Licht aber abwehrende Mauer. (Die
Fenstereinteilung mit der Holzvergatterung
stammt aus der letzten Umbauperiode von 1875.)
A n der Südecke des Hauses s töss t die Aussenmau-
er in der H ö h e des Erdgeschosses stumpf an die
Giebelfront, das heisst, dass w i r in diesem Bereich
mit noch j ü n g e r e n B a u v o r g ä n g e n rechnen m ü s s e n
(vgl. A b b . 30, 46, 52). Die gleiche Situation treffen
wi r auch in der Westecke des ersten Obergeschos-
ses an, wo die traufseitige Aussenmauer - zumin-
dest i m Innenraum - ebenfalls stumpf an die First-
front s töss t (Abb. 51). Nicht so klar stellt sich dieser
Sachverhalt an der Aussenfront der Westecke des
Hauses dar. Ausser einem Senkungsriss mit unre-
ge lmäss igem Verlauf ist der Befund hier nicht ein-
deutig. Diese Beobachtung muss wohl so gedeutet
werden: Es wurde wiederholt darauf hingewiesen,
dass der mittlere Bereich der Nordwestfassade aus
einer Holzkonstruktion bestanden hat. Die Holz-
konstruktion aber erreichte i m Anstoss nie die
Dicke der Bruchsteinmauer. So blieb beim Hochzie-
hen der Firstfront in der Westecke des Hauses als
Anschluss an die noch bestehende Holzkonstruk-
tion der nordwestl ichen Aussenmauer, zumindest
i m ersten Obergeschoss, nur die s c h m ä l e r e Breite
der Bohlenaussenwand übr ig . Es ist demnach nicht
verwunderl ich, dass hier die Hausecke riss. Als
dann die traufseitige Holzkonstrukt ion entfernt
wurde und an deren Stelle eine Bruchsteinmauer
trat, w a r f ü r die innere Westecke nur noch ein
stumpfer Anstoss mögl ich . W i r m ü s s e n die bauli-
chen Vorgänge in der zeitlichen Abfolge sehen - in
welchen Intervallen auch immer. Offensichtlich
baute man am alten Pfarrhaus immer nur, wenn es
absolut notwendig war. M a n stopfte, flickte und
bastelte a m G e m ä u e r , u m den Zerfal l aufzuhalten
(Abb. 32, 38, 42, 45, 46, 50). In der S ü d e c k e des
Obergeschosses ist das Mauerwerk der neuen
Firstfront - im Gegensatz zum Befund im Erdge-
TREPPE
. . IN DIE WINDE
I |<AMIN
/ ~ v
i i
C
I I
. 4 -
Abb. 31: Grundriss
1. Obergeschoss
I i Bauperiode 4
I — I — h -\—I
0 1 2 3 4 5 m
37) Johann Baptist B ü c h e l , wie A n m . 4, S. 142. - Vgl. Urkunde vom
12. März 1751, Anhang.
38) Johnn Baptist B ü c h e l , wie A n m . 4, S. 141 f.
177
Abb. 32: SW-Fassade
M Bauperiode 4
Abb. 33: NW-Fassade
W Bauperiode 4
Abb. 34: SO-Fassade
M Bauperiode 4
0 1 2 3 4 5 m
178
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
Abb. 48: Scheunentor mit
Sandsteingewände in der
Nordwestfassade des alten
Pfarrhauses nach dem
Umbau von 1875
m
Im Gefolge dieser Ereignisse d ü r f t e n dann auch die
relativ gut fassbaren baulichen Massnahmen gegen
Mitte des 17. Jahrhunderts gesehen werden. Der
Ausbau des Hauses zu Ende des 17. und i m begin-
nenden 18. Jahrhundert kann sehr woh l anhand
der Untersuchungen am Haus nachgewiesen wer-
den. Der a l lmäh l i che Niedergang des Hauses ging
parallel mit dem Schwinden des Einflusses und
dem Er löschen der Strahlkraft des Klosters St. L u z i
in Chur einher. Die Revolutionszeit brachte das
Kloster 1802/06 z u Fa l l . Das Pfarrhaus wurde z u m
Stall. Nur der Torkelraum und der grosse Weinkel-
ler behielten einstweilen ihre u r s p r ü n g l i c h e n Funk-
tionen.
Die Gemeinde Gampr in-Bendern trat erst 1874
nach langwierigen Verhandlungen die Rechtsnach-
folge des ö s t e r r e i c h i s c h e n Ä r a r s an. Damit begann
auch baulich ein neuer Zeitabschnitt, der sich so-
gar in der Benennung des Anwesens auswirkte, in -
dem aus dem «a l ten P f a r r h a u s » im tägl ichen
Sprachgebrauch der «Pfa r r s ta l l» wurde. In diesem
Zustand und nur mit geringen Ä n d e r u n g e n in der
Erscheinungsweise blieb das Haus bis in die j ü n g -
ste Zeit erhalten.
187
Abb. 49: NO-Fassade,
Orthogonal-Fotografie
l 1 1 1—
0 1 2 3
Legenden zu den Abbil-
dungen 48 bis 51
Bauetappen:
• I-II 16. Jh.
III 1633/44
IV 18./A. 19. Jh
• IV 18./A. 19. Jh
• IV 18./A. 19. Jh
• V1875
• Vb 20. Jh
188
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
189
14.45 16.45
Abb. 51: NW-Fassade,
Orthogonal-Fotografie
Abb. 52: SO-Fassade,
Orthogonal-Fotografie
0 1 2 3 4 m
190
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
schoss - i m Verband mit der Aussenwand der Süd-
ostfassade, jedoch nur auf einer Länge von 1,20 m.
Dann zeichnet sich in der Bruchsteinmauer eine
deutliche Linie ab, die bis zur Mauerkrone geht
(Abb. 31, 34, 42, 46, 52). Die Mauerfuge begleitet
das nordös t l i che G e w ä n d e einer ins Freie f ü h r e n -
den Tür, deren S c h w e l l e n h ö h e jedoch nicht mit der
heutigen H ö h e des Bretterbodens rechnet (472.00).
Neben der e r w ä h n t e n Baufuge bei der hochgelege-
nen Tür deutet die divergierende S t u r z h ö h e des
Eingangs i m Verhä l tn is zu den nordös t l i ch liegen-
den Barockfenstern der 3. Bauperiode auf eine an-
dere Zeitstellung dieses Zugangs h in . Die T ü r war
von Osten her ü b e r eine Stiege mit Podest erreich-
bar (Abb. 42, 46, 52). Die Schlupfpforte diente ein-
mal als direkter Zugang zum Obergeschoss und
f ü h r t e zu einem schlauchartigen Gang, welcher der
Westecke zu in einer steilen Stiege endete, die zum
Kornboden f ü h r t e . Die Treppe kann als Abdruck an
der Innenwand i m Putz erkannt werden. Die Süd-
westfront des Obergeschosses war zu dieser Zeit
nur mit einem einzigen stichbogigen Fenster in der
Fassadenmitte durchbrochen (Abb. 32, 38, 50). A n
der Nordwestwand sehen wi r ein schmales, heute
vermauertes Fenster. Das grosse, ehemalige Quer-
gangfenster aus der 3. Bauperiode an derselben
Hausfront wurde in die Steinmauer integriert, wo-
bei zwei Hölzer zur Datierung g lück l icherweise er-
halten geblieben sind (Abb. 51). Die Raumeintei-
lung dü r f t e mit Ausnahme des Zugangs zum Est-
rich von der vorangehenden Bauperiode stammen.
Die R a u m h ö h e ist an den a b g e s ä g t e n Balken (1875)
an der Innenkante der Giebelfront ablesbar.
Der Estrich erhielt von S ü d w e s t e n her durch ein
reduziertes Fenster spä r l i ches Licht. Unter dem
First bemerken w i r ü b e r d i e s eine unscheinbare
Öf fnung (Abb. 32).
Die F i r s t h ö h e hatte sich der bereits gegebenen
Situation anzupassen, so dass w i r auch an der Süd-
westseite des Hauses die First l inie um z i rka 1,30 m
h ö h e r durchziehen m ü s s e n als sie heute liegt. Im
Dachstuhl selbst s ind an der S ü d w e s t f r o n t ä l t e re
Hölzer s e k u n d ä r verwendet worden; ein S t ä n d e r
datiert aus der Zeit um 1489.
In diesem Zustand mochte das Flaus die Revo-
lutionszeit mit ihren Wi r r en und den behenden
Wechseln von herrschaft l ichen A n s p r ü c h e n w ä h -
rend des beginnenden 19. Jahrhunderts bis hin zur
Aufhebung des Klosters St. L u z i in Chur und damit
auch de jure der Statthalterei Bendern i m Jahre
1806 sowie den folgenden q u ä l e n d e n Ablösungs -
v o r g ä n g e n der noch in Bendern tä t igen M ö n c h e
und Pfarrer aus ihren geistlichen Diensten über -
dauert haben. Die eingangs dieser Arbei t geschil-
derten Schadensmeldungen an Bauten auf dem
Benderer Ki rchhüge l w ä h r e n d dieser Jahre be-
trafen sicher auch das alte Pfarrhaus aus der 4.
Bauperiode. Öster re ich - ab 1813 als Nachfolger
Bayerns wieder Patronatsherr - trat unter ande-
rem auch dieses Haus 1874 der Pfarrei Bendern
beziehungsweise der Gemeinde Gampr in ab.
179
Abb. 47: NO-Fassade nach
dem Umbau von 1875
Zusammenfassend kann folgendes festgehalten
werden: Die ä l t e s ten im Haus verarbeiteten Hölzer
datieren aus dem Ende des 15. Jahrhunderts. Das
Holz ist bisweilen in zweiter und dritter Verwen-
dung im Haus verarbeitet und kann sogar von
einem anderswo gelegenen, abgetragenen Bau
stammen. Die Dendrozahlen beweisen in diesem
Fa l l noch nicht sch lüss ig den Baubeginn des ersten
Hauses. W i r m ü s s e n jedoch annehmen, dass sich
beim ausgedehnten p r ä m o n s t r a t e n s i s c h e n Besitz
von Weinbergen am Eschnerberg schon recht f r ü h
der Bedarf an Kel ler raum zur Lagerung von Wein
bemerkbar gemacht haben muss. Der übe ra l l an-
stehende Fels erschwerte zu allen Zeiten der Be-
siedlung des Ki rchhüge l s von Bendern die Erstel-
lung von Kel le r raum. Diese Gegebenheit musste
sich besonders stark ausgewirkt haben, als die
M ö n c h e von St. L u z i in Chur ü b e r l ä n g e r e Ze i t räu-
me auf dem Ki rchhüge l in Bendern lebten. So kom-
men w i r aufgrund der a r c h ä o l o g i s c h e n Befunde
und der bauanalytischen Beobachtungen mit der
Datierung der f r ü h e s t e n erkennbaren B a u v o r g ä n g e
(Keller la) ins beginnende 16. Jahrhundert nicht in
Widerspruch mit schrif t l ichen Quellen. Es darf als
gesichert gelten, dass bei den Vorgängen in Chur
w ä h r e n d und nach der Reformationszeit und der
Flucht des ganzen Konventes von Chur nach Ben-
dern die Bautä t igke i t auf dem Kirchhüge l zunahm.
186
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
DAS 20. JAHRHUNDERT
Die neuere Baugeschichte des alten Pfarrhauses ist
gut in das wechselvolle Schicksal dieses Objektes
einzuordnen. Nun konnte das Haus fortan land-
wirtschaftl ich verwendet werden. Der Stall bot die
Möglichkeit , mindestens zwei Kühe und einige
Schweine zu halten. F ü r Futterlagerung g e w ä h r t e
die grosse Tenne hinreichend Raum. Wie intensiv
das Angebot von den einzelnen Pfarrern oder Be-
wohnern der Statthalterei beansprucht worden ist,
kann nur vermutet werden. M a n darf davon aus-
gehen, dass nach Fertigstellung des Stalles u m
1880 das G e b ä u d e nur in sehr geringem Umfang
landwirtschaft l ich genutzt worden ist, dass aber i m
20. Jahrhundert von Viehhal tung keine Rede mehr
sein k ann , 4 5 es sei denn, dass in Kriegszeiten einige
Schweine in den Stallungen gehalten worden sind.
Das G e b ä u d e wurde mehr und mehr funktionslos
und so fü r den E i g e n t ü m e r zur reinen Last.
A m 16. Dezember 1971 kaufte das Land Liech-
tenstein die Ruine und 203 Klaf ter Boden mit
der Verpflichtung, das G e b ä u d e zu renovieren und
das Objekt nachher kulturellen Diensten zu w i d -
men. Es wurden daraufhin verschiedene Nutzungs-
programme entworfen. Doch kein Konzept und
kein Projekt reifte zur A u s f ü h r u n g . 4 6 Nachdem die
verschiedenen Vorhaben gescheitert waren, ver-
kaufte das Land am 6. September 1983 das vor
zwölf Jahren erworbene Bauwerk samt Baugrund
wieder an die Gemeinde. Dabei wurde vereinbart,
die Nutzung des Baues zwischen den Vertragspar-
teien abzustimmen, den Bau unter Denkmalschutz
zu stellen und eine baugeschichtliche Untersu-
chung vornehmen zu lassen. Die Renovation hä t t e
um 1990 beendet sein so l len . 4 7 In der vorgesehe-
nen Frist konnte aber nur ein Projektwettbewerb
fü r die Renovation und Erweiterung des alten
Pfarrhauses in einer ersten Phase d u r c h g e f ü h r t
werden.
Die Gemeinde Gampr in hat mit dem a m 15.
August 1986 g e g r ü n d e t e n Liechtenstein-Institut
einen l änge r f r i s t igen Mietvertrag abgeschlossen.
Den G r ü n d e r n des Liechtenstein-Instituts und den
G e m e i n d e b e h ö r d e n Gamprin-Bendern schien es
sinnvoll , auf dem Ki rchhüge l von Bendern auf
Hochschulstufe ü b e r liechtensteinisches Recht,
liechtensteinische Geschichte, Politik, Wirtschafts-
und Sozialwissenschaft zu forschen und zu leh-
r en . 4 8 Der geschichtliche Hintergrund des K i r c h -
hüge l s mit den fü r die Landesgeschichte funda-
mental wichtigen Ereignissen forderte die Nieder-
lassung des Liechtenstein-Instituts an diesem Ort
geradezu heraus: A m 16. Ju l i 1990 schrieb der Ge-
meinderat von Gampr in einen öf fen t l i chen Wett-
bewerb unter allen liechtensteinschen F a c h k r ä f t e n
und acht eingeladenen A r c h i t e k t u r b ü r o s im
schweizerischen Rheintal und in Vorar lberg aus.
Der Raumbedarf des Liechtenstein-Instituts, die
A n s p r ü c h e der Gemeinde sowie die Gesichtspunkte
des Denkmalschutzes waren f ü r den Wettbewerb
die wichtigsten Vorgaben. Die Jury beurteilte an-
fangs Dezember 1990 13 Projekte und zeichnete
den Entwurf des Feldkircher Dip l . Ing. Mar t in
Häus l c mit dem 1. Preis aus. Das Projekt wurde mit
einigen Vorbehalten zur Weiterbearbeitung emp-
foh len . 4 9
A m 2./4. Ju l i 1993 lehnten die Stimmberechtig-
ten der Gemeinde Gampr in-Bendern das Kredit-
45) Laut m ü n d l i c h e r Mitteilung vom 10. Dezember 1997 von Dekan
Franz N ä s c h e r , Baumeister Wilhelm B ü c h e l und hehrer Georg
N ä s c h e r bestehen - soweit m ü n d l i c h e Ü b e r l i e f e r u n g und eigenes
E r i n n e r u n g s v e r m ö g e n z u r ü c k r e i c h e n - keine Hinweise auf Viehhal-
tung im Pfarrstall.
46) Die Renovationsproblematik war in der Folge immer wieder
Gegenstand von Beratungen in der Denkmalschutz-Kommission. Die
Vorhaben fanden in den Protokollen der Denkmalschutz-Kommis-
sion, in den Jahresberichten der Regierung und den Kostenvoran-
s c h l ä g e n zuhanden des Landtages ihre N i e d e r s c h l ä g e . Das Architek-
t u r b ü r o Batliner und Schafhauser A G , Eschen, erarbeitete 1980 ein
Projekt mit R ä u m e n für die Dekanatsverwaltung, die ö r t l i c h e Pfarrei
( B ü r o s . Sitzungszimmer. U n t e r r i c h t s r ä u m e , Archiv) und die Liech-
tensteinische Musikschule. B a u p l ä n e 1:100.
47) Kopie im G A G , Nr. 2766.
48) Der g r ö s s t e Teil der Forschungsergebnisse des Instituts erschien
im Verlag der Liechtensteinischen Akademischen Gesellschaft,
Vaduz. In diesem Verlag sind seil 1972 22 B ä n d e zur e r w ä h n t e n
Thematik sowie 25 sogenannte « K l e i n e S c h r i f t e n » erschienen.
49) LVaterland, 6. Juli 1993. S. 13. LVolksblatt, 7. Juli 1993. S. 2. -
A n t r ä g e der Fraktionen: FBP-Gemeinderatsfraktion und VU-Gemein-
deratsfraktion vom 14. Juli 1993. G A G .
191
begehren zur Realisierung des Projektes mit 184 zu
182 Stimmen ab. Als A b l e h n u n g s g r ü n d e wurden
Bedenken der B ü r g e r s c h a f t betreffend Kernzonen-
gestaltung, Finanzierung, Verkleidung des süd-
westlichen Anbaus mit farbigem Alumin iumblech
und Ü b e r d e h n u n g dieses Anbaus gegen den Fr ied-
hof h in geltend gemacht. 5 0
Nach einer kurzen Phase der E r n ü c h t e r u n g und
E n t t ä u s c h u n g unter den B e f ü r w o r t e r n des Vorha-
bens hielt der Gemeinderat g r u n d s ä t z l i c h am
Projekt fest, be rücks ich t ig te aber verschiedene
W ü n s c h e und Kr i t iken aus der Bürge r scha f t . A m
27729. M a i 1994 unterbreitete Vorsteherin M a r i a
Marxer der Gemeinde das ü b e r a r b e i t e t e Bauvorha-
ben mit einem detaillierten Bericht erneut zu einer
Abst immung. Das Umbau- und Renovationsprojekt
wurde mit 222 zu 195 St immen angenommen. 5 1
Die Geschichte des Baues ist um eine Episode rei-
cher. Vielleicht hat sich der Widerstand gegen die
Investitionen in den Bau an der kün f t i gen Bedeu-
tung des Hauses gemessen.
DIE FUNDE AUS D E M GRABUNGSGEBIET A
A m 26. September 1977 wurde bei der Südecke
des Pfarrhauses eine gut erhaltene, bronzene
Kreuzf ibe l gefunden (Abb. 11, 55). Es handelt sich
um einen S t reufund . 5 2
Das gleicharmige Kreuz misst 3,7 cm in der
H ö h e und Breite. Die rhombischen A r m e sind kerb-
schnittverziert. Zwei parallele, verzierte Bahnen
begleiten die e r w ä h n t e Grundform dergestalt, dass
in den Kreuzesarmen eine zwickelartige, plane
Rest f läche übr igb le ib t , auf welcher Silberspuren
gefunden worden s ind . 5 H Das kerbschnittige Linea-
ment t ü r m t sich in der Kreuzmitte zu einem spit-
zen, geriffelten Kegel auf. Die ä u s s e r e n Ecken der
Kreuzesbalken zieren feine Küge lchen , und die
Ecken i n den Schnittpunkten der Kreuzesarme
weisen ebenfalls kugelige Verdichtungen auf. Im
Gegensatz zur differenzierten Vorderseite der Fibel
ist die Rückse i te glatt. Im Schnittpunkt der Arme
liegt eine Dellung, deren Durchmesser 8 m m
be t r äg t . A n einem A r m finden sich Spuren eines
Scharniers mit Eisenstift.
Die Kreuzfibel ist ein «f rühkarol ingisches Erzeug-
nis des 8. oder 9. J a h r h u n d e r t s » . 5 4 Eine genauere
Datierung ist derzeit kaum mögl ich . Die ä l t e ren
Kreuzf ibe ln des 7. Jahrhunderts vari ieren in den
Umrissen stark, und die entsprechenden gleichar-
migen Fibe ln des 9. Jahrhunderts unterscheiden
sich nicht von den V o r g ä n g e r i n n e n . 5 5 Die formalen
Quellen der Kreuzf ibe ln liegen i m Mittelmeerraum,
wie das häu f ige Vorkommen in Italien dies andeu-
tet. In alemannischen Gebieten findet man Kreuz-
f ibeln des 8. und 9. Jahrhunderts seltener.
MÜNZFUNDE
Im Grabungsgebiet A sind fünf M ü n z e n gefunden
worden. Die ä l tes te M ü n z e , ein Luzerner Hal ler aus
dem 15. Jahrhundert (Abb. 53), lag i m Kel ler raum
(A Keller l a ) . 5 6 Aus dem gleichen Keller kommt
der bayerische Halbbatzen (Abb. 54), g e p r ä g t i m
Jahre 1624 in der Herrschaftszeit von Kaiser M a x i -
mi l ian I. (1623-1651). 5 7 Ferner lag i m e r w ä h n t e n
192
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
Keller ein ö s t e r r e i c h i s c h - u n g a r i s c h e r Heller von
1894. 5 8 Die Fundlisten verzeichnen schliesslich ein
Z e h n r a p p e n s t ü c k (1880) und einen Z w e i r ä p p l e r
(1886) als Streufunde. 5 9
K E R A M I K F U N D E
Die Keramikfunde sind in Zahl und Bedeutung im
Verhäl tn is zu den Funden an anderen Grabungs-
stellen auf dem Kirchhüge l bescheiden. E i n dunkel-
beiges W a n d s t ü c k (Abb. 56) aus gemagertem und
50) A n t r ä g e der beiden Gemeinderatsfraktionen vom 14. Juli 1993.
51) LVaterland, 30. Mai 1994, S. 1. - LVolksblatt, 30. Mai 1994, S. 1.
Der Kostenvoranschlag für das Bauvorhaben betrug 3,2 Mio. Fran-
ken.
52) Schnitt A SCH S-0 1, S ü d e c k e des Pfarrhauses, siehe Tagebuch
des Autors, 26. September 1977, Abb. 3.
53) Abb. in: Kunstagenda 1994 der Liechtensteinischen Staatlichen
Kunstsammlung. Vaduz 1993, Woche 19.
54) Freundliche Mitteilung von Prof. Dr. Joachim Werner, M ü n c h e n ,
vom 8. Januar 1980. - Rudolf Degen, Schweizerisches Landesmuse-
um, Z ü r i c h , verdanke ich Hinweise auf Literatur (Brief vom 11.
Dezember 1979).
55) Franke Stein: A d e l s g r ä b e r des achten Jahrhunderts in Deutsch-
land. In: Germanische D e n k m ä l e r der V ö l k e r w a n d e r u n g s z e i t , Ser. A
Bd. 9. Berlin, 1967, S. 97 ff., vgl.: Tafel 120 und Fundliste 23 (Hrsg.
R ö m i s c h - G e r m a n i s c h e Kommission des Deutschen A r c h ä o l o g i s c h e n
Instituts zu Frankfurt a.M.). - Kurt B ö h m e r : Die F r ä n k i s c h e n Alter-
t ü m e r des Trierer Landes. In: Germanische D e n k m ä l e r der V ö l k e r -
wanderungszeit, Ser. B, Bd. 1. Berlin. 1958, S. 110 f. (Hrsg. Rö-
misch-Germanische Kommission, Rheinisches Landesmuseum
Bonn-Rheinisches Landesmuseum Trier). - Siegfried Fuchs und
Joachim Werner: Die Langobardischen Fibeln aus Italien. In: Deut-
sches A r c h ä o l o g i s c h e s Institut. Berlin, 1950, Tafeln 49, 50. - Marius
Besson: Antiquites du Valais. Fribourg, 1910, S. 85, Nr. 1, Planche
XLI, 1.
56) Die M ü n z e n aus den Grabungsbereichen der Profanbauten,
insgesamt 127 Stück , sowie die acht Wallfahrtspfennige und Me-
daillen sind von Hortensia von Roten 1989 bearbeitet worden.
Vgl. Benedikt Zach: M ü n z f u n d e und Geldumlauf im mittelalterlichen
Alpenrheintal. In: J B L 92 (1994), S. 201-240, Fundverzeichnis.
S. 235. - Hortensia von Roten: F u n d m ü n z e n der Grabung in und um
das Pfarrhaus Bendern-Gamprin 1976-78. Z ü r i c h , 1989, Nr. 104.
Manuskript.
57) Hortensia von Roten, wie A n m . 56, Nr. 11.
58) Ebenda, Nr. 72.
59) Ebenda, Nrn. 94, 99.
Abb. 53: Luzern, Stadt
Büste mit Mitra von vorne
mit Kragen, zwischen L-V
Wulstreif
Haller (ab 1425)
Fundort: A Keller l a
Hochbauamt/Archäologie
Inv. Nr. K 0308/0189
Abb. 54: Kurfürstentum
Bayern, Maximilian L
(1623-1651)
Vs: M(aximilianus) •
C(omes) • P(alatinus) •
R(heni) • V(triusque) •
B(avariae) • D(ux) • S(acri) •
R(omani) • I(mperii) •
A(archidapifer) E(t) (Prin-
ceps) E(lector)
Rautenschild in der Mitte
Rs: SOLI DEO GLORIA
Reichsapfel mit Wert-
zahl 2, oben Jahreszahl
16-24
Halbbatzen (2 Kreuzer),
Billon, 1624
Fundort: A Keller l a
Hochbauamt/Archäologie
Inv. Nr. K 0308/0096
193
Abb. 55: Karolingische
Fibel, Bronze
FO: Südecke Pfarrhaus
Streufund
Archäologie FL
Inv. Nr. 0 0308/0104
Abb. 56: Wandstück,
körnige und gemagerte
Tonmasse
Aussen rötliche Muster
FO: A Sch SO 1
Archäologie FL
Inv. Nr. E 0308/0058
Abb. 57: Spinnwirtel,
unglasiert, roter Brand
Zierrille
FO: A Feld 1
Archäologie FL
Inv. Nr. L 0308/2059
Abb. 58: Feuerstein,
graugrüner Feuerstein
Linke Seite Retuschen
Rückseite glatt
FO: A SCH NO 1
Archäologie FL
Inv. Nr. M 0308/0014
194
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
k ö r n i g e m Ton mit rö t l i cher Bemalung d ü r f t e hoch-
mittelalterlich sein, und das R a n d s t ü c k einer hand-
geformten, unglasierten Becherkachel entstand i m
14. Jahrhundert. Aus dem gleichen Zeitraum stammt
eine unglasierte Spinnwir te l mit Zierri l le (Abb. 57).
In das 15. Jahrhundert kann ein R a n d s t ü c k einer
g rüng la s i e r t en Ofenkachel datiert werden / ' 0
Im Raum 3 lagen in einer Auffü l l sch icht ü b e r
gewachsenem Grund K e r a m i k s t ü c k e aus dem 16.
und 17. Jahrhundert . 6 1
Immer wieder stiessen die A u s g r ä b e r auf Fund-
s tücke g r ü n g l a s i e r t e r Ofenkacheln, Zier- und Deck-
leisten sowie Bruchs tücke von B e k r ö n u n g s k a c h e l n
aus dem Ende des 16. und aus dem 17. Jahrhun-
dert. A n der ä u s s e r e n Südos t se i t e des Pfarrhauses
kamen 1977 zahlreiche Stücke derartiger Keramik
zum Vorschein. Die Ware lag vor allem in umge-
schichteten Erdmassen. 6 - Bemerkenswert ist die
Beobachtung, nach welcher ü b e r einer aus re inem
Löss bestehenden Eindeckungsschicht auf dem
Gewölbe des Kellers 2 eine zweite, 30 cm starke
schwarze A u f s c h ü t t u n g - stellenweise mit Bau-
schutt durchmischt - Keramik aus dem 16. und 17.
Jahrhundert enthielt. Der gewölb t e Keller kann
in seiner jetzigen Erscheinungsweise nicht ä l te r
se in . 6 3 Es macht den Anschein , dass diese ver-
unreinigte Schicht nach 1683 auf die Isolations-
schicht aus reinem Löss geschü t t e t worden ist.
Die g r ü n g l a s i e r t e n Ofenkacheln konnten aufgrund
eines Fundes im S ü d g a r t e n der Statthalterei mit
1683 genau datiert werden. Zur Datierung von
B a u v o r g ä n g e n im genannten Keller (2) dient ein
W a n d - R a n d s t ü c k mit innen und aussen brauner
Glasur, beigem profi l ier tem Rand und einem Ge-
f ä s s i n n e r n mit Blü tenzweig-Dekor und gelben Tup-
fen. Das Stück lag am Boden an der südwes t l i chen
Kel lerwand, satt eingebettet im Mörtel , der beim
Verputzen der Wand auf den Boden gefallen war.
Die Beobachtung verdeutlicht, dass i m 19. Jahr-
hundert i m Keller 2 Verputzarbeit geleistet wor-
den is t . 6 4
Abschliessend sei auf einen 4,5 cm langen und
3 cm breiten g r a u g r ü n e n Feuerstein (Abb. 58) ver-
wiesen, dessen Rückse i te glatt ist und welcher an
der l inken Vorderseite deutliche Retuschen auf-
weist. 6 r >
Zusammenfassend kann man bemerken, dass
die Grabungsfunde von Einzelobjekten nicht be-
sonders zahlreich und - wenn m a n von der karo-
l ingischen Bronzef ibel absieht - von eher geringer
Bedeutung sind. Wegen der s e k u n d ä r e n Lagerung
der Keramik kann dieser zur Datierung baulicher
Vorgänge an sich nicht allzuviel abgefordert wer-
den. Die Konzentrat ion der Keramikfunde auf den
Zei t raum 16. bis 18. Jahrhundert passt allerdings
in der Zeitstellung mit den bauanalytischen Erhe-
bungen gut zusammen.
60) Tagebuch des Autors. 6. Oktober 1977 und 5. M ä r z 19^9.
61) Ebenda. 16. M ä r z 1979. 3. November 1989, 25. Mai 1990.
Nachgrabungen.
62) Ebenda, 24.. 29.. 30. September 1977.
63) Ebenda, 23. Februar 1979.
64) Ebenda. 14. M ä r z 1979, Nachgrabung.
65) Ebenda, 26. September 1977.
195
A n h a n g
URKUNDE V O M 12. MÄRZ 1751
Der Abt von St. Luzi, Norbert Kaufmann, verleiht für acht
Jahre im Einverständnis mit dem Konvent und Einwilli-
gung des Reichsprälaten von Roggenburg dem Richter Pe-
ter Kind und vier Männern aus Ruggell die Benderer
Pfrund- und Eigengüter, unter anderem auch das «alte
haüß ...». Von dieser Übergabe werden ausgenommen
alle St.-Luzi-Lehnsgüter, die Waldungen und die Gärten
vor den beiden Häusern, ebenso die Einkünfte aus geistli-
chen Diensten und die Statthalterei selbst. Im «alten
haüß» bleiben der «große keller» und zwei Zimmer dem
Pfarrer vorbehalten. Der «alte keller», der «torkhel,
sambt denen der statthalterey aigenthumlichen büttenen
und züber», die «darneben stehenden zimmer» und die
drei oder vier übrigen Zimmer sowie der «kornboden»
werden von den Pächtern genutzt. Das Kloster baut den
Pächtern eine Stube und eine Küche. Die Pächter aber
müssen Haus, Stall und Alphütten unterhalten. Die Ur-
kunde regelt detailliert weitere Pflichten, Nutzungsrechte
und Dienste der Pächter, wie auch die Pflichten und Rech-
te des Klosters St. Luzi.
T R A N S K R I P T I O N 6 6
Kundt und zu wisßen seye hiemit jedermänniglichen,
daz / entzwischen jhro hochwürden und gnädigen herrn
praelathen Norbert, / abbten des löblichen gottshauß
St. Luzi des heiligen canonischen pra- / monstratenser
ordens, mit wisßen, willen und genehmhaltung des / all-
daßigen, wohl ehrwürdigen convents einer- und denen
ehrsamben / männern und pfarrkinderen zu Bendern, be-
nantlich entzwischen / dem ehren geachten herrn richter
Peter Kind von Gamprin, Michael / Kaißer, Dominic But-
scher, Michael Öhri und Andreas Heb, alle / von Roggell
gebürthig, änderten thails ein aufrecht, redlich und / wohl
bedachter accord und bestandts contract getroffen wor-
den, / krafft desßen von hochgedachten, hochwürdig
herrn praslathen / und convent des löblichen gottshauß
St. Luzi mit begnehmi(gung) und ein- / willigung jhro
hochwürden und gnaden, herrn reichs praelathen von /
Roggenburg alß patris domus Sanct Lucensis, gemeldeten
männern / all(es) und iedes, was biß dahin die Benderi-
sche statthalterey genuzet / und genossen hat, verleh-
nungs weiß zu nuzen und zu geniesßen / überlasßen wor-
den (iedoch mit unten anzusezenden austrukhlichen /
vorbehält). Verleichen also und überlasßen von dem
15ten tag / merzens des 1751ten iahrs an zu rechnen: /
Erstlich, ihnen, vorgemelten männern, alle sowohl
pl'ruend- alß aigen- / thumlich an St. Luzi erkauffte und
von der Benderischen statthalterey / biß anhero genuzte
güther, benantlich den umb die Benderische pfarr- / kür-
chen herumb ligenden Weinberg sambt ganzer ober und
untern / hueb, den widumb, Schweinbogen, gräss gar-
then, hampfere, höffle, / gställe, baumgarthen, riedmaad,
falßau, pritschen, daz güttle beym / Zechendstadel, die
Abanx wießen, alp. wie auch den hinter dem / alten hauß
ligenden, von kleinen Kürchweeg sich in die länge bis /
zur begräbnuß der unschuldigen kinder, in die breithe
aber / von alten hauß biß an die kürchhoffs maur erstre-
khenden garthen / und all übrige biß dato zur Benderi-
schen statthalterey gehörige, / und von derselben zu nu-
zen gezogene güther in ihren marchen und / zihlen, wie
Benderische statthalterey solche biß dahin genuzet / und
gerechtsamet hat, iedoch mit außgedrukhten vorbehält /
aller St. Luzianischer lehen güter. Jtem all und ieder der
statt- / halterey zugehörigen Waldungen, wie auch des
kleinen ein- / gemaurten, vor den fenstern der beeden
häußer stehenden / samht dem großen Kürchweeg nächst
dem alten hauß ligenden / gartens. Jtem aller nuzbarkhei-
ten der stohl und persohnlichen / Verdiensten der alda
residierenden wohl ehrwürdigen herren patrum. /
66) Die Transkription ü b e r a r b e i t e t e Claudius Gurt.
196
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
Andertens verleichen jhro hochwürden und gnaden,
herr abbt Nor- / bert, und löbliches gottshauß St. Luzi
obangezogenen bestands männern / alle slalvo] hlonore]
kühe und übriges rind viehe nach tenor und inhalt des /
jnventarii, wie auch 4 pferd sambt aller zugehör an
gschiff und gschirr / und übrigen werkhzeüg, so zur an-
bauding) und anpflanzung der überlasßenen / güther, wie
auch zu einsammlung der feldfrüchten nothig und de fac-
to / bey handen seind. /
Drittens wird ihnen überlasßen daz alte hauß, iedoch
mit vorbehalth des / großen kellers und zweyer zimmer
alß des dermahlen von herrn pfarrer / bewohnten und
gleich darneben stehenden. Daz übrige ganze hauß alß /
der alte keller, torkh(e)l sambt denen der statthalterey
aigenthumlichen / büttenen und züber, auch darneben
stehenden zimmer, nicht minder die / drey oder vier noch
übrige zimmer und korn boden werden denselben /
gleichfahls zu dero gebrauch überlasßen. Es verpflichtet
sich aber / daz gottshauß St. Luzi auf aigene speesen de-
nen selben zu dero noth- / durfft ein kuchel und stuben in
angezogenen alten hauß erhauen / zu lasßen. Anbey aber
solle ihnen, bestands männern, heiter und / klar ange-
dungen und sie verpflichtet seyn, wofern in den ihnen /
angewißenen Wohnungen entweder durch sie oder ande-
re in solche / Wohnungen eingelasßene jnsasßen auß
straff- und schuldbahrer / nachlasßigkeit oder überse-
chen feyer (welches der gütigste gott / miltest abwende)
außkomen und hiermit Benderischer statthalterey / oder
anderwerts hierauß ein schaden entstehen solte, solchen
schaden / auß aignen mittlen zu vergüthen und abzu-
tragen. /
Viertens, daz große hauß oder die sogenante statt-
halterey solle auch ein- / zig und allein denen ieweiligen
patribus, herren Statthalter und pfarrer / zum gebrauch
und wohnung dienen. /
Fünfftens werden ferners ihnen, bestands männern,
überlasßen der große / stadfejl zu Bendern mit aller be-
stallung und behaltnußen, der Zechen / stad(e)l, hütten
und scherm auf der alp, daz wasch und bach hauß aber
soll / sowohl der statthalterey zu Bendern alß ihnen
gemein seyn, alwo / abermal die erst oben angesezte
bevvandtnuß und condition, bey / einer etwanig (so doch
gott abwende) auß ihrer, der bestands / männern, oder
derer von ihnen gesezten jnsäsßen schuld sich ereignen-
den / feyers brunst, erneueret und außtrukhlich beygefie-
get seyn solle. / Übrigens soll die holzbehaltnuß alleinig
der statthalterey reserviert / seyn. /
Sechstens werden offtgeclachten bestands männern
verliehen alle der / pfarrey Bendern zufallende zechende
an fesen, roggen, gersten, / waizen, türkhen, bohnen, erb-
sen, hanff, flachß, hirsch, fenkh, rueben, / grundbühren,
obs, moost, hüner, slalvo] hlonore] schwein etc., in sum-
ma all und iedes, / so in Benderischen, Gamprinischen,
Roggellischen, Abanxischen, Freschischen, / Schellenber-
gischen, Abergischen und Schönbüehlischen güthern fal-
let, was / gattung, nahmens und zechenbahres immer
solches seyn mag, mit allem / recht und bezüechen, wie es
die Benderische statthalterey bishero / yblich bezochen,
gerechtsamet und eingesamlet hat. Diß alles / yberlasset
und verleichet ein hochwürdig gnädiger herr abbt / und
löbliches gottshauß St. Luzi denen offt angeregten be-
stands männern / zu nuzen, zu geniesen und zu bezie-
chen nach ihren aigenen belieben / und dergestalten, daz
sie die überlasßene güther anpflanzen, anbauen, / arbei-
then, alle frücht und gewächs, wie auch alle zechende ein-
samlen, / für sich behalten, verkhauffen und mit selben
nach aigner willkhur / schalten und walthen, die slalvo]
hlonore] kühe nuzen, die pferd und all darzue / gehörige
gschiff und gschirr, wie auch daz gschiff und gschirr zum
/ sennen sowohl zu Bendern alß auf der alp die ganze
währende zeit / des aecords und bestand contracts ge-
brauchen mögen. /
Dißer aecord aber solle sich auf acht iahr und nicht
länger noch kürzer / erstrekhen, nach deren verfliesßen
es beeden theilen frey stehet, / solchen contract wider zu
erneueren, oder, wofern nicht beliebig, / solchen neyer
dings zu bevestigen, soll er völlig aufgehoben und die /
freye disposition der überlasßenen güther und all übriger
verliehener / nuzbarkeiten dem gottshauß St. Luzi heimb-
gefallen seyn. /
Worgegen und in ansechen der verliehenen güther, ze-
chenden und anderen / überlasßenen nuz und gnusß ver-
pflichten und verbinden sich die be- / Stands männer zu
folgenden Schuldigkeiten alß: /
Erstens verpflichten und verbinden sich selbige, daz
sie dem gottshauß / St. Luzi in der statthalterey zu Ben-
dern in drey terminen an gueten, / gangbaren und ge-
wichtigen gelt baar erlegen wollen jährlich / ein tausent
und zwey hundert gülden reichs Währung , welche be- /
Zahlung auf nachfolgende terminen gesezt und vestgestel-
let ist, / alß auf daz fest des heiligen Martini 1751: gülden
300, / auf St. Jörgi tag 1 752: gülden 400, / auf St. Johann
Baptista tag 1752: gülden 500, summa: 1200. / Und also
in ferneren jähren biß der contract geendet, dergestalten,
daz / die zu bezahlende letste gelt summa auf daz iahr
1759 auf St. Johann / Baptista fest dem gottshauß St. Luzi
gänzlich abgeführt seye. / Wan aber die Benderische
statthalterey von einem bezahlungs / terminn zum ande-
ren von ihnen, b(e)stands männern, an gelt oder gelts
werth / etwaß empfangen solte haben, soll ehevor ein
nöthige rechnung mit / einander gepflogen und waß emp-
fangen worden, bey dem bezahl- / ungs termin abgezogen
werden. Es soll auch ein iede bezahlung / ohne speesen
sowohl des gottshauß alß der statthalterey geschechen. /
Andertens, damit daz gottshauß St. Luzi wegen rich-
tiger bezahlung / genugsam versicheret seye, stehet ein
197
ieder bestands mann für alle / und alle für einen ieden
gut und verbirget, verpfendet, sezet ein / dem gottshauß
St. Luzi zur caution, Versicherung und schadloshal- / tung
all ihr vermögen, haab und gut ohne mindesten außnahm
/ und ohne aller recht und gebrauchen außflucht. /
Drittens sollen sie keine neye weeg durch die über-
lasßene güther / aufkomen, noch andere alß bißhero und
von alten herkhommen übliche / beschwärden denen
selben güthern aufbürden oder auflegen lasßen, / mithin
liget ihnen ob, alle zihl und marchen, Steeg und weeg,
fahr- / und wasßerleithungen, wie auch andere geübte
gerecbtsame genau / zu beobachten und selbe band zu
haben. /
Viertens, damit die übergebene güther nit in abgang
kommen, sondern, / wo nicht verbesßert, in iezmahligen
baulichen ehren und guten / stand erhalten werden, sol-
len die bestands männer schuldig seyn, / daz ganze iahr
hindurch wenigstens zwey und zwainzig stukh rind- / vie-
he und vier pferd zu erhalten. Zudem sollen sie keines /
weegs befugt seyn, den slalvo] hlonore] bau zu verkauf-
fen oder auf andere / alß ihnen überlasßene güther zu
führen. /
Fünfftens, damit aber auß abgang des futhers, heü und
strho [sie] sovil / stukh rindviehe und pferd nicht etwan
könten erhalten werden, / sollen sie sovil wieß wachs
lasßen, alß zu deren erhaltung erklekh- / lieh und nöthig
seyn wird. Und auf daz das viehe auch nicht in abgang /
gerathe, sollen sie, mehrmalen angefiegte b(e)stands
männer. vier / oder fünff stukh iarlich aufzuerziechen ge-
halten seyn. Jm übrigen / soll ihnen frey stehen, was und
wievil ihnen ersprießlich zu seyn / scheinet, aufzubrechen
und mit beliebter frucht anzupflanzen, / iedoch mit dißen
vorbehält, daz nicht zuvil zu schmälerung des / futhers
aufgebrochen werde. /
Sechstens sollen sie gleichermasßen nicht befugt seyn,
ein stukh guth / ohne die bißhero üblich verlasßene (alß
daz gütle beym Zechenstadfejl / und Abanx wisen) ande-
ren zu überlasßen, sondern solche fleißig / und fridfertig
mit einander arbeithen. Wan aber die beständer / einen
oder mehreren die biß dato von der Benderischen statt-
halterey / zusamen genuzte güther zu übergeben für guth
ansechen würden, / soll solches ihnen zwar erlaubt seyn,
iedoch die güther nicht zer- / glideret, zerstukht und zer-
theilt, sondern beysamen gelasßen / und zu machung des
slalvo] -hlonore] baus genügsames zechend stroh her- /
gegeben werden. /
Sibentens sollen sie schuldig seyn, daz gewöhnliche
iahrliche schirm stroh / herzugeben und abzuführen. /
Achtens sollen erdeütte bestands leüth alle zäunungen
der ihnen / überlasßenen güther übernehmen, die zäun
verbesßeren und in fall / ein oder anderer derselben zer-
fallen oder eingerisßen solte werden, / solchen von neyen
ohne mindesten beytrag des gottshauß St. Luzi / aufrich-
ten, wie auch die mauren in und umb die verliehene
güther / nach erheischender nothdurfft ergänzen oder,
wan solche gar einfallen / solten, von neyen auf dero aig-
ne kosten aufrichten lasßen. /
Neuntens solle ihnen obligen, die zu Gamprin, Eschen
und Bendern / St. Luzi zugehörige grund zins, wie auch
die lechen frucht von Johann / Büch(e)l, Ferch söhn, Ste-
phan Kind, Lorenz Wagner und Antoni Walser / zu Schan,
einzuziehen und anstatt des eingezogenen kerns sovil /
viert(e)l oder maaß, alß selbes ertraget, auß widumbs
fesen gerölten / kern nach belieben eines jeweiligen herrn
Statthalters her zu geben. /
Zechentens sollen sie verbunden seyn, all und iedes
korn, so dem / gebrauch und nothdurfft der Benderischen
statthalterey dienlich, / in und auß der mühle ohne entgelt
zu führen. /
Eilfftens, weilen der zehend zu Abanx, Schellenberg,
wie auch / der Benderische weinberg auf etliche iahr
verlasßen seynd, / soll ihnen freystehen, entweders den
getroffenen aecord beyzu- / halten, oder mit denen be-
ständeren mit guter manier abzukomen. /
Zwölfftens soll ihnen erlaubt seyn, ein oder anderer
particular / persohn an ein oder dem anderen orth die
zechend zu verlasßen, / keines weegs aber einer ganzen
gemeind. /
Dreyzechentens sollen sie gehalten seyn, daz alte
hauß, so zu ihrer / wohnung meistens überlasßen wird,
wie auch den Zechend stad(e)l, / die ganze bestallung zu
Bendern, hütten und scherm auf der alp / an tach und
fach in baulichen ehren zu erhalten, und was / nothwen-
dig seyn wird, verbesßern, auch in zerfallens begeben- /
heit auf aigene kosten aufbauen zu lasßen. /
Vierzechentens, was an pach- und waschhauß zu ver-
besßeren, / soll daz gottshauß St. Luzi hierzu ziegel, kalch
etc. hergeben und / den maurer bezahlen, die bestands
männer aber ziegel, kalch, / stein, sand, holz etc. herzu-
führen und handzulangen schuldig seyn. / Was aber die
slalvo] hlonore] schweinställ betriffet, behaltet die Ben- /
derische statthalterey die 2 hölzerne, ihnen, bestands
leüthen, / die andere überlasßend. Ybrigens soll ieder
thaill verbesseren / lasßen, was er nuzet, iedoch sollen
sie, bestands männer, die er- / forderliche fuhren zu thuen
verpflichtet seyn. /
Fünffzechentens sollen die beständer der statthalterey
milch, but- / ter, käß, hüner, obs oder andere frücht in
gangbaren preiß zu- / komen lasßen. /
Sechzechentens solle selbigen obligen, zwey oder drey
fuder most / iahrlich (2 kreüzer daz viert(e)l unter der
steur) der statthalterey / auf dero begehren herzugeben. /
Sibenzechentens sollen sie für die der statthalterey
vorbehaltene / gärten genügsamen slalvo] hlonore] bau
zu dero anpflanzung ohne bezahlung / darzugeben und
solchen in die gärten zu führen oder zu tragen / die pflicht
auf sich haben. /
198
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
Achtzechentens, gleichfalls sollen sie, bestands män-
ner, ver- / bunden seyn, in den sogenannten Käsenham-
mer den slalvo] hlonore] bau ohne / entgeh herzugeben,
und zwar daz erste mahl vor daz iahr / 1752 vier fuder,
daz andere iahr 1753 zwey, daz dritte iahr 1754 / vier, die
übrige iahr aber nur 2 fuder. /
Neünzechentens sollen sie der statthalterey 16 gelten
einge- / hoblet und eingetrettenes krauth jährlich franco
einliefferen. /
Zweinzigistens, einem jeweiligen herrn pfarrer sollen
sie / nach erheischender nothdurfft ein pferd ohne entgeh
/ hergeben./
Einundzwainzigistens. wann aber jhro hochwürden
und gnaden, herren / praelath zu St. Luzi, Benderische
pferd zu seinem gebrauch / anverlanget, soll hochselbiger
vor iedes pferd täglich nebst / nöthigen lutter Unterhal-
tung des knechts 20 kreüzer reichs- / Währung bezahlen. /
Zweyundzwainzigistens sollen sie gehalten seyn, den
halben thaill / der ergehenden umkösten [sie] an brun-
nen, teichel, zwingen etc. auf sich / zu nehmen, doch sol-
len die teichel keines weegs auß unseren / St. Luzi oder
Benderischer statthalterey zugehörigen Waldungen / ge-
nohmen werden.
23igstens wird ihnen, bestandts leüthen, die S c h u l d i g -
keit aufgeleget, / für die statthalterey alles auf dem herd,
Öfen, wie auch zum bachen / und waschen nöthige holz
auß denen St. Luzi- oder Benderischer statt- / halterey
zugehörigen Waldungen oder anderen ihnen, bestands /
leüthen, überlasßenen güthern nach anweißung eines
jeweiligen / herrn Statthalters herzuschaffen, solches zu
hauen, nacher Bendern / zu führen, zu scheitten, in daz
holzhauß zu tragen und beügen / zu lasßen ohne minde-
ste speesen der statthalterey. Zudeme / sollen sie daz holz
fruhezeitig fällen und scheitten ohne geringste / schmä-
lerung oder abtrag des zu St. Luzi oder Benderischen
statt- / halterey gehörigen holzes, sondern für sich und
ihrem, deren / bestands männern gebrauch oder nuzen
sollen sie entweder / auß ihren aignen Waldungen oder
ihnen daz holz anderstwoher / gezimend verschaffen.
Wan aber die statthalterey zu ver- / Schonung aigenthum-
licher waldung irgendts woher solte / holz kauffen, sollen
sie, bestands männer, gleicher masßen schuldig / seyn,
solches zu fällen, herbey zuführen, zu spalten, zu schei-
then / und auf zu beügen. /
24gstens, zu auferbauung der wohnung für sie im al-
ten hauß sollen / sie sand, kalch, stein, holzfuhren franco
zu thuen schuldig seyn. /
25gstens, bey antrettung der gütter soll alles viehe,
futter. / gschiff und gschirr etc. inventiert werden und sie
folgsam zu / ende der aecordierten iahren all und iedes
ihnen übergebenes / sowohl an der zahl alß güte und
werth, wie sie solches überkomen, / an widerumb zurük-
stellen. /
26gstens, für die Kapfferische und andere St. Luzia-
nische trauben / wird torggel, gschirr und fäsßer dem
gottshauß St. Luzi vor- / behalten, sie, anbey bestands-
leüth, verpflichtet seyn, die / Kap ff trauben nach alt ge-
wöhnlichen gebrauch in den torggel / nacher Bendern zu
führen. /
27gstens, von seithen St. Luzi aber soll der torggelmost
sowohl / von dem Kapff alß anderen St. Luzi zugehörigen
lechen und Weinbergen, / wie bißhero üblich, denen be-
stands männern gegeben worden, wor- / gegen sie ver-
bunden sollen seyn, den torkhel zu erhalten und / im
nothfall zu verbesßeren. /
28gstens, weil man von seithen St. Luzi zu iederzeith
denen bahnwarthen / die garben zu geben darwider pro-
testiert, verbleibe es / kräfftig bey der protestation. /
29gstens sollen sie ebenfalls die pflicht auf sich haben,
den ienigen, / so den flax zechend überlifferet, daz (durch
ein misßbrauch eingefürte) / stukh brodt zu geben oder
abzustellen, wenigstens beladet sich desßen / daz closter
St. Luzi und die Benderische statthalterey im geringsten
nichts. /
30gstens, die steyern und anlagen belangend, wird ih-
nen, bestands / leüthen, obligen, solche auf die in der
steür per 400 gülden ligende güther / abzuführen.
31tens. wie nicht weniger den g(e)schworen trunkh
außzuhalten. /
32tens, die büttenen, gschirr und fäsßer, so die statt-
halterey zu Bendern / ihnen überlasßet, sollen sie gleicher
masßen auf ihre aigne speesen binden / und in baulichen
ehren zu erhalten, wie auch, so selbe verwehren, / ande-
re guete an deren stell herzuschaffen schuldig seyn. /
33tens, wan etwan durch hochgewitter (davor die un-
endlliche gütte / gottes seye) ein allgemeiner sowohl an
korn alß wein gewächs, / überlasßene aigene und ze-
chendbare güther betreffend, insgesamt / grösten theil
verheerend sich ereignete, in solchen fall (und in keinem /
anderen) solle daz gottshauß St. Luzi verbunden seyn,
den hierauß / erfolgenden halben schaden mit denen
b(e)standts leüthen zu ertragen. /
34tens, ein gleiches solle sich auch verstehen bey
großer allgemeiner viehe / sucht, es seye unter dem horn
viehe oder pferd. /
Schliesßlichen und zu mehrerer all obiger puneten
bekräfftigung / haben beyde mehrmalen berührte par-
theyen, alß jhro hochwürden und / gnaden, herren Nor-
bert, abbt des löblichen gottshauß St. Luzi, und der hoch /
ehrwürdige pater Udalricus Starzer, prior, in nahmen
ermeldeten / gottshauß eines- und der ehrengeachte herr
richter Peter Kind, / Michael Kaißer, Dominic Butscher,
Michael Ohri und Andreas Heb / änderten theils. sich
nicht nur allein aigenhändig unterschriben und / ihre
aigentliche signater beygetrukhet, sondern auch ein hoch-
fürstlich / Liechtensteinisches oberambt freündlichst er-
199
suchet und respective / gehorsamb unterthänig erbetten,
selbes belieben möchte hier ange- / führten, in zwey
gleichlauttenden instrumenten (deren iedem con- / t rän ie-
renden theil eines dargereichet werden solle) verfaßten
contract / und alle demselben inserierte puncte gelalligst
zu ratificieren und / auf Hochenliechtensteinischer canz-
ley zu Vaduz zu verfertigen. /
Beschechen, Bendern den 12. merz im jähr Christi un-
sers gottlichen / weit heylands 1751. /
[Rückvermerk:] Der herr prälat von St. Luci giebt dem
richter Peter / Kind von Gamperin et consorten die Ben-
derischen / statthalterey guter etc. in bestand. De dato
12ten / märz 1751.
200
DAS ALTE PFARRHAUS AUF DEM KIRCHHÜGEL
BENDERN / GEORG MALIN
ABKÜRZUNGEN
Fasz.
Faszikel
GAG
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Abb. 2, 5, 10, 12, 18. 20,
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Schaan
Abb. 3: helvetia archaeo-
logica 9/1978 - 34/36,
S. 225
Abb. 4, 7, 9, 13-16, 19,
23-26, 30-34, 36-41,
55-58: Archäologie FL,
Triesen
Abb. 6: Peter Albertin,
Winterthur, und Hansjörg
Frommelt, Archäologie FL,
Triesen
Abb. 8, 17, 22, 27-29,
42-52: Peter Albertin,
Winterthur
Abb.35: LLA C 1875/294
Reproduktion Heinz
Preute, Vaduz
Abb. 53, 54: Hansjörg
Frommelt, Archäologie FL,
Triesen
ANSCHRIFT DES AUTORS
Dr. Georg Malin
Bachtalwingert 333
FL-9493 Mauren
202
ZUR B A U -
GESCHICHTE
DES HOTELS LÖWEN -
EINER JAHR-
H U N D E R T E A L T E N
TAVERNE
PETER ALBERTIN
Inhalt
EINLEITUNG 205
ZUR LAGE UND BEDEUTUNG DES LÖWEN 207
EIGENTÜMER UND BEWOHNER 210
EIN SPÄTMITTELALTERLICHER KERNBAU
DES 14. JAHRHUNDERTS 214
DIE ERWEITERUNG VON 1488 D 225
MODERNISIERUNGEN IM 16. JAHR-
HUNDERT 225
BAROCKE UM- UND ERWEITERUNGS-
BAUTEN VON 1666 D 232
DIE AUSMALUNGEN VON 1744 235
UMBAU UND ERHÖHUNG VON 1786 237
BAUTEN UND ERNEUERUNGEN IM AUS-
GEHENDEN 19. UND 20. JAHRHUNDERT 241
DIE ÖKONOMIEBAUTEN 242
EIN BAU- UND ARCHITEKTUR-
HISTORISCHER RUNDGANG 247
204
ZUR B A U G E S C H I C H T E DES H O T E L S LÖWEN - EINER
J A H R H U N D E R T E A L T E N T A V E R N E / P E T E R A L B E R T I N
Einleitung
A b b . 1: Der Gasthof Löwen
in Vaduz in der spä t -
barocken Gestaltung von
1786, von Norden ge-
sehen; etwas gedrungene
Nordostfassade mit Auf-
zuggiebel, Haupteingang
und rechts davon dem
bald 5 0 0 - j ä h r i g e n Rund-
bogen-Fensterchen; ganz
rechts die Stallscheune
von 1804
Erwin Poeschel schrieb 1950 in seinem Kunst-
denkmäler-Inventar unter Vaduz:1 «Den Typus ei-
nes stattlichen Landgasthauses aus dem Ende des
18. Jahrhunderts repräsentiert das 1786 von Jo-
hann Rheinberger erbaute Gasthaus zum Löwen
am nördlichen Ende des Fleckens».
Die innere und äussere Erscheinung des reprä-
sentativen Gasthauses an der Landstrasse von Lin-
dau-Bregenz über Chur und die Bündner Pässe
nach Chiavenna-Mailand lässt denn auch kaum
Zweifel aufkommen an seiner Erbauung um 1786.
Zudem wird das Baudatum mit der in der Dach-
kehle des Aufzuggiebels über der Nordostfassade
aufgemalten Jahrzahl «MDCCLXXXVI» (1786) be-
stätigt (Abb. 1 bis 3).
Dem Architekturkritiker fallen zwei Details an
der spätbarocken Gestaltung auf. Zum einen er-
scheint die strassenseitige Ansicht, also die Nord-
ostfassade, gedrungen. Es fehlt ihr eine zweiarmi-
ge Freitreppe zum erhöhten Hauseingang, wie wir
es für Häuser dieser Zeit und Bedeutung erwarten
würden. Zum andern möchte man das rundbogige
Fensterchen rechts des Haupteinganges als Zugabe
in Heimatstilart abschätzen - es blickt jedoch schon
seit beinahe einem halben Jahrtausend dem Vor-
beiziehenden und Eintretenden entgegen.
Auch hat der Geschichtskenner, Architekt und
Bildhauer Egon Rheinberger um die letzte Jahr-
hundertwende interessante Beobachtungen no-
tiert.2 Er schrieb über den Verlauf der «römischen»
Strasse, die er unter anderem beim Hotel Löwen
etwa zwei Meter unter dem heutigen Hauptstras-
senniveau und etwas mehr bergwärts postulierte:
«... dass im Löwen in Vaduz bei der Fundamentie-
rung im Torkel dortselbst, einen Meter unter dem
jetzigen gewachsenen Grunde, noch verkohlte
Holzreste gefunden wurden, weiss ich von einem
Augenzeugen. Es ist dies allerdings kein Anhalts-
punkt für die Annahme der Strassenhöhe, wohl
aber dürfen wir hier, nachdem doch die Grund-
1) Poeschel, Erwin: Die Kuns tdenkmäler des Fürs t en tums Liechten-
stein. Basel, 1950; S. 175 ff.
2) Hheinberger, Egon: Manuskript aus dem Jahre 1904; RhAV,
Nr. 10.
205
Abb. 2: Dachuntersicht
des Aufzuggiebels ü b e r
der Nordostfassade, mit
der aufgemalten Jahrzahl
1786
A b b . 3: Ostansicht des
Löwen mit der verglasten
Veranda von 1952. Das
G e b ä u d e findet immer
wieder als kunsthistorisch
herausragendes Monu-
ment und Zeichenmotiv
internationale Beachtung
mauern vom Löwen viele Jahrhunderte zurück-
reichen, den jetzigen Kellerboden dieses Gebäudes
als einer noch älteren Ansiedlung zugehörig an-
nehmen. Und daraus erklärt sich dann auch die
grosse und plötzliche Tiefe der Weinberge beim
Löwen. Hier haben wir einen uralten Kulturboden,
während die jetzige Strasse und das Gelände ob
derselben nach und nach angeschüttet wurden ...».
- A l s o durchaus Hinweise auf eine noch unbekann-
te Siedlungsgeschichte.
Mit der umfassenden Renovation des traditions-
reichen Gasthauses in den Jahren 1987 bis 1989
und den damit begründeten Ausbrucharbeiten ist
nun erheblich ältere Bausubstanz zu Tage getreten,
deshalb hat uns die Denkmalschutz-Kommission
der Fürstlichen Regierung mit baugeschichtlichen
Interpretationen und Dokumentationen beauftragt. '
Wir danken der Fürstlichen Regierung, den Kom-
missionsmitgliedern, der Stiftung Adele Rheinber-
ger als Bauherrschaft und dem Architekten Florin
Frick, Schaan, für ihr Vertrauen und Verständnis.
Die vorliegende Arbeit ist ergänzt mit wertvollen
Hinweisen von Dr. Rudolf Rheinberger, Vaduz, aus
dem Familienarchiv Rheinberger und mit Beobach-
tungen des Archäologen Hansjörg Frommelt im
Umbauobjekt; auch ihnen gilt ein besonderer Dank.
Da die neueste Renovation die Entputzung der
Fassaden ausschloss, entziehen sich die Aussenan-
sichten - und damit wichtige Zeugen zur Bauge-
schichte - unserer Kenntnis. Eine spätere Genera-
tion mag die Möglichkeit nutzen, unsere Arbeit zu
berichtigen und zu ergänzen. Einige Bauetappen
sind mittels dendrochronologischer Untersuchun-
gen absolut datiert, ausgeführt durch das Labora-
toire Romand de Dendrochronologie in Moudon. 4
206
ZUR B A U G E S C H I C H T E DES HOTELS LÖWEN - EINER
J A H R H U N D E R T E A L T E N T A V E R N E / P E T E R A L B E R T I N
Zur Lage und Bedeutung
des Löwen
Zwei besondere wirtschaftstopograflsche Gegeben-
heiten begründen den Standort des Löwen, einer-
seits sein direkter Bezug zur Landstrasse und
andererseits seine Lage inmitten der bevorzugten
Vaduzer Weinberge. Die Landstrasse, ein jahrhun-
dertealter Saum- und Karrenweg, wurde von 1770
bis 1786 zur Fahrstrasse ausgebaut und damit zur
wichtigsten Verbindung von Lindau-Süddeutsch-
land durchs Rheintal hoch und über die Bündner
Pässe nach Mailand-Oberitalien, mit der vielsagen-
den Bezeichnung «Deutsche Strasse» und auch
«Reichsstrasse». 5 Sie führt von Norden kommend
nach der Querung der Möliholz-Rüfe horizontal
dem Hang entlang durch die Rebberge, fällt nach
Passieren des Löwen an den Hangfuss ab und führt
vorbei am geschichtlich sehr interessanten herr-
schaftlichen Vaduzer Siedlungskern St. Florin mit
der Kirche und der historischen Taverne zum Adler
südwärts Triesen zu. Ein zweiter (bronzezeitlicher-
römischer?) historischer Verkehrsweg führt von
Norden kommend nach der Querung der Möliholz-
Rüfe die Weinberge aufwärts, durch den Sied-
lungskern Oberdorf mit dem «Roten Haus», über
den Schlossfelsen und vorbei am Schloss Vaduz,
einem bronzezeitlichen Siedlungsplatz, hinunter
zum Meierhof und dem Hang entlang nach Triesen.
Diese verkehrstopografisch ungünstig gelegene
«Obere» Strasse hat ihre einstige Bedeutung ver-
loren (Plan 1).
3) Zur Zeit der Auftragserteilung im Apr i l 1987 standen die Bau-
strukturen in den Wohngeschossen bereits weitgehend «nackt»,
denn beinahe alle Bodenbeläge waren entfernt, grössere Wand-
flächen entputzt, alle Gipsdecken a u s g e r ä u m t und alle Türen
entfernt. Betroffen von der eingreifenden Modernisierung waren
die Wohngeschosse und der Ökonomietrakt , belassen blieb das
Kellergeschoss des Gasthauses. Unser Auftrag beschränkte sich auf
die Interpretation und Dokumentation freiliegender Befunde und
schloss aufwendige eigene Freilegungen aus - weshalb insbesondere
im Keller des Kernbaues Fragen ungeklärt bleiben.
4) Die Probenentnahmen sind bereits vor dem Beizug unsererseits
erfolgt, veranlasst durch den Architekten Florin Frick. Protokolle
LUD 9/R 1865 vom 7. Apr i l 1987, 1865A vom 28. Juli 1987. 1865B
vom 9. Februar 1989; sowie LUD 4/R 1370 vom 6. Dezember 1984
bezüglich Torkel. veranlasst durch Hansjörg Frommelt im Zuge einer
Datierung diverser Weinpressen.
5) Biedermann, Klaus: Das Rod- und Fuhrwesen im Fürs tentum
Liechtenstein. Eine verkehrsgeschichtliche Studie mit besonderer
Berücksichtigung des späten 18. Jahrhunderts. In: Jahrbuch des
Historischen Vereins für das Fürs ten tum Liechtenstein (JBL). Band
97 (1999). S. 7-183.
Plan 1: Historische Situa-
tionsskizze, z i rka 1:25 000
0,5 km
Gasthof «Löwen»
Herrschaft l icher
Gasthof und Zollhaus
«Adler», heute Landes-
museum
Schloss Vaduz
Herrschaft l icher Hof
mit Wohnturm und
Kirche St. F lor in
Rotes Haus mit Sied-
lung Oberdorf
Siedlung MLtteldorf
Siedlung Städtli
207
Abb. 4: S ü d a n s i c h t des
Gasthauses mit der 1952
erstellten und 1988 er-
satzlos abgebrochenen
Veranda
A b b . 5: Ostansicht des
Löwen nach der Reno-
vation 1987/89. Die
Veranda von 1952 wurde
zu Gunsten einer besseren
Erscheinung der spä t -
barocken Archi tektur
ersatzlos abgebrochen
Im 14. Jahrhundert fand eine unsere Siedlungs-
und Kulturlandschaft grundlegend prägende Zeit
der Expansion im ausgehenden 12. und 13. Jahr-
hundert ein vorübergehendes Ende. Besonders
mildes Klima, eine starke Bevölkerungszunahme,
Rodungen und Landesausbauten erreichten ihren
Höchststand, Burgenbauten und Städtegründungen
boomten. Der hohe Adel verlor viel von seiner
wirtschaftlichen und politischen Vorrangstellung zu
Gunsten des aufstrebenden niederen Dienst- und
Ritteradels und einer neuen Oberschicht städti-
scher Bürgerschaften. Die letzten Völkerwande-
rungen kamen um 1300 mit dem Zuzug der Walser
über die Bündner Pässe ins Rheintal und Vorarl-
berg zum Stillstand. 1342 gelangten die Besitzun-
gen der Grafen von Montfort-Werdenberg zur Erb-
teilung in die linksrheinische Grafschaft Werden-
berg-Sargans und die rechtsrheinische Grafschaft
Werdenberg-Vaduz.
Die ausgedehnten Weingärten auf dem besonn-
ten, tiefgründigen Südwestabhang des Schotter-
kegels der Möliholz-Rüfe mögen die Besiedlung von
Vaduz wohl begründet haben, denn Wein gehörte
zu den wichtigsten und begehrtesten landwirt-
schaftlichen Handelsgütern, Weinberge kamen
einer gut zinsenden Kapitalanlage gleich. 6 Die Ort-
schaft Vaduz wuchs aus diversen Siedlungskernen
hervor. Im Oberdorf steht das spätmittelalterliche
Verwalterhaus «Rotes Haus», umgeben von einst
wohl zugehörigen Winzerbauten. 7 Im Mitteldorf
entstanden diverse spätmittelalterliche Winzerhäu-
ser. Entlang der Hauptstrasse wuchs das Städtli
mit der einstigen, mittlerweile durch einen Neu-
bau ersetzten Taverne zum Engel. s Südwärts fol-
gen die herrschaftliche Taverne und Zolleinnahme-
stelle zum Adler, vorerst zum Hirschen genannt
und seit 1972 Liechtensteinisches Landesmuseum,
sowie der herrschaftliche Gutshof mit Wohnturm
«Tschaggaturm» (1872 abgebrochen)1' und der Kir-
che St. Florin.
Im Gasthof Löwen darf wohl eine spätmittel-
alterliche Taverne vermutet werden, also ein Vor-
läufer unseres Hotels, ein Ort der Speise, der Stär-
kung und der Übernachtung für zahlreiche Pilger,
Händler und Boten auf dem Wege von Süddeutsch-
208
ZUR B A U G E S C H I C H T E DES H O T E L S LÖWEN - EINER
J A H R H U N D E R T E A L T E N T A V E R N E / P E T E R A L B E R T I N
A b b . 6: Historische Süd-
ostansicht des Gasthauses
mit dem 1881 erstellten
Laubenanbau
land über die Bündner Pässe nach Oberitalien und
zurück - selbst Wolfgang von Goethe soll bei sei-
ner Rückreise aus Italien hier abgestiegen sein, da-
her die Bezeichnung «Goethe-Stube» für die hin-
tere Gaststube. Allerdings fehlt uns ein Nachweis
für den spätmittelalterlichen Tavernenbetrieb. Im
Brandisischen Urbar von 1507 sind für Vaduz zwei
Tavernen verzeichnet, aber noch nicht namentlich
genannt.10 Dabei handelte es sich bei der einen
zweifelsfrei um die herrschaftliche Taverne und
Zolleinnehmerei zum Adler, 1 1 seit 1972 Liechten-
steinisches Landesmuseum. 1 2 Bei der anderen mag
es sich mutmasslich um den Löwen gehandelt ha-
ben; wobei auch der Engel seit dem 18. Jahrhun-
dert aktenkundig ist und bei beiden der Beginn des
Tavernenbetriebes noch unbekannt bleibt.
Der im 14. Jahrhundert über zwei Geschosse
hoch in hell verputztem Mauerwerk erbaute
Löwen hob sich gegenüber den umliegenden Bau-
6) Zur Bedeutung des Weinbaus in Vaduz siehe Ospelt, Alois: Die
Geschichte des Weinbaus in Vaduz. In: Vaduzer Wein. 100 Jahre
Winzergenossenschaft. Vaduz. 1996. Zu Vaduzer Winzerhäusern
und Torkelbauten siehe Frommelt, Hansjörg: Winzerhäuse r und
Torkelbauten in Vaduz. In: Vaduzer Wein. 100 Jahre Winzergenos-
senschaft. Vaduz, 1996.
7) Zum «Roten Haus» siehe Rheinberger, Rudolf: Das Rote Haus und
der Weinbau in Vaduz. In: Vaduzer Wein. 100 Jahre Winzergenos-
senschaft. Vaduz, 1996.
8) Zu den Wohnhäuse rn im Städtli liegen noch keine baugeschicht-
lichen Untersuchungen vor.
9) Pattyn, Michael: Das Schäd le rhaus in Vaduz - ein Stück liechten-
steinische Zeitgeschichte. In: Terra plana. Vierteljahreszeitschrift für
Kultur, Geschichte, Tourismus und Wirtschaft. Hrsg. Terra plana,
Mels. Mels, 1994, Nr. 2.
101 Büchel, Johann Baptist: Zwei Urbarien der alten Grafschaft
Vaduz. In: JBL, Band 6 (1906), S. 57.
11) Malin, Georg: Liechtensteinisches Urkundenbuch. 1. Teil. In:
JBL , Band 67 (1967), S. 346 und 353.
12) Zum Gebäude: Unser baugeschichtliches Gutachen beim Landes-
bauamt und im LLA; f rühes tes Baudatum 1438 d zur Stubendecke.
209
Eigentümer und Bewohner
ernhäusern klar ab als repräsentativer Bau einer
wirtschaftlichen Oberschicht. Denn zu jener Zeit
mochten wohl nebst dem Löwen erst das Rote
Haus, der Adler, der Burgturm des Schlosses
Vaduz, der Tschaggaturm und die Kirche St. Florin
weitgehend in Mauerwerk erstellt gewesen sein.
Über die wohl in Holz errichteten zugehörigen
Bauern- und Winzerhäuser fehlen uns für das
14. Jahrhundert Kenntnisse. Auf Grund bauge-
schichtlieher Untersuchungen sind uns jedoch ei-
nige aus dem 15. Jahrhundert stammende Winzer-
bauten bekannt.1 3
Seine langjährige Geschichte und besondere Be-
deutung haben den Löwen zum hierzulande archi-
tektonisch und bauhistorisch vielfältigen Repräsen-
tanten wachsen und reifen lassen:
- als spätmittelalterlicher, palasähnlicher Stein-
bau inmitten einer ausgeprägten Agrarland-
schaft,
- mit reicher, ornamentaler Ausmalung von 1744;
ähnliche Wand- und Deckenmalereien finden wir
im ehemaligen Konventgebäude und heutigen
Pfarrhaus zu Bendern,
- in besonders repräsentativer spätbarocker Ar-
chitektur, erbaut durch den erst 23-jährigen
Johann Rheinberger - hierzulande fehlen Bau-
ten barocker Art weitgehend, mangels in jener
Zeit ansässigen kapitalkräftigen Gewerbes und
Handels,
- 1786 als eines der ersten Liechtensteiner Häu-
ser mit Sprossenfenstern versehen, an Stelle der
weniger lichtdurchlässigen Butzenscheiben,
- 1804 durch einen mächtigen Ökonomietrakt
ergänzt - als Ausdruck der wirtschaftlichen Be-
deutung des Löwen in einer Zeit grosser Armut
und noch nachwirkender, durch die Napoleo-
nischen Kriege verursachter Not.
Die frühen Eigentümer und Bauherren des Löwen
sind uns nicht bekannt. Es scheint sich jedoch um
eine private, zweifellos im Zusammenhang mit
dem hiesigen Weinbau stehende Besitzung zu han-
deln. Der gleich anliegende, noch heute zugehörige
Rebberg ist unter dem Flurnamen «Stöckler» und
auch «Leuawörts Wingert» bekannt 1 4 - und verrät
damit wohl einstige Besitzer, nämlich Angehörige
der im ausgehenden Mittelalter begüterten Feld-
kircher ßürgerfamilie Stöckli. 1 5
1380 erkaufte sich ein Heinrich Stöckli, Bürger
von Feldkirch, den gesamten Zehnten des Hoch-
stifts Chur in Triesen zu Erblehen. 1 6 Wobei die eine
Hälfte bis dato dem Wilhelm von Reichstein zu
Triesen gehörte, die andere Llälfte dem Edelknecht
Johann Heer, Sohn des Ritters Rudolf Heer, des
gräflichen Vogtes zu Bludenz und danach Ammann
zu Vaduz. Bereits 27 Jahre später gelangte das
Lehen jedoch wieder in andere Hände. Besonders
interessant scheint mir hierbei das Auftreten der
Stöckli in der Grafschaft Vaduz um 1380, also etwa
zur Zeit des frühest bekannten Baudatums zum
Löwen. Laut dem Brandisischen Urbar von 1507
wohnten zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Vaduz
Stöckli. 1 7 Von 1381 bis 1394 amtete ein Johannes
Stöckli als erster frei gewählter Feldkircher Bürger-
meister, danach als Hubmeister. Er entstammte
einer ritterlichen Familie, baute sich 1381 in Feld-
kirch ein besonders beachtenswertes, weil «mo-
dernes» Haus und fiel 1405 in der Schlacht am
Stoss. Seine sehr vermögende Gemahlin Marga-
retha Mörlin hätte aus Triesen gestammt.18
1723 wird in Anton Walser, * 1674,
erstmals ein «Löwenwirt» namentlich
aktenkundig. | , J
Seit den 1760/70er Jahren lag die Hofstätte im
Besitze der Familie Rheinberger,2 0 wobei nicht be-
kannt ist, wann, wie und von wem Joseph Ferdi-
nand Rheinberger die Liegenschaft übernommen
hatte. Eine Randnotiz im Stammbaum der Familie
Rheinberger nennt als möglichen Verkäufer einen
Baron von Stöckler aus Feldkirch. 2 1 Einziger, nicht
uninteressanter Hinweis hierzu ist eine rote Pinsel-
210
ZUR B A U G E S C H I C H T E DES H O T E L S LÖWEN - EINER
J A H R H U N D E R T E A L T E N T A V E R N E / P E T E R A L B E R T I N
maierei auf der Nordostwand des Raumes 26 mit
den Buchstaben FR (Ferdinand Rheinberger?) und
den Jahrzahlen 1772 und 1773, sowie weiterer,
nicht mehr lesbarer Zeichen (Abb. 32). Überliefert
ist der Liegenschaftenverkauf des Joseph Ferdi-
nand Rheinberger 1786 an seinen Sohn Johann
Rheinberger.
1760/70 Joseph Ferdinand Leon Rheinberger
(1734-1814)
Ortsrichter und 1765-1785 Löwenwirt
GO 1. Susanna Wächter
oo 2. (1786) Franziska Seger, verwit-
wete Engelwirtin, und zog in den
«Engel».
Ferdinands Vater Adam Rheinberger
war 1732-1738 Adlerwirt.
1786 Johann Rheinberger (1763-1815),
Ferdinands Sohn
Richter und bisher als Pächter Wirt
und Zolleinnehmer im «Adler»
OD 1. Josepha Wolfinger
oo 2. Crescenz Steger
oo 3. Barbara Neil, von Feldkirch,
übernahm von seinem Vater den
«Löwen» und erweiterte den Gasthof
1786 zu dessen heutigem Volumen
und architektonischen Habitus;
1791 verpachtete er den Gasthof an Johann
Jakob Lerch,
1803/04 an Peter Matt und schliesslich an sei-
nen Schwager Franz Joseph Wolfinger
aus Balzers;
derweil nahm Johann Rheinberger wiederum die
herrschaftliche Taverne und Zolleinnehmerei zum
Adler in Pacht, ging auf grössere Geschäftsreisen
und wurde vermögend.
1807 kaufte er vom Kanton St. Gallen den in
Vaduz und Mauren gelegenen, säkularisierten
Besitz des Klosters St. Johann im Thurtal und wur-
de mit dem Roten Haus samt Torkel und Abtswin-
gert in Vaduz, sowie der Mühle, der Gipsmühle und
der Hammerschmiede im Möliholz der wohlha-
bendste Grundbesitzer in Vaduz.
1816 je hälftig Joseph und Alois Rhein-
berger, laut Verlassenschaftsurkunde
vom 4. März 1816;
Wirt: Anton Rheinberger (1801-1846)
(aus erster Ehe des Johann),
Advocatus und Löwenwirt
oo 1832 Crescenz Schlegel von Triesen-
berg, die Witwe seines 24-jährig ver-
storbenen Bruders Alois.
Anton und Alois starben an Tuberkulose; Alois war
Gerber und führte für kurze Zeit den Löwen; Anton
hinterliess fünf Kinder: Heinrich, Theresia, Alois,
Anna, Johann Anton. Theresia (1834-1901) heira-
tete den Hauptmann und Landestechniker Peter
Rheinberger, ihr viertes Kind Egon (1870-1936)
erlangte als Architekt und Künstler hohes Anse-
hen.-2 Anna heiratete Ferdinand Nigg, sie wurden
die Eltern des Künstlers Ferdinand Nigg. Johann
Anton blieb ledig; Heinrich starb in Amerika.
13) Frommelt., Hansjörg und Albertin. Peter: Mittelalterliches Bauen
und Wohnen. In: «1342» - Zeugen des späten Mittelalters. Vaduz,
1992. Zudem Frommelt, Hansjörg: Baugeschichlliche Untersuchung
zu Hintergasse 14 und Albertin, Peter: Baugeschichtliche Unter-
suchungen zu Mitteldorf 16, 22/24, 25/27. 28/30, Hintergasse 35/37
(publiziert im JBL 91), Fürs t -Franz-Josef-Strasse 99 und 98/100.
Alle im Landesbauamt und LLA.
14) LNB: Flurnamen der Gemeinde Vaduz. H V F L , 1990.
15) Burmeister, Karl Heinz: Geschichte der Stadt Feldkirch. Kultur-
geschichte bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Jan Thorbecke
Verlag Sigmaringen, 1985. (Bodensee-Bibliothek Bd. 32).
16) Büchel, Johann Baptist: Geschichte der Pfarrei Triesen. In: JBL.
Bd. 2 (1902), S. 35-37.
17) Wie Anm. 6, S. 63.
18) Wie Anm. 15.
19) LLA, Rentamtsrechnungen.
20) FamARh.
21) Stammbaum im FamARh.
22) Wilhelm, Anton: Fgon Rheinberger, Leben und Werk: In: JBL.
Bd. 84 (1984).
211
STAMMLINIE DER «LOWENRHEINBERGER»
1827
1844
1866
1902
1918
1955
1977
Alois Rheinberger
nun die ganze Liegenschaft nach Kauf
auch jener Hälfte des Joseph per
9. Juni 1827;
Heinrich Rheinberger
laut Abhandlung vom 15. Dezember
1843 und vom 9. Jänner 1844, ererbt
zu 70 000 Gulden;
Alois Rheinberger (1836-1901)
laut Abhandlung vom 18. März 1865
und vom 19. Jänner 1866
Bürgermeister und Löwenwirt
oo Laura Wolfinger
mit ihrem Sohn Alois starb der Fami-
lienstamm Rheinberger zum Löwen
1952 aus.
Laura Wolfinger, Witwe des Alois
Rheinberger
laut Einantwortungsurkunde vom
27. November 1901 per 6. Februar
1902;
Anton Rheinberger
laut Einantwortungsurkunde vom
1. Mai 1918;
Lukrezia Rheinberger (1868-1934)
Löwenwirtin, ledig;
Adele Steck (1904-1979)
Löwenwirtin, ledig, Tochter von
Lukrezias Schwester Irma Steck-
Rheinberger;
Stiftung Adele Rheinberger.
M a t h ä ü s Rheinberger, * 1570
GD Katharina. Azger, * 1578
beide in Sulz, Vorarlberg; Stammeltern der
• Liechtensteiner Rheinberger
; zwei S ö h n e *
um 163.0 nach Vaduz zugewandert
Mä thys Rheinberger. (1612 zirka 1670?)
OD M a r i a Kanäle, wurde um 1670' im Zuge,
der sehrecklichen Hexenverfolgungen
durch Schwert und Feuer hingerichtet 2*»»
Andreas Rheinberger (zirka. 1640 zirka 1690)
oe Magdalena Wille:
z w e i ' T ö c h t e r und e in Sohn;* %
flöh äri lässl ich der Festnahme seines Vaters
nach Ös te r re ich und erwirkte zusammen
mit'Pfarrer!; Kriss" aus Triesen und vier ;
weiteren, geflohenen Landsleuten durch
eine Eingabe an die Oberösterre ichi ' sches
Regierung" in Innsbruck und damit an
den Kaiser in Wien letztlich ein Verbot der
Inquisi t ionen. 2 5 , i
Chris toph Rheinberger (zirka 1665 1717).
Richter •
qo 1. Johanna Hasler \ ,.'
GD 2. Agnes J ä g e r (1667-1746): neun K i n d e r
ZUR FRÜHEN STAMMLINIE DER «LOWEN»-
RHEINBERGER
Die Familie Rheinberger ist um 1630 aus dem vor-
arlbergischen Sulz zugewandert und hat hier rasch
und anhaltend eine wirtschaftlich und gesellschaft-
lich gehobene Bedeutung erlangt. Ihr Stammhaus
soll das «Laternserhaus» an der Fürst-Franz-Josef-
Strasse 99 in Vaduz gewesen sein. 2 3
Stamm • Johann A d a m Rheinherger? • ,
«s 'Felixa»' ' (1697-1738) 1
GD Maria Anna Walser:
sechs Kinder,
w a r von 1730-38 Landammann der oberen
. Landschaft und 1732-38 Zol ler 'und Adler-
wißt; 1 f ü h r t e ein Amtssiegel mit Wappen , !
welches als heutiges Famil ienwappen der
Rheinberger beibehalten worden ist -
Joseph Ferdinand Leon Rheinberger
(1734-1814), 1765-1785 Löwenwi r t ,
erster nachgewiesener L ö w e n b e s i t z e r
J.öhann,,Rheiribe|ge.r
Löwenwir t .
212
ZUR B A U G E S C H I C H T E DES H O T E L S LÖWEN - EINER
J A H R H U N D E R T E A L T E N T A V E R N E / PETER A L B E R T I N
Gleich zweimal wurden Töchter der Wolfinger
i t : . . zugeheiratet; die wohlhabenden Wolfinger waren
~ : l . bereits um 1480 Lehensleute der Gutenberger und
Johann Rheinberger, bewirtschafteten etwa einen Drittel der Schloss-
genannt «Hans» , güter zu Balzers.
23) Mündliche Mitteilung von Rudolf Rheinberger. Zum «Laternser-
haus». Albertin. Peter: Baugeschichtliches Kurzgutachten. März
1989. im Landesbauamt und LLA.
24) Tschaikner, Manfred: «Der Teufel und die Hexen müssen aus
dem Land ...» - Frühneuzei t l iche Hexenverfolgungen in Liechten-
stein. In: JBL, Band 96 (1998), S. 28.
25) Seger, Otto: Hexenprozesse in Liechtenstein. Östereichischer
Kunst- und Kulturverlag St. Johann - Wien. 1987 (Schriften
des Instituts für historische Kriminologie Bd. 2), S. 57. - Ebenso:
Tschaikner (wie Anm. 24). S. 35.
Christoph Rheinberger, z i rka 1695-175,9
studierte Theologie und diente 37 Jahre
läng 1 als l lofkaplan in Schaan
Joseph Anton Rheinberger zog nach
Schaan und w ü r d e Stammvater der
Schaaner Rheinberger
213
Ein spätmittelalterlicher
Kernbau des 14. Jahrhunderts
Der ganzflächig unterkellerte, zweigeschossige
Wohnbau steht parallel zur Hauptstrasse und misst
am muralen Erdgeschoss aussen beachtliche 10.6 x
13.3 Meter. Das Niveau seines Baugrundes liegt
strassenseits etwa 1.8 Meter unter dem heutigen
Strassenhorizont auf etwa 465.2 m ü. M. und süd-
westseits etwa 50 Zentimeter über dem heutigen
Gehboden auf etwa 465.0 m ü. M. ; das heisst, das
Gebäude stand im 14. Jahrhundert auf horizon-
talem Baugrund und das Kellergeschoss überragte
das Strassenniveau sockelartig um etwa 1.8 Meter!
Das Gehniveau des Erdgeschosses liegt auf etwa
467.0 m ü. M . , jenes im Obergeschoss auf etwa
469.9 m ü. M . , die Mauerkrone auf etwa 472.6 m ü.
M. , die Raumhöhen der beiden Wohngeschosse
massen je etwa 2.6 Meter. Die Strassenchaussie-
rung ist durch die Jahrhunderte infolge diverser
Rüfe-Niedergänge sukzessive um knapp 2.0 Meter
auf ihr heutiges Niveau angewachsen (Plan 17). Mit
starken Wingertmauern haben die Winzer die zer-
störerischen Geröll-Lawinen im Bereiche Oberdorf-
Mitteldorf-Löwen zum Schutze der Reben in die
Strasse kanalisiert. So liegt heute die Kulturerde
der Weinberge teils bis 2.0 Meter tiefer als das
vorbeiführende Strassenniveau.2 6
Die Aussen- und Innenmauern in unterschied-
licher Dicke von etwa 65 bis 90 Zentimetern so-
wie die Deckengewölbe sind einheitlich aus kaum
lagig gesetzten Rüfesteinen und vereinzelten Tuff-
bollen in Kalkmörtel erstellt. Exponierte Bau-
teile, wie Mauerecken, Türgewände, sowie Tür-,
Nischen- und Fensterleibungen sind sorgfältig in
Tuffquadern gefügt - auch sämtliche späteren mu-
ralen Erweiterungen am Wohnhaus sind in dieser
Mauertechnik ausgeführt. Die Fassaden trugen ei-
nen dünnen, steinsichtigen Putz, die Wände in den
Wohnräumen einen deckenden, weiss getünchten
Glattputz; die Kellerwände sind unverputzt, aber
satt ausgefugt.
Türen und Fenster sind besondere Indikatoren
baugeschichtlicher und architektonischer Entwick-
lungen, deren Aussagewert in den letzten Jahren
dank eingehender gebäudearchäologischer For-
schungen ständig verfeinert werden konnte.2 7 Im
Kernbau sind die Türöffnungen des 14. Jahrhun-
derts teils ganz, teils restweise erhalten, Türblätter
fehlen. Es handelt sich durchwegs um sorgfältig in
Tuffstein gearbeitete Rundbogengewände mit einer
lichten Weite von etwa 0.9 bis 1.1 Metern Breite
und bis 2.3 Metern Höhe. Sie sind aussenseits
mit 8 Zentimeter breiten und bis auf den Boden
reichenden Zierfasen romanischer Art versehen.
Ursprüngliche Fenster des Kernbaues können
mangels Entputzungen an den Fassaden nur in-
nenseits partiell erfasst werden. Die Fensterni-
schen mit in Tuffquadern gesetzten Leibungen und
backsteinernen Stichbogen messen im Erdgeschoss
etwa 2.4, im Obergeschoss etwa 2.15 Meter Schei-
telhöhe, sind bei einer inneren Breite von 1.25 bis
1.35 Metern gegen aussen leicht verjüngt und wie-
sen je zwei Sitzbänke von etwa 50 Zentimetern
Höhe und mindestens 30 Zentimetern Tiefe auf
(Plan 5). Über die Grösse und Gestaltung der Fens-
tergewände fehlen uns Anhaltspunkte - solche
wären jedoch hinter den Fassadenputzen wohl
noch teilweise erhalten! Zweifelsfrei lokalisierbar
bleiben im Erdgeschoss drei Fenster zur Stube 14
und im Obergeschoss drei Fenster zu Raum 23 -
weitere ursprüngliche Fenster haben wohl an Stel-
le der heutigen Öffnungen gelegen. Im 14. Jahrhun-
dert fehlte Fensterglas noch weitgehend, die Öff-
nungen waren mit Ölpapier, Schweinsblasen und
vor allem mit Holzläden verschlossen; so ermög-
lichten die Sitzbänke nahe den Fenstern, «sich ins
rechte Licht zu rücken». Erst gegen das Ende des
15. Jahrhunderts kamen Butzenscheiben auf den
Markt, auch sie waren noch wenig lichtdurchlässig.
214
ZUR B A U G E S C H I C H T E DES H O T E L S LÖWEN - EINER
J A H R H U N D E R T E A L T E N T A V E R N E / P E T E R A L B E R T I N
DAS KELLERGESCHOSS
konnte von der Hausrückseite durch ein ebenerdig
gelegenes, breites Tor mit Fässern, Standen und
Traubenmost beschickt werden (Abb. 7). Das Tor
liess sich von innen mittels Schliessbalken verrie-
geln. Der alltägliche Kellerabgang führte von Nord-
westen her vom Erdgeschoss über eine steile, tuff-
steinerne Treppe in den Vorkeller Ol (Abb. 9). Das
Geschoss birgt einen der Erschliessung dienenden
Vorkeller Ol und drei grosse Weinkeller 02 bis 04
(Plan 2). Alle Räume sind von Tonnengewölben
überspannt. Rundbogentüren und Treppenstufen
verbinden die verschieden tief liegenden Keller
(Abb. 7 und 8).
Grundsätzlich erscheint das Kellergeschoss in
sich und auch mit den darüberliegenden Geschos-
sen einheitlich erbaut - und doch liegen Ansätze zu
unverstandenen Befunden vor (vgl. Plan 2):
a) eine Tuffquader-Ecke nördlich von Raum 02,
b) eine Tuffquader-Ecke südlich von Raum 03,
c) eine ungeklärte Situation zur Nordwestwand von
Raum 03 als möglicherweise ursprünglichem Trep-
penabgang, mit eingemauertem hölzernem Schwell-
balken auf Höhe zirka 463.8 m ü. M. , etwa 65 Zenti-
meter über dem heutigen Kellerboden (Abb. 8). Die
Befunde weisen auf ein etappenweises Vorgehen
beim Bauen, wobei uns hierzu nichts über den
beanspruchten Zeitraum bekannt ist.
Das Kellergeschoss des 14. Jahrhunderts ist bis
heute weitestgehend in seinem ursprünglichen Zu-
stand erhalten geblieben. Zu unwesentlichen spä-
teren, jedoch zeitlich nicht fixierten Modifikationen
zählen: eine Weitung der ursprünglichen Lüftungs-
schlitze; der Einzug einer zweiten Südostmauer in
Raum 03, mutmasslich als Klimaschutz, stand doch
die dortige Keller-Aussenmauer weitgehend frei
und der vollen Sonneneinstrahlung ausgesetzt;
zu Raum 04 eine Erneuerung und Verengung der
J^üröffnung; zu Raum 03 nordwestseits der Einbau
eines Lüftungsschachtes.
26) Weitere Beispiele hierzu: Rheinberger, Rudolf: Das Rote Haus
und der Weinbau in Vaduz. In: Vaduzer Wein. 100 Jahre Winzer-
genossenschaft. Vaduz, 1996. Und Albertin, Peter: Baugeschicht-
liches zur Hofstätte Hintergasse 35-37 in Vaduz: In JBL, Bd. 91
(1992), S. 40.
27) Schneider, Jü rg E.; Kohler, Thomas M . : Mittelalterliche Fenster-
formen an Zürcher Bürgerhäusern . In: Zeitschrift für Schweizerische
Archäologie und Kunstgeschichte. Bd. 40, Heft 3/1983.
s
Fundament eines
Anbaues, Torkelgebäude (?)
Eingangstor
Plan 2: Das Kellergeschoss
um 1380, Grundriss 1:200
Lüf tungskana l
04 01
Treppenabgang
•
Gewölbeversatz \
03 i
/
02
Gewölbeversatz
-Strasse
J a
Lüftungsschacht,
urspr. Treppen -
abgang'
10 m
215
A b b . 7: S ü d a n s i c h t an das
Kellergeschoss aus der
Zeit um 1380; u r s p r ü n g -
liche S ü d w e s t f a s s a d e des
Kernbaues mit zweif lüg-
ligem Eingangstor und
Vorkeller O l
A b b . 8: Südos te ins i ch t in
den 15.5 Meter langen
Kel ler raum 03 aus der Zeit
um 1380, Nordteil ; hinten
s p ä t e r e s Lüf tungsg i t t e r
an Stelle eines einstigen
Einganges [?]
A b b . 9: Links tuffsteiner-
ner Treppenabgang aus
der Zeit um 1380 zum
Keller 01, a r chäo log i sch
freigelegt; rechts Holztrep-
pe von 1666 (bis 1987);
oben Raum 15; von Sü d en
gesehen
Abb . 10: Keller 03, T ü r
mit zwei geschmiedeten
Sch lösse rn verschiedener
Epochen; oben: klassi-
zistisch des ausgehenden
18./beginnenden 19. Jahr-
hunderts; unten: gotisch
des 15./16. Jahrhunderts
216
ZUR B A U G E S C H I C H T E DES H O T E L S LÖWEN - EINER
J A H R H U N D E R T E A L T E N T A V E R N E / P E T E R A L B E R T I N
DAS M U R A L E ERDGESCHOSS
barg nebst dem Anbau 15 einen Gang 11, eine
Küche 12, einen mit einem Kreuzgewölbe versehe-
nen Raum 13 und die Stube 14 (Plan 3). Die mit ei-
nem weiss getünchten Innenputz versehene West-
fassade des gemauerten Teiles enthielt die rund-
bogige Haustür in einem in romanischer Art zier-
geschrägten Tuffgewände; innenseits konnte diese
mit einem Schliessbalken verriegelt werden. Ein
beachtenswertes Detail stellt die ursprüngliche
Türschwelle dar - ein im Laufe der Jahrhunderte
durch unzählige Schuhsohlen stark abgetretener
Serpentinstein - sie ist bis heute in Funktion geblie-
ben, und bleibt es auch weiterhin (Abb. 11). Links
der Tür war eine breite, stichbogige Wandnische
eingebaut (Abb. 17). Der Rundbogen-Türsturz ist
später ausgebrochen worden.
Im Gang 11 (Plan 4) sind früheste Gehböden
archäologisch freigelegt worden: a) ein grobkörni-
ger Kalkmörtel-Unterlagsboden mit einem etwa ein
bis zwei Zentimeter dicken, stark ausgetretenen,
feinkörnigen Kalkmörtelüberzug; b), dessen Geh-
niveau lag auf 467.04 m ü. M. ; c) vor der um 22
Zentimeter höheren Haustürschwelle sind Reste
eines 8 Zentimeter hohen und 60 Zentimeter brei-
ten, hölzernen Auftrittes erkennbar; d) auch ent-
lang der Nordostwand zeichnet sich im Mörtel-
boden ein 32 Zentimeter breites Holznegativ ab -
wohl als Unterbau für eine Sitzbank oder eine
Truhe (?) (Abb. 14); e) eine Pflästerung aus quer
zum Gang hochgestellten, bis Handteller grossen
und nur bis etwa 3 Zentimeter dicken, rundge-
schliffenen und in feinsten Schwemmsand gesetz-
ten Flusskieseln (Abb. 13). Deren 10 Zentimeter
über dem Mörtelestrich auf Niveau 467.13 m ü. M .
gelegene Oberfläche ist ebenfalls stark abgetreten.
Die Nordostwand zeigt deutlich den Ansatz eines
einstigen, zum Gang gehörigen Tonnengewölbes,
mit einer Stichkappe über der Tür nach Raum 13
(Abb. 12).
Die Küche 12 mass innen lediglich etwa 1.4 x 3.8
Meter, mit nordwestseits angegliedertem (Vorrats-
?)Räumchen (Plan 4). Ein 58 Zentimeter breiter
und noch bis 12 Zentimeter über dem Mörtelestrich
a) erhaltener Mauerrest trennte den Gang 11 von
der Küche 12. Unterlagsmörtel (467.07 m ü. Meter)
zu einem Schwellstein und Ansätze zu einem Tür-
stock mit zugehöriger Türleibung belegen eine Tür.
Hieraus darf geschlossen werden, die Mauer hätte
Herdstelle
Küche
12
11 Gang
7 = T
Kreuzgewölbe
13
[Kellertreppe
T U
4 Hauseingang 1
I
i
15
Anbau
i
Wandnische
Plan 3: Das Erdgeschoss
um 1380, Grundriss L 2 0 0
Strasse
10 m
217
Abb. 11: Erdgeschoss,
Hauseingang 15 mit der
stark ausgetretenen Stein-
schwelle aus der Zeit um
1380 (heutiger Küchen-
eingang); von Nordwesten
gesehen. Der zur Schwelle
g e h ö r e n d e Gehboden, ein
Mörte lguss , lag 17 Zenti-
meter unter den abgebil-
deten, bis 1987 benutzten
Klinkerplatten
in ganzer Raumhöhe gestanden, und nicht etwa
nur als Brüstung. Anzeichen zur Gestaltung der
Küchendecke fehlen, in Frage kommen wohl
a) eine flache Holzgebälkdecke,
b) ein eigenes Tonnengewölbe, oder
c) ein Tonnengewölbe gemeinsam mit Gang 11, wo-
bei diese Variante bei einer raumhohen Ausfüh-
rung der Trennmauer 11/12 wohl ausgeschlossen
werden kann.
Der Küchenboden ist zerstört, er scheint aus
Tonplatten auf einem Mörtelbett bestanden zu
haben, mit Gehniveau auf Höhe 467.12 m ü.M. In
der Ostecke liegt eine aus Sandsteinquadern und
Tonplatten konstruierte, um 27 Zentimeter unter
das Gehniveau eingetiefte Herdstelle von 90 auf 115
Zentimeter Weite (Abb. 15). Die handgeformten
Tonplatten der Feuerstelle und auch des Boden-
schuttes messen etwa 8 x 13 x 26 Zentimeter. Feu-
erstelle, Bodenschutt und Mauerwerk sind stark
verrusst, beziehungsweise mit Asche vermischt. Im
Gehniveau eingetiefte Feuerstellen gelten als ar-
chäologische Raritäten.
Die 1.0 Meter breite Südwestmauer ist später
ausgebrochen worden, die Südostmauer seit 1987
in Beton ersetzt. So fehlen uns zur Küche Hin-
weise zu Fenstern, zur Deckengestaltung und zum
14
6_85
Herdst.
712 12 Küche
11 Gang -.7.04
a 7.02 | \b - v l
13
2,5 5 m
705
C II
Plan 4: Gang und Küche
um 1380, Grundriss 1:100.
R e f e r e n z h ö h e = 460.00 m
ü. M .
a) Ka lkmör te l -Unte r l ags -
boden
b) abgetretener Mörtel-
b o d e n - Ü b e r z u g
c) Negativ eines h ö l z e r n e n
Auftrittes
d) Negativ eines h ö l z e r n e n
Unterbaues zu einer
Sitzbank oder Truhe?
e) Kieselstein-Pflasterung
218
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A b b . 13: Erdgeschoss,
Gang und Küche 11-12,
südös t l i che r Teil; in der
Bildmitte eine abgebro-
chene Trennmauer; links
davon die feingliedrige
Kiese lp f l ä s t e rung ü b e r
ä l t e r e m Mör te lgussboden ;
l inks oben Ansatz eines
T o n n e n g e w ö l b e s ; rechts
die u r s p r ü n g l i c h e Küche
mit Resten eines Ton-
plattenbodens; hinten die
Feuerstelle, noch übe r -
deckt; von Nordwesten
gesehen
A b b . 12: Erdgeschoss,
Gang 11; Nordostwand mit
Ansatz zu einem Tonnen-
gewölbe und Rundbogen-
t ü r nach Raum 13, erbaut
um 1380
A b b . 14: Erdgeschoss,
Gang 11; Mör t e lboden von
um 1380 mit feinem, stark
ausgetretenem Ü b e r z u g
und z u g e h ö r i g e r Schwelle
(hinten); Südos t ans i ch t
219
A b b . 15: Erdgeschoss,
Küche 12 mit ins Geh-
niveau eingetiefter Herd-
steile von um 1380 aus
Tonplatten und Sandstein-
quadern; vorne die abge-
tragene Mauer 11-12 und
Reste der Kieselpf läs te-
rung zum Gang 11; von
Osten gesehen
A b b . 16: Erdgeschoss,
Gang 15, Innenansicht der
strassenseitigen Aussen-
wand des 16. Jahrhun-
derts mit rundbogigem
Fensterchen und zugehör i -
gem, weiss g e t ü n c h t e m
Glattputz; links der einge-
mauerte Stumpf eines
a b g e s ä g t e n Unterzuges
und etwa 20 Zentimeter
d a r ü b e r der zugehör ige ,
ebenfalls s p ä t e r a b g e s ä g t e
Dielenboden, beide von
1488 d; ganz oben die
Decke von 1666 d; rechts
die heutige E ingangs tü r
Abb . 17: Erdgeschoss,
Gang 15; Nordwestwand
des muralen Kernbaues von
um 1380 mit stichbogiger
Nische, Decke von 1666 d
und T ü r d u r c h b r u c h nach
Raum 13 von 1786
220
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Rauchabzug. Fraglich bleibt, wie in der ausge-
sprochen engen Küche überhaupt gearbeitet wer-
den konnte.
Raum 13 wird von einem Kreuzgewölbe über-
spannt, das heisst, er tritt durch seine Gestaltung
besonders hervor - als wäre er des Bauherrn Pri-
vatraum. Ein strassenseitiges Fenster ist nicht
nachgewiesen, darf aber im Bereiche des heutigen
Fensterausbruches angenommen werden.
Zur Stube 14 lassen sich drei Fenster-Sitz-
nischen mit je zwei Sitzbänken und südwestseits
zwei stichbogige Wand-Sitznischen mit längsge-
stellter Sitzbank lokalisieren. Die eigentlichen Fens-
teröffnungen und deren Gewändegestaltungen feh-
len oder sind verdeckt. Die Wände zeigen hier, als
einzigem Raum im Kernbau des 14. Jahrhunderts,
Spuren einer Holzverkleidung oder Vertäfelung.
Zur Stubendecke sind Auflagelöcher zu drei Unter-
zügen oder Deckenbalken erkennbar mit einer Un-
terkanthöhe von 469.40 und einem Achsabstand
von etwa 2.2 Metern.
EIN NORDWESTSEITIGER ANBAU
mit den Räumen 15 und 24 wird durch diverse
Befunde belegt, doch in seiner ganzen Gestaltung
lässt er sich nur ideenhaft aufzeigen. Das Ausmass
seiner Grundfläche dürfte jenem Teil des Kellerge-
schosses entsprochen haben, das nordwestseits
über den Grundriss des muralen Erdgeschosses
vorstösst. Über den Kellergewölben lag ein Mörtel-
estrich als Gehboden mit Niveau zirka 466.93 zu
Raum 15. Um von der Strasse auf diese Erdge-
schoss-Höhe zu gelangen, musste wohl strassen-
seits eine etwa 1.8 Meter hohe Treppe vorgelegen
haben. Auf der Höhe der heutigen Erdgeschoss-
decke und im Bereiche des Obergeschosses weist
die Südost-Wand je einen etwa 20 Zentimeter
breiten, als Balkenlager dienenden Rücksprung auf
(Abb. 23). Im Anbau 15/24 hatte zweifellos der
Treppenaufgang ins Obergeschoss und ins Dach-
geschoss gelegen und er dürfte zumindest teilweise
offen gestanden haben, denn die Haustür zum
Gang 11 war innenseits verschliessbar (Plan 7).
D E M OBERGESCHOSS
steht eine dem Erdgeschoss entsprechende Raum-
teilung mit den Räumen 21 bis 24 zu Grunde (vgl.
Plan 6). Das Bodengebälk lag zu allen Räumen auf
15 bis 20 Zentimeter breiten Mauerrücksprüngen
auf. Zu den Türen und Fenstern liegen dieselben
Befunde vor wie im Erdgeschoss.
Plan 5: Fenster mit Sitz-
nische um 1380, Innen-
ansicht 1:50; Fensterstock
hypothetisch
221
Abb. 18: 1. Obergeschoss,
Gang 24; Südwest te i l mit
zwe i l äu f igem Treppenauf-
gang von 1786; rechts
Sichtfachwerkwand von
1666, 1786 zum Treppen-
einbau um 60 Zentimeter
zu rückve r se t z t
Wand später abgetragen
Plan 6: Das Obergeschoss
um 1380, Grundriss 1:200
J
Strasse -
10 m
222
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Abb.19: Erdgeschoss,
Raum 17; Sichtfachwerk
von 1666, grau-schwarz
gefasst, die Riegel und
die Strebe sind noch
i n spä tmi t t e l a l t e r l i che r
Manie r übe rb l a t t e t
DD
Plan 7: Die Nordostfassade
u m 1380,1:200; Gestal-
tung der F e n s t e r s t ö c k e
und D ä c h e r hypothetisch
10 m
223
Abb. 20: Erdgeschoss,
Gaststube 14; Fenster-
nische und Sprossen-
fenster von 1786 mit höl-
zernem Mittelpfosten,
sehr feingliedrig profil ier-
ten Sprossen und ge-
schmiedeten Besch lägen
Z U M DACHGESCHOSS
und Dachstuhl fehlt uns jegliche Kunde. Mutmass-
lich dürfte auf dem muralen Teil ein flachgeneigtes
und mit steinbeschwerten Legschindeln gedecktes
Satteldach gelegen haben, mit Firstrichtung paral-
lel zur Landstrasse. Legschindeln waren hierzulan-
de bis ins 19. Jahrhundert das verbreitetste Dach-
deckmaterial.
SÜDWESTSEITS DER K E L L E R
weisen im Verband mit dem Kernbau gemauerte
Fundamentreste auf einen zugehörigen Anbau -
ein Torkelgebäude(?), der uns aber als Ganzes
nicht mehr erkennbar geblieben ist (Plan 2).
AUS D E M DECKENGEBÄLK
über Raum 22 sind fünf Bohrkerne gefasst und
hieraus drei Lärchenstämme dendrochronologisch
mit Endjahr 1345 datiert, wobei Splintholz fehlt
(Abb. 24). Bei der für diese Lärchenstämme vorlie-
genden Wachstumsstruktur mit etwa 300-jährigem
Alter und geschätztem Splintholzanteil von etwa 35
Jahrringen lässt sich ihr Fälldatum und damit ein
Baudatum für den Kernbau von um 1380 postu-
lieren. Stilistische Datierungselemente fehlen, ins-
besondere sind die im 13. und frühen 14. Jahrhun-
dert verbreitete romanische Baumanier der exakt
lagig gefügten Mauersteine in Art des «domus spi-
catum» und Fugenstrich-Putze nicht beobachtet.
224
Die Erweiterung
von 1488 d
In einer politisch unruhigen Zeit - die Landesherr-
schaft ist vom letzten Stammhalter der Grafen von
Werdenberg-Vaduz, Bischof Hartmann von Chur,
1416 an die Freiherren von Brandis in Maienfeld
übergegangen; das Oberland als Grafschaft Vaduz
und das Unterland als Herrschaft Schellenberg sind
vereint (1434), das Amt des Landammanns ist ein-
geführt und damit der Bevölkerung in Verwaltungs-
angelegenheiten gewisse Mitspracherechte zuge-
sichert - erfolgten im Löwen Neuerungen.
Nordwestlich des Kernbaues entstand ein neuer
hölzerner Anbau (Plan 8). Aus dem Bodengebälk
des Erdgeschosses sind zwei Lärchenstämme und
ein Arven- oder Föhrenstamm mit Fälldaten
Herbst/Winter 1487/88 dendrochronologisch da-
tiert. Aus der zugehörigen Decke sind in der Nord-
ostwand des Erdgeschoss-Raumes 15 der Stumpf
eines abgesägten Deckenunterzuges und der Rest
einer Dielendecke (UK= 469.4 m ü. M.) eingemau-
ert (Abb. 16). Der Deckenunterzug ist als Lärchen-
holz ohne Splint mit Endjahr 1471 dendrodatiert.
Weitere Befunde fehlen. Der neue und erweiterte
hölzerne Anbau dürfte im Erdgeschoss hallenartig
genutzt worden sein und barg wohl wiederum die
Treppen ins Obergeschoss und ins Dachgeschoss.
Im muralen Kernbau sind keine baulichen Ände-
rungen bemerkt.
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Modernisierungen im
16. Jahrhundert
Dem gotischen Zeitgeist und neuen bautechnischen
Möglichkeiten entsprechend - seit dem ausgehen-
den 15. Jahrhundert sind Butzenscheiben erhält-
lich und ermöglichen grössere Fenster - wurde
auch der Gasthof Löwen in der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts modernisiert. Eine genaue zeit-
liche Fixierung der Arbeiten fehlt uns, stilistische
und relativchronologische Befunde einerseits und
die wohl um 1530 entstandenen figürlichen Male-
reien in der Gaststube andererseits umgrenzen die
Arbeitsausführungen (Pläne 9 und 10).
Im nordwestlichen Holzanbau wurde die stras-
senseitige Wand teilweise durch Rüfestein-Massiv-
mauerwerk ersetzt. Dessen Innenansicht zeigt, ar-
chäologisch fässbar, wie zum Erdgeschoss ein neu-
er, strassenseitiger LIauseingang entstand, wohl
rundbogig, wie der tiefliegende Sturzansatz verrät
- an seiner Stelle betreten wir noch heute den Ho-
telbau. Gleich nebenan entstand das noch heute
erhaltene rundbogige Fensterchen (Abb. 16). Zum
Obergeschoss sind zwei stichbogige Fensterni-
schen teilweise erhalten mit Negativen rechtecki-
ger Fenstergewände (Abb. 26 und 27), woraus
sich Fenster gotischer Art rekonstruieren lassen.
Analoge Fenster finden wir auch am 1539 erbauten
Konventbau in Bendern, dem heutigen Pfarrhaus.
Nordwestwärts stösst die Mauerscheibe gegen
Plan 8: Die Nordostfassade
u m 1488,1:200; Fenster-
s töcke und D ä c h e r hypo-
thetisch
225
Josef
stehend
1. König
kniend
>L>5 <i\j.i % M/V,
H —
3. König
gehend
Elefant
Mar i a sitzend
mit Christuskind
2. König
stehend
Passantin
Abb . 21: Erdgeschoss,
Gaststube 14; Südwes t -
wand mit der 1988 ver-
setzten Wandmalerei
« A n b e t u n g des Christus-
kindes durch die Heiligen
Drei Könige» aus der Zeit
um 1530, dazu eine Zeich-
nung mit E r k l ä r u n g
eine bestehende Holzkonstruktion. Weitere Befun-
de zum jetzigen Anbau fehlen, der 1488 im Erd-
geschoss eingebrachte Unterzug mit Dielendecke
blieb weiterhin in Funktion. Das Erdgeschoss
diente wiederum saalartig, denn Raumtrennungen
wären erkennbar geblieben.
Der Kernbau erfuhr auf seiner Südwestseite -
nach Entfernung des entsprechenden Aussenwand-
teiles - eine Erweiterung der Küche 12 im Erdge-
schoss und der darüberliegenden Kammer 21 im
Obergeschoss. In der Gaststube 14 wurde über
einer Sitznische in der südwestlichen Aussenmauer
ein Wandbild mit der Anbetung des Christuskindes
durch die Heiligen Drei Könige appliziert. Diese
Putzmalereien sind nun anlässlich der neuesten
Renovationsarbeiten durch Bonifaz Engler restau-
riert und an der gleichen Wand, baubedingt ver-
setzt, wieder angebracht worden (Abb. 21).
226
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Scheune u.
Stallungen
-+-
5 10 m
Torkelgebäude (?)
• * • • • •
figürliche
Wandmalerei
Gast - Stube
14
Wandnischen
Küche 12
* 11 G a n g ^
Kreuzgewölbe
13
-Strasse-
I Kellertreppe •fc
First ? ,
\ Tenne?
\
L .
[
Anbau
15
Unterzug
V W V--
Plan 9: Das Erdgeschoss
im 16. Jahrhundert,
Grundriss 1:200
Plan 10: Die Nordostfas-
sade i m 16. Jahrhundert,
1:200; Treppe, Fenster-
s töcke links und D ä c h e r
hypothetisch
0 5 10 m
227
Abb. 22: Erdgeschoss, ver-
glaste Veranda von 1952;
woh l beliebtester Aufent-
haltsort der Gäste , mit
Blick ü b e r den «Stöckler»-
Weinberg zum Schloss
Vaduz und in die nahen
und fernen Berge; Veranda
1987 abgebrochen
A b b . 23: 1. Obergeschoss,
Gang 24; Westansicht des
muralen Massivbaues
von um 1380 mit diversen
weiss g e t ü n c h t e n Glatt-
putzen; die Putznaht auf
Zweidr i t t e l -Höhe markier t
einen u r s p r ü n g l i c h e n
M a u e r r ü c k s p r u n g als Bal -
kenauflager f ü r den Holz-
anbau, der obere Wand-
drittel und das Deckenge-
bälk stammen von 1666 d
228
ZUR B A U G E S C H I C H T E DES H O T E L S LÖWEN - EINER
J A H R H U N D E R T E A L T E N T A V E R N E / P E T E R A L B E R T I N
A b b . 24: 1. Obergeschoss,
Südwes t e in s i ch t in Raum
22 des Kernbaues aus der
Zeit um 1380; Aufsicht auf
das Kreuzgewölbe von
Raum 13 und Untersicht
an die dendrochronolo-
gisch um 1380 datierte,
r u s s g e s c h w ä r z t e Decke
A b b . 25: 1. Obergeschoss,
Süde ins ich t in Gang 24;
Sichtfachwerk dendro-
chronologisch datiert mit
1666; l inker Tei l 1786
an läss l i ch des Einbaues
eines neuen Treppen-
aufganges um 60 Zenti-
meter z u r ü c k v e r s e t z t -
der vorspringende Eck-
pfosten zeigt noch die
entsprechenden Zapfen-
löcher
229
DER RESTAURATOR UND KIRCHENMALER
BONIFAZ E N G L E R 2 8 SCHREIBT DAZU:
«Die Geschichte des barock anmutenden stattli-
chen Gebäudes Gasthof Löwen, dessen Fassade
das Wappen der Rheinberger ziert, lag bis zum
Beginn der Renovation von 1987 weitgehend im
Dunkeln.
In dieser Umbruchzeit wurde ich beauftragt, das
Gebäude in seinem Innern auf mögliche Malereien
zu untersuchen. Es wurden ornamentale Male-
reien aus der Zeit um 1744 gefunden. Ganz zufällig
stiess man bei installationsbedingten Ausbrüchen
und Sicher ungsarbeiten, unter dicken Verputz-
schichten, auf figürliche Farbspuren.
Die Verputzschichten wurden entfernt und
dadurch die Malerei sichtbar gemacht. Es ist eine
frühe Darstellung der Anbetung durch die Heiligen
Drei Könige und gleichzeitig eine klare Datierung.
Wegen Installationsvorschriften konnte die Wand-
malerei leider nicht am Entstehungsort belassen
werden. Sie wurde konserviert, aus der Bruch-
steinmauer gelöst, armiert und versetzt wieder in
die Mauer eingelassen.
Die genannte Darstellung ist in Secco-Technik
gemalt, das bedeutet, sie wurde mit Tempera-
Casein gebundenem Farbpigment auf den trocke-
nen Verputz gemalt. Die rötliche Vorzeichnung ver-
rät einen gekonnten Pinselstrich. Die geschlossene
Komposition setzt sich aus drei Figuren oder Stan-
desgruppierungen zusammen.
In der ersten Gruppierung finden wir stehend
Josef, in schlichtem grünen Gewände. Er stützt
sich an einem Stab. In der rechten Hand ist ein
Beutel oder eine Rundflasche. Seine Schuhe sind
blau. Seitlich von ihm auf einem Thronstuhl sitzt
Maria. Sie hält und zeigt das Christkind, das von
dem vor ihm knienden König ein Geschenk entge-
gen nimmt. Maria ist mit einem blauen Gewände
mit typischem Renaissance-Ausschnitt bekleidet.
Ihr Kopf ist von einem weissen Schleier umhüllt.
Die Schuhe sind rot. Der Thronstuhl mit Lehne ist
ein Hinweis auf eine frühe Entstehungszeit des
Gemäldes. Das Kind, Maria und Josef sind mit
einem Scheiben-Nimbus versehen.
Eine Raumbegrenzung zur zweiten Gruppierung
wird durch eine braune Linie (Holzträger) dar-
gestellt. In dieser zweiten Gruppierung kniet ein
König, eine Gabe reichend, vor dem Kind. Sein
Mantel ist cap.-mort.-rot, das Beinkleid braun, die
Schuhe rot. Ihm folgt stehend, der zweite König,
umhüllt mit einem Mantel von cap.-mort.-violetter
Farbe. Das Beinkleid ist blau. In der linken Hand
hält er ein blaues Bündel. Die rechte Hand reicht
einen kleinen Schrein nach vorn. Das Beinkleid,
sowie der Schrein weisen in die frühe Zeit der
Renaissance um 1500-1530. Am Kopf ist eine gros-
se Fehlstelle. Darin war ein Holzdübel befestigt,
der zu einem Halterungszweck benötigt wurde.
Der dritte Weise zeigt sich schreitend in ganz
typischem Renaissance-Gewände eines vornehmen
Mannes. Es ist mit dunklem Besatz bereichert. In
der linken Hand ist wiederum ein roter Beutel. Die
andere Hand hält ein Kelchgefäss nach vorn. Sein
Beinkleid ist oder war rot wie der Beutel.
Hinter ihm beginnt die dritte Gruppierung mit
raumtrennendem senkrechten Tragbalken. In ge-
wisser Distanz ist eine staunende weibliche Ge-
stalt zu erkennen. Erwartungsvoll breitet sie ihre
Arme und Hände der Handlung vor ihr entgegen.
Ihr anmutiges Gewand mit der typischen Hals-
Schulterpartie ist wiederum ein klarer Hinweis, in
welcher Zeit das Wandgemälde geschaffen wurde.
Auf vielen späten Flügelaltären, Stichen, und Ge-
mälden aus der Zeit um 1500 bis 1530 wiederholen
sich dieselben Farben und Formen, wie sie sich in
dem Bild <Anbetung durch die Heiligen Drei Köni-
ge> zeigen.
Die weibliche Gestalt war noch nicht der Ab-
schluss der dritten Gruppierung. Mit etwas Phan-
tasie könnte noch ein Elefantenkopf mit Rüssel ge-
sehen werden. Bis zum ursprünglichen Ende der
Malerei fehlen noch zirka 15 Zentimeter, welche
schon bei früheren Umbauten verloren gegangen
sind. Die hier beschriebene, sehr zurückhaltende
bildliche Darstellung konnte nicht in erster Linie
als Akzent im Raum verwendet werden. Der ErhaT
28) Restaurationsatelier im Vorderhof, 9033 Untereggen SG.
230
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A b b . 26: 1. Obergeschoss,
Raum 25; Ansicht der
strassenseitigen Aussen-
wand; rechte W a n d h ä l f t e
aus dem 16. Jahrhundert
mit zugehör iger , stichbogi-
ger Fensternische; linke
W a n d h ä l f t e und Decke von
1666 d
A b b . 27: 1. Obergeschoss,
Gang 24, Nordostwand;
Die murale Mauerscheibe
des 16. Jahrhunderts
s töss t rechts gegen den
Kernbau des 14 . Jah rhun-
derts und en thä l t eine
originale Fensternische;
die aktuelle Fensteröff -
nung ist 1666 durchgebro-
chen und 1744 ornamen-
tal bemalt worden
A b b . 28: 1. Obergeschoss,
Raum 24; nordös t l i che
Fensternische mit
schwungvollen Ranken-
ornament-Malereien von
1744
231
Barocke Um- und Erweiterungs-
bauten von 1666 d
tungszustand der Secco-Malerei war museal, aber
genügend lesbar.
Das ganze Bild wurde später zur Putzhaftung
mit einem Spitzhammer aufgehackt. Diese Verlet-
zungen mussten sorgfältig ausgefüllt und geebnet
und in Wahrung des freigelegten Originalbestan-
des optisch beruhigt werden.
So wurde es möglich, den Bildinhalt, die Form-
gebung und die Farbgestaltung einer Stilperiode
und Zeit einzuordnen.
Somit konnte der im Dunkeln liegenden Bauge-
schichte wieder eine Datierung mehr gegeben wer-
den.»
Nach wie vor fehlt uns Kunde zur Lage, Konstruk-
tion und Form des Dachstuhles. Insbesondere lässt
die mittlerweile in ihrer Flucht stark gestaffelte
Südwestfassade Fragen bezüglich der Gestaltung
eines Satteldaches offen.
Im 17. Jahrhundert wurden die Wohnräume zuse-
hends heller, offener, bunter und «freundlicher» -
das Bürgerhaus wagte den Schritt von der Stätte
des Daseins zur Stätte des Wohnens, vom Zweck-
bau zum architektonisch gestalteten Repräsenta-
tionsbau. In diesem Sinne erfuhr auch der Löwen
1666 d eingreifende Erneuerungen barocker Art
(Pläne 11 bis 13).
Der bisher noch weitgehend in Holz konstruierte
Nordwestanbau wurde nun auf breiterem Grund-
riss vollständig in Rüfestein-Mauerwerk hochge-
führt und architektonisch gegenüber dem Kernbau
zum gleichwertigen Bauteil erhoben - nun wohl
zweifellos unter einem einheitlichen Satteldach,
wobei uns Befunde zur Dachgestaltung nach wie
vor fehlen. Der Zeit und Bedeutung des Löwen ent-
sprechend darf nun ein steiles Ziegeldach vermutet
werden an Stelle des bisherigen, flach geneigten
Legschindeldaches. Südseits erfolgte eine zweige-
schossige Erweiterung des Hauses um die beiden
Wohnräume 19 und 28. Die Fassaden erhielten ein
neues Erscheinungsbild in ihrer noch heute vorlie-
genden Gliederung, alle Fenster wurden geweitet
und teilweise auch neu angeordnet und mit neuen
Fensterstöcken versehen (Abb. 26 und 27). In den
Fensternischen boten sich wiederum Sitzbänke an,
um sich «ins rechte Licht zu rücken». Die Haustür
bekam an Stelle des Rundbogens einen «moder-
nen» Stichbogensturz. Der neuen, muralen Nord-
westfassade wurden zwei bis unter die Fenster-
bänke des Erdgeschosses reichende Stützpfeiler
vorgestellt - denn vor der Nordecke des Gasthofes
lag das Terrain noch immer bis 1.6 Meter unter
dem heutigen Strassenniveau auf etwa 465.70 m ü.
Meereshöhe.
IM ERDGESCHOSS
entstanden durch die Hauserweiterung neue Räu-
me, ein breiter Gang 15 mit zweiläufiger Treppe ins
Obergeschoss, drei Zimmer 16 bis 18, wobei Raum
18 gegen den Gang 15 hin vorerst offen stand,
sowie eine zusätzliche kleine Gaststube 19 mit Sitz-
nischen (Plan 11). Einheitlich verlegtes Deckenge-
232
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Plan 11: Das Erdgeschoss
von 1666, Grundriss 1:200
Strasse
bälk mit Schrägboden überspannte die Räume 15
bis 18; hieraus ergeben drei Deckenbalken dendro-
chronologisch ermittelt das Fälljahr Herbst/Winter
1665/66. Die neu eingebauten Binnenwände zu
den Zimmern 16 bis 18 wurden der Zeit entspre-
chend in Sichtfachwerk erstellt und mit verputztem
Rüfestein-Mauerwerk ausgefacht, wobei der Fach-
werkabbund noch in der spätmittelalterlich/früh-
neuzeitlichen Manier erfolgte mit durchgehenden,
die Streben überblattenden Riegeln (Abb. 19). In
den beiden Zimmern 17 und 18 wurde das Fach-
werkholz grau bemalt und mit einer schwarzen Be-
gleitlinie eingefasst. In Raum 16 blieben die Wände
unbemalt - und bis 1987 unverändert erhalten! Im
spätmittelalterlichen Kernbau wurden die Fenster-
nischen geweitet. In der Gaststube 14 verkleidete
raumhohes Täfer die Wände. Wie schon zum mit-
telalterlichen Kernbau waren auch zur jetzigen
Ausführung exponierte Bauteile wie Mauerecken,
sowie Tür-, Nischen- und Fensterleibungen sorgfäl-
tig in Tuffquadern gesetzt.
DAS OBERGESCHOSS
erfuhr dieselbe Erweiterung in gleicher bautech-
nischer Ausführung wie das Erdgeschoss (Plan 12,
Abb. 25 und 30). Damit entstanden die zusätzli-
chen Räume 25 bis 28. Sechs Stämme aus dem
Deckengebälk über den Räumen 24 bis 27 ergeben
dendrochronologisch ermittelt ebenfalls einheitli-
che Fälldaten Herbst/Winter 1665/66.
233
Plan 12: Das Obergeschoss
von 1666, Grundriss 1:200
Plan 13: Die Nordostfas-
sade von 1666,1:200
234
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Die Ausmalungen von 1744
A b b . 29: 1. Obergeschoss,
Raum 26 von 1666; Decke
1744 mit schwungvollen
Rankenornamenten rot,
grau und gelb bemalt;
Zustand nach dem Fre i -
legen 1987, noch mit spä -
terem Lehmputz übe r -
schmiert
235
Unter grundsätzlicher Belassung der Bau- und
Raumstruktur von 1666 d brachten innere Moder-
nisierungen etwas breitere Fenster mit geweiteten
Leibungen und teilweise wiederum Sitzgelegen-
heiten in den Fensternischen. Vor allem erhielten
diverse Wohnräume im Obergeschoss eine zeit-
gemässe, ornamentale Bemalung von Wänden und
Decken.
Im Erdgeschoss waren mittlerweile das Gang-
Tonnengewölbe und die Trennmauer zur Küche
11-12 entfernt worden, der Küchenbetrieb war
scheinbar vorübergehend in den Raum 22 des
Obergeschosses verlegt. Der Raum 18 wurde gegen
den Gang 15 hin geschlossen und durch Versetzen
der Trennwand gegen Raum 17 um 1.15 Meter
verbreitert.
Im Obergeschoss erhielten die Räume 21, 24, 25
und 26 im Bereiche der Türöffnungen und in den
Fensterleibungen schwungvolle Rankenornamente
in den Farben grau, rot und schwarz auf die Glatt-
putze der Massivmauern gemalt (Abb. 28). Ein
Medaillon über dem Fenstersturz im Raum 26 ent-
hält die Jahrzahl 1744 - und gibt uns damit eine
genaue Datierung der Ausmalungen (Abb. 31). Die
Schrägböden der Räume 24, 25 und 26 tragen ana-
loge Malereien in den Farben rot, gelb und grau,
mit weissen Glanzlichtern und partiell schwarzen
Einfassungen (Abb. 29 bis 31). Die Deckenbalken
zeigen eine Netzmarmorierung in denselben Far-
ben. Die Sichtfachwerkwände der Räume 24, 25
und 26 behielten ihre graue Fassung. Die voll-
flächig verputzten Wände in Raum 27 blieben un-
bemalt.
An der Nordostwand des Raumes 26 weist eine
Riegelausfachung auf dem Putz die Jahrzahlen
1772 und 1773, sowie die Initialen FR und ... (unle-
serlich) auf (Abb. 32). Die Initialen dürften auf den
Besitzer Ferdinand Rheinberger hinweisen; die
Bedeutung der Jahrzahlen bleibt unbekannt.
A b b . 30: 1. Obergeschoss,
Raum 26 von 1666, Nord-
ecke; Binnenwand rechts
in grau gefasstem Sicht-
fachwerk; murale Aussen-
wand und Decke 1744
mit Rankenornamenten
barocker Ar t bemalt
A b b . 31: 1. Obergeschoss,
Raum 26; barocke Ran-
kenornamente, i m Medai l -
lon ü b e r der Fensterachse
die Jahrzahl 1744
236
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Umbau und Erhöhung von 1786
Der bisherige Eigentümer Joseph Ferdinand Leon
Rheinberger, 1734 bis 1814, vermählte sich 1786 in
zweiter Ehe mit der verwitweten Engelwirtin Fran-
ziska Seger und zog in den Engel um. Den Löwen
übergab er seinem erst 23-jährigen Sohn Johann
Rheinberger, 1763 bis 1815. Dieser nutzte die Gunst
der Stunde, denn im Zeitraum von 1770 bis 1786
wurde die «Deutsche Strasse» von Bregenz bis
Chur vom Saumpfad und Karrenweg zur befahrba-
ren Strasse ausgebaut, das Verkehrsaufkommen
nahm dadurch stark zu. Er modernisierte den
Löwen und erhöhte ihn um ein zweites Oberge-
schoss, wodurch weitgehend der uns heute vorlie-
gende Gasthof in seiner markant spätbarocken Ge-
staltung entstand.
Die Baumassnahmen umfassten im Altbau vor
allem den Ersatz der bisherigen Butzenscheiben
durch lichtdurchlässigere, fein profilierte Spros-
senfenster (Abb. 20), wie sie seit Mitte des 18. Jahr-
hunderts von Frankreich her kommend vorerst an
Bürgerhäusern, dann im ausgehenden 18. und
beginnenden 19. Jahrhundert auch an Bauernhäu-
sern an Beliebtheit gewannen. Dabei wurden in-
nenseits gleich die Fensteiieibungen etwas gewei-
tet und die für Butzenscheiben konzipierten, nun
veralteten Sitzbänke in den Fensternischen ent-
fernt, denn nun flutete Licht in die Räume. Aus-
senseits gerundete, hölzerne Kreuzstöcke unterteil-
ten die Öffnungen der Fenster. Diese Fenster von
1786 gehörten hierzulande zu den ersten Spros-
senfenstern schlechthin. 2 9 Diverse dieser Fenster-
flügel sind bis 1986, also während 200 Jahren, in
Funktion verblieben - nun aber mit der aktuellen
Renovation ersetzt. In der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts übernahmen ziervolle Schrankmöbel
die Funktion des Raumschmuckes - damit aber
haben Wand- und Deckenmalereien ausgedient.
So liess Johann Rheinberger denn auch alle Räume
im Altbau neu überputzen und damit die 1744
angebrachten Ausmalungen verdecken. Die räum-
liche Erweiterung um ein zweites Obergeschoss
verlangte nach Einbau eines breiteren, zweiläufi-
gen Treppenaufganges vom Erdgeschoss bis ins
Dachgeschoss, versehen mit einem schmucken Ba-
lustraden-Geländer barocker Art. Ein in der Süd-
westmauer des Ganges 15 gelegenes, 1744 ausge-
maltes Fenster wurde dabei zugemauert. Aus den
Rentamtsrechnungen von 1786 3 0 über die Einnah-
men der herrschaftlichen Ziegelei Nendeln ist zu
entnehmen, wie Johann Rheinberger für seinen
Umbau 5130 Stück Dachziegel, 2 550 Stück Ton-
platten für Fliesenböden und 78 Stück Schnittlinge
(spezielle Dachziegelformen) bezog.3 1
Im Kellergeschoss sind keine wesentlichen, den
Umbaumassnahmen von 1786 zugewiesenen Ver-
änderungen festgestellt. Und auch das Erdgeschoss
verrät wenig von den Eingriffen um 1786; nebst
der Erneuerung und Weitung der Fenster und ei-
nem Türdurchbruch zwischen den Räumen 13 und
14 dürften die Bauarbeiten vor allem Bodenbeläge
und Wandverkleidungen betroffen haben. Die be-
stehende Bau- und Raumstruktur blieb respektiert.
Der Raum 13 erhielt zwei neue Türdurchbrüche
und eine Trennwand eingestellt (Abb. 17). Raum
18 wurde gegenüber Raum 15 durch eine Scheide-
wand abgetrennt.
Das erste Obergeschoss entbehrte ebenso wie
das Erdgeschoss wesentlicher struktureller Ände-
rungen. Zu Gunsten der neuen, breiteren Treppe
wurde die Trennwand zwischen den Räumen 24
einerseits und 25-26 andererseits um etwa 60
Zentimeter zurückversetzt und das hier über Raum
24 ziehende, bemalte Deckengebälk abgetrennt
(Abb. 25). Zu den Fenstern gelten dieselben Be-
funde wie im Erdgeschoss. Auch hier haben wir
noch einige Fensterflügel von 1786 bis ins Jahr
1987 in Verwendung vorgefunden.
29) A m museal versetzten «Sehel lenberger»-Wohnhaus sind sogar
1793 d noch neue «unechte» Butzenfenster angeschlagen worden.
Butzenscheiben sind mundgeblasen, die Verdickung im Zentrum,
genannt «Butzen». war der Blasrohransatz. «Unechte» Butzenschei-
ben sind aus Flachglas geschnitten und kommen in der Obergangs-
zeil vom Butzenglas zum Sprossenfenster verbreitet vor.
30) Ospelt, Josef: Aus den Bentamtsrechnungen für 1786: In: JBL,
Band 48 (1948), S. 21 f.
31) Interessant sind hieraus auch die gesamten Produktionsmengen
der hierzulande einzigen Ziegelei: Im ganzen Jahr 1786 wurden
drei Brände beschickt mit insgesamt 1 7 850 Dachziegeln, 1510
Bodenplatten, 150 Schnittlingcn und 158 Hohlziegeln (als Firstzie-
gel): zudem drei Brände Kalk.
237
Plan 14: Das 2. Oberge-
schoss von 1786, Grund-
riss 1:200
Strasse
0 10 m
aussen
10 m
Plan 15: Querschnitt durch
ein T ü r r a h m e n p r o f i l von
1786, 1:2
Das 2. Obergeschoss stammt vom grossen Aus-
bau von 1786 d und verdrängt den dort aufgelege-
nen Dachstuhl von 1666 d (Plan 14). Das Geschoss
ist zu beiden Längsseiten mit einem Mansarddach
versehen, einem charakteristischen Gestaltungs-
element spätbarocker Landhausarchitektur - be-
nannt nach den Pariser Architekten Francois Man-
sart (t 1666) und Jules Hardonin-Mansart (1646-
1708). Ein für barockes Bauen typischer, kreuzför-
mig angelegter Längs- und Quergang gliedert das
Geschoss mit den grosszügigen Räumen 31 bis 36.
Die beiden giebelseitigen Aussenmauern sind in
verputztem Rüfestein-Massivmauerwerk hochge-
führt. Die Binnenwände wurden in statisch/funk-
tionellem Riegelwerk erstellt, mit Rüfesteinen aus-
gefacht und vollflächig überputzt (Abb. 33). Alles
Konstruktionsholz ist handgehauen und zur Putz-
haftung teils aufgebeilt, teils mit Holzzäpfchen be-
spickt und partiell gar mit aufgenagelten Hasel-
ruten überzogen. Einzig in Raum 31 blieb das Rie-
gelwerk an der Südost- und Südwestwand vorerst
weiss übertüncht sichtbar.
Sämtliche Räume trugen Gipsdecken auf Latten-
rosten und Strohlehm-Grundputz, in den Räumen
238
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32 und 35 je mit umlaufenden, schlichten Stuck-
profilen und ebensolchen Wandfriesen und Wand-
kehlen bereichert, in Raum 35 zudem mit zwei
Deckenspiegeln, jedoch frei von Ornamenten. Da-
bei glichen die Stuckprofil-Querschnitte jenen der
Türrahmen. Nebst der klaren Raumstruktur galt
die Aufmerksamkeit der Bauherrschaft besonders
der schmucken Ausführung der Türen in beidseits
zeittypisch profilierten Rahmen, angeschlagen an
ziervoll gedrehten Fischbändern (Plan 15). Sämt-
liche Bodenbeläge, Wandputze und Deckenverklei-
dungen sind der Renovation von 1987 zum Opfer
gefallen.
Dachgeschoss und Dachstuhl wurden 1786 ein-
heitlich als Walmdach neu aufgesetzt, konzipiert
als Estrichraum für Lagerhaltung. Eine Lukarne
mit Aufzugladen über der strassenseitigen Nord-
ostfassade ermöglicht die Beschickung mit Waren
direkt ab Fuhrwerk von der Strasse her.
Der Dachstuhl ist aus handgehauenem Nadel-
holz sorgfältig in liegender Konstruktion gezim-
mert, mit aufgelegtem Sparrendach ohne First-
pfette - so ergibt der in einer Art Sprengwerk ab-
gebundene Stuhl einen stützenfreien Grossraum
A b b . 32: 1. Obergeschoss,
Raum 26, Nordostwand;
grau bemaltes Sichtfach-
werk, i m Feld rot auf-
gemalt oben: « 1 7 7 2 FR»
(wohl f ü r Ferdinand
Rheinberger), unten:
« 1 7 7 3 ...»
A b b . 33: Das 2. Oberge-
schoss von 1786 d mit
Quer- und Längsgang ,
rechts hinten der Saal 35;
B i n n e n w ä n d e in rein
statischem, verputztem
Fachwerk; nach dem
Entputzen 1987, von
Westen gesehen
239
Abb. 34: Der sorgfäl t ig
verzimmerte, liegende
Dachstuhl von 1786 d
(Abb. 34). Einfache Zierfasen an den Binderbalken
bezeugen die Sorgfalt und den Berufsstolz der Zim-
merleute. Dachgeschoss und Dachstuhl sind frei
von Russ, das heisst, die Kamine führten spätes-
tens seit 1786 den Rauch aus Herd und Ofen übers
Dach hoch ins Freie. 3 2 Die Konstruktion bleibt über
die neuliche Renovation hinaus eindrückliches Bei-
spiel barocker Zimmermannsarbeit.
Zur Datierung des charakteristischen Umbaues
von 1786 liegen einerseits die in der Dachkehle
über der Nordostfassade aufgemalte Jahrzahl,
andererseits Einträge in der Familiengeschichte
Rheinberger vor. Eingehende dendrochronologi-
sche Datierungen am Bauholz bestätigen das Bau-
datum. Sämtliche untersuchten Bauhölzer sind
einheitlich im Herbst/Winter 1785/86 gefällt wor-
den, so fünf Deckenbalken über der Küche 11-12
(gefällt im Winter/Frühling 1786), drei Deckenbal-
ken über den Räumen 23 bis 28, acht Balken aus
Boden und Fachwerkwänden des zweiten Oberge-
schosses, sowie sechs Balken aus dem Dachstuhl.
Das übereinstimmende Zusammentreffen zweier
verschiedener Datierungen wie aufgemalte Jahr-
zahl und dendrochronologisch ermittelte Bauholz-
Fälldaten widerlegt einmal mehr die landläufige
Meinung, Bauholz sei früher vor seiner Verwen-
dung besonders lang und sorgfältig getrocknet
worden. Das Gegenteil ist der Fall, denn schlagfri-
sches Holz lässt sich merklich besser von Hand be-
arbeiten als trockenes - was wir bei der heutigen
Mechanisierung kaum mehr wahrnehmen. Auch
konnte damals Bauholz nicht ab Lager gekauft
werden, der Bauherr holte die Stämme selber aus
dem Walde.
240
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Bauten und Erneuerungen im
ausgehenden 19. und 20. Jahr-
hundert
Plan 16: Das 1. Oberge-
schoss von 1838, Grund-
riss 1:200
— Strasse —
1881 entstand entlang der Südostfassade ein
zweigeschossiger Laubenanbau in zeittypischer
Holzarchitektur (Abb. 6); zweifellos ein beliebter
Aufenthaltsort der Gäste, mit dem grandiosen Aus-
blick über Weingärten und Schloss Vaduz in die
nahen und fernen Berge. In den Gaststuben 14 und
32) Hierzulande werden Kamine vor allem seit der zweiten Hälfte
des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis übers Dach
hochgeführ t , bis dahin münde t en Kamine im Dachraum, wodurch
Dachstühle vom Rauch verrussten und teilweise richtiggehend
verpechten.
1838 wurde im Löwen wieder umgebaut. Das erste
Obergeschoss erhielt eine Raumstruktur barocker
Art mit zeittypischem axialem Erschliessungsgang
eingepasst (Plan 16). Hierzu traten die Räume 21
und 23 je die erforderliche Baufläche ab. Die neuen
Gangwände sind in überputztem Fachwerk erstellt,
die bisherige Trennmauer zwischen den Räumen
23 und 28 als einstige Südwestmauer des Kern-
baues wurde abgetragen. Das Deckengebälk über
den Gaststuben 14 und 19 wurde erneuert. Hieraus
liefern uns vier Balken das dendrochronologisch
ermittelte Baudatum 1838.
241
Die Ökonomiebauten
19 verkleidete maseriertes Brusttäfer die Wände.
Der strassenseitige Gasthof-Eingang erhielt an Stel-
le des bisherigen Stichbogens einen horizontalen
Sturz und neue Portalflügel.
Anlässlich einer Modernisierung um 1952 ist
der signifikante Laubenanbau von 1881 durch eine
eingeschossige, verglaste Veranda ersetzt worden.
Diese ist 1987 nun zu Gunsten einer besseren Ak-
zeptanz der barocken Architektur des Gasthofes
ersatzlos abgebrochen worden (Abb. 5).
Zudem wurden im 19. und beginnenden 20.
Jahrhundert im Zuge diverser Unterhaltsarbeiten
partiell Sprossenfensterflügel ersetzt. Im Zweiten
Obergeschoss erfuhr der Saal 35 durch Einstellen
von Trennwänden eine Dreiteilung - wobei die dor-
tige Stuckdecke teilweise zerstört wurde - und der
Raum 36 erhielt Abstellkammern eingebaut.
1804 entstand der mächtige Ökonomietrakt mit
Torkelraum, Pferde- und Viehstallungen, Tenne
und Heuraum, wie er noch heute die eindrückliche
Erscheinung des Löwen mitprägt (Pläne 17 bis 19,
Abb. 35 und 36). Der Hanglage wegen entspricht
sein Erdgeschoss-Niveau jenem des Kellergeschos-
ses im Gasthaus. Es barg den Torkelraum (Abb.
37) , sowie grosse Pferde- und Viehstallungen (Abb.
38) , im Obergeschoss lagen über dem Torkel Werk-
und Lagerräume, über den Ställen die Tenne und
der Heuraum. Eine Auffahrtsrampe führte von der
Strasse her gleich in die Tenne hoch. Ein mächtiges
LIalbwalmdach mit liegender Stuhlkonstruktion
überspannt den Heuraum stützenfrei und über-
deckt etwa 2 500 Kubikmeter umbauten Ökonomie-
raum. Die Aussenmauern sind über beide Geschos-
se hoch besonders sorgfältig in Bruchsteinen ge-
fügt, innen unverputzt, aussen dünn überputzt.
Wiederum zeigen sich Tür- und Fensterleibungen
in Tuffquadern gesetzt, die Tür- und Fensterstöcke
wurden in Holz gefertigt. Die Binnenwände über
dem Torkelraum bestehen aus überputztem Fach-
werk. Fünf Deckenbalken über dem Torkelraum
und sechs Scheunen-Dachbalken sind, dendro-
chronologisch ermittelt, im Herbst/Winter 1803/04
gefällt worden.
Im 19. und 20. Jahrhundert wurde zwar die
Stallscheune da und dort renoviert und momenta-
nen Nutzungsbedürfnissen angepasst, so trägt ein
Deckenbalken über dem Pferdestall die Jahrzahl
1886 eingekerbt und verweist wohl auf solcherlei
Baumassnahmen, doch wesentliche strukturelle
Änderungen sind nicht bemerkt.
Bereits zum Kernbau des 14. Jahrhunderts muss
an Stelle des heutigen Torkelraumes ein Anbau ge-
standen haben, entsprechende Fundamentreste
sind zwar festgestellt, geben sich aber nicht mehr
ganzheitlich zu erkennen.
Anlässlich der Gasthoferweiterung von 1666 d
stand an aktueller Stelle bereits ein Gebäude mit
nordostseitiger, hölzerner Giebelwand in Bohlen-
ständer-Konstruktion und einer Firstrichtung quer
zur Strassenachse. Entsprechende Befunde haben
sich als Negative im aussenseitigen Mauermörtel
der 1666 neu erbauten Südwestmauer zu den
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480.00 Südwesten Nordosten
478.00
476.00
474.00
472.00
470.00
468.00
466.00
Gehboden
im 14. Jh.
464.00
Baugrund-Niveau
im 14. Jh.
KG
—I
10 m Plan 17: Querschnitt durch
den Gasthof von 1776,
1:100; in dunklem Grauton
der Kernbau des 14. Jahr-
hunderts, in hellem Grau-
ton die Erwei terung von
1666
243
Plan 18: Das Kellerge-
schoss bis 1987, Grundriss
1:200
Abb . 35: S ü d a n s i c h t der
Ö k o n o m i e b a u t e n von
1804; links die m ä c h t i g e
Stallscheune unter breitem
I lalbwalmdach, rechts das
Torke lgebäude
244
ZUR B A U G E S C H I C H T E DES H O T E L S LÖWEN - EINER
J A H R H U N D E R T E A L T E N T A V E R N E / P E T E R A L B E R T I N
245
A b b . 37: Nordeinsicht in
den Torkelraum von 1804
mit dem m ä c h t i g e n Press-
baum aus der Zeit um
1600
Räumen 15 und 16 abgezeichnet. Die vorgefundene
Dachschräge lässt sich zu einem zweigeschossigen
Gebäude mit flachem, etwa 22° geneigten Dach
für Legschindeldeckung rekonstruieren, wobei die
Traufe auf etwa 470.5 und der First auf etwa 473.0
m ü. M . gelegen haben mögen. Würde die Dach-
schräge zu einem symmetrischen Satteldach er-
gänzt, so hätte die seinerzeitige Scheune etwa
denselben Grundriss bedeckt, wie die heutige, bei
einer um ein Geschoss geringeren Höhe. In den
Mauern des heutigen Ökonomietraktes sind diverse
Teile älterer Rüfestein-Mauerscheiben bis knapp
ein Geschoss hoch noch erhalten, sie lassen sich
jedoch auf Grund unserer partiellen Untersuchung
nicht ganzheitlich erkennen. Zweifellos handelt es
sich aber um Bauteile von zum Löwen gehörigen
Ökonomiegebäuden.
Die mächtige Weinpresse ist 1805 nach dem
Neubau des heutigen Torkelgebäudes renoviert
worden (Abb. 37); zwei Bauhölzer der Hinterdogge
sind im Herbst/Winter 1804/05 gefällt worden. Der
Torkelbaum selber wurde, dendrochronologisch
ermittelt, nicht vor 1596 gefällt 3 3 - was sich durch-
aus mit unseren Befunden deckt, wonach 1666
bereits ein Ökonomietrakt stand mit etwa dem-
selben Gebäudegrundriss wie der heutige von
1804.
246
ZUR B A U G E S C H I C H T E DES H O T E L S LÖWEN - EINER
J A H R H U N D E R T E A L T E N T A V E R N E / P E T E R A L B E R T I N
Ein bau- und architektur-
historischer Rundgang
Der Gasthof Löwen in Vaduz zählt mit seiner über
600-jährigen Geschichte zu den ältesten Wohnbau-
ten Liechtensteins, und mit seiner breiten Palette
bautechnischer und kunsthandwerklicher Elemen-
te zugleich zu den architekturhistorisch bedeutend-
sten. Mit der Renovation von 1987/89 erfüllt das
Objekt betriebstechnisch und gestalterisch neueste
Bedürfnisse, wie sie Gasthöfe der gehobenen Mit-
telklasse auszeichnen.
Das Äussere des markanten Gebäudekomplexes
repräsentiert die Erneuerung und Aufstockung des
Gasthofes 1786 in spätbarocker Gestaltung durch
den erst 23-jährigen Johann Rheinberger sowie
dessen Ökonomietrakt-Neubau von 1804. Das brei-
te Mansarddach - dessen Ursprünge liegen im
Paris des 17. Jahrhunderts - gewann vor allem im
ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert
in der spätbarocken Architektur der Ostschweiz für
kurze Zeit an Beliebtheit und kehrte gegen Ende
des 19. Jahrhunderts im Zuge des Französischen
Neubarocks nochmals zurück. Im Fürstentum
Liechtenstein liegt ausgeprägte barocke Wohn-
haus-Architektur nur spärlich vor. Die Fensteröff-
nungen des Erd- und ersten Obergeschosses ent-
stammen in ihrer Verteilung vor allem dem 17. und
18. Jahrhundert, die charakteristische Sprossen-
fenster-Teilung jedoch der Erneuerung von 1786.
Der Löwen gehört hierzulande zu den ersten mit
Sprossenfenstern - diesen seit 1750 ebenfalls von
Frankreich her kommenden «neuen Gläsern» -
ausgestatteten Bauten an Stelle der seit dem 15.
Jahrhundert verwendeten, weniger lichtdurchlässi-
gen, mundgeblasenen Butzenscheiben. Der Ökono-
mietrakt veranschaulicht mit seiner Erscheinung in
der weitestgehend originalen Architektur von 1804
mit den einst geräumigen Pferde- und Viehstallun-
gen und der mächtigen Heuscheune einerseits die
damalige überragende wirtschaftliche Bedeutung
des Löwen in einer Zeit grosser und prekärer Ver-
armung der Landbevölkerung - Johann Rheinber-
ger war 1807, mittlerweite 44-jährig, der grösste
Liegenschaftenbesitzer in Vaduz -, andererseits die
grosse Bedeutung des Pferdes im Handels- und Rei-
severkehr im ausgehenden 18. und 19. Jahrhun-
dert mit entsprechenden Stallungen und Futter-
vorräten entlang der zwischen 1770 und 1786 zur
Fahrstrasse ausgebauten «Deutschen Strasse».
Die kürzlich erfolgte Renovation macht sich vor
allem in der Detailausführung bemerkbar. Zu Guns-
ten einer besseren architektonischen Erscheinung
ist südostseits der verglaste Verandaanbau von
1952 ersatzlos abgebrochen worden. Alle teils bis
200-jährigen Sprossenfenster, mit den zugehörigen
zeittypischen, hölzernen Mittelpfosten und Fens-
terkreuzen - als nicht unwichtige Architekturele-
mente - sind durch Isolierfenster ersetzt. Über den
einstigen Stalltüren fehlen seit 1989 die für deren
Bauzeit von 1804 d charakteristischen Oberlichter,
die handgeschmiedeten Stallfenstergitter sind durch
industriell gefertigte ausgewechselt.
Der Innenausbau der Gasträume ist 1987/89
unter weitgehender Erhaltung der historischen
Raumstrukturen beinahe vollständig erneuert wor-
den, trifft aber mit seiner bunt historisierenden
Gestaltung in qualitätvoller Ausführung und der
gekonnt gewählten, vielfältigen Möblierung zwei-
fellos den Geschmack und die Zustimmung einer
breiten Gästeschar - und wäre eine eigene kunst-
geschichtliche Würdigung wert!
Die Gewölbekeller zeigen sich im Grossen und
Ganzen nach wie vor im Kleide des ausgehenden
14. Jahrhunderts.
Im Erdgeschoss vermag von der alten Sub-
stanz vor allem die stark ausgetretene, 600-jährige
Serpentinschwelle zur heutigen Küche zu beein-
drucken. Die Räume 15, 16, 17 und 18 zeigen die
Holzbalkendecke von 1666 d mit eingeschobenem
Schrägboden, nun gereinigt und partiell braun
überstrichen. Die einstige Rundbogentür des 14.
Jahrhunderts von Gang 11 in den mit einem Kreuz-
gewölbe überspannten Raum 13 vertritt nun als
Wandnische beispielhaft das ursprüngliche tuffstei-
nerne Rundbogen-Türgewände romanischer Ma-
nier aus der Zeit um 1380. In der Gaststube erin-
nert die versetzte Wandmalerei mit der «Anbetung
33) Frömmelt , Hansjörg: Winzerhäuser und Torkelbauten in Vaduz.
In: Vaduzer Wein. 100 Jahre Winzergenossenschaft. Vaduz. 1996,
S. 145.
247
Abb. 38: Nordosteinsicht
in die Pferdestallungen
von 1804, nach Abbruch
einer h ö l z e r n e n Trenn-
wand
des Christuskindes durch die Heiligen Drei Könige»
an die Bedeutung des Löwen in den Anfängen des
16. Jahrhunderts, als das Land unter der Herr-
schaft der Grafen von Sulz stand. Im Goethestüb-
chen dient das gestemmte Brusttäfer von 1881, neu
herausgeputzt, weiterhin als schmucke Wandver-
kleidung. Eine neue, eichene Treppe barocker Ge-
staltung - eine industriell gefertigte Kopie jener von
1786 - führt in die Obergeschosse. Die schwungvol-
len Wand- und Deckenmalereien von 1744 in ba-
rocker Rankenornamentik sind weg, doch versucht
die Rekonstruktion der Deckenmalerei in Raum
25/26 den optimistischen Geist jener Zeit über die
Jahre zu retten.
248
ZUR B A U G E S C H I C H T E DES H O T E L S LÖWEN - EINER
J A H R H U N D E R T E A L T E N T A V E R N E / P E T E R A L B E R T I N
Im zweiten Obergeschoss verursachte die Erwei-
terung der Gastzimmer um je ein Bad/WC die Re-
duktion des 1786 in barocker Manier kreuzförmig
angelegten Ganges, zur Hebung des Wohnkomfor-
tes sind die Wände aufgedoppelt - geblieben sind
die ziervoll profilierten Türrahmen von 1786.
Das Dachgeschoss dient weiterhin lediglich
extensiv als Estrichraum, so bleibt der qualitätvoll
abgezimmerte Dachstuhl von 1786 als Zeuge ge-
konnter Handwerksarbeit erhalten und sichtbar.
Aus dem Ökonomietrakt haben sich der haus-
eigene Landwirtschaftsbetrieb und die Weinkel-
terei bereits vor Jahren verabschiedet. Seit der
kürzlich erfolgten Renovation erfüllen die Räum-
lichkeiten neue Aufgaben. Im r ü c k w ä r t i g e n Teil des
Ökonomietraktes sind Nebenräume und haustech-
nische Installationen untergebracht. Tenne und
Heuscheune dienen losgelöst vom Gasthofbetrieb
als Verkaufs- und Ausstellungslokal für qualitätvol-
le Antiquitäten. Im Torkelraum mit der 1805 d
erneuerten, kräftigen Weinpresse und dem aus der
Zeit um 1600 d stammenden eichenen Torkelbaum
lädt eine grosse Tafel zum gesellschaftlichen Zu-
sammensein. Die einstigen Pferde- und Viehställe
sind in sorgfältiger Art zu einem grossen Saal
zusammengefasst. Die unverputzten Bruchstein-
mauern, hölzernen Tragkonstruktionen und das
gebündelt durch die hochliegenden, kleinen Fens-
ter einfallende Aussenlicht sorgen für eine beson-
dere Stimmung.
Abb. 39: Osteinsicht in die
Pferde- und Viehstallungen
nach dem sorgfä l t igen
Umbau mit Umnutzung
1987/89
249
ABBILDUNGSNACHWEIS
Alle P läne und Abbi ldun-
gen: Peter Alber t in und
Mitarbeiter/ innen; ausser:
Abb . 6: Liechtenstei-
nisches Landesmuseum,
Vaduz
Abb. 21: Heinz Preute,
Vaduz
ANSCHRIFT DES AUTORS
Peter Alber t in
Bauanalytiker
Etzbergstrasse 33
CH-8405 Winterthur
250
R E Z E N S I O N E N
R E Z E N S I O N E N / B A U - U N D KUNSTDENKMÄLER
IM FÜRSTENTUM L I E C H T E N S T E I N
Bau- und Kunstdenkmäler im
Fürstentum Liechtenstein
«BILDBAND MIT TEXT»
Die Darstellung vergangener Kulturbestände im
liechtensteinischen Talraum begleitet dessen Zer-
siedelung und Neubebauung wie ein Schatten.
Mittlerweile sind Denkmalschutz und Baudoku-
mentation zu Staatsaufgaben mit identitätsverge-
wissernder Funktion geworden. Der vorliegenden
Publikation ist es um die Identität, die «Seele» von
Bau- und Kunstdenkmälern zu tun. Deren einfühl-
same wie verständige Bewahrung, als Zeit- und
Stildokument, ist mit ein praktisches Anliegen des
Autors Anton Wilhelm. Wie aber kann ein über
Jahrhunderte geprägter Kulturraum zwischen zwei
Buchdeckel gefasst werden? Bereits der Buchtitel
nimmt Abstand von einer umfassenden Darstellung
des interessierenden Bestandes. Denkmäler «im
Fürstentum Liechtenstein» meint hier ausgewählte
Bau- und Kunstzeugnisse, im Lande lokalisierbar,
aber über dessen Grenzen hinausweisend. Zudem
haben sich Autor und Verlag für eine im Text eher
komprimierte, im Bildaufbau dafür grosszügige
Buchaufmachung entschieden. Der Kunsthistoriker
Anton Wilhelm kann für den Textteil auf eine um-
fangreiche Literatur, darunter einige jüngere Bau-
dokumentationen sowie eigene Arbeiten zurück-
greifen. Die Publikation ist kein Forschungsbeitrag,
sondern illustrierter Wissenstransfer für eine er-
klärtermassen weiter gezogene Leserschaft. Die
Mehrzahl der im Buch gezeigten Denkmal-Porträts
wurde vom spanischen Fotografen Ignacio Marti-
nez Suärez eigens für die Publikation erstellt. Dies
bringt einen malerischen Zug in die Betrachtung,
umso mehr als Wilhelm den Akzent auf die vorin-
dustrielle Vergangenheit, die «Alte Bau- und Wohn-
kultur» legt.
A N T O N W I L H E L M : B A U -
U N D KUNSTDENKMÄLER
IM FÜRSTENTUM
L I E C H T E N S T E I N
Dieth-Kulturverlag,
Lauterach, 1997.
263 Seiten, C H F 9 8 . -
ISBN 3-901 362-05-0
ÄLTEBE UND JÜNGEBE DENKMÄLEB
Die im Buch starke Präsenz bäuerlicher Wohn- und
Wirtschaftsgebäude ist gegenüber ähnlich pitto-
resken Liechtenstein-Bildbänden allerdings ein Ge-
winn. Das agrarische Liechtenstein ist hier nicht
einfach die reizvolle Beigabe zu Landesimpres-
2 5 3
sionen, sondern eben sichtbarer Niederschlag lan-
ge vorherrschender Wohn- und Lebensformen.
Schliesslich werden Bauernhäuser in Innenausstat-
tung und Funktion angesprochen. Durch Umbau-
ten scheinen einige von ihnen über Jahrhunderte
praktische Nutzungs- und Lebensorte geblieben zu
sein. Sinnvoll ist auch, dass im Text Verbindungen
hergestellt werden, die in den Bildern unausge-
sprochen beziehungsweise in der fotografischen
Individualisierung von Gebäuden auch unanschau-
lich bleiben. Wie immer aufschlussreich sind jene
Informationen, welche die örtliche materielle Kul-
tur in ihr nahes und weiteres Umland einbetten.
Auch hier kann Wilhelm an bereits Publiziertes
anschliessen, insbesondere an das derzeit sich in
Neubearbeitung befindliche Standardwerk von Er-
win Poeschel aus dem Jahre 1950.' Die Auslands-
verwiesenheit von Ortsansässigem zieht sich auch
in diesem Buch durch alle Bereiche, vom Rhein-
taler Bauernhaus über die spätgotische Kirchen-
plastik aus dem süddeutschen Raum bis zu den
Stationsgebäuden der österreichischen Eisenbahn
im Durchgangsland Liechtenstein.
Zu kurz greift der Band gegenüber dem eigenen
Vorsatz, «anhand von Bau- und Kunstdenkmälern
das Fürstentum Liechtenstein als Kulturraum vor-
zustellen». Letzterer ist eben nicht nur erhaltens-
wert, sondern auch wandelbar. Hier kann eine all-
zu kulinarische Darstellungsweise von Gebäuden
das kulturelle Gepräge verklären und verunklaren.
Zumeist begegnen uns die vom Autor beschriebe-
nen Objekte oder Objektgruppen als fein aus Dorf-
bild und -entwicklung herauspräparierte, sonnen-
beschienene und menschenleere Stilleben. Der
Zusammenhang von Ökonomie, Siedlungsgeschich-
te, Dorfwandel und Wohnformen bleibt unanschau-
lich und unerkannt. Damit wird der Kulturraum
nicht nur faktisch unterbelichtet: Sein bauliches
Erscheinungsbild wurde in den Jahrzehnten nach
dem Zweiten Weltkrieg stärker geprägt als in den
vielen Jahrhunderten zuvor. Angesichts anderer
Möglichkeiten der Bilddokumentation (historische
Bildvergleiche, Siedlungsaufnahmen, Veduten etc.)
entspricht die gewählte Präsentation auch einer
inhaltlichen Verkürzung des Kulturbegriffs.
RÜCKWÄRTSGEWANDTER KULTURREGRIFF
Wilhelm legt einen konservatorischen Akzent auf
bäuerliche und vorindustrielle Kulturzeugnisse.
Dies ist vor dem Hintergrund des anhaltenden
Landschaftsfrasses und einer grassierenden Bau-
wut nur zu verständlich. Problematischer ist es,
auch den Begriff des Kulturraums vom Tradierten
herzuleiten. Bereits im Geleitwort wird der zu-
nächst allgemein eingeführte Begriff der «Kultur-
landschaft» zurückbuchstabiert auf ein Ensemble
traditioneller Merkmale: Bauernhäuser, Dorfbrun-
nen, Kirche und Burg. Diesen Bestand gelte es als
«Kulturerbe» zu wahren, gegen dessen «Verun-
treuung» und gegenüber «störend eingreifender
neuzeitlicher Bauentwicklung». Was genauer unter
solchen Vorgängen zu verstehen sei, wird nicht
weiter erörtert. Tatsächlich verharrt das Buch in
einer unentschiedenen Stellung zu Bauten und
Bauentwicklungen der jüngeren Vergangenheit.
Angemessen und beinahe überfällig ist einerseits
die Aufnahme moderner Zweck- und Wohnbauten
in einen derart kursorischen Denkmalsführer zum
liechtensteinischen Kulturraum. Hier finden Ar-
chitekturdokumentation und Industriearchäologie
auch bei Wilhelm zu ihren vereinzelten Schaufens-
tern. Jedoch gerät hier die auswählende Präsenta-
tionsweise zu einer äusserst knappen bis dürftigen
Katalogisierung jener Denkmäler, mit und in denen
wir immerhin noch leben.
Gerade im Falle industrieller Grossbauten zei-
gen sich die Defizite einer Gebäude und Gebäude-
gruppen isolierenden Darstellungsweise. Vermisst
werden müssen Hinweise auf jenen Kontext, in
welchem Industriebauten in Liechtenstein entstan-
den sind und stehen, ebenso deren genauere Loka-
lisierung im Landschaftsbild. Während bei Bauern-
häusern oft noch Nutzungs- und Naturhintergrün-
de angesprochen und im Bild erahnbar werden,
sind Sprache und Bilder gegenüber den Fabriken
inhaltsarm und geglättet. Zur Textilfabrik Jenny,
Spoerry & Cie. in Vaduz wird wenigstens noch der
Produktionszweck und der sozialgeschichtliche Do-
kumentationswert des Baus angeführt. Anders bei
zwei modernen Industriebauten in Schaan. Der
254
R E Z E N S I O N E N / B A U - UND KUNSTDENKMÄLER
IM FÜRSTENTUM L I E C H T E N S T E I N
Text zu den drei bildlichen Gebäudestudien be-
gnügt sich mit einer Sprache, die sich kaum mehr
von firmeneigener Werbung unterscheidet. Mit ei-
nem bemerkenswerten Unterschied: Es bleibt un-
erwähnt, welche Produkte eigentlich in den Gebäu-
den konzipiert beziehungsweise fabriziert werden.
Hier stellt sich allerdings die Frage, was Autor und
Verlag bewogen hat, gegenwärtige Industriearchi-
tektur in die historischen Baudenkmäler Liechten-
steins zu reihen. Auch bei anderen Vertretern zeit-
geschichtlicher Architektur ist die kunst- und bau-
geschichtliche Aussagekraft gering bis ungenau. So
werden unter die Formensprache des «Neuen Bau-
ens» der Zwischenkriegszeit sowohl ein Wohnhaus
des Architektur-Pioniers Ernst Sommerlad als auch
das etwa zeitgleich entstandene Vaduzer Rathaus
von Franz Roeckle zusammengefasst. Dies ist ange-
sichts der auffällig historisierenden Züge des Rat-
hausbaus nicht nur eine künstlerisch merkwürdige
Assoziation. Die Einordnung Roeckles in die bau-
liche Moderne entbehrt auch nicht der biographi-
schen Ironie: Das Rathaus - schreibt Wilhelm - sei
«in seiner Bauform ganz dem damaligen Zeitgeist
verpflichtet». Franz Roeckle sass bei der Einwei-
hung des Rathauses noch im Vaduzer Gefängnis,
als nationalsozialistischer Mittäter der Rotter-Ent-
führung, in seiner Baugesinnung und wohl auch
politisch weit entfernt vom Zeitgenossen Ernst
Sommerlad.
bindungslinien, welche die Einordnung der kunst-
vollen Lebenszeugnisse in Entwicklungszusam-
menhänge und Siedlungskontexte erlauben, sind
jedenfalls noch nachzutragen oder von den Lesen-
den anhand der angegebenen Literatur selbst zu
ergänzen. Angesichts der von Wilhelm geübten
Aufmerksamkeit für Sakral- und Profanbauten der
älteren Vergangenheit wäre eine ebenso verstän-
dige Fortschreibung in die zeitgeschichtliche Ge-
genwart wünschbar und erhellend.
1) Erwin Poeschel: Die Kunstdenkmälor des Fürs ten tums Liechten-
stein. Basel, 1950.
FORTSCHREIBUNG IN DIE GEGENWART
Die Vorstellung des liechtensteinischen Kultur-
raums im vorliegenden Bildband folgt dem Verlauf
der Gemeinden von Norden nach Süden. Das von
Wilhelm beschriebene Kulturerbe erschliesst sich
freilich im Übergreifen dieser politischen Gliede-
rung. Hier gibt der Band einiges Anschauungsma-
terial für historische Verbindungen im liechten-
steinischen und weiteren Alpengebiet. Was eine
gerade durch die englischen und französischen
Vorworte angesprochene Leserschaft hierbei ver-
missen wird, ist eine kartographische Darstellung
des besprochenen Raumes. Kulturräumliche Ver-
255
ANSCHRIFT DES AUTORS
Mag. J ü r g e n Schremser
Pradafant 24
FL-9490 Vaduz
256
JAHRESBERICHT
DES HISTORISCHEN
VEREINS FÜR DAS
FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
Inhalt
Tätigkeitsbericht des Vereins pro 1998 259
Jahresrechnung des Vereins pro 1998 270
Archäologie: Tätigkeitsbericht 1998 276
Liechtensteiner Namenbuch:
Tätigkeitsbericht 1998 282
Historisches Lexikon für das Fürstentum
Liechtenstein: Tätigkeitsbericht 1998 284
258
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
Tätigkeitsbericht des Vereins
pro 1998
Wesentliche Ereignisse im Berichtsjahr waren -
nebst der Jahresversammlung in Vaduz - das Er-
scheinen von Band 95 und Band 96 der Jahrbücher
des Historischen Vereins. Daneben bemühte sich
der Verein auch erfolgreich um den Abschluss des
Forschungsprojektes «Nach Amerika!», die zwei-
bändige Publikation konnte schliesslich Ende No-
vember 1998 der Öffentlichkeit präsentiert werden.
Der Historische Verein setzte sich 1998 zudem
dafür ein, dass die Erinnerung an das europaweite
Revolutionsjahr 1848 auch in Liechtenstein wach-
gehalten wurde. Ein wichtiger Einschnitt in die
Vereinsgeschichte erfolgte durch die Abgabe der
Trägerschaft für die archäologische Forschung per
Ende 1998. Daraus erwachsende Konsequenzen
für die Vereinsstrukturen wurden im Vorstand
erörtert. Es war und ist dem Vereinsvorstand ein
Anliegen, dem Verein auch inskünftig eine mate-
rielle und finanzielle Basis für die Zukunft zu
sichern. Ein Blick in die Zukunft wurde insofern
auch getan, als verschiedene Projekte und Aktivitä-
ten im Hinblick auf das 100-jährige Bestehen des
Historischen Vereins im Jahre 2001 im Berichts-
jahr 1998 beschlossen wurden.
JAHRESVERSAMMLUNG
Die 97. Jahresversammlung des Historischen Ver-
eins für das Fürstentum Liechtenstein fand am 21.
März 1998 im Rathaussaal in Vaduz statt. Der Ver-
einsvorsitzende Dr. Rupert Quaderer eröffnete um
16 Uhr die Versammlung in Anwesenheit von zirka
85 Vereinsmitgliedern. Er begrüsste insbesondere
die anwesenden Vertreter des Landtages, verschie-
dene Ehrenmitglieder sowie Gäste aus der öster-
reichischen und schweizerischen Nachbarschaft.
Für die Jahresversammlung entschuldigt hatten
sich S. D. der Landesfürst, I. D. die Landesfürstin,
der Vaduzer Bürgermeister Karlheinz Ospelt sowie
verschiedene Vereinsmitglieder.
Nach der Begrüssung verlas Aktuar Helmut Kon-
rad das Protokoll der 96. Jahresversammlung vom
26. April 1997 in Triesenberg. Die anwesenden
Vereinsmitglieder genehmigten anschliessend das
Protokoll einstimmig. Die Jahresberichte des Vor-
standes sowie der verschiedenen vom Historischen
Verein getragenen Projekte wurden den Mitglie-
dern bereits vor der Jahresversammlung schriftlich
zugestellt. Der Vereinsvorsitzende Rupert Quaderer
blickte im Rahmen der Versammlung kurz auf die
im letzten Vereinsjahr durchgeführten Exkursionen
zurück und kündigte für das bevorstehende Ver-
einsjahr weitere Angebote an. Des weiteren ver-
wies er im Zusammenhang mit der Verlagstätigkeit
des Vereins auf das ausserordentlich grosse Inter-
esse, auf das die zweibändige Publikation «Krisen-
zeit - Liechtenstein in den Dreissigerjahren 1928
bis 1939» von Peter Geiger gestossen war. Der Ver-
ein dürfe stolz sein auf seinen Beitrag zum Erschei-
nen dieses Werkes. Dasselbe gelte auch für das
Jahrbuch Band 95, das die Mitglieder vor kurzem
erhalten hatten. Der Vorsitzende dankte allen Auto-
ren und Autorinnen sowie dem Geschäftsführer für
ihren grossen Einsatz.
Nach einigen Kurzinformationen zu den vom
Historischen Verein betreuten wissenschaftlichen
Projekten standen die Jahresberichte zur Diskus-
sion. Die Gelegenheit zur Diskussion wurde jedoch
nicht genutzt und die Berichte wurden in der Folge
einstimmig genehmigt.
Anschliessend stimmte die Mitgliederversamm-
lung der Aufnahme von 29 Neumitgliedern zu. Sie
gedachte auch der 15 im Berichtsjahr verstorbenen
Mitglieder. Ein besonderes Gedenken galt dem Le-
ben und Wirken des verstorbenen Ehrenmitglieds
Felix Marxer. Für ihn war der Historische Verein
bis an sein Lebensende eine Herzensangelegenheit.
Die Jahresrechnung war den Vereinsmitgliedern
wiederum zusammen mit den Jahresberichten in
gedruckter Form zugestellt worden. Kassier Alfred
Goop verlas die wichtigsten Posten der Jahresrech-
nung. Das erfreulich hohe Vermögen des Vereins
mit einem Aktivsaldo von CHF 402 107.79 musste
relativiert werden, da der Verein noch einen Rück-
stand in der Jahrbuchproduktion wettzumachen
hat. (Es sollte dann im folgenden Berichtsjahr 1998
gelingen, durch die Produktion von zwei Jahr-
büchern diesen Rückstand zu verringern.) Nach
dem Verlesen des Berichtes der Kontrollstelle wur-
259
de die Jahresrechnung 1997 einstimmig geneh-
migt. Ebenfalls einhellig gutgeheissen wurden die
Rechnungen der Fonds «Forschung und Publikatio-
nen» sowie «Nach Amerika!».
Die Mitgliederversammlung stimmte ebenso
dem Vorschlag des Vorstandes zu, die Mitglieder-
beiträge auf der bisherigen Höhe zu belassen. Auch
für 1998 galt, dass natürliche Personen CHF 7 5 - ,
juristische Personen und Kollektivmitglieder CHF
150.- sowie Studenten und Studentinnen CHF 40.-
als Jahresbeitrag zu entrichten hatten.
Unter dem Traktandum «Freie Aussprache» lud
der Vereinsvorsitzende Rupert Quaderer die Mit-
gliederversammlung ein, Anregungen und Vor-
schläge einzubringen, Kritik zu üben, Lob zu äus-
sern, etc. Zuerst nutzte Rupert Quaderer selbst die
Möglichkeit zu einigen Äusserungen.
Ausgehend von der Tatsache, dass die Regie-
rung sich Gedanken mache über grundlegende
strukturelle Veränderungen im kulturellen Bereich,
welche sich auch auf den Historischen Verein
auswirken könnten, unterstrich Rupert Quaderer
vor allem die Bedeutung des Jahrbuches: Es stelle
ein «wertvolles und wichtiges Ergebnis der Tätig-
keit des Vereins für die Geschichtsforschung des
Landes und damit für das Land selbst» dar. Um
dessen Publikation - es erscheint ununterbrochen
seit 1901 - weiterhin gewährleisten zu können, ist
eine mittelfristig gesicherte materielle Basis uner-
lässlich, sowohl für das Jahrbuch wie auch für die
Geschäftsstelle, ohne die das Erscheinen des Jahr-
buches in Frage gestellt sei. Der Vorsitzende appel-
lierte in diesem Zusammenhang an die Vereinsmit-
glieder um Unterstützung und brachte auch seine
Hoffnung auf das Verständnis der Verantwortlichen
im Staat zum Ausdruck.
Anschliessend meldete sich Robert Allgäuer,
Ehrenmitglied des Historischen Vereins, zu Wort.
Er bestärkte in seinem Votum die Worte des Vorsit-
zenden und hielt zudem fest, dass fast alle kulturel-
len Institutionen in Liechtenstein den Historischen
Verein als Vater oder Mutter hätten und dass sich
der Verein auch heute noch in vielen Bereichen um
deren Gedeihen kümmere. Er unterstrich deshalb
den Appell des Vorsitzenden an die Mitglieder, den
Verein zu unterstützen und ihm allenfalls auch po-
litisch zu helfen, damit er seine Aufgaben weiterhin
wahrnehmen könne.
Robert Allgäuer äusserte sich auch besorgt be-
züglich der Entwicklung der Ereignisse in der Sa-
che «Anwesen Gamanderhof» in Schaan. Das Land
Liechtenstein und die Gemeinde Schaan hätten die
Möglichkeit, dieses bedeutende und historisch ein-
malige Zeitzeugnis für die Geschichte der Gemein-
de und des Landes zu erwerben und damit in
öffentlichen Besitz zu nehmen. Allerdings dränge
die Zeit. Robert Allgäuer stellte deshalb den An-
trag, die Mitgliederversammlung solle in einer Re-
solution die Verantwortlichen in Staat und Gemein-
de ersuchen, alles zu unternehmen, damit der
Gutshof «Gamander» in den Besitz der öffentlichen
Hand komme.
RESOLUTION FÜR DEN ERWERB DES
«GAMANDERHOFES» IN SCHAAN DURCH DIE
ÖFFENTLICHE HAND
Die folgende Resolution wurde von den Anwesen-
den einstimmig - bei einer Stimmenthaltung -
angenommen: «Die öffentliche Hand - das Land
Liechtenstein und/oder die Gemeinde Schaan - hat
derzeit die grosse Chance, den <Gamanderhof> in
Schaan käuflich zu erwerben. Die Jahresversamm-
lung des Historischen Vereins ersucht die Verant-
wortlichen in Staat und Gemeinde, alles zu unter-
nehmen, damit der Gutshof <Gamander> in den
Besitz der öffentlichen Hand kommt».
Die von der Mitgliederversammlung angenom-
mene Resolution wurde im Berichtsjahr 1998 der
Regierung und der Gemeinde Schaan in schriftli-
cher Form zugestellt. Ergänzend dazu führte der
Historische Verein folgende erläuternde Beweg-
gründe an:
- Der «Gamanderhof» ist ein bedeutendes und
historisch einmaliges Zeugnis für die Geschichte
nicht nur der Gemeinde Schaan, sondern auch des
Landes Liechtenstein. Das Anwesen «Im Gaman-
der» war früher herrschaftlicher Besitz. Im Jahre
1780 verkaufte der Fürst von Liechtenstein den
260
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
«Meierhof Gamandra» samt den dazugehörenden
Grundstücken um 15 000 Gulden an die «Genoss
Schaan». 1941 schliesslich erwarb die Familie von
Halem das Anwesen «Im Gamander». Nun bietet
die Familie den Hof zum Verkauf an.
- Aus Gründen der Landschafts- und Ortsbild-Er-
haltung ist es wichtig, dass das Anwesen «Gaman-
derhof» mit dem heutigen Umschwung erhalten
bleibt. Da bei einem Verkauf dieses Objektes an Pri-
vate eine Parzellierung und Überbauung sehr
wahrscheinlich ist, sollte die öffentliche Hand die-
ses Objekt erwerben. Dabei geht es nicht in erster
Linie um einen «vorsorglichen Landerwerb», son-
dern um die Erhaltung und Sicherung eines histo-
risch wichtigen Objektes.
- Darüber hinaus ist der Erwerb dieses Gutshofes
durch die öffentliche Hand aber auch ein Zeugnis
für kulturell und historisch verantwortungsbewuss-
tes Denken und Handeln des Staates und der Ge-
meinde Schaan. Ausserdem hätte - bei einem Er-
werb durch das Land Liechtenstein - der Staat ein
äusserst repräsentatives Anwesen für vielseitige
Verwendungen zur Verfügung.
DANK UND AUSBLICK AUF DAS KOMMENDE
VEREINSJAHR
Abschliessend gab der Vorsitzende Rupert Quade-
rer einen Ausblick auf die Arbeitsschwerpunkte
des Historischen Vereins für das kommende Ver-
einsjahr. Im Zentrum der Bemühungen stehe die
Herausgabe des Jahrbuches Band 96, die Planung
und Durchführung von Exkursionen, die Vorberei-
tung des Vereinsjubiläums sowie die Klärung von
vereinseigenen Strukturfragen. Rupert Quaderer
verdankte schliesslich die finanzielle Unterstützung
des Vereins durch die Regierung und den Landtag
sowie weitere Unterstützungsbeitrage durch die
Gemeinden sowie private Gönnerinnen und Gön-
ner. Seinen Dank richtete er an die verschiedenen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den vom Ver-
ein getragenen Projekten und Publikationen. Eben-
so bedankte er sich bei den Vorstandsmitgliedern
für die angenehme und vertrauensvolle Zusam-
menarbeit. Ein weiteres Dankeschön richtete er an
alle Mitglieder für ihre Vereinstreue sowie an alle
Anwesenden für ihr Kommen.
GEPLANTE AKTIVITÄTEN FÜR DAS 100-JAHR-
JUBILÄUM
Im Februar 2001 darf der Historische Verein auf
die ersten 100 Jahre seiner Existenz zurück-
blicken. An der Mitgliederversammlung wurde die
Frage nach den geplanten Aktivitäten zum Vereins-
jubiläum gestellt. Der Vereinsvorsitzende erklärte,
der Vorstand habe sich diesbezüglich bereits Ge-
danken gemacht. Ideen seien vorhanden, zum Bei-
spiel die Erstellung einer Vereinsgeschichte, die
Aufnahme der Jahrbücher auf CD-Rom, die Erstel-
lung eines Gesamtregisters für die erschienenen
Jahrbücher sowie die Durchführung verschiedener
Veranstaltungen. Zuerst gelte es aber, die finan-
zielle Seite zu klären, bevor mit der konkreten Pla-
nung einzelner Projekte begonnen werden könne.
Anregungen und Ideen für weitere Aktivitäten wür-
den vom Vorstand gerne entgegengenommen.
ÖFFENTLICHER VORTRAG
Nach ein paar einleitenden Worten von Rupert
Quaderer zur Bedeutung des Revolutionsjahres
1848 für Liechtenstein, deren man sich aus seiner
Sicht zu wenig bewusst sei, referierte Professorin
Brigitte Mazohl-Wallnig von der Universität Inns-
bruck über die Revolution von 1848 in Europa un-
ter besonderer Berücksichtigung der Ereignisse im
Fürstentum Liechtenstein. Sie ging in ihrem Vor-
trag ausführlich auf die Vorkommnisse in Frank-
reich, Deutschland und Österreich ein und zeigte
zudem auf, wie der revolutionäre Funken auf
Liechtenstein hinübersprang. Auch wenn letztlich
die unmittelbaren Auswirkungen dieser Ereignisse
nicht so gross gewesen und in allen Ländern schon
bald die vorrevolutionären Verhältnisse (vorüber-
gehend) wieder hergestellt worden seien, so dürf-
ten doch die mittel- und langfristigen Folgen für
den Demokratisierungsprozess in diesen Ländern
261
nicht hoch genug eingeschätzt werden, stellte die
Referentin in einer abschliessenden Würdigung der
Ereignisse von 1848 fest.
VORSTAND
Der Vorstand des Historischen Vereins traf sich
im Berichtsjahr 1998 zu neun Sitzungen. Behan-
delt wurden im Wesentlichen die folgenden Ge-
schäfte: Vorbereitung der Jahresversammlung,
Veranstaltungen zum Gedenken an die Revolution
von 1848, Planungen für das 100-jährige Vereins-
jubiläum 2001, Strukturfragen betreffend den His-
torischen Verein, die vorgesehene Neuregelung
für die Arbeitsstelle Archäologie, die Buchprojekte
«Nach Amerika!» und «Borscht», die forcierte Pro-
duktion der noch ausstehenden Jahrbücher des
Historischen Vereins, die Neubestellung des Stif-
tungsrates für das Landesmuseum sowie der Inter-
net-Anschluss für die Geschäftsstelle.
ZUM GEDENKEN AN DIE REVOLUTION VON 1848
Aus Anlass des 150-jährigen Gedenkens an die
europaweite Revolution von 1848 gelangten der
Historische Verein, die Liechtensteinische Akade-
mische Gesellschaft, das Historische Lexikon sowie
das Liechtenstein-Institut mit einem gemeinsamen
Brief an den Landtag. In diesem Schreiben vom
9. März 1998 unterstrichen diese Organisationen
die Bedeutung des Jahres 1848 gerade auch für die
liechtensteinische Geschichte. So hiess es im Brief
unter anderem: «Die Ereignisse im Jahre 1848
sind für die Grundlegung der Volksrechte und die
Stärkung der Volksvertretung von grundsätzlicher
Bedeutung. Es ist der Schritt, der Untertanen zu
Bürgern machte und die Volksvertretung als demo-
kratisch legitimierten Mitträger der Staatsgewalt
interpretierte. Nach Auffassung der Unterzeichne-
ten wäre es sinnvoll, wenn der Landtag eine eigene
Festsitzung zum Jahr 1848 abhalten würde. Min-
destens aber sollte während einer ordentlichen
Landtagssitzung den 1848-er Ereignissen die ge-
bührende Aufmerksamkeit gewidmet werden. Wir
verweisen darauf, dass der Deutsche Bundestag im
Mai 1998 eine eigene Festsitzung zur Erinnerung
an 1848 abhält. Damit würdigt er die Bedeutung
der Revolution von 1848, die in vielen Staaten Eu-
ropas zum Aufbrechen einer breiten und sponta-
nen demokratischen Bewegung führte.» Der Land-
tag nahm zwar Abstand von einer Sondersitzung,
griff die Anregung aber dennoch auf und lud auf
den 4. September 1998 zu einer Veranstaltung in
den Schaaner Rathaussaal. Nach einem grundle-
genden Referat von Dr. Peter Geiger stellte sich der
Referent zusammen mit den Landtagsabgeordne-
ten Dr. Volker Rheinberger, Helmut Konrad, Paul
Vogt unter der Moderation von Dr. Rupert Quaderer
einer Podiumsdiskussion. Das Thema «1848» wur-
de im Berichtsjahr ferner durch den bereits er-
wähnten Vortrag an der Jahresversammlung des
Historischen Vereins sowie durch weitere Veran-
staltungen (unter anderem durch eine vom Histori-
schen Lexikon organisierte Tagung) aufgegriffen
und gewürdigt.
100 JAHRE HISTORISCHER VEREIN
Der Vereinsvorstand beschloss im Berichtsjahr, die
folgenden Projekte im Hinblick auf das Vereins-
jubiläum im Jahre 2001 zu realisieren:
- Verfassen einer Vereinschronik. Es ist dem Vor-
stand ein wichtiges Anliegen, die 100-jährige Ver-
einsgeschichte aufzuarbeiten und als Jubiläums-
band zu publizieren. Dafür wird ein Autorenteam
verschiedene Forschungsthemen bearbeiten und
quellenkritisch untersuchen. Zusätzlich zum Blick
in die Vergangenheit soll eine Standortbestimmung
des Historischen Vereins und eine Analyse der
zukünftigen Ziel- und Zwecksetzung des Vereins
vorgenommen werden.
- Sozusagen als Geschenk an seine Mitglieder und
Freunde möchte der Vorstand den gesamten Be-
stand der bisherigen Jahrbücher (im Umfang von
über 23 000 Seiten) auf eine CD-Rom aufnehmen
lassen. Gleichzeitig soll ein umfassendes Sach- und
Personenregister für die Bände 1 bis 100 erstellt
262
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
werden. Dieses wird zudem ergänzt durch ein Ver-
zeichnis von allen Autorinnen und Autoren sowie
durch ein Titelverzeichnis.
- Im Jubiläumsjahr selbst sollen auch verschie-
dene Veranstaltungen (Vorträge, Tagungen, Exkur-
sionen, Berichte in den Medien) realisiert werden.
ARCHÄOLOGIE
Im Berichtsjahr 1998 bekräftigte der Historische
Verein seine Absicht, die Trägerschaft für die Fach-
stelle Archäologie definitiv abzugeben. Dieser Ent-
scheid erfolgte im Einvernehmen mit der Archäo-
logie. Es stand nun im Kompetenzbereich der Re-
gierung, für die Archäologie entweder eine neue
Trägerschaft zu finden oder sie einer bereits beste-
henden Institution einzugliedern. Auf Antrag der
Regierung entschied der Landtag im Berichtsjahr,
die Archäologie neu dem Hochbauamt zuzuordnen.
Der Entscheid wird auf Anfang 1999 wirksam.
(Nähere Ausführungen hierzu sind im Jahresbe-
richt der Archäologie enthalten.)
Bereits für 1995 war die Herausgabe der Buch-
publikation «Borscht» geplant. Bei dieser Studie
handelt es sich um die wissenschaftliche Auswer-
tung der Altgrabung «Borscht» (Schellenberg), dar-
gestellt von Professorin Dr. Magdalena Maczynska.
Im Berichtsjahr konnte das Projekt durch Ge-
spräche des Vereinsvorstandes mit dem Leiter
der Archäologie, Hansjörg Frommelt, entscheidend
vorangetrieben werden. Mit Zustimmung der Re-
gierung wurde aus dem Budget 1998 der Archäo-
logie der Betrag von CHF 60 000 - ausgeschieden,
der dem Historischen Verein im Jahre 1999 zweck-
gebunden für das Buchprojekt «Borscht» zur Verfü-
gung stehen wird. Zusammen mit einer Spende der
LGT Bank in Liechtenstein aus dem Jahre 1995 -
sie wurde damals aus Anlass des 50. Geburtstages
von S.D. Fürst Hans-Adam IL gesprochen - ist
damit die Finanzierung der Publikation gesichert.
Die Publikation wird nun voraussichtlich im Früh-
jahr 1999 erscheinen. Vorgesehen sind ein Text-
band, ein Tafelband sowie ein Planband, wobei alle
drei Teile zusammen in einem Schuber abgegeben
werden. Die Archäologie zeichnet verantwortlich
für die Redaktion, das Werk wird im Verlag des
Historischen Vereins für das Fürstentum Liechten-
stein erscheinen.
STRUKTURFRAGEN BETREFFEND DEN
HISTORISCHEN VEREIN
Seit ihrer Errichtung im Jahre 1991 wird die Ge-
schäftsstelle des Historischen Vereins durch Ver-
waltungskostenbeiträge der vom Verein getrage-
nen wissenschaftlichen Projekte und Dienste finan-
ziert. Mit dem Weggang der Archäologie entfallen
die von dieser Fachstelle bisher entrichteten Ver-
waltungskostenbeiträge. Dieser Einnahmenverlust
wurde inzwischen durch Regierungsbeschluss mit
einer entsprechenden Erhöhung des Staatsbeitra-
ges an den Historischen Verein kompensiert. Dem
Vereinsvorstand ist es jedoch ein Anliegen, die
Finanzierung der vereinseigenen Geschäftsstelle
auf eine gesicherte Basis zu stellen. In Gesprächen
mit der Fürstlichen Regierung soll eine Lösung ge-
funden werden, welche die Aufrechterhaltung der
Geschäftsstelle mittel- bis längerfristig sicherstellt.
BUCHPROJEKT «NACH AMERIKA!»
Der Vorstand des Historischen Vereins bemühte
sich in Zusammenarbeit mit den Herausgebern
Norbert Jansen und Pio Schürt! im Berichtsjahr um
die Veröffentlichung der seit langem erwarteten
Neubearbeitung der 1976 erschienenen Geschichte
der liechtensteinischen Auswanderung nach Ame-
rika. In der Sitzung vom 26. August 1998 wurden
die Vorstandsmitglieder Volker Rheinberger und
Alfred Goop in eine Kommission gewählt. Deren
Aufgabe war es, bei Land, Gemeinden und Sponso-
ren vorzusprechen, um die notwendigen finanziel-
len Mittel für das Buchprojekt aufzubringen. Diese
Bemühungen waren von Erfolg gekrönt, so dass
der Vereinsvorstand Ende September grünes Licht
für die Buchproduktion geben konnte. Das zwei-
bändige Werk konnte schliesslich am 29. Novem-
263
ber 1998 im Foyer des Vaduzer Saales der Öffent-
lichkeit vorgestellt werden. Die Herausgeber und
der Historische Verein sind allen Spenderinnen
und Spendern zu grossem Dank verpflichtet. Einen
Überblick zu den eingegangenen Geldern gibt die
Fondsrechnung an anderer Stelle in diesem Jah-
resbericht.
Das Buch, welches in der Schweiz vom renom-
mierten Chronos Verlag in Zürich vertrieben wird,
stiess auf reges Interesse. In Band 1 ist die Aus-
wanderungsgeschichte im Überblick dargestellt.
Hilfreich ist das anschliessende Register mit per-
sönlichen Daten von allen bekannten Frauen und
Männern aus Liechtenstein, die emigrierten, er-
gänzt durch ein Personen- und Ortsregister für
Band 1 und Band 2. Einzelbiographien von Perso-
nen und Familien sowie persönliche Beiträge von
Auswanderern bilden den Bestandteil von Band 2.
Anders als bei der ersten Publikation von 1976,
welche sich auf Nordamerika beschränkte, wurde
in der Neubearbeitung auch die Auswanderung
nach Lateinamerika dargestellt. Das Thema wurde
somit um eine interessante Facette erweitert.
NACH AMERIKA!
GESCHICHTE DER LIECH-
TENSTEINISCHEN AUS-
WANDERUNG NACH
AMERIKA.
Hrsg. von Norbert Jansen
und Pio Schurti. Verlag des
Historischen Vereins für
das Fürstentum Liechten-
stein, Vaduz, und Chronos
Verlag, Zürich, 1998.
2 Bände, 268 und 298
Seiten, CHF 98.-
ISBN 3-906393-21-6
ISBN 3-905312-98-0
LIECHTENSTEINER SAGENBUCH
Das Liechtensteiner Sagenbuch ist seit längerer
Zeit vergriffen, der Text ist lediglich noch über
Erwerb des Jahrbuches Band 65 erhältlich. Da
das Sagenbuch aber immer wieder verlangt wird,
befasste sich der Vereinsvorstand mit einer Neu-
edition. Angestrebt wird eine vollständige Neube-
arbeitung und Neuausgabe des liechtensteinischen
Sagengutes mit Berücksichtigung des neuesten
Forschungsstandes in den Bereichen Volkskunde
und «oral history». Eine solche Neuausgabe soll
einerseits wissenschaftlichen Kriterien genügen,
andererseits aber auch allgemein verständlich ab-
gefasst sein. Das Buch soll gezielt auch als Lehrmit-
tel eingesetzt werden, der Vorstand des Histori-
schen Vereins äusserte diesbezüglich den Wunsch
für eine Zusammenarbeit mit dem Schulamt. Der
Vereinsvorstand gelangte im Berichtsjahr mit ei-
nem Schreiben an die Regierung mit der Bitte um
finanzielle Unterstützung für diese Neubearbeitung
und -edition des Liechtensteiner Sagenguts. Die
Regierung antwortete in positivem Sinn, verlangte
aber die Einreichung eines Konzeptes für dieses
Projekt. Der Historische Verein will die Neube-
arbeitung des Liechtensteiner Sagenbuches im
kommenden Jahr konkretisieren.
NEUBESTELLUNG STIFTUNGSRAT LANDES-
MUSEUM
Da die Mandatsperiode des Stiftungsrates für das
Liechtensteinische Landesmuseum im Berichtsjahr
zu Ende ging, musste dieses Gremium für die Man-
datsperiode 1998 bis 2002 neu bestellt werden.
Dem neuen Stiftungsrat des Landesmuseums ge-
hören als Vertreter des Historischen Vereins an:
Mag. Edmund Banzer, Hohenems (bisher), lic. phil.
Roland Hilti (bisher) sowie lic. phil. Eva Pepic
(neu), letztere beide aus Schaan. Eva Pepic ersetzte
das ausscheidende Stiftungsratsmitglied lic. phil.
Veronika Marxer. Der Historische Verein dankt
Veronika Marxer für ihren Einsatz als Stiftungs-
ratsmitglied in den vergangenen vier Jahren, ist
264
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
gleichzeitig aber auch dankbar dafür, dass sich die
bisherigen Mitglieder Edmund Banzer und Roland
Hilti bereit erklärten, auch die kommenden vier
Jahre im Stiftungsrat mitzuwirken. Ebenso gratu-
liert der Historische Verein dem neuen Mitglied
Eva Pepic für die ehrenvolle Wahl zur Präsidentin
des Stiftungsrates des Liechtensteinischen Landes-
museums.
GESCHÄFTSSTELLE
Die Geschäftsstelle des Historischen Vereins wurde
auch im Berichtsjahr 1998 von Klaus Biedermann
betreut.
Das Führen der Geschäftsstelle umfasst vor al-
lem administrative Arbeiten für den Verein, Korre-
spondenz, Teilnahme und Protokollführung an den
Vorstandssitzungen, Rechnungsführung und Buch-
haltung, Entgegennahme und Versand von Buch-
bestellungen, die Betreuung der Vereinsbibliothek
sowie des Tauschschriftenverkehrs, und - neu ab
Band 95 - auch die Redaktionsarbeit für das Jahr-
buch des Historischen Vereins. Trotz Übernahme
der redaktionellen Tätigkeit für das Jahrbuch blieb
die Geschäftsstelle ein Ein-Personen-Betrieb mit
einem Arbeitspensum von 50 Prozent. Die zusätz-
liche Arbeit des Geschäftsführers für das Jahrbuch
wurde gemäss Aufwand separat abgerechnet. Auch
die Entschädigung des administrativen Mehrauf-
wandes für die vereinseigene Publikation «Nach
Amerika!» erfolgt nach einem ähnlichen Modus,
sofern diese Mehrarbeit nicht mehr innerhalb des
50-Prozent-Pensums zu bewältigen ist. Der Ge-
schäftsführer Klaus Biedermann dankt an dieser
Stelle dem Vereinsvorstand unter dem Vorsitz von
Rupert Quaderer für das gewährte Entgegenkom-
men sowie für die stets angenehme und gute Zu-
sammenarbeit.
Im Berichtsjahr 1998 wurde die Geschäftsstelle
neu mit einem Internet-Anschluss versehen. Die
Home-Page wird 1999 definitiv eingerichtet, Kon-
takt via E-Mail-Nachrichten ist aber jetzt schon
jederzeit möglich, die Adresse lautet: hvfl@hvfl.li.
JAHRBÜCHER
Im Berichtsjahr kam der Historische Verein seinem
Ziel, den Rückstand in der Jahrbuch-Produktion
aufzuholen, einen wichtigen Schritt näher. Das
Jahrbuch Band 95 konnte am 6. März 1998 anläss-
lich einer Pressekonferenz in der Bibliothek des
Historischen Vereins der interessierten Öffentlich-
keit vorgestellt werden. Der darauffolgende Band
96 wurde im Rahmen einer kleinen öffentlichen
Feierstunde am 25. November 1998 in der «Alten
Weberei» in Triesen präsentiert.
Ein besonderes «Dankeschön» geht an die Liech-
tensteinische Landesbank in Vaduz, welche durch
eine grosszügige Spende die Publikation der in
Band 96 enthaltenen Studie von Manfred Tschaik-
ner ermöglichte. Die Untersuchung von Manfred
Tschaikner trägt den Titel «<Der Teufel und die
Hexen müssen aus dem Land> - Frühneuzeitliche
Hexenverfolgungen in Liechtenstein» und beinhal-
tet interessante neue Forschungsergebnisse zum
Thema. Zu Dank verpflichtet ist der Historische
Verein auch lic. phil. Arthur Brunhart, dessen Ver-
mittlungsbemühungen die Realisierung dieser auf-
schlussreichen Studie erst ermöglichten und der
auch erste Kontakte zur Liechtensteinischen Lan-
desbank knüpfte.
EXKURSIONEN
Im Berichtsjahr lud der Historische Verein seine
Mitglieder und weitere Interessierte zu zwei Ex-
kursionen ein. Die erste Exkursion nach Chur, die
am Samstag, 6. Juni 1998, stattfinden sollte, mus-
ste leider abgesagt werden, da zuwenig Anmeldun-
gen eingetroffen waren. Hingegen konnte der an-
gekündigte Ausflug nach Kempten durchgeführt
werden. Diese Exkursion wurde organisiert als ge-
meinsame Veranstaltung des Historischen Vereins
und der Erwachsenenbildung. Sie fand am 26. Sep-
tember 1998 statt. Unter der Führung des Kunst-
historikers Bruno Roth fuhren die rund 30 Exkur-
sionsteilnehmer/innen zuerst nach Isny. Dort gal-
ten Kurzbesuche der katholischen Stiftskirche und
265
der evangelisch-lutherischen Stadtkirche. Dann ging
es weiter nach Kempten, dem Hauptziel der Exkur-
sion. Das Hauptanliegen des Besuchs in Kempten
war eine geführte Besichtigung der dortigen Aus-
stellung «Bürgerfleiss und Fürstenglanz», welche
die spannungsgeladene Wechselbeziehung zwischen
der evangelischen Reichsstadt und der katholi-
schen Herrschaft des Fürstabtes von Kempten an-
schaulich darstellte. Zwischen Kempten und Liech-
tenstein besteht ja ein historischer Bezug; denn der
Kemptener Fürstabt Rupert von Bodman war es,
der das Gebiet des heutigen Fürstentums Liechten-
stein gegen Ende des 17. Jahrhunderts verwaltete
und die Verhandlungen leitete, welche zum Verkauf
der LIerrschaftsrechte auf dieses Territoriums an
das Fürstenhaus Liechtenstein führten.
MITGLIEDER
Folgende neun Personen, die ihre Mitgliedschaft
noch vor der Jahresversammlung angemeldet hat-
ten, aber im vorhergehenden Jahresbericht noch
nicht genannt sind, wurden an der Mitgliederver-
sammlung vom 21. März 1998 definitiv als Vereins-
mitglieder aufgenommen:
- Anny Biedermann, Bartlegroschstrasse 33,
9490 Vaduz
- Iris Friedli, Hega, 9497 Triesenberg
- Helmut Hilti, Hirschgraben 20, A-6800
Feldkirch
- Christian Marti, Reberastrasse 33, 9494 Schaan
- Floiger Marxer, Silligatter 285, 9492 Eschen
- Melitta Marxer, St. Annagasse 8, 9490 Vaduz
- Dominik Schatzmann, Buchenweg 2, 8889
Plöns
- Barbara Vogt, Gässle 26, 9496 Balzers
- Rösle Vogt-Hassler, Unterm Schloss 32, 9496
Balzers
Die nachstehenden 39 Personen und Institutionen
haben seit der letzten Jahresversammlung ihre
Mitgliedschaft angemeldet:
- Archäologie FL, Messinastrasse 5, 9495 Triesen
- Peter Amann, Brandiserweg 20, 9490 Vaduz
- Thomas Bargetze, Matschiisstrasse 5, 9495
Triesen
- Alois Beck, Täscherloch 777, 9497 Triesenberg
- Franz Biedermann, Geissmattstrasse 1, 6004
Luzern
- Dieter von Deichmann, Duxweg 36, 9494
Schaan
- Sigmund Elkuch, Jägerweg 5, 9490 Vaduz
- Franz Fillafer, Chr.M.Wielandstrasse 12, A-9020
Klagenfurt
- Franz Frick, Rheinstrasse 15, 9496 Balzers
- Hans Gassner, Cafe Guflina, 9497 Triesenberg
- Heimatmuseum Wilfersdorf, Brünnerstrasse 16,
A-2193 Wilfersdorf
- Irma Hübe, Hofi 464, 9497 Triesenberg
- Marcel Hermann, Hinterbühlen 648 H, 9493
Mauren
- Michael Hübe, Hofi 464, 9497 Triesenberg
- Johanna Hilti, Im Loch 1, 9494 Schaan
- Regula Imhof, Zu den drei Eichen, 9487
Gamprin
- Franz Kindle, Elgagass 2, 9496 Balzers
- Sylvia Konzett, Feldstrasse 74, 9495 Triesen
- Clemens Köstlin, Ahrenshooper Zeile 5,
D-14129 Berlin-Schlachtensee
- Prinz Christof von Liechtenstein, Los Naranjos
37, E-38360 El Sauzal/Tenerife
- Prinz Karl von Liechtenstein, Schloss Waldstein,
A-8122 Schloss Waldstein
- Prinz Luitpold von Liechtenstein, Weisskirch-
nerstrasse 21, A-8750 Judenburg
- Prinzessin Adelgunde von Liechtenstein, Schel-
lingstrasse 59, D-80799 München
- Asunta Link, 135 Soi Polo, Wireless Road,
10500 Bangkok, Thailand
- Liechtensteinische Gesellschaft für Umwelt-
schutz, Im Bretscha, 9494 Schaan
- Ludovic Marock, Vorarlbergerstrasse 44, 9486
Schaanwald
- Isolde Marxer, Seestrasse 336, 8038 Zürich
266
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
- Angela Matt, Am Exerzierplatz 2, 9490 Vaduz
- Eugen Nägele, Speckibündt 16, 9494 Schaan
- Bruno Näscher, Stelzengasse 173, 9487
Gamprin
- Wilfried Ospelt, Kirchstrasse 11, 9490 Vaduz
- Elfriede Quaderer-Vogt, Fürst-Johannes-Strasse
26, 9494 Schaan
- Patrik Schädler, Gschind 530, 9497 Triesenberg
- Marcel Schönenberger, Rütelti 705, 9497
Triesenberg
- Patrick Sele, St. Markusgasse 13, 9490 Vaduz
- Paula Weber-Hasler, Oberfeld 96, 9495 Triesen
- Eckhard Wollwage, Auf der Egerta 94, 9498
Planken
- Christa Zwiefelhofer, Platte 138, 9488 Schellen-
berg
- Thomas Zwiefelhofer, Fürst-Franz-Josef-
Strasse 52, 9490 Vaduz
Seit der letzten Jahresversammlung mussten wil-
den Tod der folgenden sieben Vereinsmitglieder
zur Kenntnis nehmen:
- Martin Gstöhl, Restaurant Eintracht, 9492
Eschen
- Albert K. Haas, Meierhofstrasse 44, 9495
Triesen
- Berta Jehle, Landstrasse 27, 9494 Schaan
- Franz Marten, Am Widagraba 5, 9490 Vaduz
- August Sprenger, Lettstrasse 18, 9490 Vaduz
- Otto Schürte, Sägastrasse 29, 9495 Triesen
- Emanuel Vogt, Ramschwagweg 82, 9496
Balzers
Sechs Mitglieder sind seit der letzten Jahresver-
sammlung aus dem Verein ausgetreten.
Ende Februar 1999 zählte der Historische Verein
für das Fürstentum Liechtenstein 801 Mitglieder.
P R O J E K T E DES HISTORISCHEN VEREINS
NEUBEARBEITUNG «DIE KUNSTDENKMÄLER
DES FÜRSTENTUMS LIECHTENSTEIN»
Der Historische Verein übernahm im Berichtsjahr
neu die Trägerschaft des Projektes «Neubearbei-
tung <Die Kunstdenkmäler des Fürstentums Liech-
tenstein»). Das 1950 erschienene und von Erwin
Poeschel verfasste Buch ist seit langem vergriffen.
Neue Forschungserkenntnisse sollen in eine nun
fällige wissenschaftliche Neubearbeitung einflies-
sen. Nachdem der Landtag in seiner Sitzung vom
16. September 1998 dem Finanzbeschluss über
diese Neubearbeitung zugestimmt hat, steht der
Weg für das weitere Vorgehen offen. Im Jahre 1999
soll eine geeignete Fachperson als Projektleiter
oder Projektleiterin angestellt werden, damit die
wissenschaftliche Neubearbeitung der liechtenstei-
nischen Kunstdenkmäler dann beginnen kann.
LIECHTENSTEINISCHES URKUNDENBUCH
Die Gewährung eines Verpflichtungskredites in
Höhe von CHF 410 000 - ermöglichte die Anstel-
lung von Claudius Gurt als Bearbeiter des Liechten-
steinischen Urkundenbuches für die kommenden
sechseinhalb Jahre. In diesem Zeitraum sollen die
für die Geschichte Liechtensteins wichtigen Urkun-
den aus der Herrschaftszeit der Freiherren von
Brandis (1416 bis 1510) bearbeitet und schluss-
endlich in transkribierter und kommentierter
Form der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wer-
den. Claudius Gurt hat seine Tätigkeit anfangs
1998 im Rahmen eines 50-Prozent-Pensums auf-
genommen. Er hat seinen Arbeitsplatz im Liech-
tensteinischen Landesarchiv in Vaduz. Wir danken
dem Landesarchiv für das Claudius Gurt gewährte
Gastrecht. Zu grossem Dank sind wir auch den
Sponsoren verpflichtet, die durch ihre finanzielle
Unterstützung die Anschaffung eines eigenen Com-
puters für die Urkundenbearbeitung ermöglichten.
Speziell um eine Finanzhilfe angesucht hatten wir
267
die Verwaltungs- und Privatbank in Vaduz, welche
einen Sponsoringbeitrag in Höhe von CHF 3 000.-
gewährte. Auch hat der Historische Verein im
Berichtsjahr eine grosszügige Spende der Hilti Fa-
milienstiftung, Schaan, erhalten, die für die Ko-
stendeckung dieser PC-Anschaffung eine wertvolle
Hilfe war.
VORARLBERGER SPRACHATLAS MIT
EINSCHLUSS DES FÜRSTENTUMS LIECHTEN-
STEIN, WESTTIROLS UND DES ALLGÄUS
(VALTS)
Im Berichtsjahr erfolgte die Veröffentlichung der
5. Lieferung von Band II. Sie umfasst 32 Karten
sowie zwei Kommentar-Lieferungen ä 32 Seiten;
die Kommentar-Lieferungen stellen die 14. und 15.
Teillieferung dar. Band II des Sprachatlasses doku-
mentiert den überlieferten Gebrauch der Mundart
in Bezug auf Langvokale und Diphthonge, Silben-
dehnungen und -kürzungen sowie den Konsonan-
tismus. Die 1998 gelieferten Karten behandeln zum
Beispiel Wörter wie «Knie», «tief», «heute», «ver-
lieren», aber auch Begriffe wie «Fuss», «Bube» und
«Besen». Die sprachwissenschaftlichen Untersu-
chungen über die politischen Grenzen hinaus bele-
gen historisch gewachsene Gemeinsamkeiten, aber
auch Unterschiede in einem regionalen Umfeld mit
gemeinsamen alemannischen Sprachwurzeln.
Verantwortlich für den Sprachatlas war auch
im Berichtsjahr Professor Dr. Eugen Gabriel, unter-
stützt vom wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Hu-
bert Klausmann. Während Professor Eugen Gabriel
sich auf die Fertigstellung von Band II konzentrier-
te, arbeitete Hubert Klausmann weiter an Band V,
der den Bereich «Wortgeographie» umfasst.
Das wissenschaftliche Projekt «Sprachatlas» ist
ein weitgehend vom Land Vorarlberg getragenes
Werk, das vom Land Liechtenstein mit einem An-
teil von 11,33 Prozent mitfmanziert wird. Der Hi-
storische Verein für das Fürstentum Liechtenstein
wird sich auch die kommenden Jahre bemühen, in
Zusammenarbeit mit Professor Gabriel, Herrn Dr.
Klausmann sowie mit den verantwortlichen Stellen
in Vorarlberg und Liechtenstein den «Sprachatlas»
zu einem guten Fortgang und Abschluss zu brin-
gen.
ARCHÄOLOGIE, NAMENBUCH UND
HISTORISCHES LEXIKON
Über die Tätigkeit der Archäologie sowie der Pro-
jekte «Liechtensteiner Namenbuch» und «Histori-
sches Lexikon» informieren separate Berichte, wel-
che diesem Jahresbericht im Anschluss an die Jah-
resrechnung beigefügt sind.
Triesen, 19. Februar 1999
Dr. Rupert Quaderer
Vorsitzender des Historischen Vereins
Klaus Biedermann
Geschäftsführer des Historischen Vereins
Vom Vorstand in seiner Sitzung vom 2. März 1999
beschlossen.
268
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
ANSCHRIFT
Historischer Verein
für das Fürstentum
Liechtenstein (HVFL)
Messinastrasse 5
Postfach 626
FL-9495 Triesen
Telefon 00423/392 17 47
Telefax 00423/392 19 61
E-Mail: hvfl@hvfl.li
269
Jahresrechnung des Vereins
pro 1998
ÜBER DIE EINNAHMEN UND AUSGABEN
VOM 1. 1. 1998 BIS 31. 12.1998
EINNAHMEN
BEITRÄGE UND SPENDEN in CHF in CHF
Mitgliederbeiträge 54 865.—
Landesbeitrag 80 000.—
Gönnerbeiträge:
- S. D. Fürst Hans-Adam II.
- Gemeinde Balzers
- Gemeinde Eschen
- Gemeinde Planken
- Gemeinde Triesen
- Gemeinde Vaduz tur 1997 und 1998
- Liechtensteinische Kraftwerke Schaan
- Liechtensteinische Landesbank Vaduz
- Hilti Familienstiftung Schaan
- Verwaltungs- und Privatbank für Urkundenbuch
- Private Einzelspenden
5 000.—
1 100.—
1 000.—
150.—
1 200.—
10 000.—
1 500.—
5 000.—
3 000.—
3 000.—
2 775.— 33 725.—
Spenden für Publikationsbeiträge:
- Gemeinde Vaduz
- Karl Mayer-Stiftung
- Guido Feger-Stiftung
- Liechtensteinische Landesbank Vaduz
20 000.—
13 883.90
13 000.—
10 000.— 56 883.90
Unkostenbeitrag des Landesmuseums für den Druck des
Jahresberichtes 1997 5 000.—
Unkostenbeitrag der Archäologie für Manuskriptbearbeitung 5 000.—
Anteilige Kostenbeiträge der vom Historischen Verein
getragenen wissenschaftlichen Dienste und Projekte
(Archäologie, Personen-Namenbuch, Historisches Lexikon)
für die Geschäftsstelle des Historischen Vereins 45 850.35
VERKAUF UND VERTRIEB DIVERSER PUBLIKATIONEN
- Jahrbücher und Sonderdrucke
- Rupert Quaderer: Militärgeschichte
- Mario Broggi: Landschaftswandel im Talraum
- Peter Kaiser: Geschichte des Fürstenthums Liechtenstein
- Alexander Frick: Mundarten
- Festschrift «1342»
- Arthur Brunhart: Biographie Peter Kaiser
- Fabriklerleben
- Liechtensteinisches Urkundenbuch
- Peter Geiger: Krisenzeit
- Manfred Tschaikner: Hexenverfolgungen in Liechtenstein
- Diverse Verkäufe
11 414.—
42.50
71.—
869.50
30.—
172.25
754.—
669.—
460.—
28 677.—
1 620.—
126.— 44 905.25
270
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
in CHF in CHF
ZINSEN
Bank- und Postcheck-Zinsen 3 445.35
TOTAL EINNAHMEN 1998 329 674.85
AUSGABEN
T A T T 1 1 T> T T f~~^ T T I 1 T~¥
JAHRBUCHER in CHF in CHF
Band 95:
- Satzarbeiten
- Gestaltung, Produktionsleitung (Restzahlung)
- Fotoreproduktionen
- Lithos
- Druck- und Buchbinderarbeiten
- Sonderdrucke
- Versand (inklusive Begleitschreiben)
- CD-Rom-Produktion
15 252.95
7 417.80
202.35
6 714.95
36 173.30
9 920.50
4 585.10
106.50 80 373.45
Band 96:
- Satz, Lithos, Druck, Buchbinder, Gestaltung und
Produktionsleitung
- Fotoreproduktionen
- Aufwand Redaktion
- Versand (inklusive Begleitschreiben)
- Diverse Spesen
96 807.25
417.40
5 495.85
4 471.50
35.— 107 227.-
Band 97:
Jahresbericht 1997:
- Gestaltung
- Druck
- Datenbeschaffung Jahresbericht
1 635.85
3 905.60
39.55
Total Aufwand Jahrbücher 193 181.45
PUBLIKATION «KRISENZEIT»
- Inserate, Werbung
- Foto-Spesen
264.05
62.60
Total Aufwand Publikation «Krisenzeit» 326.65
271
GESCHÄFTSSTELLE in CHF in CHF
- Personalkosten
- Büroaufwand
- Drucksachen
49 693.60
10 739.30
1 602.45
Total Aufwand Geschäftsstelle 62 035.35
PUBLIKATIONSBEITRÄGE 66 883.90
ÜBRIGE AUFWENDUNGEN
Abonnemente und Mitgliedschaften
Ankäufe für die Vereinsbibliothek
Computer für das Liechtensteinische Urkundenbuch
Diverse Spesen
Bank- und Postcheck-Spesen
2 374.75
1 555.06
7 570.05
2 344.05
815.91 14 659.82
TOTAL AUSGABEN 1998 337 087.17
ÜBERSICHT in CHF
VEREINSVERMÖGEN per 31. 12. 1998 394 695.47
Liechtensteinische Landesbank, Kontokorrent 83 162.40
Liechtensteinische Landesbank, D-Konto 1 347.20
Liechtensteinische Landesbank, Sparkonto 259 464.20
Postcheck-Konto 154 742.32
Kassa 881.75
Transitorische Aktiven 63 053.35
Transitorische Passiven ./. 167 955.75
EINNAHMEN- UND AUSGABENRECHNUNG
Total Einnahmen 1998 329 674.85
Total Ausgaben 1998 337 087.17
Vermögensverminderung 1998 ./. 7 412.32
+ Vereinsvermögen 1.1. 1998 402 107.79
VEREINSVERMÖGEN per 31. 12. 1998 394 695.47
272
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
FONDS
«FORSCHUNG UND PUBLIKATIONEN» in CHF in CHF
Vermögensstand per 31. 12. 1998 14 651.05
Banksaldo 31. 12. 1998 10 907.70
Erlös aus dem Verkauf der Publikation «Castellani» 1997
(Überweisung 1999) 3 092.85
Einnahmen:
- Erlös aus dem Verkauf der Publikation «Castellani» 1998
(Überweisung 1999)
- Zinsen
650.50
136.80 787.30
Vermögenszuwachs 1998 787.30
PUBLIKATION «NACH AMERIKA!» in CHF in CHF
Vermögensstand per 31. 12. 1998 ./. 5 353.95
Banksaldo 31. 12. 1998 68 324 —
Vermögensstand 1.1. 1998 16 027.70
Banksaldo 1. 1. 1998 1 020.50
Einnahmen:
Beiträge der öffentlichen Hand:
- Kulturbeirat Liechtenstein
A-Konto-Zahlung
Restzahlung (Überweisung 1999)
- Gemeinde Balzers
- Gemeinde Eschen
- Gemeinde Gamprin
- Gemeinde Mauren
- Gemeinde Planken
- Gemeinde Schaan
- Gemeinde Ruggell
- Gemeinde Schellenberg
- Gemeinde Triesen
- Gemeinde Triesenberg (Überweisung 1999)
- Gemeinde Vaduz
45 000.—
20 000.—
12 822.—
11 216.—
3 694.—
8 500.—
1 076.—
16 472.40
5 390.—
3 000.—
12 970.—
7 883.—
15 885.—
Total Beiträge der öffentlichen Hand 163 908.40
Stiftungen und private Donatoren:
- Administral Anstalt, Vaduz
- Firma Balzers AG, Balzers
- Karl Danzer Stiftung, Vaduz (Überweisung 1999)
- Stiftung Fürstlicher Kommerzienrat Guido Feger, Vaduz
- lic. iur. Harry Gstöhl, Vaduz
1 000.—
1 000.—
15 000.—
14 995.—
1 000.—
273
in CHF in CHF
- Erika Hautmann, Vaduz
- Hilti Familienstiftung, Schaan
- Firma Hoval AG, Vaduz
- Neue Bank AG, Vaduz
- Emil Nipp, Calgary
- Stiftung Propter Homines, Vaduz
- Dr. Karlheinz Ritter, Vaduz (Überweisung 1999)
- Dr. Norbert Seeger, Schaan
- Dr. Gregor Steger-Stiftung, Vaduz
- Verwaltungs- und Privatbank AG, Vaduz
5 000.—
20 000.—
1 000.—
5 000.—
1 295.—
50 000.—
3 000.—
1 000.—
3 000.—
10 000.—
Total Stiftungen und Donatoren 132 290.—
Zusätzliche Einnahmen:
- Erlöse aus dem Buchverkauf (Überweisungen 1999)
— Zinsen
43 347.—
43 497.15
Total Einnahmen 1998:
+ Vereinsvermögen 1.1. 1998
339 695.55
16 027.70
355 723.25
Ausgaben:
Manuskript- und Buchproduktion:
- Buchgestaltung
- Buchproduktion A-Konto-Zahlung
- Buchproduktion Restzahlung (Überweisung 1999)
- Manuskrintnroduktion Rpdaktion Prodiiktion,^hfi0'lpitiiri<y
und Lektorat, A-Konto-Zahlungen
- Manuskriptproduktion, Redaktion, Produktionsbegleitung
und Lektorat, Restzahlungen (Überweisungen 1999)
- Foto-Reproduktionen
- Zusätzliche Honorarzahlungen
35 571.—
30 600.—
62 628.—
109 066.25
97 847.80
1 562.35
19 800.—
Total Manuskript- und Buchproduktion 357 075.40
Werbung:
- Druck der Einladung zur Buchpublikation
- Spesen Versand Einladungen (Überweisung 1999)
- Inserate (Überweisung 1999)
1 455.95
697.80
1 248.05
Total Werbung 3 401.80
Zusätzliche Ausgaben:
Spesen Buchtransport (Überweisung 1999)
Spesen Buchversand (Überweisung 1999)
106.50
493.50
Total zusätzliche Ausgaben 600.—
Total Ausgaben 1998 361 077.20
274
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
EINNAHMEN- UND AUSGABENRECHNUNG
Total Einnahmen 1998 339 695.55
Total Ausgaben 1998 361 077.20
Vermögensverminderung 1998 21 381.65
+ Fondsvermögen 1.1. 1998 16 027.70
FONDSVERMÖGEN per 31. 12. 1998 . / . 5 353.95
PRÜFUNGSBERICHT
Auftragsgemäss habe ich die Rechnung über die
Einnahmen und Ausgaben vom 1. Januar bis zum
31. Dezember 1998 Ihres Vereins sowie die Fonds-
rechnungen «Forschung und Publikationen» und
«Nach Amerika!» geprüft.
Ich stelle fest,
- dass die Rechnung über die Einnahmen und
Ausgaben sowie die Fondsrechnungen mit der
Buchhaltung übereinstimmen,
- dass die Buchhaltung sauber und ordnungs-
gemäss geführt ist,
- dass der Aktivsaldo der Jahresrechnung (CHF
394 695.47) und die Fondsvermögen «For-
schung und Publikationen» (CHF 14 651.05) so-
wie «Nach Amerika!» (Passivsaldo CHF 5 353.95)
nachgewiesen sind.
Aufgrund des Ergebnisses der Prüfung beantrage
ich, dem verantwortlichen Kassier Alfred Goop so-
wie dem Rechnungsführer Klaus Biedermann
für die ausgezeichnet geführte Jahresrechnung zu
danken, ihnen Entlastung zu erteilen sowie die
Jahresrechnung und die Fondsrechnungen zu ge-
nehmigen.
Mauren, 2. März 1999
gez. Georg Kieber, Revisor
275
Archäologie:
Tätigkeitsbericht 1998
Das Berichtsjahr stand im Zeichen von Verände-
rungen in der Organisationsstruktur der Fachstelle
Archäologie. Der Hohe Landtag betraute die Fürst-
liche Regierung im Sommer 1995 mit der Aufgabe,
bis Ende des Jahres 2000 «eine dauernde Lösung
für die Archäologie zu finden und die notwendigen
gesetzlichen Grundlagen zu schaffen». Gleichzeitig
stellte er für die Weiterführung" der Archäologi-
schen Forschung in Liechtenstein für die Jahre
1996 bis 2000 einen Verpflichtungskredit zur Ver-
fügung. Wie bereits anlässlich des letztjährigen
Tätigkeitsberichts aufgeführt wurde, befassten sich
sowohl der Vorstand des Historischen Vereins für
das Fürstentum Liechtenstein wie auch die Fach-
stelle Archäologie seit geraumer Zeit mit der Neu-
organisation der liechtensteinischen Archäologie.
Ende 1997 wurde die Fachstelle Archäologie vom
Historischen Verein für das Fürstentum Liechten-
stein um eine Stellungnahme zum «Konzept zur
Neustrukturierung von staatlichen Kulturträgern»
gebeten. Dieses von der Regierung erarbeitete Kon-
zept sah die Schaffung einer «Kulturstiftung Liech-
tenstein» vor, in welche unter anderem die Fach-
stelle Archäologie integriert werden sollte. Die
Fachstelle Archäologie beurteilte dieses Modell
sowohl aus kulturpolitischen wie auch aus staats-
rechtlichen Gründen als ungeeignet. Sie regte die
Schaffung eines Amtes für Kultur an, welchem die
Abteilungen Denkmalpflege, Archäologie und Kul-
turgüterschutz angehören sollten. Als zweitbeste
aller Lösungen wurde die Eingliederung der liech-
tensteinischen Archäologie in ein bestehendes Amt
bezeichnet. Als Voraussetzung für die Realisierung
dieser Variante wurde die Ausstattung des archäo-
logischen Fachpersonals mit den entsprechenden
Kompetenzen definiert. Detaillierter wurde auf
dieses Modell nicht eingegangen. Nachdem sich
der Historische Verein für das Fürstentum Liech-
tenstein im Sommer 1998 für die Abgabe der Trä-
gerschaft über das Projekt Archäologie ausgespro-
chen hatte, wurde davon ausgegangen, dass die
künftige Organisationsstruktur in gemeinsamen
Gesprächen evaluiert wird. Der Fachstelle Archäo-
logie blieb jedoch diese Möglichkeit verwehrt. In
der öffentlichen Sitzung vom 22. Oktober 1998 hat
der Hohe Landtag auf Bericht und Antrag der
Regierung der Eingliederung der Fachstelle Ar-
chäologie ins Hochbauamt sowie der Schaffung
zweier Stellen beim Hochbauamt für die archäolo-
gische Betreuung des Landes zugestimmt. Erstmals
in der Geschichte der liechtensteinischen Archäolo-
gie, die seit bald 100 Jahren vom LIistorischen Ver-
ein für das Fürstentum Liechtenstein betreut und
mitgetragen wurde, sind somit ab 1999 im Stellen-
plan der Landesverwaltung des Fürstentums Liech-
tenstein zwei Stellen für archäologische Fachkräfte
vorgesehen. Der Tätigkeitsbericht der Fachstelle
Archäologie erscheint somit dieses Jahr das letzte
Mal im Jahresbericht des Historischen Vereins für
das Fürstentum Liechtenstein. Als Projektverant-
wortliche möchten wir uns beim Historischen Ver-
ein für das Fürstentum Liechtenstein für den un-
ermüdlichen Einsatz um die archäologische Er-
forschung des Landes bedanken. Er hat jahr-
zehntelang hoheitliche Aufgaben wahrgenommen
und gefördert. Unter seinem Patronat konnte eine
Fachstelle geschaffen werden, «die heute selbstän-
dig und unabhängig von ausländischen Institu-
tionen alle Aufgaben von archäologischem Inter-
esse wahrnimmt» (Kulturbericht der Regierung an
den Landtag. Nr. 61/1989, S. 53).
Im Berichtsjahr waren zwei archäologische
Fachkräfte vollamtlich bei der Regierung ange-
stellt. Zwei Archäologinnen, eine Restauratorin und
eine wissenschaftliche Zeichnerin waren in redu-
ziertem Arbeitspensum für die Fachstelle Archäo-
logie tätig. Sie hatten befristete Arbeitsverträge mit
dem Historischen Verein für das Fürstentum Liech-
tenstein. Eine Anthropologin, ein Restaurator, zwei
Archäozoologen und ein Numismatiker bearbei-
teten Spezialaspekte als selbständig erwerbende
Fachleute auf Honorarbasis. Vier Personen waren
im Rahmen von Praktika bei der Fachstelle Ar-
chäologie beschäftigt.
276
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
AUSWERTUNGEN UND ANALYSEN
Abgesehen von einer Notbergung im Sommer wur-
den im Berichtsjahr keine grösseren Notgrabungen
durchgeführt. So konnte die Bearbeitung abge-
schlossener Ausgrabungen weitergeführt werden.
Die Auswertung der römischen Keramikfunde
aus der Notgrabung «Areal Amtshaus/Balzers»
wurde weitergeführt. Die anlässlich dieser Not-
grabung gefundenen römischen Münzen wurden
ebenso bestimmt, wie die Mollusken- und Tier-
knochenfunde. Erste Untersuchungsberichte liegen
inzwischen vor.
Im Rahmen einer Lizentiatsarbeit bei Professor
Werner Stöckli an der Universität Bern befasste
sich ein Student während des ganzen Jahres aus-
führlich mit der Auswertung der Grabinventare der
Grabung «Foser/Kaufmann, Balzers (1981 bis
1983)». In diesem Zusammenhang wurde der Lei-
chenbrandbefund von einer Anthropologin unter-
sucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit werden in die
Auswertung der Grabinventare miteinbezogen.
Die anthropologische Auswertung der mensch-
lichen Skelette aus der Notgrabung «St. Florins-
gasse, Vaduz» konnte weitergeführt werden.
Die Funde aus der 1995 durchgeführten Notgra-
bung «Schlosskapelle, Vaduz» wurden zeichnerisch
erfasst. Die Untersuchung der in der Schlosskapel-
le getätigten Tierknochenfunde konnte zum Ab-
schluss gebracht werden.
Die Auswertung und Neuinterpretation des
Schellenberger Münzschatzfundes wurde im Be-
richtsjahr abgeschlossen. Dabei wurde erstmals
auch jener Teil des Münzschatzfundes wissen-
schaftlich bearbeitet, der im Anschluss an das Auf-
finden nach Vorarlberg in Privatbesitz gelangte.
Das Manuskript liegt im Entwurf vor. Die Druckle-
gung der aufschlussreichen Arbeit ist im Jahre
2000 vorgesehen.
Wie bereits im Vorjahr berichtet, wurde an der
Vorbereitung der Publikation «Borscht» weiterge-
arbeitet. Es handelt sich dabei um die wissen-
schaftliche Aufbereitung und Auswertung der über-
regional bedeutenden Altgrabung «Schellenberg/
Borscht (1935/36 und 1947 bis 1952)». Diese soll
Abb. 1: Schellenberger
Münzschatzfund. Böhmen,
Königreich, Wenzel IV.
(1378 bis 1419), Groschen
(«Prager Groschen») mit
drei Gegenstempeln, Rs.
mit Gegenstempel von
Feldkirch und des Riedlin-
ger Bunds . 0 27,4/
26,6 mm; 2,217 g. Privat-
besitz. Massstab 2:1
277
Abb. 2: Schellenberger Abb. 3: Schellenberger
Münzschatzfund. Kg. Münzschatzfund. Kg.
Sigismund (1410 bis Sigismund (1410 bis
1437), Nürnberg, Reichs- 1437), Goldgulden
münzstätte, Goldgulden (1414 bis 1419), Nürn-
(1414 bis 1419), Vs. berg, Reichsmünzstätte,
(S)IGI{S(MVnDV{S) RO RX; Rs. + MOnETA nOVA
Gekröntes Brustbild des nVREMG; Adler n.L, auf
Königs mit Schwert und Brust Schild mit Doppel-
Reichsapfel. 0 22,1/21,3 kreuz. Doppelschlag,
mm; 3,463 g. Privatbesitz. 0 22,1/21,3 mm; 3,463 g.
Massstab 2:1 Privatbesitz. Massstab 2:1
erstmals der interessierten Leserschaft in Form
einer Publikation zugänglich gemacht werden. Das
Projekt stand und steht unter der wissenschaft-
lichen Aufsicht von Eva Pepic. In der Zwischenzeit
sind die Arbeiten soweit fortgeschritten, dass der
Druck des dreibändigen Werks in einer Auflage von
zirka 600 Exemplaren im Frühjahr 1999 in Auftrag
gegeben werden kann. Die Regierung stimmte dem
Vorschlag der Fachstelle Archäologie zu, die Rest-
finanzierung der Fachpublikation aus Mitteln des
Budgets 1998 der Fachstelle Archäologie zu be-
streiten. Der Forderung des Landtags nach der
Auswertung und Veröffentlichung von alten Aus-
grabungsergebnissen kann somit Rechnung getra-
gen werden.
BAUÜBERWACHUNG, SONDIERUNGEN UND
DENKMALSCHUTZ
Wie in den Vorjahren zählte auch im Jahre 1998
die Kontrolle der Bautätigkeit in Liechtenstein zu
einer der Hauptaufgaben der Fachstelle Archäolo-
gie. In diesem Zusammenhang wurden sämtliche
beim Hochbauamt eingereichten Baugesuche ge-
prüft. Diverse Aushubprojekte wurde begleitend
beobachtet. Auf Meldungen von Privatpersonen hin
musste auf zwei Baustellen festgestellt werden,
dass archäologische Funde mit dem Bagger ange-
graben und teilweise zerstört worden waren.
In Gamprin «Oberbüel» wurden bei Tiefbauar-
beiten Holzkohleschichten zu Tage gefördert, deren
Bedeutung und zeitliche Einordnung zur Zeit un-
klar sind. Von einer naturwissenschaftlichen Datie-
rung der entnommenen Holzkohleproben wurde
einstweilen abgesehen.
Anlässlich von Tiefbauarbeiten in der «Aleman-
nenstrasse» in Eschen wurden alamannische Grä-
ber teilweise zerstört. Während einer mehrere
Wochen dauernden Notbergung konnten sieben
alamannische Gräber freigelegt, dokumentiert und
geborgen werden. Sie waren zum grossen Teil bei-
gabenlos. Zu den wenigen Funden gehören ein
Beinkamm, zwei Saxe (Hiebschwerte), ein Messer
und Bestandteile einer Gürtelgarnitur. Die Fund-
278
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
Objekte mussten zur umgehenden Konservierung
einem externen Restaurierungsatelier überlassen
werden.
Hansjörg Frommelt war auch im Berichtsjahr
wieder beratend für die Denkmalschutz-Kom-
mission der Fürstlichen Regierung tätig. Er unter-
stützte darüber hinaus die Arbeit der Denkmal-
schutz-Sachbearbeitung beim Hochbauamt. Stell-
vertretend für die verschiedenen Projekte seien die
Vorbereitungsarbeiten für die bevorstehenden Re-
novationen der Kapelle St. Maria in Triesen und
der Kirche St. Maria in Bendern sowie die Begut-
achtung mehrerer historischer Bauernhäuser auf-
geführt.
1 k
Abb. 4: Notgrabung
«Eschen/Alemannen-
strasse». Juli 1998.
Grab 7. Alamannische
Körperbestattung mit
Steineinfassung
Abb. 5: Notgrabung
«Eschen/Alemannen-
strasse». Beigabe aus
Grab 4: Beinkamm. Länge
7,2 cm. Massstab 1:1
279
EDV-PROJEKTE ARCHÄOLOGISCHES BÜRO
Die Fachstelle Archäologie hat den Auftrag, Altgra-
bungen wissenschaftlich zu bearbeiten und die Re-
sultate zu publizieren. Die Basis für diese Arbeiten
ist die Erfassung und Aufbereitung aller relevanten
Daten. In den Jahren 1988 und 1989 ist zu diesem
Zweck für die Fachstelle Archäologie eine Daten-
bank entwickelt worden. Eine projektbezogene
Weiterentwicklung konnte in der Folgezeit nicht in
Auftrag gegeben werden. In dieser Datenbank sind
inzwischen unzählige Daten gespeichert. Die Soft-
ware ist veraltet. Sie kann den wissenschaftlichen
Anforderungen der Archäologie nicht mehr gerecht
werden. Die Kantonsarchäologien Zürich und
Thurgau haben die Archäologie-Software SPATZ
entwickelt. Dieses Programm erfüllt die geltenden
wissenschaftlichen Standards. Die von der liech-
tensteinischen Archäologie auf EDV erfassten Da-
ten lassen sich in dieses Inventarisationsprogramm
übertragen. Damit kann die betriebseigene Daten-
bank den aktuellen Standards angepasst werden.
Die kontinuierliche Wartung des Programms ist ge-
währleistet. Darüber hinaus bietet SPATZ die Mög-
lichkeit der wissenschaftlichen Kommunikation mit
fachverwandten Institutionen. Diese Kommunika-
tion über Landesgrenzen hinaus ist für die tägliche
archäologische Arbeit von unschätzbarem Wert
und unerlässlich. Aufgrund des positiven Resultats
verschiedenster Abklärungen wird sich die liech-
tensteinische Archäologie am Softwareprojekt
SPATZ beteiligen. Ihre Mitarbeit bei der weiteren
Entwicklung der Programme wird begrüsst. Das
Projekt wurde in das EDV-Budget des Jahres 1998
aufgenommen. Das vom Landtag genehmigte Bud-
get für die Aktualisierung der archäologischen
Datenbank ist von der Regierung Ende des Be-
richtsjahrs freigegeben worden. Als Vertreterin der
Fachstelle Archäologie arbeitet Ulrike Mayr in der
Projektgruppe der Kantonsarchäologien Zürich
und Thurgau mit.
Im Herbst 1998 wurden die Arbeitsplätze der
Fachstelle Archäologie im Mehrzweckgebäude in
Triesen an die zentrale EDV-Anlage der Landesver-
waltung angeschlossen.
In Zusammenhang mit der Eingliederung der Fach-
stelle Archäologie ins Hochbauamt wurden Ende
des Berichtsjahrs erste vorbereitende Gespräche
geführt.
Wie in den Vorjahren wurden die Fund- und Do-
kumentationskataloge weitergeführt und wiederum
durch die neuesten Analysenergebnisse ergänzt.
Die Katalogisierung der wissenschaftlichen Hand-
bibliothek lief routinemässig weiter. Dabei leisteten
Praktikantinnen wertvolle Arbeit.
Am 7. Mai 1998 ist im Rätischen Museum in
Chur die Sonderausstellung «Schmuck aus den
Alpen. Von der Prähistorie bis zum Frühmittel-
alter» eröffnet worden. Von liechtensteinischer Sei-
te wurde dazu eine viel beachtete Auswahl archäo-
logischer Fundobjekte zur Verfügung gestellt. Die
Fachstelle Archäologie verfasste Objektlisten und
Legendentexte. Weiter bereitete sie die Objekte für
die Präsentation, die den ganzen Sommer hindurch
dauerte, vor.
Nach abgeschlossenem Architekturwettberweb
für die Renovation und Erweiterung des Liechten-
steinischen Landesmuseums bestellte die Regie-
rung im Berichtsjahr eine Arbeitsgruppe zur Ent-
wicklung und Realisierung eines Museums- und
Ausstellungskonzepts. In dieser Arbeitsgruppe mit
der Bezeichnung «Nutzergruppe Landesmuseum»
wird die Fachstelle Archäologie durch Hansjörg
Frommelt vertreten. Seit September 1998 trifft sich
die Arbeitsgruppe regelmässig zu Besprechungen.
Die zeitintensive Ausarbeitung des Museums- und
Ausstellungskonzepts wird die «Nutzergruppe»
noch bis zur Wiedereröffnung des Liechtensteini-
schen Landesmuseums beschäftigen.
Die Fachstelle Archäologie ist Mitglied im Ver-
band Schweizerischer Kantonsarchäologen. Wie in
den Vorjahren war sie an den Tagungen des Ver-
bands vertreten.
Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit wurden
zahlreiche Schulklassen durch die Arbeitsräume
der Fachstelle Archäologie geführt. Den Schülern
wurden bedeutende Fundobjekte ausführlich vor-
gestellt. Dieser Arbeit wird von den Mitarbeiterin-
280
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
nen und Mitarbeitern der Fachstelle Archäologie in
Anbetracht des seit Jahren geschlossenen Landes-
museums besondere Bedeutung beigemessen.
Anlässlich der Generalversammlung der Gesell-
schaft Schweiz-Liechtenstein hielten Ulrike Mayr
und Hansjörg Frommelt einen Vortrag mit dem
Titel «Die Geschichte der Gemeinde Balzers aus
archäologischer Sicht». Sie beteiligten sich an ver-
schiedenen Veranstaltungen mit Vorträgen und
Führungen. Erwähnt seien die Begehungen zu den
Burgruinen in Schellenberg anlässlich der Feier-
lichkeiten «300 Jahre Liechtensteiner Unterland»
im Herbst 1998.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachstelle
Archäologie verfassten verschiedene Aufsätze für
Fachpublikationen und Zeitungen. Im Rahmen
fachspezifischer Weiterbildung nahmen sie im Be-
richtsjahr wiederum an Tagungen und Seminaren
teil.
Triesen, den 11. Februar 1999
Hansjörg Frommelt, Koordination und Leitung
Mag. Ulrike Mayr, Wissenschaftliche Mitarbeiterin
ABBILDUNGSNACHWEIS ANSCHRIFT
Alle Aufnahmen: Landesverwaltung des
Hansjörg Frommelt, Fürstentums Liechtenstein
Archäologie FL Archäologie
Messinastrasse 5
Postfach 417
FL-9495 Triesen
Telefon 00423/236 75 31
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281
Liechtensteiner Namenbuch:
Tätigkeitsbericht 1998
Auch im Berichtsjahr 1998 waren für das Liechten-
steiner Namenbuch lic. phil. Toni Banzer und Her-
bert Hübe unter der Leitung von Professor Dr. Hans
Stricker tätig. Während Herbert Hübe ein Arbeits-
pensum von 100 Prozent wahrnahm, war Toni
Banzer zu 70 Prozent für das Liechtensteiner Na-
menbuch tätig. Das Projekt «Liechtensteiner Na-
menbuch» stand auch im Berichtsjahr unter der
Trägerschaft des Historischen Vereins für das Für-
stentum Liechtenstein.
DRUCK ORTSNAMENBUCH
Die Druckvorbereitungen für die vier Materialbän-
de mit den Flurnamensammlungen der elf Gemein-
den (Bände 1 bis 4 des Gesamtwerks) konnten im
Berichtsjahr praktisch abgeschlossen werden. Zu
bewältigen waren im wesentlichen (in einem Text-
umfang von über 2000 Seiten):
- Einbau der Namendeutungen bei den vordeut-
schen Namen.
- Durchsicht und Korrektur der gesamten Texte
durch Professor Hans Stricker.
- Umsetzung eines Teils der Korrekturen durch
die Herren Banzer und Hübe.
- Vorbereitung der sehr umfangreichen Register
(Markierungen im Text).
Band 5, der das Lexikon der Namenwörter enthält
und nochmals über 500 Seiten umfasst, befindet
sich in der Schlussphase der Druckvorbereitung
bezüglich Einbau und Anordnung aller Daten
sowie bezüglich Korrektur durch Professor Hans
Stricker (zu etwa 80 Prozent erledigt).
Der jetzige Stand der Bände 1 bis 5 Hess sich in
der gegebenen Zeit nur erreichen dank straff kon-
zentrierter gemeinsamer Anstrengung und teils
extrem hoher Einsatzzeiten.
Band 6 (Einleitung, Register, Abkürzungs-, Lite-
ratur- und Quellenverzeichnisse) entsteht Hand in
Hand mit dem Fortschreiten der Arbeiten an den
Bänden 1 bis 5.
PERSONENNAMENBUCH
Für das Personennamenbuch wurden im Berichts-
jahr folgende Arbeiten geleistet:
- Das Konzept für den Aufbau der einzelnen Na-
menartikel wurde zu Beginn des Jahres bespro-
chen und diskutiert.
- Die zur Sammlung der Daten nötigen Daten-
bank-Tabellen und -formulare wurden erstellt.
Die bestehende und neu eingegangene Sekundär-
literatur wurde kontrolliert, exzerpiert und erfasst.
- Die aus den historischen Quellen exzerpierten
Personennamen wurden in eine ACCESS-Daten-
bank überführt und kontrolliert.
- In Triesen wurde eine Feldaufnahme zur Erhe-
bung der Sippschaftsnamen durchgeführt. Mit Hilfe
eines Strassenplans von 1950 wurden sämtliche
Gebäude einzeln nach ihren Bewohnern unter die
Lupe genommen.
SONSTIGE TÄTIGKEITEN
Im Herbst 1998 hatte Toni Banzer zum zweiten Mal
Gelegenheit, vor dem Gampriner Gemeinderat un-
sere Argumente für eine Neuorientierung bei der
Strassennamenschreibung darzulegen. In der Zwi-
schenzeit hat die Gemeinde Gamprin die neuen
Schreibungen, von denen nun sehr viele auf unse-
ren Vorschlägen beruhen, eingeführt.
Herbert Hübe wurde im Herbst von der Gemein-
de Ruggell in eine Kommission einberufen, die ein
Konzept für das Dorfmuseum erarbeitet.
Triesen, 8. Februar 1999
LIECHTENSTEINER NAMENBUCH
Prof. Dr. Hans Stricker, Leiter
lic. phil. Toni Banzer
Herbert Hübe
282
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
ANSCHRIFT
Liechtensteiner Namenbuch
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283
Historisches Lexikon für
das Fürstentum Liechtenstein:
Tätigkeitsbericht 1998
ALLGEMEINES
Die Arbeiten am Historischen Lexikon für das Für-
stentum Liechtenstein (HLFL) gingen im Berichts-
jahr 1998 planmässig weiter. Die Anzahl der Ein-
träge belief sich per Jahresende auf rund 3 500
Lemmata (Artikel, Direktverweise) mit insgesamt
rund 84 000 Zeilen. Die Haupttätigkeiten der Re-
daktion betrafen die Artikelproduktion. Neben die-
sen Arbeiten wurden verschiedene andere mit dem
HLFL zusammenhängende und dem Projekt dien-
liche Aufgabenbereiche wahrgenommen.
Insgesamt konnte 1998 wieder ein Schritt bei
der Realisierung des Historischen Lexikons inner-
halb des gesetzten Zeitrahmens gemacht werden.
Das Projekt blieb wie bisher ein Einmannbetrieb.
DIE TRÄGERSCHAFT
Die Trägerschaft des Historischen Lexikons, der
Vorstand des Historischen Vereins, behandelte die
sie betreffenden Geschäfte in den ordentlichen Sit-
zungen. Die Kontakte der Redaktion zur Träger-
schaft liefen über die Geschäftsstelle des Histori-
schen Vereins (lic. phil. Klaus Biedermann) und
über den Präsidenten des Vereins, Dr. Rupert Qua-
derer.
DIE BERATENDEN GREMIEN
Der Wissenschaftliche Beirat des Historischen Lexi-
kons traf sich im Juli 1998 zu einer Arbeitssitzung
im Bildungshaus Gutenberg Balzers, in welcher er
die von der Redaktion vorgelegten Geschäfte be-
sprach. Mitglieder des Beirates waren im Berichts-
jahr Dr. Rupert Quaderer (Vorsitz, Schaan), Dr.
Martin Bundi (Chur), Prof. Dr. Dr. Karl Heinz Bur-
meister (Bregenz), Prof. Dr. LIeinz Dopsch (Salz-
burg), lic. phil. Claudia Heeb-Fleck (Schaan), Dr.
Marco Jorio (Bern) und Dr. Werner Vogler (St. Gal-
len). Die Arbeitssitzung galt zentral der Begutach-
tung und Diskussion der Gemeindeartikel.
Die weiteren wissenschaftlichen Berater und Be-
raterinnen wurden in ihren Sachbereichen und in
Bezug auf die eingelieferten Artikel, bei Vernehm-
lassungen und redaktionellen Arbeiten nach Bedarf
zu Rate gezogen. Des weiteren wurden sie in die
von der Redaktion initiierten und organisierten
Veranstaltungen miteinbezogen.
DIE REDAKTION
Die Redaktion blieb wie bisher ein Einpersonenbe-
trieb. Die Aufgabenbereiche umfassten die Berei-
che Administration, Redaktion, Beratung, Veran-
staltungen, Publikationen. Die redaktionellen An-
forderungen sind weiter gestiegen. Das Anwachsen
der administrativen Belastungen konnte nur teil-
weise durch Straffung der Arbeitsabläufe kompen-
siert werden. Im Hinsicht auf diese Zielsetzung
284
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
besuchte der Redaktor auf eigene Kosten und ne-
ben der Arbeit über das ganze Jahr hinweg einen
Nachdiplomkurs an der Hochschule für Wirtschaft
und Tourismus in Chur (Bereich: Management,
Öffentliche Verwaltung und Non Profit Organisatio-
nen).
REDAKTIONELLE TÄTIGKEITEN
Die redaktionellen Tätigkeiten umfassten wie
bisher im Wesentlichen die weitere Bearbeitung
der Stichwortliste, die Produktionsleitung bei der
Schaffung von Artikeln durch Autoren und Autorin-
nen, die Eigenproduktion von Artikeln, die Ver-
pflichtung und die Betreuung der Autoren und
Autorinnen sowie die Betreuung weiterer Projek-
te. Mit verschiedenen Autoren und Autorinnen fan-
den einzelne Besprechungen oder Sitzungen statt,
deren Vorbereitung und Durchführung einen ge-
wissen Zeitaufwand erforderte. Die Redaktion un-
terstützte die Autoren und Autorinnen bei biblio-
graphischen Abklärungen, bei der Literatur- und
Quellenbeschafiüng und bei Archivstudien in Liech-
tenstein. Sie leistet insgesamt einen weitaus grös-
seren und breiteren Support, als das bei anderen
Lexika der Fall ist.
Für Unterstützung und Mitarbeit möchte ich an
dieser Stelle Jürgen Schindler (Eschen) und Donat
Büchel (Balzers) herzlich danken.
ARTIKELPRODUKTION
Die Artikelproduktion konnte (im wesentlichen auf-
grund der wachsenden zeitlichen Beanspruchung
insbesondere durch administrative Belange) nicht
im gewünschten Masse vorangetrieben werden. Es
war weiterhin schwierig, genügend (kompetente)
Autoren und Autorinnen zu verpflichten. Auch die
externe Terminkontrolle ist sehr schwierig durch-
zusetzen, weil die Autoren und Autorinnen durch
berufliche Belastufigen oftmals beansprucht sind
und dies zwangsläufig zu vielen Terminerstreckun-
gen führt, was wiederum Verzögerungen der Pro-
duktion nach sich zieht. Die Redaktion wird des-
halb die Eigenproduktion soweit als möglich stei-
gern.
KONTAKTE, VERMITTLUNGEN
Die redaktionellen Kontakte zum Historischen Le-
xikon der Schweiz (HLS) waren sporadisch, zumal
der Chefredaktor des HLS, Dr. Marco Jorio, auch
Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates ist. Herrn
Dr. Jorio möchte ich bei dieser Gelegenheit für die
Unterstützung danken.
Im Rahmen seiner Tätigkeiten engagierte sich
der Redaktor in verschiedenen Gremien, so im Vor-
stand des Vereins für Geschichte des Bodensees
und seiner Umgebung als Schriftführer, und bei der
Planung und Durchführung von Projekten des Ar-
beitskreises für Regionale Geschichte. Er wurde
in den Vorstand der Internationalen Gesellschaft
für Historische Alpenforschung gewählt. Die Kon-
takte zu verschiedenen Institutionen und Projekten
wurden im Berichtsjahr aufgenommen beziehungs-
weise weitergeführt. Auch beteiligte er sich an
der von Regierungsrätin Dr. Andrea Willi initiierten
«Gesprächsrunde Kultur».
Des weiteren konnten dank der aufgebauten
Kontakte Referenten nach Liechtenstein vermittelt
werden, so Frau Professor Brigitte Mazohl-Wallnig
(Universität Innsbruck) für die Jahresversammlung
des Historischen Vereins in Vaduz sowie Professor
Dr. Wolfram Siemann (Universität München) für
einen Vortrag über «Die Revolution 1848» vor der
Liechtensteinischen Akademischen Gesellschaft.
BERATUNG, PLANUNG, FÖRDERTÄTIGKEIT
Der Redaktor des LILFL leistete auf entsprechende
Anfragen hin Hilfestellung und Beratung auf dem
Gebiet der historischen Landeskunde. Das betraf
zum Beispiel die derzeit laufende Schaffung einer
Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum des Liech-
tensteinischen Feuerwehrverbandes oder die Lie-
ferung eines Textes für die von Roman Banzer ver-
285
gelegte Mundart-CD «Wia ma bi üüs red» (Gemein-
de Balzers). Dazu kam die Mitarbeit bei der Schaf-
fung von Publikationskonzepten.
Der Redaktor beteiligte sich an den Vorge-
sprächen zur Planung der Ausstellung in den Esch-
ner Pfrundbauten anlässlich der Feierlichkeiten
«300 Jahre Unterland, 1699 bis 1999» sowie der
Schaffung einer CD zur liechtensteinischen Ge-
schichte. Er war ausserdem Mitglied der «Nutzer-
gruppe Liechtensteinisches Landesmuseum», de-
ren Aufgabe es 1998 und 1999 ist, für das Landes-
museum eine Museumskonzeption zu entwicklen
(Raumprogramm, Ausstellungskonzept, Informati-
onskonzept, Realisierung).
Des weiteren initiierte und unterstützte er un-
ter anderem mehrere Studienabschlussarbeiten zu
Themen der liechtensteinischen Geschichte. Vorge-
legt wurden im Berichtsjahr - zusätzlich zu den
schon früher erschienenen Arbeiten über den
«Rhein im 17. und 18. Jahrhundert» (R. Schläpfer,
Universität Zürich), die «aussenpolitische Gesandt-
schaftstätigkeit des liechtensteinischen Gesandten
in Österreich, Dr. Eduard Prinz von und zu Liech-
tenstein (1919 bis 1921)» (C. Sulzbacher, Univer-
sität Salzburg) und den «Landsbrauch der Graf-
schaft Vaduz und der Herrschaft Schellenberg aus
dem Jahre 1667» (K. Schamberger, Universität
Salzburg) - eine Studie zur «Entwicklung der liech-
tensteinischen Banken seit 1945» (A. Meili, Univer-
sität Freiburg). In Zürich, Innsbruck und Freiburg
befinden sich mehrere Studien in Bearbeitung
(Themen unter anderem: Urbare, Gymnasium Feld-
kirch und Liechtenstein, Ausländer, Liechtenstein
und die Schweiz 1862 bis 1914, Liechtensteinische
Gesandtschaft in der Schweiz). Die Förderung sol-
cher Studien und Grundlagenarbeiten beziehungs-
weise die Unterstützung dieser jungen Forscher
und Forscherinnen erachtet der Redaktor, auch
wenn etwas Zeit investiert werden muss, als eine
wichtige Aufgabe im Interesse des Historischen
Lexikons und der liechtensteinischen Geschichts-
forschung insgesamt.
Ebenso konnte eine Transkription des Brief-
wechsels zwischen Schmitz von Grollenburg und
H. von Haymerle (und weiterer Korrespondenzen)
aus den Jahren 1806 bis 1814 betreffend den
Rheinbund und die liechtensteinischen Militärver-
träge mit deutschen Rheinbund-Staaten aus dem
Fürstlichen Hausarchiv ermöglicht werden.
VORTRÄGE, FÜHRUNGEN, PUBLIKATIONEN
Auf entsprechende Einladung hin referierte der Re-
daktor über geschichtliche Themen. Erwähnt wer-
den sollen nur ein Vortrag im Bildungshaus Guten-
berg (Balzers) über die «Geschichte der Burg und
des Bildungshauses Gutenberg», ein historischer
Abriss der liechtensteinischen Parteiengeschichte,
ein Vortrag über die «Abtretung des Ellhorns 1948
an die Schweizerische Eidgenossenschaft» sowie
ein Referat über das Historische Lexikon anlässlich
einer Sitzung der «Gesprächsrunde Kultur».
Der Redaktor leitete ausserdem historische Füh-
rungen auf der Burg Gutenberg und legte verschie-
dene kleinere Publikationen vor. Sie behandelten
unter anderem Themen wie die «Auswanderer-
familie Manzele-Büchel aus Balzers» (in: «Nach
Amerika!», Vaduz, Zürich 1998), die «Revolution
1848 in Liechtenstein» (sechsteilige Serie im Liech-
tensteiner Vaterland), das «Amtshaus in Balzers»
(in: Balzner Neujahrsblätter 1998) und den «Ver-
lust des Ellhorns 1948» (in: Balzner Neujahrsblät-
ter 1999). Zudem verfasste er einen Beitrag für die
Gedächtnisschrift Josef Görres und war an der Vor-
bereitung der 2. Auflage der von ihm verfassten
Biographie «Peter Kaiser 1793 bis 1864» beteiligt.
Er arbeitete beim «Lexikon für Theologie und Kir-
che» (LThK) als Autor mit.
Erheblichen Zeitaufwand erforderte die redak-
tionelle Vorbereitung der dreibändigen Publikation
«Bausteine zur liechtensteinischen Geschichte» mit
den Studien und studentischen Forschungsbeiträ-
gen der vom HLFL in Zusammenarbeit mit den
Universitäten Zürich, Salzburg und Innsbruck
durchgeführten Seminaren für den Druck. Die im
Chronos Verlag (Zürich) erscheinenden Bände
konnten nicht mehr 1998 publiziert werden, was
aber im Frühjahr 1999 der Fall sein wird. Die Her-
ausgabe wurde dank der Unterstützung seitens der
286
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
«Stiftung Propter Homines», der «Karl Mayer Stif-
tung», der «Binding-Stiftung» und der «Stiftung
fürstl. Kommerzienrat Guido Feger» möglich. Da-
für möchte ich herzlich danken.
Im Verlaufe des Berichtsjahres wurden auch
einige historische Seminararbeiten zu liechtenstei-
nischen Themen aus dem Seminar für Allgemeine
und Schweizerische Zeitgeschichte an der Univer-
sität Freiburg (Lehrstuhl: Professor Urs Altermatt)
verfasst beziehungsweise bereinigt.
Im Rahmen des vom Historischen Lexikon in
Zusammenarbeit mit dem Bildungshaus Gutenberg
alljährlich organisierten «Gutenberger Geschichts-
vortrages» referierte lic. phil. Klaus Biedermann
Ende November 1998 zum Thema «Rodwesen und
Verkehrsgeschichte in Liechtenstein im 18. Jahr-
hundert unter besonderer Berücksichtigung von
Balzers und der Rolle der Balzner Wirtshäuser».
TAGUNGEN
Das Historische Lexikon organisierte im Berichts-
jahr mehrere Tagungen, die den Zielsetzungen des
Historischen Lexikons wie auch der liechtensteini-
schen geschichtlichen und volkskundlichen For-
schung dienen. Die Tagungen konnten mit grossem
Erfolg durchgeführt werden. Die zahlreichen Teil-
nehmerinnen und Teilnehmern belegten, dass sie
einem Bedürfnis entsprachen.
FRAUEN- UND GESCHLECHTERGESCHICHTE
Die Instrumentarien der Frauen- und Geschlech-
tergeschichte sind in den letzten zwanzig Jahren so
vervielfältigt und erprobt worden, dass sie für die
Geschichtsforschung unverzichtbar geworden sind
und damit auch bei der Geschichtsschreibung eines
Historischen Lexikons von Nutzen sein können.
Vielmehr: Ohne geschlechtsspezifische Fragestel-
lungen lässt sich heute kaum noch Geschichte in
relevanter Art rekonstruieren. Die Redaktion enga-
gierte deshalb die durch einschlägige wissenschaft-
liche Forschungen, Projekte und Lehrveranstaltun-
gen namhafte Schweizer Historikern Heidi Witzig
(Uster) für eine ganztägige Fortbildung zum Thema
«Frauen im Historischen Lexikon ... Von der Frau-
en- und der Geschlechtergeschichte». Das span-
nende Kolloquium bot Anregungen und konkrete
Beispiele, wie sich die Geschichtsforscherinnen
und -forscher in fruchtbarer Art und Weise dieses
Instrumentariums bedienen können. Die Tagung,
die einen theoretisch-methodischen und einen
praktisch-angewandten Teil mit Arbeit an konkre-
ten Quellen umfasste, stiess auf grosses Interesse.
LIECHTENSTEIN UND DIE REVOLUTION 1848
Im November führte das Historische Lexikon die
zweite «Liechtensteinische Historische Tagung»
durch, diesmal im Bildungshaus Gutenberg (Bal-
zers). Thema war die Revolution von 1848 in
Liechtenstein und in angrenzenden Nachbargebie-
ten (Schweiz, Österreich). Die Tagung fragte da-
nach, in welchem Umfeld sich die Revolution 1848
in Liechtenstein abspielte, welche Ursachen sie
auslösten, was verlangt und erwartet wurde, wel-
che Konsequenzen sich aus ihr ergaben, was sie
zur Schaffung einer Liechtensteiner Identität leiste-
te? Es beteiligten sich folgende Referenten und Re-
ferentinnen (mit Themen):
- Dr. phil. Peter Geiger (Schaan): 1848 in Liech-
tenstein - die Ereignisse in einem chronologischen
Überblick. - Der lange Atem der Revolution von
1848 in Liechtenstein. Elf Thesen zu Folgen, Be-
deutung und Nachwirkung.
- Dr. phil. Georg Jäger (Chur): «<Die Bundessache
geht voran ...>. Graubünden 1848.»
- Mag. phil. Rupert Tiefenthaler (Feldkirch): Alar-
mierende Gerüchte - Liechtenstein und die Revolu-
tion 1848 aus der Sicht Vorarlbergs.
- Dr. phil. Rupert Quaderer (Schaan): Jahre der
Retardation - Liechtensteins innenpolitische Ent-
wicklung von 1815 bis 1848.
- Dr. phil. Evelin Oberhammer (Wien): Die Fürsten
von Liechtenstein und die Revolution von 1848.
- lic. phil. Paul Vogt (Balzers): Staatliche Organi-
sation und Verwaltung als Träger der Macht.
287
- Dr. phil. Alois Ospelt (Vaduz): Grundentlastung
und Bauernbefreiung im Revolutionsjahr 1848:
Kernpunkt einer Agrar- und Sozialreform.
- Mag. phil. Roland Steinacher (Innsbruck): Franz
Josef Oehri und Peter Kaiser - ein Vergleich (1848:
Laufbahn und Tätigkeit, Verfassung und Politik).
- cand. phil. Alicia Längle (Triesen): Die nationale
Identität Liechtensteins - eine Momentaufnahme.
Die erfolgreich durchgeführte Tagung erhielt zahl-
reichen Publikumszuspruch und konnte mit einer
angeregten Diskussion abgeschlossen werden. Die
Tagungsbeiträge werden unterdessen für den Druck
vorbereitet.
VOLKSKUNDE HEUTE
Am Samstag, den 21. November 1998, wurde vom
Arbeitskreis für Regionale Geschichte (ARG) eine
Tagung zum Thema «Zwischen Markt und Elfen-
beinturm - Volkskunde heute» veranstaltet. An der
vorbereitenden Planung und Organisation vor Ort
war das Historische Lexikon beteiligt und mitver-
antwortlich. Die Tagung umfasste drei Teile. Ein-
führend referierte der Tübinger Volkskundler und
Kulturforscher Professor Dr. Hermann Bausinger
grundsätzlich über die Volkskunde. Im zweiten Teil
fanden drei Workshops statt, die von ausgewiese-
nen Fachleuten^ etwa des volkskundlichen Semi-
nars der Universität Zürich oder Fachpersonal von
Museen geleitet wurden. Der erste Workshop be-
fasste sich mit «Bildern, Fotografien und Film» in
der Volkskunde, der zweite informierte über die
«Erzählforschung am Beispiel unserer alpinen
Sagen», der dritte Workshop gab Einblick in den
Alltag eines universitären Volkskunde-Instituts
(Zürich, Professor U. Gyr). Am Nachmittag disku-
tierten im Rahmen einer Podiumsdiskussion zum
Thema «Volkskunde - Mauerblümchen oder Markt-
schlager?» unter Leitung des Programmchefs des
rätoromanischen Fernsehens, Peter Egloff, Frau
Regierungsrätin Dr. Andrea Willi (unter anderem
Leiterin des Ressorts Kultur), Dr. Walter Fink
(Leiter Volkskultur beim ORF), die Volkskundler
Dr. Walter Leimgruber (Zürich) und Hanno Platz-
gummer (Dornbirn), sowie Urs Kamber (Direktor
LIeidiland) und Gieri Spescha (Leiter PR/Medien
Graubünden) über Bedeutung, öffentliche Förde-
rung und Vermarktung von Volkskunde und volks-
kundlichen Themen.
UNTERSTÜTZUNGEN
Im Berichtsjahr Hess die Givalda Stiftung auf An-
trag des Stiftungsrates lic. iur. Walter Matt dem
HLFL einen Beitrag zur Förderung seiner Projekte
zukommen. Für diese verdienstvolle Förderung
möchte ich meinen herzlichen Dank aussprechen.
Die Liechtensteinische Landesbank ermöglichte
auf Vermittlung der Redaktion des LIistorischen
Lexikons die Publikation der von Manfred Tschaik-
ner erarbeiteten Studie «<Der Teufel und die Hexen
müssen aus dem Land> ... Frühneuzeitliche Hexen-
verfolgungen in Liechtenstein» im Jahrbuch des
Historischen Vereins mit einem grosszügigen För-
derbeitrag. Für diese Unterstützung möchte ich der
Liechtensteinischen Landesbank, insbesondere den
Ansprechpartnern Ernst Risch und Monica Borto-
lotti, sowie Dr. Josef Fehr, herzlich danken.
AUSBLICK
Im Jahre 1999 wird die Artikelproduktion den zen-
tralen Schwerpunkt der Redaktionstätigkeit des
Historischen Lexikons für das Fürstentum Liech-
tenstein bilden. Zielsetzung ist eine starke Stei-
gerung der Artikelproduktion in den Bereichen
Biographien, Familien und Orten. Für den Bereich
der Sachstichwörter (Artikel) sind, weil gravieren-
de Forschungslücken vorhanden sind, vorgängig
und weiterhin eingehende Grundlagenstudien not-
wendig. Das Erreichen dieses Zieles ist, wie auch in
den letzten Jahren, davon abhängig, ob genügend
kompetente Autoren und Autorinnen rekrutiert
werden zu können.
Zusätzliche Aufgabenbereiche betreffen die
Drucklegung der Bände «Bausteine zur liechten-
288
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 1998
steinischen Geschichte» und des Tagungsbandes
«Liechtenstein und die Revolution 1848», zudem
die Durchführung der 3. Liechtensteinischen Histo-
rischen Tagung am 11./12. Juni 1999 zum Thema
«Repräsentation, Herrschaft, Herrschaftswechsel»
sowie die Weiterführung laufender Aufgaben.
DANK
Das Historische Lexikon für das Fürstentum Liech-
tenstein kann nur dank des Goodwills und der
Unterstützung anderer Institutionen und Personen
gedeihen. Ich möchte deshalb der Fürstlichen Re-
gierung für das Vertrauen und die Unterstützung
danken. Dank schuldig ist das HLFL auch der Trä-
gerschaft, dem Historischen Verein und seinem
Vorstand, besonders dem Präsidenten Dr. Rupert
Quaderer und dem Geschäftsführer lic. phil. Klaus
Biedermann. Zu danken habe ich auch den Mitglie-
dern des Wissenschaftlichen Beirates, den wissen-
schaftlichen Beratern und Beraterinnen, den Auto-
ren und Autorinnen, dem Historischen Lexikon der
Schweiz (HLS) und seinem Chefredaktor Dr. Mario
Jorio. Gedankt sei ebenso den Vorständen der in-
volvierten Institutionen, dem Landesarchiv, der
Landesbibliothek und dem Landesmuseum.
ANSCHRIFT
Historisches Lexikon
Für das Fürstentum
Liechtenstein (HLFL)
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Postfach 626
FL-9495 Triesen
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E-Mail: hlfl@lie-net.li
Triesen, am 15. Februar 1999
HISTORISCHES LEXIKON FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN (HLFL)
lic. phil. Arthur Brunhart
Chefredaktor
289
LIECHTEN-
STEINISCHES
LANDESMUSEUM
1998
LIECHTENSTEINISCHES
LANDESMUSEUM 1998
Jahresbericht 1998
STIFTUNGSRAT
Der Stiftungsrat des Liechtensteinischen Landes-
museums trat am 9. Februar 1998 zu seiner letzten
Sitzung unter dem Vorsitz des Präsidenten Dr. Kurt
F. Büchel zusammen. Am 17. März 1998 wurde der
Stiftungsrat durch die Fürstliche Regierung für die
Mandatsperiode von 1998 bis 2002 neu bestellt.
Der Stiftungsrat setzt sich aus folgenden Mitglie-
dern zusammen: Mag. Edmund Banzer, Hohen-
ems (bisher), Trudy Bricci-Marok, Mauren (bisher),
Ulrike Brunhart, Balzers (bisher), lic. phil. Roland
Hilti, Schaan (bisher), Maria Marxer, Gamprin
(neu), lic. phil. Eva Pepic, Schaan (neu), Dr. Tho-
mas Wilhelm, Vaduz (neu); ausgeschieden sind Dr.
Kurt F. Büchel, Triesen, Paul Büchel, Ruggell, und
lic. phil. Veronika Marxer, Schaan.
In der konstituierenden Sitzung vom 12. Mai
1998, an der Frau Regierungsrat Dr. Andrea Willi,
Kulturministerin, teilnahm, wurde Frau lic. phil.
Eva Pepic zur Präsidentin des Stiftungsrates ge-
wählt. In drei weiteren Sitzungen befasste sich der
Stiftungsrat neben dem Budgetantrag 1999 insbe-
sondere mit dem im Mai abgeschlossenen Archi-
tekturwettbewerb «Renovation und Erweiterung
des Liechtensteinischen Landesmuseums» sowie
mit Fragen der personellen Struktur des Museums.
MUSEUMSKOMMISSION
Die Museumskommission wurde in der bisherigen
Zusammensetzung durch den neu ernannten Stif-
tungsrat bestätigt. Ihr gehören Johann Otto Oehry,
Triesen, Manfred Wanger, Planken, und Univ. Prof.
Dr. Elmar Vonbank, Bregenz, an. Vorsitz in der
Museumskommission führt der Museumsleiter lic.
phil. Norbert W. Hasler. Die Museumskommission
entschied in zwei Sitzungen über zahlreiche An-
käufe, Neuzugänge und Schenkungen, über Ge-
suche um Leihgaben und befasste sich eingehend
mit weiteren museumsrelevanten Fragen, nament-
lich im Zusammenhang mit dem Architekturwett-
bewerb sowie mit den Zukunftsperspektiven des
Liechtensteinischen Landesmuseums.
MUSEUMSVERWALTUNG
Das Berichtsjahr 1998 stand aus der Sicht des
Liechtensteinischen Landesmuseums ganz im Zei-
chen des Architekturwettbewerbs zur «Renovie-
rung und Erweiterung des Liechtensteinischen
Landesmuseums». Auf den 1997 europaweit ausge-
schriebenen Architekturwettbewerb sind insge-
samt 191 Bewerbungen eingegangen, aus denen
das Preisgericht unter dem Vorsitz von Regierungs-
chef Dr. Mario Frick in der Sitzung vom 12. Dezem-
ber 1997 insgesamt 29 Architekten beziehungs-
weise Architekturbüros zum Wettbewerb zugelas-
sen hat. Termingerecht wurden in der Folge 23
Projekte eingereicht. Am 18. und 19. Mai 1998 trat
das Preisgericht zur Beurteilung zusammen. Nach
eingehenden Diskussionen und mehreren Wer-
tungsrundgängen kam die international zusam-
mengesetzte Jury, in der das Landesmuseum durch
den Stiftungsratspräsidenten Dr. Kurt F. Büchel
und den Museumsleiter vertreten war, zur defini-
tiven Wertung. Auf Rang 1 kam das Projekt Nr. 8
mit dem Kennwort «Reihenfolge», Architekturbüro
Frank Brunhart, Balzers. Das Ergebnis des Archi-
tekturwettbewerbs wurde in den liechtensteini-
schen Landeszeitungen sowie in Fachzeitschriften
bekanntgegeben. Sämtliche Entwürfe wurden nach
der Beurteilung durch das Preisgericht unter Na-
mensnennung der Verfasser im Foyer des Vaduzer-
Saales vom 26. Mai bis 8. Juni 1998 ausgestellt.
Stiftungsrat und Museumskommission haben die
Gelegenheit zum Besuch der Projektausstellung ge-
nutzt. Mit der Projektleitung wurde Dipl. Arch. ETH
Michael Pattyn vom Hochbauamt beauftragt. Meh-
rere Arbeitsgruppen wurden durch die Fürstliche
Regierung einberufen, welche umgehend die Vor-
arbeiten zur Organisation und Strukturierung' der
Realisierungsphase aufnahmen. Eine Fachkommis-
sion, unter Beizug der Beratungsstelle für Landes-
geschichte unter der Leitung von Univ. Prof. Dr.
Roger Sablonier, Zürich /Zug, erarbeitete in zahl-
reichen Sitzungen ein Museumsleitbild und ent-
schied über die verschiedenen Nutzungsbereiche
der beiden Altbauten (Landesmuseumsbau und
Verweserhaus) sowie über den künftigen Erweite-
293
rungsbau und klärte grundlegende Fragen für ein
neues Ausstellungskonzept der Dauerausstellung
des Liechtensteinischen Landesmuseums unter
Einbezug einer naturkundlichen Abteilung. Die Er-
arbeitung des Ausstellungskonzeptes wird eine der
Hauptaufgaben für das Jahr 1999 sein. Am 8. Okto-
ber 1998 erfolgte im Regierungsgebäude in Anwe-
senheit von Vertretern aller planungsbeauftragten
Büros der offizielle Projektstart. Der Museumsleiter
stellte dabei in einem Einführungsreferat das Leit-
bild und das geplante Nutzungskonzept vor. Im
Dezember konnte eine umfassende Dokumenta-
tion der Vorprojektphase (Konzepte 12/98) vorge-
legt werden.
«Die Hauptaktivitäten eines Museums finden
gleichsam hinter den Kulissen statt» (Felix Marxer,
1987); dies umso mehr, wenn es seit nunmehr
sieben Jahren geschlossen ist. Dennoch gilt die
Bewahrung des Vergangenen als Dienst am Fleute
als erster Auftrag, namentlich eines historischen
Landesmuseums. Somit konnten im Berichtsjahr
neben der Wahrnehmung umfangreicher admini-
strativer Aufgaben mehrere Projekte abgeschlos-
sen beziehungsweise weitergeführt werden. Immer
wieder ist das Landesmuseum Anlaufstelle für
Wissenschafter und Autoren. So konnte sich die
Museumsleitung u. a. an folgenden Publikationen
beteiligen: Schweizer Museumsführer mit Ein-
schluss des Fürstentums Liechtenstein, heraus-
gegeben vom Verband der Museen der Schweiz,
8. Ausgabe, Basel, Berlin 1998; DuMont Kunst-
Reiseführer Ostschweiz. Die Kantone Zürich,
Schaffhausen, Thurgau, St. Gallen, Appenzell, Gla-
rus und das Fürstentum Liechtenstein, Köln 1998;
Spätgotische Flügelaltäre in Graubünden und im
Fürstentum Liechtenstein, Chur 1998. Das Landes-
museum stand jeweils mit fachlicher Beratung und
Bildmaterial aus seinem reichhaltigen Archiv zur
Verfügung. Der Museumsleiter seinerseits konnte
mehrere Fachbeiträge publizieren. Die im April
1997 begonnene Beitragsserie «Objekt des Monats
- Aus den Sammlungen des Liechtensteinischen
Landesmuseums», publiziert im Liechtensteiner
Vaterland, wurde lückenlos weitergeführt. In re-
stauratorischen, konservatorischen, denkmalpfle-
gerischen und museumstechnischen Fragen war
das Museumspersonal für Private, Gemeinden und
Museen tätig.
Erneut war das Liechtensteinische Landesmu-
seum mit Leihgaben an Ausstellungen vertreten,
u. a. mit zahlreichen Exponaten aus der Archäolo-
gischen Sammlung an der Ausstellung «Schmuck
aus den Alpen. Von der Prähistorie bis zum Früh-
mittelalter» im Rätischen Museum in Chur (7. Mai
bis 18. Oktober 1998) und an der Ausstellung «Bür-
gerfleiss und Fürstenglanz. Reichsstadt und Fürst-
abtei Kempten» in der Kemptener Residenz (16.
Juni bis 8. November 1998), durchgeführt vom
Haus der Bayerischen Geschichte, Augsburg. Nach
wie vor befinden sich zahlreiche Leihgaben in der
Ausstellung «Klar und Fest. Geschichte des Hauses
Liechtenstein» in der Riegersburg, Oststeiermark.
Die Ausstellung dauert noch bis Ende 1999.
Zur Eröffnung des Liechtenstein-Instituts im
ehemaligen Pfarrstall Bendern vom 6. bis 8. März
1998 führte das Landesmuseum in Zusammen-
arbeit mit der Fachstelle Archäologie eine Ausstel-
lung im Foyer des Liechtenstein-Instituts durch, die
dem Gebäude und dem historisch bedeutsamen
Kirchhügel von Bendern gewidmet war. Die Veran-
staltung ist auf grosses Interesse gestossen.
TAGUNGEN, KOMMISSIONS ARBEIT,
PROJEKTE
Neben dem Besuch zahlreicher Museen und Aus-
stellungen im In- und Ausland im Rahmen von
Arbeitssitzungen und Tagungen soll hier nament-
lich erwähnt sein, dass das Liechtensteinische Lan-
desmuseum durch seinen Leiter am Festakt zum
100-Jahrjubiläum des Schweizerischen Landesmu-
seums in Zürich am 25. Juni 1998 vertreten war.
Der festliche Anlass stand unter dem Patronat von
Frau Bundesrat Ruth Dreifuss, Vorsteherin des Eid-
genössischen Departements des Inneren. Gleich-
zeitig wurde die Sonderausstellung «Die Erfindung
der Schweiz 1848-1998» eröffnet.
A m 9. November 1998 fand im Naturmuseum
in Dornbirn die Generalversammlung des Vereins
294
LIECHTENSTEINISCHES
LANDESMUSEUM 1998
Museen und Schlösser Euregio Bodensee statt. Der
Leiter des Liechtensteinischen Landesmuseums
wurde dabei in den Vorstand gewählt, dem er
bereits seit 1997 als Beirat angehörte.
Überdies war das Museum durch seinen Leiter
vertreten an der Pressekonferenz des Organisa-
tionskommitees «300 Jahre Liechtensteiner Unter-
land» in Bendern vom 19. Februar 1998, an der
u.a. eine für 1999 vorgesehene Publikation über
das Fastentuch von Bendern vorgestellt wurde; an
der Pressekonferenz der Eugen Zotow-lvan Mias-
sojedoff-Stiftung in Vaduz vom 11. April 1998 im
Vorfeld der Zotow-Ausstellung in der Tretjakoff-Ga-
lerie in Moskau; an der Internationalen Bodensee-
Konferenz (IBK) in Vaduz vom 26. März 1998 sowie
in der Jury-Kommission über den Künstlerischen
Projektwettbewerb zur Errichtung einer Brunnen-
anlage in Vaduz (Schweizer Verein im Fürstentum
Liechtenstein in Zusammenarbeit mit dem Land
Liechtenstein), die am 6. November 1998 unter
dem Vorsitz von Frau Regierungsrat Dr. Andrea
Willi zur Jurierung zusammentrat.
Mit grossem Zeitaufwand war die Tätigkeit der
Museumsleitung im Berichtsjahr 1998 für Projekte
des Denkmalschutzes verbunden. Bis zum 25.
März 1998 dauerten die Renovationsarbeiten der
Duxkapelle in Schaan. Im Zuge konservatorischer
Überwachungsmassnahmen führt das Landesmu-
seum seit längerem regelmässige Klimamessungen
in der Duxkapelle in Schaan, in der Pfarrkirche
Triesen (spätgotisches Hochaltarretabel aus der
Kapelle St. Mamertus) und in der Marienkapelle in
Triesen durch. Ebenfalls beratend tätig war und ist
das Museumspersonal betreffend Konservierung
und Restaurierung der Altäre der Pfarrkirche Rug-
gell und hinsichtlich einer bevorstehenden Reno-
vation der Pfarrkirche Bendern, der Marienkapelle
in Triesen, der Heiligkreuz-Kapelle in Rofaberg,
Eschen, sowie verschiedener Profanbauten des
Landes. In einer eigens einberufenen Arbeitsgrup-
pe engagiert sich der Museumsleiter für die Erar-
beitung eines künftigen Nutzungskonzeptes des
unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes Nr. 53
in Ruggell.
Bereits zum sechsten Mal war das Landesmu-
seum bei der Vorbereitung und Durchführung des
Europäischen Tages des Denkmals beteiligt, der
am 27. September 1998 stattgefunden hat und der
dem Thema «Kapellen des Fürstentums Liechten-
stein» gewidmet war. In der Zeitschrift «Terra
plana» 1998/Nr. 3 ist ein umfangreicher Beitrag
des Museumsleiters erschienen, der die historisch
bedeutendsten Kapellen des Landes in Wort und
Bild darstellt. Die Zeitschrift war in allen für diesen
Tag speziell geöffneten Kapellen für die Besucher
aufgelegt.
Dank der Zusicherung erheblicher finanzieller
Mittel seitens der Gemeinde Gamprin konnte eine
seit langem geplante Publikation über «Das Fasten-
tuch von Bendern, 1612» bis zur Druckreife vorbe-
reitet werden. Die Arbeit wird im Frühjahr 1999
erscheinen.
Im Rahmen der Aktivitäten «300 Jahre Liech-
tensteiner Unterland 1999» ist auch das Liechten-
steinische Landesmuseum in verschiedene Projekte
involviert. Unter der Projektleitung von Pio Schurti
ist dazu eine CD-Rom Produktion und Ausstellung
zum Thema «Liechtensteins Weg» und ein Ge-
schichtspfad bei den Pfrundbauten in Eschen in
Ausarbeitung. Bei der Erstellung einer Kopie des
Hohenemser Grenzsteins aus dem Jahre 1693, der
sich in den Sammlungen des Liechtensteinischen
Landesmuseums befindet, stand das Museums-
personal beratend zur Seite. Die Nachbildung wird
im März 1999 in Schaanwald aufgestellt werden.
Verschiedene Sitzungen des Internationalen Ar-
beitskreises Bodenseeausstellungen mit Beteiligung
des Liechtensteinischen Landesmuseums galten
der Vorbereitung der Ausstellung und Erarbei-
tung einer entsprechenden Begleitpublikation zum
Thema «Jahrhundertwende - Jahrtausendwende,
1900-2000». Die Ausstellung wird in verschie-
denen Museen im Bodenseeraum in den Jahren
1999 und 2000 gezeigt werden. Beim Liechtenstei-
nischen Landesmuseum liegt für dieses Projekt
zudem die Finanzverwaltung.
Überdies war der Museumsleiter im Vorstand
des Historischen Vereins für das Fürstentum
Liechtenstein, in der Lehrerprüfungskommission,
295
im Museumsbeirat des Walser Heimatmuseums
Triesenberg, der Eugen Zotow-Ivan Miassojedoff-
Stiftung und weiteren Gremien aktiv tätig.
Das 1997 begonnene Projekt «Museumsshop
Liechtensteiner Museen» konnte weitergeführt und
leicht ausgebaut werden. Die Administration liegt
bei Frau Gertrud Frick, Teilzeitmitarbeiterin seit
1996 beim Landesmuseum. Paul Frick, seit 28 Jah-
ren Mitarbeiter des Landesmuseums, war im we-
sentlichen mit technischen und photographischen
Arbeiten und Aufträgen ausgelastet.
Intern konnte die Museumsleitung nach langen
Verhandlungen im Mehrzweckgebäude in Triesen
einen zusätzlichen Depotraum gewinnen, was eine
wesentliche Verbesserung der Verwahrung der
Sammlungen darstellt. Dadurch konnten eine Mo-
nogrammstickereimaschine und eine Bandsticke-
reimaschine aus der Mitte des 19. Jahrhunderts,
die sich in den Museumssammlungen befinden und
heute bereits grosse Raritäten darstellen, durch
Herrn Kurt Gantenbein von der Stickereifachschule
St. Gallen fachgerecht bis zur Betriebsbereitschaft
aufgebaut werden. Die Museumsleitung ist bemüht,
einen Videofilm im Rahmen der Serie «Sterbendes
Handwerk» über die Anfänge der maschinellen
Stickerei in Liechtenstein zu realisieren.
RESTAURIERUNGEN
Das Restaurierungsprogramm der museumseigenen
Sammlungen konnte durch Restaurator Thomas
Müssner neben der Depotverwaltung und konser-
vatorischen Sammlungsbetreuung kontinuierlich
weitergeführt werden. Neben dem Besuch ver-
schiedener fachspezifischer Tagungen wurde Tho-
mas Müssner die Möglichkeit geboten, in der Zeit
vom 21. September bis 18. Dezember 1998 den
Kurs «Mastro» am Europäischen Zentrum für
Restauratoren und Denkmalpfleger in Venedig
zu absolvieren. Herr Müssner konnte den Kurs
erfolgreich mit einem Zertifikat abschliessen, die
dabei gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse
können bei seiner weiteren anspruchsvollen Tätig-
keit beim Liechtensteinischen Landesmuseum für
die kommenden Arbeiten im Dienste der Erhaltung
unseres Kulturgutes eingebracht werden. Der
Fürstlichen Regierung sei an dieser Stelle für die
Gewährung des Studienaufenthaltes namens des
Landesmuseums bestens gedankt.
WOHNMUSEUM HAUS NR. 12
IN SCHELLENBERG
Am Sonntag, 5. Apri l 1998 war das Wohnmuseum
Haus Nr. 12 in Schellenberg - eine Aussensteile
des Liechtensteinischen Landesmuseums - wieder
erstmals regulär für die interessierten Besucher
geöffnet; es war dies bereits die fünfte Saison seit
der Museumseröffnung im Frühjahr 1994. Wenige
Tage zuvor konnte eine Videoanlage installiert wer-
den und der soeben fertiggestellte Videofilm «Die
bewegte Geschichte vom Haus Nr. 12 in Schellen-
berg», eine KÖ-Filmproduktion Schaan, erstmals
aufgeführt werden. Idee, Drehbuch und Kommen-
tar stammen von Hansjörg Frommelt und Norbert
W. Hasler. Der Film beinhaltet Aufnahmen, die
während des Abbaus und der Wiedererstellung des
Biedermannhauses in den Jahren 1992 und 1993
laufend gedreht wurden, ergänzt mit Erläuterun-
gen zur bald fünfhundertjährigen Geschichte des
Hauses anhand einer Führung durch das Wohn-
museum. Er will einen Einblick in die bewegte Ver-
gangenheit des Hauses geben und damit auch ein
Stück weit unsere eigene Geschichte aufzeigen. Am
20. September 1998 fand im Vorfeld der Aktivitäten
«300 Jahre Liechtensteiner Unterland 1999» der
Tag der Begegnung mit den Einwohnern und Ein-
wohnerinnen von Triesenberg in Schellenberg
statt. Das Aufsichtspersonal und der Museums-
leiter standen den zahlreichen Besuchern - es
waren an die vierhundert - mit Aus- und Ein-
führungen über das Haus zur Verfügung. In einem
Saal des Gemeindezentrums wurde der Videofilm
auf Grossleinwand projiziert. Insgesamt durfte das
Wohnmuseum im Berichtsjahr rund 1200 Besu-
cher begrüssen. Verschiedentlich haben Gruppen-
führungen stattgefunden. Für den bewährten Auf-
sichtsdienst sei an dieser Stelle Frau Rosemarie
296
LIECHTENSTEINISCHES
LANDESMUSEUM 1998
Biedermann, Mauren, sowie Frau Rösle Jehle,
Schaan, wiederum herzlich gedankt.
SAMMLUNGEN UND BIBLIOTHEK
«Das Jahrhundert geht dem Ende zu, und neben
den Zielen und Erwartungen für die Zukunft sollte
der Blick in die Vergangenheit nicht vergessen
werden. Wirtschaftliche und technische Faktoren,
Datenautobahnen und Globalisierung sind auch für
die Zukunft nur eine Seite der gesellschaftlichen
Grundlagen, die Kultur und ihre Vermittlung blei-
ben ein wichtiger Bestandteil einer humanen Ge-
sellschaft.» (Gerd Biegel, Braunschweig)
Die reichhaltigen und vielseitigen Sammlungsbe-
reiche des Liechtensteinischen Landesmuseums
konnten im Berichtsjahr um 110 Objekte - Ankäufe
und Schenkungen - erweitert, bisherige Samm-
lungslücken geschlossen werden. Sämtliche Neu-
zugänge sind in Eingangsmeldungen erfasst und
photographisch dokumentiert. Als ein eigentlicher
Sammlungsbeginn konnte der Bereich «Schule und
Bildung» aufgegriffen werden. Die Objekte reichen
von einer Schiebewandtafel über hölzerne Griffel-
schachteln und Schiefertafeln bis hin zu alten
Schulbüchern und Schullandkarten. Im folgenden
soll auf einige der bedeutendsten Neuerwerbungen
des Jahres 1998 eingegangen werden. Ein Ver-
zeichnis der wichtigsten Erwerbungen und Schen-
kungen findet sich im Anhang.
Dank einer grosszügigen Spende der Gedächt-
nisstiftung Peter Kaiser, Vaduz, konnte das Liech-
tensteinische Landesmuseum ein seltenes und kost-
bares Orgelpositiv aus der Mitte des 17. Jahr-
hunderts für seine Sammlungen erwerben. Nach
neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen durch
den Schweizer Organologen Willi Lippuner, Hinter-
forst (SG), und Frau Mag. Dr. Julia Penninger,
Wien, ist dieses Instrument geradezu der Prototyp
der sogenannten «Bodensee-Positive», die rund um
den Bodensee (mit den Eckpfeilern Vorarlberg und
Liechtenstein, das Rheintal, die Kantone St. Gallen,
Appenzell, Thurgau und Schaffhausen, die deut-
schen Landkreise Konstanz, Bodensee und Lindau)
angetroffen werden können. Der gute Zustand des
Instrumentes und der überwiegend hohe Anteil an
alten Pfeifen machen dieses Kleinod zu einem aus-
sergewöhnlichen Objekt des Museums und der
gesamten Region. Dem Liechtensteinischen Lan-
desmuseum eröffnet sich die seltene Chance, der
liechtensteinischen und angrenzenden Bevölke-
rung einen Orgelklang näher zu bringen, der aus
den kulturellen Wurzeln dieser Region herrührt.
Dem Stiftungsrat der Gedächtnisstiftung Peter
Kaiser, Vaduz, sei an dieser Stelle für die Verga-
bung nochmals bestens gedankt.
Im numismatischen Bereich finden sich neben
Jetons, Halb- und Ganztalern der liechtensteini-
schen Fürsten von Johann Adam (1728) bis Fürst
Franz Joseph I. (1778) auch hervorragende Kro-
nenstücke, darunter Raritäten wie das 5-Kronen-
Probe-Stück von 1898, von dem nur wenige Exem-
plare bestehen.
Aus dem künstlerischen Schaffen von Professor
Ferdinand Nigg konnte eine Kohlezeichnung von
hervorragender Qualität erworben werden.
Der Bereich religiöse Volkskunde konnte um
eine erlesene Sammlung filigraner Rosenkränze
des 18. und frühen 19. Jahrhunderts sowie um so-
genannte Stundengebets- und Bruderschaftsformu-
lare ergänzt werden.
Aus der kartographischen Sammlung sei der
Atlas Suisse des J. R. Meyer und J. H. Weiss mit 16
grossformatigen Kupferstichkarten, erschienen in
Aarau im Zeitraum 1796 bis 1802, erwähnt.
Die Fachbibliothek des Liechtensteinischen Lan-
desmuseums konnte ebenfalls kontinuierlich aus-
gebaut und erweitert werden.
297
DANK STIFTUNGSRAT
Die Leitung des Liechtensteinischen Landesmu-
seums dankt der Fürstlichen Regierung, dem Stif-
tungsrat und der Museumskommission für Vertrau-
en und Unterstützung, den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern für eine angenehme und effiziente
Zusammenarbeit. Ein besonderer Dank gebührt
dem Personal der Archäologischen Forschung in
Liechtenstein, Herrn Hansjörg Frommelt, Leiter,
Frau Mag. Ulrike Mayr und Frau Dr. Verena Hasen-
bach für vielfältige und gute Zusammenarbeit.
Insbesondere gilt ein herzlicher Dank für Ver-
gabungen in die Sammlungen und die Fachbiblio-
thek des Museums:
- Fürstlicher Rat Robert Allgäuer, Vaduz
- Antoinette Beck, Schaan
- Albert Bicker, Grabs
- Pfarrer Engelbert Bucher, a. Dekan, Triesenberg
- Gedächtnisstiftung Peter Kaiser, Vaduz
- Gemeindeverwaltung Eschen
- Helmut Kranz, Vaduz
- Dr. Edwin Oberhauser, Götzis
- Arthur Reutimann, Buchs
- Univ. Prof. Dr. Elmar Vonbank, Bregenz
- Norbert Wenaweser, Nendeln
Mag. Edmund Banzer, Hohenems
Trudy Bricci-Marok, Mauren
Ulrike Brunhart, Balzers
Dr. Kurt F. Büchel, Triesen (Präsident);
bis 17. März 1998
Paul Büchel, Ruggell; bis 17. März 1998
lic. phil. Roland Hilti, Schaan
Maria Marxer, Gamprin; seit 17. März 1998
lic. phil. Veronika Marxer, Schaan;
bis 17. März 1998
lic. phil. Eva Pepic, Schaan (Präsidentin);
seit 17. März 1998
Dr. Thomas Wilhelm, Vaduz; seit 17. März 1998
MUSEUMSKOMMISSION
lic. phil. Norbert W. Hasler, Schaan (Vorsitz)
Johann Otto Oehry, Triesen
Univ. Prof. Dr. Elmar Vonbank, Bregenz
Manfred Wanger, Planken
MUSEUMSPERSONAL
lic. phil. Norbert W. Hasler, Schaan, Museumsleiter
Gertrud Frick, Schaan, Teilzeitmitarbeiterin
Paul Frick, Schaan, Museumstechniker, Photo-
graph
Thomas Müssner, Bendern, Restaurator
Rosemarie Biedermann, Mauren, Aufsicht Wohn-
museum Schellenberg
Rösle Jehle, Schaan, Aufsicht Wohnmuseum
Schellenberg
Vaduz, im Januar 1999
Der Jahresbericht 1998 ist vom Stiftungsrat des
Liechtensteinischen Landesmuseums in seiner Sit-
zung vom 8. Februar 1999 genehmigt worden.
298
LIECHTENSTEINISCHES
LANDESMUSEUM 1998
Verzeichnis der wichtigsten
Erwerbungen und Geschenke
GRAPHIK UND KARTOGRAPHIE
Ursula von Liechtenstein. Kupferstich um 1550.
VRSVLA A LIECHTENSTEIN CONIVNX NVPTA
Ao. D: 1540.
33,6 x 24 cm. E 98/54
Atlas Suisse von J. R. Meyer und J. H. Weiss.
16 Kupferstichkarten. Erstausgabe, Aarau,
1796 bis 1802.
208 x 284 cm. E 98/91
Rundschau vom Margarethenkapf bei Feldkirch.
Lithographie. Hrsg. Wagner'sehe Lithographie in
Innsbruck, um 1900.
23 x 52 cm. E 98/55
Umgebung von Bludenz und Vaduz.
Kupferstichkarte von J. David, um 1840.
27 x 39 cm. E 98/33
Gebirgs-, Post- und Reisekarte.
Tyrol, Südbayern und Liechtenstein.
Verlag Georg Franz, München 1855/56.
32,4 x 56,6 cm. E 98/30
Kupferstich mit dem
Porträt der Ursula von
Liechtenstein, angefertigt
um 1550
Aus 16 Kupferstichkarten
besteht der in den Jahren
1796 bis 1802 in Aarau
gedruckte «Atlas Suisse».
Der die Karten schützende
Originalschuber ist eben-
falls vorhanden
299
Das aus dem Bodensee-
raum oder aus dem Rhein-
tal stammende Orgel-
positiv ist die wohl bedeu-
tendste Neuerwerbung
für das Landesmuseum im
Berichtsjahr 1998. Das
sich in einem guten
Zustand befindliche In-
strument wartet mit einem
hohen Anteil an alten
Pfeifen auf. Der Orgelklang
des 17. Jahrhunderts kann
deshalb in beinahe un-
verfälschtem Zustand
wiedergegeben werden.
Auf dem linken Flügel ist
König David mit der Harfe
zu sehen, auf dem rechten
Flügel ist Orpheus zu er-
kennen, der mit seinem
Geigenspiel die Tiere
betört. Sowohl David als
auch Orpheus sind Ver-
mittler der göttlichen
Musik.
300
LIECHTENSTEINISCHES
LANDESMUSEUM 1998
KUNST UND KUNSTHANDWERK
Orgelpositiv, 1. Hälfte 17. Jahrhundert.
Provenienz Rheintal / Bodenseeraum.
Höhe 198 cm, Breite mit geöffneten Flügeln
270 cm.
Disposition: Koppel 8', Holzflöte 4', Prinzipal 2',
Oktave F , Quinte.
Bemalte Flügel: König David und Orpheus.
Geschenk der Gedächtnisstiftung Peter Kaiser,
Vaduz.
E 98/50
Puttenpaar. Holzgeschnitzt und gefasst.
Umkreis Erasmus Kern, Feldkirch, Mitte 17. Jahr-
hundert.
Zirka 26 x 14 cm. E 98/48
Putto. Holzgeschnitzt und gefasst.
17. Jahrhundert.
Zirka 30 x 16 cm. E 98/47
Napoleon in der Schlacht bei Waterloo.
Gouache über Aquatinta, weiss gehöht.
Frankreich, um 1815.
17 x 23 cm. E 98/51
Maria mit Kind und Engel.
Kohlezeichnung von Ferdinand Nigg (1865 bis
1949).
Links unten bez. F. N .
62 x 23,5 cm. E 98/62
Bristen im Maderanertal. Öl auf Leinwand.
Gemälde von Fritz Blacha.
Rechts unten datiert und signiert: F. B. 1936.
47,5 x 63 cm. E 98/90
Ferdinand Sele und sein Haus. Bauer und
Wilderer von Triesenberg (* 1829; 11920). Porträt
in Farbkreide von Peter Balzer.
Rechts unten bezeichnet Balzer, 1914.
32,5 x 27 cm. E 98/84
Weg vom Steg ins Malbun. Öl auf Leinwand.
Friedrich Kaufmann (1892 bis 1972).
Links unten signiert Fr. Kaufmann.
67 x 55,5 cm. E 98/23
I i * *.ß »i « f t t
w
11
-*V *%¥lt£% +
Ein charakteristisches
Werk von Ferdinand Nigg
ist diese Kohlezeichnung,
auf der die Gottesmutter
Maria mit dem Jesuskind,
von einem Engel behütet,
zu sehen ist
301
Peter Balzer porträtierte
im Jahre 1914 den damals
85-jährigen Bauern und
Wilderer Ferdinand Sele.
Im Hintergrund dieser
charaktervollen, mit Farb-
kreide angefertigten Por-
trätstudie ist das Wohn-
und Stallgebäude des
Triesenbergers Ferdinand
Sele zu erkennen
HERALDIK
Wappen der Grafen von Montfort.
Kolorierter Kupferstich auf Pergament.
30 x 23,5 cm. E 98/24
Wappentafel (Gusseiserne Ofenplatte), datiert 1851.
Wappen des Königreichs Bayern (1806 bis 1918),
Wappenspruch: GERECHT UND BEHARRLICH.
56 x 70 cm. E 98/1
Geschenk: Helmut Kranz, Vaduz
NUMISMATIK
Jeton. Silber, unzirkuliert, 1773.
Fürst Joseph Wenzel von Liechtenstein.
0 2,5 cm. E 98/37
Halbtaler. Silber, Stempelglanz, unzirkuliert, 1758.
Fürst Joseph Wenzel von Liechtenstein.
0 3,4 cm. E 98/35
Halbtaler. Silber, unzirkuliert, 1778.
Fürst Franz Joseph I. von Liechtenstein.
0 3,4 cm. E 98/36
Ganztaler. Silber, vorzüglich, unzirkuliert, 1728.
Fürst Johann Adam von Liechtenstein.
0 4,1 cm. E 98/38
Ganztaler. Silber, vorzüglich, unzirkuliert, 1758.
Fürst Joseph Wenzel von Liechtenstein.
0 4,1 cm. E 98/39
Ganztaler. Silber, stempelglanz, unzirkuliert, 1778.
Fürst Franz Joseph I. von Liechtenstein.
0 4,1 cm. E 98/40
Fünf-Kronen-Probestück.
Silber, unzirkuliert, 1898.
Fürst Johann II. von Liechtenstein.
0 3,7 cm. E 98/2
Eines der wenigen erhaltenen Exemplare.
Zehn-Kronen-Stück.
Gold, Avers- und Revers-Abschlag, 1900.
0 1,9 cm. E 98/3
Grosse Rarität.
302
LIECHTENSTEINISCHES
LANDESMUSEUM 1998
In sehr gutem Zustand
präsentiert sich der hier
abgebildete Halbtaler aus
dem Jahre 1758. Er zeigt
ein Profilporträt des Fürs-
ten Joseph Wenzel sowie
auf der Rückseite das
Wappen des Fürstlichen
Hauses Liechtenstein
Vom hier gezeigten Fünf-
Kronen-Probestück aus
dem Jahre 1898 gibt es
nur einige wenige Exem-
plare. Die unzirkulierte
Silbermünze zeigt ein
Profilporträt des Fürsten
Johann II. sowie auf der
Rückseite das fürstlich-
liechtensteinische Wappen
RELIGIÖSE VOLKSKUNST
Reliquienkreuz. Holzgeschnitzt, mit Elfenbein-
plättchen an den Kreuzenden. Darstellung der
Hl. Dreifaltigkeit, der Schmerzensmutter Maria,
auf der Rückseite die Leidenswerkzeuge Christi,
18. Jahrhundert.
Höhe 18,5 cm, Breite 8 cm, Tiefe 2,5 cm. E 98/85.
Rosenkranz, Silber mit Holzperlen. Silberanhänger
mit der Wallfahrtskirche Altöttingen, datiert 1810.
Länge 47 cm. E 98/67
Rosenkranz, Silber mit emailliertem Kreuz und
Medaillen.
Korallenperlen. 18. Jahrhundert.
Länge 36 cm. E 98/72
Stundenbruderschafts-Formulare oder «heilsamer
Trost für die Sterbenden», mit Kupferstich
«Wachet, denn ihr wisset weder den Tag, noch
die Stunde. Math. 25.» Gedruckt in Konstanz,
Wagner'sche Schriften. Um 1800.
16,5 x 19,8 cm. E 98/86
303
Aus dem Alpenraum
stammt dieses im
18. Jahrhundert angefer-
tigte holzgeschnitzte
Reliquienkreuz. Auf der
Vorderseite sind die heilige
Dreifaltigkeit und die
Schmerzensmutter Maria
zu sehen
Dieser alpenländische
Rosenkranz ist mit Koral-
lenperlen, filigranen
Silberanhängern und
-kreuz sowie einem email-
lierten Kreuzigungsbild
ausgestattet. Er datiert
aus dem späten 18. Jahr-
hundert
304
LIECHTENSTEINISCHES
LANDESMUSEUM 1998
VERSCHIEDENES
Waffeleisen. Um 1880.
20 x 13 cm. E 98/92
Fliegenglas. Sogenannte «Fliegenfalle», Mitte
19. Jahrhundert.
Höhe zirka 20 cm, 0 Boden zirka 13 cm. E 98/42
Hölzernes Rahmgefäss.
Höhe 16 cm, 0 Boden zirka 45 cm. E 98/76
Getreidemass. Holzzylinder mit Metallsteg.
Höhe 27,5 cm, 0 28 cm. E 98/75
Bügeleisen. Gusseisen mit Metalleinsatz, Holzgriff.
Um 1820.
Länge 22 cm, Höhe zirka 19 cm. E 98/45
Messingbügeleisen mit Metalleinsatz, Holzgriff.
Um 1850.
Länge 19 cm, Höhe zirka 17 cm. E 98/44
Heuschrote.
Länge 92 cm, Klingenbreite 21,5 cm. E 98/74
Aus dorn 19. Jahrhundert
stammt dieses hölzerne
Getreidemass in Form
eines Zylinders, der durch
Eisenbänder und einen
Metallsteg zusammenge-
halten wird
Der St. Galler Sticklehrer
Fidel Erni widmete im
Jahre 1887 diese Sticke-
reiarbeit dem landwirt-
schaftlichen Verein in
Liechtenstein
305
Zwei Paar Ochsenhufeisen.
Länge zirka 10 cm, Breite je 6 cm. E 98/106 und
E 98/107
Dreipassfenster mit Butzenscheiben, angeblich
aus der alten Pfarrkirche St. Lorenz in Schaan.
Höhe 51,5 cm, Breite 44,5 cm. E 98/5
Stickereiarbeit. «Dem Landwirtschaftlichen Verein.
Fürstentum Liechtenstein», gewidmet von Fidel
Erni.
Sticklehrer St. Gallen 1887.
45,5 x 47 cm. E 98/82
Diplom der Liechtensteinischen Landesausstellung
in Vaduz vom 29. September bis 15. October 1895.
Auszeichnung an den landwirtschaftlichen Verein
für die instructive Ausstellung.
Lithographie von Peter Balzer, 1895.
38 x 46 cm. E 98/83
Faksimile-Urkunde Kaiser Karls VI. vom 23. Janu-
ar 1719, Erhebung der Herrschaft Schellenberg
und der Grafschaft Vaduz zum Reichsfürstentum
Liechtenstein. Nr. 5/980. E 98/112
Schulwandtafel. Zwei an Seilzug verschiebbare
Schiefertafeln mit Ablagefläche und -fächern.
2. Hälfte 19. Jahrhundert.
Länge 149 cm, Höhe 85 cm. E 98/6
Griffelschachtel. Holz, mit Schiebedeckel und
Schwenkfach.
Länge 23,5 cm, Breite 3,7 cm, Höhe 3,4 cm.
E 98/7
Griffelschachtel. Holz, mit Schiebedeckel und
Schwenkfach.
Länge 23,2 cm, Breite 6,2 cm, Höhe 3,3 cm.
E 98/8
Habbels Fleisszettel («Privilegien»). 24 Blatt mit je
12 Spruchzetteln in Originalumschlag, um 1900.
Verlag von Josef Habbel in Regensburg.
19 x 12 cm (Blatt). E 98/89
ABBILDUNGSNACHWEIS
Paul Frick, Liechtenstei-
nisches Landesmuseum,
Vaduz
ANSCHRIFT DES AUTORS
lic. phil. Norbert W. Halser
Liechtensteinisches
Landesmuseum
FL-9490 Vaduz
306
DAS LIECHTEN-
STEINISCHE
L A N D E S M U S E U M
VOR D E M
NEUBEGINN
RENOVATION UND ERWEITERUNG LIECHTEN-
STEINISCHES LANDESMUSEUM
MICHAEL PATTYN UND NORBERT W. HASLER
Blick von Nordwesten auf
das renovierte Landes-
museumsgebäude mit dem
Nordwestteil des Erweite-
rungsbaus. Computer-
grafik
308
DAS LIECHTENSTEINISCHE LANDESMUSEUM VOR DEM
NEUBEGINN / MICHAEL PATTYN / NORBERT W. HASLER
Seit der aus statischen Gründen notwendig gewor-
denen Schliessung des Landesmuseums im Früh-
jahr 1992 befindet sich das Ausstellungsgut in
Depoträumen im Mehrzweckgebäude in Triesen.
Zusammen mit den Museumssammlungen ist auch
die Museumsleitung nach Triesen übersiedelt.
Nach sorgfältigen Vorbereitungs- und Planungs-
arbeiten kann nun bald mit der Renovation der
bestehenden Bauten des Landesmuseums wie auch
mit der seit langer Zeit notwendig gewordenen
baulichen Erweiterung begonnen werden.
KURZER RÜCKBLICK IN DIE GESCHICHTE
DES LIECHTENSTEINISCHEN LANDES-
MUSEUMS
Bald nach seinem Amtsantritt im Jahre 1892 fasste
der damalige Landesverweser Friedrich Stellwag
von Carion den Plan, «in den früheren Kasernloka-
litäten auf Schloss Vaduz ein Museum einzurichten,
das aus einer Abteilung von Antiquitäten und
Raritäten, einer naturhistorischen Abteilung und
einer Ausstellung von Erzeugnissen der hierländi-
schen Industrie und des Gewerbefleisses bestehen
soll». Stellwag von Carion dachte zunächst daran,
die Mittel für die Einrichtung und den Ankauf
musealer Gegenstände dem fürstlichen Wohltätig-
keitsfonds zu entnehmen. Er hatte erkannt, dass
unser Land schon lange ein begehrtes Tätigkeits-
feld für Antiquitätenhändler geworden war, wo-
durch vieles an altem und wertvollem Kulturgut
spurlos und unwiederbringlich verlorengegangen
ist. Am 18. Oktober 1893 legte er seine Pläne Fürst
Johannes II. bei einer Audienz in Wien vor und
fand beim Fürsten, der stets für kulturelle Anliegen
sehr interessiert war, volles Verständnis und die
Bereitschaft zur Förderung. Es wurde nicht nur die
Unterbringung des zu gründenden Museums auf
Schloss Vaduz bewilligt, sondern Fürst Johannes
sagte zugleich die finanzielle Unterstützung zu und
widmete einen ersten Betrag von 1 000 Gulden für
Einrichtung und Ankäufe des Museums. Stellwag
gab seiner Gründung den Namen «Fürstliches Lan-
desmuseum». Die erste bescheidene Sammlung
kam auf Schloss Vaduz. Der Gründer Stellwag von
Carion erlebte jedoch die Eröffnung des Museums
nicht mehr, er starb bereits 1896 im Alter von vier-
zig Jahren. Im Jahre 1904 wurde die grundlegende
Renovation von Schloss Vaduz in Angriff genom-
men, die Museumssammlung wurde vorüberge-
hend im neuen Regierungsgebäude untergebracht.
Einige Jahre nach der Wiederherstellung des
Schlosses konnte das Museum im Bibliothekszim-
mer und zwei weiteren Räumen erneut eingerichtet
werden. Schon bald nach der Gründung des Histo-
rischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein
im Jahre 1901 wurde die Förderung der Museums-
ziele ein erklärtes und zentrales Anliegen des His-
torischen Vereins.
Als im Jahre 1938 der Umbau des Schlosses zur
Residenz des Fürsten in Angriff genommen wurde,
musste das Museumsgut wieder übersiedeln, dies-
mal in das Rathaus in Vaduz und als Depotsamm-
lung in das Schulhaus Ebenholz. 1952 kommt eine
Vereinbarung der Regierung mit dem Verwaltungs-
rat der Liechtensteinischen Landesbank zustande:
Die Bank überlässt dem Museum das oberste
Stockwerk des Neubaues. Zu Pfingsten 1954 wird
das Museum eröffnet. 1966 kam die Nachricht,
dass die Landesbank die Räume des Museums
dringend für eigene Zwecke benötige. Das Landes-
museum wurde erneut geschlossen, die Samm-
lungsbestände behelfsmässig magaziniert. Erst
nach erfolgtem Umbau des benachbarten ehema-
ligen Zoll- und Gasthauses «Zum Adler» in den
Jahren 1968 bis 1970 verfügte das Landesmuseum
erstmals über ein eigenes Ausstellungs- und Ver-
waltungsgebäude. Am 15. April 1972 konnte das
Liechtensteinische Landesmuseum in den neu re-
novierten Räumlichkeiten eröffnet werden. Mit
Gesetz vom 9. Mai 1972 wurde die öffenlich-recht-
liche Stiftung Liechtensteinisches Landesmuseum
errichtet. Das zwischen dem Gebäude des Landes-
museums und dem Regierungsgebäude liegende
Verweserhaus, ursprünglich das Verwaltungsge-
bäude des Landesverwesers, wurde in weiterer
Folge für die Erweiterung der Verwaltungsräume
des Landesmuseums sowie für Unterrichtsräume
der Liechtensteinischen Musikschule genutzt.
309
Das Liechtensteinische Landesmuseum erfreute
sich nicht zuletzt auch wegen seines wertvollen
Ausstellungsgutes ständig zunehmender Beliebt-
heit, so dass zu Beginn der 1980er Jahre an eine
bauliche Erweiterung gedacht werden musste. Die-
se sollte im Zusammenhang mit der ebenfalls
notwendig gewordenen Einrichtung eines Land-
tagsgebäudes und einer baulichen Erweiterung des
Landesarchivs erfolgen. Ein hierfür vom Schweizer
Architekten Luigi Snozzi geplantes Gesamtprojekt
wurde jedoch in einer im März 1993 durchge-
führten Volksabstimmung abgelehnt, womit auch
die zwischenzeitlich prekär gewordenen Raum-
verhältnisse des Landesmuseums nicht verbessert
werden konnten.
Der widrigen Umstände waren jedoch noch
nicht genug. Das vorläufige Aus der Ausstellungen
des Liechtensteinischen Landesmuseums kam
1992 mit der Errichtung der Zubauten der benach-
barten Liechtensteinischen Landesbank. An Lan-
desmuseum und Verweserhaus entstandene Ge-
bäudesetzungen von bis zu sieben Zentimeter
machten die Schliessung des Landesmuseums not-
wendig. Der Unterrichtsbetrieb der Liechtenstei-
nischen Musikschule im Verweserhaus konnte
noch unter schwierigen Bedingungen fortgesetzt
werden.
EIN NEUER ANFANG FÜR DAS LANDES-
MUSEUM
Im Mai 1996 hat der Landtag 26,5 Millionen
Franken für eine Renovation und Erweiterung
des Liechtensteinischen Landesmuseums geneh-
migt. Am bisherigen Standort sollte das Landes-
museum nun so rasch wie möglich seinen Aus-
stellungsbetrieb im Gebäude des Landesmuseums,
im benachbarten Verweserhaus sowie in einem
Erweiterungsbau wieder aufnehmen können. Ne-
ben landeskundlichen und landesgeschichtlichen
Dauerausstellungen von prähistorischer Zeit bis
in die Gegenwart sollen nun auch naturkundliches
Ausstellungsgut in einer Dauerausstellung gezeigt
und Wechselausstellungen durchgeführt werden
können. Medien- und Schulungsräume, eine Cafe-
teria sowie Ausstellungswerkstätten, Kulturgüter-
schutzräume und Büros für die Museumsleitung
waren ebenfalls einzuplanen.
Im Oktober 1997 wurde ein europaweit aus-
geschriebener Architekturwettbewerb eingeleitet.
«Die Wiederherstellung der Bauten und die Wie-
dereinrichtung des Museumsbetriebes ist vordring-
lich. Nach sorgfältiger Abwägung der politischen,
kulturellen und fachlichen Aspekte hat der Landtag
entschieden, diese beiden Bauten zu sanieren und
mit einem hangseitigen Erweiterungsbau zu ergän-
zen. Mit dem vorliegenden Architekturwettbewerb
soll der bestgeeignete Projektvorschlag und Ar-
chitekt für die rasche Realisierung dieses Bau-
vorhabens ermittelt werden. Mit den bisherigen
Vorarbeiten sind die Finanzierung mit Gesamtanla-
gekosten von 26,5 Millionen Franken sowie die
eigentums- wie planungsrechtlichen Voraussetzun-
gen definitiv gesichert» 1 , heisst es im Wettbewerbs-
programm. Die Zielsetzung wird wie folgt um-
schrieben: «Der Wettbewerb soll in Projekten
aufzeigen, wie eine historische Bausubstanz zeit-
gemäss und substanziell schonend adaptiert, reno-
viert und erweitert werden kann. Es ist im wei-
teren aufzuzeigen, wie in grundsätzlicher Beach-
tung der ortsplanerischen Grundlagen der Zen-
trumsplanung Vaduz der planerische Spielraum für
die künftige bauliche Entwicklung im Bereich des
310
DAS LIECHTENSTEINISCHE LANDESMUSEUM VOR DEM
NEUBLCINN / MICHAEL PATTYN / NORBERT W. HASLER
Regierungsviertels und der Schlosshalde offenge-
halten werden kann. Obwohl die Renovation und
Erweiterung des Landesmuseums ein in sich ab-
geschlossenes Projekt darstellt, soll sichergestellt
werden, dass der Planungsspielraum ausserhalb
des Planungsperimeters für künftige Zu- und
Erweiterungsbauten offenbleibt». 2
Unter insgesamt 191 Bewerbern aus ganz
Europa wurden durch eine Jurykommission 29
Architekten beziehungsweise Architekturbüros -
unter ihnen drei aus Liechtenstein - zur Teilnahme
am Architekturwettbewerb eingeladen.
Am 19. Mai 1998 war es dann soweit. Nach
zweitägiger Prüfung und Begutachtung wurde der
Projektvorschlag mit dem Synonym «Reihenfolge»
des aus Balzers stammenden Architektenteams
Frank Brunhart, Johannes Brunner und Christoph
Kranz durch ein internationales Preisgericht * unter
dem Vorsitz von Regierungschef Dr. Mario Frick
aus 23 eingereichten Projektvorschlägen ausge-
wählt. Der Architekturwettbewerb wurde im ano-
nymen Verfahren durchgeführt.
Neben dem ersten Rang wurden vom Preisge-
richt fünf weitere Ränge vergeben. Rang zwei bis
sechs gingen an Architekt Hansjörg Göritz aus
Hannover, die Architekten Wilhelm Kugler, Regi-
nald Eckhoff und Mathias Richlmann aus Stuttgart,
die Architekten Valentin Bearth und Andrea De-
plazes aus Chur, die Architekten Dietrich Fink und
Thomas Jocher aus München sowie die Architekten
Jury-Kommission bei der
Arbeit, Mai 1998
1) Wettbewerbsprogramm mit Er läuterungen zur Planungsauflage,
Vaduz, 9. Oktober 1997, S. 4.
2) Wettbewerbsprogramm mit Er läuterungen zur Planungsauflage,
ebenda, S. 12.
3) Das Preisgericht setzt sich wie folgt zusammen: Sachpreisrichter:
Regierungschef Dr. Mario Frick. Vorsitzender; Regierungsrät in Dr.
Andrea Will i ; lic. oec. Karlheinz Ospelt. Bürgermeis ter von Vaduz;
Fachpreisrichter: Arch . BSA/SIA Ernst Gisel, Zürich; Arch . Prof.
Barbara Jakubeit, Berlin; Arch . BSA/SIA Peter Quarella, St. (lallen;
Arch . BSA/SIA Wilf r id Steib, Basel; Arch . Walter Walch, Hochbau-
amt, Vaduz; Beratende Mitglieder: Dr. Kurt F. Büchel, Präsident des
Stiftungsrates des Liechtensteinischen Landesmuseums; lic. phil.
Norbert W. Hasler, Leiter des Liechtensteinischen Landesmuseums;
Arch. ETH Michael Pattyn, Hochbauamt, Vaduz; Arch . Florin Frick,
Schaan; Dr. Georg Malin, Kunsthistoriker und Kunstschaffender,
Mauren.
Jury-Kommission beim
Rundgang. Diskussion
über die einzelnen Wett-
bewerbsprojekte
Blick in die Ausstellung
der Pläne und Modelle im
Foyer des Vaduzersaales
3 1 1
Modell des Siegerprojektes
«Reihenfolge» der Archi-
tektengemeinschaft Frank
Brunhart, Johannes Brun-
ner und Christoph Kranz,
Balzers
Planansicht der West-
fassade der gesamten
Museumsgebäude. Links
der Landesmuseums-
bau, rechts das Verweser-
haus, im Hintergrund
die Fassade des Erweite-
rungsbaus
Liechtensteinisches Landesmuseum, Renovation und Erweiterung, Vorprojekt Brunhart Brunner Kranz Architekten A G
Westfassade 21.01.99
312
DAS LIECHTENSTEINISCHE LANDESMUSEUM VOR DEM
NEUBEGINN / MICHAEL PATTYN / NORBERT W. HASLER
Johannes Modersohn und Antje Freiesleben aus
Berlin. Zusätzlich zu den Rängen wurde ein Ankauf
an Architekt Professor Wilhelm Kücker aus Mün-
chen vergeben. Das Ergebnis des Architektur-
wettbewerbs «Renovation und Erweiterung des
Liechtensteinschen Landesmuseums» wurde vom
26. Mai bis 8. Juni 1998 im Foyer des Vaduzer-Saa-
les öffentlich ausgestellt.
Das unter der Leitung von Architekt Frank Brun-
hart eingereichte Projekt zeichnet sich durch einen
sensiblen Umgang mit dem historischen Baube-
stand und durch Zurückhaltung bei der Planung
des in den Hangfuss des Schlosswaldes integrierten
Erweiterungsbaus aus. Im Schlussbericht der Jury
heisst es: «Projekt Nr. 8, Kennwort: Reihenfolge. -
Das Projekt ist das Resultat einer sorgfältigen
Analyse der topographischen Gegebenheiten am
Schlosswald / Schlossberg. Der Neubau versteht
sich als <Bauen im Berg> und artikuliert sich nach
aussen durch seine Zugehörigkeit zum System der
parallel verlaufenden Stützmauern - gleichzeitig
auch Schutzmauern für die bestehenden Gebäude.
Durch die Neubaumassnahmen klärt sich die
Konstellation von Hangsituation und Altbauten. Die
geometrische Struktur des Neubautrakts entsteht
aus dem präzisen Studium des Terrains. Auf na-
türliche Belichtung wird zu Gunsten geschlossener
Mauerflächen weitgehend verzichtet. Da das Ge-
bäude in den Hang eingegraben ist, werden auch
keine Oberlichträume vorgeschlagen.
Durch das <Bauen im Berg> und die zurückhal-
tende Verfestigung des Schlossbergs in Form einer
Abfolge von Stützmauern werden die beiden Alt-
bauten - Landesmuseum und Verweserhaus - in
ihrer solitären Wirkung gesteigert und aufgewertet.
Der Haupteingang zum Landesmuseum liegt wie
bisher auf der Nordseite des Altbaus. Von hier wer-
den auch das Verweserhaus und der Neubautrakt
erschlossen. Ein Gelenk, bestehend aus Treppen
und Rampen, verbindet die Altbauten hindernis-
frei. Die räumlichen Verhältnisse im Eingangs-
bereich des Altbaus sind eng.
Hervorzuheben ist die zweigeschossige Trep-
penhalle, die zur Wechselausstellung führt. Am
Gelenkpunkt liegt ein Ausstellungsraum mit Seiten-
licht und Ausblick. Darunter befinden sich die
naturwissenschaftlichen Sammlungen. Das Aus-
stellungsgut der landeskundlichen Abteilung ist auf
die Altbauten verteilt.
Der Entwurf basiert auf einer intensiven Aus-
einandersetzung mit Hang und Topographie. Die
gestalterischen und architektonischen Formulie-
rungen sind auf hohem Niveau. Der Umgang mit
der historischen Bausubstanz ist vorbildlich. Es
handelt sich beim vorliegenden Projekt um einen
eigenwilligen und wertvollen Beitrag zur Lösung
der gestellten Aufgabe». 4
ERARBEITUNG DES BAUPROJEKTES
Auf Grundlage des vom Preisgericht zur Aus-
führung empfohlenen Siegerprojektes hat das
Architektenteam gemeinsam mit Fachplanern und
Spezialisten ein Vorprojekt und schliesslich ein zur
Baueingabe reifes Bauprojekt bis zum Sommer
1999 ausgearbeitet. Neben der grundrisslichen
Anpassung des Projektes auf die Bedürfnisse der
künftigen Nutzung und der Besucher des Gebäudes
bedurfte die Berechnung des zu erwartenden
Hangdrucks auf den geplanten Erweiterungsbau
und der fachgerechte Umgang mit den historischen
und in arge Mitleidenschaft gezogenen Altbauten
grösster Sorgfalt sowie umfangreicher Überprü-
fungen und Abklärungen.
Neben der Schaffung attraktiver und zeitgemäs-
ser Bedingungen für den Betrieb und Unterhalt
eines Museums von ganz besonderer kulturpoli-
tischer Tragweite für das Land Liechtenstein ver-
folgt das Projekt das Ziel der Erhaltung eines
letzten bedeutenden Reliktes von Alt-Vaduz, einer
unter Denkmalschutz stehenden Gebäudegruppe
von historischer Bedeutung im Regierungsviertel,
in einem sich markant und kontinuierlich ändern-
den Umfeld.
4) Aixhitekturwettbewerb zur Renovation und Erweiterung des
Liechtensteinischen Landesmuseums in Vaduz. Bericht des Preis-
gerichts, 19. Mai 1998, S. 21.
313
Noch präsentieren sich die
Museumsbauten in ihrem
havarierten Zustand, ein
bereits gewohnter Anblick
im Dorfbild von Vaduz.
Am 20. September 1999
erfolgt der Spatenstich,
der offizielle Beginn
der Bau- und Renovations-
arbeiten. Aufnahme
August 1999
Blick auf Verweserhaus
und Landesmuseum vor
Beginn der Renovations-
arbeiten. Aufnahme
August 1999
BAUBEGINN IM HERBST 1999
Im Oktober 1999 wird mit der Einrichtung der
Baustelle des Landesmuseums begonnen. Sie wird
sich damit in die Reihe der in Vaduz zur Zeit be-
stehenden prominenten Baustellen eingliedern.
Zusammen mit der Verkehrsfreihaltung der Städtli-
strasse und deren Neugestaltung werden der Zu-
bau von Gemeinde- und Privatbauten, der Neubau
eines Kunstmuseums und die Bauarbeiten für ein
renoviertes und erweitertes Landesmuseum das
Geschehen im Zentrum der Kapitale Liechtensteins
in den kommenden Jahren mitbestimmen. Nach
der Installation der Baustelle des Landesmuseums
und nach erfolgter Durchführung von Rodungs-
arbeiten im hangseitigen Bereich von Landesmu-
seum und Verweserhaus wird im Herbst mit dem
Abtrag von Hangschutt und Felsen für den künf-
tigen Erweiterungsbau begonnen. Diese Arbeiten
nehmen einen Zeitraum von fast einem Jahr in An-
spruch. Im Herbst 2000 werden dann die eigent-
lichen Hochbauarbeiten am Erweiterungsbau und
anschliessend Renovation und Umbau der Altbau-
ten folgen.
DIE KÜNFTIGEN AUSSTELLUNGEN DES
LANDESMUSEUMS
Gleichzeitig mit der Planung des Bauvorhabens hat
auch die Museumsleitung damit begonnen, die
künftigen Ausstellungsbereiche zu konzipieren und
durch Wahl ansprechender Themen inskünftige
Museumsbesuche interessant und spannend wer-
den zu lassen. Eine von der Regierung eingesetzte
Arbeitsgruppe mit Fachleuten aus den verschie-
denen musealen Fachbereichen entwickelte dazu
in enger Zusammenarbeit mit Univ. Prof. Dr. Roger
Sablonier, Zürich und Zug, und der Beratungs-
stelle für Landesgeschichte B/L/G, Zug, entspre-
chende Ausstellungs- und Informationskonzepte.
Während die Dauerausstellungen des Landesmu-
seums einen repräsentativen Überblick über die lan-
desgeschichtliche Kultur- und Naturentwicklung auf
gesamthaft rund 1400 m 2 Dauerausstellungsfläche
314
DAS LIECHTENSTEINISCHE LANDESMUSEUM VOR DEM
NEUBEGINN / MICHAEL PATTYN / NORBERT W. HASLER
vermitteln sollen, besteht auf rund 500 m2 Wech-
selausstellungsfläche die Möglichkeit, bestimmte
Themenbereiche zu vertiefen und neue Ausstel-
lungsschwerpunkte zu setzen.
Neben der Präsentation von Ausstellungen wird
sich das Landesmuseum auch weiterhin der
Sammlung und fachgerechten Restaurierung und
Konservierung sowie der Aufbewahrung der
Museumsobjekte widmen. Fachleute und interes-
sierte Laien sollen über das Medium der Elektronik
Informationen unterschiedlichster Art erhalten. Es
werden zudem Medien- und Schulungsräume ein-
gerichtet, die speziell Kinder und Jugendliche
ansprechen sollen. Mittelfristig ist auch die Ein-
richtung einer Fachstelle für Museumspädagogik
geplant. Ausstellungskataloge, Publikationen sowie
ein reichhaltiges, ausgewähltes Angebot aus dem
Museumsshop runden das dem Museumsbesucher
angebotene Programm ab.
Das bislang erarbeitete Konzept der Daueraus-
stellungen5 sieht folgende Grundsituation und Aus-
gangslage vor:
Räumlich ist von drei Häusern auszugehen, von
denen jedes einen eigenen Charakter hat, für die
aber eine gemeinsame Erschliessung und Nutzung
vorgegeben ist. Inhaltlich und museologisch fordert
das Leitbild des Liechtensteinischen Landesmu-
seums ausdrücklich eine Integration der Teilge-
biete Naturgeschichte, Archäologie, Volkskunde
und historische Landeskunde. Unterschiede in der
Zielsetzung und im Objektbestand dieser Teilge-
biete sind trotzdem zu respektieren. Auch die Dau-
erausstellungen sollen ein hohes Potential zur
Flexibilisierung aufweisen. Dem ist mit einer Ge-
staltungsweise, welche Ausbaugrad und Mittel-
einsatz differenziert, Rechnung zu tragen.
Auf einen festen Rundgang durch das ganze
Museum - auf Zeiten, Themen oder Materialien
ausgerichtet - wird verzichtet.
Das neue Landesmuseum wird als Kommuni-
kationsort verstanden, in dem die verschiedensten
Medien zum Einsatz kommen. Visueller Kommu-
nikation durch die angemessene Präsentation von
Objekten kommt dabei besondere Bedeutung zu.
Anschauungs- und Informationsvermittlung durch
Schrift und computergestützte Aktivitäten ist genü-
gend Platz zu gewähren.
Der vorhandene und teilweise noch zu ergän-
zende Objektbestand soll möglichst breit zur Gel-
tung gebracht werden. Gleichzeitig sollen mit einer
sorgfältigen und restriktiven Auswahl an Objekten,
mit der auch Vielfalt und Phantasie nicht zu kurz
kommen sollen, ästhetisierender Formalismus und
didaktisierende Belehrungswut, aber auch Orien-
tierungslosigkeit und Sammelsurium-Eindruck ver-
mieden werden. Thematischer Aufbau, Platzierung
der Hauptobjekte, Art und Ort multimedialer und
anderer Installationen, Informationsmittel werden
der Gestaltung vorgegeben. Auf eine grundsätzlich
einheitliche Gestaltungsweise wird Wert gelegt,
allerdings unter Berücksichtigung der unterschied-
lichen baulichen Voraussetzungen. An der Basis
erfolgt - im Sinne einer einfachen <Grammatik> für
die Orientierung - eine nach verschiedenen Krite-
rien bestimmte Aufteilung der Dauerausstellung in
sechs Grundbereiche, von denen jeder einem be-
stimmten Raumteil im Museumsbau, im Verweser-
haus sowie im Erweiterungsbau zugeordnet wird.
Jeder dieser Grundbereiche steht in der Vermitt-
lung unter einem Leitthema. Die Grundbereiche
werden unter dem Leitthema nach Modulen auf-
gebaut. Dabei wird zwischen Grundmodulen und
variablen Satellitenmodulen unterschieden. Pro
Grundbereich sollen je ein oder zwei Grundmodule
eingerichtet werden. Das Grundmodul wird als
thematischer Schwerpunkt aufgebaut, mit einem
visuell prägnanten und inhaltlich aussagekräftigen
Leitobjekt beziehungsweise einer Leitobjektgruppe
im Zentrum und einer Reihe zusätzlicher Objekte
oder Objektgruppen, die sich um diesen Themen-
schwerpunkt gruppieren lassen und teilweise auch
aus anderen Grundbereichen stammen können.
Mit drei bis sechs Satellitenmodulen pro Grundbe-
reich sollen mit weniger hohem Ausbaustandard
5) Folgende Ausführungen basieren auf einem zusammenfassenden
Expose der bisherigen Tätigkeit der Fachgruppe «Museumsausstel-
lungen», verfasst von Univ. Prof. Dr. Roger Sablonier, Beratungsstelle
für Landeskunde Zug, Manuskript vom 1 1. August 1999. S. 14—16.
315
Südwestansicht des reno-
vierten Verweserhauses
und des Erweiterungsbaus
in einer Computergrafik.
Im Jahr 2002 sollen die
Bauarbeiten abgeschlos-
sen sein
Treppenaufgang im Erwei-
terungsbau des künftigen
Landesmuseums
installierte, grundsätzlich flexible und auswechsel-
bare Zusatzeinheiten geschaffen werden, ausge-
hend von weiteren wichtigen Objektgruppen oder
von als wichtig erachteten Einzelthemen des
Grundbereichs, die nicht in das Grundmodul inte-
grierbar sind.
GEPLANTE WIEDERERÖFFNUNG A M ENDE
DES JAHRES 2002
Während ein Grossteil der Bauarbeiten zur Mitte
des Jahres 2002 abgeschlossen sein wird, wird zu
dieser Zeit mit der eigentlichen Einrichtung des
Landesmuseums begonnen werden. Diese Arbeiten
werden bei entsprechender Vorbereitung einen
Zeitraum von rund einem halben Jahr in Anspruch
nehmen, so dass mit der feierlichen Wiederer-
öffnung des Landesmuseums nach mehr als zehn-
jähriger Schliessung bis zum Ende des Jahres 2002
gerechnet werden darf.
316
DAS LIECHTENSTEINISCHE LANDESMUSEUM VOR DEM
NEUBEGINN / MICHAEL PATTYN / NORBERT W. HASLER
DAS LANDESMUSEUM ALS TEIL EINES
ENTWICKLUNGSPROZESSES
Noch nie haben in den unterschiedlichsten Berei-
chen so viele Veränderungen stattgefunden, wie im
vergangenen halben Jahrhundert. Auch in Vaduz
hat man sich schon längst dazu entschlossen, aus
einem ursprünglichen Dorf ein Verwaltungs- und
Kulturzentrum zu machen. Allen Ortes wurden Ge-
bäude abgerissen und es entstanden so für viele
Jahre Baulücken und Parkplatzwüsten, die so man-
chen von weither angereisten Besucher die Frage
stellen liess, wo denn nun hier das Zentrum von
Vaduz sei. Gerade noch rechtzeitig an der Schwelle
zum kommenden Jahrtausend wurde es mit den
geplanten Veränderungen in Vaduz doch noch
ernst. Rückkehrend auf die bevorstehende Renova-
tion und Erweiterung des Liechtensteinischen Lan-
desmuseums möge sich der Wunsch erfüllen, dass
zu all den Neubauten und baulichen Erneuerungen
hinzu mit den Bauten des Landesmuseums auch
ein Stück liechtensteinischer Tradition und Landes-
geschichte zur Lebendigkeit und Attraktivität des
künftigen Vaduz, aber auch zur Identität des Lan-
des, beitragen werde.
Blick nach Westen durch
die Loggia des Erweite-
rungsbaus
317
BILDNACHWEIS
S. 308, 316 und 317:
Architekturbüro Brunhart
Brunner Kranz Architek-
ten AG, Balzers
S. 311 und 312 oben:
Studio Heinz Preute,
Vaduz
S. 312 unten: Paul Frick,
Liechtensteinisches
Landesmuseum, Vaduz
S. 314: Norbert W. Hasler,
Liechtensteinisches
Landesmuseum, Vaduz
ANSCHRIFT DER
AUTOREN
Dipl. Arch. Michael Pattyn
Landesverwaltung des
Fürstentums Liechtenstein
Hochbauamt
FL-9490 Vaduz
lic. phil. Norbert W. Hasler
Liechtensteinisches
Landesmuseum
FL-9490 Vaduz
318
DAS LIECHTENSTEINISCHE LANDESMUSEUM VOR DEM
NEUBEGINN / MICHAEL PATTYN / NORBERT W. HASLER
Johannes Modersohn und Antje Freiesleben aus
Berlin. Zusätzlich zu den Rängen wurde ein Ankauf
an Architekt Professor Wilhelm Kücker aus Mün-
chen vergeben. Das Ergebnis des Architektur-
wettbewerbs «Renovation und Erweiterung des
Liechtensteinschen Landesmuseums» wurde vom
26. Mai bis 8. Juni 1998 im Foyer des Vaduzer-Saa-
les öffentlich ausgestellt.
Das unter der Leitung von Architekt Frank Brun-
hart eingereichte Projekt zeichnet sich durch einen
sensiblen Umgang mit dem historischen Baube-
stand und durch Zurückhaltung bei der Planung
des in den Hangfuss des Schlosswaldes integrierten
Erweiterungsbaus aus. Im Schlussbericht der Jury
heisst es: «Projekt Nr. 8, Kennwort: Reihenfolge. -
Das Projekt ist das Resultat einer sorgfältigen
Analyse der topographischen Gegebenheiten am
Schlosswald / Schlossberg. Der Neubau versteht
sich als <Bauen im Berg> und artikuliert sich nach
aussen durch seine Zugehörigkeit zum System der
parallel verlaufenden Stützmauern - gleichzeitig
auch Schutzmauern für die bestehenden Gebäude.
Durch die Neubaumassnahmen klärt sich die
Konstellation von Hangsituation und Altbauten. Die
geometrische Struktur des Neubautrakts entsteht
aus dem präzisen Studium des Terrains. Auf na-
türliche Belichtung wird zu Gunsten geschlossener
Mauerflächen weitgehend verzichtet. Da das Ge-
bäude in den Hang eingegraben ist, werden auch
keine Oberlichträume vorgeschlagen.
Durch das <Bauen im Berg> und die zurückhal-
tende Verfestigung des Schlossbergs in Form einer
Abfolge von Stützmauern werden die beiden Alt-
bauten - Landesmuseum und Verweserhaus - in
ihrer solitären Wirkung gesteigert und aufgewertet.
Der Haupteingang zum Landesmuseum liegt wie
bisher auf der Nordseite des Altbaus. Von hier wer-
den auch das Verweserhaus und der Neubautrakt
erschlossen. Ein Gelenk, bestehend aus Treppen
und Rampen, verbindet die Altbauten hindernis-
frei. Die räumlichen Verhältnisse im Eingangs-
bereich des Altbaus sind eng.
Hervorzuheben ist die zweigeschossige Trep-
penhalle, die zur Wechselausstellung führt. Am
Gelenkpunkt liegt ein Ausstellungsraum mit Seiten-
licht und Ausblick. Darunter befinden sich die
naturwissenschaftlichen Sammlungen. Das Aus-
stellungsgut der landeskundlichen Abteilung ist auf
die Altbauten verteilt.
Der Entwurf basiert auf einer intensiven Aus-
einandersetzung mit Hang und Topographie. Die
gestalterischen und architektonischen Formulie-
rungen sind auf hohem Niveau. Der Umgang mit
der historischen Bausubstanz ist vorbildlich. Es
handelt sich beim vorliegenden Projekt um einen
eigenwilligen und wertvollen Beitrag zur Lösung
der gestellten Aufgabe». 4
ERARBEITUNG DES BAUPROJEKTES
Auf Grundlage des vom Preisgericht zur Aus-
führung empfohlenen Siegerprojektes hat das
Architektenteam gemeinsam mit Fachplanern und
Spezialisten ein Vorprojekt und schliesslich ein zur
Baueingabe reifes Bauprojekt bis zum Sommer
1999 ausgearbeitet. Neben der grundrisslichen
Anpassung des Projektes auf die Bedürfnisse der
künftigen Nutzung und der Besucher des Gebäudes
bedurfte die Berechnung des zu erwartenden
Hangdrucks auf den geplanten Erweiterungsbau
und der fachgerechte Umgang mit den historischen
und in arge Mitleidenschaft gezogenen Altbauten
grösster Sorgfalt sowie umfangreicher Überprü-
fungen und Abklärungen.
Neben der Schaffung attraktiver und zeitgemäs-
ser Bedingungen für den Betrieb und Unterhalt
eines Museums von ganz besonderer kulturpoli-
tischer Tragweite für das Land Liechtenstein ver-
folgt das Projekt das Ziel der Erhaltung eines
letzten bedeutenden Reliktes von Alt-Vaduz, einer
unter Denkmalschutz stehenden Gebäudegruppe
von historischer Bedeutung im Regierungsviertel,
in einem sich markant und kontinuierlich ändern-
den Umfeld.
4) Aixhitekturwettbewerb zur Renovation und Erweiterung des
Liechtensteinischen Landesmuseums in Vaduz. Bericht des Preis-
gerichts, 19. Mai 1998, S. 21.
313
Noch präsentieren sich die
Museumsbauten in ihrem
havarierten Zustand, ein
bereits gewohnter Anblick
im Dorfbild von Vaduz.
Am 20. September 1999
erfolgt der Spatenstich,
der offizielle Beginn
der Bau- und Renovations-
arbeiten. Aufnahme
August 1999
Blick auf Verweserhaus
und Landesmuseum vor
Beginn der Renovations-
arbeiten. Aufnahme
August 1999
BAUBEGINN IM HERBST 1999
Im Oktober 1999 wird mit der Einrichtung der
Baustelle des Landesmuseums begonnen. Sie wird
sich damit in die Reihe der in Vaduz zur Zeit be-
stehenden prominenten Baustellen eingliedern.
Zusammen mit der Verkehrsfreihaltung der Städtli-
strasse und deren Neugestaltung werden der Zu-
bau von Gemeinde- und Privatbauten, der Neubau
eines Kunstmuseums und die Bauarbeiten für ein
renoviertes und erweitertes Landesmuseum das
Geschehen im Zentrum der Kapitale Liechtensteins
in den kommenden Jahren mitbestimmen. Nach
der Installation der Baustelle des Landesmuseums
und nach erfolgter Durchführung von Rodungs-
arbeiten im hangseitigen Bereich von Landesmu-
seum und Verweserhaus wird im Herbst mit dem
Abtrag von Hangschutt und Felsen für den künf-
tigen Erweiterungsbau begonnen. Diese Arbeiten
nehmen einen Zeitraum von fast einem Jahr in An-
spruch. Im Herbst 2000 werden dann die eigent-
lichen Hochbauarbeiten am Erweiterungsbau und
anschliessend Renovation und Umbau der Altbau-
ten folgen.
DIE KÜNFTIGEN AUSSTELLUNGEN DES
LANDESMUSEUMS
Gleichzeitig mit der Planung des Bauvorhabens hat
auch die Museumsleitung damit begonnen, die
künftigen Ausstellungsbereiche zu konzipieren und
durch Wahl ansprechender Themen inskünftige
Museumsbesuche interessant und spannend wer-
den zu lassen. Eine von der Regierung eingesetzte
Arbeitsgruppe mit Fachleuten aus den verschie-
denen musealen Fachbereichen entwickelte dazu
in enger Zusammenarbeit mit Univ. Prof. Dr. Roger
Sablonier, Zürich und Zug, und der Beratungs-
stelle für Landesgeschichte B/L/G, Zug, entspre-
chende Ausstellungs- und Informationskonzepte.
Während die Dauerausstellungen des Landesmu-
seums einen repräsentativen Überblick über die lan-
desgeschichtliche Kultur- und Naturentwicklung auf
gesamthaft rund 1400 m 2 Dauerausstellungsfläche
314
DAS LIECHTENSTEINISCHE LANDESMUSEUM VOR DEM
NEUBEGINN / MICHAEL PATTYN / NORBERT W. HASLER
vermitteln sollen, besteht auf rund 500 m2 Wech-
selausstellungsfläche die Möglichkeit, bestimmte
Themenbereiche zu vertiefen und neue Ausstel-
lungsschwerpunkte zu setzen.
Neben der Präsentation von Ausstellungen wird
sich das Landesmuseum auch weiterhin der
Sammlung und fachgerechten Restaurierung und
Konservierung sowie der Aufbewahrung der
Museumsobjekte widmen. Fachleute und interes-
sierte Laien sollen über das Medium der Elektronik
Informationen unterschiedlichster Art erhalten. Es
werden zudem Medien- und Schulungsräume ein-
gerichtet, die speziell Kinder und Jugendliche
ansprechen sollen. Mittelfristig ist auch die Ein-
richtung einer Fachstelle für Museumspädagogik
geplant. Ausstellungskataloge, Publikationen sowie
ein reichhaltiges, ausgewähltes Angebot aus dem
Museumsshop runden das dem Museumsbesucher
angebotene Programm ab.
Das bislang erarbeitete Konzept der Daueraus-
stellungen5 sieht folgende Grundsituation und Aus-
gangslage vor:
Räumlich ist von drei Häusern auszugehen, von
denen jedes einen eigenen Charakter hat, für die
aber eine gemeinsame Erschliessung und Nutzung
vorgegeben ist. Inhaltlich und museologisch fordert
das Leitbild des Liechtensteinischen Landesmu-
seums ausdrücklich eine Integration der Teilge-
biete Naturgeschichte, Archäologie, Volkskunde
und historische Landeskunde. Unterschiede in der
Zielsetzung und im Objektbestand dieser Teilge-
biete sind trotzdem zu respektieren. Auch die Dau-
erausstellungen sollen ein hohes Potential zur
Flexibilisierung aufweisen. Dem ist mit einer Ge-
staltungsweise, welche Ausbaugrad und Mittel-
einsatz differenziert, Rechnung zu tragen.
Auf einen festen Rundgang durch das ganze
Museum - auf Zeiten, Themen oder Materialien
ausgerichtet - wird verzichtet.
Das neue Landesmuseum wird als Kommuni-
kationsort verstanden, in dem die verschiedensten
Medien zum Einsatz kommen. Visueller Kommu-
nikation durch die angemessene Präsentation von
Objekten kommt dabei besondere Bedeutung zu.
Anschauungs- und Informationsvermittlung durch
Schrift und computergestützte Aktivitäten ist genü-
gend Platz zu gewähren.
Der vorhandene und teilweise noch zu ergän-
zende Objektbestand soll möglichst breit zur Gel-
tung gebracht werden. Gleichzeitig sollen mit einer
sorgfältigen und restriktiven Auswahl an Objekten,
mit der auch Vielfalt und Phantasie nicht zu kurz
kommen sollen, ästhetisierender Formalismus und
didaktisierende Belehrungswut, aber auch Orien-
tierungslosigkeit und Sammelsurium-Eindruck ver-
mieden werden. Thematischer Aufbau, Platzierung
der Hauptobjekte, Art und Ort multimedialer und
anderer Installationen, Informationsmittel werden
der Gestaltung vorgegeben. Auf eine grundsätzlich
einheitliche Gestaltungsweise wird Wert gelegt,
allerdings unter Berücksichtigung der unterschied-
lichen baulichen Voraussetzungen. An der Basis
erfolgt - im Sinne einer einfachen <Grammatik> für
die Orientierung - eine nach verschiedenen Krite-
rien bestimmte Aufteilung der Dauerausstellung in
sechs Grundbereiche, von denen jeder einem be-
stimmten Raumteil im Museumsbau, im Verweser-
haus sowie im Erweiterungsbau zugeordnet wird.
Jeder dieser Grundbereiche steht in der Vermitt-
lung unter einem Leitthema. Die Grundbereiche
werden unter dem Leitthema nach Modulen auf-
gebaut. Dabei wird zwischen Grundmodulen und
variablen Satellitenmodulen unterschieden. Pro
Grundbereich sollen je ein oder zwei Grundmodule
eingerichtet werden. Das Grundmodul wird als
thematischer Schwerpunkt aufgebaut, mit einem
visuell prägnanten und inhaltlich aussagekräftigen
Leitobjekt beziehungsweise einer Leitobjektgruppe
im Zentrum und einer Reihe zusätzlicher Objekte
oder Objektgruppen, die sich um diesen Themen-
schwerpunkt gruppieren lassen und teilweise auch
aus anderen Grundbereichen stammen können.
Mit drei bis sechs Satellitenmodulen pro Grundbe-
reich sollen mit weniger hohem Ausbaustandard
5) Folgende Ausführungen basieren auf einem zusammenfassenden
Expose der bisherigen Tätigkeit der Fachgruppe «Museumsausstel-
lungen», verfasst von Univ. Prof. Dr. Roger Sablonier, Beratungsstelle
für Landeskunde Zug, Manuskript vom 1 1. August 1999. S. 14—16.
315
Südwestansicht des reno-
vierten Verweserhauses
und des Erweiterungsbaus
in einer Computergrafik.
Im Jahr 2002 sollen die
Bauarbeiten abgeschlos-
sen sein
Treppenaufgang im Erwei-
terungsbau des künftigen
Landesmuseums
installierte, grundsätzlich flexible und auswechsel-
bare Zusatzeinheiten geschaffen werden, ausge-
hend von weiteren wichtigen Objektgruppen oder
von als wichtig erachteten Einzelthemen des
Grundbereichs, die nicht in das Grundmodul inte-
grierbar sind.
GEPLANTE WIEDERERÖFFNUNG A M ENDE
DES JAHRES 2002
Während ein Grossteil der Bauarbeiten zur Mitte
des Jahres 2002 abgeschlossen sein wird, wird zu
dieser Zeit mit der eigentlichen Einrichtung des
Landesmuseums begonnen werden. Diese Arbeiten
werden bei entsprechender Vorbereitung einen
Zeitraum von rund einem halben Jahr in Anspruch
nehmen, so dass mit der feierlichen Wiederer-
öffnung des Landesmuseums nach mehr als zehn-
jähriger Schliessung bis zum Ende des Jahres 2002
gerechnet werden darf.
316
DAS LIECHTENSTEINISCHE LANDESMUSEUM VOR DEM
NEUBEGINN / MICHAEL PATTYN / NORBERT W. HASLER
DAS LANDESMUSEUM ALS TEIL EINES
ENTWICKLUNGSPROZESSES
Noch nie haben in den unterschiedlichsten Berei-
chen so viele Veränderungen stattgefunden, wie im
vergangenen halben Jahrhundert. Auch in Vaduz
hat man sich schon längst dazu entschlossen, aus
einem ursprünglichen Dorf ein Verwaltungs- und
Kulturzentrum zu machen. Allen Ortes wurden Ge-
bäude abgerissen und es entstanden so für viele
Jahre Baulücken und Parkplatzwüsten, die so man-
chen von weither angereisten Besucher die Frage
stellen liess, wo denn nun hier das Zentrum von
Vaduz sei. Gerade noch rechtzeitig an der Schwelle
zum kommenden Jahrtausend wurde es mit den
geplanten Veränderungen in Vaduz doch noch
ernst. Rückkehrend auf die bevorstehende Renova-
tion und Erweiterung des Liechtensteinischen Lan-
desmuseums möge sich der Wunsch erfüllen, dass
zu all den Neubauten und baulichen Erneuerungen
hinzu mit den Bauten des Landesmuseums auch
ein Stück liechtensteinischer Tradition und Landes-
geschichte zur Lebendigkeit und Attraktivität des
künftigen Vaduz, aber auch zur Identität des Lan-
des, beitragen werde.
Blick nach Westen durch
die Loggia des Erweite-
rungsbaus
317
BILDNACHWEIS
S. 308, 316 und 317:
Architekturbüro Brunhart
Brunner Kranz Architek-
ten AG, Balzers
S. 311 und 312 oben:
Studio Heinz Preute,
Vaduz
S. 312 unten: Paul Frick,
Liechtensteinisches
Landesmuseum, Vaduz
S. 314: Norbert W. Hasler,
Liechtensteinisches
Landesmuseum, Vaduz
ANSCHRIFT DER
AUTOREN
Dipl. Arch. Michael Pattyn
Landesverwaltung des
Fürstentums Liechtenstein
Hochbauamt
FL-9490 Vaduz
lic. phil. Norbert W. Hasler
Liechtensteinisches
Landesmuseum
FL-9490 Vaduz
318