JAHRBUCH
DES HISTORISCHEN VEREINS
FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN
BAND 109
JAHRBUCH
DES HISTORISCHEN VEREINS
FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN
BAND 109
VADUZ, SELBSTVERLAG DES HISTORISCHEN
VEREINS FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN, 2010
Zum Titelbild:
Die neugotische Rosette
mit Christushaupt wurde
1891/93 von Carl Geihlings
Erben, Wien, für die West-
wand der neuen Pfarrkir-
che in Schaan geschaffen.
Sie lehnt sich an die Roset-
ten-Glasmalerei der goti-
schen Kathedralen des
Mittelalters an. Die Schaa-
ner Rosette zeigt reiche
pflanzliche und geometri-
sche Ornamente und eine
vielfarbige Harmonie.
Zum Bild auf dem Vorsatz:
Der musizierende Engel
schreitet als Beifigur im
Fenster von Martin Häusle
daher, Rofenberg-Kapelle
Eschen, 1952.
Auslieferung:
Historischer Verein für das
Fürstentum Liechtenstein
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chlorfrei, 135 g/m2
© 2010 Historischer
Verein für das Fürstentum
Liechtenstein, Vaduz
Alle Rechte Vorbehalten
Gedruckt in Liechtenstein
ISBN 978-3-906393-48-3
Inhaltsverzeichnis
1 Fürstlicher Sanitätsrat
Dr. Rudolf Rheinberger
1917 bis 2009
Harald Wanger
11 Fürstlicher Baurat Karl Hartmann
1921 bis 2009
Walter Walch
19 Geschichte des Laienrichtertums
in Liechtenstein
Alois Ospelt
115 Leuchtende Zeugen der Zeit. Glasmalerei in
Liechtensteinischen Kirchen und Kapellen
Peter Geiger
141 «Eier-, Milch- und Seifenpunkte, Anbau-
pflicht und Einmachkurs». Rationierung
und Mehranbau in Liechtenstein im Zweiten
Weltkrieg
Peter Geiger
171 Volkshochschule Schaan 1948 bis 1967
Georg Schierscher
213 Der Vater Hartmanns, des ersten Grafen
von Vaduz
Heinz Gabathuler
221 Rezensionen
231 Jahresbericht des Historischen Vereins für
das Fürstentum Liechtenstein 2009
255 Liechtensteinisches Landesmuseum 2009
285 200 Jahre Grundbuch (1809-2009)
Ausstellung im Liechtensteinischen
Landesmuseum
V
Unter dem Namen «Histo-
rischer Verein für das
Fürstentum Liechtenstein»
besteht ein Verein gemäss
Art. 246 des Liechtenstei-
nischen Personen- und
Gesellschaftsrechts. Er hat
seinen Sitz in Vaduz.
Der Zweck des Vereins
besteht in der Förderung
der Geschichts- und Lan-
deskunde und der Bildung
des historischen Bewusst-
seins. Der Verein initiiert
und unterstützt diesbezüg-
liche Forschungsarbeiten,
vermittelt deren Ergebnis-
se und setzt sich für den
Schutz des kulturellen
Erbes ein.
Der Verein ist parteipoli-
tisch und weltanschaulich
neutral und in seinen For-
schungs- und Publikations-
aktivitäten unabhängig.
Artikel 1 und 2 der neuen
Statuten des Historischen
Vereins für das Fürsten-
tums Liechtenstein, be-
schlossen an der Mitglie-
derversammlung vom
16. April 2005
Für den Inhalt der einzel-
nen Beiträge zeichnen die
Verfasserinnen und Ver-
fasser allein verantwort-
lich.
VI
FÜRSTLICHER
SANITÄTSRAT
DR. RUDOLF
RHEINBERGER
1917 BIS 2009
HARALD WANGER
FÜRSTLICHER SANITÄTSRAT DR. RUDOLF RHEINBERGER
1917 BIS 2009 / HARALD WANGER
Als jüngstes der drei Kinder des Egon und der Maria
Rheinberger-Schädler kam Rudolf Rheinberger am
10. April 1917 im Roten Haus in Vaduz zur Welt. Die
Familie lebte damals vom November bis April im
Roten Haus, das seit 1809 im Besitz der Familie war.
Die übrige Zeit wohnte sie im Schloss Gutenberg,
das Egon Rheinberger als Ruine gekauft und von
1905 bis 1910 wieder aufgebaut hatte. So kam Rudolf
Rheinberger im Alter von kaum zwei Monaten auf die
Burg, wo er in der Folge grösstenteils aufwuchs.
Noch wütete der Erste Weltkrieg, und obwohl
Liechtenstein sich neutral erklärt hatte, waren Le-
bensmittel knapp. Einzig Milch, die man beim Bau-
ern direkt holte, gab es genug. Zudem hatten die El-
tern bei der Burg einen Gemüsegarten angelegt. So
lebte man grösstenteils vegetarisch. - Nachdem
nach dem Ende des Krieges in der folgenden Inflati-
on das Vermögen der Familie fast ganz vernichtet
wurde, beschloss man, in den Räumen der Burg
eine Gastwirtschaft zu errichten, die bald grossen
Zuspruch erfuhr. Nicht allein Leute aus der Umge-
gend fanden sich ein, sondern auch bekannte Gäste
- von Kräuterpfarrer Johann Künzle über die Zep-
pelin-Crew, die Schriftstellerin Grete Gulbransson
mit ihrem Sohn Olaf bis zum Maler und Grafiker
Ferdinand Nigg - trafen sich hier. In dieser Umge-
bung wuchs Rudolf Rheinberger auf. Nicht allein,
dass ihm hier ein kleiner Teil der grossen Welt be-
gegnete, in diesem Kreis öffneten sich ihm auch die
Anfänge der Kultur.
Auch der Vater Egon trug zu dieser Weiterbil-
dung bei. Die Burg Gutenberg steht auf historischem
Grund und der Vater war Vorstandsmitglied im His-
torischen Verein für das Fürstentum Liechtenstein.
Was lag näher, als dass er - erst zusammen mit Leu-
ten des Vereinsvorstands, später auch in eigener Re-
gie - mit der Erforschung der alten Mauern begann.
Gemeinsam mit den drei Söhnen entdeckte er die
heute berühmten Bronzefiguren aus dem 1. bis 5.
Jahrhundert vor Christus, den Hirsch, den Eber, wie
auch den «Mars von Gutenberg» sowie fünf weitere
Kriegerdarstellungen.
Bis Ostern 1928 ging Rudolf Rheinberger in die
Volksschule in Balzers, dann wechselte er nach
Feldkirch in die «Stella Matutina».
Der Eintritt in dieses altrenommierte Institut war für
Rudolf Rheinberger insoweit etwas Neues, als seine
beiden älteren Brüder Peter und Hans das Gymnasi-
um in Schiers besuchten. Die Besorgnis der Mutter,
Rudolf könnte an Heimweh leiden, erwies sich als un-
begründet; das Neue erfüllte ihn ganz. Neben den ei-
gentlichen Schulfächern war es vor allem das Violin-
spiel, das den Ausgleich bot. Wunibald Briem und
Philipp Schmutzer d. J., der Enkel von Josef Rhein-
bergers Lehrer, unterwiesen ihn im Instrumental-
spiel, nachdem schon auf der Burg Gutenberg erste
Einführungen erfolgt waren. Bald konnte er bei Or-
chestermessen mitspielen, und da er einen schönen
Sopran hatte, übertrug man ihm auch Solopartien bei
Aufführungen. Besondere Freude war es für ihn,
wenn Kompositionen seines Grossonkels Josef Ga-
briel angesagt waren. - Auch den Sport als Ausgleich
zu den geistigen Fächern liebte er sehr.
In den Jahren 1933/34 war Pater Alfred Delp sein
Abteilungspräfekt. Pater Delp, der in Wort und
Schrift für eine Erneuerung der Kirche kämpfte,
wurde 1944 verhaftet und am 2. Februar 1945 hin-
gerichtet.
Die Ferien waren meist prähistorischen Ausgra-
bungen in und um die Burg gewidmet, die bald eu-
ropaweit auf Interesse stiessen. Namhafte Professo-
ren hielten Vorträge über Gutenberger Funde oder
kamen mit ihren Studenten zu Besichtigungen.
Am Ende des Schuljahres 1936 stand die Matura.
Da Rudolf Rheinberger aus eigener Anschauung
eine grössere Arbeit über «Vorgeschichtliches im
Rheintal» vorlegen konnte, wurde ihm das Fach
«Geschichte» erlassen. - Die Matura schloss Rudolf
Rheinberger «mit Vorzug» ab, das heisst, der ge-
samte Notendurchschnitt lag unter 1,5, doch wurde
die Freude darüber bald getrübt, denn wenige Tage
nach dem grossen Erfolg kam die Nachricht vom
plötzlichen Tod des Vaters am 25. Juli 1936. Da in
dieser Zeit auch der Ertrag der Gastwirtschaft zu-
rückgegangen war, machte man sich Gedanken zum
Verkauf von Gutenberg, ein Plan, der erst 1951 ab-
geschlossen werden konnte.
Nach der Matura begann Rudolf Rheinberger das
Familienarchiv, das einen erheblichen Umfang hat-
te, zu ordnen. Das war ein Unterfangen von nicht zu
3
unterschätzendem Wert, lagerten in diesem Archiv
doch Schriftstücke unterschiedlicher Provenienz,
die einen bedeutenden Wert für die Geschichte des
Landes vor allem des 19. Jahrhunderts besitzen.
Viele Jahre hatte die Familie die Geschichte Liech-
tensteins durch Persönlichkeiten wie Peter, Anton
oder Josef geprägt. - Neben dieser grossen Arbeit
kam die Berufswahl. Rudolf Rheinberger entschied
sich für das Studium der Medizin. Er stammte aus
einer Familie, aus der einige bedeutende Ärzte her-
vorgegangen waren. Im Oktober 1936 immatriku-
lierte er sich an der Medizinischen Fakultät der Uni-
versität Tübingen. Mit ein Grund für die Wahl dieses
Instituts war der Umstand, dass sein Bruder Hans
Rheinberger in Stuttgart studierte und so die Mög-
lichkeit zu gegenseitigen Besuchen gegeben war. In
der Ferien wurden zusammen mit Freunden Fahr-
ten vor allem durch Deutschland unternommen, die
ihn bis nach Berlin und Ostpreussen führten. Vor al-
lem Königsberg zog ihn an; dieser Stadt blieb er ein
ganzes Semester treu.
Im Wintersemester 1938/39 blieb er wieder in
Tübingen, um sich auf das Physikum vorzubereiten.
Mit drei «gut» schloss er das vorklinische Studium
in Tübingen ab, um sich in München zu immatriku-
lieren. München war für ihn fast eine Verpflichtung:
Sein Vater hatte an der Akademie der Künste, der
Grossvater am Polytechnikum gelernt, und der Gross-
onkel Josef Gabriel Rheinberger an der Musikschule
studiert und später unterrichtet. Am 18. April 1939
trat er in die Ludwigs-Maximilians-Universität ein.
Neben dem intensiven Studium dienten auch hier
Feiertage und Ferien für Fahrradtouren in die nähe-
re oder weitere Umgebung.
Am 1. September 1939 hörte Rudolf Rheinberger
im Krankensaal durch den Rundfunk vom Ausbruch
des Krieges in Polen. - Erst änderte sich nicht viel,
doch dann wurden nach und nach die Auswirkun-
gen des Krieges bemerkbar. Universitätsklassen
wurden verlegt oder zusammengefasst, und auch
das Essen wurde einfacher.
Ende Mai 1940 erhielt er das Thema für die Dok-
tordissertation. - Am 16. September 1940 begann
das letzte Semester, das vor allem den Examensvor-
bereitungen diente.
Da das Angebot an künstlerischen Darbietungen
bis in die erste Zeit des Krieges noch nicht einge-
schränkt war und im letzten Semester der Universi-
tätsbetrieb eher locker war, lernte Rudolf Rheinber-
ger einen grossen Teil der wichtigen musikalischen
Werke und Opern kennen, darunter - und das
machte einen grossen Eindruck auf ihn - das Duo
für zwei Klaviere seines Grossonkels Josef Gabriel
Rheinberger. Daneben waren Besuche in den Kunst-
museen angesagt. Besonders aber schloss er seine
Dissertation ab, und am 30. Juni 1940 war der
glückliche Abschluss seiner Universitätszeit.
Nach einem kurzen Zwischenspiel am Kranken-
haus Innsbruck erhielt er durch die Reichsärzte-
kammer des Innern den Bescheid, dass er 1942 am
Krankenhaus in Friedrichshafen eine Stelle erhal-
ten werde. Diese war sehr streng und arbeitsinten-
siv; Rudolf Rheinberger profitierte sehr von dieser
neuen Situation, durch die er viel lernen konnte. -
Am 15. Juni 1942 trat eine neue Ärztin eine Stelle im
Krankenhaus an und Rudolf Rheinberger freundete
sich bald mit ihr an. Sie halfen sich gegenseitig, as-
sen miteinander und in der Freizeit machten sie ge-
legentlich Spaziergänge. Um diese Zeit begannen sie
mit Autofahrstunden bei einem Herrn Tepe, der
1937 beim Zeppelinunglück in Lakehurst dabei war
und später eine Fahrschule eröffnet hatte.
Im März 1942 hatten die ersten Luftangriffe der
Alliierten in Deutschland begonnen. In Friedrichsha-
fen dachte niemand daran, selbst Ziel von Bomben-
angriffen zu werden. Am 6. und 7. März 1943 fand die
Hochzeit des Fürsten Franz Josef mit der Gräfin Gina
statt. Rudolf Rheinberger durfte nach Hause fahren.
Anschliessend trat er seinen ersten grösseren Urlaub
an. Da erfolgte am 21. Juni der erste intensivere Luft-
angriff auf die Stadt. Der junge Arzt unterbrach sei-
nen Urlaub, um sich selbst zu überzeugen, wie es im
Krankenhaus stand. Von da an griff der Krieg immer
mehr nach Friedrichshafen.
Unterdessen hatten Brigitte Ludwig und Rudolf
Rheinberger beschlossen zu heiraten. Am 25. April
1944 fuhr Brigitte Ludwig nach Hause. Drei Nächte
später kam es zu jenem Flächenbombardement, bei
dem fast die ganze Stadt in Schutt und Asche gelegt
wurde.
4
FÜRSTLICHER SANITÄTSRAT DR. RUDOLF RHEINBERGER
1917 BIS 2009 / HARALD WANGER
Trotz Krieg und Zerstörung fand am 6. Mai 1944 in
Dornbirn die kirchliche Trauung statt. Die Mutter und
weitere Verwandte fehlten, da es nicht möglich war,
für sie ein Visum zu bekommen. Fünf Tage später hei-
ratete der Bruder, Hans Rheinberger, dann fuhren
beide Paare nach Masescha, denn wegen des Krieges
war eine eigentliche Hochzeitsreise nicht möglich.
Schon am 24. Mai fuhren Rudolf und Brigitte Rhein-
berger wieder zurück. Nachdem Friedrichshafen
zerstört war, ging es nun nach Tettnang, doch ein
Jahr später - die Franzosen waren schon bedenklich
nahe - verliess man das Krankenhaus, um über Lind-
au und Bregenz gegen Feldkirch zu gelangen, wo sich
vor der Grenze die Menschen stauten. Dank Dr. Alois
Vogt, der plötzlich auftauchte, konnten fehlende
Stempel bei der Gestapo besorgt werden, und nach
gründlichen Grenzkontrollen stand man endlich auf
heimischem Boden. Nach 33 Stunden abenteuerli-
cher Reise zu Fuss und als Mitfahrer fand man
freundliche Aufnahme im Roten Haus in Vaduz.
Ein Gesuch um Eröffnung einer Allgemeinpraxis
blieb vorerst unbeantwortet, erst vier Monate später
- die Regierung war unterdessen zurückgetreten
und eine neue im Amt - erhielt Dr. Rudolf Rheinber-
ger die Konzessionsurkunde. In der Folge richtete er
in einem aufgegebenen Zahnarztbetrieb eine eigene
Praxis ein, die er im Oktober 1945 eröffnete.
Gemeinsam mit seiner Frau Brigitte bildete er ein
eingearbeitetes Team. - Da die Praxis nur langsam
anlief, fand Rudolf Rheinberger noch Zeit, sich mit
der Familiengeschichte zu beschäftigen.
Am 12. Januar 1946 kam im Spital in Grabs Hans
Jörg als Erstgeborener zur Welt; ihm folgte am
24. Mai 1947 Peter. Den Abschluss bildete am
20. Juli 1949 die Tochter Barbara. Zusammen mit
Urs, dem Ältesten von Bruder Hans, bevölkerten
nunmehr fünf Kinder und sechs Erwachsene das
Rote Haus in Vaduz.
Am 2. Mai 1948 wurde Dr. Rheinberger von der
«Vaterländischen Union» in den Landesvorstand
gewählt, den er drei Jahre später jedoch wieder ver-
liess. Wie er später sagte, konnte er hier sehen, «wie
Politik gemacht wird». Es war für ihn ein guter An-
schauungsunterricht.
Die medizinische Praxis lief allmählich immer
besser; die gründliche Ausbildung der früheren Jah-
re machte sich bezahlt. Für die Kinder hatte man ein
Mädchen angestellt, so dass seine Frau ihm im me-
25 *4.90
Lieber Herr Allgäuer,
herzlichen Dank für die Uebersendung des
Hebammenbüchleins von Hr.Pfarrer E.Bücher,
Ich habe es noch unter der Fussnote 3)3.36
des Manuskripts eingebaut und bitte Sie,die
Blätter auszuwechseln.
Mit freundl.Grüssen
Qfa, ¿^"2
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Autor und Jahrbuch-Re-
daktor im Schriftverkehr:
Rudolf Rheinberger be-
dankt sich bei Robert All-
gäuer für die Zusendung
von Quellenmaterial, das
er für einen seiner Jahr-
buch-Beiträge verwenden
konnte, 1990.
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6
FÜRSTLICHER SANITÄTSRAT DR. RUDOLF RHEINBERGER
1917 BIS 2009 / HARALD WANGER
dizinischen Bereich als Assistentin an die Hand ge-
hen konnte. Wenn auch die Zeit für seine Liebhabe-
rei, die Familiengeschichte, immer knapper wurde:
Ganz vergessen hatte er sie nicht, und noch immer
prägte sie neben der Medizin sein Wirken. Die mar-
kanten Persönlichkeiten seiner Vorfahren - sie wa-
ren Amtsbote, Grundbuchführer und Rentmeister,
Generaloberin, Hauptmann und Landestechniker,
Regierungssekretär usw. - riefen durch ihre führen-
den Stellungen direkt nach biographischen Bearbei-
tungen.
Das wohl berühmteste Mitglied der Familie
Rheinberger, der Komponist und Kompositionsleh-
rer Josef Gabriel Rheinberger, war am 25. Novem-
ber 1901 gestorben und auf dem Südfriedhof in
München neben seiner Frau beigesetzt worden. Bei
einem Bombenangriff auf München 1944 wurde das
Grab zerstört. Fünf Jahre später wurden die Gebei-
ne exhumiert und nach Vaduz gebracht. Die Ankunft
des Sarges, in dem sich die Gebeine der Eheleute be-
fanden, und die feierliche Bestattung in heimatli-
cher Erde war ein unvergesslicher und einschnei-
dender Moment im Leben Rudolf Rheinbergers, der
im Zusammenhang mit seiner Forschungen zur Fa-
miliengeschichte zu sehen ist.
Im gleichen Jahr hatte Rudolf Rheinberger in
Vertretung von Dr. Otto Schaedler die Mitglieder der
fürstlichen Familie bei Krankheitsfällen behandelt
und wuchs so allmählich in die Stellung eines Haus-
arztes auf Schloss Vaduz hinein.
Eine logische Folge seiner Tätigkeit zusammen
mit seinem Vater und seinen Brüdern auf Burg Gu-
tenberg war 1954 die Wahl in den Vorstand des
«Historischen Vereins für das Fürstentum Liechten-
stein». Es war ein Amt, das ihn neben seinem Beruf
als Arzt ganz erfüllte.
Schon im August 1953 hatte Rudolf Rheinberger
einen Bauplatz im Beckagässle gekauft. Sein Bruder
Hans zeichnete einen Plan, der Rudolf und Brigitte
zusagte. Der Bau ging zügig voran, und im Oktober
1955 konnten Wohnung und Praxis bezogen wer-
den. -Ab 1951 befand sich die Familie jedes Jahr im
Sommer auf der Foppa. Einige Jahre später ergab
sich die Möglichkeit, dort in der Gemeinde Triesen-
berg einen Bauplatz zu erwerben, und im Sommer
1963 war das neue Heim bezugsbereit. Wieder hat-
te Bruder Hans die Pläne dazu geliefert.
Im selben Jahr gab Dr. Otto Schaedler altershal-
ber seine Praxis auf und Rudolf Rheinberger über-
nahm zusätzlich zu seiner eigenen grossen Klientel
diese Patienten ebenfalls. Dies war keine leichte
Aufgabe, hatte doch Dr. Schaedler den Ruf eines
ausgezeichneten Arztes. Doch schon an Weihnach-
ten 1965 starb Dr. Otto Schaedler an einem Herzin-
farkt. Damit verlor Dr. Rheinberger seinen Mentor. -
Ein Ersatz bot sich in Dr. Paul Biedermann, mit dem
er nun die Ferienvertretungen vereinbarte.
1962 erkrankte Regierungschef Dr. Alexander
Frick schwer. An seine Stelle trat Dr. Gérard Batli-
ner, ein junger Jurist, der mit Verve und vielen neu-
en Ideen sein Amt antrat. Seine Schwerpunkte setz-
te er neben der Erneuerung der Kirche im Sinne des
damals angelaufenen Konzils vor allem auf die kul-
turelle, wissenschaftliche und künstlerische Ent-
wicklung des Landes. 1963 legte der junge Regie-
rungschef dem Landtag ein Gesetz vor, das die
Schaffung eines Kultur- und Jugendbeirates zum In-
halt hatte, sowie ein zweites Gesetz, in welchem die
Gründung einer «Stiftung pro Liechtenstein» vorge-
schlagen wurde. Beide Gesetze wurden vom Land-
tag angenommen und Dr. Rheinberger zum Präsi-
denten der beiden neuen Institutionen bestellt.
Trotz der grossen beruflichen Beanspruchung nahm
er die Ämter im Bewusstsein an, dadurch das Land
geistig fördern zu können.
Ausschnitt aus Rudolf
Rheinbergers Manuskript
«Walser und Rheinberger,
die Wirtefamilien des
Gasthauses <Löwen> in
Vaduz». Dieser Beitrag
wurde im Jahr 2004 als
letzte Arbeit von Rudolf
Rheinberger im Jahrbuch
des Historischen Vereins
Band 103 veröffentlicht.
7
Viele Pläne wurden in Angriff genommen, und
manche auch zu einem guten Abschluss geführt,
Konzerte wurden unterstützt, Ausstellungen organi-
siert, Bücher herausgegeben; auch die Jugend wur-
de unterstützt und die kulturellen Vereinigungen
durch finanzielle Beiträge ihrer grössten Sorgen
enthoben. Es war staunenswert, was Dr. Rheinber-
ger neben seinem Einsatz in seiner Praxis leistete.
Ein Höhepunkt der kulturellen Arbeiten war im
Januar 1971 der Staatsbesuch in München, bei wel-
chem ein Kulturabkommen abgeschlossen wurde.
Neben Regierungschef Dr. Alfred Hübe war Dr.
Rheinberger als Vertreter des Kulturb eirate s in der
Kommission vertreten.
Am 7. Juli 1972 nahm die Regierung nach abge-
laufener zweiter Mandatsdauer eine Neubestellung
des Kultur- und Jugendbeirates vor. Anstelle seines
früheren Amtes übernahm Dr. Rheinberger für zwei
Amtsperioden den Vorsitz im Stiftungsrat des Liech-
tensteinischen Landesmuseums. Gleichzeitig über-
nahm er auch das Präsidium der staatlichen Invali-
denversicherung. Dieses Amt hatte er 14 Jahre lang
inne; es begleitete ihn in den Ruhestand.
Seinen Lebensabend hatte er frühzeitig vorberei-
tet. Nach seiner Pensionierung widmete sich Rudolf
Rheinberger der historischen Forschung. Zuerst be-
fasste er sich mit dem Lebenswerk des Aquarellma-
lers Moriz Menzinger, der in Liechtenstein durch
Landschaftsbilder aus dem Land bekannt war. Die
Beschäftigung mit den Arbeiten dieses Künstlers
führte zu einer Zusammenstellung der damals be-
kannten Bilder Menzingers, die 1982 im Jahrbuch
des Historischen Vereins, Band 82, veröffentlicht
wurde. Damit war das Interesse geweckt, und es
folgte im Jahr 1985 in Band 85 ein Nachtrag mit
weiteren Werken des Malers, sowie im Jahr darauf
gemeinsam mit Norbert W. Hasler eine Monogra-
phie über den Künstler, die im Verlag des Südkuriers
in Konstanz erschien.
Auf der Suche nach weiteren Themen ergaben
sich Lebensläufe liechtensteinischer Ärzte im 19.
Jahrhundert. Beiträge in drei Bänden des Jahrbu-
ches sind medizinischen Themen gewidmet, zwei
Aufsätze in weiteren Jahrbüchern befassen sich mit
einem Rückblick auf die Familien Rheinberger und
Walser als Wirte im Gasthaus «Löwen» in Vaduz so-
wie auf Peter Kaiser in Wien. Die Arbeiten zu den
liechtensteinischen Ärzten zählten - neben einigen
kleineren Aufsätzen für verschiedene Veröffentli-
chungen - zu den letzten Publikationen Rudolf
Rheinbergers. Schon früher hatte er in kleineren
Veröffentlichungen im Jahrbuch des Historischen
Vereins und später in den Balzner Neujahrsblättern
und in der Zeitschrift «Terra plana» vor allem über
die Restaurierung des Schlosses Vaduz und über die
Burg Gutenberg wie auch über seinen Vorfahren,
den Amtsboten Johann Rheinberger, berichtet. Nun
kehrte er gegen Ende seines Lebens wieder zum ei-
genen Archiv zurück und suchte heraus, was den
Leuten zusagte. Aber er war müde geworden. Am
23. Januar 2009 starb Dr. Rudolf Rheinberger, 92-
jährig, nachdem er von den Seinen Abschied ge-
nommen hatte.
FÜRSTLICHER SANITÄTSRAT DR. RUDOLF RHEINBERGER
1917 BIS 2009 / HARALD WANGER
PUBLIKATIONEN VON
RUDOLF RHEINBER-
GER IN DEN JAHR-
BÜCHERN DES HISTO-
RISCHEN VEREINS
Zum Abbruch eines goti-
schen Holzhauses in
Vaduz. In: JBL 55 (1955),
S. 143-145.
Das «politische Tagebuch»
des Amtsboten Johann
Rheinberger zu Vaduz,
eine Quelle zur Geschichte
Liechtensteins zur Zeit des
Absolutismus. In: JBL 58
(1958), S. 225-238.
Zum 200. Geburtstag von
Landesphysikus Gebhard
Schaedler. Ein liechtenstei-
nischer Arzt als Pionier
der Pockenschutzimpfung
(Kurzbericht). In: JBL 76
(1976), S. 337-344.
Eine bisher unveröffent-
lichte Darstellung der
Baugeschichte der Burg
Vaduz. «Veröffentlichung
der <Baugeschichte der
Burg Vaduz> von Franz
von Wieser und zweier
Berichte zur Renovation
von Egon Rheinberger. Mit
Photos, Plänen und Skiz-
zen». In: JBL 77 (1977),
S. 49-85.
Moriz Menzinger. «Mit
meist farbigen Reproduk-
tionen». In: JBL 82 (1982),
S. 5-152.
Moriz Menzinger - Ein
Nachtrag. In: JBL 85
(1985), S. 251-284.
Liechtensteiner Ärzte des
19. Jahrhunderts. In: JBL
89 (1991), S. 19-112.
Zu Peter Kaisers Aufent-
halt in Wien. In: JBL 90
(1991), S. 329-333.
Dr. med. Wilhelm Schlegel,
Arzt und Politiker (1828—
1900). In: JBL 91 (1992),
S. 167-206.
Dr. med. Rudolf Schädler
1845 bis 1930, seine
Tätigkeit als Arzt und sein
Wirken im Dienste der
Öffentlichkeit. In: JBL 92
(1994), S. 149-199.
Dr. med. Albert Schädler,
1848 bis 1922, Arzt, Poli-
tiker, Historiker. In: JBL 94
(1997), S. 101-150.
Dr. med. Peter Marxer
1850 bis 1885. In: JBL 94
(1997), S. 151-162.
Medizin in Liechtenstein
im 19. Jahrhundert. In:
JBL 94 (1997), S. 163-181.
Dr. med. Franz Xaver
Gassner. In: JBL 95 (1998),
S. 117-122.
Ein Dokument aus der Zeit
der Franzosenkriege. In:
JBL 97 (1999), S. 185-194.
«Bemerkungen über den
sogenannten Milzbrand
...». Ein frühes medizin-
wissenschaftliches Doku-
ment aus Liechtenstein. In:
JBL 99 (2000), S. 207-216.
Walser und Rheinberger,
die Wirtefamilien des
Gasthauses «Löwen» in
Vaduz. In: JBL 103 (2004),
S. 227-242.
BILDNACHWEIS
S. 2: Brigitt Risch, Schaan
S. 5: Liechtensteinisches
Landesarchiv, Vaduz
S. 6: Archiv der Familie
Rheinberger, Vaduz
ANSCHRIFT DES
AUTORS
Harald Wanger
Im Rossfeld 25
FL-9494 Schaan
FÜRSTLICHER
BAURAT
KARL HARTMANN
1921 BIS 2009
Von 1955 bis 1986 stand
Bauingenieur Karl Hart-
mann dem Fürstlichen
Bauamt als Leiter vor. In
dieser Funktion war Karl
Hartmann auch für die
Erteilung von Baubewilli-
gungen in Liechtenstein
zuständig.
1?61
An die
Contlna A« G«
lauron«
In Erledigung Ihres Gesuches vom*.. A* JßWßX. . *vlrd
Ihnen die mit hlerortigem Erlasse vom. . .. iWA* * ........
erteilte Bewilligung zum... dPA JWSSPPPPfiPP.........
hiemi t bie *.. PPP,. ?$$?. „verlängert,
Die Ihnen in dem genannten Erlasse vorgeechrlebenen Bau*
bedingungen gelten demnach auch für diese Bauperlodo und sind
genau einzuhalten.
Fürstliches Bauamt*
Liechtenst. Bauamt
VADUZ
Abschrift ergeht
an Herrn Bauaufsehar Jos* Kalla* auron
FÜRSTLICHER BAURAT KARL HARTMANN
1921 BIS 2009 / WALTER WALCH
Fürstlicher Baurat Karl
Hartmann gehörte von
1957 bis 1986 dem Vor-
stand des Historischen
Vereins an.
13
ZUM GEDENKEN
Mit Karl Hartmann starb am 5. Februar 2009 eine
Persönlichkeit, die mit der Leitung des Bauamtes
über drei Jahrzehnte das bauliche und verkehrspo-
litische Geschehen des Landes prägte. In seiner stil-
len und bescheidenen Art hat er zum öffentlichen
Wohle des Landes massgeblich beigetragen. Er leb-
te und wirkte in einer Zeit des ausgeprägten Wan-
dels, der Liechtenstein von einem landwirtschaftli-
chen Land in ein wohlhabendes Industrie- und
Dienstleistungszentrum führte. Anspruch der Ge-
sellschaft und zunehmender Wohlstand stellten
hohe Anforderungen an die Bauamtsleitung. Ver-
kehr und Bautätigkeit verlangten ihren Tribut in
den Dörfern und in der Landschaft.
DIE FRÜHEN JAHRE
Karl Hartmann wurde am 28. Dezember 1921 in
Vaduz geboren und wuchs zusammen mit fünf Ge-
schwistern auf. Nach der Matura begann er an der
Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in
Zürich das Studium des Bauwesens, das er 1948 mit
dem Diplom eines Bauingenieurs ETH erfolgreich
abschloss. Er arbeitete vorerst beim Bund in Bern
und wechselte anschliessend in das Kantonale Tief-
bauamt nach Obwalden. 1955 bestellte ihn die Re-
gierung in der Nachfolge von Baurat Josef Vogt zum
neuen Leiter des Bauamtes, das er bis zu seiner Pen-
sionierung im Jahre 1986 als Amtsvorstand führte.
DIE ARBEIT IM HISTORISCHEN VEREIN
Bereits 1957 wurde Karl Hartmann in den Vorstand
des Historischen Vereines gewählt, dem er als
Schriftführer bis zu seinem Austritt im Jahre 1986,
dem Jahr seiner Pensionierung, angehörte. In Aner-
kennung seiner Verdienste um den Historischen
Verein erhielt Karl Hartmann 1986 die Ehrenmit-
gliedschaft verliehen. Im Vorstand des Historischen
Vereines konnte Karl Hartmann sein vielseitiges
kulturhistorisches und fachliches Wissen als Bauin-
genieur einbringen. Das 1954 im Obergeschoss des
damals neu erstellten Gebäudes der Liechtensteini-
schen Landesbank eingerichtete Landesmuseum
musste 1967 aus Platzgründen weichen. Der Vor-
stand suchte zusammen mit der Regierung nach Er-
satzlösungen. Der Kauf des historischen Gebäudes
des ehemaligen Zoll- und Gasthauses zum «Adler»,
des späteren Regierungsgebäudes unmittelbar nörd-
lich des Verweserhauses, eröffnete dem Histori-
schen Verein und damit dem Liechtensteinischen
Landesmuseum neue Perspektiven. Nach umfang-
reichen Renovationsarbeiten konnte in diesem
Haus am 15. April 1972 das neue Landesmuseum
eröffnet werden. Karl Hartmann war Mitglied der
Baukommission und begleitete den ausführenden
Architekten Hans Rheinberger bei seinen Renovati-
onsarbeiten.
14
FÜRSTLICHER BAURAT KARL HARTMANN
1921 BIS 2009 / WALTER WALCH
Als beratendes Mitglied der Denkmalschutz-
Kommission der Fürstlichen Regierung war es Karl
Hartmann ein grosses Anliegen, möglichst viele
denkmalwürdige Bauten zu erhalten. Diese Arbeit
zur Durchsetzung des Denkmalschutzgesetzes aus
dem Jahre 1944 und zur Erhaltung von historischen
Bauten war wichtig, erfolgte aber in einem gesell-
schaftlich schwierigen Umfeld. Im Zusammenhang
mit der damaligen Neuerrichtung des Landesmuse-
ums sei auf die dort integrierte Bauernstube hinge-
wiesen, die aus einem Gampriner Wohnhaus
stammt. Alle Bemühungen der Denkmalschutz-
Kommission und des Historischen Vereines schei-
terten, dieses schützenswerte Baudenkmal zu er-
halten. Zumindest konnte dann das reich ausgestal-
tete Holztäfer der Bauernstube dieses Hauses de-
montiert und durch den Einbau in das neu gestaltete
Landesmuseum dauerhaft gerettet werden.
DER LANDESINGENIEUR
Karl Hartmann begann seine Tätigkeit 1955 als Lei-
ter des Bauamtes des Fürstentums Liechtenstein in
einer Zeit, in der sich die wirtschaftliche Entwick-
lung des Landes abzuzeichnen begann. Einige Zah-
len aus dem Statistischen Jahrbuch des Volkswirt-
schaftsamtes mögen diese ausserordentliche Pros-
perität des Landes während seiner Amtszeit ver-
deutlichen:
Besonders eindrücklich zeigt sich diese Entwick-
lung von Wirtschaft und allgemeinen Wohlstand bei
den Staatsfmanzen. Sie stiegen von 19 Millionen
Franken im Jahre 1955 auf 311 Millionen Franken
im Jahr 1986. 2009 wurde gar die Milliardengrenze
überschritten. Parallel hierzu nahm der Autover-
kehr zu: Waren 1955 gesamthaft 2 191 Motorfahr-
zeuge angemeldet, gab es 1986 bereits 18 140 Mo-
torfahrzeuge. 2009 verkehrten rund 34 000 Motor-
fahrzeuge auf Liechtensteins Strassen. Ebenso stieg
auch die öffentliche und private Bautätigkeit seit
1962 (Beginn der Baustatistik) von 316 000 m3 auf
480 000 m3 Bauvolumen im Jahre 1986. 2004 wur-
den gar 1,65 Millionen m3 Bauvolumen als bisheri-
ger Spitzenwert bewilligt. Arbeitsplätze und Ver-
kehr hängen ursächlich zusammen. Waren 1955
gesamthaft 7 670 Arbeitsplätze in Liechtenstein
vorhanden, wurden 1986 bereits 17 078 Arbeits-
plätze und 2009 mehr als 34 000 gezählt. Diese Ent-
wicklung verlangte nach zusätzlichen Arbeitskräf-
ten aus dem Ausland. So waren im Jahr 1955 be-
reits täglich 1100 Zupendler aus der Schweiz und
Österreich zu verzeichnen. Dieser Pendlerstrom
wuchs stetig. 2009 werden rund 17 000 Beschäftig-
te gezählt, die täglich aus dem Ausland zu ihrem Ar-
beitsplatz in Liechtenstein kommen, vorwiegend im
eigenen Auto.
Karl Hartmann war in vielen Bereichen voraus-
denkend. Der Landtag hatte bereits 1947 ein für die
damalige Zeit ausserordentlich weitsichtiges Bauge-
setz erlassen. Aber sein grösster Mangel war vor al-
lem, dass es insbesonders in seinen raumplaneri-
schen Erlassen kaum oder zu spät zur Anwendung
gelangte. Damit war eine geordnete räumliche Ent-
wicklung des Landes in Frage gestellt. Ab 1962 be-
fasste sich das Bauamt im Auftrag der Regierung
und in Kooperation mit dem Forstamt mit der Lan-
desrichtplanung. Beginnend mit der Planung der
Berglandsanierung und ab 1966 gesamthaft mit der
Landesplanung, führte diese Arbeit 1968 zum ers-
ten Landesrichtplan des Landes. In diesem Jahr in-
stitutionalisierte die Regierung die Landesplanung
mit der Schaffung einer eigenen Dienststelle. Paral-
lel hierzu entwarf Karl Hartmann zusammen mit
externen Fachleuten ein neues Bau- und Planungs-
gesetz, um derart auf die geänderten Randbedin-
gungen zu reagieren und verantwortungsvoll eine
zukunftssichere Raumentwicklung gewährleisten
zu können. Dieser Gesetzesentwurf fand aber poli-
tisch keine Freude und scheiterte. Erst 1985 trat
eine Teilrevision des Baugesetzes in Kraft, die im
Oktober 2009 von einer grundlegenden Neufassung
des Baugesetzes abgelöst wurde.
Um eine langfristig gesicherte wirtschaftliche
Entwicklung des Landes zu fördern, entwickelte
Karl Hartmann zusammen mit dem ORL-Institut der
ETH in Zürich ein zukunftsfähiges Verkehrskonzept.
Der Bauamtsleiter sah als Resultat der übergrossen
Bauzonen und der damit einhergehenden Streu-
siedlung den stetig und massiv steigenden Indivi-
15
dualverkehr voraus. Sein Verkehrskonzept sah da-
her die weitgehende Entlastung der Siedlungsgebie-
te vom Durchgangsverkehr vor. Mit einer etappen-
weisen Realisierung von Umfahrungsstrassen sollte
dies erreicht werden. Dieses grosse Vorhaben erlitt
jedoch Mitte der 1970er Jahre politischen Schiff-
bruch. Im Rahmen einer Volksabstimmung lehnten
die Stimmberechtigten die erste Etappe dieses Kon-
zeptes, nämlich die Umfahrung von Schaan und Va-
duz, mit grossem Mehr ab. Diese Ablehnung traf den
Bauamtsleiter schwer. Er suchte jahrelang nach po-
Regierungschef Hans
Brunhart und Karl Hart-
mann im Jahre 1986 an-
lässlich der Amtseinfüh-
rung von Walter Walch.
litisch realisierbaren Ersatzlösungen. Inzwischen
hat das Land grosse Anstrengungen für den Ausbau
des öffentlichen Verkehrs unternommen. Trotzdem
ist die Zunahme des Individualverkehrs ungebro-
chen. Ohne die benachbarte Autobahn auf Schwei-
zer Boden, die als Verkehrstangente das Land
Liechtenstein mit fünf Anschlüssen bedient, hätte
Liechtenstein und insbesonders seine von ausländi-
schen Arbeitskräften abhängige Wirtschaft ein
grosses Verkehrsproblem. Es wird die Zukunft wei-
sen, ob die aktuellen Bemühungen für ein optimales
öffentliches Verkehrssystem den Anforderungen
unserer Wirtschaft gerecht werden. Die Politik wird
aber auch den widerspruchsvollen Anspruch unse-
rer Gesellschaft lösen müssen: offensichtlich will je-
dermann unbeschränkt verkehren, ohne aber die
Konsequenzen zu bedenken oder gar tragen zu wol-
len. Es bleibt daher die Frage, ob künftig nicht doch
auf ein weiterentwickeltes Verkehrskonzept mit
Entlastungsstrassen, wie von Karl Hartmann vorge-
dacht, zurückgegriffen werden muss.
Mit Blick auf die geplanten Umfahrungsstrassen
für mehr Sicherheit und weniger Lärm in den Ge-
meinden erarbeitete Karl Hartmann ein «Gesetz
über die Hochleistungsstrassen». Dieses trat 1974
in Kraft, konnte aber seine Wirkung bislang infolge
der Ablehnung der einzelnen neuen Strassenprojek-
te nicht entfalten. Dem Bauamtsleiter war es darü-
ber hinaus ein stetes Anliegen, mit einem modernen
«Strassengesetz» die Zuständigkeiten bezüglich Ge-
meinde- und Landstrassen zu regeln. Dieser für
Staat und Gemeinden notwendige Gesetzesentwurf
ist bis heute in den Schubladen der Politik verschol-
len.
EINSATZ UND ANSPRUCH
Der Aufgabenbereich des Bauamtes war und ist
vielseitig, anspruchsvoll und herausfordernd. Der
staatliche Hochbau, die Verkehrs- und Strassenpla-
nung, der Unterhalt der öffentlichen Infrastruktur,
die Landesvermessung, die Weiterentwicklung und
der Vollzug des Baurechtes, die Bearbeitung der
Subventionen bei kommunalen Projekten, die viel-
16
FÜRSTLICHER BAURAT KARL HARTMANN
1921 BIS 2009 / WALTER WALCH
seitige Beratungstätigkeit für Gemeinden und Re-
gierung, die Mitarbeit in Kommissionen und nicht
zuletzt die Führung des stets grösser werdenden
Amtsbereiches führten zu einer zunehmenden Be-
lastung des Bauamtsleiters. Das zehrte an seiner
Gesundheit. Karl Hartmann war ausserordentlich
Reissig und gewissenhaft. Er arbeitete bis spät
abends und oft auch an Samstagen. Der Charakter
von Karl Hartmann war auf Ausgleich gerichtet. Er
war ein stiller Kämpfer für die Sache, konnte und
wollte bei Konflikten aber nicht streiten. Konflikte
gab es aber zunehmend mehr, sei es im Bereich des
Baurechtes mit Bauherren, Juristen und Fachleu-
ten, sei es bei Bodenauslösungen mit Grundeigentü-
mern oder auch bei der Führung und Begleitung der
Mitarbeiter des Bauamtes. Bei seiner vornehmen
Zurückhaltung setzte er auf Ausgleich, auf Verhand-
lung, auf die Vernunft des Gegenübers. Das laute
Wort war nicht seine Art. Für alle vorbildhaft war
seine unbedingte Loyalität gegenüber Staat, Regie-
rung und Amt.
Karl Hartmann nahm in seiner langen Laufbahn
viele komplexe Projekte seines umfangreichen Auf-
gabengebietes in Angriff. Zur Bewältigung dieses
Aufgabenbereiches hatte er in den 1970er Jahren
eine neue Struktur des Bauamtes entwickelt und
eingeführt. So wurden eine Hochbauabteilung und
eine Tiefbauabteilung eingerichtet, mit kompeten-
ten Fachleuten besetzt und mit einer Bauadminis-
tration ergänzt. Er hat in seiner Amtszeit, begin-
nend mit der Realschule Eschen, viele staatliche
Hochbauten realisiert. Auch konnte er die Ver-
kehrsinfrastruktur in vielen Bereichen den gestiege-
nen und zu erwartenden Anforderungen anpassen.
Aber gerade im Strassenbau wurde das gesell-
schaftspolitische Klima zunehmend schwieriger.
Obwohl jeder Auto fährt, verweigert man sich dem
Strassenbau; man will zwar unbehindert verkeh-
ren, will jedoch weder Boden für den Strassenaus-
bau abgeben noch will man Lärm, Abluft oder Ge-
fährdung. Zunehmend fehlte die politische Unter-
stützung dieser begründeten fachlichen Anliegen
des Bauamtsleiters. Insbesonders im Strassenbau
war er Vordenker, der seiner Zeit einschliesslich der
heutigen voraus war. Mit seinen verkehrspoliti-
schen Visionen und Projekten wollte er dazu beitra-
gen, dass Liechtenstein auch zukünftig ein attrakti-
ver, gut erreichbarer, lebenswerter und wirtschafts-
freundlicher Lebensraum bleibt.
ANERKENNUNG
Als Anerkennung dieser Bemühung und seines Ein-
satzes für Liechtenstein hat ihn die Regierung im
Jahre 1969 mit dem Titel «Landesingenieur» ausge-
zeichnet. Er war der erste und gleichzeitig auch der
letzte Amtsleiter, der diesen Titel getragen hat. Mit
dem Ausscheiden aus dem Landesbauamt wurde
dieses in zwei eigenständige Ämter für Hochbau
und Tiefbau aufgegliedert. Der Titel des Landesin-
genieurs ehrte und freute ihn sehr, da diese Aus-
zeichnung seine in vielen Bereichen vorausdenken-
de und «ingenieuse» Tätigkeit als Bauamtsleiter
treffend umschrieb. Im Jahre 1976 verlieh ihm
Fürst Franz Josef II. das Komturkreuz des Fürstlich-
Liechtensteinischen Verdienstordens, um derart
seinen Einsatz für Liechtenstein öffentlich zu würdi-
gen. 1986 verlieh die Leopold-Franzens-Universität
in Innsbruck dem Landesingenieur Karl Hartmann
das Ehrenzeichen der Universität für besondere
Verdienste um die Förderung der wissenschaftli-
chen und kulturellen Aufgaben der Universität. Im
Jahre 1989 zeichnete das Fürstenhaus Karl Hart-
mann mit dem Titel des Fürstlichen Baurates aus.
Diese öffentliche Anerkennung freute Karl Hart-
mann, änderte aber nichts an seiner stillen und vor-
nehmen Wesensart. Mit Karl Hartmann ist eine
grosse Persönlichkeit gestorben, deren Ideen zum
Verkehr und zur Verkehrspolitik aber auch zu einer
ganzheitlichen Raumentwicklung Liechtensteins
gültig bleiben. Sie könnten eine der wichtigen Leitli-
nien für die künftige Politik zum Wohle unseres Lan-
des sein.
17
BILDNACHWEIS
S. 12: Liechtensteinisches
Landesarchiv, Vaduz
S. 13: Privatarchiv Familie
Hartmann, Vaduz
S. 16: Privatarchiv Walter
Walch, Vaduz
ANSCHRIFT DES
AUTORS
Walter Walch
Meierhofstrasse 53
FL-9490 Vaduz
18
GESCHICHTE DES
LAIENRICHTERTUMS
IN LIECHTENSTEIN
Inhalt
23 EINLEITUNG
23 Gegenstand, Auftrag
24 Stand der Forschung
24 Terminologie und thematische Eingrenzung
24 - Begriffe
25 - Thematische Eingrenzung und Gliederung
26 DIE ENTWICKLUNG DER BETEILIGUNG
VON LAIEN AN DER GERICHTSBARKEIT
EIN RECHTSGESCHICHTLICHER ÜBER-
BLICK
26 Allgemeiner Überblick. Mitteleuropäischer
Rechtskreis
26 - Zeitliche Eingrenzung
26 - Räumliche Begrenzung
26 - Das alte germanisch-deutsche Recht
27 - Rezeption des gemeinen Rechts
(römisches Recht)
28 - Auswirkungen auf die deutsche Gerichts-
verfassung
28 - Die Peinliche Gerichtsordnung (PGO) Karls
V. von 1532
30 - Das reformierte Strafverfahren des 19.
Jahrhunderts
31 - Die Entwicklung der Laiengerichtsbarkeit
in Österreich im 19. Jahrhundert
32 Die Entwicklung in Liechtenstein
32 - Früh- und Hochmittelalter. Von der rä-
tisch-römischen zur fränkisch-deutschen
Rechtstradition
33 - Die Rechtsquellen
35 - Die Bildung der Gerichtsgemeinden der
oberen und unteren Landschaft im Spät-
mittelalter
37 - Eigenes Gericht der Walser
37 - Die Gerichtsorganisation vom 16. bis 18.
Jahrhundert
41 - Andere Gerichtsformen
43 - Beschränkung der Volksbeteiligung am
Gerichtswesen im 17. und 18. Jahrhundert
49 - Das Gerichtswesen im Spätabsolutismus.
1808-1848/1862
53 - Die Auswirkungen der 1848er Revolution
für das Gerichtswesen
55 - Verfassung vom 26. September 1862 -
Übergang vom Absolutismus zum Konsti-
tutionalismus
56 - Die Reform der liechtensteinischen Straf-
rechtspflege 1881
66 - Zusatzbestimmungen zur Strafprozessno-
velle von 1881 auf Grund des Staatsver-
trags mit Österreich über die Justizverwal-
tung von 1884
66 - Die grosse Justizreform 1906 bis 1915
72 - Friedensrichter und Vermittler
76 - Erweiterung der Volksrechte und der
Laienbeteiligung an der Gerichtsbarkeit
durch die Verfassung von 1921
86 - Laien in Kommissionen mit verwaltungs-
gerichtlichen Funktionen und in der
Schiedsgerichtsbarkeit
88 - Die Verfassungsrevision von 2003 und die
Reorganisation des Gerichtswesens
94 EINE ÜBERSICHT ZU DEN HEUTIGEN
REGELUNGEN IM MITTELEUROPÄI-
SCHEN RECHTSKREIS
95 Deutschland
96 Schweiz
97 Österreich
98 DIE AKTUELLE BEURTEILUNG DES
LAIENRICHTERTUMS
98 Aussagen aus dem deutschsprachigen Raum
101 Aussagen aus Liechtenstein
102 ZUSAMMENFASSUNG DER HISTORI-
SCHEN ENTWICKLUNG DES LAIEN-
RICHTERTUMS IN LIECHTENSTEIN
106 WÜRDIGUNG UND AUSBLICK AUS
HISTORISCHER SICHT
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
106 Gründe für die heutige Lösung
106 - Übernahme von Normen und Organisati-
onsformen aus dem mitteleuropäischen
Rechtskreis
108 - Spezifisch liechtensteinische Rechtsent-
wicklung
109 Ausblick und Empfehlungen
110 QUELLEN UND LITERATUR
110 Allgemeiner Überblick. Mitteleuropäischer
Rechtskreis
111 Liechtenstein
21
Holzschnitt aus der Bam-
bergischen Peinlichen
Halsgerichtsordnung,
Bamberg 1580. Auf drei
Bänken, die im Viereck
aufgestellt sind, sitzen der
Richter und die Urteiler.
Von der offenen Seite her
wird ein Angeklagter ge-
fesselt vorgeführt, begleitet
von mehreren Personen.
Die fünf bildinternen
Spruchbänder lauten von
oben nach unten:
- «Die ubelthätter las nit
leben. Exodi am 22.»
- «Der da gerecht urtheilt
den bösen/ und der da
verdampt den Gerech-
ten/ der jedweder ist
verworffen bey Gott/
Proverbiorum am 17.»
- «Die myet und die gäbe/
erblenden die äugen der
Urtheyler, Ecclesiastes
am 20.»
- «Forcht und fleiss/ feind-
schafft/ gunst, und gäbe/
Von Recht und Warheit
für et abe.»
Rechts daneben:
- «Richtn wir durch dis es
Buchs lehre/ Damit ver-
warn wir seel und ehre.»
Dieses Spruchband reicht
bis an den Mund des
Richters.
©icvbeltcttcr lag mtlcbctnj£)L*oDl ättl.jtpf
0er öo gerecht vrtcylt öcn b4jctt/wö öcr öo
verOampt t>e» gefaxten/ bcr ytwcber iji v>cr#
wcwffto bey got^joucrbiom 9lt1«)LVlk
|\ ß)tc myet vuö bie gabc/erblenöen öt'c äugen
K» oer vrtcyicr» £cdcfi9to anuT*
^■(.nc^t/vtjfleyg/vicyuOtfcljii^/gunfi/vnOg.ibe
Wien rccljt v»0 warfjeytfjiretabe
22
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
Einleitung
GEGENSTAND, AUFTRAG
Die vorliegende Abhandlung zur Geschichte des Lai-
enrichtertums in Liechtenstein ist im Auftrag der
Regierung entstanden. Sie soll die historische Ent-
wicklung aufzeigen, welche zur heutigen Lösung in
der liechtensteinischen Gesetzgebung geführt hat,
und die Gründe für die heutige Lösung darstellen.
Insgesamt soll eine Würdigung des Laienrichter-
tums in Liechtenstein vorgenommen werden. Der
Auftrag der Regierung geht zurück auf eine im Rich-
terauswahlgremium in seiner Sitzung vom 30. Mai
2007 geführte Grundsatzdiskussion über die Laien-
richterinnen und Laienrichter in Liechtenstein. Da-
bei wurde gewünscht, im Hinblick auf ein besseres
Verständnis für den Einsatz der Laienrichterinnen
und Laienrichter und im Hinblick auf künftige Ent-
scheidungen in dieser Frage, die Geschichte des Lai-
enrichtertums in Liechtenstein durch einen Histori-
ker aufarbeiten zu lassen.1
Laien sind bis heute in die Rechtspflege in Liech-
tenstein integriert. Wenn nun auf behördlichen
Wunsch den Grundmotiven des Laientums im Rich-
teramt im Spiegel der historischen Entwicklung
nachgegangen werden soll, steht dahinter wohl die
Frage, ob und wie weit die Laienrichtertradition
noch zeitgemäss ist. Die aktuelle Laienbeteiligung
steht zur Diskussion. Die historische Begründung
der Mitwirkung von Laien im gerichtlichen Verfah-
ren soll kritisch hinterfragt werden. In diesem Sinne
versteht sich der folgende Aufsatz auch als Beitrag
zu dieser Diskussion und zu einer noch zu leisten-
den umfassenden Untersuchung der Erfordernisse
und Möglichkeiten einer funktionsgerechten Mitar-
beit von Laien. Grundlage einer solchen Untersu-
chung und allfälligen Neuregelung laienrichterli-
cher Beteiligung ist ihr rechtshistorischer Hin-
tergrund und das Wissen um ihre geschichtliche Ent-
wicklung. Traditionsgemässe gesetzgeberische Strö-
mungen können nämlich bis ins geltende Recht
fortwirken. Rechtspolitik muss, will sie sich auf si-
cherem Boden bewegen, auf der Basis des Beste-
henden und Gewordenen gestaltet werden. Der
Blick zurück soll zum Verständnis des geltenden
Rechts beitragen und an die Bedeutung der Laien-
beteiligung für die Gerichtsbarkeit heranführen.
1) Regierungsbeschluss 18. September 2007 (RA 2007/2225-1610).
23
STAND DER FORSCHUNG
In der liechtensteinischen Geschichtsschreibung
wird in verschiedenen Abhandlungen auch auf das
Gerichtswesen eingegangen, dabei jedoch der be-
sondere Aspekt des Laienrichtertums durchwegs
ausser Acht gelassen. Einzig eine 1998 entstandene
juristische Diplomarbeit befasst sich mit der Beteili-
gung von Laienrichtern an der Rechtssprechung
liechtensteinischer Gerichte, lässt jedoch einen ge-
schichtlichen Exkurs über die Entwicklung des Lai-
enrichtertums bewusst beiseite.2 Für die vorliegen-
de Arbeit waren neben diesen liechtensteinischen
Publikationen vorwiegend die einschlägigen Quel-
len und Unterlagen im Liechtensteinischen Landes-
archiv zu sichten. Zudem wurde eine Reihe von
rechtsgeschichtlichen und rechtsvergleichenden
Studien zum Laienrichtertum im deutschsprachigen
Raum resp. mitteleuropäischen Rechtskreis einge-
sehen, zu dem auch Liechtenstein zählt.3
TERMINOLOGIE UND THEMATISCHE
EINGRENZUNG
Zugunsten leichterer Lesbarkeit wird im Folgenden
auf die Verwendung geschlechtsneutraler Formulie-
rungen verzichtet. Mit der Wahl der männlichen Be-
zeichnung wie z.B. Laien, Richter, Schöffe, Geschwo-
rener ist die weibliche Form mit gleicher Wertschät-
zung gemeint und umfasst.
BEGRIFFE4
Laie
Als Laie wird eine Person bezeichnet, die auf einem
bestimmten Gebiet keine Fachkenntnisse hat. Unter
Laienrichter wird somit der juristisch nicht gebilde-
te Richter verstanden. Laienrichtertum ist aller-
dings kein Rechtsbegriff in engerem Sinn. Vor der
Entstehung des Berufsrichtertums in der Neuzeit
war der fachlich, d.h. juristisch, nicht gebildete
Richter die Regel, so dass streng genommen für die-
se Zeit nicht von einer «Laiengerichtsbarkeit» ge-
sprochen werden kann. Recht wurde ja grundsätz-
lich von Rechtslaien gesprochen, die jedoch durch-
aus über besondere Rechtskenntnisse verfügen
konnten und sollten. Rechtslaien im Sinne von
rechtsunkundigen Personen wurden und werden
auch heute für die Laienrichterfunktion nicht ver-
langt. Im Folgenden soll der Begriff «Laie» für eine
Person verwendet werden, die ursprünglich allein
aufgrund ihrer sozialen Stellung und ihres Anse-
hens in der Gemeinschaft, später wegen anderer
Gründe wie beispielsweise dem Wunsch nach einer
volksnahen Ausgestaltung der Rechtspflege zeitwei-
se, von Fall zu Fall, zu Aufgaben der Rechtspre-
chung herangezogen wurde bzw. wird.
Laienrichter
Vom Laienrichter spricht man erst, als sich in der
Neuzeit das Berufsrichtertum zu entwickeln be-
ginnt. Unter Laienrichter wird nun ein Richter ohne
Rechtsstudium verstanden. In der liechtensteini-
schen Gesetzgebung ist der Begriff Laienrichter nir-
gends ausdrücklich erwähnt. Es finden sich jedoch
24
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
verschiedene Hinweise auf Laienrichter. Insbeson-
dere sind mit den im Gerichtsorganisationsrecht ge-
nannten Schöffen eindeutig Laienrichter angespro-
chen. Als Gegensatz zum Laienrichter findet sich im
liechtensteinischen Recht der Begriff des «rechts-
kundigen» Richters. Auch dieser Begriff ist nicht
eindeutig definiert. Ein vom Staatsgerichtshof 1953
darüber erstattetes Gutachten hält fest, dass als
rechtskundig Personen gelten, «die der im Lande
bestehenden Rechtsvorschriften im vollen Umfange
mächtig sind, ohne ein abgeschlossenes Studium an
einer Lehranstalt nachweisen zu müssen».5 Trotz
dieses Gutachtens blieb in den liechtensteinischen
Rechtsnormen bis zur jüngsten Reform der Ge-
richtsorganisation und des Richterdienstes 20076 in
Bezug auf die Rechtskundigkeit und die Berufs- oder
Laienrichter einiges offen.7
Formen der Teilnahme von Laien
an der Rechtsprechung
Wir kennen heute drei Hauptformen der Teilnahme
von Laien an der Rechtsprechung: das Schwurge-
richt, in dem die Geschworenen allein und selbstän-
dig über die Schuld des Angeklagten entscheiden;
das gemischte Gericht (Schöffengericht), in dem Be-
rufs- und Laienrichter gemeinsam über Schuld und
Strafe urteilen; schliesslich den Friedensrichter
(Vermittler), der für geringfügige Delikte zuständig
ist. Der Laienrichter nimmt im Wesentlichen die
gleiche Aufgabe wahr wie der Berufsrichter. Der
Friedensrichter (Vermittler), der ebenfalls Laie ist,
hat jedoch zumeist keine oder nur geringe Kompe-
tenz zur Rechtsprechung.
THEMATISCHE EINGRENZUNG
UND GLIEDERUNG
Im Zentrum der folgenden historischen Betrachtung
steht die Frage, wann und wie Laien als Richter ge-
wirkt haben. Diese enge Fragestellung musste je-
doch zum besseren Verständnis an verschiedenen
Stellen um den allgemeinen Bereich der Rechte des
Volkes an der Rechtspflege und seiner Beteiligung
an der Gerichtsbarkeit erweitert werden.
Den Hauptteil der vorliegenden Abhandlung bil-
det ein rechtsgeschichtlicher Überblick über die Be-
teiligung von Laien an der Gerichtsbarkeit. Aufbau-
end auf eine allgemeine Darstellung der Entwick-
lung im mitteleuropäischen Rechtskreis, folgt die
Geschichte des Laienrichtertums in Liechtenstein
vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Vor dem so ge-
zeichneten historischen Hintergrund und nach ei-
ner aktuellen rechtsvergleichenden Skizze der Lai-
enbeteiligung im Gerichtswesen im mitteleuropäi-
schen Rechtskreis werden dann kurz die wesentli-
chen Elemente einer rechtlichen Würdigung ange-
sprochen, nämlich die Vor- und Nachteile der
Mitwirkung von Laien im gerichtlichen Verfahren.
Am Schluss stehen eine Zusammenfassung und
Würdigung des Laienrichtertums aus historischer
Sicht und ein Ausblick auf eine allfällige Neurege-
lung.
2) Tömördy, Sabine: Die Beteiligung von Laienrichtern (d.h. von
Richtern ohne juristische Bildung) an der Rechtssprechung liechten-
steinischer Gerichte: Rechtliche Regelung, Sinn und praktische
Bedeutung. St. Gallen, 1998. Diplomarbeit Universität St. Gallen.
3) Siehe unten: Quellen und Literatur, S. 110-113.
4) Vgl. dazu: Bizozzero; Tömördy, S. 100-101.
5) Gutachten StGH vom 18. 7. 1953. ELG 1947-1954, S. 274-276.
6) Gesetz vom 24. Oktober 2007 über die Organisation der ordentli-
chen Gerichte (Gerichtsorganisationsgesetz; GOG), LGB1. 2007, Nr.
34; Richterdienstgesetz (RDG) vom 24. Oktober 2007, LGB1. 2007,
Nr. 347.
7) Vgl. dazu auch Ritter, Karlheinz, sowie S. 90-92.
25
Die Entwicklung der Beteiligung
von Laien an der Gerichtsbarkeit
EIN RECHTSGESCHICHTLICHER ÜRERRLICK
ALLGEMEINER ÜBERBLICK. MITTEL-
EUROPÄISCHER RECHTSKREIS8
ZEITLICHE EINGRENZUNG
Die Mitwirkung von Laien in der Rechtspflege, be-
sonders im Strafprozess, hat eine lange historische
Entwicklung hinter sich. Eine historische Betrach-
tung der Laienbeteiligung darf nicht erst bei der im
18. Jahrhundert geforderten Beteiligung des Volkes
an allen Staatsfunktionen beginnen. Sie muss viel-
mehr schon beim germanischen Gerichtsverfahren
ansetzen. Die Auswahl der Schöffen und die Wand-
lungen des Strafverfahrens dürfen nicht derart aus
dem geschichtlichen Entwicklungsprozess heraus-
gerissen werden. Viele Regelungen bekommen erst
durch Einfügen in diesen Prozess Sinn und Bedeu-
tung. Die Rolle der Laienrichter und ihre Befugnisse
spiegeln die von den politischen und geistigen
Strukturen der jeweiligen Epochen abhängige
Wechselbeziehung von Recht sprechender Gewalt
und Gesellschaft wider. Der im Laufe der Zeit unter-
schiedliche Gang der Urteilsfindung ist für die Legi-
timation der Strafgewalt sowie für die Beteiligung
des Volkes an der Rechtsprechung von entscheiden-
der Bedeutung. Deshalb soll ihre historische Ent-
wicklung bereits seit dem Mittelalter dargestellt
werden.
RÄUMLICHE BEGRENZUNG
Die Darstellung beschränkt sich auf den mitteleuro-
päischen Rechtskreis, bestehend aus Deutschland,
Österreich, der Schweiz und Liechtenstein. Er ba-
siert auf dem germanisch-deutschen Recht und ist
im Verwissenschaftlichungsprozess stark durch das
römisch-gemeine Recht geprägt. Die Strafverfahren
weisen eine gleichförmige historische Entwicklung
auf. Sie führt vom mittelalterlichen privaten Ankla-
geprozess mit Eideshelfern und Gottesurteilen über
den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen In-
quisitionsprozess bis zur Grundlegung des moder-
nen Strafprozesses im 19. Jahrhundert.9
DAS ALTE GERMANISCH-DEUTSCHE RECHT
In der bis zu den Rechtsbüchern des 12. Jahrhun-
derts (Sachsenspiegel, Schwabenspiegel) heraufrei-
chenden Epoche des alten deutschen Rechts lag die
Rechtsprechung im Wesentlichen in den Händen
des Volkes. Waren früher Streitigkeiten innerhalb
der Sippen durch disziplinäre Selbsthilfe erledigt
worden, so wurde in dieser Zeit Streit zunehmend
statt durch Fehde vor Unparteiischen ausgetragen.
Das germanische Gerichtswesen gründete auf
der Teilnahme aller freien Volksgenossen an der Ge-
richtsversammlung, welche unter freiem Himmel,
meistens an Opferstätten, abgehalten wurde. Es gab
zwei Arten von Gerichtsversammlungen, das echte
Ding, das zu bestimmten Zeiten an hergebrachter
Gerichtsstätte abgehalten wurde, und das gebotene
Ding, das je nach Bedarf zusammentrat. Das Gericht
bestand aus einem Richter und der Gerichtsgemein-
de, die in ältester Zeit zusammen das Urteil fällten.
Später wurde der Vorsitzende Richter, ein Graf oder
königlicher Beamter, zum «Frager des Rechts». Er
leitete die Verhandlung und erfragte das Urteil von
der Gerichtsgemeinde oder einzelnen rechtskundi-
gen Urteilern (Schöffen). Diese Trennung zwischen
Richter einerseits und Urteilsfinder andererseits
kann als Grundsatz des germanischen Strafprozess-
rechts bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts verfolgt
werden.
Mit dem Entstehen des fränkischen Reiches zwi-
schen dem 5. und 9. Jahrhundert bildeten sich spe-
zifisch fränkische Prozesseinrichtungen. Es kam zur
Unterscheidung zwischen hoher und niederer Ge-
richtsbarkeit. Neben den Volksgerichten entstand
das fränkische Königsgericht, in dem der Beginn ei-
ner staatlichen Gerichtsbarkeit zu sehen ist. Zwi-
schen 770 und 780 reformierte Karl der Grosse das
Gerichtswesen. Das echte Ding wurde auf drei Ge-
richtssitzungen im Jahr beschränkt. Am gebotenen
Ding fanden auf Lebenszeit bestellte, ständige Ur-
teilsfinder (Schöffen) das Urteil. Die dingpflichtigen
wehrfähigen Volksgenossen mussten daran nicht
mehr teilnehmen. Sie wurden durch die Einführung
des Schöffenamtes entlastet. Die Urteilsfinder wa-
ren in Rechtsdingen gut bewanderte Personen.
26
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
Neben den Volksgerichten bestand das Königsge-
richt, das am jeweiligen Aufenthaltsort des Königs
tagte. Der König war oberster weltlicher Richter. Er
(bzw. sein Hofgericht) übte die hohe Gerichtsbarkeit
(Blutgerichtsbarkeit) selber aus oder gab sie über
Bannleihe an Grafen oder Vögte weiter. Später be-
trachteten Fürsten und Landesherren die verliehe-
ne Gerichtsgewalt als eigenständiges, zumindest
erbliches Recht. Diese Auffassung war Teil der Ent-
wicklung zum Territorialstaat, indem die Landes-
herren zu den eigentlichen Trägern der Gerichts-
barkeit wurden.
Bis in die Neuzeit beruhte die Rechtsprechung
der Gerichte vor allem auf dem Rechtsgefühl und
Rechtsbewusstsein des Volkes, wie es in den Weistü-
mern und Rechtsbüchern zum Ausdruck kam. Das
Recht war Gemeingut aller. Es wurde vom Volk
durch Erinnern an altes Herkommen nach freier
Überzeugung von Fall zu Fall geschöpft. Die Ent-
scheidungsträger und Urteilsfinder waren keine
rechtswissenschaftlich gelehrten Richter, sondern
Angehörige des jeweiligen Gerichtsbezirks. Zur
Rechtsfindung bedurfte es keiner formalen juristi-
schen Bildung. Die an der Urteilsfindung beteiligten
Personen waren Laien, die jedoch in regionalen
Teilbereichen durchaus über ein rechtskundliches
Wissen verfügten. Das Rechtsverständnis war
grundsätzlich genossenschaftlich. Es wurde in der
Rechtsgemeinschaft gebildet und gründete nicht auf
dem Willen von Herrschaftsträgern, sondern auf
dem Willen der Gemeinschaft. Die Rechtsordnung
war geprägt durch eine unsystematische, oft kurzle-
bige partikulare Regelungsvielfalt.
Noch in der beginnenden Neuzeit war die gesam-
te Rechtspflege öffentlich. Das gesamte Verfahren
von der Verfolgung bis zur Bestrafung einer Misse-
tat war öffentlich. Nur so konnten die des Lesens
und Schreibens unkundigen Leute die rechtlichen
Inhalte erfahren. Recht war nicht eine abstrakte
Ordnung, sondern Lebensgrundlage aller. Deshalb
beteiligten sich auch alle am Rechtsleben.
REZEPTION DES GEMEINEN RECHTS
(RÖMISCHES RECHT)
Bis ins 13. Jahrhundert gab es kaum Rechtsgelehrte
und keine Möglichkeit, sich juristisch ausbilden zu
lassen. Dann wurde das römisch-kanonische Recht
Grundlage der an Universitäten gelehrten Rechts-
wissenschaft mit logisch begründeten Rechtsgrund-
sätzen und -lehren. In Europa entstand der Beruf
des Juristen. Für ihn war das vom Volk und im Ding
praktizierte Recht etwas Fremdartiges, da es nicht
einem gelehrten und professionellen Rechtswissen
entsprang. Die abstrakten Regelungen der Lebens-
verhältnisse im gelehrten Recht wurden als eine ge-
rechtere Urteilsgrundlage empfunden als das alt
überlieferte Gewohnheitsrecht. Das Bedürfnis nach
einem einheitlichen und wissenschaftlich durchbil-
deten Recht sowie die humanistische Geisteshal-
tung förderten das Vordringen des gemeinen, rezi-
pierten römischen Rechts. Mit ihm kam wieder die
antike Staatsauffassung zur Geltung. Das Gesetz
war Ausdruck des Herrscherwillens. Der Herrscher
selbst aber war frei von der Bindung an das Recht.
Aus dem landesfürstlichen Recht, Verfahren an sich
zu ziehen, bildete sich die so genannte Kabinettsjus-
tiz. Im Absolutismus fand dieser stetig wachsende
Einfluss der Herrscher auf Gesetz und Recht seinen
Höhepunkt. Auch in den aufkommenden Territorial-
staaten herrschte solches Streben nach Rechtsein-
heit und rationaler Verwaltung und Rechtspre-
chung. Nach und nach bildete sich so im Laufe der
Jahrhunderte staatliches Recht, wie wir es heute
kennen, und die Strafrechtspflege wurde eine Ange-
legenheit der staatlichen Gemeinschaft.
8) Zu dieser Übersichtsdarstellung vgl. nachfolgende im Literaturver-
zeichnis aufgeführte Publikationen: Angehrn; Bader; Baltl; Benz;
Carlen; Gmür; Grube; Kross; Linkenheil; Sadoghi; Schild; Wesel.
9) Sadoghi, S. 255 f.
27
AUSWIRKUNGEN AUF DIE DEUTSCHE
GERICHTSVERFASSUNG
Im Spätmittelalter breitete sich die Strafjustiz stark
aus. Straf- und Zivilrecht traten auseinander. Die
Zuständigkeit der Gerichte teilte sich. Zwischen Kö-
nig und Landesherren änderten sich die Machtver-
hältnisse. Königliche Gerichtshoheit ging auf Lan-
desherren über. Es kam zu ständischen Differenzie-
rungen im Gerichtswesen. Zusätzlich entwickelte
sich die kirchliche Gerichtsbarkeit. Als Ergebnis bot
die Gerichtsverfassung im Alten Deutschen Reich
ein verwirrendes Bild.
Vom 15. Jahrhundert an wurden die Einflüsse
der Rezeption römischen Rechts auch auf das deut-
sche Strafverfahrensrecht und die Gerichtsverfas-
sung deutlich. Wesentliches Charakteristikum des
sich mit dem öffentlichen Strafrecht entwickelnden
Inquisitionsprozesses war es nunmehr, die Wahr-
heit eines Sachverhalts zu ermitteln. Formale bishe-
rige Beweismittel wie Eideshelfer, Gottesurteile oder
Zweikampf wurden mit der Zeit ausgeschlossen. Im
Beweisrecht gewannen die Augenscheinsnahme,
die Befragung von Tatzeugen und schliesslich das
Geständnis der Beschuldigten an Bedeutung. Um
ein Geständnis zu erlangen, wurde die Folter ange-
wandt.
In Deutschland setzte sich im 15. und 16. Jahr-
hundert römisch-rechtlich stark beeinflusstes ober-
italienisches Recht allmählich durch. Mit der He-
rausbildung eines gelehrten Juristenstandes dran-
gen rezeptionsrechtliche Gedanken in Landes- und
Reichsgerichtsverfassungen ein. Dabei wandelte
sich insbesondere die Rolle der Laienrichter. Im rö-
mischen Recht geschulte Richter beeinflussten bald
massgebend die Entscheidung der noch amtieren-
den Schöffen, die nur im heimischen Recht bewan-
dert waren. An die Stelle der bisherigen Laien traten
nun vermehrt gelehrte Richter. Dazu trugen auch
neue Verfahrensordnungen bei. Schwierige Rechts-
fragen waren einem höheren Gericht oder Rechts-
gelehrten der Universitäten vorzulegen. Akten
mussten angelegt und versandt werden. Das war für
die meisten Schöffen damals nicht zu bewältigen.
Der Beizug von Juristen wurde unumgänglich.
Die Landesfürsten minderten den Einfluss der
Schöffen weiter, indem sie in den fürstlichen Kanz-
leien und den Gerichten abhängige Beamte anstell-
ten. Der Einfluss der Landesherren auf Verwaltung
und Rechtsprechung wuchs stetig. Im Laufe von
zwei Jahrhunderten wurden die Laien völlig aus der
Rechtspflege verdrängt. Die Zeit des Absolutismus
kannte nur noch beamtete Richter, die Recht nicht
mehr durch, sondern für das Volk sprachen. Die Ge-
richte gerieten in die Abhängigkeit des Regenten
und wurden zum Attribut der Polizei.
Ungeachtet dieser Neuerungen lebte die alte
Form der Rechtsprechung unter der Linde an vielen
Orten bis ins 19. Jahrhundert fort. Und wenn sich
auch in einigen wenigen Gebieten das Schöffenge-
richt lange erhalten konnte, entstand doch weithin
eine tiefe Kluft zwischen Volk und Recht, da das
neue Recht nicht auf dem Rechtsgefühl des Volkes
aufbaute und dieses gänzlich von der Rechtsanwen-
dung ausgeschlossen war.
DIE PEINLICHE GERICHTSORDNUNG (PGO)
KARLS VI. VON 1532
Die Peinliche Gerichtsordnung (PGO) Karls V. von
1532 war das erste deutsche Reichsstrafgesetzbuch.
Es regelte die Strafverfahren und enthielt Vorschrif-
ten zur Gerichtsorganisation sowie Regelungen ma-
teriellen Rechts. Danach waren die Gerichte mit ei-
nem Richter, mehreren Schöffen und einem Ge-
richtsschreiber zu besetzen. Der Richter leitete den
Prozess, führte notwendige Untersuchungen und
fällte zusammen mit den Schöffen das Urteil. In die-
ser endgültigen Abschaffung der Trennung von
Richtern und Urteilern (Schöffen) liegt der Beginn
der modernen Schöffengerichtsordnung. Gemäss
PGO war das Volk noch an der Rechtsprechung be-
teiligt. Damit rezipiertes römisches Recht auch bei
nicht gelehrten Richtern Anwendung fand, regelte
die PGO die Aktenversendung zu den Oberhöfen
oder Juristenfakultäten. Das Verfahren war vorwie-
gend schriftlich und mittelbar. Die unteren Gerichte
waren meist nur mit dem Sammeln der Beweise im
Vorverfahren befasst. Die Richter und Schöffen in
28
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
Titelblatt der Constitutio
Criminalis Carolina, Peinli-
che Gerichtsordnung Kai-
ser Karls V., Mainz 1533.
«Des allerdurchleuchtig-
sten grossmechtigsten/
unüberwindtlichsten Key-
ser Karls des fünfften:
mmd dess heyligen Römi-
schen Reichs peinlich ge-
richts Ordnung/ auff den
Reichsztägen zu Augs-
purgk und Regenspurgk/
in jaren dreissig/ und
zwey und dreissig gehal-
ten/ auffgericht und be-
schlossen.»
Das Titelblatt zeigt in der
linken Hälfte die ge-
bräuchlichsten Straf- und
Folterinstrumente bzw.
Hinrichtungsstätten. Wäh-
rend der Hintergrund in-
einander übergeht, sind
die unteren Bildhälften
voneinander durch eine
Linie getrennt. In der rech-
ten Hälfte ist eine Prozes-
sion zur Hinrichtung dar-
gestellt: der Verurteilte
wird von einem Geistli-
chen begleitet. Ihnen fol-
gen unzählige Leute. Im
Hintergrund steht ein Gal-
gen, an dem bereits ein
Verurteilter hängt und ein
Rad, auf das ebenfalls je-
mand geflochten wurde.
(iengrofnnccbtigjicDiv
ifecmmotlicfeicn to
¡er kaffe Deo funfttc« : wfno öe$
¡Kotigen Sv&mfc6m SSck&j pcm(«§ genefre oü*
mmgauff freu 3vad}(]cdgm ja ^«gfpurgf
vnb ^egenfpumt mjurcnfcaffiatui
iucifljtg aefyaCccn a uf
^cridic vnb l>cf|< offen.
Cum gwa'a ct pumtegio gjmperwli.
29
der althergebrachten Form waren kaum noch an
der Urteilsfindung beteiligt und wurden im Grunde
zu Gerichtszeugen degradiert. Der Gerichtsschrei-
ber wurde zur wichtigsten Gerichtsperson, weil er
die Akten her stellte.
Die PGO führte letztlich zum endgültigen Ver-
schwinden der Schöffen im Absolutismus. Die Ge-
richte wurden mit beamteten abhängigen Berufs-
richtern besetzt. Gerade in der Strafgerichtsbarkeit
fällten die absoluten Herrscher bis ins 19. Jahrhun-
dert hinein häufig selbst die Entscheidung. Bedeu-
tend in dieser Zeit war die Regelung eines Instan-
zenzugs von Unter-, Ober- und Hofgericht, worauf
die heutige Gliederung beruht. Die Gerichte der hö-
heren Instanz waren Kollegialgerichte, die mit
Rechtsgelehrten besetzt waren.
Die Veränderung der Gerichtsverfassung verän-
derte auch Zeit und Ort des Gerichts. Die alten Ge-
richtsversammlungen zu überlieferten Zeiten und
an öffentlichen Orten entsprachen nicht mehr den
Bedürfnissen. Gerichte mussten häufiger einberu-
fen werden können. An die Stelle der Versammlun-
gen unter freiem Himmel traten schliesslich Sitzun-
gen von Berufsrichtern in verschlossenen Amtsräu-
men. Gerichte wurden zu ständigen Behörden des
entstehenden Territorialstaats. Zuschauer gab es
keine mehr, denn das Verfahren wurde im Wesentli-
chen nur schriftlich geführt. Es gab nichts mehr zu
hören und zu sehen. Recht wurde in Folterkammern
gefunden oder im versiegelten Briefverkehr mit
Rechtsfakultäten gesucht. Diese urteilten, ohne Be-
schuldigte jemals gehört oder gesehen zu haben. Die
Verfahrensschritte des Inquisitionsprozesses blie-
ben der Öffentlichkeit verborgen. Der Juristenstand
entwickelte sich vielfach zu einer dem Volk entfrem-
deten Kaste.
DAS REFORMIERTE STRAFVERFAHREN
DES 19. JAHRHUNDERTS
Die Aufklärungsbewegung des 18. Jahrhunderts
veränderte Rechtsprechung und Gerichtsorganisa-
tion grundlegend. Unter ihrem Einfluss sollte die
Rechtspflege von den typischen Fesseln der Obrig-
keit zur Zeit der absoluten Monarchen befreit wer-
den. Über die postulierte Gewaltenteilung wurde die
Loslösung der Rechtspflege von der exekutiven öf-
fentlichen Gewalt angestrebt. Diese Ideen wurden
zuerst in Frankreich im Gefolge der Revolution um-
gesetzt. Von ihnen stark beeinflusst war der Libera-
lismus in Deutschland im 19. Jahrhundert. Er war
geprägt vom Kampf gegen den absoluten Staat, ins-
besondere gegen die Kabinettsjustiz und die Polizei.
Sein politisches Ideal war eine Gerichtsverfassung
nach englisch-französischem Vorbild. Sein Bestre-
ben war in erster Linie gegen das schriftliche und
geheime Inquisitionsverfahren gerichtet. Der vom
Staat abhängige Richter sollte einem Gericht wei-
chen, das unabhängig von der Verwaltung in einer
öffentlichen und mündlichen Verhandlung eine ge-
rechte Entscheidung suchte. Nach französischem
Vorbild wurde die Staatsanwaltschaft gefordert,
eine Anklagebehörde, die der Verteidigung der
Rechtsordnung dienen sowie zwischen Gericht und
Polizeibehörde vermitteln sollte. Um den staatlichen
Einfluss weiter zurückzudrängen, sollten wieder
Laien am Strafverfahren beteiligt werden, und zwar
in der Form von Geschworenengerichten, die über
die Schuld der Angeklagten zu befinden hatten. Die-
se Gedanken fanden in der Paulskirchenverfassung
vom 28. März 1849 Eingang in die deutsche Gesetz-
gebung. Die Paulskirchenverfassung diente den
deutschen Staaten als Richtung weisende Vorlage
eines reformierten Strafverfahrens. Unter dem Ein-
druck der Geschehnisse von 1848 wurde es in den
meisten Einzelstaaten eingeführt. Der Anklagepro-
zess sowie mündliches und öffentliches Verfahren
lebten wieder auf. Laien urteilten als Geschworene
bei schweren Verbrechen.
Neben den Grundrechten hatte die Gerichtsver-
fassung der Paulskirche grosse Bedeutung. In ihr
war das Prinzip der Gewaltentrennung verankert.
Die wichtigste Bestimmung war jedoch der Grund-
satz der Unabhängigkeit der Gerichte und der Aus-
schluss von Eingriffen nichtrichterlicher Staatsor-
gane in die Rechtspflege. Das Inquisitionsverfahren
wurde durch den Anklageprozess ersetzt. Vorunter-
suchungen und Anklageerhebung erfolgten durch
die Staatsanwaltschaft als selbständige Behörde.
30
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
Dadurch wurde die Unvoreingenommenheit des
Richters gegenüber dem Angeklagten eher gewähr-
leistet. Verhandlungen in Strafsachen wurden wie-
der öffentlich und mündlich. Nach § 179 der Pauls-
kirchenverfassung sollten für alle schweren Strafsa-
chen und politischen Vergehen Schwurgerichte ein-
geführt werden. In der Zivilgerichtsbarkeit blieb es
bei der Besetzung der Kollegialgerichte mit Berufs-
richtern.
Bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts kam es in
fast allen deutschen Staaten zu Reformen des Straf-
prozesses und dabei wieder zur Laienbeteiligung in
der Strafrechtspflege, entweder über Schwurgerich-
te nach französischem Vorbild oder über Schöffen-
gerichte, in denen Juristen und Laien gemeinsam
das Urteil fällten. Im Schwurgericht fällte eine Ge-
schworenenbank allein den Schuldspruch. Eine aus
Berufsrichtern bestehende Richterbank belehrte die
Geschworenen über ihre Pflichten und setzte die ge-
setzmässige Strafe fest. Die Mitglieder der Geschwo-
renenbank wurden jeweils durch Los aus dem Kreis
der vom Volk gewählten Geschworenen bestimmt.
Das altgermanische Ding wurde als Vorbild des
Schwurgerichts gepriesen. In ihm lebte das alte ger-
manische Prinzip der Trennung von Richter und Ur-
teilern wieder auf. Die Geschworenen entschieden
nämlich allein und unabhängig von den rechtskun-
digen Berufsrichtern. Das Schwurgericht stand für
die Volksfreiheit und den Schutz vor bürokratischer
Willkür der Richter, an deren Unabhängigkeit vom
Herrscher man nicht recht glaubte.
Bald schon setzte Kritik an der im Zuge der Straf-
prozessreformen wieder eingeführten Laienbeteili-
gung ein. Besonders umstritten war die richterliche
Kompetenz der mit rechtsunerfahrenen Leuten be-
setzten Geschworenenbank im Schwurgericht. So
wurden in Deutschland auf entsprechende Einwen-
dungen hin 1924 die Schwurgerichte in Schöffenge-
richte umgewandelt, in denen Geschworene und Be-
rufsrichter gemeinsam einen Schuldspruch zu fällen
und die Strafe festzusetzen haben.
DIE ENTWICKLUNG DER LAIEN-
GERICHTSBARKEIT IN ÖSTERREICH
IM 19. JAHRHUNDERT10
Angesichts des nahen Verhältnisses Liechtensteins
zu Österreich, das sich besonders in der Rezeption
einer ganzen Reihe von österreichischen Rechtsvor-
schriften und in der Überlassung österreichischer
Richter für den liechtensteinischen Justizdienst
zeigt, ist es angebracht, die dortige Entwicklung der
Reform des Strafverfahrens kurz näher zu betrach-
ten.
Vorläufer des österreichischen Geschworenenge-
richts war letztlich die Einführung der Laienge-
richtsbarkeit in Deutschland 1848. Grundlagen da-
für bildeten der Gedanke der Volkssouveränität und
das Misstrauen gegen vom Staat eingesetzte Berufs-
richter. Der geheime Inquisitionsprozess sollte ab-
geschafft werden. Die unter dem Druck der Revolu-
tion erlassene Verfassung vom 25. April 1848 gab
für das Strafverfahren wesentliche Modernisie-
rungstendenzen vor, so die Garantie der Unabsetz-
barkeit der Richter, den Staatsanwalt als Anklagebe-
hörde und die Prozessprinzipien der Mündlichkeit
und Öffentlichkeit des Verfahrens. Mit der Strafpro-
zessordnung von 1850 wurden diese Modernisie-
rungstendenzen umgesetzt und das Geschworenen-
gericht eingeführt.
Mit der Rückkehr zum absolutistischen System
wurden die Schwurgerichte schon bald wieder ab-
geschafft. Die Strafprozessordnung von 1853 insti-
tutionalisierte die Bezirksämter als Bezirksgerichte
und Gerichtsbarkeit erster Instanz. Damit war auf
dieser Stufe die Trennung von Justiz und Verwal-
tung wieder aufgehoben. Der Inquisitionsprozess
wurde in gemilderter Form wieder eingeführt. Mit
der Wiedereinführung des Inquisitionsprozesses
und der Abschaffung wesentlicher Prozessprinzi-
pien war folgerichtig auch kein Platz mehr für Laien
auf der Richterbank.
Im Zeitalter des Konstitutionalismus erfolgten
dann wieder eine Umkehr im Staatsdenken und
10) Vgl. dazu Sadoghi, S. 37-125.
31
eine Anknüpfung an die einst erreichten Ziele des
Frühkonstitutionalismus von 1848/49. Dazu gehör-
te auch die Laienbeteiligung im Strafverfahren. Das
Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 über die
richterliche Gewalt statuierte die richterliche Unab-
hängigkeit, die durchgehende Trennung der Justiz
von der Verwaltung sowie die Öffentlichkeit und
Mündlichkeit des Verfahrens. Es kam zu einer Rück-
besinnung auf den Wert des Geschworenengerichts.
Die volle Umsetzung und Verankerung der Laienbe-
teiligung geschah aber erst durch die Strafprozess-
ordnung von 1873. Ihre Bestimmungen zur Ge-
schworenengerichtsbarkeit stammten fast inhalts-
gleich aus der Strafprozessordnung von 1850. Das
bis 1974 geltende Strafgesetz von 1852 fusste weit-
gehend auf dem 1803 erlassenen Strafgesetzbuch.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde durch die
Strafprozessnovelle von 1920 die Mitwirkung der
Bevölkerung an der Gerichtsbarkeit in Form von
Geschworenen- und Schöffengerichten neu gere-
gelt. Die Geschworenengerichtsbarkeit wurde auf
Schwerstkriminalität und politische Delikte (Hoch-
verrat) beschränkt. Für Strafverfahren mittlerer
und schwerer Kriminalität wurden Schöffengerich-
te als neues Laienelement geschaffen. Das Gericht
bestand aus zwei beeideten Laienrichtern und zwei
Berufsrichtern. Einer der Berufsrichter führte den
Vorsitz.
Im Austrofaschismus 1934 wurde das Geschwo-
renengericht faktisch abgeschafft, und in der NS-
Justiz mit ihrer staatlich gesteuerten Rechtspre-
chung wurden die Laien aus der Strafrechtspflege
verdrängt. Traurige Höhepunkte waren der Volks-
gerichtshof (1939) und Sondertribunale. 1950 wur-
de schliesslich die Geschworenengerichtsbarkeit
wieder eingeführt.
DIE ENTWICKLUNG IN LIECHTENSTEIN11
FRÜH- UND HOCHMITTELALTER. VON
DER RÄTISCH-RÖMISCHEN ZUR FRÄNKISCH-
DEUTSCHEN RECHTSTRADITION12
Über die Gerichtsorganisation in unserer Region vor
der Ausgestaltung von Landesherrschaften im Spät-
mittelalter ist nur wenig bekannt. Bei den rätischen
Volksstämmen, die 15 v. Chr. von den Römern unter-
worfen wurden, lag die Gerichtsgewalt beim Volk,
bei der versammelten Stammesgemeinde. Auch das
in Churrätien bis ins 8. Jahrhundert geltende rö-
misch geformte Gewohnheitsrecht und die rätisch-
romanische Verwaltungsordnung lassen eine Mit-
wirkung des Volkes deutlich erkennen.
Seit dem 8. Jahrhundert setzte sich in Rätien die
fränkische Oberhoheit immer mehr durch. Die Ein-
führung der fränkischen Grafschaftsverfassung
durch Karl den Grossen im Jahre 806 bedeutete
eine Zäsur für das Gerichtswesen. Von da an ist die
Gerichtsorganisation in unserer Region über ein
Jahrtausend lang wesentlich bestimmt durch den
Gang der Verhältnisse im Alten Deutschen Reich.
Die oben skizzierte Entwicklung im mitteleuropäi-
schen Rechtskreis bildet somit den Rahmen für die
folgende Betrachtung der lokalen Zustände.
Bereits im Jahre 807 sitzt Hunfrid, Graf von Rä-
tien, als königlicher Amtsträger auf der Dingstätte
zu Rankweil zu Gericht. Das freie Landgericht war
Teil der königlichen Gerichtsbarkeit und bildete ei-
nen übergeordneten Gerichtsort für die Gaugraf-
schaft Churrätien, die das grosse Gebiet zwischen
Septimer, Walensee, Arlberg und Bodensee umfass-
te. Dingpflichtig waren alle Freien der Grafschaft.
Sie mussten zu den angekündigten Gerichtstagen
der Grafen erscheinen. Am «gebotenen Ding» je-
doch hatten nur die Schöffen und die angesehenen
Männer der Grafschaft teilzunehmen.
Der Gau Churrätien war in acht Untergrafschaf-
ten (Ministerien, Zentgrafschaften) geteilt. Unser
Gebiet gehörte zu den Ministerien «in planis» (Unter
der Landquart) und «vallis Drusiana» (Walgau). Je-
des der Ministerien war einem fränkischen Unter-
32
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
beamten (Zentgraf, Minister, Schultheiss) unterstellt
und bildete wieder einen eigenen Gerichtsbezirk.
Der Zentgraf versammelte die Gemeinde seines Ge-
richtsbezirks, um Gericht zu halten. Als Richter wa-
ren ihm Schöffen oder Urteilsprecher beigegeben.
Dingpflichtig waren die Freien des Bezirks. Unfreie
konnten nicht Schöffen sein.
Die Abgrenzung der Gerichtsbarkeit der Zentgra-
fen gegenüber der richterlichen Gewalt des Gaugra-
fen und Einzelheiten der Gerichtsorganisation bis
ins Hochmittelalter sind ungeklärt.11 12 13 Möglicherwei-
se hatte ein Teil der Gerichtsbezirke des Spätmittel-
alters in unserer Region ihren Ursprung in der frän-
kischen Gerichtsreform mit der Scheidung in Gra-
fen- und Zentenargericht.
Seit der Zugehörigkeit zum fränkischen Reich
konnte der König als oberster Richter Rechtsfälle an
sich ziehen. Die Gerichtsgewalt ging vom König aus.
Im eigentlichen Prozess muss wohl unterschieden
werden zwischen der wahrscheinlich eine Vorin-
stanz darstellenden freundlichen Einigung durch
ein Schiedsgericht und der Entscheidung durch das
zuständige örtliche Gericht. Die Rechtsprechung
selbst erfolgte nach Vorbringen der Beteiligten und
Beweiserhebung, anfänglich durch die Versamm-
lung der Dingpflichtigen eines Gebiets oder Stam-
mes, später durch auf Lebenszeit bestellte rechts-
kundige Männer (Schöffen). Nach fränkisch-deut-
scher Rechtstradition führte ein urteilender Richter
den Gerichtsvorsitz, die Urteilsfindung erfolgte
durch die Gerichtseingesessenen.
DIE RECHTSQUELLEN14
Da Recht nach mittelalterlichen Vorstellungen nicht
an das Territorium sondern an die Menschen ge-
bunden war, lebte man nach Gewohnheitsrecht, das
im Frühmittelalter vornehmlich romanisch, später
zunehmend alemannisch geprägt war. Alemanni-
sches Recht wurde auf Initiative der fränkischen Kö-
nige wiederholt aufgezeichnet.
Das Feldkircher Stadtrecht war im 14. Jahrhun-
dert auf die gemischte Bevölkerung romanischer
und schwäbisch-alemannischer Herkunft ausge-
richtet und enthielt Elemente aus beiden Rechtstra-
ditionen.15 Seit dem 13. Jahrhundert setzte sich wie
in Vorarlberg zudem das kanonische Recht durch
und überlagerte in vielen Bereichen das weltliche
Recht. Gleichzeitig ist wohl auch unter kirchlichem
Einfluss eine Zunahme der Schiedsgerichtsbarkeit
feststellbar. Auf dem Land herrschte im 14. Jahr-
hundert eine Rechtszersplitterung. Klösterliche und
weltliche Grundherren begannen, ihre Weistümer
aufzuzeichnen, die in ihrem Herrschaftsbereich gel-
tend waren.
Seit dem 16. Jahrhundert begann das in der zen-
tralen kaiserlichen Bürokratie (Reichskammerge-
richt) und bei den landesherrlichen Hofgerichten
zur Anwendung gelangende Römische Recht die Ge-
wohnheits- und Landrechte zu verdrängen. Im Be-
mühen, die Gewohnheitsrechte zu sichern, wurden
damals beglaubigte Aufzeichnungen des Lands-
brauchs, der Rechtsquellen der ländlichen Gerichte,
erstellt. Der Begriff Land ist dabei auf den engeren
Bereich der Gerichtsgemeinden innerhalb des lan-
desherrlichen Gebiets zu beziehen. Ihr Zusammen-
leben wurde durch ihr Landrecht, durch ihren
Landsbrauch, geregelt.16 Letztlich aber musste im
weiteren Verlauf das wenig kodifizierte Gewohn-
heitsrecht allmählich dem ausformulierten Römi-
schen Recht des gelehrten Juristenstandes weichen.
Bis zur Aufhebung des Landsbrauchs 1808 galten in
erster Linie gewohnheitsrechtliche Normen. Über-
11) Zu diesem Abschnitt vgl. Quellen und Literatur, S. 110-113.
12) Die Darstellung fusst im Wesentlichen auf allgemeiner Literatur
zur deutschen Rechtsgeschichte. Auch Peter Kaiser (1847), dem die
liechtensteinische historische Literatur zu den Verhältnissen jener
Zeit mehr oder weniger folgt, hatte wohl keine anderen Grundlagen.
Zu den lokalen Verhältnissen fehlen historische Quellen. Die regiona-
le Entwicklung ist insbesondere durch die umfangreichen Studien
Benedikt Bilgeris zur Vorarlberger Geschichte und jüngere Über-
sichtsdarstellungen Karl Heinz Burmeisters und Alois Niederstätters
aufgezeigt worden. (Vgl. Kaiser; Bilgeri; Burmeister, Rechtsgeschich-
te Vorarlbergs.)
13) Vgl. dazu auch Frömmelt, S. 2-8.
14) Burmeister, Rechtsgeschichte Vorarlbergs; Niederstätter.
15) Burmeister, Rechtsgeschichte Vorarlbergs, S. 42-45.
16) Niederstätter, S. 53.
33
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Doppelseite aus dem
Landsbrauch der Graf-
schaft Vaduz und der
Herrschaft Schellenberg
aus dem Jahre 1667, Ab-
schrift Johann Georg Wolf
von Vaduz.
Die Handschrift liegt im
Landesarchiv. Sie enthält
unter dem Titel «Forma
und Verbahnung des Male-
fiz-Gerichts unb gefahr auf
nachfolgende Form und
Weiss» eine Beschreibung
der Prozessordnung des
Malefizgerichts.
34
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
greifende reichs- und landesherrliche Normen
spielten eine geringere Rolle. Das Römische Recht
war durch örtliches Gewohnheitsrecht stark überla-
gert.
DIE BILDUNG DER GERICHTSGEMEINDEN
DER OBEREN UND UNTEREN LANDSCHAFT
IM SPÄTMITTELALTER17
Neben und zu Lasten der Königsgerichtsbarkeit bil-
deten sich im Spätmittelalter zunehmend territoria-
le Gerichtsbarkeiten. Aus den Gau- und Zentgraf-
schaften entstanden reichsunmittelbare Herrschaf-
ten, die jene Hoheitsrechte behielten, die einst den
Grafen als königlichen Amtsträgern zugestanden
worden waren. Dazu gehörte wesentlich auch die
Gerichtsbarkeit. Die Gerichtsrechte, insbesondere
die Blutgerichtsbarkeit, wurden Grundlage der ent-
stehenden Landeshoheiten. Die Landesherren wur-
den de jure zu obersten Gerichtsherren. In diesen
Entwicklungsprozess gehört auch die allmähliche
Herausbildung der Grafschaft Vaduz und der Herr-
schaft Schellenberg im 14. und 15. Jahrhundert.
Im späten 14. Jahrhundert ist für Vaduz als gräf-
liches Herrschaftszentrum die Bildung eines klar
abgegrenzten Gebietes mit nur einem Gerichtsherrn
und einer eigenen Gerichtsorganisation erkennbar.
1342 entstand durch Teilung die selbständige Graf-
schaft Vaduz. Die Inhaber der Grafschaft hatten
auch die hohe Gerichtsbarkeit inne. Die niedere Ge-
richtsbarkeit hatte ihnen als Grund- und Vogtherren
schon früher zugestanden. 1396 wurde die Graf-
schaft Vaduz vom König als reichsunmittelbares Le-
hen nach Ordnung des Römischen Reiches bestätigt.
Am Eschnerberg erfolgte eine solche Territoriali-
sierung aufgrund der herrschaftlichen Zersplitte-
rung erst später in den 1430er Jahren.18 Seit 1402
übten die Grafen von Vaduz die Hochgerichtsbarkeit
über den ganzen Eschnerberg aus. 1430 bestätigte
der König der Brandisischen Herrschaft die Aus-
übung der Blutgerichtsbarkeit in Vaduz und Schel-
lenberg und erweiterte den Privilegienbestand, in-
dem eine Berufung an das königliche Landgericht
Unterrätien in Rankweil und an das königliche Hof-
gericht in Rottweil ausgeschlossen wurde. Alle Un-
tertanen, die auf brandisischem Gebiet wohnten,
durften nur noch vor den eigenen Gerichten abgeur-
teilt werden. Ab 1434 war die Herrschaft Schellen-
berg im Alleinbesitz der Brandiser, die sie der Graf-
schaft Vaduz gleich stellten und mit einem eigenen
Hochgericht versahen.
Damit war die territoriale Voraussetzung für die
Entstehung der Landgemeinden Vaduz und Schel-
lenberg geschaffen. Eine Beteiligung der lokalen Be-
völkerung an der Ausübung von Herrschaft, an der
Handhabung von Gericht und Selbstverwaltung
durch die Untertanen, war aber noch nicht zu er-
kennen. Die Leitung von Gericht und Verwaltung lag
anfänglich in den Händen herrschaftlicher dienst-
adeliger Amtmänner. Eine gewisse Beteiligung des
Volkes an der Rechtsfindung und Rechtsprechung
war jedoch schon seit alter Zeit gegeben. Das Recht
wurzelte nämlich in der Gemeinschaft des Volkes
und wurde auch dort gesucht. Die Urteilssprecher
des Gerichts wurden zwar zunächst wie die Am-
männer von der Herrschaft berufen. Sie stammten
jedoch aus dem Kreis der Gerichtsgenossen und wa-
ren im Gerichtssprengel sesshafte Untertanen.
Die ersten bekannten Ammänner in Vaduz und
am Eschnerberg waren rein gräfliche Herrschafts-
beamte, betraut vor allem mit Aufgaben der Verwal-
tung grundherrlicher Rechte. Von 1354 bis 1366 ist
erstmals ein Ammann überliefert, der auch die Ge-
richtsbarkeit ausübte, die Hauptfunktion der späte-
ren Ammänner. 1390 wird urkundlich ein nichtade-
liger Ammann bäuerlicher Herkunft erwähnt. Damit
17) Die Organisation und Beteiligung der Untertanen am Gerichts-,
Steuer- und Verwaltungswesen wird in der liechtensteinischen
Geschichtsschreibung unter dem Begriff «Landammannverfassung»
gefasst und behandelt. Sie ist erstmals von Peter Kaiser umfassend
dargestellt worden. Auf seine Darstellung bezieht sich im Wesentli-
chen die nachfolgende historische Literatur, die keine grösseren
Korrekturen oder Änderungen enthält. Fabian Frömmelt hat erst-
mals in seiner Lizentiatsarbeit (2000) vorhandenes Urkundenmateri-
al eingehend untersucht und dabei nähere Erkenntnisse zu den
Gerichtsgemeinden Vaduz und Schellenberg gewonnen (vgl. dazu:
Kaiser; Schädler, Rechtsgewohnheiten; Ritter, Rupert; Ospelt, Graf-
schaft Vaduz; Ospelt; 1342; Frömmelt).
18) Frömmelt, S. 29-37.
35
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Undatiertes Blatt (17. Jh.)
mit Eidesformeln für Rich-
ter, Urteilsprecher und
Schreiber. Auf der abgebil-
deten Seite: «Dess Richters
Ayd über das Blut Zurich-
ten» und «Urtlsprecher
Ayd».
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
ist ein erster Schritt auf dem Weg zur Gerichtsge-
meinde erkennbar: Personen, die aus dem Kreis der
im Amtsprengel sesshaften Untertanen stammen,
sind von der Herrschaft mit der Ausübung hoheitli-
cher Aufgaben betraut. Bei der Bestellung der Am-
männer können die Untertanen zunächst noch nicht
mitbestimmen. In Vorarlberg setzte sich das Am-
mannwahlrecht seit dem 14. Jahrhundert durch.
Wir dürfen annehmen, dass im 15. Jahrhundert
auch in unserem Gebiet die Ammänner vom Volk
gewählt wurden. Zeitlich lässt sich dies nicht fixie-
ren. Ein sicherer Beleg für ein solches Wahlrecht
und die Volkswahl findet sich erst im Sulzisch-ho-
henemsischen Urbar 1617/19.
Die bäuerlichen Versammlungen innerhalb der
Grundherrschaft und im genossenschaftlichen Zu-
sammenschluss waren den alten Volksversammlun-
gen nachgebildet. Genossenschaftliche Zusammen-
schlüsse waren in der ganzen Bauernschaft wesent-
lich. Das zeigte sich in der rechtlichen und wirt-
schaftlichen Bedeutung der Nachbarschaft, der
Dorf- und Kirchgemeinde. Im 14. Jahrhundert be-
gegnen uns in den Urkunden auf der Ebene der Dör-
fer als Gemeinden fassbare Personenverbände, vor
allem im Zusammenhang mit genossenschaftlicher
Alpnutzung. Als Wirtschaftsgemeinden hatten sie
gewisse Selbstverwaltungs- und Ordnungskompe-
tenzen, jedoch keine eigene richterliche Kompetenz.
Für ein Genossengericht und Dorfammänner neben
den adeligen Amtmännern gibt es in dieser Zeit kei-
ne Belege.19 Die Dorfgemeinden oder Nachbarschaf-
ten stellten aber Urteilssprecher und hatten so An-
teil an der Ausübung des unter der Leitung eines
herrschaftlichen Amtmanns stehenden Gerichts.
Die späteren Gerichtsgemeinden der oberen und
unteren Landschaft Vaduz und Schellenberg bauten
sich über den Dorfgemeinden auf. Sie bildeten Be-
zirke mit eigenem Gericht und eigenem als «Lands-
brauch» aufgezeichnetem Recht. Aus ihnen wurden
politische Gemeinschaften. Die Landschaften wur-
den Träger staatlicher Aufgaben mit eigenem Haus-
halt und Steuerrecht. Das Volk hatte hohen Anteil an
der Gerichtsbarkeit. Es hatte Wahl- und Vorschlags-
rechte bei der Bestellung der Gerichtsorgane, die
auch aus seinen Reihen stammten.20 Es sind jedoch
für die ganze Zeit wesentliche Einschränkungen zu
beachten: Die Gerichtskompetenz leitete sich von
oben her ab. Die Gerichtshoheit der Herrschaft war
ein Reichslehen, das bei jedem Herrschaftswechsel
neu bestätigt werden musste. Das Gerichtswesen
beruhte nicht auf der Souveränität des Volkes. Es
wurde von den Landsgemeinden immer im Auftrag
der Herrschaft wahrgenommen.21
EIGENES GERICHT DER WALSER
Die im 13. Jahrhundert eingewanderten Walser hat-
ten Kolonistenfreiheit und ein eigenes Gericht. Bei
ihnen wurde die gesamte Zivil- und Strafgerichts-
barkeit mit Ausnahme der Blutgerichtsbarkeit
durch einen eigenen, frei gewählten Ammann aus-
geübt. 1513 verloren die Walser ihre Vorrechte und
wurden den übrigen Untertanen gleichgestellt.22
DIE GERICHTSORGANISATION
VOM 16. BIS 18. JAHRHUNDERT23
Es ist denkbar, dass die Rechtsprechung in Vaduz im
späten 14. Jahrhundert noch nicht von einem insti-
tutionell verfestigten Schöffengericht, sondern von
einem von Fall zu Fall zusammengesetzten Richter-
kollegium ausgeübt wurde. Während des 15. Jahr-
hunderts erfolgte dann aber jedenfalls die Entwick-
lung zu einem genormten Richterkollegium, das
sich in den Quellen fassen lässt.
Über die Organisationsformen der ländlichen Ge-
richte in unserer Region und die vom 16. bis 18.
Jahrhundert geltende Gerichtsverfassung in unse-
19) Kaiser, S. 202; Frömmelt, S. 40.
20) Bilgeri, II, S. 301 ff.
21) Niederstätter, S. 62.
22) Bilgeri, II, S. 71.
23) Vgl. dazu: Bilgeri; Burmeister, Verfassung; Niederstätter; (Vorarl-
berg) und Kaiser, S. 357-363; Schädler, Rechtsgewohnheiten; Ospelt;
Schamberger-Rogl, Malefizgericht; Schamberger-Rogl, Landsbrauch,
S. 46 ff.; Hollaus, Maien- und Herbstgericht; Frömmelt.
37
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Bei der Linde unterhalb
der Kapelle St. Florin in
Vaduz fanden die öffentli-
chen Verhandlungen des
ordentlichen oder Zeitge-
richts (Maien- und Herbst-
gericht) der oberen Land-
schaft statt.
Der Gerichtsort und
Landsgemeindeplatz ist
auf diesem Ausschnitt aus
der Bleistiftskizze der
Westansicht des Amtsvier-
tels von Vaduz 1865 noch
gut erkennbar.
«Parthie aus Vaduz - das
sogenannte heilig Krüz -
wie es war anno 1865».
rem Land wissen wir recht gut Bescheid. 1492 er-
weiterte der Kaiser die Gerichtsrechte der Grafen
von Brandis und gestattete ihnen, die Blutgerichts-
barkeit nicht durch eigene Richter wahrnehmen zu
lassen, sondern diese an die Untertanen zu übertra-
gen.24 Es ist nicht klar, ob es sich dabei um eine neue
Ermächtigung oder um die Bestätigung einer schon
bestehenden Praxis handelt. Jedenfalls ist in diesem
Zusammenhang auch der Beginn der Ammannwahl
durch das Volk zu suchen. Der Zeitpunkt für die Ein-
führung des Ammannwahlrechts und die Ersetzung
der herrschaftlichen Amtmänner (Ammänner)
durch aus den Untertanen stammende und von die-
sen mitbestimmte Landammänner lässt sich aber
nicht mit Sicherheit bestimmen.
Das Wahlrecht der Untertanen beim Ammann
und für die Urteilssprecher des Gerichts war be-
schränkt, da die Bestellung dieser Ämter durch Zu-
sammenwirken von Untertanen und Landesherren
erfolgte. Der Ammann blieb immer der Herrschaft
verantwortlich, in deren Namen er auch seine Kom-
petenzen wahrnahm. Er stand zwischen Herrschaft
und Untertanen.
Die Grafschaft Vaduz und die Herrschaft Schel-
lenberg bildeten je eine Gerichts- oder Landsge-
meinde. Jeder stand ein Landammann vor, der alle
zwei Jahre von den waffenfähigen Männern aus ei-
nem Dreiervorschlag der Herrschaft gewählt wur-
de. Der Landammann wurde gleich nach der Wahl
in Eid genommen und zur Ausübung der Blutge-
richtsbarkeit bevollmächtigt. Er führte die Gerichts-
verhandlung. In den Quellen wird er meist als Rich-
ter bezeichnet. Neben ihm übten zwölf Beisitzer die
Funktion von Geschworenen aus. In den Quellen
werden sie Urteilssprecher oder Richter genannt.
Sie wurden ursprünglich wie die Ammänner von
der Herrschaft in ihr Amt berufen, welches sie auf
Lebenszeit innehatten. Dieser Bestellungsmodus
wurde wohl gleichzeitig mit der Einführung des Am-
mannwahlrechts geändert, und die Urteilssprecher
wurden durch die Herrschaft aus einem Dreiervor-
schlag der Landsgemeinde ernannt. Später erfolgte
24) Dopsch, S. 157; Ritter, Rupert.
38
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
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Protokoll über eine Ge-
richtsverhandlung auf
Rofenberg in Eschen:
«HerpstZeittgericht gehal-
ten auff Rauffenberg Mitt-
woch dem 20 Decemb. Ao.
1603».
39
der Dreiervorschlag für eine fällige Ersatzbestellung
nicht mehr durch die Landsgemeinde, sondern
durch die verbliebenen Richter.25
Das Gerichtsverfahren war je nach dem Gegen-
stand der Klage verschieden. Handelte es sich um
Schuldforderungen, waren die Bestimmungen des
«Schuld- und Gantgerichts» massgebend. Bei klei-
neren Übertretungen der Polizeiordnung sass das
Gericht als «Frevel- oder Bussgericht». Beim Male-
fizgericht oder Hochgericht wurden Strafsachen
(mit Lebensstrafen verbundene Fälle wie Totschlag,
Notzucht und Diebstahl) abgehandelt, ursprünglich
vom Grafen als oberstem Gerichtsherrn selbst oder
seinem bevollmächtigten Ammann, später vom
Landammann. Das Malefizgericht hatte ein beson-
ders feierliches Verfahren.
Jährlich zwei Mal wurde das ordentliche oder
Zeitgericht (Maien- und Herbstgericht) einberufen.
Die Gerichtsverhandlungen fanden an einem öffent-
lichen Platz (in der oberen Landschaft in Vaduz bei
der Linde unterhalb der Kapelle St. Florin; in der
unteren Landschaft bei der Kapelle HL Kreuz auf
Rofenberg) statt. Der Platz war durch hölzerne
Schranken ringförmig abgegrenzt. Innerhalb des
Ringes nahmen der Landammann und die zwölf
Beisitzer Platz. Ausserhalb der Schranken standen
als «Umstand» die Gerichtsleute, die grossjährigen
Untertanen des Gerichtsbezirks, die zur Teilnahme
am Gerichtstag verpflichtet waren. Sie waren an der
Urteilsfindung nicht beteiligt.
Recht und Urteil wurden vom Landammann er-
fragt. Er richtete entsprechende Fragen an die bei-
sitzenden Urteilsprecher. Diese berieten sich und
fassten das Urteil. Nach der Verlesung des Urteils
brach der Landammann im Falle eines Todesurteils
den Stab.
Weitere Gerichtsorgane waren der Gerichts- oder
Landschreiber und der Gerichtsweibel. Der Land-
schreiber war als Beamter wie der Vogt (Landvogt)
an die Herrschaft gebunden. Er führte das Protokoll
bei den Gerichtsverhandlungen, verfasste die schrift-
lichen Urteile und fertigte öffentliche Urkunden aus,
die vom Landammann besiegelt wurden.
Der ebenfalls von der Herrschaft bestellte und
vereidigte Gerichtsweibel oder Gerichtsdiener rief
das Gericht aus. Er zeigte Frevel und Verbrechen an
und nahm Pfändungen vor. Er sass während der Ge-
richtsverhandlung gemeinsam mit dem Landschrei-
ber neben dem Landammann.
Das Gerichtsverfahren zeichnete sich durch seine
Öffentlichkeit und Mündlichkeit aus. Das Beweisver-
fahren war öffentlich. Die Beweise mussten öffent-
lich, in Gegenwart der Parteien, des Gerichts und
des Gerichtsumstandes, geführt werden. Dadurch
dass das Volk, der «Gerichtsumstand», als Zeuge zu-
gegen war, wurde der Anspruch an die Richter auf
eine gerechte Urteilsfindung erhöht. Die Aussagen
der Ankläger, des Angeklagten und deren Zeugen
wurden so aufgezeichnet, wie sie mündlich geäus-
sert wurden. Zu allen Gerichten waren Fürsprecher
zugelassen.
Im Rahmen der Gerichtsgemeinden war die Be-
völkerung an der Handhabung des Rechtswesens
beteiligt. In den Maien- und Herbstgerichten konn-
ten die Untertanen ihre Rechtsangelegenheiten
weitgehend autonom regeln. Das öffentliche und
mündliche Verfahren garantierte die Rechtssicher-
heit. Die alten Gerichte waren sowohl hinsichtlich
der Örtlichkeit (offen, unter freiem Himmel) als auch
durch Zulassung von Zuschauern ausserhalb der
Gerichtsschranken (Umstand) öffentlich. Durch das
alte Gerichtswesen war das Zusammenleben des
Volkes wesentlich geregelt. Landammann und Bei-
sitzer waren Männer aus dem Volk und Garanten
für dessen weitgehende Autonomie im Rahmen von
Recht und Gerichtsbarkeit. Das Volk lernte seine
Richter kennen. Misstrauen und Argwohn wurde
vorgebeugt. Rechtsgefühl und Rechtswissen des Vol-
kes wurden gestärkt.
Appellationsinstanz für die Urteile des Landam-
manngerichts war das Hofgericht in Vaduz. Es setz-
te sich zusammen aus den herrschaftlichen Beam-
ten (Vogt und Landschreiber), sowie den Ammän-
nern und Gerichtsleuten. Den Vorsitz führte der
Landvogt. Letztentscheidende Appellationsinstan-
zen waren die Reichsgerichte.
Die seit dem 14. Jahrhundert von den Landesher-
ren eingesetzten Stellvertreter werden anfänglich
als Ammänner oder Amtmänner, ab dem 16. Jahr-
hundert als Landvögte bezeichnet. Sie gehörten viel-
40
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
fach dem niederen Adel der Region an. Wurde im
Mittelalter kein Anspruch auf höhere Bildung erho-
ben, so war seit dem 16. Jahrhundert in der Regel
ein Rechtsstudium Voraussetzung für die Einstel-
lung. Die Landvögte und die Land- oder Gerichts-
schreiber stammten nicht aus der lokalen Bevölke-
rung. Sie hatten jedenfalls alle eine gewisse juristi-
sche Ausbildung.25 26 Die Gerichtsweibel waren Ein-
heimische.
ANDERE GERICHTSFORMEN27
Neben dem (Land)ammanngericht gab es andere
Gerichtsformen, die es konkurrenzierten:
Landesherren
Die Landesherren hatten als Inhaber der Gerichts-
hoheit das Recht zur Ausübung der niederen und
hohen Gerichtsbarkeit. Sie konnten auch allein
Recht sprechen, Fälle an sich ziehen, Urteil spre-
chen und den Weiterzug an andere Gerichte ver-
sperren.
Verhörtage der Herrschaftsbeamten
Die Herrschaftsbeamten hielten zusammen mit dem
Landammann auf Schloss Vaduz Verhörtage ab, auf
denen sowohl gerichtliche wie auch die Verwaltung
betreffende Entscheidungen getroffen wurden. Die
Leitung der Verhörtage hatte der Landvogt inne. Ge-
gen Verhörtagsurteile konnte an das Zeitgericht
(Landammanngericht) und weiter an das herr-
schaftliche Hofgericht appelliert werden.28
Schiedsgericht
Eine wichtige Rolle spielte das Schiedsgericht. Be-
sonders in Nutzungskonflikten zogen die Unterta-
nen das Schiedsgericht dem Ammanngericht vor.
Die Schiedsgerichte wurden im Spätmittelalter noch
vorwiegend mit adeligen, in Herrschaftsdiensten
stehenden Leuten besetzt. Später waren die Schieds-
richter meist Untertanen aus den zwei Landschaf-
ten. Die Schiedsgerichtsbarkeit war eine weitere
Möglichkeit der Selbstregelung und der Beteiligung
der lokalen Bevölkerung an der Rechtsprechung.
Kaiserliches Landgericht in Rankweil
Das kaiserliche Landgericht in Rankweil behielt
trotz der Brandisischen Freiheiten29 bis 1806 einige
Bedeutung für Liechtenstein, besonders in Schuld-
sachen.
Geistliches Gericht
In Angelegenheiten, die kirchliche Rechte betrafen,
sah sich das Offizialat in Chur als geistliches Gericht
als zuständig.
Gemeindegeschworene als Vermittler
Eine gewisse Vermittler- und Friedensrichterfunkti-
on hatten die Gemeindegeschworenen.
Freiwillige Gerichtsbarkeit
Schliesslich gab es die so genannte freiwillige Ge-
richtsbarkeit, wie die Beglaubigung und Besiege-
lung von Urkunden durch den Landammann, als
Teil der durch die lokale Bevölkerung ausgeübten
Selbstverwaltung.
25) Frömmelt, S. 59; Der Bestellungsvorgang, insbesondere der
Wechsel des Dreiervorschlags von der Landsgemeinde zum Richter-
kollegium, ist quellenmässig nicht belegt. Vgl. dazu auch oben, Anm.
17 und 18, S. 35.
26) Vgl. Artikel «Landvogt» im Historischen Lexikon für das Fürsten-
tum Liechtenstein (HLFL), verfasst von Karl Heinz Burmeister.
27) Vgl. dazu: Frömmelt, S. 81-101.
28) Schädler, Huldigungsakte, S. 24.
29) Vgl. oben, S. 35.
Ausschnitt aus einem Ver-
hörtagsprotokollbuch
(Blatt 25r): Protokolle über
vom herrschaftlichen
Oberamt am 24. Oktober
und 4. November 1650 in
der Kanzlei auf Schloss
Vaduz abgehaltene Ver-
hörtage.
41
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GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
BESCHRÄNKUNG DER VOLKSBETEILIGUNG
AM GERICHTSWESEN IM 17. UND 18. JAHR-
HUNDERT30
Ab dem 17. Jahrhundert zog das herrschaftliche
Oberamt die Gerichtsbarkeit zunehmend an sich.
Die Gerichte der beiden Landschaften verloren an
Bedeutung zugunsten der regelmässig abgehalte-
nen Verhörtage.
Die Volksrechte am Gerichtswesen bildeten einen
wichtigen Gegenstand der jahrelangen Auseinan-
dersetzungen der beiden Landschaften mit der Ho-
henemsischen Landesherrschaft Ende des 17. Jahr-
hunderts. In den durch eine kaiserliche Kommission
herbeigeführten Vergleichsübereinkommen von
1684, 1688 und 1696 wurden die Rechte der Land-
schaften zur Wahl des Landammanns und zur Be-
setzung der Gerichte nach altem Herkommen und
alter Gewohnheit bestätigt. Anlässlich der Huldi-
gungsakte beim Übergang der Landesherrschaft
von den Grafen von Hohenems an die Fürsten von
Liechtenstein (Schellenberg 1699, Vaduz 1712)
knüpften die Gerichtsgemeinden die Leistung des
Huldigungseides an die Erwartung, dass man sie bei
ihren alten Rechten und Gewohnheiten verbleiben
lasse. Bei der besonders feierlichen Huldigung der
Untertanen beider Landschaften 1718 verwies ihr
Sprecher auf die genannten Übereinkommen und
umschrieb den Bestand an Volksrechten im Einzel-
nen. Er versicherte die neue fürstliche Obrigkeit der
Treue und des Gehorsams der Untertanen, wenn sie
diese in ihrem alten Rechtsbestand schütze. Dazu
zählten wesentlich die geschilderte Gerichtsorgani-
sation und Beteiligung des Volkes an der Rechtspre-
chung.31
Mit der Erhebung der Grafschaft Vaduz und der
Herrschaft Schellenberg zum unmittelbaren Reichs-
fürstentum Liechtenstein 1719 verloren die Bran-
disischen Freiheiten ihre Wirkung. Die Fürsten wa-
ren nicht mehr Reichslehensnehmer, sondern Trä-
ger der vollen landesherrlichen Gewalt. Das hatte
tief greifende Folgen für die Verfassung des Landes.
In der folgenden Epoche wurden im Sinne des lan-
desfürstlichen Absolutismus schrittweise die alten
Institutionen beseitigt und die Rechte des Volkes
eingeschränkt. Schliesslich wurde mit der alten
Rechtstradition gebrochen und die Landammann-
verfassung gänzlich aufgehoben.
Die fürstliche Dienstinstruktion für die herr-
schaftlichen Beamten vom 10. April 171932 stellte
die ganze Landesverwaltung auf eine neue Grundla-
ge. Betroffen war wesentlich auch das Gerichtswe-
sen. Die «Aufsicht über die hohe, niedere und forst-
liche Jurisdiktion» wurde dem Landvogt übertra-
gen, der wöchentlich wenigstens einmal in der
Kanzlei einen Verhörtag halten, dazu den Verwalter
und Landschreiber berufen und die Klagen der Un-
tertanen aufnehmen und behandeln sollte. «Nach-
dem die beiden Graf- und Herrschaften von der Rö-
mischen Kaiserlichen Majestät in einen Korpus zu-
sammengeschlagen, dero alte Namen gänzlich abo-
liert und aufgehoben und herentgegen dieselbe mit
der Ehre und Würde eines des heiligen Römischen
Reichs Fürstentums geziert und begabt, demnach es
sich nicht schicken will, dass inskünftig die Gerichte
auf eine solch bäurische Manier besetzt und
schimpflich versehen werden», heisst es in der In-
struktion. Deshalb sollte jedes Kirchspiel (Pfarrei)
mit einer eigenen Obrigkeit versehen und das Fürs-
tentum in sechs Ämter33 geteilt werden. Jedes sollte
einen Amtmann, vier Richter und einen Gericht-
schreiber erhalten, «durch die alles Justiz-, Polizei-
und Gemeindewesen verrichtet solle werden».34 Die
Amtmänner sollten dem Fürsten vom Oberamt «aus
den ehrbarsten, vernünftigsten und womöglich
30) Vgl. dazu: Kaiser; Hollaus; Ospelt; Ospelt, Verfassungsgeschichte;
Ospelt, Landammannverfassung; Schädler, Rechtsgewohnheiten;
Schädler, Huldigungsakte; Schamberger-Rogl, Malefizgericht;
Schamberger-Rogl, Landsbrauch.
31) Schädler, Huldigungsakte.
32) LLA AM 4: Dienstinstruktion, Wien, 10. April 1719, Cap. I, § II.
33) Die sechs Ämter waren «Liechtenstein (= Vaduz) mit Schaan und
Planken», «Triesen samt Einwohnern am Triesenberg», «Balzers
und Kleinmeis», «Bendern samt denen zu Gamprin, Schellenberg
und Ruggell», Eschen und Mauren, «sämtliche mit ihren Markungen
und Zugehörden». Sie entsprachen den damaligen sechs Pfarreien
des Landes. (Ebenda, Cap. IV, § 2)
34) Ebenda, Cap. IV, § 1.
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GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
wohlhabendsten Untertanen» zur Ernennung vor-
geschlagen werden. Die vier Richter und der Ge-
richtschreiber hingegen sollten «durch die Majora
von der ganzen Gemeind erwählt» werden. Die
Wahl bedurfte der fürstlichen Bestätigung und galt
auf Lebenszeit. Die Wahl sollte nicht mehr nach der
«bisher in Übung gewesenen unanständigen Ma-
nier» abgehalten werden, sondern «jeder von der
Gemeind» wurde in Gegenwart des Oberamts «um
seine Stimme absonderlich vernommen».35
Die Bezeichnungen für die neuen Amtsleute könn-
ten darauf schliessen lassen, dass diese ausschliess-
lich Gerichtsfunktionen wahrnehmen sollten. Das
traf jedoch nur in geringem Mass zu. Der Amtmann
sollte auf die landesherrlichen Rechte achten und
Aufsicht führen; die zwei ältesten Richter sollten
«als Bürgermeister» der Gemeinde wirken, ihre Gü-
ter verwalten und Rechnung führen; die anderen
zwei Richter «die übrigen Gemeindesachen zu Holz
und Feld, Wunn, Weid, Trieb und Trab, Weg und Steg
in ihre Obsicht nehmen»; der Gerichtsschreiber
schliesslich sollte «alle vorfallenden Gemeindesa-
chen protokollieren und dem Oberamt berichten».36
Die Amtsleute erhielten aber auch die «Macht, in al-
len zwischen ihren Gemeindsleuten vorfallenden
bürgerlichen Streitigkeiten von Unsertwegen zu er-
kennen und zu sprechen, auch in geringeren Über-
tretungen ein und andere Strafen zu diktieren». «Da
dem Landesfürsten die Jurisdiktion einzig und al-
lein zusteht», waren die Strafgelder ans Oberamt
abzuliefern.37 Gegen alle Urteile dieser örtlichen Ge-
richte war Appellation an das Oberamt und von da
an den Landesfürsten gegeben.38
Gegenwehr der Untertanen
Die Untertanen wehrten sich gegen die neu erlasse-
ne Ordnung. In Eingaben an den Fürsten baten sie
wiederholt darum, ihre alten, vom Kaiser bestätig-
ten Rechte und Freiheiten behalten zu können. In ei-
ner Petition vom März 1728 ersuchten sie darum
an, der Fürst solle ihnen gestatten, (1) «dass der
Landammann mit seinem Stab auch künftig mit al-
len Richtern zu Gericht sitzen und auch Urteile spre-
chen könne, (2) dass der Landammann Beisitzer bei
oberamtlichen Verhören sein könne; (3) dass das
Gericht die Obligationen, Kaufbriefe etc. nach altem
Brauch und Herkommen ratifiziert».39
Mit einem rechtlichen Gutachten vom 10. April
1728 zum Landsbrauch nahm OberamtsVerwalter
Anton Bauer Stellung zu dieser Petition.40 Auf-
schlussreich ist seine Beschreibung und Beurteilung
des Malefizgerichts. Die Untertanen hätten, so
schreibt Bauer, «nichts anderes als diesen bäuri-
schen modum gehabt, dass wann eine Person crimi-
naliter eingezogen und von landesfürstlicher Obrig-
keit über selbe das Urteil gesprochen worden, Land-
ammann und Gericht zusammengetreten, Gericht
und Recht über den Delinquenten mit besondern
recht bäurischen, auch lächerlichen Formalitäten
gehalten, und eben dasjenige Urteil über selbigen
gefällt, so vorher schon von gnädigster Landesherr-
schaft wegen gesprochen worden, und darauf hin
den Stab gebrochen in der Meinung, als wenn sie
concurrentem jurisdictionem hätten». Hier wird
deutlich, dass der öffentlichen Verhandlung des
35) Ebenda, Cap. IV, § IV
36) Ebenda, Cap. IV, § III.
37) Ebenda, Cap. IV, § V.
38) Ebenda, Cap. IV, § VI.
39) LLA RA 2/7/2, Eingabe der Untertanen des Fürstentums Liech-
tenstein vom März 1728.
40) LLA RA 2/7/3, Rechtliches Gutachten betr. Landsbrauch von
Oberamtsverwalter Anton Bauer, Vaduz, 10. April 1728.
Ausschnitt aus der Dienst-
instruktion vom 10. April
1719, S. 47. Das Kapitel IV
enthält u. a. die Bestim-
mungen über die Aufhe-
bung der alten Landam-
mannverfassung und die
Neuordnung des Gerichts-
wesens.
45
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Ausschnitt aus der Resolu-
tion des Vorsitzenden der
Fürstlichen Kommission,
Johann Philipp von Wid-
mann, betreffend Wieder-
einführung von alten
Volksrechten, Vaduz,
25. September 1733.
Auf den beiden Seiten
wiedergegeben sind die
Punkte 1 bis 6 der Resolu-
tion.
46
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
Landammanngerichts Einvernahme und Urteil am
amtlichen Verhörtag vorangingen. Bauer sah im
Malefizgericht einen «bäurischen abusus», der ge-
gen die Hoheit des Landesfürsten gerichtet sei. Er
empfahl deshalb, (1) den Untertanen lediglich zwei
Vertreter des Gerichts bei der Examinierung eines
Delinquenten zu bewilligen. Dass die Landammän-
ner bei Verhörtagen in der Kanzlei sitzen sollten,
schicke sich nicht. (2) Es solle bei einer früheren Re-
solution bleiben, mit der ihnen bewilligt worden sei,
jährlich ein Frevelgericht zu halten. (3) Die Ferti-
gung und Siegelung von Kauf-, Tausch- und Heirats-
briefen sei Sache der fürstlichen Kanzlei.
Die Untertanen des Landes bemühten sich beim
Landesfürsten weiter um die Bestätigung ihrer alten
Privilegien und Gewohnheiten. Dieser sandte zur
Untersuchung der vorgebrachten Bitten und Be-
schwerden eine eigene Kommission ins Land. Sie
fasste schliesslich am 25. September 1733 eine Re-
solution41 und machte den beiden Landschaften
«ohne Zustehung des geringsten Rechts, ... allein
aus einer Gnad, und ohne Consequenz» eine Reihe
von Zugeständnissen, die in der historischen Litera-
tur als reduzierte Landammannverfassung bezeich-
net werden. Danach erhielt der Landammann den
Beisitz bei Blutgerichten. Bei einer Exekution in Ma-
lefizsachen durfte er nach Verlesung des Urteils
durch den Landschreiber den Stab führen und bre-
chen, und mit den übrigen Gerichtsleuten die Male-
fizperson zur Richtstatt hinausbegleiten, jedoch
«ohne dass weiters über die Malefizperson ein Ge-
richt gehalten werden solle».42 Auch bei den Verhör-
tagen wurde dem jeweiligen Landammann der Bei-
sitz, jedoch ohne Stimmrecht zugestanden.43 Die
Landammänner erhielten auch wieder die Befugnis,
alle Schuldbriefe und Kontrakte, nachdem sie vor-
her in der fürstlichen Kanzlei vorgezeigt und zu Pro-
tokoll genommen waren, zu besiegeln und darüber
ein besonderes Protokoll zu führen.44 Schliesslich
wurde ihnen ein besonderes Frevelgericht bewilligt,
das anstatt des Zeitgerichts zwei Mal im Frühling
und Herbst gehalten werden sollte. Die Untere
Landschaft war damals mit keinem Landammann
mehr besetzt und bei einigen Gemeinden beider
Landschaften waren Gerichtsleute (Richter) abgän-
gig. Deshalb sollte die Nachbesetzung «dem alten
Gebrauch nach» erfolgen und die Landammann-
wahl vorgenommen werden. «Zur Ersparung der
Kosten» sollte diese jedoch künftig alle vier und
nicht wie bisher alle zwei Jahre wiederholt wer-
den.45
Stark reduzierte Beteiligung des Volkes
an der Rechtsprechung
Ab 1733 war die Beteiligung des Volkes an der
Rechtsprechung stark reduziert. Den Landschaften
blieben nur mehr das minder wichtige Frevelgericht
und der Beisitz des Landammanns mit beratender
Stimme bei den wöchentlichen Verhörtagen des
Oberamts. Beim Oberamt lagen nun alle übrigen
richterlichen Funktionen. Der Einfluss der Landes-
herrschaft auf die Rechtsprechung nahm stark zu.
An die Stelle der Laien im Ammanngericht traten
vermehrt die juristisch gebildeten Herrschaftsbe-
amten. Die Rechtsprechung unter der Linde lebte
zwar der äusseren alten Form nach bis ins 19. Jahr-
hundert fort, war inhaltlich jedoch weitgehend aus-
gehöhlt. Das Volk war von der Rechtsanwendung
fast gänzlich ausgeschlossen.
Die Entwicklung zu Lasten der Laienbeteiligung
im Gerichtswesen, vom öffentlichen Verfahren unter
freiem Himmel zur geheimen Kabinettsjustiz, hatte
schon früher eingesetzt. Neue Verfahrensordnun-
gen, insbesondere die auch in Liechtenstein subsidi-
är geltende Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V.
(Carolina) von 1532, verlangten verstärkt die Anlage
von Gerichtsakten, deren Versendung an Oberin-
stanzen und das Einholen von Gutachten in schwie-
rigeren Rechtsfragen. Dazu brauchte es beamtete
Juristen. Ab dem 17. Jahrhundert wurden die Ver-
hörtage der Herrschaftsbeamten im geschlossenen
41) LLA RA 2/7/5/1, Resolution des Vorsitzenden der Fürstlichen
Kommission, Johann Philipp von Widmann, betreffend Wiederein-
führung von alten Volksrechten, Vaduz, 25. September 1733.
42) Ebenda, Punkt 1.
43) Ebenda, Punkt 2.
44) Ebenda, Punkt 3.
45) Ebenda, Punkt 4.
47
Titelblatt des Rechtsgut-
achtens vom 28. Mai 1784
zum Fall der Barbara
Erni, genannt die Goldene
Boos.
48
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
Amtszimmer nach und nach zur dominierenden Ge-
richtsform, schliesslich zur ständigen Behörde des
entstehenden Staates. An den Verhörtagen war das
Volk zwar durch die von ihm gewählten Landam-
männer vertreten. Das Gerichtsverfahren jedoch
war vorwiegend schriftlich und blieb der Öffentlich-
keit verborgen. Es galten die Regeln des Inquisi-
tionsprozesses.46 Ein eindrucksvolles Bild vom
Rechtsleben jener Zeit liefern die Hexenprozesse.47
Aufschlussreiche Einblicke in die Gerichtspraxis
des späten 18. Jahrhunderts gewährt der Strafpro-
zess gegen die 1785 hingerichtete Vagantin Barbara
Erni, genannt die goldene Boos. Sie sass neun Mo-
nate auf Schloss Vaduz in Haft und wurde dort ver-
hört. Die Vaduzer Behörden führten ein nach jener
Zeit ordnungsgemässes Gerichtsverfahren durch.
Sie stellten Nachforschungen an, luden Zeugen vor,
hielten die Ergebnisse in Akten fest und schickten
sie an einen Rechtsgelehrten (Aktenversendung).
Dieser erstellte ein Gutachten, ein so genanntes
Consilium, einen Ratschlag. Das Gutachten war für
das örtliche Gericht zwar rechtlich nicht bindend,
kam faktisch jedoch einem Urteil gleich. Der Prozess
war ein reines Aktenverfahren. Die Angeklagte hat-
te keine Möglichkeit zu Verteidigung oder Berufung.
Landammann und Gerichtsleute hatten keinen be-
stimmenden Einfluss auf das Verfahren. Sie wahr-
ten lediglich bei der Hinrichtung die alten Formali-
täten des Malefizgerichts.48
Auch bei den Ende des 18. Jahrhunderts zwi-
schen den Gemeinden und zwischen den einzelnen
Gemeindegenossen geführten jahrelangen Prozes-
sen um Aufteilung des Gemeinbesitzes war das
Landammanngericht ausgeschlossen. Es war seit
1733 als Frevelgericht auf einen kleineren Teil der
niederen Gerichtsbarkeit beschränkt. Eine ent-
scheidende Rolle bei diesen Zivilprozessen spielten
hingegen Schiedsgerichte. Die Schiedsrichter wur-
den meist aus einer unbeteiligten anderen Gemein-
de oder Landschaft, manchmal aus dem benachbar-
ten Ausland geholt. Letztlich konnten aber auch sol-
che Prozesse durch eingeholte Rechtsgutachten ent-
schieden werden. So wurde 1799 der Streit zwi-
schen den Gemeinden Schaan und Vaduz um die
Aufteilung des Gemeindegebiets auf Grund der ein-
gesandten Akten durch ein Rechtsgutachten der ju-
ristischen Fakultät der Universität Freiburg i. Br.
endgültig entschieden.49
DAS GERICHTSWESEN IM SPÄT-
ABSOLUTISMUS. 1808 BIS 1848/186250
Nachdem durch die Rheinischen Bundesakte vom
12. Juli 1806 die Reichsverfassung aufgehoben wor-
den war, verloren Gesetze und Institutionen, soweit
sie mit dem alten Reich zusammenhingen, ihre Gül-
tigkeit. Die Fürsten von Liechtenstein konnten dem-
nach auch das Gerichtswesen rechtlich unabhängig
von jeder fremden Macht und selbständig neu re-
geln. Die fürstlichen Dienstinstruktionen vom 7. Ok-
tober 180851 lieferten dem Landvogt die rechtliche
Grundlage und entsprechende Anweisungen zur
völligen Umgestaltung der politischen Verhältnisse
in Liechtenstein. Der gesamte alte Rechtsbestand
und das im Landsbrauch umschriebene Gewohn-
heitsrecht wurden auf den 1. Januar 1809 aufgeho-
ben. Der Landvogt hatte den Auftrag, «als Grundge-
setz der Landesverfassung» u. a. eine neue Jurisdik-
46) Vgl. dazu oben, S. 30 f.
47) Zu den Hexenprozessen vgl: Seger, Otto: Der letzte Akt im
Drama der Hexenprozesse in der Grafschaft Vaduz und Herrschaft
Schellenberg. In: JBL 57 (1957), S. 135-227; derselbe: Aus der Zeit
der Hexenverfolgungen. In: JBL 59 (1959), S. 329-349; derselbe:
Hexenprozesse in Liechtenstein und Putzer, Peter: Das Salzburger
Rechtsgutachten von 1682, Wien 1987. (Schriften des Instituts für
Historische Kriminologie; Bd. 2); Tschaikner, Manfred: Der Teufel
und die Hexen müssen aus dem Land ... : frühneuzeitliche Hexenver-
folgungen in Liechtenstein. In: JBL 96 (1998), S. 1-197; derselbe: Die
Vaduzer Hexenprozesse am Ende des 16. Jahrhunderts. In: JBL 101
(2002), S. 147-152.
48) Vgl. dazu: Das Rechtsgutachten Hensler zum Fall der Barbara
Erni, genannt die Goldene Boos. In: Veröffentlichungen des Liechten-
steinischen Landesarchivs, 2, Vaduz, 2003, S. 65-100.
49) Vgl. dazu: Ospelt, Alois: 200 Jahre Gemeindegrenzen Schaan-
Vaduz-Planken. In: JBL 98 (1999), S. 1-40.
50) Zu diesem Abschnitt vgl. Malin; Quaderer; Geiger; Ospelt,
S. 233-236; Vogt.
51) Dienstinstruktionen für Landvogt Josef Schuppler vom 7. Okto-
ber 1808 (Textedition. In: Liechtenstein Politische Schriften, Heft 8,
Verfassungstexte 1808-1918, S. 247-258).
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50
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
tionsnorm, ein «bürgerliches, peinliches und Poli-
zeigesetz» samt entsprechender Verfahrensord-
nung zu erarbeiten.52 Damit wurde auch subsidiäres
Reichsrecht, so die Peinliche Gerichtsordnung Karls
V. (PGO) und die Polizeiordnung von 1732, ersetzt.
Gemäss den Dienstinstruktionen wurde der bis-
herige Beizug der Landammänner zu den Verhörta-
gen als Beisitzer aufgegeben. Die gerichtlichen Ver-
handlungen waren vom Oberamt, bestehend aus
Landvogt, Rentmeister und beeidetem Gerichtsak-
tuar, durchzuführen. Nur in Polizei- und Strafsa-
chen war «der betreffende Ortsrichter des Untersu-
chenden» beizuziehen.53 Die Landammanngerichts-
barkeit wurde ganz abgeschafft. Allein das Oberamt
hatte die Gerichtsbarkeit mit Unterstützung der von
ihm aus einem Dreiervorschlag der Gemeinden be-
stellten Ortsgerichte (Gemeindevorstehungen) aus-
zuführen.54
Der Landvogt hatte für all jene Bereiche gesetzli-
che Regelungen zu schaffen, in denen in Österreich
seit Josef II. Gesetze und Kodifikationen bereits aus-
gearbeitet waren oder noch in Bearbeitung standen.
Die in Österreich Ende des 18. Jahrhunderts durch-
geführten Reformen im Rechts- und Gerichtswesen
wurden in Liechtenstein also erst etliche Jahre spä-
ter angegangen.
Nachdem erste Gesetze noch selbständig ausge-
arbeitet worden waren, ging Fürst Johann I. bereits
1812 zur systematischen Rezeption der österrei-
chischen Gesetzgebung über. In diesem Jahr wur-
den das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch von
1811, die allgemeine bürgerliche Gerichtsordnung
von 1781 und das Strafgesetz von 1803 übernom-
men. Damit war auch ein neues rechtliches Funda-
ment für die Gerichtsorganisation gegeben.
Mit dem Wegfall der Reichsinstanzen gab es in
Liechtenstein nur noch zwei Gerichtsinstanzen, das
Oberamt als Regierungsbehörde und Gerichtsbe-
hörde erster Instanz, sowie die fürstliche Hofkanzlei
in Wien als Appellationsgericht. Nach der Aufnah-
me Liechtensteins in den Deutschen Bund 1815
musste das Fürstentum auch eine dritte Gerichtsin-
stanz schaffen. Sie konnte 1818 beim Oberlandesge-
richt Innsbruck eingerichtet werden. Die Landstän-
dische Verfassung von 1818 nahm lediglich Bezug
auf die eingeführte österreichische Gerichtsord-
nung und dritte Gerichtsinstanz, enthielt aber keine
neuen Bestimmungen zur Rechtspflege. Nach § 16
hatte der Ständelandtag «im bürgerlichen, politi-
schen und peinlichen Fache» keine Mitsprache, so-
gar Vorschläge zu machen, war ihm verboten.55
Mit der Staatsreform von 1808 waren jegliche
Mitwirkung von Laien und Beteiligung des Volkes an
der staatlichen Gerichtsbarkeit beseitigt worden.
Gemäss Strafgesetz 1803 war im Verfahren bei
schweren Polizeiübertretungen die Gerichtsbarkeit
durch die politischen Obrigkeiten auszuüben
(§276). Die zuständige Behörde hatte aus einem
Richter und einem Aktuar zu bestehen (§ 290). In
Liechtenstein hatte das Oberamt diese Funktion.
Eine winzige, unscheinbare Spur des Einbezugs
der Bevölkerung in das Gerichtsverfahren legte
§137 der Allgemeinen Gerichtsordnung von 1781.
Danach war zu einem vollständigen Beweise, wenn
er durch Zeugen geführt werden wollte, die einstim-
mige Aussage zweier unbedenklicher Zeugen erfor-
derlich. Durch eine solche rechtliche Überweisung
(ordentlicher Beweis) war im Strafverfahren ge-
52) Ebenda, Punkt 1.
53) Ebenda, Punkt 11.
54) Ebenda, Punkt 12.
55) Zur landständischen Verfassung vgl. Quaderer, S. 12-30.
Schlussseite des Rechts-
gutachtens der juristischen
Fakultät der Universität
Freiburg i. Br. vom
26. November 1799. Die
Schlussfolgerungen des
Gutachtens bildeten den
endgültigen Entscheid im
Streit zwischen den Ge-
meinden Schaan und Va-
duz über die Aufteilung
des Gemeindegebiets.
51
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Ausschnitt aus dem Ent-
wurf des Verfassungsrats,
1. Oktober 1848. Gemäss
Anträgen Landesverweser
Menzingers und der Abge-
ordneten Wanger und
Goop waren ein Untersu-
chungsgericht über Ver-
brechen und schwere
Übertretungen, bestehend
aus dem Landschreiber als
öffentlichem Ankläger und
Untersuchungsrichter,
Schwurrichtern und einem
Schriftführer (§ 110) sowie
ein Landgericht als Ober-
gericht, bestehend aus
dem Landesverweser als
Vorsitzendem, vier Land-
räten und dem Land-
schreiber (§ 111) vorgese-
hen.
52
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
mäss § 351 und § 368 des Strafgesetzes der Beweis
der Schuld hergestellt. Gerichtszeugen sollten Jahr-
zehnte später im Untersuchungsverfahren eine
ganz andere Rolle spielen und Interessen des Volkes
wahren.56
Von den Gerichtsbeamten in fürstlichen Diensten
wurden besondere Qualifikationsmerkmale ver-
langt. Sie mussten die staatliche (österreichische)
Prüfung «in linea judiciali et criminali» ablegen. Die
damaligen Landvögte in Vaduz hatten alle ein juris-
tisches Studium absolviert und die in Österreich ver-
langten staatlichen Prüfungen abgelegt.57
DIE AUSWIRKUNGEN DER 1848-ER
REVOLUTION FÜR DAS GERICHTSWESEN58
Die Revolution von 1848 brachte in Liechtenstein
nur eine kurzfristige Veränderung der Verfassungs-
verhältnisse mit sich. Für die Rechtspflege ergaben
sich aus den fürstlichen Erlassen 1848 und den kon-
stitutionellen Übergangsbestimmungen 1849 keine
konkreten Veränderungen. Wichtigster Teil der poli-
tischen Forderungen jener Zeit war der Wunsch
nach einer neuen freieren Verfassung, insbesondere
nach einem öffentlichen und mündlichen Gerichts-
verfahren. Die idealistisch konzipierte Frankfurter
Reichsverfassung vom 28. März 1849 (Paulskir-
chenverfassung) mit ihren liberal-konservativen
Zielen enthielt vieles, was modernen Vorstellungen
einer vorbildlichen Verfassung entspricht. Sie war
auch Richtschnur für die Verfassungsbestrebungen
in Liechtenstein. Die Verfassungsentwürfe von Peter
Kaiser, Franz Josef Oehri und der Entwurf des vom
Volk gewählten Verfassungsrates sahen alle auch
eine Neuregelung des Gerichtswesens vor.59
Peter Kaisers Verfassungsentwürfe
Ein erster summarischer Entwurf Peter Kaisers
wies die richterliche Gewalt den vom Landtag ge-
wählten und vom Fürsten bestätigten Richtern un-
ter Vorsitz des Landesverwesers zu.60 Dem Land-
vogt war zusammen mit zwei bis drei vom Landrat
bezeichneten Männern die Funktion eines Verwal-
tungsgerichts zugewiesen.61 Der Landvogt war als
Präsident dieses Gerichts und als Untersuchungs-
richter in allen Straffällen vorgesehen.62 Im Ober-
land und Unterland sollte je ein Friedensgericht be-
stehen.63 Die erste Gerichtsinstanz bildeten unter
dem Vorsitz des Landvogts sechs vom Landtag ge-
wählte und vom Fürsten bestätigte Richter.64 Durch
Zuzug von sieben weiteren Richtern sollte die zwei-
te Instanz gebildet werden. Die Appellation hätte an
den Fürsten ergehen, und das Appellationsgericht
in Innsbruck wegfallen sollen.
Ein weiterer ausführlicher Entwurf Kaisers sah
als erste Instanz zwei Bezirksgerichte unter dem
Vorsitz von Landammännern vor. Die zweite Instanz
lag beim Landgericht in Vaduz, die dritte beim Fürs-
ten. Der Landesverweser sollte Untersuchungsrich-
ter sein, die Urteile waren aber von Geschworenen
zu fällen. Peter Kaiser wollte mit gesonderten Ge-
richts- und Verwaltungsbezirken der Landschaften
Vaduz und Schellenberg die alte Landammannver-
fassung wieder aufleben lassen. Das Gerichtswesen
sollte demokratisiert und dezentralisiert werden.65
Franz Josef Oehris Verfassungsentwurf
Franz Josef Oehris Verfassungsentwurf wies die
Rechtspflege ausschliesslich den im Lande verfas-
sungsmässig bestellten ordentlichen Gerichten zu
(§ 31), statuierte das öffentliche und mündliche Ge-
richtsverfahren (§ 32) und in Strafsachen den An-
klageprozess und die Aburteilung durch Schwurge-
richte (§ 33). Sein Gerichtsorganisationsgesetz sah
56) Vgl. unten, S. 56-65.
57) Vogt, S. 72.
58) Vgl. dazu oben, S. 11 f.; Geiger; Ospelt, S. 236-239.
59) Texte der Verfassungsentwürfe unter Historische Rechtsquellen
(Liechtensteinisches Landesarchiv: www.llv.li) und LLA RC 100/4.
60) Verfassungsentwurf von Peter Kaiser, März 1848, § 7 c.
61) Ebenda, § 10.
62) Ebenda, § 11.
63) Ebenda, § 15.
64) Ebenda, § 16.
65) Vgl. Geiger, S. 100.
53
in jeder Gemeinde ein Friedensgericht, bestehend
aus Gemeindevorsteher und vom Landtag bestimm-
ten Mitgliedern, sowie in jeder Landschaft ein Ober-
friedensgericht vor. Als zweites Gericht sollte in je-
der Landschaft ein Landgericht, bestehend aus ei-
nem Landrichter und zwei «der Verfassung und der
Gesetze des Landes wohl kundigen Rechtsmän-
nern» errichtet werden. Dritte Instanz sollte ein
Obergericht in Vaduz bilden, bestehend aus den Be-
amten der Landesregierung und unter dem Vorsitz
des Landesverwesers, «die alle der Landesgesetze
vollkommen kundig sein» mussten. In Strafsachen
sollten die Schwurgerichte über Schuld oder Nicht-
schuld entscheiden.66
Entwurf des Verfassungsrats
Die Anschauungen Peter Kaisers und Franz Josef
Oehris fanden Eingang in die Arbeit des vom Volk
gewählten Verfassungsrates. Der vom Verfassungs-
ausschuss dem Fürsten vorgelegte Entwurf sah das
mündliche und öffentliche Gerichtsverfahren67, den
Anklageprozess und Schwurgerichte in Strafsa-
chen68 vor. Wie in Gesetzgebung und Verwaltung
sollte «die höchste Gewalt auch in der Rechtspflege
beim Fürsten und Volke vereint» sein.69 Es waren
drei Gerichtsinstanzen vorgesehen, als erste in der
Grafschaft Vaduz und der Herrschaft Schellenberg
je ein Bezirksgericht, als zweite das Landgericht in
Vaduz und als dritte das Revisionsgericht und der
oberste Gerichtshof in Wien.70 Alle Mitglieder des
Bezirksgerichts waren durch den Landtag zu wäh-
len.71 Ihm stand auch die Wahl von vier Mitgliedern
des Landgerichts zu, das unter dem Vorsitz des Lan-
desverwesers stand.72 Auch Schiedsgerichte waren
zulässig.73 Der Grundrechtskatalog gewährleistete
dem einzelnen u. a. Gleichheit vor dem Gesetz,
Recht auf den zuständigen Richter und die Teilnah-
me an der Gerichtsbarkeit durch Schwurgerichte.
Die konstitutionellen Übergangsbestimmungen
von 1849 setzten eine Reihe von Artikeln des von
der Volksvertretung eingereichten Verfassungsent-
wurfes provisorisch in Kraft, insbesondere jene, die
besagten, dass die höchste Gewalt in Gesetzgebung,
Verwaltung und Rechtsprechung «beim Fürsten
und Volke vereint» liege. Die Funktionen der Recht-
sprechung wurden aber noch weggelassen. Nur die
Friedensgerichte in beiden Landschaften wurden
grundsätzlich gutgeheissen.74 Der vom Landtag
nach den Wünschen des Fürsten revidierte und am
14. Januar 1850 beschlossene Verfassungsentwurf
wollte das Gerichtswesen in allen drei Instanzen im
Lande halten. Er sah die Volkswahl der Richter, die
Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens und
die Zulässigkeit von Schiedsgerichten vor. Der Ent-
wurf gelangte wie alle früheren Verfassungsentwür-
fe nicht zur Verwirklichung.
Nach dem Scheitern der Revolution in den deut-
schen Einzelstaaten setzte sich auch in Liechten-
stein die Reaktion durch. Mit fürstlichem Erlass vom
20. Juli 1852 wurden die provisorischen Verfas-
sungsbestimmungen ausser Kraft gesetzt. Die alte
Rechtsordnung und die Landständische Verfassung
von 1818 erlangten wieder volle Wirksamkeit.75 Da-
mit verschwanden auch alle Ansätze zu einer Laien-
beteiligung in der Gerichtsbarkeit.
Liechtenstein war 1843 von der «automati-
schen» zur so genannten «autonomen» Rezeption
der österreichischen Gesetze übergegangen. In en-
ger Anlehnung an das österreichische Vorbild wur-
den eigenständige liechtensteinische Gesetze erlas-
sen. In diesem Anpassungsprozess geriet das Land
allmählich in immer grösseren Rückstand zur Ent-
wicklung in Österreich. So wurde die Novelle zum
österreichischen Strafgesetz (1852) in Liechtenstein
erst auf den 1. Januar 1860 in Kraft gesetzt.76 Zu-
nächst resultierten aus diesem Rückstand in der
Rechtsanpassung keine wesentlichen Unterschiede
in Rechtsprechung und Gerichtsorganisation. Denn
auch in Österreich war man zum absolutistischen
System zurückgekehrt. Man hatte den Inquisitions-
prozess in gemilderter Form wieder eingeführt und
wesentliche Prozessprinzipien der Reform von
1848/49 abgeschafft. Für eine Laienbeteiligung in
der Rechtsprechung gab es in beiden Ländern kaum
Raum.77
Die österreichische Strafprozessordnung von
1853 sah eine geringfügige Laienbeteiligung ledig-
lich noch im Untersuchungsverfahren vor.78 Die Er-
hebung des Tatbestandes hatte der Untersuchungs-
richter oder das zuständige Gericht in Gegenwart
54
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
zweier Gerichtszeugen vorzunehmen, die das darü-
ber erstellte Protokoll zu unterzeichnen hatten.66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79
Gerichtszeugen mussten volljährig, unbescholten
und bei der Sache unbeteiligt sein.80 Ihr Dienst galt
als Bürgerpflicht und war unentgeltlich zu leisten.
Er traf zunächst Bewohner jener Gemeinde, wo die
Untersuchung vorgenommen wurde. Die Gemein-
devorsteher hatten dem Untersuchungsgericht «ei-
ne hinlängliche Anzahl von, zu dem Amte eines Ge-
richtszeugen tauglichen Männern bekannt zu ge-
ben», die dann vom Untersuchungsrichter per
Handschlag verpflichtet wurden.81 Auch ein gericht-
licher Augenschein oder die Entsiegelung und Sich-
tung von bei einer Hausdurchsuchung beschlag-
nahmten Dokumenten waren im Beisein von zwei
Gerichtszeugen vorzunehmen.82 In Liechtenstein
wurden mit der Rezeption des österreichischen
Strafgesetzes von 1852 offensichtlich auch die Be-
stimmungen der Strafprozessordnung über den Bei-
zug von Gerichtszeugen angewendet. Es ist dies aus
den Regierungsunterlagen83 und einem Zeitungsbe-
richt zur Reform der liechtensteinischen Straf-
rechtspflege von 187984 zu ersehen.
VERFASSUNG VOM 26. SEPTEMBER 1862 -
ÜBERGANG VOM ABSOLUTISMUS ZUM
KONSTITUTIONALISMUS85
Mit der Verfassung vom 26. September 1862 war die
Revolution von 1848 bewältigt und der Übergang
vom Absolutismus zum Konstitutionalismus durch
freie Vereinbarung zwischen Fürst und Volk vollzo-
gen. Das Gerichtswesen wurde durch die gleichzei-
tig mit der Verfassung erlassene Amtsinstruktion
geordnet. Von den drei Instanzen lag nur die erste,
das Landgericht, im Land selber. Die Hofkanzlei in
Wien wirkte weiterhin als liechtensteinisches Ap-
pellationsgericht und das österreichische Oberlan-
desgericht in Innsbruck bildete gemäss den frühe-
ren Übereinkünften den obersten Gerichtshof für
das Fürstentum.
Zwar sprach die Verfassung den Grundsatz der
Unabhängigkeit der Gerichte von aller Einwirkung
der Regierung aus (§ 34). In Bezug auf den obersten
Gerichtshof traf dies uneingeschränkt zu. Bei der
Hofkanzlei galt das nur mehr bedingt, da die Hof-
kanzleibeamten als Diener des Fürsten von diesem
beliebig ernannt und entlassen werden konnten.
Eine eigentliche Verquickung von Verwaltung und
Rechtsprechung fand beim Landgericht statt, indem
ihm neben der Justizpflege umfangreiche Aufgaben
in der Verwaltung zugewiesen wurden. Dem Lan-
desverweser stand zudem ein Aufsichtsrecht über
die Rechtsprechung zu. Die Unabsetzbarkeit der
Richter und damit ihre persönliche wie sachliche
Unabhängigkeit waren nicht gewährleistet.
Neben den ordentlichen Gerichten waren in Zi-
vilsachen auch Schiedsgerichte zulässig (§ 37).
Schwurgerichte, wie sie 1848 gefordert und vorge-
sehen wurden, waren jedoch nicht mehr eingesetzt.
Die Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Gerichts-
66) Vgl. Ospelt, S. 237 f.
67) Verfassungsentwurf, 1. Oktober 1848, § 16.
68) Ebenda, § 17, § 106, § 110, § 112.
69) Ebenda, § 34.
70) Ebenda, § 106, § 112.
71) Ebenda, § 108.
72) Ebenda, § 111.
73) Ebenda, § 113.
74) Vgl. Geiger, S. 120.
75) Ebenda, S. 174.
76) Vogt, S. 94 f.
77) Vgl. oben, S. 31 f.
78) Kaiserliches Patent vom 29. Juli 1853, womit eine neue Strafpro-
zess-Ordnung erlassen wird (Reichsgesetzblatt für das Kaiserthum
Österreich, Jg. 1853).
79) Ebenda, § 67.
80) Ebenda, § 68.
81) Ebenda, § 68 und 69.
82) Ebenda, § 77 und 108.
83) LLA RC 107/161.
84) Einblattdruck «Zur Reform der liechtensteinischen Strafrechts-
pflege», «Beilage zum Liechtensteiner Volksblatt»; liegt im Regie-
rungsakt zur Strafprozessnovelle (LLA RE 1879, Nr. 229).
85) Vgl. dazu Geiger, S. 298-300; Ospelt, S. 239 f.
55
Verfahrens fehlte. Das Prinzip der Gewaltentren-
nung war in Bezug auf Verwaltung und Rechtspre-
chung nur unzureichend durchgeführt.
Mit Verordnung vom 30. Mai 187186 wurden die
bisher dem Landgericht zugewiesenen politischen
Amtsgeschäfte der Regierung übertragen und so
das Prinzip der Gewaltentrennung verwirklicht. An-
stelle der Hofkanzlei wurde das fürstliche Appellati-
onsgericht in Wien als zweite Gerichtsinstanz be-
stimmt.87 Es setzte sich aus drei vom Fürsten er-
nannten geprüften Richtern zusammen. Gegen Ent-
scheidungen der Regierung wurde zudem Berufung
an die neue geschaffene politische Rekursinstanz in
Wien ermöglicht. Sie bestand ebenfalls aus drei vom
Fürsten ernannten Mitgliedern mit absolvierten «ju-
ridisch-politischen Studien».88 Seit 1904 konnte der
Fürst auch mehr als drei Mitglieder für das Appella-
tionsgericht und die Rekursinstanz ernennen.89
Mit der Schaffung des Landgerichts und einer
Landrichterstelle 1862 war in Liechtenstein der
Übergang zum Berufsrichtertum endgültig vollzo-
gen. Zwar waren schon die Landvögte und Landes-
verweser, die bisher die Gerichtsbarkeit in erster In-
stanz ausgeübt hatten, juristisch ausgebildet. Ihnen
oblagen jedoch wesentlich auch Regierungs- und
Verwaltungsaufgaben. Der Landrichter war nun der
erste beamtete Richter. Das Amt bedingte absolvier-
te juristische Studien, sowie «die in Österreich mit
gutem Erfolge zurückgelegten praktischen Staats-
und Richteramtsprüfungen».90 Eine Laienbeteili-
gung an der Rechtsprechung war in der ganzen kon-
stitutionellen Neuordnung nicht vorgesehen.
1865 brachte das neue Schuldentriebsgesetz mit
der Einführung von beeidigten Schätzmännern ei-
nen bescheidenen Einbezug des Volkes in einem
Randbereich des Gerichtswesens. Eine Pfändung
hatte unter Zuzug eines Schätzmanns zu erfolgen,
der in jeder Gemeinde vom Gemeinderat aus seiner
Mitte gewählt und vom Landgericht vereidigt wur-
de.91
DIE REFORM DER LIECHTENSTEINISCHEN
STRAFRECHTSPFLEGE 188192
1874 trat in Österreich eine neue Strafprozessord-
nung in Kraft. Sie enthielt grundsätzliche Anpassun-
gen an die zeitgenössischen Rechtsanschauungen
und verankerte mit der Wiedereinführung des Ge-
schworeneninstituts die Laienbeteiligung an der Ge-
richtsbarkeit.93 Dies war wohl der Anlass für einen
entsprechenden Vorstoss der liechtensteinischen
Volksvertretung. «In Erwägung, dass im Fürsten-
tum Liechtenstein noch das geheime inquisitorische
Strafverfahren vom Jahre 1803 gilt, und dass in al-
len deutschen Staaten und in Österreich das öffentli-
che und mündliche Verfahren eingeführt ist», er-
suchte sie die Regierung einhellig, «dem nächsten
Landtag einen Gesetzesentwurf über das Einführen
des öffentlichen und mündlichen Strafverfahrens
vorzulegen».94
1879 hatte der Landesverweser einen ersten Ge-
setzesentwurf ausgearbeitet und schickte ihn an das
fürstliche Appellationsgericht zur Prüfung. Im Be-
gleitschreiben schilderte er die Ausgangslage für
das Gesetzesvorhaben und die Art seiner Erledi-
gung95 Es sollte die Wünsche der Landesvertretung
um Einführung der Öffentlichkeit, Zulassung eines
Verteidigers für den Angeklagten und Erweiterung
des Rekursrechtes erfüllen und «durch Adaptierung
den einschlägigen Bestimmungen der österrei-
chischen Strafprozessordnung von 1853 entspre-
chen, im übrigen aber das im Strafgesetz vom Jahre
1803 vorgezeichnete rechtliche Verfahren über Ver-
brechen und Übertretungen auch weiterhin in Kraft
bestehen lassen». Eine schwierige Arbeit. Das Straf-
verfahren sollte folgendermassen geregelt werden:
Bei Verbrechen und Vergehen wird die Untersu-
chung durch das Landgericht eingeleitet und durch-
geführt. Nach geschlossener Untersuchung gehen
die Akten an den Strafgerichtshof, «bestehend aus
drei dem österreichischen Richterstand angehöri-
gen Mitgliedern mit Ausschluss der bisherigen zwei
ungeprüften Beisitzer»96, der an einer in Vaduz ab-
zuhaltenden Sitzung den Anklagebeschluss zu fas-
sen hat. Bei der mündlichen und öffentlichen
Schlussverhandlung fungiert der Gerichtshof wie-
56
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
der in der gleichen Zusammensetzung. «Sollte der
Landtag auf der Beibehaltung der Beisitzer beste-
hen, könnte die Regierung nachträglich dieses Zu-
geständnis machen», kommentierte der Landesver-
weser. Die Beseitigung der Beisitzer rechtfertige
sich durch den Schutz, den die Angeklagten durch
Anberaumung der mündlichen Schlussverhandlung
und Zuweisung eines Anwalts erhielten. Volksver-
treter im Gericht wurden offensichtlich vom Land-
tag gefordert. Die Regierung agierte zurückhaltend.
Nach erfolgter Prüfung und Bearbeitung durch das
Appellationsgericht wurde der Gesetzesentwurf
dem Landtag vorgelegt. Dieser setzte sich ausserge-
wöhnlich sorgfältig und gründlich mit der Vorlage
auseinander. Die Gesetzgebungskommission des
Landtags beschloss am 26. Juni 1880, die Strafpro-
zessnovelle Fachleuten zur Begutachtung vorzule-
gen. Die Arbeit der Gutachter und der Landtags-
kommission nahm längere Zeit in Anspruch, so dass
die Behandlung der Gesetzesvorlage auf 1881 ver-
schoben wurde.86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97
Kritik an der geltenden Ordnung
Vor der Behandlung der Materie im Landtag äusser-
te sich ein unbekannter Verfasser in einer undatier-
ten Beilage zum Liechtensteiner Volksblatt98 zur Re-
form der liechtensteinischen Strafrechtspflege. Der
Autor gab zwar vor, die Regierungsvorlage nicht zu
kennen. Einzelne seiner Aussagen deuten hingegen
darauf hin, dass ihm ihr Inhalt zumindest summa-
risch bekannt war. Der Text kritisiert die damals gül-
tige Ordnung und geht u. a. erstmals eingehend
auch auf Fragen der Mitwirkung des Volkes an der
Rechtspflege ein. Einzelne Passagen seien daher
wiedergegeben. Am Beginn steht die Aussage, dass
es die Rechtswissenschaft am besten verstanden
habe, das Publikum von ihrem Tun und Treiben zu-
rückzuschrecken, dem sie ein mit sieben Siegeln
verschlossenes Buch sei. «Um Zivil- und Strafrecht
kümmert sich der Laie nur dann, wenn er in die un-
erwünschte Lage kommt, einen Rechtsanspruch er-
streiten oder gegen eine Anklage sich verteidigen zu
müssen.» ... «Justizreformen lassen daher im Allge-
meinen kalt. Es ist somit auch zu befürchten, dass
die von Seite der Regierung in Aussicht gestellte Re-
form der gegenwärtig gültigen Strafprozessord-
nung, - dieses Musterstück strafgerichtlichen Zopf-
tums, - im Ganzen ohne jeden Impuls einer lebhaft
86) Fürstliche Verordnung vom 30. Mai 1871 über die Trennung der
Justizpflege von der Administration (mit Amtsinstruktion für die
Landesbehörden des Fürstentums Liechtenstein), LGB1. 1871, Nr. 1.
87) Ebenda, § 42.
88) Ebenda, § 18.
89) Fürstliche Verordnung vom 20. Februar 1904 betreffend Ergän-
zung der Amtsintmktion für die Landesbehörden des Fürstentums
Liechtenstein. LGB1. 1904, Nr. 3.
90) Amtsinstmktion für die Staatsbehörden des souveränen Fürs-
tenthums Liechtenstein vom 26. September 1862, § 6
(www.gesetze.li).
91) Gesetz betreffend den Schuldenbetrieb im Fürstentum Liechten-
stein vom 9. Oktober 1865, § 7. LGB1. 1865, Nr. 5.
92) Vgl. dazu: Schädler, Landtag. - Die Differenzen im Landtag und
zwischen Landtag und Regierung werden von Schädler nur kurz
erwähnt, ohne näher darauf einzugehen.
93) Vgl. oben, S. 32.
94) LLA Landtagsprotokoll, 22. Dezember 1874. LLA LTA 1874/L 14.
95) Schreiben Landesverweser von Hausen an fürstliches Appellati-
onsgericht Wien, 17. 2. 1879. LLA RE 1879, Nr. 229.
96) Gemeint sind wohl die Laien, die gemäss der österreichischen
Strafprozessordnung im Untersuchungsverfahren von 1853 als
Gerichtszeugen anwesend sind. Vgl. oben, S. 54 f.
97) LLA Landtagsprotokoll, 21. August 1880.
98) Einblattdruck «Zur Reform der liechtensteinischen Strafrechts-
pflege», «Beilage zum Liechtensteiner Volksblatt»; liegt im Regie-
mngsakt zur Strafprozessnovelle (LLA RE 1879, Nr. 229).
In einem 1879 als Beilage
zum Liechtensteiner Volks-
blatt erschienenen Ein-
blattdruck äusserte sich
ein unbekannter Verfasser
eingehend zur Reform der
liechtensteinischen Straf-
rechtspflege.
57
ìnt Urform brr liedjtruliriiuf'djcu Stritfrfdjtspfìeok
93on ben nkr SSticuMien £jat bis auf tiefen Хлд Pie jnriftifdic e£
tim kften ocr (tauben, ba£ profane Sßiiblifum Ьисф bai am (idjerften
ìiairlenbc SOUttct, btc ßangwelligteit, ши iprem Xlnm uub Xrdben *u*
tfidjufdj reden. Sir Xpcoiogie ift, wenn дШф gauj gegen bk dßenttk
феи Steigungen bet Seit, ЬеЙ an toiden ©rten доЗДсп @Ъш£ uub Kirdje
entbrannten Kampfes шедси^ nwrbltigiS lieber ©egenjtanb japirddjer
(Mrteiungen geworben; bic №bijhi tritt mit ben melflcn Stengen in
eine ju uape, tmmilteibmra Bcrüpruug, ntß bnjj e3 uidjt eine, tpeitä im
guten, tpcitg im fdjlccpteu Sinne populäre BKebijin geben ¡olite ; bie
meifkn brr in rer ptjUofOppifdjcn ^acuita! Octdutgtea XJißdpltneu nun
gar jinb tedit etgantiirfj ba$ <51 c & le t ber ш1Шрптифеп SOStjfcnfrfjQft, —
an beeten nnb Siifiitutbnen aber fammi ali' beni i и vi ft E (феи Kram,
ben man tenueu mu|, um e£ in bem ¡Range eines f. f. ШиЭ fu licititeli
ober 1 t SonecptgpmcHfftnten jn ini и gen, finti and) bem „gc&ilbdEti
$n№hmi" ein mit ìleben Siegeln ш[ф1о|{сш# Виф ; um StoiU unb
Stmfracfyt Hi w inert fidj ber £aic mit bann, menu er in bin unerwüufcpte
Kage tommt, einen SiedjiSaufpmtp erftreiten ober gegen eine Kurtage
рф Pcrtpdbigen ju mtiffeii, — wobei er bann gewlipuiidj in eine ber*
artig gatti ge Stimmung getiitp, ba| ber Ьпй, was eifrige Berci) rer ber
Snriäprubeus iris ein beiminbcrunggwlicbtßeä Sijjìem mcìij'djlidjci SfBeìSk
Éjeit nerepten, mit otel weniger ftyimltìpeEpaftcn Bejnkpmmgeu ju betegen
pflegt, Snfti^rtformen Taffen bapcv ini ШНдеишиеи Mt, OrS Ift fornii
ешф ju befürchten, baft btc non Seite ber Regierung in Sluäfidjt gc^
fi ей te Slcfdttn ber gegenwärtig giti Eigen Stvafprojcfiorbimug, — biefcS
33hijtetfHtde£ ftraigeridjtitdjen fjopftpum'e, — im ©anjen opne je ben
SWipntiS einer tebpaft tpdliwpmènbcu üffcntlidjeit Sfiduuug flattflitben
werbe. Unb boi) pai bk ©trafptoje|pibn;mg fo niete Bunde non рйф*
fter poLitifdjer Bebcnlung in nvbiicn, bafi für fie bnrcpanS bie Xpdl*
napme fcee SìolteS in Slufprutp ju nehmen ift, ba Ja bie Stage, in wel
djcn Sormcu ©trnffalte шрппЬеН unb eutfdjkben werben, gickpbvbmi;
tenb ift mit ber Stage nad) bem STÌapc non Stedjtaj^jcrpdt, ШсЦе tu
einem taube ber Bürger geniere ; felbfì boS bejk materielle Шеф! fami
biefe Skdjtgfidjevpclt nldjt gcwfiprieìfteu, menu bie Sonnen bcé ißerfa^
ten'S b^r 5Biftfi'ir Spieitanm laffeu uub bìe ÌHeditSpflege nldjt in ber
offenen Darlegung üjreä ^1111^ unb JGaffen'S uot ben iiugen ber .№tt
fidi jugleidj Sporn unb Stgel ifi, uub №edjt й&еп. №ir
tennen ben (Entwurf nìdjt, weldjcii btc fffegkrnng bem Saubtngc Por-
fegen wirb, miijfcn пий ba^et für ^tnte baranf Ь^фппКп, an ber alten
Sirafproce^orbmiug einige StniS¡Heilungen ju madjen nnb paar ^uncte
mm a (Где meiner iUi^tìgieti perori г^иребеи, bic tei bet Reform berli
fidjtigt Werben fällten.
®пзй in nuferem Äaube nodi geftenbe idpvifttid)E gepeime Straf-
petfaflten i[i gerabeju ein Щпафгоуц&шиЭ.
^ii fin fe ftc fj t ber 5lng ejclinfb ìgt c, ber, wenn ®i ffettjdter, b оф
immer ein №n[dj ift, mam fdjulbloiS, umfomeür auf ©emftVjtung ber
3Hit±et ijtufprud) madjen faun, feine Unfdjulb baiplcgen bar feinem
Unterfncpnug^ridjter, ber jugleidj fein ìtnilnger uub (iniidjdbuugäridjtet
i(l, nnb nevmag oft einmal nidjt ba3 ^SrotDioO ln allen ben iljm oofc
gdqenen fünften ju btgtdfea, unb bod) Ift gccabc Ыфз ^rototoU ber
©riff feinet №d)tfdjmcrte€, bk .^nubpabe, mit ber mau ba$ barin
3liebDrgef^ricbime jnr objectincu SÖaprpdt fkmpctt.
Seifrfi nudj burd) bic Uebmocifuug ber ßtibcntfAeibnng au einen
eoflcgiaiifd] зи[яштепдф^1сп ©eiiefitdljuf, Wie bieg jc^t bei unb ber
Sad ifi, wirb eine gute Stmfrcdjtspflege nidjt gewilprleiftet, ba fein
geifitget Kampf n&er Scputb aber iiitplfiijiiib iu runubiidjer Siebe wn^
mltktbqr omc bem entfipdbenbeu StidjtcrcoÖcghim geführt wirb, ba£
bemnatp аиф uidjt in ber Ёадс fein ttum, ben ©tmffaß in allen feinen
SBiubuugeu uub ^erwiiflnngeit int ilugefidjtc be^ 9lngefdjulblgicn nnb
ba Sengen feibft jn prüfen, bei: Sdjein Pom Sefeu ju fmibem, bie
begangenen -Shrtljümer, ЁйгГеи unb Siiijjbeutniigen ber idjriftlidjen Unleti
fudmug in erfemicu. nufer Strafgeld)t^pof fomit uidjt anä eigener
itufdjaumig, foubem auf btofic Шег(1фсгппдстт etueg -Stnbeni f)in über
einen unr burd) bkfeu ipm befiimut gewovbcneu Uuterfndjnngsfoß \\i uv;
tljeikn, gicldjfam in bie Sporte eine* iünbetu jn fdjW&ren pat, fo mag
fein Stu^fpmd) woljl ben gefdjviebencu Porten biefeg Zubern — beu
Sieten — cntfpredjen; ей fefjft jebodj Ьк n В finge ©acantie, tmj biefer
Stiiöfpnidj and) bem WirÜidjen Sadpticrljalte, ber objeetiuen ißaijrpcit
augemtffm auifatfe. — ©pne ber [treu ge и SiedjUictjteit unb ©ewiffei^
paftigfeit jener Ш1аппег, Wddje Pigfjet aufja bei: brei redjlöfuubigen
Шфкт ben etrafüaljanbTungen al& fugcviaimk '©егЕф^сидсп, gleidjfam
an Stelle beg ЩпШГши’й, beiwopnten, in irgenb einer ißeife паре
treten ju wollen, taun biefc ©inridjhmg uidjt als genügenb nugefepen
werben. Weil biefe Bctjlfecr, fei ей burdj ©iWopllpeit unb tauge Weile,
fei cg burdj beu Щи flu p bes geiftig nub bürgertid; pbpet gefklltcu
Diitpta’S, Eeldjt jn nidptäbebeutcuben giguvauten pcrabjluteji, bie aöm
^anbimtgen Ьей Шфкг^ burdj ipre in ber Siegel [tetß ЬвРшЫШде
llnteifeptift ben Stempel ber ©cfe^Iidjlcit anfbrüden.
SSPilfenftpaft uub ßrfapvung Ijafom gezeigt, baji nur jene Strafe
redjtgpflegc eine gute genannt werben tnnn, bereu SScrfapren auf ben
mutigen Pfeilen ber ^Dinublidjleit unb ©cffentlid]feit vupt.
ift ипсг1арЦфе ШогЬеЬшдиид einer guten Strafprojeporbuung, bafj
nur jene IRldjler über dne£ Slugctlagkn Sdjitlb ober Siidjtfdjnlb bk
öubcuifdjdbung geben tönucn, wddjc 'ш ВйисШ^ИЬфгарт* für unb
wiber pctfönÜcp kigewopnt, p, bic ipu uub feinen Slullagcr, feine
nnb be£ Äc^tevm Sengen feibft grfcEjeit unb in ©cgniwart beS Be*
fipulbigten gepbrt pabeu. — Stbcr uidjt (itofj munbiiep folf nor ben ev-
fenucubcu ifüdjtem üevpanbei! werben, fonbetu аиф bffentlidj, b. \> bic
Xpiiren Ьей dkridjtäpofed fallen für Sebermann offen fiepen, wenn über
einen Slugefdjulbigten jn öSntic^t gefeffm wirb. ifi au@ jwet ©limben
ju п>йп|феп, (Srfieu* ift eg ein jpodfcüofer (Srfapruuggfa^, bnp ber
№ufdj ba, wo feine §aublurtg£weifc beu klugen ber ШЗск bio|gefteiit
ift, ben .'ilret& feiner Щсфк unb ф(ифкп bei SBeiteiu fei teuer üPers
¡фгеке!, als ba, wo er f:dj unkobadjiet fiept, nnb ba^, je mepr Stugen
auf ipn gepeftet fiub, befto gefcfeli^er uub kputfamn in ber Siegel fein
Bevfflprcn ift. Sw die пй ift uidjt ju tocilcnnen, bajj. Wenn Ьай Serkedjen
in feiner ©djanbtidjtdt offentlid) gezeigt, wenn bag SBoIt mit eigenen
Singen jlept, wie ber SScrfucdjer tro| aller fdtier 0ф1аирск enttarnt,
wenn cg gewaprt, bag bic QkredjEtgfcit unr baS ®cbot einer unwanbek
baren Slotljweubigfeit — besi ©efeijeS — übt, eg non einem beraritgen
Sdjaufpid bie dnbriugiidjfte Scpre für fein eigeueg Betpallcu unb pdi*
fame gurdjt nub Зйппарттд ntm Berbxedjeu atg fn^Waren ©inbrnct
au и bem ©evidjtgfaaic mit иаф ßaufe nimmt. Еигф bie ©effentlidjleit
58
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
bet Sfferfrattblung voitb aber aucfr bie tigfeit uub ©euaui giert
bet SeugemitnSfagen befütbert uub foinwfr ein toefentUcfret Surtfreil für
bU 5uftij etteidp.
5n ^ateutfrefe paar ©orte umx bet fßüfelicfrEeil ja SRoifrwcubi gleit
einer ©cfrbtbe* metifre nuabfrongig oon jeher ridjtcrtidjeu Beftfräftiguug,
baß 5niercffe bet ©efellfifraft wofrtc, auf Amoettbimg bei ®efefce$
[fefre, beu ©djutbloten fdjirme, beu Steülei etteidje unb bem Slmie her
©eretfriiglcil übet liefere* bie äße bittet bei SGerfianbcS, bei SQSiffeu'S
uub bet ©cttbtfamfett aufMete, um bem fftedpc uub bet SBofrrfrdt einen
befhitteuen @ieg iujnmeuben uub baburdj bem bpetitfidjen äBofjfe frofren
Pinien in bringen, auf baft bet teblidje ©ütget flifreteu ©dpfilteß butrfj
baß Men manbein, fl(fr ^ gtfidpe feine.ö Steifte® uub bet ©üfrerfrsut
feinet ©frre, gttifreü uub Sßetfün erfreuen litoiu. £)b ba® Suflitut ber
© t a a t S a n w a U f dj a f t in ferner ganjen ©ebeutung bei itnfl teaiifubar
ip, ip ftetiidj eine anbeve Stage* mit geben im# aber benna$ bet fufre=
ren §offming frm, baft bei bet bamn&frptgen Öicfotm ber ©ttafproiefti
otbimng bal Amt btfis bffeniüdfrcn Auflage t'S all notfrmenbige®
(Slieb ttidjt festen werbe, umfomefrt all bk ©epeüxirtg eineß folgen iim
Soll ju Sa3 fap topenlo® bewerlftetligt werben tarnt — Die je^t bei
uni befMjeubc SGetbinbung be® Amte® bei AuHageP® mit bem bei
Sltidper’B ift eine unnaiÜtlidje, baS eine uub baß arxbecc Amt iu feiner
SBirtfamteit Idfrmenbe uub bie Äuge bc® Angetlagten gefeifrrbeube. —
Gtö ifl abet aud) ®eboi be® 3ied)teö uub bet ©Ufigleit, befr bem Singe'
(tagten lein ßKittei abgefdjnttten werbr, oox feinen ben Uugruub
bet Antiagc, bie xxulertaufeneu SJUfroerfianbuiffe mib Unmüfrtfreiint bar;
jutegetx, euentueH bie oömaüenbeo mltbemben Umflünbe geltenb ¡ju
madjeu, Dieter ¿¡med Wirb aber nur bann erreidp werben fbnuen, wenn
bem Angeilogteu bie Afpftenj eine® frei g e m ü fr t U n r e ifr t S ht n b L
gen SBettfreibigeUl gepattel ip, maß jefrt leibet uicfrt bet Saß ift.
Der 3üd)kr mufr bai StmUs bcS Stniiagev'® uub ^tufjtibigcfe*
ba® ct Jeßi iu (i<^ ucteinigU enthüben iiur> nur bamuf emgetofefeu fein*
bem not i(jm flnttjiubenbeu geijiigeu Kampfe ^mtf^cu Stutlage uub 3iet^
t^ibigung mit SiufmerlfamleU ju folgen uub in fliftet ^Kebitatiüu ifiedit
uub Unredjt afnumagcu. fßur im ^vcuifeuct tm ben etiemienbcn 31 tc^-
teru toirb bet gefkEte ©ttaffaQ in feinen ßmjtluljdkn bekudjtet* be'
fptodEjcit ^ bemtefen unb miberlegt* bet midlic£]e ©adjnettfnlt aufgellart
uub baS ,3iel bet Unter fudjuug b. i. bie SBaf)t freit gefunbeu me eben
Bttnen. — ferner bütfte gemünfdfri werben* tafj bei bet Reform autfr
eine ®Uobotunfi bet Unterfudiung eiugefiifrtt metbe, Unfm
j«gtgc LXnierfudjung ift ein oom Stnfouge bi® ^um (iube fottlaufenbeÄ
®anje ofrue ein 0tenäjci^eu, mo bte rar läufigen blofien palijeilicfren
Grtlkktungeu auffjBten unb bie eigentlidjo Ärtminaluntorfiufrung beginnt.
5a eä ip etfl föt^tld) ber gaü uorgeEommeu* bci& Stmanb iu bem
©tauben* feine Stnßfage aU 3euge abjugeben* (tefr in einet ihimmaU
untetfudjung befemb* oljne eS jU miffon. Dct fott in atten mi^ti=
gen Säften jmei Uuktfn^nugeu frn&en* eine fcfrtifiiicfrc unb eine münb=
tId]xr unb eä fpft ein i&cfemthüjj notljmenbig fein* um Semanben in
Stultagcjupanb oerfc^en,
Da eS ferner ein anerfanuter ötiai)tttng3fafr ift* ha fr gerate bet
gr’öfrte ©d)atf(inn unb bie fdjdtfpc itanibincitiünSgak beS Sntifkn nltfrt
fetten geneigt flnh, iünpU^ eine fjlflotif^e ©cmifrljdt aufoubauen* mo
feine ju pnbcu ift uub bafr ba* wo feine füufltidje SRcmetßtfreoric gilt*
bet tm ►Sebeu gereifte gefunbe SSerpanb beä gebitbeteu ÜJianuc^ mlnbti
fleuß ebeufo gefefridi* Ja OietmatÖ und) iaugltcfrer ift, bie Stage über
bie i^djutb ober DUdjtfdiulb (Dfratfrage) ¡n eutfdjeiben* aU bet te^nifdi
gebitbete red)tiägdd)rü: Sietfianb, fo fünnen Wir nidit nmfrin* aud) m-
fe« ©ptnpcüfrien für bie ©cfdjmDicuen^crit&ic tnnbjugebtn* ok
gteidj wir nitfrt nerfennen Ernten* bafr bet ©hifnfrrnug biefeä 5iiftilut'S
fufr bei uns grafre, mufrl aber üieilest п1ф1 nnübemtnObare §iubeti
niffe in beu Шкде ftetleu metbeu. Uebtigens frnben nubevc fkiue ©tauten
fomofrl in Dcntfcfriaub atß aubctmavlS bemiefen* bafr bie (Sinfüfrtung
bet ©фтигgcriifrte Ode ber Stujaljl bet Шешо1|пег unb bet Öitabmtmdlen
nidjt bebingt ift. — Шх Ьпгф bie ©фйтгдегтфк gewinnt, nnfereÄ
©тиф1еп®, bie ©teafgewaU bie jut ©ttafgerei^tigTett Ыё ©ttafurtfreife
erfmberlid)e Ueüerjcnguug * bafr bie йег6гсфш[фе SEfrat im notfen Uim
fange ifrtcr ©tmtmürbigfeit bem Setbrcdjer flar uub erten nbar mnr*
meit bie ©utftfreibung bet вфи!Ь frage Verfalle и üäertoffen iflf и du betten
afle aber WenigpenS einige bet ©tufe her geiptgen Gilbung nnb bet
bürgert!феи ®e(ettf#aft nafre pcfroib worauf fidj ber Slngeliagie bepnbet
unb bie batum oan ftcfr anß beü (enteren tu [einer gaujeu Önbibibuatb
Ш geuauet ju kitnfreiku oevm&gcn* atß mk bitö ein iu btt flieget in
gr öfterer gei fügen unb де[еЙ|фа[Шфеи tSntfevmmg bum ?in gef Engten
flefrenbet gefefrrlet ffildjtetpanb je tm ©tanbe ift. — ftber nidji blofr
oüni jwdftipfcn, fonbetn and) bom patitififreü ©taubjnmfte auß jeigt ftdj
uuä baS ©djmiiTgevidjt in ourtfreilfraftErn Й1фк* weit baSfetbe fitfr unß
ai0 nntütlidjc gotge bet mafrtbaflcu IRtptüfeudlMBetfaffung bOifteUt, bie
in ifrrem ©runbfaöfi, baft bnS 33i>lf mltmtrlen foCf Ых ben midjtigpen
Angelegenheiten bcs ©taale£, folgeridjtig bepcu Uftltmitltmg диф bei bem
fu überaus x;influ^raid>eii Zweige ber ©taaißuermattung * bet ©haf^i^
ppege, geMetet.
®tu guteß Sffiafrlgcfe^ müfrk ebentueU baffit ©ovge tragen,
bafr uidjt 5ebn aus bem SPoIEe* foubem junäifrft ber fltflidjc unb feinen
fefrdltnipen nndj eine gemiffe geifltge SBilbung tep^enbe 5Шапи alß
@е[фтогсиег öefdfrigt feine tönuc. — 5n ber Uetjerjeugnug, baft in
Йгишпа[[афеп jebe MIRnfrt nUI gefiifrrtitfrcr uub шт^пШргдге, ntß
itgenbmo tfl* fo wüte eS münfifreitöWcttfr, baft in bie neue ЩящргЬтшид
bie ©ül Hg teil beß ÜierfafrteuS unb beS UufrctfS an bk prifle
obaefrfung einet gctolffen Ausalü non govmatitäteu Tnüpfe (3hißltate=
Befdjmetbc), giir foldje Deliite* metefre nidjt nur bie ©efrijumrenen
friite и * mögt ükvbkft поф Ьигф Ые Appel int tan bem flkfdnoerteu
bie 3J№gli(frfeit geboten iottbcu, bie innere SUdjtigfcit beS ürtfreilß
burdj baß DbergetHjt prüfen unb batüber пофтаЕЙ cnlfdjEibcn j^u lojfen,
3w unterfudjm, ob überfranpt eine 0cmtiStfrtotie im ©tvafproccffc
tatfrfam unb bet ©trafrecfrtSpjiege bieniidi fei, wollen mir uni uitfrl er^
tüfrueu. 3iut bie ferner tun д тЬде ипб gepnttet fein* baft* faltß bk
iSvticfrrung eines ©<frmntgeti(frtßfrofeß auf ituükrwmbiüfre 5iubei;iiiffe
Pofrm xmb аиф иаф her neuen ©tvafptotefrotbmmg uut xc^Mgetcfrrk
fiiid]kr bie Dfraf mb Meefriöftage juglciifr eulfdjeibeu fpHtcix* gemiffe Шог-
anSfeftungeu gefe|tid^ aufgepeEt werben müfrtu, ofrne хх>е!фс ber Ш\фкг
bie feiner ©eitttfrclfuitg unterlicgenbc Dfratfacfre für bargetfran übet für
mafrt mtiimefruum nicfrl beredjtigt fein foü. (3icgatibe ffkmeißlfreork.)
фхсЬигф ip bem fHidjtcv fdu ^maug auf er legt, ber freier фт feiner
Uebetieuguug xmb ©ntfefreibung bleibt.
Da es аиф т&дйф ip, baft au ©teile bet gegenmartigen, bie
öpetrdtfrifdje ©trafptueefrorbniing oon 1&G3 treten werbe* fo dürften
einige SB orte frie rüber иоф am SPla^e fein. Die im ©cfrtuftoetfafrrcu
berfetben gcmnijitc ЮерепШфкН nnb ШпЬИфЕей, — eine mefrr po^
titifefre ©Emcefflou gegen bk gotberimg ber bamatigen Seit, als im
tcreffc bet ©irafi^tßpfiege bebentfame Pieneruttg* — freien aüetbingS
11оф nidfrt aüe Sdmtrcnfcifcu ber gefrelmeu ©dn'EflUtfrfcit, waren aber in
ßrumngcixmg buu etwas ©effetem auf bem ©ebiete nuferer ©twft®hft=
ppege felbp in ifrter britten fr отбора tfriftfreu ШегЬйиииид bei Spdnäipß
ber iftünbticfrtdl unb OepEntlidpeit nlß Ifeiuer gartfdjtitt freubigev ©e?
grüftxtug mertfr.
©niage jum Üicdjicitftemcv ©ollêtuatt
59
teilnehmenden öffentlichen Meinung stattfinden
werde. Und doch hat die Strafprozessordnung so
viele Punkte von höchster Bedeutung zu ordnen,
dass für sie durchaus die Teilnahme des Volkes in
Anspruch zu nehmen ist. Da ja die Frage, in welchen
Formen Straffälle verhandelt und entschieden wer-
den, gleichbedeutend ist mit der Frage nach dem
Masse von Rechtssicherheit, welche in einem Lande
der Bürger geniesst; selbst das beste materielle
Recht kann diese Rechtssicherheit nicht gewährleis-
ten, wenn die Formen des Verfahrens der Willkür
Spielraum lassen und die Rechtspflege nicht in der
offenen Darlegung ihres Tuns und Lassens vor den
Augen der Welt sich zugleich Sporn und Zügel ist,
Pflicht und Recht zu üben.» ... «Das in unserem Lan-
de noch geltende schriftliche, geheime Strafverfah-
ren ist geradezu ein Anachronismus. Hilflos steht
der Angeschuldigte, der, wenn Missetäter, doch im-
mer ein Mensch ist, wenn schuldlos, umso mehr auf
Gewährung der Mittel Anspruch machen kann, sei-
ne Unschuld darzulegen vor seinem Untersu-
chungsrichter, der zugleich sein Ankläger und Ent-
scheidungsrichter ist, und vermag oft einmal nicht
das Protokoll in allen den ihm vorgelesenen Punkten
zu begreifen, und doch ist gerade dieses Protokoll
der Griff seines Richtschwertes, die Handhabe, mit
der man das darin Niedergeschriebene zur objekti-
ven Wahrheit stempelt. Selbst auch durch die Über-
weisung der Endentscheidung an einen kollegia-
lisch zusammengesetzten Gerichtshof, wie dies jetzt
bei uns der Fall ist, wird eine gute Strafrechtspflege
nicht gewährleistet, da kein geistiger Kampf über
Schuld oder Nichtschuld in mündlicher Rede unmit-
telbar vor dem entscheidenden Richterkollegium
geführt wird, das demnach auch nicht in der Lage
sein kann, den Straffall in allen seinen Windungen
und Verwicklungen im Angesichte des Angeschul-
digten und der Zeugen selbst zu prüfen, den Schein
vom Wesen zu sondern, die begangenen Irrtümer,
Lücken und Missdeutungen der schriftlichen Unter-
suchung zu erkennen.» ... «Ohne der strengen
Rechtlichkeit und Gewissenhaftigkeit jener Männer,
welche bisher ausser den drei rechtskundigen Rich-
tern den Strafverhandlungen als so genannte Ge-
richtszeugen,99 gleichsam an Stelle des Publikums,
beiwohnten, in irgend einer Weise nahe treten zu
wollen, kann diese Einrichtung nicht als genügend
angesehen werden, weil diese Beisitzer, sei es durch
Gewohnheit und Langeweile, sei es durch den Ein-
fluss des geistig und bürgerlich höher gestellten
Richters, leicht zu nichtsbedeutenden Figuranten
herabsinken, die allen Handlungen des Richters
durch ihre in der Regel stets bereitwillige Unter-
schrift den Stempel der Gesetzlichkeit aufdrücken.»
Nach dieser Kritik des Inquisitionsprozesses wer-
den die Vorzüge des mündlichen und öffentlichen
Verfahrens dargelegt. Daran knüpft sich die Erwar-
tung, dass mit der Gesetzesreform auch das Institut
der Staatsanwaltschaft geschaffen werde. Der öf-
fentliche Ankläger sei notwendig, da die bestehende
Verbindung dieses Amtes mit dem des Richters un-
natürlich sei und den Angeklagten gefährde.
Schliesslich wird die bisher fehlende Assistenz des
Angeklagten durch einen frei gewählten rechtskun-
digen Verteidiger und die klare Trennung zwischen
polizeilicher Ermittlung und eigentlicher gerichtli-
cher Kriminaluntersuchung gefordert. Es folgen
Überlegungen zum Laienrichtertum, insbesondere
zur Geschworenengerichtsbarkeit: «Da es ferner ein
anerkannter Erfahrungssatz ist, dass gerade der
grösste Scharfsinn und die schärfste Kombinations-
gabe des Juristen nicht selten geneigt sind, künstlich
eine historische Gewissheit aufzubauen, wo keine
zu finden ist und dass da, wo keine künstliche Be-
weistheorie gilt, der im Leben gereifte, gesunde Ver-
stand des gebildeten Mannes mindestens ebenso ge-
schickt, ja vielmals noch tauglicher ist, die Frage
über Schuld oder Nichtschuld (Tatfrage) zu ent-
scheiden, als der technisch gebildete rechtsgelehrte
Verstand, so können wir nicht umhin, auch unsere
Sympathien für die Geschworenen-Gerichte kund-
zugeben, obgleich wir nicht verkennen können,
dass der Einführung dieses Instituts sich bei uns
grosse, wohl aber nicht unüberwindbare Hindernis-
se in den Weg stellen werden. Übrigens haben ande-
re kleine Staaten sowohl in Deutschland und ander-
wärts bewiesen, dass die Einführung der Schwurge-
richte von der Anzahl der Bewohner und der Qua-
dratmeilen nicht bedingt ist. - Nur durch die
Schwurgerichte gewinnt, unseres Erachtens, die
60
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
Strafgewalt die zur Strafgerechtigkeit des Strafur-
teils erforderliche Überzeugung, dass die verbre-
cherische Tat im vollen Umfange ihrer Strafwürdig-
keit dem Verbrecher klar und erkennbar war, weil
die Entscheidung der Schuldfrage Personen über-
lassen ist, von denen alle oder wenigstens einige der
Stufe der geistigen Bildung und der bürgerlichen
Gesellschaft nahe stehen, worauf sich der Angeklag-
te befindet, und die darum von sich aus den letzte-
ren in seiner ganzen Individualität genauer zu beur-
teilen vermögen, als wie dies ein in der Regel in
grösserer geistigen und gesellschaftlichen Entfer-
nung vom Angeklagten stehender Richter stand je
im Stande ist. - Aber nicht bloss vom juristischen,
sondern auch vom politischen Standpunkt aus zeigt
sich uns das Schwurgericht in vorteilhaftem Lichte,
weil dasselbe sich uns als natürliche Folge der
wahrhaften Repräsentativ-Verfassung vorstellt, die
in ihrem Grundsätze, dass das Volk mitwirken soll
bei den wichtigsten Angelegenheiten des Staates,
folgerichtig dessen Mitwirkung auch bei dem so
überaus einflussreichen Zweige der Staatsverwal-
tung, der Strafrechtspflege, gebietet.» Nach an-
schliessenden Überlegungen zur Wahl der Ge-
schworenen, zum Instanzenzug und zur freien Be-
weiswürdigung schliesst der Text mit der richtigen
Annahme, dass es auch möglich sei, dass an Stelle
der bisherigen die österreichische Strafprozessord-
nung von 1853 treten werde. Die dort im Schluss-
verfahren gewährte Öffentlichkeit und Mündlichkeit
«heben allerdings noch nicht alle Schattenseiten der
geheimen Schriftlichkeit, wären aber in Ermange-
lung von etwas Besserem auf dem Gebiete unserer
Strafrechtspflege selbst in ihrer dritten homöopathi-
schen Verdünnung des Prinzips der Mündlichkeit
und Öffentlichkeit als kleiner Fortschritt freudiger
Begrüssung wert», schliesst der Text.
Empfehlung zur Neugestaltung der Strafprozess-
ordnung von Josef Lindner, Feldkirch
Schon vor dem Beschluss der Gesetzgebungskom-
mission des Landtags vom 26. Juni 1880, die Regie-
rungsvorlage durch Fachleute begutachten zu las-
sen, lag dem Landesausschuss eine entsprechende
Stellungnahme vor, die er selbst in Auftrag gegeben
hatte. Sie datierte vom 4. Juni 1880 und stammte
von einem gewissen Dr. Lindner aus Feldkirch.99 100
Lindner empfahl dem Landesausschuss, die ganze
Vorlage abzulehnen und ein vollständig neues, zeit-
gemässes Gesetz zu verlangen. Durch die Strafpro-
zessnovelle sollte die längst veraltete, in Liechten-
stein aber immer noch geltende österreichische
Strafprozessordnung vom 3. September 1803 abge-
ändert und Satzungen, die die Sicherheit der Recht-
sprechung und die Freiheit des Bürgers am meisten
gefährdeten, sowie Härten, die dem mittelalterli-
chen Inquisitionsprozess entstammten, sollten be-
seitigt werden. Gleichzeitig werde dem Landtag
aber zugemutet, dass er im Übrigen mit der Fort-
existenz dieses veralteten Gesetzes einverstanden
sei. Lindner beschrieb die Entwicklung des österrei-
chischen Strafprozessrechts und betonte dabei die
Bedeutung einer strengen Durchführung des Ankla-
geprinzips und der Teilnahme des Volkes an der Be-
urteilung der Schuld angeklagter Bürger. In Öster-
reich seien 1850, 1853 und 1874 drei vollständig
neue Prozessordnungen über jene von 1803 hin-
weggegangen. Die Strafprozessordnung von 1853
sei im Gegensatz zur früheren von 1850 in wesentli-
chen Punkten mit den Rechtsanschauungen der
Neuzeit nicht im Einklang. Diesen sollte die Reform
in Liechtenstein Rechnung tragen. Mit der in der Re-
gierungsvorlage vorgesehenen Änderung einiger
Paragraphen könne ein solcher Zweck jedoch nie
erreicht werden. Und Lindner fährt fort: «Die Re-
präsentanz des Volkes in Liechtenstein, wenn sie
sich mit der Frage der, wie die Regierung selbst ein-
99) Gemeint sind hier die Gerichtszeugen, die gemäss der österrei-
chischen Strafprozessordnung von 1853 dem vom Untersuchungs-
richter resp. Gericht geführten Untersuchungsverfahren beiwohnten.
Vgl. oben, S. 54 f.
100) LLA RE 1881, Nr. 240: Gutachten Dr. Lindner, Feldkirch, als
Beilage zum Sitzungsprotokoll des Landesausschusses vom 8. Febru-
ar 1881.
Gemäss Auskunft des Feldkircher Stadtarchivs vom 15. Januar 2009
handelt es sich beim Verfasser des Gutachtens um den Advokaten Dr.
Josef Lindner. Lindner, geboren 1830, war seit 1856 Advokaturkon-
zipient in Feldkirch, übersiedelte 1864 nach Dornbirn, verlegte seine
Kanzlei 1871 wieder nach Feldkirch, wo er 1883 das Heimatrecht
erlangte. Er starb 1910 in Bregenz und wurde in Feldkirch beerdigt.
6i
sieht, unabweislichen Reform der Strafprozessord-
nung beschäftigt, wird sich niemals anders als da-
hin aussprechen können, dass eine Verbesserung
der in der bestehenden Strafprozessordnung von
1803 liegenden mit den Anforderungen der Neuzeit
in grellstem Kontrast stehenden Missstände,... nie-
mals lediglich durch eine Novelle herbeigeführt
werden könne». Eine Detailberatung des unter ver-
schiedenen Kriterien als untauglich beschriebenen
Gesetzesentwurfs erübrige sich. Dennoch setzte
sich Lindner im Weiteren mit verschiedenen Krite-
rien und Bestimmungen des Strafprozesses einge-
hend auseinander. Zur vorgeschlagenen Zusam-
mensetzung des Strafgerichtshofs meinte er: «Aller-
dings sollen sich in der Ratsstube des Gerichtes, wo
über die Schuld des eines Verbrechens Beschuldig-
ten verhandelt wird, ausser drei geprüften rechts-
kundigen Richtern und dem Protokollführer zwei
beeidete Beisitzer einfinden und sollen diese letzte-
ren wie die geprüften Richter abzustimmen befugt
sein.» ... « Der Beizug von zwei weiteren Beisitzern
... ist völlig ohne Wert, wenn man bedenkt, dass die
Auslosung derselben aus sechs vom Landtag auf
drei Jahre gewählten Persönlichkeiten durch das
Landgericht, natürlich in nicht-öffentlicher Weise
und ohne dass das Volk von dem Hergang dabei sich
zu überzeugen, Gelegenheit hat, stattfindet;» ...
«Man kann zugeben, dass mit Rücksicht auf die lo-
kalen Verhältnisse des kleinen Staates Liechtenstein
die Aktivierung des Geschworenen-Instituts nicht
möglich, und nur eine Verstärkung des rechtskundi-
gen Richterkollegiums durch aus und vom Volk ge-
wählte Richter zulässig sei; allein wenn diese Anteil-
nahme des Volkes an der Rechtsprechung nicht nur
Schein, sondern Wahrheit sein soll, dann muss die
Zahl der Richter aus dem Volk mit der der Rechts-
kundigen mindestens gleich gross und gesetzlich
festgestellt sein, dass jeder Richter über die Schuld
nach seiner innersten Überzeugung und ohne an
bestimmte Beweisregeln gebunden zu sein, sich
auszusprechen habe; dass zur Verurteilung eine
2/3-Majorität notwendig sei, und dass die vom Volke
gewählten Richter ... über jede Einberufung des
Vorsitzenden des Gerichtes ihr Amt auszuüben ha-
ben.»
Gutachten von Josef Neuner, Innsbruck
Das von einem gewissen Dr. Neuner, Innsbruck, ver-
fasste Gutachten datierte vom 24. Oktober 1880.101
Es prüfte die Regierungsvorlage eingehend hin-
sichtlich der Prinzipien der Öffentlichkeit, Münd-
lichkeit und Unmittelbarkeit des Verfahrens, der
freien Beweiswürdigung, sowie des Anklageprin-
zips. Zur Frage der Laienrichter äusserte es sich wie
folgt: «Das Institut der Beisitzer (Richter aus dem
Volke) ist höchst wertvoll und daher um jeden Preis
beizubehalten. Die Wahl dieser <Beisitzer>, richtiger
<Schöffen>, durch den Landtag ... bietet wohl genü-
gende Garantie dafür, dass nur verständige, recht-
schaffene, unabhängige und unparteiische Männer
zu diesem Amte berufen werden. Es ist daher kein
Grund vorhanden, auf direkte Wahl zu dringen.»
Für den Fall einer Volkswahl schlug der Gutachter
den gleichen Modus wie für die Wahl der Landtags-
abgeordneten vor und fuhr fort: «Was die kollegiale
Besetzung des zur Aburteilung eines Beschuldigten
berufenen Gerichtshofes betrifft, so müssen wir uns
entschieden für drei und nicht bloss zwei beeidigte,
mit den rechtskundigen Richtern vollkommen
gleich berechtigte Beisitzer, Schöffen, aussprechen,
und zwar vor allem zur Beruhigung, weil wir gegen
die in Folge der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit
des Verfahrens und der freien Be weis Würdigung
nicht bloss unnötige sondern geradezu nicht mehr
logische Berufung gegen den Ausspruch über die
Schuld und Tatfragen sind. Um nun aber die volle
Beruhigung über die Beseitigung dieser Berufung zu
erlangen, ist die gesetzliche Bestimmung notwen-
dig, dass zum Schuldspruch eine 2/3-Majorität der
Stimmen erfordert werde und nicht die blosse
Mehrheit schon genüge. Wir verlangen aber eine
Vermehrung des Laienelementes und dessen nume-
rische Gleichstellung mit den rechtskundigen Rich-
tern auch aus dem Grunde, weil erfahrungsgemäss
die Gefahr nahe liegt, dass sich das Laienelement in
Folge des moralischen Druckes, welchen die Fach-
richter durch das Ansehen ihrer sozialen Stellung
und ihre Sachkenntnis unwillkürlich ausüben, den-
selben gegenüber zu gefügig zeigt, und dass am
Ende die Laienrichter zu blossen Puppen, <Jasa-
gern> herunter sinken und der Zweck der ganzen
62
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
Einrichtung vereitelt wird. Um dies noch mehr zu
verhüten, wäre bezüglich der Reihenfolge bei der
Abstimmung die gesetzliche Norm, dass die Schöf-
fen vor den Fachrichtern ihre Stimme abzugeben
haben, jedenfalls sehr angezeigt. Wir vermögen in
der Verstärkung des Laienelements im Gerichtshöfe
für die Rechtsprechung nicht nur keine Gefahr zu
erblicken, sondern halten die Heranziehung des
Laienelements zur Rechtssprechung aus mehr als
einem Grunde für höchst gedeihlich. Wollte man
hieran etwas Bedenkliches finden, so müsste man
das Laienelement überhaupt geradezu ausschlies-
sen. Dass aber hierin in der Tat keine Gefahr liege,
beweist denn doch das Faktum zur Genüge, dass
alle anderen freiheitlichen Gesetzgebungen gerade
die schweren und politischen Verbrechen vor das
Forum der Volksjustiz, vor die Jury verweisen.»
Neuner erachtete die Einführung des Geschwore-
neninstituts in Liechtenstein für erspriesslich und
nicht schwierig. Abschliessend meinte er: «Fort mit
dem total veralteten schriftlichen und peinlichen
Verhör des Beschuldigten, an dessen Stelle vielmehr
frisches mündliches und unmittelbares Verfahren
zu treten hat.»
Gutachten von Carl Otto Würth, Chur
Der Landesausschuss und weitere beigezogene
Landtagsabgeordnete machten, gestützt auf das
Gutachten Neuners verschiedene Änderungen und
Zusätze zur Gesetzesvorlage der Regierung. Die so
überarbeitete Vorlage und ein Entwurf eines Moti-
venberichts wurden einem gewissen «Dr. Wirth»,
Chur,101 102 zur Begutachtung übergeben. «Wenn das
vor mir liegende Strafgesetz für das Fürstentum
Liechtenstein vom Jahre 1803 heute noch in allen
seinen Bestimmungen zur Anwendung komme, wie
möchte sich da ein Sterblicher noch des Lichtes er-
freuen!» leitete Carl Otto Würth seine Stellungnah-
me ein, datiert vom 19. November 1880.103 Er be-
merkte dann, dass alle bisher eingeholten Rechts-
gutachten schonungslos den Stab über den Entwurf
der Regierung brächen. Dennoch riet er dem Land-
tag ab vom Grundsatz <Alles oder nichts» Er solle
auf die Vorlage eintreten, die doch wesentliche Ver-
besserungen enthalte. Sie sei ein gemischtes System
von Mündlichkeit und Schriftlichkeit des Verfah-
rens. Würth setzte sich im Weiteren mit verschiede-
nen Aspekten und Grundsätzen des Strafprozesses
auseinander. Zur Art der Laienbeteiligung bemerkte
er wörtlich: «Wenn Sie die Grundsätze der Gleichbe-
rechtigung, der Mündlichkeit, der Öffentlichkeit und
Unmittelbarkeit möglichst gewahrt wissen wollen,
so setze ich voraus, dass Sie einesteils von dem An-
klageverfahren und andernteils von dem Geschwo-
reneninstitut Umgang nehmen wollen. Diese beiden
Einrichtungen eignen sich nicht für das kleine Land
mit den wenigen Tausenden von Einwohnern, abge-
sehen davon, dass sie sich auch in grösseren Staa-
ten mitunter wenig bewährten und deshalb zum Teil
erheblich beschränkt, wo nicht geradezu abge-
schafft wurden. Das in der Regierungsvorlage be-
zeichnete Gericht mit Schöffen - unter Modifikatio-
nen - würde ich der Jury unbedingt vorziehen. Wie
auch die Schöffen oder Gerichtsbeisitzer gewählt
werden mögen, so haben sie immer entschiedene
Vorzüge und ein grösseres Anrecht auf Vertrauen,
als diese betitelten Geschworenen.» Würth resü-
miert dann den ihm vorgelegten Entwurf. Danach
sollte die Untersuchung durch den Landrichter und
Aktuar unter Beizug von zwei Gerichtszeugen ge-
führt werden. Die Gerichtsbeisitzer sollten die Ver-
handlungen des Untersuchungsrichters kontrollie-
ren und ergänzen und sowohl Beschuldigte als auch
Zeugen befragen können. Der Landtag hatte zwölf
101) Ebenda: Gutachten Dr. Neuner, Innsbruck, als Beilage zum
Sitzungsprotokoll des Landesausschusses vom 8. Februar 1881
(29 Seiten).
Der in den Akten mit «Dr. Neuner, Innsbruck» bezeichnete Autor des
Gutachtens ist gemäss Auskunft des Tiroler Landesarchivs vom 22.
Januar 2009 wohl mit Dr. jur. Josef Neuner, Oberlandesgerichtsrat in
Innsbruck (1827-1892) zu identifizieren.
102) Gemäss Auskunft des Stadtarchivs Chur vom 13. Januar 2009
ist mit «Dr. Wirth» der in Chur tätige Advokat Carl Otto Würth
(1803-1884) gemeint. Würth war Mitglied der Frankfurter National-
versammlung 1848/49 und kam als politischer Flüchtling aus
Sigmaringen nach Graubünden. Er wurde 1857 in Medel (GR)
eingebürgert.
103) LLA RE 1881, Nr. 240: Gutachten Dr. Wirth, Chur, als Beilage
zum Sitzungsprotokoll des Landesausschusses vom 8. Februar 1881.
Beim Gutachten liegt der Entwurf einer offensichtlich vom Landes-
ausschuss überarbeiteten Strafprozessnovelle.
63
Beisitzer und vier Ersatzleute zu wählen Die
Schlussverhandlung sollte das Landgericht als Kri-
minalgericht führen, zusammengesetzt aus drei ge-
prüften, rechtskundigen Richtern und vier beeidig-
ten Beisitzern als Schöffen und dem Protokollführer.
Sie sollten die gleichen Eigenschaften haben wie die
Beisitzer in der Voruntersuchung. Vom Landtag wa-
ren acht Schöffen zu wählen.
Vorbereitung der Vorlage für den Landtag
Am 26. November 1880 unterbreitete der Landes-
ausschuss die von ihm überarbeitete Vorlage Lan-
desverweser von Hausen.104 Der Landesausschuss
sei der Überzeugung, «dass sich das Land Liechten-
stein mit der von der Regierung vorgelegten Straf-
prozess-Novelle noch lange nicht einer dem heuti-
gen Zeitgeiste anpassenden Strafprozessordnung
erfreut; der Entwurf berücksichtigt aber doch die
kleinen Verhältnisse des Landes, verjüngt das beste-
hende alte Gesetz von 1803 wesentlich, befreit von
seinen Härten und passt es den dermaligen Verhält-
nissen so weit als möglich an», heisst es in dem Be-
gleitschreiben. Um das Gesetz dem Landtag befür-
wortend vorlegen zu können, beantragte der Lan-
desausschuss jedoch einige Änderungen. Dazu zähl-
ten die Wahl von zwölf Gerichtsbeisitzern als Ge-
richtszeugen und acht Schöffen durch den Landtag,
sowie die Schlussverhandlung vor dem Kriminalge-
richt, bestehend aus drei geprüften rechtskundigen
Richtern und vier beeidigten Beisitzern als Schöffen
und dem Protokollführer.
Der Landesverweser schickte Motivenbericht
und Abänderungsvorschläge des Landesausschus-
ses zur Prüfung an das fürstliche Appellationsge-
richt. Er empfahl, die Vorschläge der Volksvertre-
tung zu akzeptieren.105 Das Gericht in Wien war im
Wesentlichen mit allen Änderungsvorschlägen ein-
verstanden. Nur hinsichtlich der Zusammensetzung
des Kriminalgerichts (drei rechtskundige Richter
und zwei Laien) und seiner Beschlussfassung hielt
es an der Regierungsvorlage fest, da der Vorsitzende
nicht Ausschlag bei der Stimmenmehrheit geben,
sondern eher eine ausgleichende und vermittelnde
Rolle haben sollte.
Die Volksvertretung nahm diesen letzten Bear-
beitungsstand der Regierungsvorlage zur Kenntnis.
Im Kommissionsbericht des Landtags, erstattet vom
Abgeordneten Peter Rheinberger,106 wird die Novel-
le als wesentlicher Fortschritt in der Strafgesetzge-
bung begrüsst. Der Entwurf streife die empfind-
lichsten Härten des inquisitorischen Verfahrens ab
und bringe humane, den Angeklagten gegen Willkür
schützende Formen zur Geltung, meinte Rheinber-
ger und fuhr wörtlich fort: «Die Prozessordnung
wird freilich noch lange nicht zu einem den heutigen
wissenschaftlichen Anforderungen entsprechenden
Gesetze umgewandelt; sie wird aber immerhin als
ein Gesetz anerkannt werden müssen, das den heu-
tigen Verhältnissen mit Geschick angepasst wurde
und allen billigen Anforderungen entspricht. Wie
ich das Ländchen und seine Verhältnisse kenne,
kann sich dasselbe unmöglich den Luxus einer
grossstaatlichen, modernen Strafrechtspflege mit
Staatsanwalt und Geschworenen gönnen - das Ding
ist einmal zu teuer und in Anbetracht der Mängel,
die sich da und dort zeigen, vielleicht auch nicht ein-
mal das Geld wert, was es kostet.» Abschliessend
hielt Rheinberger fest, dass der Landesausschuss
den Gerichtshof neben den drei geprüften rechts-
kundigen Richtern mit vier Laienrichtern (Schöffen)
besetzen wollte, dass die Regierung diesem Begeh-
ren aber nicht Folge geleistet und die Zahl der bei-
sitzenden und mitbestimmenden Laien auf zwei be-
schränkte.
Annahme der Novelle durch den Landtag
In der Landtagssitzung vom 16. Juli 1881 wurde die
Strafprozessnovelle unter Namensaufruf einstim-
mig angenommen.107 Verschiedene Bestimmungen
des rezipierten österreichischen Strafgesetzbuches
von 1803 und Artikel 3 der anlässlich der Rezeption
des österreichischen Strafgesetzes von 1852 erlas-
senen Einführungsverordnung von 1859 wurden
durch neue Vorschriften ersetzt.108 Danach hatte
das Untersuchungsverfahren bei Verbrechen beim
Landgericht als Kriminalgericht durch den Untersu-
chungsrichter unter Zuzug von zwei Gerichtszeugen
und eines beeidigten Protokollführers zu erfol-
gen.109 Die Gerichtszeugen mussten volljährige, un-
64
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
bescholtene und bei der Sache unbeteiligte Männer
sein.104 105 106 107 108 109 110 Es war allgemeine Bürgerpflicht, sich als Ge-
richtszeuge bei Untersuchungsverhandlungen ver-
wenden zu lassen. Die Pflicht betraf zunächst die
Bewohner jener Gemeinde, in welcher die Untersu-
chungshandlung vorgenommen wurde.111 Die Re-
gierung bezeichnete halbjährlich jene Landesange-
hörigen, die sich jeweils über Aufforderung des
Landgerichts in ihrem Wohnort als Gerichtszeugen
verwenden lassen mussten. Die Namen wurden
amtlich kundgemacht. Die Zahl der Gerichtszeugen
richtete sich nach der voraussichtlichen Inan-
spruchnahme. Auf eine Gemeinde mussten wenigs-
tens vier Gerichtszeugen entfallen.112 Im öffentli-
chen und mündlichen Schlussverfahren wurde vom
Landgericht als Kriminalgericht in kollegialer Beset-
zung entschieden. Der Gerichtshof bestand aus drei
geprüften rechtskundigen Richtern, zwei beeidigten
Laienrichtern (Schöffen) und einem Protokollführer.
Die beiden Laienrichter mussten liechtensteinische
Staatsbürger, im Fürstentum wohnhaft und im Voll-
genuss der bürgerlichen Rechte sein. Sie wurden
von Fall zu Fall vom Landgericht aus den durch den
Landtag auf die Dauer von drei Jahren gewählten
sechs Laienrichtern (Schöffen) ausgelost und hatten
gleiches Stimmrecht wie die drei geprüften Rich-
ter.113 Das Schlussverfahren hatte im Beisein des Be-
schuldigten stattzufinden. Der Zutritt von Zuhörern
war gestattet. Sollte der Gerichtshof eine geheime
Sitzung beschliessen, konnte der Beschuldigte zwei
Vertrauenspersonen als Zuhörer bezeichnen.114 Das
Urteil wurde mit Stimmenmehrheit gefasst. Bei der
Abstimmung gab das jüngste Mitglied des Gerichts-
hofes seine Stimme zuerst, der Vorsitzende zuletzt
ab.115
Mit der neuen Strafprozessordnung wurde in be-
schränktem Umfang das altdeutsche Schöffeninsti-
tut wieder ins Leben gerufen. Die zeitgemässen Pro-
zessprinzipien blieben allerdings auf das Verfahren
in erster Instanz beschränkt. Das Verfahren bei den
Rekursinstanzen in Wien und Innsbruck fand ohne
Laienrichterbeteiligung und unter Ausschluss der
Öffentlichkeit statt. Die Entscheidungen wurden al-
lein auf Grund der eingesandten Akten und des Ein-
begleitungsberichts der Vorinstanz getroffen.116
Gleichzeitig mit der Verabschiedung des Gesetzes
wählte der Landtag aus einer von der Regierung
vorgelegten Liste von 18 Kandidaten sechs Gerichts-
beisitzer (Schöffen).117 Die Regierung bezeichnete
79 Personen, die während der ersten Amtsperiode
als Gerichtszeugen zu fungieren hatten. Es waren
mehrheitlich amtierende oder ehemalige Gemein-
defunktionäre und Gewerbetreibende. Für Vaduz
wurden acht, für Eschen sieben, für Balzers, Trie-
sen, Triesenberg, Schaan und Mauren sechs, für
Gamprin, Ruggell und Schellenberg fünf und für
Planken vier Gerichtszeugen bezeichnet. Jedem
wurde eine entsprechende Bescheinigung zuge-
stellt. Die gewählten Schöffen wurden verständigt
und amtlich kundgemacht.118
104) LLA RE 1880, Nr. 464. Schreiben des Abgeordneter Christoph
Wanger, Vorsitzender des Landesausschusses, an Landesverweser
von Hausen, 26. November 1880.
105) Ebenda: Schreiben von Hausen an Appellationsgericht in Wien,
14. Dezember 1880.
106) LLA Landtagsprotokoll, 16. Juli 1881: Kommissionsbericht über
die Strafgesetznovelle für das Fürstentum Liechtenstein vom 25. Juni
1881. - Peter Rheinberger, Hauptmann des liecht. Militärkontingents
und Landestechniker (1831-1893), Abgeordneter 1872-1877,
1878-1882 und 1886-1893.
107) Ebenda, Traktandum 7.
108) Strafprozessnovelle vom 24. August 1881. LGB1. 1881, Nr. 1,
Art. 1.
109) Ebenda, § 1, Abs. 1.
110) Ebenda, § 1, Abs. 2.
111) Ebenda, § 1, Abs. 3.
112) Ebenda, § l.Abs. 4.
113) Ebenda, §6.
114) Ebenda, § 8.
115) Ebenda, § 10.
116) Ebenda, § 17 u. 18.
117) LLA Landtagsprotokoll vom 16. Juli 1881, Traktandum 10.
118) LLA RE 1881, Nr. 1419. Bekanntgabe der erwählten Gerichts-
zeugen und Laienrichter. Die Bezeichnung der Gerichtszeugen
erfolgte an der Regiemngssitzung vom 17. August 1881. Die amtli-
che Kundmachung, die Information des Landgerichts über die Wahl
der Schöffen und die Bezeichnung der Gerichtszeugen, ebenso wie
deren Bescheinigung resp. Verständigung, erfolgten am 17. Septem-
ber 1881.
65
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3. gronj*3ofef Äinb in söenbern,
4. ftranj Sofef hiebet ma un non @df(ei-
icnberg,
5. ®t)ïiftian S3iuni)art in Saljerê,
S. jEflpet Satgefi in Sirie fin.
SSabwj, am 17. (September 1881.
gtttftl. g. fliegicrmtg.
Amtliche Kundmachung
der Regierung vom
17. September 1881 über
die Wahl von Laienrich-
tern (Schöffen).
ZUSATZBESTIMMUNGEN
ZUR STRAFGESETZNOVELLE VON 1881
AUFGRUND DES STAATSVERTRAGS MIT
ÖSTERREICH ÜBER DIE JUSTIZ-
VERWALTUNG VON 1884119
Beim Abschluss des Staatsvertrags mit Österreich
über die Justizverwaltung 1884120 drängte das
österreichische Justizministerium besonders da-
rauf, die liechtensteinische Strafprozessordnung
möglichst konform mit der österreichischen auszu-
gestalten. Mit dem Vertrag stellte die österrei-
chische Regierung die für die liechtensteinische Jus-
tizpflege benötigten richterlichen Beamten, die für
die Zeit ihres Dienstes in Liechtenstein beurlaubt
wurden. Es wäre schwierig gewesen, österrei-
chische Richter für den Dienst in Liechtenstein zu
gewinnen, wenn dort eine ihnen nicht geläufige und
anderswo obsolet gewordene Verfahrensordnung
gegolten hätte. Es wurden daher an der Strafpro-
zessnovelle von 1881 Änderungen sowohl im Ver-
fahren über Verbrechen als auch bei Vergehen und
Übertretungen vorgenommen. Die Änderungen be-
trafen u. a. auch die Laienbeteiligung in der Recht-
sprechung. Der Zuzug zweier Gerichtszeugen bei
der Vernehmung des Beschuldigten wurde be-
schränkt. Er sollte nur dann stattfmden, wenn die-
ser es verlangte oder der Richter es für nötig hielt.
Es wurde zudem bestimmt, dass im Verfahren über
Vergehen das Landgericht als Schöffengericht (ein
Richter und zwei Laienrichter) zu erkennen habe.121
Im Verfahren über Verbrechen bestand der Ge-
richtshof aus zwei ausgelosten Schöffen, dem Unter-
suchungsrichter und zwei rechtskundigen Richtern.
Die bisherigen oberen Instanzen, das fürstliche Ap-
pellationsgericht in Wien und das bereits 1818 als
dritte Instanz eingesetzte Oberlandesgericht in
Innsbruck wurden beibehalten.122
DIE GROSSE JUSTIZREFORM 1906 BIS 1915123
66
1906 nahmen Regierung und Landtag eine umfas-
sende Justizreform in Angriff, deren einzelne Etap-
pen sich bis ins Jahr 1915 erstreckten. Mit den am
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
13. Dezember 1906 vom Landtag verabschiedeten
Zusatzbestimmungen zur allgemeinen Gerichtsord-
nung wurde überflüssiger Formalismus im Zivilpro-
zess beseitigt.119 120 121 122 123 124 Gleichzeitig mit dieser unbestritte-
nen Vorlage war dem Landtag von der Regierung
auch eine weitere Revision der Strafprozessnovelle
von 1881 unterbreitet worden. Die Regierung wollte
«die modernen Prinzipien im Strafverfahren eini-
germassen auch bei uns zur Geltung bringen». Da
«die Verhältnisse des Landes die Schaffung einer
besonderen Behörde, welcher, wie den in fast allen
anderen Ländern bestehenden Staatsanwaltschaf-
ten, die Wahrung des staatlichen Interesses in der
Strafrechtspflege übertragen werden könnte, der-
zeit untunlich erscheinen», sollte diese Aufgabe der
Regierung übertragen werden.125 Im Weiteren soll-
ten die auf strengem Formalismus früherer Jahr-
hunderte beruhenden formellen Beweisregeln auf-
gehoben und wie in den Nachbarstaaten das Prinzip
der freien Be weis Würdigung eingeführt werden.
Die Beseitigung der alten Beweistheorie wurde
vom Landtag einhellig begrüsst, nicht jedoch das
vorgesehene Berufungsrecht der Regierung. Die
Landtagskommission sah darin eine Schwächung
der Autorität des Landgerichts und eine Beeinträch-
tigung der Trennung von Justiz und Verwaltung. Die
Kommission meinte, das würde auch im Volk so ge-
sehen, und verlangte in einem Resolutionsentwurf
von der Regierung, «in Bälde sowohl im Zivil- als
auch im Strafverfahren ganze Arbeit zu machen und
die bewährten modernen Grundsätze mit Anpas-
sung derselben an unsere Verhältnisse zur Ausfüh-
rung zu bringen. Im Strafverfahren liesse sich das
Prinzip der Staatsanwaltschaft ja auch bei uns ohne
nennenswerte Kosten einführen, wenn ein österrei-
chischer Staatsanwalt für Kriminalverhandlungen
beigezogen würde und für Verhandlungen wegen
Vergehen und Übertretungen - analog der in Öster-
reich herrschenden Übung - ein im Lande wohnen-
der unbescholtener Bürger (der natürlich nicht Ju-
rist zu sein brauchte) mit der Stelle eines staatsan-
waltschaftlichen Funktionärs betraut würde. Die
Entlohnung könnte ähnlich wie bei den Schöffen in
Form von Diäten für jede Intervenierung stattfin-
den.»126
Im Landtag wurde die Position der vorberaten-
den Kommission mehrheitlich gestützt. In der De-
batte führte der Kommissionsvorsitzende Landtags-
präsident Albert Schädler127 u. a. aus: «Unsere Alt-
vorderen hatten durch Jahrhunderte eine in der
Hauptsache auf dem germanischen Rechte und auf
demokratischer Grundlage beruhende Rechtspfle-
ge, welche im Beginne des letzten Jahrhunderts
dem Polizeistaate weichen musste. Mit der Schaf-
fung der Verfassung sei diese unglückselige Zeit
überwunden und auch in der Rechtspflege durch
Trennung von Justiz und Administration gesundes
Leben geschaffen worden. Diese Trennung müsse
auch bei uns wie überall peinlich aufrecht erhalten
werden. Bei den jüngsten Kolonialdebatten im deut-
schen Reichstage sei ja sogar für Südwestafrika all-
gemein eine strikte Trennung von Justiz und Ver-
waltung verlangt worden.»128 Im Landtag gab es
119) Vgl. dazu Schädler, Landtag.
120) Staatsvertrag bezüglich der Justizverwaltung im Fürstentum
Liechtenstein, Wien, 19. Januar 1884. LGB1. 1884, Nr. 8.
121) Diese Zusammensetzung des Gerichts deckt sich mit derjeni-
gen, die gemäss österreichischer Strafprozessordnung von 1853
festgelegt war (vgl. oben, S. 31 f. und S. 56).
122) LLA Landtagsprotokoll vom 13. März 1884. Kommissionsbe-
richt vom 6. März 1884. Gesetz vom 24. Juni 1884 mit Zusatzbe-
stimmungen zur Strafprozessnovelle vom 24. August 1881 (LGB1.
1884, Nr. 6).
123) Vgl. dazu: Schädler, Landtag; Beck, Das Recht des Fürstentums
Liechtenstein; Ospelt, S. 240 f.; Hilti, S. 29-33: Die umstrittene
Justizreform von 1907/08.
124) LLA Landtagsprotokoll, 11. und 13. Dezember 1906; LTA
1906/L 08: Regierungsvorlage betr. Gesetz, womit Zusatzbestimmun-
gen zur Strafprozessnovelle vom 24. August 1881 erlassen werden,
o. D.; Tagesordnung und Kommissionsberichte zu den Landtagssit-
zungen vom 11. und 13. Dezember 1906. Gesetz vom 26. Dezember
1906, womit Zusatzbestimmungen zur allgemeinen Gerichtsordnung
erlassen werden (LGB1. 1907, Nr. 1).
125) LTA 1906/L 08: Kommissionsbericht betr. Justizgesetz-Ent-
würfe.
126) Ebenda.
127) Dr. med. Albert Schädler (1848-1922), Abgeordneter
1882-1886 und 1890-1919, Präsident 1882-1886 und 1890-1919.
128) Bericht über die Landtagssitzungen vom 11. und 13. Dezember
1906. Beilage zu Nr. 52 des Liechtensteiner Volksblatt, Jg. 1906.
67
schliesslich keine Mehrheit für ein Berufungsrecht
der Regierung. Die entsprechenden Gesetzesartikel
wurden abgelehnt, worauf die Regierung die gesam-
te Vorlage zur Revision des Strafprozessrechts zu-
rückzog.
Einsetzung einer Kommission
Trotz erheblicher Differenzen innerhalb des Land-
tags, aber auch zwischen Landtag und Regierung,
war die Notwendigkeit einer Reform des liechten-
steinischen Justizwesens allgemein anerkannt. Es
war auch Wunsch des Landesfürsten, dass eine zeit-
gemässe Regelung zustande kam. Deshalb be-
schloss der Landtag 1907, die Justizreform erneut
zu beraten. Er wählte eine «Siebnerkommission»
mit dem Auftrag, die Reformwünsche des Landtags
zu präzisieren und entsprechende Vorschläge zu er-
arbeiten.129 Im Dezember 1907 kam im Landtag ein
entsprechender Kommissionsantrag zur Bera-
tung.130 Die Kommission hatte für ihre Arbeiten den
Advokaten Josef Peer131, damals Bürgermeister von
Feldkirch, konsultiert. In ihrem Bericht, der sich im
Wesentlichen mit Peers Stellungnahme deckte, war
festgehalten, dass «die Justizreform nicht ein Flick-
werk, sondern ganze Arbeit» werden solle. Es müs-
se daher «im Zivil- und Strafverfahren die moderne
Gesetzgebung, die sich in Österreich trefflich be-
währt habe, zur Einführung kommen.» Dement-
sprechend habe an Stelle der alten gesetzlichen Be-
weisregeln das Prinzip der freien Be weis Würdigung
zu gelten. Konsequenterweise müsse aber auch bei
der zweiten Berufungsinstanz dieses Prinzip gelten,
und die Verhandlungen müssten auch bei dieser In-
stanz öffentlich und mündlich stattfinden. Eine
wirksame Reform sei nur möglich, wenn die zweite
Instanz mit öffentlichem und mündlichem Verfah-
ren im Lande selbst errichtet werde. Für Strafsa-
chen wurde ein vierköpfiger Senat, bestehend aus
zwei Berufsrichtern und zwei Laienschöffen, für zi-
vilrechtliche Rekurssachen ein dreiköpfiges Rich-
terkollegium mit einem Berufsrichter und zwei Lai-
enschöffen vorgeschlagen. Als oberster Gerichtshof
sollte neu an Stelle des Oberlandesgerichts in Inns-
bruck das liechtensteinische Appellationsgericht in
Wien treten. Weiters sollte die Institution der Staats-
anwaltschaft geschaffen und dazu neben dem Land-
richter ein weiterer juristischer Beamter angestellt
werden. Der neue Beamte sollte auch mit Verwal-
tungsstrafsachen betraut werden. Gemäss einstim-
mig verabschiedetem Antrag sollte die Regierung
diese Vorschläge zu einer Justizreform zur Kenntnis
nehmen und die entsprechenden Gesetzesentwürfe
bald vorlegen.132
Kontroverse Debatte
In der Landtagssitzung vom 14. Dezember 1907
führte der Antrag der Siebnerkommission zu einer
teilweise hitzigen und ungewohnt langen Debatte.
Der Kommissionsvorsitzende Albert Schädler be-
tonte eingangs die Notwendigkeit und Bedeutung
der vorgeschlagenen Justizreform. Er meinte u. a.:
«Wenn unser Land auch noch so klein ist und infol-
ge dessen die Einführung mancher kultureller Insti-
tutionen wegen der Anpassung an unsere besonde-
ren Verhältnisse mit Schwierigkeiten verbunden ist,
so haben wir doch nach unserer ganzen Entwick-
lung den Rechtsanspruch und die Pflichten eines
Kulturstaates und können daher in einer so wichti-
gen Angelegenheit, wie die Justizpflege ist, nicht
rückständig bleiben.»133 Seitens der Befürworter
wurde die Verlegung des Obergerichts ins Land und
das damit ermöglichte mündliche und öffentliche
Verfahren auch in der zweiten Instanz als «eine der
wichtigsten Errungenschaften auf dem Gebiete der
Justizpflege» bezeichnet. Mit Bezug auf das damals
neu errichtete repräsentative Regierungsgebäude
meinte ein anderer: «Wenn die Erstellung unseres
Amtsgebäudes und die moderne Ausstattung der
Lokale die Finanzkraft des Landes nicht überstiegen
habe, so könne es auch nicht am Platze sein, dass in
demselben Gebäude die Justiz im Zivil- und Straf-
prozess nach einem Verfahren gehandhabt werde,
welches mit den anderen Anschauungen in Kultur-
staaten nicht mehr in Einklang zu bringen sei.» Ge-
gen den Kommissionsantrag äusserten sich die drei
fürstlichen Abgeordneten. Sie erachteten die Kosten
der vorgeschlagenen Reform als eine zu hohe und
unverhältnismässige Belastung für den Staatshaus-
halt und sprachen sich für eine Gesetzesrevision auf
der Basis der im Vorjahr beratenen Regierungsvor-
68
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
läge aus. Angesichts der Wichtigkeit der Sache wur-
de die Abstimmung über den Kommissionsantrag
auf die nächste Sitzung vertagt.
Am 16. Dezember 1907 wurde die Beratung über
den Antrag der Siebner-Kommission zur Justizre-
form fortgeführt. Zu Beginn wurde eine Erklärung
der drei fürstlichen Abgeordneten vorgetragen. Die-
se bedauerten, dass sich die Regierung im Vorjahr
wegen unliebsamer Vorkommnisse veranlasst gese-
hen hatte, ihre Vorlage zurückzuziehen. Die Vorlage
hätte verbessert und schliesslich angenommen wer-
den können. «Bei der Kleinheit unseres Landes und
der Beschränktheit unserer Mittel müssen wir uns
nach der Decke strecken und können nicht alles ge-
nau so einrichten wir grosse Staaten», hiess es in
der Erklärung. Die Mehrheit des Volkes wolle von
der mit grossen Kosten verbundenen Anstellung ei-
nes Staatsanwaltes nichts wissen, deshalb bean-
tragten sie die Ablehnung des Kommissionsantra-
ges. Darauf wurde ihnen entgegnet, sie würden da-
mit die Unabhängigkeit der Justiz von der Verwal-
tung aufheben und damit «das von unsern Altvor-
dern schwer erkämpfte Werk der Verfassung
durchlöchern». Wenn man dem Landtag eine solche
Handlung zumute, «müssten sich unsere Vorfahren
im Grabe umdrehen.» Die Entgegnung wurde durch
vielfache Bravo-Rufe verstärkt, ebenfalls das Votum
des Landtagspräsidenten, der sich klar für die Re-
form äusserte: «Die Frage sei jetzt: Entweder eine
zeitgemässe gründliche Reform oder der alte Zu-
stand mit allen seinen Übelständen.» Da sich die Ge-
müter erhitzt hätten, ersuchte der Präsident die Ab-
geordneten, die den Kommissionsantrag annehmen
wollten, «im Interesse der Sache von einer weiteren
Debatte abzusehen». Der Kommissionsantrag wur-
de schliesslich in namentlicher Abstimmung von
zwölf Abgeordneten angenommen. Dagegen stimm-
ten die drei fürstlichen Abgeordneten. Der Landtag
beschloss im Weiteren, «die von ihm ausgesproche-
nen Wünsche und Vorschläge bezüglich eines neu zu
schaffenden Justizgesetzes in Form einer Immedia-
teingabe ... dem Fürsten zu unterbreiten.» Der Lan-
desausschuss wurde beauftragt, eine entsprechen-
de Petition vorzubereiten.129 130 131 132 133 134 Sie wurde 1908 an den
Fürsten gerichtet und enthielt die bereits genannten
Forderungen nach «ganzer Arbeit mit der Reform
des Zivil- und Strafprozessverfahrens», insbesonde-
re nach der Errichtung einer zweiten Berufungsin-
stanz sowohl in zivilrechtlichen als auch in straf-
rechtlichen Prozessverfahren im Lande selbst, um
so das öffentliche und mündliche Verfahren auch
bei dieser Instanz zu ermöglichen. Die Petition wur-
de mit fürstlichem Erlass vom 9. Oktober 1908 be-
antwortet. Der Fürst nahm die Vorschläge mit Inte-
resse entgegen, da er ja selbst 1906 eine Justizre-
form angeregt hatte. Er war «zu einer durchgreifen-
den Reform der einschlägigen Gesetze» bereit. Er
hatte die Vorschläge des Landtags durch Fachleute
prüfen lassen. Die geplanten Reformen erforderten
umfassende Erhebungen, Studien und Vorarbeiten.
«Um in dieser Beziehung den Wünschen des Land-
tages entgegen zu kommen, werde Ich für die Aus-
arbeitung der betreffenden Gesetzentwürfe theore-
tisch gebildete und praktisch bewährte Fachmän-
ner berufen und behalte Mir über das Ergebnis der
bezüglichen Arbeiten die weitere Schlussfassung
vor», hiess es abschliessend im Erlass des Fürs-
ten.135 In der Folge gab die Regierung ihre bisheri-
gen Standpunkte auf, und der Fürst beauftragte, wie
angekündigt, Fachleute mit der Ausarbeitung neuer
Vorlagen für den Zivil- und Strafprozess.136
129) LLA Landtagsprotokoll, 16. November 1907.
130) LLA Landtagsprotokolle, 14. und 16. Dezember 1907. Beilage
zu Traktandum 1: Antrag der Siebner-Kommission betreffend die
Justizreform.
131) Dr. Josef Peer, Jurist, Anwalt (1864-1925), Bürgermeister der
Stadt Feldkirch 1901-1909, Hofrat am Verwaltungsgerichtshof in
Wien 1917-1925, Landesverweser in Liechtenstein 1920/21.
132) LLA Landtagsprotokolle, 14. und 16. Dezember 1907.
133) Bericht über die Landtagssitzungen vom 14. Dezember 1907.
Beilage zu Nr. 51 des Liechtensteiner Volksblatt, Jg. 1907.
134) Bericht über die Landtagssitzungen vom 16. Dezember 1907.
Beilage zu Nr. 1 des Liechtensteiner Volksblatt, Jg. 1908.
135) LLA Landtagsprotokolle. Beilage zu Traktandum 1 der Land-
tagssitzungen vom 11. und 12. Dezember 1911: Gesetzentwürfe zur
Reform des Zivilprozesses. Referat des Landtagspräsidenten Albert
Schädler.
136) Schädler, Landtag, JBL 12 (1912), S. 41-44 und JBL 21 (1921),
S. 14-16.
69
Die Regierung erklärte in der Landtagssitzung
vom 15. November 1909 auf eine entsprechende In-
terpellation hin, die Vorarbeiten für die geplante
Justizreform seien noch nicht soweit gediehen, dass
noch in diesem Jahr Gesetzesvorschläge zur Bera-
tung kämen. Darauf beauftragte der Landtag eine
Kommission mit der Abklärung, ob die schon 1906
unbestrittene Einführung des Prinzips der freien
Be weis Würdigung im Strafprozess nach österrei-
chischem Vorbild noch vor der Gesamtreform erfol-
gen könne. Die Kommission bejahte die Frage ein-
stimmig. Österreich hatte 1873, Deutschland 1870,
mit der alten Beweistheorie gebrochen, die im Straf-
gesetzbuch von 1803 verankert und in Liechten-
stein immer noch in Geltung war. Dieser Umstand
war auch der Rekrutierung österreichischer Richter
für den Dienst in Liechtenstein auf Grund des Justiz-
vertrags mit Österreich (1884) hinderlich. Aus den
genannten Gründen wurde noch im Jahre 1909 ein
entsprechendes Gesetz verabschiedet.137
1910 informierte die Regierung die Finanzkom-
mission über den Stand der Arbeiten für ein neues
Straf- und Zivilprozesswesen. Ein Strafprozessent-
wurf samt Motivenbericht lag bereits vor. Der Ver-
fasser, ein Bezirksrichter und ehemaliger Staatsan-
walt aus Wien, war jedoch mit den «besonderen ei-
gentümlichen Verhältnissen unseres kleinen Landes
aus eigener Anschauung nicht hinreichend be-
kannt», wurde im Kommissionsbericht vermerkt.
Nach dem Entwurf wäre wohl eine «beträchtliche
Vermehrung des Personalstandes zu gewärtigen.»
Im Landtag erklärte der Landesverweser, es sei
wichtig, «eigene, unseren Verhältnissen angepasste
Gesetze auszuarbeiten». Er wandte sich dagegen,
einfach eine sinngemässe Anwendung ausländi-
schen Rechts zu statuieren. Der Landtag sprach sich
ebenfalls für eine selbständige Justizpflege aus und
nahm die damit verbundene Verzögerung der Jus-
tizreform in Kauf.138
Gesetzesentwürfe von Gustav Walker,
Wien, im Landtag
1911 übermittelte die Regierung dem Landtag drei
vom Sektionsrat des k. k. Justizministeriums und
ehemaligen Universitätsprofessor Gustav Walker
verfasste Gesetzentwürfe samt Motivenberichten
zur Reform des Zivilprozesses zur verfassungsmäs-
sigen Behandlung.139 Die Entwürfe waren im Bei-
sein des Verfassers von den Mitgliedern des fürstli-
chen Appellationsgerichts, dem Landesverweser
und dem Chef der fürstlichen Hofkanzlei bereits be-
raten und teilweise abgeändert worden.140 In der
Landtagssitzung vom 11. Dezember 1911 referierte
Albert Schädler über die Regierungsvorlage und das
Ergebnis der Vorberatung durch die zuständige
Landtagskommission. Er hob dabei besonders die
Erläuterungen der Regierungsvorlage zur Frage der
Errichtung einer zweiten Gerichtsinstanz im Lande
selbst hervor. Eine solche Instanz war nämlich in
der Vorlage nicht mehr enthalten. Die bisherige Be-
rufungsinstanz, das Appellationsgericht in Wien,
sollte beibehalten werden. Nach Ansicht des Verfas-
sers hätte eine Wiederholung des mündlichen Ver-
fahrens nur für eine geringe Zahl von Fällen Wert.
Die Einheit und Kontinuität der Rechtsprechung
würde leiden, wenn an Stelle des Appellationsge-
richts fallweise bald diese, bald jene österrei-
chischen Richter träten. Schliesslich bedingte die
Schaffung einer zweiten Instanz im Lande die Ände-
rung des Justizvertrags von 1884. Der Vertrag
müsste gekündigt und ein neuer Vertrag geschlos-
sen werden. Eine solche Änderung sei fraglich, je-
denfalls aber in absehbarer Zeit kaum erreichbar.
Die Landtagskommission wollte schon im frühen
Stadium die sich zeigenden Schwierigkeiten nach
allen Seiten offen und klar darlegen. Sie beantragte,
eine Siebnerkommission zu wählen, die sich mit der
Gesetzesmaterie eingehend befassen, dem Landtag
berichten und Anträge stellen sollte.141 Der Landtag
nahm den dargelegten Stand der Zivilprozessre-
form zur Kenntnis und folgte einhellig dem Kom-
missionsantrag.
Zweite Instanz in Liechtenstein?
Ein Jahr später hatte die Landtagskommission ihre
Arbeit abgeschlossen. Ihr Bericht und die Gesetzes-
entwürfe zur Reform der Zivilprozessordnung wur-
den im Landtag beraten. Die Kommission hatte in
mehreren Sitzungen eine Reihe von Abänderungs-
vorschlägen gemacht und diese im Beisein des Ver-
70
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
fassers der Entwürfe und des Regierungschefs bera-
ten. In die Beratungen war auch das fürstliche Ap-
pellationsgericht einbezogen worden. Zudem holte
die Kommission ein Gutachten von Landesgerichts-
rat Martin Hämmerle137 138 139 140 141 142 ein, der längere Zeit ersatz-
weise auch als Landrichter in Vaduz gewirkt hatte.
Hämmerle lobte die Gesetzesentwürfe als ausge-
zeichnete Arbeit. In einem zentralen Punkt war er
jedoch anderer Ansicht: Er hielt eine Änderung des
Instanzenzugs als angezeigt und schlug vor, dass
entweder das Kreisgericht Feldkirch oder drei vom
Landesfürsten ernannte und zum Richteramt befä-
higte Juristen aus Vorarlberg die Rekursinstanz bil-
den sollten. Als dritte Instanz sollte das fürstliche
Appellationsgericht in Wien fungieren. Die Siebner-
kommission konnte sich «mit Rücksicht auf unsere
dermaligen Verhältnisse und im Interesse der mög-
lichsten Wahrung unserer Selbständigkeit» diesem
Vorschlag nicht anschliessen. 1907 hatte sich eine
grosse Mehrheit im Landtag für eine zweite Instanz
im Lande ausgesprochen. Für den Vorschlag Häm-
merles wäre aber auch der damalige Landtag sicher
nicht eingetreten, vermerkt der Kommissionsbe-
richt. Im Übrigen übernahm der Bericht die schon
im Vorjahr angeführten Argumente gegen eine Än-
derung des Instanzenzugs, «wenn auch damit die
Forderung einer idealen Rechtspflege betreffend
das öffentliche und mündliche Verfahren bei der Be-
rufungsinstanz vielleicht nicht ganz erfüllt wird».
«In der Kommission wurde allgemein die Ansicht
vertreten, dass unser Land mit seiner stetig fort-
schreitenden Entwicklung und Hebung der Intelli-
genz mit der Zeit in die Lage kommen werde, die Be-
rufungsinstanz mit dem öffentlichen und mündli-
chen Verfahren im Lande selbst und möglichst mit
eigenen Kräften einzuführen, dass aber jetzt, wo nur
ein direkter oder indirekter Anschluss an das Kreis-
gericht in Feldkirch in Frage stehe, von einer Ände-
rung der bisherigen zweiten Instanz im Interesse
der Wahrung unserer Selbständigkeit abgesehen
werde.»143
Mit dieser Position des Landtags war bis auf wei-
teres ein Reformschritt unterbunden, der Gerichts-
instanzen in die Nähe des Volkes gebracht hätte.
Insbesondere kam es auch nicht zu einer Laienrich-
terbeteiligung im zivilrechtlichen Rekursverfahren,
wie sie Josef Peer 1907 vorgeschlagen hatte. Das
Gesetzeswerk der Zivilprozessrevision wurde vom
Landtag am 10. Dezember 1912 einstimmig verab-
schiedet.144
Mittlerweile waren auch die Arbeiten am neuen
Strafprozessrecht weit fortgeschritten. «Bezirks-
richter Dr. Kraus, ein theoretisch und praktisch er-
fahrener Richter», hatte in Liechtenstein an Ort und
Stelle Informationen eingezogen, dabei den Ge-
schäftsgang beim Landgericht kennengelernt und
137) LLA Landtagsprotokoll vom 15. November 1909. Beilage zu
Traktandum 2 der Tagesordnung für die Landtagssitzungen vom
16. und 18. Dezember 1909. Antrag der Finanzkommission betref-
fend Einführung der freien Beweiswürdigung im Strafprozessverfah-
ren. Gesetz vom 28. Dezember 1909, womit Zusatzbestimmungen
zur Strafprozessnovelle vom 24. August 1881 erlassen werden
(LGB1. 1910, Nr. 1).
138) LLA Landtagsprotokoll vom 10. Dezember 1910. Beilage zu
Traktandum 2 der Tagesordnung: Bericht der Finanzkommission
über den derzeitigen Stand der Strafprozess-Reformfrage. Bericht
über die Landtagssitzungen vom 10. und 12. Dezember 1910.
Beilage zu Nr. 50 des Liechtensteiner Volksblatt, Jg. 1910.
139) LLA Landtagsprotokolle. Beilage zu Traktandum 1 der Land-
tagssitzungen vom 11. und 12. Dezember 1911: Gesetzentwürfe zur
Reform des Zivilprozesses. Referat des Landtagspräsidenten Albert
Schädler.
LLA Landtagsakt 1911 L 21: Reform des Zivilprozesses. Schreiben
Regierung an Landtag, 19. November 1911 samt Gesetzentwürfen
und Motivenberichten sowie Beratungsprotokoll beim Appellations-
gericht in dieser Sache.
140) Ebenda. Protokoll über die am 6. November 1911 stattgehabte
Beratung über die Gesetzentwürfe zur Reform des Zivilprozesses im
Fürstentume Liechtenstein.
141) LLA Landtagsprotokolle, 11. und 12. Dezember 1911. Bericht
über die Landtagssitzungen vom 11. und 12. Dezember 1911.
Beilage zu Nr. 50 des Liechtensteiner Volksblatt, Jg. 1911.
142) Dr. Martin Hämmerle, geboren 1872, 1909 als Bezirksrichter
extra statum beim Landesgericht Innsbruck ausgewiesen (Auskunft
Vorarlberger Landesarchiv, 15. Januar 2009).
143) LLA Landtagsprotokolle. Beilage zu Traktandum 5 der Land-
tagssitzungen vom 14. und 16. November 1912: Gesetzentwürfe zur
Reform des Zivilprozesses. Bericht der Siebnerkommission über die
Gesetzentwürfe zur Reform des Justizwesens im Fürstentume
Liechtenstein. LLA Landtagsprotokolle, 14. und 16. November 1912.
Bericht über die Landtagssitzungen vom 14. und 16. November
1912. Beilage zu Nr. 48 des Liechtensteiner Volksblatt, Jg. 1912.
144) Gesetz über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechts-
streitigkeiten (Zivilprozessordnung) vom 10. Dezember 1912 (LGB1.
1912, Nr. 9).
71
dann seinen Gesetzesentwurf entsprechend umge-
arbeitet.145 Gleichzeitig mit der Verabschiedung der
Zivilprozessordnung 1912 setzte der Landtag er-
neut eine Siebnerkommission ein, die die überar-
beitete Strafprozessordnung beraten sollte. Im Jahr
darauf wurde die Vorlage im Landtag behandelt. Die
Kommission setzte sich in ihrem Bericht insbeson-
dere mit der Frage der Einrichtung einer zweiten
Gerichtsinstanz im Lande auseinander und begrün-
dete die Beibehaltung des bisherigen Instanzenzugs
im Wesentlichen mit den gleichen Argumenten wie
beim Zivilprozess. Die Differenzen aus den Jahren
1906 und 1907 waren ausgeglichen und für die Jus-
tizreform eine gemeinsame Basis gefunden worden.
Mit Ausnahme des Instanzenzugs waren in der neu-
en Strafprozessordnung alle damals vom Landtag
gemachten Vorschläge berücksichtigt. Die Vorlage
wurde einstimmig verabschiedet.146
Bezüglich der Beteiligung von Laien im Untersu-
chungsverfahren, der Zusammensetzung der Ge-
richtshöfe und der Einsitznahme von Laien brachte
die Reform keine Änderungen.147 Nach wie vor hatte
das Landgericht als Kriminalgericht bei der Erfor-
schung von Verbrechen und bei einem Augenschein
in bestimmten Fällen zwei Gerichtszeugen beizuzie-
hen.148 Der Zuzug von Gerichtszeugen war schon
1884 beschränkt worden.149 Wohl weil in der Praxis
Gerichtszeugen nicht mehr häufig aufgeboten wer-
den mussten, war auf das von der Regierung durch-
zuführende Nominierungsverfahren für Gerichts-
zeugen verzichtet worden. Zur kollegialen Beset-
zung des Landgerichts bei der Schlussverhandlung
waren neben drei geprüften rechtskundigen Rich-
tern und einem Protokollführer zwei beeidete Lai-
enrichter (Schöffen) erforderlich. Diese wurden von
Fall zu Fall vom Landgericht aus den vom Landtag
auf die Dauer von drei Jahren gewählten sechs
Schöffen ausgelost. Sie waren gleich stimmberech-
tigt wie die geprüften Richter.150 Im Verfahren über
Vergehen war das Landgericht als Schöffengericht
zuständig, das sich aus einem geprüften Richter und
zwei Laienrichtern zusammensetzte.151
FRIEDENSRICHTER UND VERMITTLER152
Die Tradition der Friedensrichter und Vermittler
reicht weit zurück. Nach der Amtsinstruktion von
1719 konnten örtliche Amtsträger «bürgerliche
Streitigkeiten» zwischen ihren Gemeindsleuten
schlichten und entscheiden.153 Im ersten Gemeinde-
gesetz des Landes, der 1810 erlassenen «Gerichts-
instruktion», war ein Teil der Gerichtspflege eben-
falls den lokalen Amtsträgern übertragen.154 Dazu
zählten die «gütliche Beilegung einer jeden Streitsa-
che, bevor sie zur amtlichen Kenntnis kommt»,155
Schuldklagen bis 25 Gulden156 und damit allenfalls
verbundene Exekutionen und Pfändungen.157 In den
nachfolgenden Gemeindegesetzen von 1842 und
1864 waren solche Kompetenzen nicht mehr ent-
halten. Der Entwurf eines Gerichtsorganisationsge-
145) Bericht über die Landtagssitzung vom 11. und 12. Dezember
1911. Beilage zu Nr. 50 des Liechtensteiner Volksblatt, Jg. 1911.
Gemäss Auskunft des Stadtarchivs Wien vom 12. Januar 2009
handelt es sich bei Kraus um den im Wiener Adressenverzeichnis
1911 verzeichneten Dr. jur. Rudolf Kraus, k.k. Bezirksrichter, wohn-
haft im 3. Bezirk, Gärtnergasse 1.
146) LLA Landtagsprotokoll, 8. November 1913. Beilage zu Traktan-
dum 1 der Landtagssitzung vom 8. November 1913: Gesetzentwurf
zur Reform des Strafprozesses. Bericht der Siebnerkommission über
den Gesetzentwurf zur Reform des Strafprozesses im Fürstentum
Liechtenstein.
147) Gesetz vom 31. Dezember 1913 betreffend die Einführung
einer Strafprozessordnung (LGB1. 1914, Nr. 3).
148) Ebenda, §§ 35, 36, 37, 60.
149) Vgl. oben, S. 66.
150) Gesetz vom 31. Dezember 1913 betreffend die Einführung
einer Strafprozessordnung, § 169.
151) Ebenda, § 294.
152) Vgl. dazu: Schädler, Landtag. - Zur historischen Entwicklung in
Europa, besonders in Deutschland und in der Schweiz, vgl. Kross,
S. 19-68, 107-120.
153) Vgl. oben, S. 43-45.
154) «Gerichts-Instruction für die Gemeinde Vadutz vom 1. Januar
1810». Drittes Hauptstück. §§ 35-61 (LLA Historische Rechtsquel-
len).
155) Ebenda, § 35.
156) Ebenda, §§ 36-41.
157) Ebenda, §§ 37-57.
72
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
Richter und Beschäftigte
des Kriminalgerichts vor
dem Regierungsgebäude
in Vaduz, v.l.n.r.: Dr. Red-
ler, Landrichter Feldkirch;
Dr. Peer, Landgerichtsprä-
sident, Feldkirch; Oberle-
gationsrat Neuner, Feld-
kirch, Vorsitzender; Lega-
tionsrat Kelz, Feldkirch,
Richter; Legationsrat
Schöpf, provisorischer
Landrichter; Schöffe Agent
Wanger, Schaan; Schöffe
Gemeindevorsteher Brun-
hart, Balzers, 1911.
73
setzes von Franz Josef Oehri (1848) hatte in jeder
Gemeinde ein Friedensgericht, bestehend aus Ge-
meindevorsteher und vom Landtag bestimmten Mit-
gliedern vorgesehen.158
1884, im Zusammenhang mit der Beratung von
Zusatzbestimmungen zur Strafprozessnovelle von
1881, wurde im Landtag erstmals die Errichtung von
Vermittlerämtern beantragt. Zwar sei zu bedenken,
dass solche Ämter in Österreich nur dem Namen
nach, nicht aber in der Praxis existierten. Vermitt-
lerämter könnten jedoch eine wesentliche Erleichte-
rung für die Gerichtsverwaltung bringen und «gros-
se Ersparnisse an Zeit und Geld für die von der Ge-
richtstätte entfernteren Bewohner». Der Antrag
wurde mit acht gegen fünf Stimmen angenom-
men.159
1911 erhielt die zur Beratung der Zivilprozess-
ordnung eingesetzte Landtagskommission auch den
Auftrag, «der Frage der Einführung von Vermittler-
ämtern besondere Aufmerksamkeit zu widmen».
Man habe in der Schweiz mit den Vermittlerämtern
günstige Erfahrungen gemacht. Statistische Daten
aus dem Kanton Zürich belegten für einen Zeitraum
von 80 Jahren, dass durchschnittlich etwa 60 Pro-
zent der Zivilprozessklagen und 70 Prozent der Eh-
renbeleidigungsklagen im Vergleichsweg erledigt
worden seien. Ähnliche Resultate seien auch in an-
deren Kantonen festgestellt worden. Dem Vermittler
als «allgemeinem Vertrauensmann der Gemeinde»
sollte keine Rechtsprechungskompetenz zugespro-
chen werden. In der Schweiz kämen dort, wo der
Vermittler keine eigentlichen Urteile fälle, mehr Ver-
gleiche zustande als bei Vermittlern, die ein solches
Recht hätten. Gegensätzlich waren die Meinungen
zur Frage, ob Ortsvorsteher als Vermittler fungieren
sollten. Der Landtag erwartete jedenfalls, «mit Ein-
führung dieses wohltätigen Institutes würde bei uns
ein wichtiger Fortschritt geschaffen, das Landge-
richt zum Teil entlastet und viele Prozesse vermie-
den».160
Die Landtagskommission einigte sich 1912 zu-
nächst über einige Grundzüge eines entsprechen-
den Gesetzentwurfes. Danach sollte u. a. ein Ver-
mittlungsverfahren in allen Ehrenbeleidigungssa-
chen und in Rechtsstreitigkeiten, die nicht gesetzlich
einem anderen Verfahren unterliegen, obligatorisch
sein. Der Vermittler sollte keine Kompetenz zur
Rechtsprechung oder Strafgewalt erhalten und nicht
befugt sein, Zeugen zu vernehmen oder Eide abzu-
nehmen. Wilhelm Beck161, der damals in St. Gallen
bei einem Rechtsanwalt praktizierte, wurde sodann
von der Kommission ersucht, einen Gesetzentwurf
auszuarbeiten, «in welchem die in der Schweiz
schon seit vielen Jahrzehnten bewährten Vorschrif-
ten im Vermittlungswesen unseren Verhältnissen
angepasst werden sollten». Der Entwurf Becks wur-
de Landesgerichtsrat Martin Hämmerle, Feldkirch,
zur weiteren Prüfung übergeben und von ihm über-
arbeitet. Dabei nahm er das in Liechtenstein gelten-
de Zivil- und Strafrecht als Grundlage, lehnte sich
dem Vorarlberger Gesetz an, übernahm aber auch
schweizerische Bestimmungen. Vorgesehen war
u. a. die Vermittlerwahl durch den Gemeinderat.
Das Ergebnis der Arbeit der Landtagskommission
wurde 1913 im Landtag beraten. Dort wurde auch
die Ansicht vertreten, der Vermittler als Vertrauens-
person sei richtiger direkt durch das Volk zu wäh-
len. Die Regierung wurde schliesslich beauftragt,
eine Gesetzesvorlage zu schaffen.162
Das im Landtag 1915 verabschiedete Gesetz über
die Vermittlerämter163 trug die Handschrift Wilhelm
Becks. Er hatte der vorberatenden Landtagskom-
mission vorgestanden und einen umfangreichen,
fundierten Kommissionsbericht verfasst.164 Er
brachte geschichtliche Erörterungen zum Institut
der Vermittlerämter in Frankreich, Deutschland,
Österreich und der Schweiz ein. Daran anknüpfend
zeigte er verschiedene bestehende Ansätze zu Ver-
mittlungsverfahren in der liechtensteinischen Ge-
setzgebung auf und belegte anhand statistischer Da-
ten aus Vorarlberg und mehreren Schweizer Kanto-
nen den Erfolg der Vermittlerämter. Die Gesetzes-
vorlage hielt sich im Wesentlichen an die schon
1912 festgelegten Vorgaben. «Weil der Vermittler
ein geachteter, mit Personen- und Sachkenntnis
ausgestatteter Vertrauensmann sein soll», sollte er
auch vom Volk gewählt werden. Er musste nicht
über besondere juristische Kenntnisse verfügen,
sondern vor allem einen gütlichen Vergleich erzie-
len können. Nicht einig war sich die Kommission, ob
74
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
Titelblatt des von Dr. Wil-
helm Beck für den Landtag
verfassten Kommissions-
berichts zum Gesetzesent-
wurf über die Vermittler-
ämter.
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ridir ¡fibrine 9 ideimi ¡fi piar nher llnprjdmfÌubfL'J ciuci- 'Turni pr.iunmpeit ifb mefe mrè fmim'lleit
ein Ortsvorsteher zum Vermittleramt wählbar sein
sollte. Bei der Beratung im Landtag war dies der ein-
zig verbliebene Diskussionspunkt. Schliesslich wur-
den Mitglieder der Gemeindevertretung als wählbar
erklärt.158 159 160 161 162 * * 165 Das Gesetz wurde ohne weitere Änderun-
gen verabschiedet.166 Die grosse Justizreform war
damit vorläufig abgeschlossen.
158) Vgl. oben, S. 53 f.
159) LLA Landtagsprotokoll, 13. März 1884.
160) LLA Landtagsprotokolle 20. November, 11. und 12. Dezember
1911. Beilage zu Traktandum 1 der Landtagssitzungen vom 11. und
12. Dezember 1911: Gesetzentwürfe zur Reform des Zivilprozesses.
Referat Albert Schädler. Bericht über die Landtagssitzungen vom 11.
und 12. Dezember 1911. Beilage zu Nr. 50 des Liechtensteiner
Volksblatt, Jg. 1911.
161) Dr. jur. Wilhelm Beck (1885-1936), Rechtsanwalt, Herausgeber
und Redaktor der Oberrheinischen Nachrichten, Gründungsmitglied
der Volkspartei, Abgeordneter 1914-1928, Präsident 1922-1928,
Regierungsrat 1918/19.
162) LLA Landtagsprotokolle 8. November, 18. und 20. Dezember
1913. Beilage zu Traktandum 4 der Landtagssitzungen vom 18. und
20. Dezember 1913: Kommissionsantrag betreffend die Einführung
von Vermittlerämtern. Landtagsbericht über die Sitzungen vom 18.
und 20. Dezember 1913. Beilage zu Nr. 52 des Liechtensteiner
Volksblatt, Jg. 1913.
163) Gesetz vom 12. Dezember 1915 über die Vermittlerämter
(LGB1. 1916, Nr. 3).
164) LLA Landtagsprotokoll 25. November 1915. Beilage zu Traktan-
dum 2 der Landtagssitzung vom 25. November 1915: Erlassung
eines Gesetzes über Vermittlerämter: Kommissionsbericht zum
Gesetzesentwurfe über die Vermittlerämter (Referent Dr. Beck).
165) Gesetz vom 12. Dezember 1915 über die Vermittlerämter, § 2
(LGB1. 1916, Nr. 3).
166) LLA Landtagsprotokolle 25. und 27. November 1915. Geneh-
migtes Protokoll der Landtagssitzung vom 25. November 1915. In:
Nr. 51 des Liechtensteiner Volksblatt, Jg. 1915. Genehmigtes Proto-
koll der Landtagssitzung vom 27. November 1915. In: Nr. 52 des
Liechtensteiner Volksblatt, Jg. 1915.
75
ERWEITERUNG DER VOLKSRECHTE UND
DER LAIENBETEILIGUNG AN DER GERICHTS-
BARKEIT DURCH DIE VERFASSUNG VON 1921167
Die durch die Verfassung von 1921 geschaffene
Neuordnung des liechtensteinischen Staatswesens
betraf wesentlich auch die Gerichtsbarkeit. Sie führ-
te neben einem Ausbau der politischen Volksrechte
ebenfalls zu einer deutlichen Verstärkung des Lai-
enelements in der Gerichtsbarkeit. Schon das 10-
Punkte-Programm der Volkspartei vom 18. Dezem-
ber 1918 hatte die Forderung enthalten, «sämtliche
politischen und gerichtlichen Instanzen mit Aus-
nahme des Obersten Gerichtshofes ... in das Land
zu verlegen». «Bei der Organisation dieser Behör-
den soll unser Kriminalgericht als Vorbild genom-
men und also insbesondere neben Berufsrichtern
auch Laienrichter aus dem Lande aufgenommen
werden», hiess es weiter im Programm.168 Damit
wurde an Reformwünsche angeknüpft, die im Land-
tag schon 1880/81, 1906/07 und 1912/13 bei der
Beratung von Strafprozessnovellen geäussert wor-
den waren: einerseits die Verlegung der Rekursins-
tanz ins Land und andererseits die Laienmehrheit
in den Kollegialgerichten.169 Im Berufungsverfahren
war es nämlich nach wie vor unmöglich, die Grund-
sätze der Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittel-
barkeit des Verfahrens anzuwenden. Die Urteile
wurden in Wien und Innsbruck auf Grund der einge-
sandten Akten gefällt. Und im erstinstanzlichen
Strafverfahren standen die Laienrichter im Krimi-
nalgericht in der Minderheit gegenüber den rechts-
kundigen Richtern. Eine zumindest numerische
Gleichstellung hatte keine Aufnahme in die Straf-
prozessnovelle von 1881 gefunden. Im Programm
der Volkspartei vom 18. Januar 1919 wurde zudem
gefordert, die Verwaltungs- und Beschwerdeinstanz
und die Gerichte «mehrheitlich durch Wahl aus Lan-
desbürgern zu bestellen».170
Beide Forderungen, die Verlegung sämtlicher Be-
hörden ins Land und die Mehrheit an liechtensteini-
schen Staatsbürgern in den Kollegialgerichten, soll-
ten schliesslich in die Verfassung von 1921 aufge-
nommen171 und durch entsprechende Gesetze ver-
wirklicht werden. Die Mehrheit an Laienrichtern in
sämtlichen Kollegialgerichten schrieb die Verfas-
sung nicht vor, und es gab in der Folge auch nur we-
nige gesetzliche Bestimmungen, die eine Laienrich-
terbeteiligung zwingend vorsahen. Die rechtliche
Grundlage für Laienrichter in der liechtensteini-
schen Rechtssprechung blieb bis heute ziemlich
dürftig. In der Praxis allerdings sollten bis in die jün-
gere Vergangenheit in sämtliche Kollegialgerichte
mehrheitlich nicht nur liechtensteinische Staatsbür-
ger, sondern auch Laien bestellt werden.172 Eine we-
sentliche Erweiterung der Mitspracherechte des
Volkes bedeutete die in der Verfassung vorgeschrie-
bene Wahl der Mitglieder der Rekursinstanzen
durch den Landtag, auf deren Zusammensetzung
das liechtensteinische Volk bis anhin keinerlei Ein-
fluss nehmen konnte.
In den Unterlagen von Landtag und Regierung
zur Verfassung von 1921 konnten keine näheren
Hinweise und Begründungen für die vorgenomme-
ne Stärkung und Ausweitung des Laienelements in
der liechtensteinischen Gerichtsbarkeit gefunden
werden.173 Auch die Landtagsprotokolle und Regie-
rungsakten zu den entsprechenden Gesetzen von
1922 über die Gerichtsorganisation, die Landesver-
waltungspflege und die Änderung der Straf- und
Zivilprozessordnung sowie zur Errichtung des
Staatsgerichtshofes 1925 gaben nicht den gesuch-
ten Aufschluss.174 Einzig der Bericht von Dr. Wil-
helm Beck zu diesen von ihm verfassten Gesetzes-
entwürfen lieferte einige Informationen zu den Be-
weggründen. 175
Im Bericht wurde von Wilhelm Beck zunächst auf
den wesentlichen Verfassungsauftrag verwiesen,
die Berufungsgerichte, Obergericht und Obersten
Gerichtshof, ins Land zu verlegen und damit ihren
«Hauptzweck zu ermöglichen, dass sowohl in Zivil-
ais auch in Strafsachen der in unserer Prozessord-
nung bereits niedergelegte Grundsatz der Münd-
lichkeit und Unmittelbarkeit nicht papierene Wahr-
heit sei, sondern in Wirklichkeit angewendet wer-
de». Weiter führte Beck aus, «neuere Zivil- und
Strafprozessordnungen der meisten Länder» hätten
diesen Grundsatz verwirklicht, der auch für das Be-
rufungsverfahren zu gelten habe. Auch der österrei-
chische Gesetzgeber habe ein mündliches Beru-
76
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
fungsverfahren eingeführt.167 168 169 170 171 172 173 174 175 176 Es werde also mit der
Verlegung der Rekursinstanzen in Liechtenstein
«die österreichische Regel wiederum eingeführt».177
Noch notwendiger als in Zivilsachen sei eine münd-
liche Berufungsverhandlung in Strafsachen, «wo es
in manchen Fällen noch um viel höherwertige Gü-
ter, um Freiheit, Ehre, Leben» gehe.178 Offen zeigte
sich Beck gegenüber der Frage, «ob das bisherige
Schöffengericht als Gerichtshof erster Instanz zur
Beurteilung von Vergehen nicht aufgelassen werden
sollte». Dieser Gerichtshof trete fast nie in Funktion.
Die Beurteilung der Vergehensfälle könnte entwe-
der dem Kriminalgerichtshof oder dem Landgericht
überwiesen werden.179
Hinsichtlich vorgebrachter Einwände gegen das
«Laienrichtertum» wies Beck daraufhin, «dass heu-
te schon in Gewerbegerichten, in Handelsgerichten
und ähnlichen beruflich und fachlich organisierten
Gerichten die moderne Gesetzgebung immer mehr
und mehr das Laienelement zur Rechtssprechung in
bürgerlichen Rechtssachen» heranziehe. Es seien
damit «im Grossen und Ganzen auch recht gute Er-
fahrungen gemacht worden». «In vielen Staaten»
sei «überdies das Laienelement zur Rechtsspre-
chung nicht nur in allen Strafsachen, sondern in al-
len Zivilsachen herangezogen worden». Das solle
nun «teilweise auch bei uns geschehen». Die Laien-
richter würden in erster Instanz nur in Strafsachen
herangezogen, dagegen beim Obergericht in allen
bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen.
Beck war «nach seinen eigenen Erfahrungen über-
zeugt, dass man damit auch in Liechtenstein recht
gute Erfahrungen machen» werde und fuhr fort:
«Bei dem Übergewichte, das der rechtskundige
Richter infolge seiner Kenntnisse besitzt, ist nicht zu
befürchten, dass die beiden Laienrichter ihre eige-
nen Wege gehen werden. Der Entwurf will dem Lai-
enelemente wenigstens im Berufungsverfahren und
Revisionsverfahren auch die oben gestreifte, moder-
ne berufs- und fachgerichtliche Ausbildung mit in
den Kreis der Regelung ziehen. Deshalb soll der
Landtag bei Auswahl der Richter und Ersatzrichter
auf den Stand der Bauern, Gewerbetreibenden, Ar-
beiter und Erzieher Rücksicht nehmen, und es soll
das Gericht, wenn ein Berufskenntnisse erfordern-
der Fall zur Behandlung kommt (z.B. ein speziell die
Landwirtschaft interessierender Fall, Gewährleis-
tungsfall, Dienstbarkeit usw. oder, wenn ein Fall
vorliegt, bei dem ein Jugendlicher beteiligt ist und
der anderswo vor das Jugendgericht gehört), ent-
sprechend besetzt werden.»180
Unter Verweis auf «Akten im Regierungsarchiv»
und die historischen Publikationen von Peter Kaiser
und Albert Schädler verglich Beck die anstehende
Reform der Gerichtsorganisation mit der Landam-
mannverfassung vor 1720: «Geschichtlich sei daran
167) Vgl. dazu: Beck, Kommissionsbericht; Beck, Bericht; Ritter,
Karlheinz; Ospelt, S. 241 f.; Wille, Herbert; Oehry, Organisation;
Oehry, Fürst und Volk; Kohlegger, Richter in Liechtenstein; Wasch-
kuhn, Justizrechtsordnung; Fürst und Volk; Waschkuhn, Politisches
System, S. 191-208; Berger; Pallinger; Wille, Herbert: Gerichtswesen
seit 1921. Artikel im Historischen Lexikon für das Fürstentum
Liechtenstein.
168) Auskunft Rupert Quaderer vom 22. Februar 2008 über das 10-
Punkte-Programm vom 18. Dezember 1918.
169) Vgl. oben, S. 56-75.
170) Auskunft Rupert Quaderer vom 22. Februar 2008 über das
Parteiprogramm der Volkspartei vom 18. Januar 1919.
171) Verfassung des Fürstentums Liechtenstein vom 5. Oktober 1921
(LGB1. 1921, Nr. 15), Art. 97, 101, 105, 108.
172) In der Literatur wird, wohl ausgehend von der geübten Beset-
zungstradition der Gerichte, verschiedentlich behauptet oder zumin-
dest der Eindruck erweckt, die Laienmehrheit in sämtlichen Gerich-
ten sei gesetzlich zwingend vorgeschrieben worden. Vgl. Kohlegger,
Richter in Liechtenstein, S. 286; Waschkuhn, Justizrechtsordnung,
S. 40; Fürst und Volk, S. 217-222; Berger, S. 265.
173) LLA RE 1919/071; RE 1920/1887; RE 1921/963.
174) LLA RE 1925/2255; LTA 1925/L 05.
175) Beck, Bericht. - Der gedruckte Bericht ist undatiert. Wilhelm
Beck dürfte seinen wesentlichen Inhalt am 16. März 1922 in der
Finanzkommission des Landtags vorgetragen haben, die den vorge-
legten Entwurf der neuen Gerichtsorganisation zur Beratung im
Landtag verabschiedete. Der Bericht war wohl auch die Grundlage
für das allgemeine Referat, das Beck in der Landtagssitzung vom
28. März 1922 über das Gerichtsorganisationsgesetz gehalten hatte
(LLA Landtagsprotokolle 1922).
176) Ebenda, S. 2.
177) Ebenda, S. 5.
178) Ebenda, S. 6.
179) Ebenda, S. 7.
180) Ebenda, S. 8.
77
erinnert, dass die Grundgedanken des Entwurfes
für frühere, liechtensteinische Verhältnisse nichts
Neues bringen. Es sei daran erinnert, dass jede der
beiden Landschaften ein eigenes Gericht, bestehend
aus dem Landammann und zwölf Richtern hatte
und dass die Appellationsinstanz im Lande war. Der
Berufungswerber musste <Gold und Silber hinter
den Stab> des Gerichtes legen. Die Appellation ging
zum Teil an das Zeitgericht und von diesem an das
Hofgericht in Vaduz. In den Freiheitsbriefen ist das
Privilegium de non evocando et de non appellando
enthalten, d. h. Freiheit fremden Gerichtes. Durch
kaiserliche Privilegien ist der Herrschaft damals ein
eigenes, im Lande ansässiges Gericht zugebilligt
worden, gegen dessen Urteilsspruch nicht an aus-
wärtige Richter appelliert werden durfte.»181 Ab-
schliessend nannte Beck die Grundintention seiner
Vorschläge: «Die Entwürfe wollen in Anlehnung an
die bestehenden Gesetze, zum Teil an Geschichtli-
ches, etwas Einheimisches und Bodenständiges ein-
führen.»182
Die Anknüpfung an die Geschichte und an die
Verhältnisse zur Zeit der alten Landammannverfas-
sung war schon ein Leitmotiv der Verfassungsbe-
strebungen von 1848/49 gewesen.183 Sie kennzeich-
nete auch dominierende Positionen in den Diskus-
sionen im Vorfeld der Verfassung von 1921 und
schliesslich die darin festgelegte Gerichtsorganisati-
on. Dies lässt sich auch aus dem ebenfalls von Wil-
helm Beck verfassten und im Landtag vom 11. April
1922 behandelten Kommissionsbericht zum Ge-
setzentwurf über die allgemeine Landesverwal-
tungspflege ersehen.184 Beck stellte darin die Grund-
sätze des Rechtsstaates in den Vordergrund, die
durch die Verfassung verwirklicht wurden und «an
Stelle des Grundsatzes des Polizeistaates» traten.
Der Polizeistaat, «der der Bevormundungs- und
Glücklichmachungslehre im Staatswesen huldigte»,
war nach Becks Auffassung mit der Aufhebung der
alten Landammannverfassung entstanden.185 Er be-
merkte nämlich, dass «vor der Polizeistaatsperiode,
ungefähr bis um 1720 herum»,... «bei uns der Bür-
ger seine Rechte gegenüber der Verwaltung auf dem
Rechtsweg geltend machen» konnte.186 Mit der
Schaffung eines Verwaltungsgerichtshofes187 wurde
an diese ältere Tradition angeknüpft und eine der
wichtigsten Forderungen des Rechtsstaates er-
füllt.188
In seinem Kommissionsbericht nannte Beck noch
einen weiteren leitenden Gesichtspunkt seiner Ar-
beit: Der Gesetzentwurf wollte «in erster Linie den
liechtensteinischen Verwaltungseigentümlichkeiten
und Einrichtungen gerecht werden», und «bei der
Formulierung wurde auf möglichst leichte Lesbar-
keit des Textes getrachtet, so dass auch ein Nicht-
rechtskundiger das Gelesene soll verstehen können.
Die Vorlage wollte zudem manche in der früheren
liechtensteinischen Rechtssprache bekannte Aus-
drücke in neuer Fassung zu Ehren ziehen (z. B.
Kundschaft, Trölerei, Fürsprech, Landsnöte, Lands-
rettung) und dadurch enthält die Fassung in man-
chen Ausdrücken eine lokale Färbung».189 Wilhelm
Beck umschrieb mit der Intention der Verständlich-
keit des Gesetzestextes und dessen Nähe zur Spra-
che des Volkes eine wesentliche Voraussetzung zu
dessen Beteiligung an der Rechtsprechung.
Gerichtsorganisation in der Folge
der Verfassung von 1921
Im Folgenden soll die durch die Verfassung von
1921190 vorgeschriebene Gerichtsorganisation mit
ihrer Beteiligung von Laien an der Rechtsprechung
umschrieben werden. Insbesondere an der Art und
dem Mass der Laienbeteiligung hat sich daran bis
heute im Wesentlichen nichts mehr geändert. Die
«gesamte Gerichtsbarkeit» wurde «im Aufträge des
Landesfürsten durch verpflichtete Richter ausge-
übt».191 Alle Gerichte wurden ins Land verlegt und
die kollegialen Behörden mehrheitlich mit Liechten-
steinern besetzt.192 In erster Instanz wurde in bür-
gerlichen Rechtssachen die Gerichtsbarkeit durch
Einzelrichter, in Strafsachen «beim Landgerichte
von diesem, allenfalls vom Schöffengerichte und
vom Kriminalgerichte ausgeübt».193 Das Berufsrich-
tertum war auf die in der ersten Instanz beim Land-
gericht tätigen Einzelrichter konzentriert. Das Ober-
gericht und der Oberste Gerichtshof wurden als Kol-
legialgerichte bestimmt, «deren Mitglieder vom
Landesfürsten einvernehmlich mit dem Landtage
über dessen Vorschlag ernannt» wurden.194
78
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
Die als Gerichtshof des öffentlichen Rechts neu
errichtete Verwaltungsbeschwerdeinstanz bestand
«aus einem vom Landesfürsten über Vorschlag des
Landtages ernannten rechtskundigen Vorsitzenden
und zwei vom Landtag aus der wahlfähigen Bevöl-
kerung des Landes gewählten Rekursrichtern mit
ebenso vielen Stellvertretern».181 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191 192 193 194 195 Per Gesetz wurde
ergänzend festgelegt, dass die Mitglieder der Ver-
waltungsbeschwerdeinstanz gleichzeitig auch Mit-
glieder des Obergerichts sein konnten, und als Er-
satzmitglieder der Beschwerdeinstanz wurden die
Ersatzrichter des Obergerichts bezeichnet.196 Sämt-
liche Richter in der Verwaltungsbeschwerdeinstanz
waren nebenberuflich tätig. Seit 1949 umfasste die
Verwaltungsbeschwerdeinstanz fünf Mitglieder.
Zum rechtskundigen Vorsitzenden und dessen Stell-
vertreter kamen vier Liechtensteiner Rekursrichter
und deren Stellvertreter.197
Der von der Verfassung als Gerichtshof des öf-
fentlichen Rechts bestimmte und neu zu errichtende
Staatsgerichtshof bestand aus einem Präsidenten
und vier weiteren Stimmführern». Der Gerichtshof
war mehrheitlich mit gebürtigen Liechtensteinern
zu besetzen. Seine Mitglieder wurden vom Landtag
gewählt. Zwei Mitglieder mussten rechtskundig
sein. Allein «die Wahl des Präsidenten, der ein ge-
bürtiger Liechtensteiner sein» musste, unterlag
«der landesfürstlichen Bestätigung.198 Der Staatsge-
richtshof wurde mit Gesetz vom 5. November 1925
errichtet und ausgestaltet.199 Ergänzend bestimmte
das Gesetz, dass dieser «aus dem Präsidenten, sei-
nem Stellvertreter, vier weiteren Mitgliedern und ih-
ren Stellvertretern, welche alle im Nebenamt tätig
sind», zu bestehen hatte. «Der Präsident, der Vize-
präsident, zwei weitere Mitglieder und ihre Stellver-
treter» mussten «gebürtige Liechtensteiner, min-
destens zwei Mitglieder und ihre Stellvertreter»
mussten «rechtskundig sein».200 Die Mitglieder des
Staatsgerichtshofes und ihre Stellvertreter wurden
vom Landtag auf die Dauer von fünf Jahren gewählt.
Die Wahl des Präsidenten und seines Stellvertreters
bedurfte zu ihrer Gültigkeit der Bestätigung durch
den Landesfürsten.201 Alle Mitglieder des Staatsge-
richtshofes waren nebenamtlich tätig.
Das Gerichtsorganisationsgesetz vom 7. April
1922202 entsprach der verfassungsrechtlichen An-
ordnung, dass die gesamte Gerichtsbarkeit im Auf-
träge des Landesfürsten im Lande selbst durch ver-
pflichtete vom Landtag gewählte und vom Fürsten
ernannte Richter ausgeübt werden sollte. Das Ge-
setz bestimmte, dass bei allen in Kollegien tätigen
181) Ebenda, S. 8 f.
182) Ebenda, S. 21.
183) Vgl. oben, S. 53 f.
184) Beck, Kommissionsbericht.
185) Ebenda, S. 1.
186) Ebenda, S. 2.
187) Gemeint ist wohl die Errichtung einer unabhängigen Verwal-
tungsbeschwerde-Instanz gemäss Art. 97 der Verfassung vom 5. Ok-
tober 1921 (LGB1. 1921, Nr. 15). Beck verweist irrtümlich auf Art.
104 der Verfassung mit Bestimmungen über den Staatsgerichtshof.
Vgl. auch Gesetz vom 21. April 1922 über die allgemeine Landesver-
waltungspflege (LGB1. 1922, Nr. 24), Art. 1 und 3.
188) Beck, Kommissionsbericht, S. 2 f.
189) Ebenda, S. 4.
190) Verfassung des Fürstentums Liechtenstein vom 5. Oktober 1921
(LGB1. 1921, Nr. 15).
191) Ebenda, Art. 99.
192) Ebenda, Art. 108.
193) Ebenda, Art. 102 Abs. 4.
194) Ebenda, Art. 102 Abs. 3.
195) Ebenda, Art. 97.
196) Gesetz vom 21. April 1922 über die allgemeine Landesverwal-
tungspflege (LGB1. 1922, Nr. 24), Art. 1, Abs. 3 und 4.
197) Verfassungsgesetz vom 18. Juni 1949 betreffend die Abände-
rung von Art. 97 der Verfassung vom 5. Oktober 1921 und des Art. 1
Abs. 4 des Gesetzes über die Allgemeine Landesverwaltungspflege
vom 21. April 1922 (LGB1. 1949, Nr. 11).
198) Ebenda, Art. 105.
199) Gesetz vom 5. November 1925 über den Staatsgerichtshof
(LGB1. 1925, Nr. 8).
200) Ebenda, Art. 2.
201) Ebenda, Art. 4.
202) Gerichtsorganisations-Gesetz vom 7. April 1922 (LGB1. 1922,
Nr. 16).
79
Gerichten die Mehrheit der Richter und Ersatzrich-
ter liechtensteinische Staatsbürger sein mussten.203
In bürgerlichen Rechtssachen hatte in erster In-
stanz das Landgericht durch Einzelrichter zu ent-
scheiden.204 In Strafsachen war im Verfahren wegen
Übertretungen ebenfalls eine Einzelrichterbeset-
zung vorgesehen, bei strengeren Strafandrohungen
war jedoch schon in erster Instanz ein Kollegium zu-
ständig, im Verfahren wegen Vergehen in Form des
Schöffengerichts, im Verfahren wegen Verbrechen
in Form des Kriminalgerichts. Das Schöffengericht
bestand aus einem Dreiersenat, dem Landrichter
als Vorsitzenden und zwei Schöffen sowie drei Er-
satzschöffen, das Kriminalgericht aus einem Fün-
fersenat, bestehend aus einem Präsidenten, einem
Stellvertreter, dem Landrichter, drei weiteren Krimi-
nalrichtern und zwei Ersatzrichtern. Der Präsident,
dessen Stellvertreter und die weiteren drei Krimi-
nalrichter wurden vom Landtag gewählt. Die drei
Kriminalrichter wurden aus den Schöffen bzw. Er-
satzschöffen entnommen. Die anderen Schöffen
bzw. Ersatzschöffen waren Ersatzrichter der Krimi-
nalrichter. Jeder wahlfähige Bürger war verpflich-
tet, eine auf ihn fallende Wahl als Richter anzuneh-
men. Das «Amt eines Kriminal- und Schöffenrich-
ters» wurde «daher als ein Amt angesehen».205
Das Obergericht als zweite Instanz hatte sowohl
in Zivil- als auch Strafsachen bis 1934206 in einem
Dreiersenat, danach in einem Fünfersenat zu ent-
scheiden, der Oberste Gerichtshof als dritte Instanz
entschied in einem Fünfersenat. Für das Oberge-
richt wurden, einvernehmlich mit dem Landtag und
auf dessen Vorschlag vom Landesfürsten ein Vorsit-
zender, dessen Stellvertreter, sowie vier Oberrichter
nebst ebenso vielen Ersatzrichtern auf die Dauer
von vier Jahren ernannt. Je einer von den Oberrich-
tern und den Ersatzrichtern musste rechtskundig
sein. Bei der Auswahl der Oberrichter und der Er-
satzrichter war «darauf Bedacht zu nehmen, dass
die beiden Landschaften und gleichzeitig der Stand
der Bauern, Gewerbetreibenden, Arbeiter, der Kauf-
leute und der Erzieher vertreten sind». Die Mitglie-
der des Obersten Gerichtshofs (Präsident, sein Stell-
vertreter, vier Richter und vier Ersatzrichter) wur-
den in gleicher Weise wie für das Obergericht be-
stellt. Der Landtag übte sein Vorschlagsrecht in
Form der geheimen Wahl mit absolutem Mehr aus.
Dabei war zu beachten, dass mindestens die Mehr-
heit der Richter und Ersatzrichter Staatsbürger sein
mussten.207 Die Geschäfte des Obergerichts wurden
1973 auf zwei208, 2002 auf drei Senate209 von jeweils
fünf Richtern verteilt.
Richterbestellung
Hinsichtlich der Richterbestellung wurde für bür-
gerliche Rechtssachen und Strafsachen eine unter-
schiedliche Regelung getroffen. Zur Bestellung der
in bürgerlichen Rechtssachen tätig werdenden
Richter aller drei Instanzen war das Zusammenwir-
ken von Fürst und Volk erforderlich. Das Recht zur
Wahl der Richter lag beim Landtag, das Recht zu de-
ren Ernennung beim Fürsten. Die Organisation der
Strafgerichte erster Instanz wurde hingegen anders
geregelt. Im Gegensatz zu den Landrichtern und den
Mitgliedern des Obergerichts und des Obersten Ge-
richtshofs wurden die Richter des Kriminal- und des
Schöffengerichts, mit Ausnahme des darin von Ge-
setzes wegen tätigen Landrichters, vom Landtag ge-
wählt. Sie bedurften zu ihrer gesetzmässigen Bestel-
lung weder der Ernennung noch einer Bestätigung
durch den Landesfürsten. «Die Durchbrechung des
Prinzips der Mitwirkung von Fürst und Volksvertre-
tung zur Richterbestellung bei Kriminal- und Schöf-
fengericht zu Gunsten der Alleinbestellung durch
das Parlament» war «die folgerichtige Weiterent-
wicklung des seit der Strafprozessnovelle von 1881
bestehenden Rechtes des Landtags, die Laienrichter
(Schöffen) zu wählen.»210
Im Bestellungsvorgang und in der neu festgeleg-
ten Laienmehrheit in den beiden genannten Straf-
gerichten kamen die verstärkten Mitwirkungsrechte
des Volkes an der Gerichtsbarkeit deutlich zum Aus-
druck. Es gab nun kein liechtensteinisches Gericht
mehr, in dem nicht mindestens ein vom Parlament
gewählter und über dessen Vorschlag vom Fürsten
ernannter Richter Einsitz hatte. Der Grundsatz der
Landesverfassung, wonach die Staatsgewalt im
Fürsten und Volke verankert ist (Art. 2), galt wesent-
lich auch für die Gerichtsbarkeit: «Fürst und Volk,
letzteres vertreten durch seine gewählten Landtags-
80
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
abgeordneten, wirken bei der Besetzung der Gerich-
te zusammen.»203 204 205 206 207 208 209 210 211
«Zu Verhandlungen von längerer Dauer» konn-
ten vom Vorsitzenden eines kollegialen Gerichtes
Ergänzungsrichter zugezogen werden, die an der
Verhandlung teilnahmen und «im Falle der Verhin-
derung eines Richters einzutreten» hatten. «Wie bei
kollegialen Gerichten zur Beurteilung einer Rechts-
sache Berufskenntnisse (aus der Landwirtschaft,
dem Gewerbe, Handel, den Arbeitsverhältnissen
oder dem Erziehungswesen) wünschbar» waren,
sollte «der Vorsitzende im Einvernehmen mit den
ständigen Richtern an Stelle eines der gewählten,
sonst regelmässig amtierenden Richters, sofern
nicht einem solchen Richter diese Berufskenntnisse
zukommen, einen hiezu geeigneten Ersatzrichter
einberufen, der dann alle auf die betreffende Ge-
richtssession angesetzten Fälle mitentscheidet!»212
Anpassungen in der Strafprozessordnung
Auch die Strafprozessordnung wurde den Vorschrif-
ten der Verfassung von 1921 angepasst und im Kri-
minalgerichtskollegium die Laienmehrheit durch
drei Kriminalrichter gegenüber zwei rechtskundi-
gen Richtern statuiert. Der erforderliche Beizug von
Gerichtszeugen blieb gleich geregelt wie bis anhin.
An ein besonderes Auswahl- und Bestellungsver-
fahren für die Gerichtszeugen, wie es mit der Straf-
prozessnovelle von 1881 eingeführt worden war,
war nicht mehr gedacht. In der Schlussverhandlung
fand keine Auslosung der Schöffen mehr statt, son-
dern es nahmen an der Verhandlung die gemäss Ge-
richtsorganisationsgesetz bestimmten Laienrichter
teil.213
Richterwahlen
Am 26. April 1922 nahm der Landtag erstmals auf
Grund der neu geschaffenen Rechtsordnung die
Richterwahlen vor.214 In den Kriminalgerichtshof
wurden drei liechtensteinische Laienrichter und als
rechtskundige Mitglieder ein Schweizer als Präsi-
dent, ein Österreicher als dessen Stellvertreter und
der Landrichter gewählt. Als Ersatzrichter wurden
ein rechtskundiger Österreicher und zwei liechten-
steinische Laien gewählt. Vorsitzender des Schöf-
fengerichts wurde der Landrichter, sein Stellvertre-
ter der als rechtskundiger Ersatzrichter für das Kri-
minalgericht gewählte Österreicher. Die beiden als
Ersatzrichter für das Kriminalgericht gewählten
liechtensteinischen Laien wurden als Richter ins
Schöffengericht gewählt und zu Ersatzrichtern für
das Schöffengericht die «übrigen Richter vom Kri-
minalgericht» bestimmt. Das Obergericht wurde mit
einem rechtskundigen Österreicher als Vorsitzen-
dem, einem rechtskundigen Schweizer als dessen
Stellvertreter und je zwei Liechtensteiner Laien als
Richtern resp. Ersatzrichtern bestellt. Als Mitglieder
des Obersten Gerichtshofs wurden neben je vier
liechtensteinischen Laien als Richter resp. Ersatz-
richter ein rechtskundiger Schweizer215 als Vorsit-
zender und ein rechtskundiger Österreicher als des-
sen Stellvertreter gewählt. In die Verwaltungsbe-
schwerdeinstanz wählte der Landtag rechtskundige
203) Ebenda, § 2 Abs. 6.
204) Ebenda, § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1.
205) Ebenda, § 1 Abs. 2, § 4 und § 21.
206) Gesetz vom 12. Juli 1934 betreffend die Abänderung des
Gerichts-Organisationsgesetzes vom 7. April 1922 (LGB1. 1934,
Nr. 8), Art 1.
207) Gerichtsorganisations-Gesetz vom 7. April 1922 (LGB1. 1922,
Nr. 16), § 1 Abs. 2, § 2, § 5.
208) Gesetz vom 28. November 1972 über die Abänderung des
Gerichtsorganisationsgesetzes (LGB1. 1973, Nr. 1), Art. 2.
209) Gesetz vom 18. April 2002 über die Abänderung des Gerichts-
organisationsgesetzes (LGB1. 2002, Nr. 70).
210) Oehry, Fürst und Volk, S. 146.
211) Ebenda.
212) Gerichtsorganisations-Gesetz vom 7. April 1922 (LGB1. 1922,
Nr. 16), § 7.
213) Gesetz vom 7. April 1922 betreffend Abänderung der Strafpro-
zessordnung vom 31. Dezember 1913 (LGB1. 1922, Nr. 17), § 169,
§181 und 182.
214) LLA Landtagsprotokoll vom 26. April 1922.
215) Es handelte sich dabei um Dr. Emil Beck, den liechtensteini-
schen Gesandten in Bern, der schweizerisch-liechtensteinischer
Doppelbürger war.
81
Schweizer Staatsbürger zum Präsidenten und zu
dessen Stellvertreter sowie zwei liechtensteinische
Laien.216
Entwicklungen seit der Verfassung von 1921
Als der Landtag 1934 das Obergerichtskollegium
von einem Dreier- zu einem Fünfersenat erweiter-
te,217 kam es im Zusammenhang mit einem Beset-
zungsvorschlag für einen Laienrichter zu einer kur-
zen und bei Richterwahlen durchaus unüblichen
Diskussion über dessen Eignung für das Amt. Die
gemachte Äusserung über den Kandidaten, «N. N.
ist nie unter den Leuten zu finden, er hat keine Füh-
lung mit dem Volke und kann kein Volksurteil ha-
ben», illustriert deutlich die Funktion, die die Volks-
vertretung dem Laienrichtertum zumass.218
Bei der Besetzung der Kollegialgerichte bildete
sich aus der im Laufe der Jahrzehnte geübten Praxis
die Tradition, liechtensteinische, österreichische
und schweizerische Juristen in einem ausgewoge-
nen Verhältnis zu berücksichtigen. Beim Schöffen-
gericht und beim später geschaffenen Jugendge-
richt wurde lange Zeit regelmässig ein liechtenstei-
nischer Berufsrichter (Landrichter) zum Vorsitzen-
den ernannt. Die beiden übrigen Mitglieder des Se-
nats waren zwei liechtensteinische Laien. Als
Vorsitzender des ebenfalls in erster Instanz tätigen
Kriminalgerichts kam ein österreichischer Richter
im Nebenamt zum Zuge, daneben als juristisch aus-
gebildeter Beisitzer ein Landrichter sowie drei
liechtensteinische Laien als weitere Beisitzer. Zum
Präsidenten des Obergerichts wurde regelmässig
ein Schweizer Richter gewählt, als Vizepräsident ein
Österreicher. Dazu kamen wiederum drei liechten-
steinische Laien. Nach der Bildung eines zweiten
Senats übernahm dort jeweils der österreichische
Vizepräsident den Vorsitz. Beim Obersten Gerichts-
hof war jeweils ein Österreicher Präsident. Als juris-
tisch ausgebildeter Beisitzer fungierte ein Schwei-
zer Richter. Dazu kamen wiederum drei liechten-
steinische Laienbeisitzer.
Bis auf Einzelrichter beim Landgericht und aus-
ser dem Präsidenten des Obergerichts (seit 1984)219
waren bis heute alle Richter in den Kollegialgerich-
ten im Nebenamt tätig.
Schaffung eines Jugendgerichts
Mit der Verfassungsnovelle vom 23. Dezember
1958220 wurde in erster Instanz im Bereich der
Strafrechtspflege auch noch ein Jugendgericht als
Dreiersenat geschaffen, das wie das Schöffengericht
aus einem Landrichter als Vorsitzendem und zwei
Laienrichtern bestand. Liechtenstein erhielt damit,
nachdem ein älteres Gesetzesvorhaben 1945/46
nicht umgesetzt worden war, erstmals ein eigenes
Verfahren in Jugendstrafsachen.221 Die Zusammen-
setzung des Gerichtskörpers und der Vorgang zu
dessen Bestellung gaben Jahre später u. a. auch An-
lass zu grundsätzlichen Diskussionen über das Lai-
enrichtertum und führten zu entsprechenden ge-
setzlichen Änderungen.
Die getroffene Besetzungslösung des Jugendge-
richts wurde zumindest als nicht ganz zweckmäs-
sig, wenn nicht gar als verfassungswidrig erachtet.
Das Jugendgericht setzte sich nämlich aus dem
Landrichter als Vorsitzendem und zwei Mitgliedern
des Jugendrats zusammen. Letztere gelangten Kraft
des Gesetzes und ohne eigene Bestellung in ihr Rich-
teramt. Die zwei ältesten Mitglieder des Jugendrats
waren als ordentliche, die übrigen drei als Ersatz-
richter bestimmt.222 Es war also der Geburtsschein
dafür massgebend, welche Mitglieder des Jugend-
rats Jugendrichter und welche Ersatzrichter waren.
Der Gesetzesentwurf von 1946 hatte eine fallweise
Einberufung von zwei Mitgliedern einer Jugend-
schutzkommission in das Jugendgericht vorgese-
hen. «Unter Berücksichtigung der Beschaffenheit
des zu beurteilenden Straffalles» hätten ein Geistli-
cher oder Lehrer, ein Arzt, eine mit dem Milieu des
beklagten Jugendlichen gut vertraute Person, sowie
auch eine Frau als Jugendrichter einberufen wer-
den sollen.223
Das Jugendgerichtsgesetz von 1987 brachte eine
detaillierte materiell- und verfahrensrechtliche Re-
gelung für Jugendstrafsachen, änderte hingegen
nichts an der Zusammensetzung und der Bestellung
des Jugendgerichts.224 Letzteres gab Anlass zu ver-
schiedener Kritik.225 Die Vereinigung Liechtenstei-
nischer Richter bezeichnete in einer Eingabe an die
Regierung die geltende Bestellung der Laienbeisit-
zer im Jugendgericht als verfassungswidrig.226 Die
82
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
Regierung erkannte in ihrer Antwort an die Richter-
vereinigung zwar eine Sonderstellung des Jugend-
gerichts insoweit, «als die einzelnen Richter nicht
persönlich bestellt bzw. gewählt» würden und im
Gerichtsorganisationsgesetz die «speziellen Voraus-
setzungen für die Bestellung der Jugendrichter (Mit-
gliedschaft im Jugendrat, Alter) umschrieben» sei-
en. Es erfolge keine eigentliche Bestellung durch die
Regierung. Der Landtag habe «diese Art der Bestel-
lung des Jugendgerichtes ausdrücklich gesetzlich
verankert und somit im weitesten Sinne bei der Be-
stellung der Jugendrichter <mitgewirkt>», und es lie-
ge keine Rechtswidrigkeit in der Bestellung vor. Die
Regierung teile auch nicht die im Schreiben der
Richtervereinigung dargelegte Rechtsansicht, «wo-
nach die Zuständigkeit bei der Wahl bzw. Bestellung
von Richtern eine Frage des verfassungsmässigen
Grundsatzes der Gewaltentrennung» sei. Es sei
«rechtlich nicht zulässig, diesen Grundsatz dahinge-
hend interpretieren zu wollen, dass die Jugendrich-
ter vom Landtag gewählt werden müssen», hielt die
Regierung abschliessend fest.216 217 218 219 220 221 222 223 224 225 226 227
Eine weitere Kritik an der Besetzungslösung des
Jugendgerichts erfolgte durch ein ehemaliges Mit-
glied des Jugendrats, das auch als Jugendrichterin
gewirkt hatte.228 Der Umstand, dass «der Jugendrat
einerseits Massnahmen der freiwilligen Einzelhilfe
anordnen und beim Landgericht Antrag auf Anord-
nung von Massnahmen der gesetzlichen Einzelhilfe
stellen» könne, andererseits Mitglieder des Jugend-
rats «als Jugendrichter zum Teil wieder über diesel-
ben Jugendlichen zu Gericht zu sitzen» hätten, wur-
de «aus eigener Erfahrung als sehr schlecht» beur-
teilt. «Mitglieder des Jugendrates sollten künftig
nicht mehr in das Jugendgericht bestellt werden
können. Dies betreffe vor allem auch den Leiter des
Jugendamtes, welcher durch seine gleichzeitige Tä-
tigkeit beim Jugendgericht und im Jugendrat ver-
schiedenen Interessenskonflikten ausgesetzt sei.»
Weiter wurde vorgeschlagen, bei der künftigen Zu-
sammensetzung des Jugendgerichts darauf zu ach-
ten, dass auch Frauen entsprechend vertreten sei-
en. Schliesslich sollte der Schulung der Laienrichter
in Zukunft ein besonderes Augenmerk geschenkt
werden.
Das erwähnte Anliegen wurde von Landtagsab-
geordneten aufgenommen und der Regierung in ei-
nem Postulat zur Beantwortung übertragen.229 Das
216) Zum Präsidenten der Verwaltungsbeschwerdeinstanz wählte
der Landtag 1922 Dr. Brügger, zu dessen Stellvertreter Dr. Hobi,
beide Schweizer Staatsbürger, sowie die liechtensteinischen Laien-
richter Anton Walser und Wilhelm Fehr (Landtagssitzung vom
26. April 1922).
217) Gesetz vom 12. Juli 1934 betreffend die Abänderung des
Gerichts-Organisationsgesetzes vom 7. April 1922 (LGB1. 1934,
Nr. 8), Art 1.
218) LLA Landtagsprotokoll vom 5. Juli 1934.
219) Lic. iur. Max Bizozzero ist seit 1. Januar 1984 erster vollamtli-
cher Präsident des Obergerichts (Auskunft Regierungssekretär
Norbert Hemmerle, 22. August 2008).
220) Verfassungsgesetz vom 23. Dezember 1958 (LGB1. 1959, Nr. 7);
Gesetz über den Schutz und die Wohlfahrt der Jugend (Jugendge-
setz) vom 23. Dezember 1958 (LGB1. 1959, Nr. 8); Gesetz vom 28.
November 1972 über die Abänderung des Gerichtsorganisationsge-
setzes (LGB1. 1973, Nr. 1), Art. 1 und 3.
221) LLA RF 236/72/34: Gesetzesentwurf und Motivenbericht
betreffend Jugendschutz und Jugendgerichtsbarkeit vom 1. Februar
1946.
222) Gesetz über den Schutz und die Wohlfahrt der Jugend (Jugend-
gesetz) vom 23. Dezember 1958 (LGB1. 1959, Nr. 8), Art. 28.
223) LLA RF 236/72/34: Gesetzesentwurf und Motivenbericht
betreffend Jugendschutz und Jugendgerichtsbarkeit vom 1. Februar
1946, S. 26 f.
224) LLA L 1 (1985): Bericht und Antrag der Regierung an den
Landtag zur Schaffung eines Jugendgerichtsgesetzes (JGG) vom
7. November 1984, S. 11 f.; Jugendgerichtsgesetz vom 27. Mai 1987
(LGB1. 1988, Nr. 39), § 11 und 13.
225) Vgl. dazu Oehry, Fürst und Volk, S. 146; Waschkuhn, Justiz-
rechtsordnung, S. 39 f. - Oehry erachtete es als konsequenter und
dem Grundsatz der Gewaltentrennung entsprechend, wenn die
Jugendrichter vom Landtag gewählt würden.
226) LLA RF 333/ 104. Schreiben der Vereinigung Liechtensteini-
scher Richter an die Regierung, 10. April 1987. - In der Begründung
wird auf Oehry, Fürst und Volk, S. 145 f. verwiesen.
227) LLA RF 333/ 104. Schreiben der Regierung an die Vereinigung
Liechtensteinischer Richter, 6. Mai 1987. - Die Regierung stützte ihre
Argumentation auf eine rechtliche Begutachtung betr. verfassungs-
widriger Bestellung der Laienrichter im Jugendgericht durch den
Rechtsdienst, 23. April 1987.
228) LLA RF 333/104. Amtsvermerk über eine Vorsprache von Frau
Erika Amann-Quaderer am 15. Dezember 1987.
229) LLA Landtagsakten: Postulat vom 6. April 1988, der Regierung
in der Landtagssitzung vom 25. Mai 1988 überwiesen.
83
Jugendamt sah zwar in der geltenden Regelung
auch gewisse Vorteile, bejahte aber schliesslich eine
Entflechtung von Funktionen des Jugendamts und
Jugendrats einerseits und des Jugendgerichts ande-
rerseits.230 Ein von der Regierung eingeholtes Gut-
achten erachtete die gegen die bestehende Verflech-
tung vorgebrachten Bedenken als begründet und
schlug vor, das Gerichtsorganisationsgesetz in An-
lehnung an das österreichische Jugendgerichtsge-
setz zu ändern.231 Mit ihrer Gesetzesvorlage trug die
Regierung verfassungsrechtlichen Bedenken Rech-
nung und präsentierte «eine den rechtsstaatlichen
Grundsätzen entsprechende Funktionsentflech-
tung».232 Der Landtag genehmigte die vorgeschlage-
ne Organisation des Jugendgerichts.233 Es war wie
bisher als Dreiersenat unter dem Vorsitz eines
Landrichters ausgestaltet und «nur dann ordnungs-
gemäss besetzt, wenn mindestens ein Schöffe dem
Geschlecht des Angeklagten angehört». Seine Mit-
glieder wurden wie diejenigen des Schöffen- und
Kriminalgerichts vom Landtag gewählt. Sie sollten
«die erforderlichen pädagogischen Kenntnisse und
Fähigkeiten aufweisen sowie über Erfahrungen auf
dem Gebiete der Jugendwohlfahrt, der Jugendbe-
treuung und allenfalls der Psychologie und Sozialar-
beit verfügen» und durften «nicht beim Jugendamt
tätig sein».234
Die 1988 neu geschaffene Strafprozessord-
nung235 enthielt auch Bestimmungen über die mit
der Ausübung der Strafgerichtsbarkeit befassten
Gerichte. Sie änderte nichts an der Art und Einrich-
tung der Gerichte, regelte jedoch ihre sachliche Zu-
ständigkeit im Einzelnen. Das Gerichtsorganisati-
onsgesetz hatte keine genauen Zuständigkeitsbe-
stimmungen getroffen und die bis dahin geltende
Strafprozessordnung enthielt darüber nur kursori-
sche Aussagen. Sie fanden sich an verschiedenen
Stellen, so dass die Regelung der sachlichen Zustän-
digkeit sehr unübersichtlich war. Die neue Strafpro-
zessordnung enthielt eine allgemeine Aufzählung
der zur Ausübung der Gerichtsbarkeit in Strafsa-
chen berufenen Gerichte. Das Jugendgericht war in
diesen Katalog nicht aufgenommen worden, weil
dafür durch das neue Jugendgerichtsgesetz bereits
eine Sonderregelung getroffen worden war.236
Sicherung des Schöffengerichts
und Ausbildung der Laienrichter
Mit der Zuständigkeitsregelung für das Schöffenge-
richt verfolgte die Regierung u. a. das Ziel, die Insti-
tution des Schöffengerichts zu erhalten. Dieses hat-
te, seitdem aufgrund einer Verfahrensänderung
1972237 auch der Einzelrichter in Vergehenssachen
judizieren durfte, kaum noch über Kompetenz ver-
fügt. Es erschien der Regierung angezeigt, «die In-
stitution des Schöffengerichtes ... zu erhalten, zu-
mal da sich die Einbeziehung von Laien in die Kolle-
gialgerichtsbarkeit als besonders bürgernah und ef-
fektiv erwiesen hat». «Nach sorgfältiger Prüfung des
Tatbestandkataloges des StGB» stattete sie das
Schöffengericht mit neuen Zuständigkeiten aus und
wählte dazu Vergehen aus, «für die einerseits eine
besondere Sensibilisierung der Öffentlichkeit be-
steht und andererseits ein nützlicher Beitrag von
Laienrichtern erwartet werden kann».238 In den Zu-
ständigkeitskatalog des Schöffengerichts wurden
daher «alle fahrlässigen Tötungsdelikte, die öffentli-
che Beleidigung des Landtages, der Regierung oder
einer anderen öffentlichen Behörde, die fahrlässige
Herbeiführung von Gemeingefahren mit qualifizier-
ten Folgen, die Umweltschädigungen, die Störungen
des religiösen Friedens und der Ruhe der Toten, De-
likte zum Nachteil des Staates und seiner Organe,
des öffentlichen Friedens, der öffentlichen Ordnung,
Verletzungen von Amtspflichten u.ä.m. aufgenom-
men.» Der Katalog dieser Zuweisungen war mit 40
Positionen verhältnismässig lang. Es handelte sich
aber nach Auffassung der Regierung um Delikte, die
nicht häufig abgeurteilt werden müssten. Sie erhoff-
te sich, damit die Zukunft des Schöffengerichts zwar
gesichert, aber dennoch nicht überlastet zu ha-
ben.239
Die neue Strafprozessordnung behielt neben den
Schöffen auch die Gerichtszeugen als weitere Form
der Laienbeteiligung an der Gerichtsbarkeit bei. Die
Zuziehung von Gerichtszeugen war erforderlich
«bei der Vornahme eines Augenscheines, bei der
Haus- und Personsdurchsuchung und bei der Ver-
nehmung des Beschuldigten, wenn er es ver-
langt».240 Es blieb wie bis anhin allgemeine Bürger-
pflicht, sich als Gerichtszeuge bei Untersuchungs-
84
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
handlungen verwenden zu lassen. Die Pflicht betraf
zunächst die Bewohner jener Gemeinde, in der die
Untersuchungshandlung vorgenommen wurde.230 231 232 233 234 235 236 237 238 239 240 241
Die Gerichtszeugen waren vom Untersuchungsrich-
ter zu bestimmen.242
Das Landtagspostulat von 1988 nach einer Ände-
rung der Besetzung des Jugendgerichts enthielt
auch die Forderung nach einer verbesserten Ein-
führung der Laienrichter in ihre richterliche Tätig-
keit.243 Der Landtag befasste sich 1990 im Zusam-
menhang mit der Änderung des Gerichtsorganisati-
onsgesetzes mit dieser Thematik.244 Auf eine ent-
sprechende Nachfrage der Postulanten nahm die
Regierung Rücksprache beim Präsidenten des Ober-
gerichts. Das Ergebnis wurde in einem Schreiben an
den Landtag mitgeteilt. Demnach hatte die Frage in-
nerhalb der Richtervereinigung schon mehrmals
zur Diskussion gestanden. Es hatten verschiedent-
lich Vorträge für Laienrichter stattgefunden. Das In-
teresse der Laienrichter an einer Ausbildung war
sehr unterschiedlich. Neue Richter wurden durch
die Gerichtsvorsitzenden in ihre Tätigkeit einge-
führt, juristische Fragen nach Gerichtssitzungen
diskutiert. Darüber hinaus hatte es keine weitere
Ausbildung der Laienrichter gegeben. Die Richter-
vereinigung war jedoch bereit, eine sinnvolle Aus-
bildung zu fördern.245
Diese Information an den Landtag nahm ein Ab-
geordneter zum Anlass, einige Gedanken zum Lai-
enrichtertum zu äussern.246 Der Abgeordnete hatte
als Laienrichter am Obersten Gerichtshof über eini-
ge Jahre persönliche Erfahrungen machen können
und mit einer Gruppe von Laienrichtern verschiede-
ne Anliegen in die 1979 gegründete Vereinigung
Liechtensteinischer Richter zur Behandlung einge-
bracht. Er informierte über eine Besprechung in-
nerhalb der Vereinigung zum Thema «Funktion, Tä-
tigkeit und Stellung der Laienrichter im Fürstentum
Liechtenstein» und über eine in der Folge dazu ab-
gehaltene Reihe von sieben Vorträgen zu verschie-
denen Rechtsthemen. Dabei wäre allerdings «über
die zentralen Anliegen wie Sinn und Zweck des Lai-
enrichterauftrages und die damit zusammenhän-
genden Fragen nicht reflektiert» worden. «Nebst
den Freuden und der Befriedigung, die es für den
Laienrichter geben» könne, existiere aber «ein brei-
tes Spektrum von Unbehagen. Angefangen an der
Kompetenz der eigenen Person in dieser Stellung,
Verunsicherung durch die faktische, nicht formale
Bedeutung des Laienrichteramtes, bis hin zu Zwei-
feln am System». «Die Komplexitätsdichte der
Rechtsmaterie» nehme in der Hierarchie der Ge-
richte zu, der unmittelbare Umgang mit Menschen
ab. Der Abgeordnete hatte Auskünfte über Arbeits-
230) LLA RF 344/72/76. Jugendamt an Regierung, 14. September
1988.
231) LLA RF 344/72/76. Dr. Karl Kohlegger an Regierung, 22. Mai
1990.
232) Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag zur Abände-
rung des Gerichtsorganisationsgesetzes vom 4. Juli 1990 (Nr.
59/1990).
233) LLA Landtagsprotokolle vom 14. Oktober und 20. November
1958. Gesetz vom 24. Oktober 1990 über die Abänderung des
Gerichtsorganisationsgesetzes (LGB1. 1990, Nr. 76).
234) Ebenda, LGB1. 1990, Nr. 76, § 4bis.
235) Strafprozessordnung (StPO) vom 18. Oktober 1988 (LGB1. 1988,
Nr. 62). - Vgl. dazu: Bericht und Antrag der Regierung an den
Landtag zur Schaffung einer Strafprozessordnung (StPO), 31. Mai
1988. (Nr. 22/1988); Waschkuhn, Justizrechtsordnung, S. 46.
236) Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag zur Schaf-
fung einer Strafprozessordnung (StPO), 31. Mai 1988 (Nr. 22/1988).
237) Das Gesetz vom 27. September 1972 betreffend die Abände-
rung der Strafprozessordnung (LGB1. 1972, Nr. 54) führte ein verein-
fachtes Verfahren in Verbrechens- und Vergehensfällen ein und
entlastete so das Schöffen- bzw. Kriminalgericht. - Vgl. auch Bericht
und Antrag der Regierung an den Landtag betreffend die Abände-
rung der Strafprozessordnung vom 16. Juni 1972 (Landtagsprotokoll
Jg. 1972).
238) Ebenda, S. 149.
239) Ebenda S. 149 f.
240) StPO vom 18. Oktober 1988, § 44.
241) Ebenda, § 45.
242) Ebenda, § 46.
243) LLA Landtagsakten LTA 1988/L 12.
244) LLA Landtagsprotokolle, 12. September und 24.Z25. Oktober
1990; Landtagsakten LTA 1990/ L 54.
245) Schreiben Ressort Justiz an Landtag, 8. Oktober 1990.
246) LLA Landtagsprotokoll, 24.Z25. Oktober 1990, S. 1106-1109.
Ausführungen des Abgeordneten Georg Schierscher und von Land-
tagspräsident Karlheinz Ritter.
85
aufwand, Anforderungsprofil, Verhaltenskodex u. a.
vermisst. Er erinnerte an die grosse Verantwortung
der Laienrichter angesichts ihrer Mehrheit in den
Kollegialgerichten. Es wäre «dem Ansehen der Ge-
richte und dem Vertrauen des Volkes in sie zweifels-
frei ein guter Dienst», wenn die Frage der Laienrich-
ter in der ganzen Breite und nicht bloss über Ausbil-
dungskurse behandelt würde, schloss der Abgeord-
nete seine Ausführungen.247 Für den Landtagspräsi-
denten waren in dieser Thematik viele Fragen nicht
beantwortet. Er sah den Hauptgrund für die Bestel-
lung von Laienrichtern darin, «dass ein Kollegialge-
richt nicht ausschliesslich mit Fachkräften besetzt
sein soll,... nicht ausschliesslich mit Juristen, damit
der gesunde Menschenverstand, ... praktische Er-
wägungen, aus dem Leben gegriffene Überlegun-
gen» berücksichtigt würden.248 Dieser Gedanken-
austausch war eine von insgesamt recht seltenen In-
formationen, die sich im Schriftgut der liechtenstei-
nischen Behörden zur Thematik der Laienrichter
gefunden haben.
Im Jahre 2000 wurde das Gerichtsorganisations-
gesetz mit Bezug auf das Kriminalgericht abgeän-
dert.249 Der Geschäftsanfall beim Kriminalgericht
hatte sich wesentlich erhöht, so dass es immer
schwieriger geworden war, bei der vorgegebenen
Gerichtsbesetzung die notwendigen drei Kriminal-
richter (Laien) zu finden. Gerade in Bezug auf die
Einsetzung der Laienrichter hatten sich immer öfter
Probleme ergeben, die auf die starke zeitliche Belas-
tung dieser Personen zurückzuführen waren. Die
Änderung machte es möglich, dass vom Landtag für
den Präsidenten und für die drei Kriminalrichter je
zwei Stellvertreter gewählt werden konnten. Bis da-
hin waren für die drei Kriminalrichter nur zwei Er-
satzrichter vorgesehen. Die Zusammensetzung des
Kriminalgerichts wurde unverändert belassen,
auch die Organisation der Einzelgerichtsbarkeit in
Strafsachen und des Schöffengerichts wurde nicht
berührt. Der bevorstehenden grossen Reform der
Gerichtsorganisation wurde nicht vorgegriffen.250
LAIEN IN KOMMISSIONEN MIT
VERWALTUNGSGERICHTLICHEN FUNKTIONEN
UND IN DER SCHIEDGERICHTSBARKEIT
Bei den Kommissionen mit verwaltungsgerichtli-
chen Funktionen kamen vornehmlich zwei Haupt-
funktionen deutlich zum Tragen, mit denen u. a. die
Mitwirkung von Laien in den ordentlichen Gerich-
ten begründet wird: einerseits das Einbringen von
besonderen Berufs- und Fachkenntnissen, anderer-
seits die Sicherung der Volksnähe, das Einbringen
von Gerechtigkeitsvorstellungen des Volkes sowie
die Stärkung seines Vertrauens in die Justiz und in
den Staat. Die Errichtung dieser Kommissionen
zeigte auch ein gewandeltes Staatsverständnis. Die-
se sind alle erst nach der Verfassung von 1921 ge-
schaffen worden.
Landessteuerkommission
Die 1923 errichtete Landessteuerkommission hatte
Beschwerden gegen Entscheidungen der Gemein-
desteuerkommissionen oder der Steuerverwaltung
zu behandeln. Ihre fünf Mitglieder und drei Ersatz-
männer wurden vom Landtag gewählt. Jede der bei-
den Landschaften Vaduz und Schellenberg musste
in der Kommission durch mindestens zwei Mitglie-
der vertreten sein. Jeder Landesbürger war ver-
pflichtet, eine auf ihn gefallene Wahl anzuneh-
men.251 Das neue Steuergesetz von 1961 enthielt
keine Bestimmung mehr über die Berücksichtigung
der beiden Landschaften, änderte sonst aber nichts
an Funktion und Zusammensetzung der Kommissi-
Landes-Grundverkehrskommission
Die Landes-Grundverkehrskommission wurde 1941
errichtet. Sie bestand aus dem Landrichter als Vor-
sitzendem, einem Vertreter der Regierung und «je
einem Mitgliede des Bauern-, Gewerbe- und Arbei-
terstandes, welche drei vom Landtage auf ein Jahr
gewählt werden». Auch für die Wahl in diese Kom-
mission galt Amtszwang. Die Kommission war zu-
ständig für Beschwerden gegen Entscheidungen der
Gemeinde-Grundverkehrskommissionen.253 1959
änderte sich die Zusammensetzung der Landes-
86
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
Grundverkehrskommission, nicht jedoch ihre Zu-
ständigkeit. Sie bestand nun «aus dem Vorstand des
Landgerichtes bzw. dessen Stellvertreter als Präsi-
denten» und vier weiteren Mitgliedern, die «zusam-
men mit vier Ersatzmitgliedern vom Landtag auf
vier Jahre gewählt» wurden.247 248 249 250 251 252 253 254 1974 wurde die Zahl
der Ersatzmitglieder auf zwei reduziert. Jeweils ein
Landrichter als Präsident und als dessen Stellvertre-
ter waren wie die übrigen Mitglieder vom Landtag
zu wählen.255 1992 wurde das Amt des Präsidenten
und seines Stellvertreters nicht mehr an einen
Landrichter gebunden. Die Inhaber dieser Ämter
mussten aber rechtskundig sein.256
Beschwerdekommission für Boden-
verbesserungen
Die 1981 errichtete Beschwerdekommission für Bo-
denverbesserungen hatte «über Beschwerden ge-
gen Einspracheentscheidungen der Ausführungs-
behörde» zu entscheiden. Sie bestand aus dem Prä-
sidenten und zwei weiteren Mitgliedern sowie zwei
Ersatzmitgliedern, die vom Landtag für eine Amts-
dauer von vier Jahren gewählt wurden.257
Regelungskommission
Die Durchführung von Regelungsverfahren und die
Entscheidung und Wahrnehmung von bestimmten
Angelegenheiten der Bürgergenossenschaften wur-
de 1996 einer Regelungskommission übertragen.
Sie bestand aus einem Landrichter als Präsident
und vier weiteren Mitgliedern, die zusammen mit
zwei Ersatzmitgliedern sowie einem weiteren Land-
richter als Stellvertreter des Präsidenten vom Land-
tag auf vier Jahre gewählt wurden.258
Beschwerdekommission für Verwaltungs-
angelegenheiten
Für Beschwerden gegen Verfügungen und Entschei-
dungen in bestimmten Bereichen des Bauwesens,
des Strassenverkehrs, der Telekommunikation und
des Wohnungswesens wurde 2000 die Beschwerde-
kommission für Verwaltungsangelegenheiten als
zuständig erklärt. Sie setzte sich aus fünf Mitglie-
dern und zwei Ersatzmitgliedern zusammen, die
vom Landtag gewählt wurden. Der Landtag be-
stimmte auch den Präsidenten und Vizepräsiden-
ten, die beide rechtskundig sein mussten.259
Schiedsgericht
Ähnlich bedeutsam wie in den Kommissionen mit
verwaltungsgerichtlichen Funktionen ist die Stel-
lung von Laien im Schiedsgericht. Das Schiedsge-
richtsverfahren hatte seit dem Mittelalter neben den
anderen Gerichtsformen eine wichtige selbständige
Stellung. In ihm waren Laienmitwirkung, Volksnähe
und Volksverbundenheit über die Jahrhunderte hin-
weg besonders ausgeprägt. Der gesetzliche Rahmen
für das schiedsrichterliche Verfahren wurde in der
Zivilprozessordnung von 19 1 2260 und ihren Novel-
len umschrieben.
247) Ebenda, S. 1107 f.
248) Ebenda, S. 1108.
249) Gesetz vom 14. Dezember 2000 über die Abänderung des
Gerichtsorganisationsgesetzes (LGB1. 2001, Nr. 30).
250) Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag über die
Änderung des Gerichtsorganisationsgesetzes mit Bezug auf das
Kriminalgericht, 26. Oktober 2000 (Nr. 118/2000).
251) Steuergesetz vom 11. Januar 1923 (LGB1. 1923, Nr. 2), Art. 2
und Art. 16.
252) Gesetz vom 30. Januar 1961 (LGB1. 1961, Nr. 7) über die
Landes- und Gemeindesteuern (Steuergesetz), Art. 5 und 6.
253) Gesetz vom 31. Januar 1941 über die Veräusserung von
Grundstücken (LGB1. 1941, Nr. 5), Art. 6 und 7.
254) Gesetz vom 2. Dezember 1959 über die Veräusserung von
Grundstücken (Grundverkehrsgesetz), Art. 5.
255) Gesetz vom 13. November 1974 über den Gmndstückserwerb
(Grundverkehrsgesetz), Art. 12.
256) Gmndverkehrsgesetz vom 9. Dezember 1992 (LGB1. 1993, Nr.
49), Art. 12.
257) Gesetz vom 25. November 1981 über Bodenverbesserungen
(LGB1. 1982, Nr. 20), Art. 67 f.
258) Gesetz vom 20. März 1996 über die Bürgergenossenschaften
(LGB1. 1996, Nr. 77), Art. 15 f.
259) Beschwerdekommissionsgesetz vom 25. Oktober 2000 (LGB1.
2000, Nr. 248), Art. 1, 2 und 4.
260) Gesetz vom 10. Dezember 1912 über das gerichtliche Verfahren
in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozessordnung), LGB1.
1912, Nr. 9/1, §§ 594-616.
87
DIE VERFASSUNGSREVISION VON 2003
UND DIE REORGANISATION DES GERICHTS-
WESENS261
Verfassungsrevision von 2003
Das Gerichtswesen wurde durch die Verfassungsre-
vision von 2003262 in verschiedener Hinsicht geän-
dert. Der Bestand an Gerichten und ihre Zusam-
mensetzung, insbesondere die Art und das Mass der
Laienvertretung, blieben jedoch im Wesentlichen
unverändert.263
Die bisherige Verwaltungsbeschwerdeinstanz
wurde neu zum Verwaltungsgerichtshof, der aus
fünf vom Landesfürsten ernannten Richtern und
fünf Ersatzrichtern besteht. Die Mehrheit der Rich-
ter des Verwaltungsgerichtshofes muss rechtskun-
dig sein und das liechtensteinische Landesbürger-
recht besitzen. Die Richter wählen jährlich einen
Vorsitzenden und dessen Stellvertreter.264
Neu wurde für alle Richter ein einheitliches Be-
stellungsverfahren eingeführt. Die Richter werden
vom Landesfürsten ernannt, nachdem sie mit des-
sen Zustimmung dem Landtag zur Wahl empfohlen,
gegebenenfalls in einer Volkswahl bestimmt worden
sind.265 Der Dualismus der in Fürst und Volk veran-
kerten Staatsgewalt und Souveränität wird auch in
der Aussage der Verfassung ausgedrückt, wonach
die gesamte Gerichtsbarkeit «im Namen des Fürs-
ten und des Volkes» ausgeübt und «die Entschei-
dungen der Richter in Urteilsform <im Namen von
Fürst und Volk> erlassen und ausgefertigt» wer-
den.266
Richterbestellung
Aufgrund der Vorgabe der revidierten Verfassung
wurde die Richterbestellung in einem eigenen Ge-
setz neu geregelt267 und das Gerichtsorganisations-
gesetz entsprechend abgeändert.268 Mit der neu or-
ganisierten Auswahl und Bestellung sämtlicher
Richter wurden der Prozess und das Mass der mehr
als hundertjährigen Mitwirkung der Volksvertre-
tung bei der Richterbestellung, insbesondere beim
Schöffen- und Kriminalgericht, neu gewichtet. An-
knüpfend an die alte, gegen den absolutistischen
Staat gerichtete Forderung, dass in der Strafge-
richtsbarkeit die Entscheidung über Leib und Leben
durch vom Volk gewählte Richter seines Vertrauens
getroffen werden sollte, hatte der Landtag seit 1881
Laienrichter in das Kriminal-, seit 1884 auch in das
zusätzlich gebildete Schöffengericht gewählt. Die
Laienrichter waren im Kriminalgericht bis 1921 in
der Minderzahl gewesen, im Schöffengericht waren
von Beginn an zwei Schöffen einem Berufsrichter
(Landrichter) gegenübergestanden. Seit der Ge-
richtsorganisation von 1922 waren mit Ausnahme
des von Gesetzes wegen tätigen Landrichters sämt-
liche Richter für das Kriminal- und Schöffengericht
vom Landtag gewählt worden. Die vom Landtag in
die Strafgerichte gewählten Richter hatten zu ihrer
gesetzmässigen Bestellung keiner Ernennung oder
Bestätigung durch den Landesfürsten bedurft. Sie
waren also ausschliesslich demokratisch legiti-
miert. Im Bereich der Strafrechtspflege war das
Prinzip der Mitwirkung von Fürst und Volk an der
Richterbestellung zu Gunsten der Alleinbestellung
durch den Landtag durchbrochen gewesen.269 Diese
Rechtstradition wurde mit dem auf Grund der Ver-
fassungsrevision von 2003 neu eingerichteten Rich-
terbestellungsverfahren beendet. Die Mitwirkung
des Volkes kommt darin einerseits indirekt durch
den Einsitz von Landtagsabgeordneten in das Rich-
terauswahlgremium und das Wahlrecht des Land-
tags, andererseits durch die vorgesehene Volksab-
stimmung im Falle einer Ablehnung der vom Gremi-
um vorgeschlagenen Kandidaten durch den Land-
tag zur Geltung.270
Gerichtsorganisations- und Richter-
dienstgesetz
Nach der Verfassungsrevision von 2003 befasste
sich die Regierung auch mit einer Reorganisation
der Strukturen der ordentlichen Gerichte. Dabei
wurde an das neue Richterbestellungsverfahren an-
geknüpft. Im Vordergrund standen ein neues Ge-
richtsorganisationsgesetz und der Erlass eines
Richterdienstgesetzes. Unter Beizug eines externen
Experten wurde eine eingehende Organisationsana-
lyse der ordentlichen Gerichte durchgeführt.271 Sie
bildete die Grundlage für die Erarbeitung der ein-
schlägigen Gesetze. Bei der Erstellung der Organisa-
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
tionsanalyse und der Erarbeitung der Gesetzesvor-
lagen für die Gerichtsorganisation, die Richterbe-
stellung und den Richterdienst wurde hinsichtlich
der Zusammensetzung der Gerichte kein besonde-
rer Änderungsbedarf festgestellt. Der Einsatz von
Laienrichtern wurde allerdings tangiert. Die Laien-
beteiligung an der Gerichtsbarkeit an sich hingegen
wurde wie schon im Zusammenhang mit der Verfas-
sungsrevision weder grundsätzlich näher unter-
sucht, noch in irgendeiner Weise in Frage gestellt.261 262 263 264 265 266 267 268 269 270 271 272
Das neue Gerichtsorganisationsgesetz enthält ei-
ne Definition der vollamtlichen und nebenamtlichen
Richter und bestätigt generell die Verpflichtung zur
Besetzung der Kollegialgerichte mit einer Mehrheit
von Richtern mit liechtensteinischer Staatsbürger-
schaft. Für die Zuständigkeiten und Rechtsmittel der
ordentlichen Gerichtsbarkeit hat das Gesetz keinen
Einfluss. Die Zusammensetzung der speziellen
Spruchkörper des Landgerichts (Kriminal-, Schöf-
fen- und Jugendgericht) und des Obergerichts lässt
es unverändert.273 Im Obersten Gerichtshof werden
neu zwei Senate gebildet und in beiden Senaten eine
zwingende Mehrheit von rechtskundigen Mitglie-
dern festgelegt. Begründet wurde die Neuerung da-
mit, dass es in der obersten Rechtsmittelinstanz vor
allem um die Entscheidung von grundsätzlichen
Rechtsfragen gehe.274
Staatsgerichtshof
Auch für den Staatsgerichtshof ergaben sich, ausge-
löst durch die Verfassungsrevision von 2003, gesetz-
liche Änderungen bezüglich Amtsdauer, Bestellung
und Besetzung.275 Dabei stellte sich auch die Frage,
ob die Besetzung des Staatsgerichtshofs mit Laien
den aktuellen Ansprüchen noch gerecht werde. Vor
allem für die Gerichte des öffentlichen Rechts war
schon früher «ein höheres Mass an Professionalisie-
rung und liechtensteinbezogener Rechtskompe-
tenz» gefordert worden.276 Im neuen Staatsgerichts-
hofsgesetz wurde festgelegt, dass der fünfköpfige
Gerichtshof mehrheitlich mit Liechtensteiner und
mit rechtskundigen Richtern besetzt sein musste.277
Da es in Liechtenstein jahrzehntelang nur einen
hauptamtlichen Richter in der Person des einen
Landrichters gegeben und noch bis zu Beginn der
261) Vgl. dazu: Pallinger; Wille, Herbert: Gerichtswesen seit 1921.
Artikel im Historischen Lexikon für das Fürstentum Liechtenstein.
262) Verfassungsgesetz vom 16. März 2003 über die Abänderung
der Verfassung vom 5. Oktober 1921 (LGB1. 2003, Nr. 186).
263) Ebenda, Art. 97, 100, 102, 105.
264) Ebenda, Art. 102.
265) Ebenda, Art. 96.
266) Ebenda, Art. 95 Abs. 1. Siehe auch: Gesetz vom 27. November
2003 über die Abänderung der Zivilprozessordnung (LGB1. 2004,
Nr. 34), § 413.
267) Gesetz vom 26. November 2003 über die Bestellung der Richter
(Richterbestellungsgesetz, RBG), LGB1. 2004, Nr. 30.
268) Gesetz vom 26. November 2003 über die Abänderung des
Gerichtsorganisations-Gesetzes (LGB1. 2004, Nr. 31).
269) Vgl. dazu oben S. 56-65, S. 76 und S. 80 f.; Oehry, Fürst und
Volk, S. 146.
270) Gesetz vom 26. November 2003 über die Bestellung der Richter
(Richterbestellungsgesetz, RBG), LGB1. 2004, Nr. 30, Art. 3 und 11
bis 14.
271) Organisationsanalyse des Fürstlichen Land- und Obergerichts
sowie des Obersten Gerichtshofs. Schlussbericht (Definitive Fas-
sung). Ernst & Young AG, Bern (3. Dezember 2004).
272) Vgl. Organisationsanalyse des Fürstlichen Land- und Oberge-
richts sowie des Obersten Gerichtshofs. Schlussbericht (Definitive
Fassung). Ernst & Young AG, Bern (3. Dezember 2004); Vernehmlas-
sungsbericht der Regierung betreffend die Schaffung eines Gerichts-
organisationsgesetzes, 22. September 2006; Vernehmlassungsbe-
richt der Regierung betreffend die Schaffung eines Richterdienstge-
setzes, 22. September 2006; Bericht und Antrag der Regierung an
den Landtag betreffend die Schaffung eines Gerichtsorganisationsge-
setzes (GOG), Nr. 53/2007, 30. April 2007; Bericht und Antrag der
Regierung an den Landtag betreffend die Schaffung eines Richter-
dienstgesetzes (RDG), Nr. 54/2007, 30. April 2007.
273) Gesetz vom 24. Oktober 2007 über die Organisation der ordent-
lichen Gerichte (Gerichtsorganisationsgesetz; GOG), LGB1. 2007, Nr.
348, Art. 7-9 und 19.
274) Ebenda, Art. 23; Bericht und Antrag der Regierung an den
Landtag betreffend die Schaffung eines Gerichtsorganisationsgeset-
zes (GOG), Nr. 53/2007, 30. April 2007, S. 29. In der Vernehmlas-
sungsvorlage war eine solche Mehrheitsklausel noch nicht vorgese-
hen gewesen (vgl. Vernehmlassungsbericht der Regierung betreffend
die Schaffung eines Gerichtsorganisationsgesetzes, 22. September
2006, S. 17 u. 44 f.).
275) Gesetz vom 27. November 2003 über den Staatsgerichtshof
(StGH), LGB1. 2004, Nr. 32.
276) Waschkuhn, Justizrechtsordnung, S. 46 f.
277) Gesetz vom 27. November 2003 über den Staatsgerichtshof
(StGH), LGB1. 2004, Nr. 32, Art. 9.
89
Hinweistafel beim Ge-
richtsgebäude in Vaduz im
Jahre 2010. Das Fürstliche
Landgericht, dem auch
Laienrichter angehören,
umfasst das Kriminalge-
richt, das Schöffengericht
und das Jugendgericht.
Das Fürstliche Landgericht
bildet die erste Instanz bei
Zivil- und Strafsachen in
Liechtenstein.
1980-er Jahre das Landrichterkollegium aus fünf
hauptamtlichen Richtern und dem Präsidenten be-
standen hatte, gab es auch keinen Anlass für ein
Richterdienstgesetz. Zwei Jahrzehnte später hatten
sich die Anforderungen an die Justiz erheblich aus-
geweitet, und auf Grund der wesentlich höheren
Zahl der angestellten vollamtlichen Richter und der
Modernisierung der Gerichtsstrukturen war der Er-
lass eines solchen Gesetzes unumgänglich. Es wur-
de gleichzeitig mit dem neuen Gerichtsorganisati-
onsgesetz eine differenzierte Regelung des Dienst-
rechts der Richter geschaffen.278 Das Gesetz findet
Anwendung für alle Richter des Landgerichts, des
Obergerichts und des Obersten Gerichtshofs, nicht
jedoch für die Richter der Gerichtshöfe des öffentli-
chen Rechts (Verwaltungs- und Staatsgerichtshof)
oder auf Mitglieder gerichtsähnlicher Kommissio-
nen.279 Es definiert die voll- und nebenamtlichen
Richter280 und enthält Bestimmungen über die Er-
nennung zum Richter.281 Es betrifft naturgemäss
fast ausschliesslich vollamtliche sowie rechtskundi-
ge nebenamtliche Richter. In den umschriebenen
Ernennungserfordernissen für nebenamtliche Rich-
ter wird auch der in Verfassung und Gesetzen viel
verwendete Begriff «rechtskundig» erstmals defi-
niert und damit, wenn auch nicht explizit, derjenige
des Laienrichters. Für die Ernennung zum neben-
amtlichen Richter sind nämlich lediglich die liech-
tensteinische Staatsbürgerschaft und die volle
Handlungsfähigkeit erforderlich. Soweit für die ne-
benamtliche Richterfunktion die Rechtskundigkeit
vorgeschrieben ist, kann das Erfordernis der liech-
tensteinischen Staatsbürgerschaft entfallen. So wird
auch weiterhin die Ernennung ausländischer Rich-
ter ermöglicht. Als rechtskundig gilt, «wer die Vo-
raussetzungen für die Ausübung des Rechtsanwalts-
oder des Richterberufs erfüllt».282 Bei den nicht
rechtskundigen nebenamtlichen Richtern handelt
es sich typischerweise um die Laienrichter, hielt die
Regierung fest.283
90
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
Dürftige Rechtsgrundlagen für
die Laienrichterbeteiligung
Die erst in jüngster Zeit zwingend vorgeschriebene
Mehrheit von rechtskundigen Mitgliedern im Staats-
gerichtshof und im Obersten Gerichtshof soll Anlass
sein, die Rechtsgrundlagen für die Laienrichterbe-
teiligung in Liechtenstein kurz zusammenzufassen.
Sie sind ziemlich dürftig. Die ältesten finden sich in
der Strafgerichtsbarkeit. Die Schöffen bei den Straf-
gerichten erster Instanz sind eindeutig als Laien-
richter zu verstehen, und für ihre Bestellung wurde
die einzige liechtensteinische Rechtsnorm erlassen,
die zwingend eine Laienrichterbeteiligung vor-
schreibt.278 279 280 281 282 283 284 Die im Gerichtsorganisationsgesetz von
1922 enthaltene Anweisung, bei der Auswahl der
Richter und Ersatzrichter für das Obergericht «wo-
möglich» Rücksicht auf gewisse Berufstände zu
nehmen, hatte keinen verpflichtenden Charakter.285
In Verfassung und Gesetzen finden sich verschiede-
ne Bestimmungen, die eine Mindestzahl nicht je-
doch eine Minderheit von rechtskundigen Mitglie-
dern in den Kollegialgerichten vorschreiben. In der
Praxis wurde die restliche Überzahl an Richtern mit
Laien besetzt, und aus dieser Besetzungstradition
wurde irrtümlich auf eine vorgeschriebene Laien-
mehrheit in sämtlichen Gerichten geschlossen.
Zwingend war jedoch seit der Verfassung von 1921
in den Kollegialgerichten nur eine Mehrheit von
Liechtensteinern nicht aber eine solche von Laien
vorgeschrieben.286 Wilhelm Beck, der federführend
bei der Schaffung der einschlägigen Normen zur Ge-
richtsorganisation beteiligt war, sprach seinerzeit
als bedeutende Neuerung wohl die Beteiligung von
Laien an der Gerichtsbarkeit in allen Straf- und Zi-
vilsachen an, nicht jedoch die Mehrheit von Laien in
sämtlichen Gerichten.287 Neben erwähnten rechts-
historischen und rechtspolitischen Gründen waren
es wohl auch praktische Überlegungen, die für eine
starke Laienbeteiligung sprachen. Liechtenstein
wäre damals nicht annähernd in der Lage gewesen,
die Gerichte mit rechtskundigen Landesbürgern zu
besetzen. Auch der bis heute mögliche Verzicht auf
das Erfordernis der liechtensteinischen Staatsbür-
gerschaft bei der Anstellung rechtskundiger voll-
und nebenamtlicher Richter entsprang zumindest
teilweise diesem Beweggrund.
Kritik an der Laienmehrheit im Staatsgerichtshof
und im Obersten Gerichtshof
Die existierende Laienmehrheit im Staatsgerichts-
hof und im Obersten Gerichtshof war schon lange,
bevor die Mehrheit von rechtskundigen Richtern ge-
setzlich vorgeschrieben wurde, bemängelt worden.
Im Zusammenhang mit dem Vorstellungsverfahren
im so genannten Kunsthaus-Fall 1988 stellte der da-
malige Präsident des Staatsgerichtshofes u. a. die
Frage, ob die Besetzung des Gerichtshofes mit Laien
«den heutigen Ansprüchen noch gerecht» werde.
Die Rechtsmaterien, die der Staatsgerichtshof zu be-
handeln habe, seien so komplex geworden, dass es
oft schwierig sei, «eine Begründung für von Laien
deponierte Abstimmungen zu geben».288 Und in ei-
ner vergleichenden Darstellung des liechtensteini-
schen Staatsgerichtshofs mit dem österreichischen
Verfassungsgericht wurde es als unverständlich be-
zeichnet, dass für den Staatsgerichtshof die Rechts-
kundigkeit nur für zwei Richter vorgeschrieben war.
278) Richterdienstgesetz (RDG) vom 24. Oktober 2007, LGB1. 2007,
Nr. 347. - Vgl. dazu auch: Vernehmlassungsbericht der Regierung
betreffend die Schaffung eines Richterdienstgesetzes, 22. September
2006; Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag betreffend
die Schaffung eines Richterdienstgesetzes (RDG), Nr. 54/2007,
30. April 2007.
279) Ebenda, Art. 1.
280) Ebenda, Art. 2.
281) Ebenda, Abschnitt B, Art. 13-18.
282) Ebenda, Art. 15.
283) Vernehmlassungsbericht der Regierung betreffend die Schaf-
fung eines Richterdienstgesetzes, 22. September 2006, S. 19; Bericht
und Antrag der Regierung an den Landtag betreffend die Schaffung
eines Richterdienstgesetzes (RDG), Nr. 54/2007, 30. April 2007,
S. 26.
284) Vgl. oben, S. 66 f.
285) Vgl. oben, S. 81 f.
286) Vgl. oben, S. 77, Anmerkung 167 und S. 80-82.
287) Beck, Bericht, S. 7 f. - Vgl. oben, S. 78 f.
288) Seeger, S. 102.
91
Es könne nicht angehen, wenn ein Gericht seine
Entscheidungen durch Rechtsunkundige fallen las-
se, meinte die Autorin.289 Ausgehend von der 1953
durch den Staatsgerichtshof getroffenen weiten De-
finition des Begriffes «rechtskundig» könne es theo-
retisch möglich sein, dass «kein Mitglied des Rich-
terkollegiums eines juridischen Universitätsstudi-
ums bedürfe».290
Im Jahre 2004 wurde ein Urteil des Obersten Ge-
richtshofs angefochten u. a. mit der Begründung,
dieser «habe in einem Senat entschieden, dem zwei
Berufsrichter und drei Laienrichter ohne juristische
Vorbildung angehörten. Dem Anspruch des fair trial
nach Art. 6 EMRK werde dieses Gericht ebenso
nicht gerecht wie dem Anspruch des Art. 27 LV, weil
ein so zusammengesetztes Gericht nicht dazu in der
Lage sei, das materielle Recht in der, in der ZPO vor-
gesehenen höchsten Instanz zu schützen. Die Beur-
teilung der Rechtsfragen, die im gegenständlichen
Fall entschieden worden seien, setze nicht nur juris-
tischen Sachverstand, sondern fundierte Rechts-
kenntnisse voraus.... Es solle hier grundsätzlich zur
Diskussion gestellt werden, dass die Regelung in
Liechtenstein, wonach auch in höchster Instanz,
wenn schwierigste Rechtsfragen von grundsätzli-
cher Bedeutung beurteilt werden sollten, im erken-
nenden Senat Nichtjuristen mitwirkten und die Ju-
risten sogar überstimmen können», weder mit der
Verfassung noch der EMRK vereinbar sei.291 Der
Staatsgerichtshof hielt in seinem Leitsatz zu seinem
Urteil 2005 dazu fest: «Der Anspruch auf ein faires
Verfahren in Art. 6 Abs. 1 EMRK wie auch das Recht
auf den ordentlichen Richter gern. Art. 43 LV verlan-
gen keineswegs, dass Laien nicht auch in als reine
Rechtsinstanzen fungierenden Höchstgerichten
Einsitz nehmen dürften. Die Besetzung eines Ge-
richts mit Laien stellt im Grundsatz kein grund-
rechtliches Problem dar. Auch wenn Laienrichter
für die Berufung in reine Rechtsinstanzen weniger
geeignet sind als für Unterinstanzen, gibt es auch
sachliche Gründe, welche für die Einsitznahme von
Laien auch in reinen Rechtsinstanzen sprechen, wie
etwa dass Laien als Vertreter des liechtensteini-
schen Staatsvolkes einem legitimen staatspoliti-
schen Bedürfnis entsprechen oder dass der Einbe-
zug von Laien zu einer verständlicheren rechtlichen
Argumentation zwingt. Das Laienrichtertum ist zu-
dem, wenn auch begrenzt auf eine Minderheit, bei
den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts verfas-
sungsrechtlich verankert. Bei der kürzlich erfolgten
Verfassungsrevision hat der Verfassungsgeber of-
fenbar keinen Anlass gesehen, hinsichtlich der Zivil-
und Strafgerichte eine Mehrheit von rechtskundigen
Richtern vorzusehen. Der StGH sieht insgesamt eine
mehrheitliche Besetzung des OGH mit Laien als im
Einklang mit der Verfassung.»292 In seiner Urteilsbe-
gründung machte der Staatsgerichtshof weitere
Ausführungen zum Laienrichtertum. Er räumte u.a.
ein, «dass Laienrichter für die Berufung in reine
Rechtsinstanzen wie den OGH weniger geeignet
sind als für Unterinstanzen, in denen auch Tatfra-
gen zu beurteilen und - etwa bei der Strafzumes-
sung in den Strafgerichten - wichtige Ermessens-
entscheide zu fällen sind. Denn dabei können Laien
ihre allgemeine Lebenserfahrung offensichtlich bes-
ser einbringen als bei reinen Rechtsfragen.
...Schliesslich ist das Laienrichtertum auch in der
Landesverfassung selbst verankert: so in Art. 102
Abs. 1 LV für den VGH und durch Verweis auf diese
Bestimmung in Art. 105 LV auch für den StGH. Nun
sieht aber Art. 102 Abs. 1 iVm Art. 105 LV für den
VGH und den StGH vor, dass eine Richtermehrheit
rechtskundig sein müsse. Tatsächlich kann eine
Mehrheit von Laienrichtern im Einzelfall problema-
tisch sein, wenn sich die Laien wichtigen rechtli-
chen Überlegungen der rechtskundigen Richter ge-
radezu verschliessen sollten. Wesentlich erscheint
dem StGH aber, dass der Spruchkörper anders als
bei einem Geschworenengericht nicht nur aus Laien
besteht und somit gewährleistet ist, dass alle we-
sentlichen juristischen Beurteilungskriterien in die
Urteilsberatung einfliessen können. Jedenfalls hat
289) Margon, S. 91.
290) Ebenda, S. 93.
291) StGH 2004/63, Urteil 9. 5. 2005, LES 2/2006, S. 118. Siehe
auch Wille, Tobias, S. 80, Anm. 302.
292) Ebenda, S. 115.
92
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
Die Mitglieder der liech-
tensteinischen Kollegialge-
richte (Oberster Gerichts-
hof, Obergericht, Kriminal-
gericht, Schöffengericht
und Jugendgericht) stellen
sich nach der Vereidigung
im Fürst-Johannes-Saal im
Regierungsgebäude am
23. Dezember 2009 für ein
Gruppenbild dem Fotogra-
fen. Von den 56 zur Verei-
digung geladenen Perso-
nen sind 28 Laien.
93
der Verfassungsgeber offenbar bei der jüngsten ins-
besondere auch das VIII. Hauptstück betreffend die
Gerichte neu regelnden Verfassungsrevision LGB1.
2003/186 keinen Anlass gesehen, hinsichtlich der
Zivil- und Strafgerichte wie bei den Gerichtshöfen
des öffentlichen Rechts eine Mehrheit von rechts-
kundigen Richtern vorzusehen.»293
In diesem Zusammenhang sei auch auf eine
jüngst ergangene Entscheidung des Schweizeri-
schen Bundesgerichts in einer ähnlichen Rechtssa-
che verwiesen. Das Gericht hielt 2007 fest, dass sich
aus der Schweizerischen Bundesverfassung kein
Anspruch auf einen juristisch gebildeten Richter ab-
leiten lasse. Der Anspruch auf einen unabhängigen
Richter könne jedoch berührt sein, wenn unerfahre-
ne Laienrichter ohne jede Mithilfe einer unabhängi-
gen Fachperson amten«. Historisch gesehen sei das
neuzeitliche Laienrichtertum ein Postulat der Auf-
klärung und als gewaltenteiliger Ansatz gegen die
vom Monarchen eingesetzten Juristenrichter ge-
dacht gewesen. Demgegenüber beruhte es in der
Schweiz primär auf dem Umstand, dass sich ein
akademisch geschulter Juristenstand im gesamten
Gebiet erst relativ spät herausgebildet hat.294
Eine Übersicht zu den
heutigen Regelungen im mittel-
europäischen Rechtskreis
Nachdem die Darstellung der historischen Entwick-
lung der Mitwirkung von Laien in der liechtensteini-
schen Gerichtsbarkeit in der Gegenwart angelangt
ist, soll zunächst noch eine summarische Übersicht
über die heutigen Regelungen des Laienrichtertums
in den anderen Ländern des mitteleuropäischen
Rechtskreises skizziert werden. Der mitteleuropäi-
sche Rechtskreis weist sowohl Schöffen- als auch
Geschworenenbeteiligung im Strafverfahren auf. Im
Verfahren nimmt grundsätzlich der Richter die
Wahrheitsforschung vor und ist dabei gleichzeitig
Verhandlungsführer. Es gelten bei Gerichtsverfah-
ren mit Laienbeteiligung die Prozessgrundsätze der
Mündlichkeit, Unmittelbarkeit, Öffentlichkeit und
der freien Be weis Würdigung.
Bedeutung und Einflussnahme der Laienrichter
sind jeweils eng mit den politischen und sozialen
Gegebenheiten eines Staates verknüpft. Die Gewich-
tigkeit der Laienrichter ist einerseits bestimmt
durch ihren Einsatz in den verschiedenen Instanzen
der Rechtssprechung, andererseits durch das je-
weils unterschiedliche zahlenmässige Verhältnis zu
den Berufsrichtern. Die unterschiedlichen Auffas-
sungen bezüglich der Laienbeteiligung sind auch in
den verschiedenen historischen Entwicklungspro-
zessen begründet.
94
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
DEUTSCHLAND293 294 295
In Deutschland sind Laien (ehrenamtliche Richter)
bis heute in die Rechtsprechung integriert. Das klas-
sische Schwurgericht wurde 1924 abgeschafft. An
seine Stelle trat das grosse Schöffengericht mit
sechs Geschworenen und drei Berufsrichtern. Lai-
enrichter werden einheitlich als Schöffen bezeich-
net. Sie werden auf der Grundlage von Vorschlags-
listen der Gemeinden durch einen Schöffenwahl-
ausschuss für jeweils vier Jahre gewählt. Das Amt
des Schöffen ist ein Ehrenamt. Es besteht Amts-
pflicht, das heisst die Berufung zum Schöffen kann
nur in gesetzlich ausdrücklich bestimmten Fällen
abgelehnt werden. Schöffen sind an Amts- und Lan-
desgerichten vertreten. Es ist gewährleistet, dass
jede Strafsache entweder in erster oder in der Beru-
fungsinstanz unter Mitwirkung von Laien verhan-
delt wird. Die Oberlandesgerichte und der Bundes-
gerichtshof sind ausschliesslich mit Berufsrichtern
besetzt. Als Begründung wird angeführt, dass diese
Gerichte grösstenteils Revisionen bearbeiteten, so
dass es vor allem auf die Entscheidung von Rechts-
fragen ankäme, für die juristische Laien naturge-
mäss weniger geeignet seien. Das Schöffengericht
am Amtsgericht setzt sich jeweils aus einem Richter
und zwei Schöffen zusammen. Letztere üben wäh-
rend der Hauptverhandlung das Richteramt in vol-
lem Umfang und mit gleichem Stimmrecht aus wie
der Richter. Bei Meinungsverschiedenheiten kön-
nen damit die Laienrichter den Berufsrichter über-
stimmen.
Voraussetzung für die Schöffenwahl ist einzig die
deutsche Staatsbürgerschaft. Zusätzlich müssen je-
doch alle Bevölkerungsgruppen ihrem Anteil ent-
sprechend nach Geschlecht, Alter und Beruf berück-
sichtigt werden. Die Schöffen sind grundsätzlich
nicht rechtsgelehrt. Sie dürfen aber durchaus über
eine juristische Qualifikation verfügen. Im Gerichts-
alltag ist in der Regel ein Laienrichter anzutreffen,
der über keine im Studium erworbene Rechtskennt-
nisse verfügt.
Zwölf der 16 Länder der Bundesrepublik Deutsch-
land kennen eine vorgerichtliche Streitschlichtung
durch Schiedsmänner und Schiedsfrauen, die als
geschulte Laien zu einer erheblichen Entlastung der
Justiz geführt haben. Eine Privatklage darf erst
dann bei Gericht erhoben werden, wenn vorher die
gütliche Einigung versucht worden ist.296
293) Ebenda, S. 122. - Der Staatsgerichtshof verwies dazu auf
Bizozzero, S. 65 f., Tömördy, S. 65 und Waschkuhn, Justizordnung,
S. 40.
294) Urteil 5A-369/2007 vom 15. November 2007. Zit. nach Schwei-
zerische Juristenzeitung (SJZ) 104 (2008) Nr. 5, S. 119-121.
295) Angehrn, S. 274; Sadoghi, S. 256-260; Grube, S. 66.
296) Vgl. dazu: Ehrenamtliche Richter, S. 221-223; Kross, S. 19-68.
95
SCHWEIZ297
In der Schweiz, einem Land, in welchem den Bür-
gern die meiste Mitsprache in staatlichen Angele-
genheiten zugebilligt wird, sind juristische Laien in
mehreren Bereichen der Rechtspflege integriert.
Gemäss Bundesverfassung sind für die Zivil- und
Strafrechtspflege grundsätzlich die Kantone zustän-
dig. Die Kantone regeln einzeln die Organisation der
Gerichte und das gerichtliche Verfahren. Die Situati-
on ist von Kanton zu Kanton verschieden. Den Straf-
gerichten unterer Instanzen gehören in den meisten
Kantonen auch Laienrichter an.
Grundvoraussetzung für die Wahl zum Richter ist
in vielen Kantonen und auch auf Bundesebene allein
die Stimmberechtigung. Eine juristische Ausbildung
ist selbst für Bundesrichter grundsätzlich nicht Be-
dingung, auch wenn alle heutigen Bundesrichter ju-
ristisch ausgebildet sind. Die erstinstanzlichen Rich-
ter werden meistens vom Volk, die oberen Richter
vom Parlament gewählt. Die Laienrichter sind
grundsätzlich den juristisch ausgebildeten Richtern
gleichgestellt. Sie sind in der Regel in Gremien, teils
in der Mehrheit, teils in der Minderheit, zusammen
mit juristisch ausgebildeten Richtern tätig. In eini-
gen Kantonen können Laienrichter auch als Einzel-
richter urteilen. Ihnen ist jedoch zumeist ein juris-
tisch ausgebildeter Gerichtsschreiber zur Seite ge-
stellt. Generell zu unterscheiden ist in der Schweiz
zwischen nicht ständig tätigen, nur gelegentlich an
der Rechtsprechung mitwirkenden Laienrichtern,
den so genannten Geschworenen, und ständig täti-
gen haupt- oder nebenberuflichen Laienberufsrich-
tern. Letztere sind nach bekannter Terminologie als
Berufsrichter zu bezeichnen, während die Ge-
schworenen nach österreichischer und deutscher
Diktion zumeist Schöffen sind. Für die Beurteilung
schwerster Strafen kennen nämlich nur noch die
Kantone Zürich, Tessin, Neuenburg und Genf
Geschworenengerichte. Das Geschworenengericht
setzt sich aus einem Präsidenten oder mehreren Be-
rufsrichtern und einer Anzahl von Geschworenen
(Laien) zusammen. Im Gegensatz zum traditionellen
Schwurgericht, wie es etwa der angelsächsische
Raum kennt, entscheiden Präsident, Berufsrichter
und Geschworene gemeinsam über Schuld und
Strafe. Die kantonalen Schwurgerichte sind faktisch
Kriminal- oder Schöffengerichte mit einer Laienbe-
teiligung, die in ihrer Form derjenigen in Deutsch-
land vergleichbar ist. Ihre Mitglieder werden im Un-
terschied zum Geschworenengericht nicht für einen
jeweiligen Einzelfall bestimmt, sondern für eine fes-
te Amtsdauer bestellt.
Es besteht die Möglichkeit, dass auch eine juris-
tisch ausgebildete Person in ein «Laienamt» ge-
wählt werden kann. In den meisten Fällen jedoch
verfügen die Laienrichter über keine juristische
Ausbildung und üben eine andere Erwerb Stätigkeit
in ihrem angestammten Beruf aus. Eine eigentliche
Ausbildung für das Laienrichteramt gibt es nicht,
einzelne Kantone bieten jedoch Aus- und Weiterbil-
dungen für Laienrichter an. Zumindest ist regelmäs-
sig eine Einführung in die Tätigkeit des Laienrich-
ters, insbesondere in die Verfahrensabläufe einzel-
ner Prozesse vorgesehen.
Nicht juristisch ausgebildet sind in der Regel
auch die Friedensrichter oder Vermittler, die als
Sühne- oder Vermittlungsbeamte und als gerichtli-
che Vorinstanz zwischen den Parteien vermitteln.
Sie haben im Gegensatz zu den Laien- und Berufs-
richtern keine Entscheidungskompetenz sondern
lediglich eine Vermittlungskompetenz. Fast alle
Kantone kennen besondere Verfahren und Institu-
tionen, die eine gütliche Streitbeilegung fördern sol-
len. Die Ernennung der Friedensrichter geschieht
mit wenigen Ausnahmen durch Volkswahl. Ihre
sachliche Zuständigkeit ist in den einzelnen Kanto-
nen sehr verschiedenartig ausgestaltet. Die Vermitt-
lungsfunktion wird jedoch als Hauptfunktion des
Amtes gesehen. Etwa ein Drittel bis die Hälfte aller
Prozesse, die über das Vermittleramt gehen, wird
gütlich erledigt. Die Beurteilungen der Tätigkeit der
Schweizer Friedensrichter sind insgesamt positiv.298
96
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
ÖSTERREICH297 298 299
Die österreichische Bundesverfassung legt den
Grundsatz der Mitwirkung des Volkes an der
Rechtssprechung fest. Demgemäss gibt es Laienge-
richtsbarkeit in Österreich. Sie existiert in zweifa-
cher Form: Die Schöffengerichte, besetzt mit zwei
Berufsrichtern und zwei Schöffen, entscheiden über
im Gesetz aufgezählte Vergehen und Verbrechen
mit einer Höchststrafe, die fünf Jahre übersteigt und
nicht in die Zuständigkeit des Einzelrichters oder
des Geschworenengerichtes fallen. Schöffensenate
werden nur an den Landesgerichten eingesetzt. Lai-
en und Berufsrichter entscheiden im Schöffenge-
richt gemeinsam über die Schuld und die Strafe. Die
Geschworenengerichte, bestehend aus drei Berufs-
richtern (Schwurgerichtshof) und acht Geschwore-
nen, urteilen über die Delikte gegen den Staat und
die öffentliche Ordnung, wie Hochverrat, sowie über
Verbrechen, deren Strafmassuntergrenze mindes-
tens fünf und deren Obergrenze mehr als zehn Jah-
re beträgt. Die Laien entscheiden zunächst mit ab-
soluter Mehrheit alleine über die Schuld bzw. Un-
schuld, anschliessend gemeinsam mit dem Schwur-
gerichtshof über das Strafmass.
Die Laiengerichtsbarkeit ist nur bei den Gerichts-
höfen erster Instanz installiert. Gerichte der zweiten
Instanz sowie der Oberste Gerichtshof sind aus-
schliesslich mit Berufs rieht ern besetzte Rechtsmit-
telgerichte.
Die Schöffen und Geschworenen sind Richter, die
gemeinsam mit den Berufsrichtern staatliches Ho-
heitsrecht ausüben. Sie müssen von den Berufsrich-
tern vor und während des Verfahrens im Sinne ei-
ner Rechtsbelehrung informiert werden. Die Schöf-
fen bilden mit dem Berufsrichter einen einheitlichen
Richtersenat. Die Geschworenen bilden einen eige-
nen Spruchkörper, der nach einem von den Berufs-
richtern erstellten Fragenschema entscheidet, ob
der Angeklagte schuldig oder unschuldig ist.
Grundsätzlich sind alle österreichischen Staats-
bürger zum Schöffenamt berufen. Die Schöffen wer-
den durch Zufall ausgewählt. Eine Person, die jün-
ger als 25 oder älter als 65 Jahre ist, darf nicht zum
Schöffen berufen werden. Daneben gibt es noch
eine Reihe weiterer Ausschluss- und Befreiungs-
gründe vom Schöffendienst.
Gestützt auf Reichsgesetze aus den Jahren 1869
und 1907300 sind in einzelnen Ländern Gemeinde-
vermittlungsämter geschaffen worden. In Vorarl-
berg geschah dies 1909.301 Die Vermittlungsämter
bestehen «mindestens aus drei Vertrauensmännern
nebst einem Ersatzmanne, welche vom Landesaus-
schusse nach Anhörung der betreffenden Gemein-
den aus den Mitgliedern derselben gewählt wer-
den».302 Die Vermittlungsämter sind zuständig für
die Vornahme von Vergleichs- und Sühneversuchen
und für den Abschluss von Vergleichen zwischen
streitenden Parteien in bürgerlichen Rechtsangele-
genheiten. Die genannten Gesetze sind noch in
Kraft, werden aber so gut wie nicht praktiziert.303
297) Vgl. dazu Angehrn, S. 272 f. ; Sadoghi, S. 260-265;
298) Vgl. dazu auch: Kross, S. 107-116.
299) Vgl. dazu: Sadoghi, S. 19 f.; Schöffen und Geschworene.
300) Gesetz vom 21. September 1869 über die Erfordernisse der
Executionsfähigkeit der vor Vertrauensmännern aus der Gemeinde
abgeschlossenen Vergleiche und über die von denselben zu entrich-
tenden Gebühren, Reichsgesetzblatt Nr. 150 und Gesetz vom 27.
Februar 1907, womit Bestimmungen des Gesetzes vom 21. Septem-
ber 1869, Reichsgesetzblatt Nr. 150, abgeändert und ergänzt wer-
den, Reichsgesetzblatt Nr. 59.
301) Gesetz vom 15. September 1909 über die Gemeindevermitt-
lungsämter, Landesgesetzblatt Nr. 158/1909, Fassung LGB1.
105/1920 und LGB1. 2/1930.
302) Ebenda, § 2.
303) Auskunft von Herbert Wille, Liechtenstein-Institut, 22. August
2008.
97
Die aktuelle Beurteilung
des Laienrichtertums
Es ist nicht Aufgabe dieser Abhandlung, eine Beur-
teilung des Laienrichtertums vorzunehmen. Es ging
lediglich darum, dessen historische Entwicklung
aufzuzeigen und vor diesem Hintergrund in einem
Teilbereich einen Beitrag zu einer solchen Beurtei-
lung zu leisten. Dennoch seien im Folgenden kurz
die heute vorgebrachten Gründe für oder gegen eine
solche Beteiligung aufgeführt. Es geschieht dies an-
hand einer Auswahl von Aussagen in der für die
Darstellung der allgemeinen Entwicklung der Lai-
enbeteiligung und der Entwicklung in Liechtenstein
eingesehenen jüngeren Literatur.304 Dabei gilt es je-
doch zu beachten, dass die meisten dieser Würdi-
gungen auf theoretischen Überlegungen und An-
nahmen fussen, die nur in den wenigsten Fällen
durch empirische Untersuchungen erhärtet sind.
AUSSAGEN AUS DEM DEUTSCH-
SPRACHIGEN RAUM
Eveline Angehrn; Ludewig-Kedmi Revital305
Das Laienelement in der Gerichtsbarkeit wird als
förderlich für die Urteilsakzeptanz erachtet. Die In-
stitution der Laienrichter wird als Bindeglied zwi-
schen dem gelebten und dem gelehrten Recht gese-
hen. Angesichts der Fülle und Komplexität des mo-
dernen Rechts ist jedoch umstritten, inwieweit sie
dieser Rolle noch gerecht wird. Die Laienbeteiligung
entspricht dem Grundgedanken des Milizsystems,
in dem den Mitgliedern eines organisierten Kollek-
tivs demokratische Mitwirkung angeboten und die
Bildung einer sich verselbständigenden und auf ihre
eigenen Sonderinteressen bedachten Führungselite
verhindert wird. Für Milizorganisationen sprechen
auch wirtschaftliche und finanzielle Gründe. Die
Beibehaltung des Laien in der Rechtssprechung
gründet auf dem Misstrauen gegenüber der Staats-
gewalt und der Angst vor dem Verlust der Kontrolle
über die Herrschaft des Rechts. Das eigentliche Ka-
pital der Justiz ist das Vertrauen des Volkes, das
durch die Laienbeteiligung gestärkt wird. Der Lai-
enrichter entspricht dem Bild des Richters als «ei-
ner von uns», einer aus dem Volk, der sein Wissen,
seine Fähigkeiten, seine Person in den Dienst der
Gemeinschaft stellt. Dem Expertentum in der
Rechtssprechung wird mit viel Skepsis begegnet.
Durch die Volkswahl der Richter, direkt oder indi-
rekt über ein Parlament, wird die richterliche Ge-
walt in der Bevölkerung abgestützt. Die Richter
erhalten eine demokratische Legitimation. Zur
Rechtssprechung gehört nicht nur Rechtskenntnis,
sondern auch das, was man allgemein unter «ge-
sundem Menschenverstand» oder Rechtsgefühl ver-
steht: eine rechte Mischung lebenspraktischer und
abstrahierender Urteilsfähigkeit, die beim Laien-
richter stärker vermutet wird. Angenommen wird
allerdings auch, dass Laienrichter stärker als Be-
rufsrichter durch öffentlichen Druck und Medien
beeinflussbar sind. Laienrichter zwingen Berufsju-
risten, ihre juristisch-technische Sprache in leicht
verständliche Alltagsbegriffe zu übersetzen. Die
Frage bleibt offen, ob und wie weit sich das Laien-
98
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
element auf die Qualität der juristischen Arbeit aus-
wirkt; ob und wie weit die Idealvorstellung, dass Be-
rufs- und Laienrichter als zwei gleichberechtigte,
sich ergänzende Beteiligte einen gemeinsamen Bei-
trag für eine funktionsfähige Justiz leisten, der Rea-
lität entspricht.
Alice Sadoghi304 305 306
Die Rechtspsychologie geht davon aus, dass Alter,
Geschlecht, Beruf, soziale Stellung, Nationalität und
politische Einstellung der Richter Einfluss auf das
Urteil haben. Aus Untersuchungen zur Psychologie
der Strafverfahren ergibt sich, dass sämtliche aus-
serrechtlichen Faktoren der Beeinflussbarkeit von
Laienrichtern in ihrer Urteilsfindung auf Berufs-
richter in ebenso starker Ausprägung zutreffen. Die
Untersuchungen bieten keine Grundlage dafür, den
Geschworenen mangelnde Entscheidungskompe-
tenz zu attestieren. Die Psychologie des Strafverfah-
rens und Tendenzen in der Urteilsfindung betreffen
Laien und Berufsrichter grundsätzlich gleichermas-
sen. Die Be weis Würdigung kann von Berufs- und
Laienrichtern gleichermassen wahrgenommen
werden, da es sich bei ihr um eine Fähigkeit han-
delt, die nicht im juristischen Studium erworben
wird, sondern ein gedanklich-logisches Beurteilen
des jeweiligen Entscheidungsträgers nach dessen
Erkenntnishorizont verlangt. Berufsrichter können
deshalb diese Tätigkeit grundsätzlich nicht qualita-
tiv besser ausführen als Laien.
Friederike Charlotte Grube307
Die Laienbeteiligung im Strafverfahren zählt zu den
Grundlagen demokratischen Denkens. Allerdings
können reine Volksgerichte dann nicht mehr den
Anforderungen der Praxis genügen, wenn das
Rechtswesen ein wissenschaftlich-fachliches Ni-
veau erreicht hat, das von Richtern, Staats- und
Rechtsanwälten eine zeitaufwendige und gründli-
che Ausbildung verlangt. Der Laienrichter allein
kann deshalb niemals in dem Sinne Recht sprechen
wie der juristisch geschulte Richter. Allerdings er-
scheint es notwendig und sinnvoll, die Alleinverant-
wortung der Fachjuristen in Strafsachen auf eine
Mitverantwortung zu reduzieren. Bei reinen Juris-
tengerichten besteht die Gefahr, dass ein Volk einer
seiner ureigensten Angelegenheiten entfremdet
wird und so im Laufe der Zeit ein Stück Freiheit ver-
liert.
Beate Linkenheil308
Die modernen Argumente für die Laienbeteiligung
an der Strafrechtspflege lassen sich herkömmlich in
drei Kategorien einteilen: das Demokratieprinzip,
die Qualitätsverbesserung der Rechtsprechung und
die volkspädagogische Wirkung. Demgegenüber
werden Sinn und Funktion der Laienrichter im
Strafprozess der Gegenwart angesichts der etablier-
ten verfassungs- und verfahrensrechtlichen Garan-
tien dezidiert in Frage gestellt. Die Beteiligung von
Laien an der modernen Strafrechtspflege wird für
verzichtbar erachtet. Insgesamt ist die Haltung der
eingesehenen Literatur allerdings «eher wohlwol-
lend-kritischer Natur». Als Fazit bleibt festzuhalten,
dass die Laienbeteiligung ihre Daseinsberechtigung
aus dem «menschlichen Gerechtigkeitsempfinden»
erfährt. Die Laienmitwirkung beugt heute vor allem
einer Entfremdung des materiellen Strafrechts vom
Horizont der Gesellschaft und einer «Fremdhal-
tung» der Gesellschaft gegenüber dem Recht vor. Sie
ist daher kein unzeitgemässes «Relikt des bürgerli-
chen Emanzipationsprozesses», sondern «Legiti-
mation einer Rechtsprechung <Im Namen des Vol-
kes).»
304) Die Auswahl für die allgemeine Entwicklung beschränkt sich
auf Angehrn; Sadoghi; Grube: Linkenheil; Spona; Benz, diejenige für
Liechtenstein auf Tömördy, Kohlegger und Bizozzero. - Entspre-
chende Aussagen finden sich auch in: Laienrichter im Strafprozess;
Schöffen und Geschworene; Laienrichter; Ehrenamtliche Richter. Es
sind dort jedoch keine Argumente aufgeführt, die nicht schon in der
Auswahl enthalten sind.
305) Vgl. dazu Angehrn.
306) Vgl. dazu Sadoghi, S. 27, 33, 35 f., 362-367.
307) Grube, S. 259.
308) Linkenheil, S. 202.
99
Dagmar Spona309
Die Diskussion über die Laienbeteiligung ist auch in
den letzten Jahrzehnten nicht verstummt. Dabei
werden neue Funktionen entdeckt, die die Laien-
richter erfüllen sollen. Insbesondere auf zwei Funk-
tionen ist hinzuweisen. Einerseits komme den Laien
ein so genannter volkspädagogischer Effekt zu. Sie
seien in der Lage, die Rechtskenntnisse der Bevölke-
rung zu erhöhen. Schöffen nähmen durch ihre Tä-
tigkeit bei Gericht neue Informationen auf und be-
richteten im weiteren Umkreis darüber. So erhofft
man sich die Verbesserung der Rechtskenntnisse in
der Bevölkerung und mehr Verständnis für die Auf-
gabe des Richters. Andererseits soll die Beteiligung
von Laien die Akzeptanz der Rechtsprechung und
ihre Qualität verbessern. Schöffen sollen Werthal-
tungen des Volkes in den Entscheidungsprozess ein-
bringen. Der Berufsrichter müsse sein Urteil für den
Laien plausibel machen. Der Gesetzgeber hat sich
eindeutig für die Demokratisierung der Rechtspre-
chung durch die Beteiligung von Laien ausgespro-
chen. Ob die Laienrichter ihre Aufgaben jemals im
ihnen zugedachten Umfang erfüllen können, dürfte
aber zweifelhaft sein. Insbesondere beim Schöffen-
gericht wurde schon früh der Verdacht geäussert,
dass Laien nur scheinbar Einfluss auf das Urteil ha-
ben, in Wirklichkeit aber durch die ihnen überlege-
nen Berufsrichter dominiert würden.
Ulrike Benz310
Unstreitig weist die Laienbeteiligung in der Straf-
rechtspflege positive wie auch negative Gesichts-
punkte auf. Ohne Zweifel stellt die Mitwirkung des
Volkes beim Vollzug der Gesetze einen wichtigen de-
mokratischen Faktor dar, der allerdings nicht uner-
lässlich ist, weil das Volk bereits an der Gesetzge-
bung partizipiert. Ob das Vertrauen und Verständ-
nis der Öffentlichkeit in die Justiz sehr gefördert
wird, erscheint zumindest zweifelhaft. Das wichtigs-
te Argument für eine Beibehaltung der Schöffen
bleibt die Überschaubarkeit des Verfahrens sowie
eine Kontrollfunktion gegenüber den Berufsrich-
tern. Durch die Schöffen werden die Berufsrichter
gezwungen, ihr Urteil zu überdenken, die eigene
Handlungsweise zu kontrollieren und korrigieren.
Dieser heilsame Zwang zur Kooperation schützt die
Berufsrichter vor Betriebsblindheit und lässt die
Rechtspflege durch die Verständlichkeit lebensna-
her wirken. Aus diesen und anderen Gründen sind
auch in Zukunft Laien am Strafverfahren zu beteili-
gen. Es gilt nur, durch eine Verbesserung der Ge-
richtsorganisation ihre Aufgaben klarer zu fassen,
die Zusammenarbeit mit den Berufsrichtern effekti-
ver zu gestalten und so die möglichen Fehlerquellen
auf ein Mindestmass zu beschränken.
100
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
AUSSAGEN AUS LIECHTENSTEIN
Sabine Tömördy
In der einzigen umfangreicheren juristischen Publi-
kation von Sabine Tömördy, die sich mit der Beteili-
gung von Laienrichtern an der Rechtssprechung
liechtensteinischer Gerichte befasst, werden die
Überlegungen und Darlegungen auf dem Hinter-
grund von Untersuchungen im deutschsprachigen
Raum gemacht. Dabei wird auch ein Teil der oben
angeführten Literatur mit einbezogen. Tömördy
stellt die liechtensteinische Justizrechtsordnung
vor, prüft diese auf das Laienrichterprinzip hin und
versucht eine Wertung der Laienrichterbeteili-
gung.309 310 311 Auch die wenigen kleineren juristischen
Beiträge, die nebenbei und unter anderem auch auf
das Laienrichtertum eingehen, stützen sich teilwei-
se auf solche Literatur.312
Tömördy weist auf die Bedeutung des Laienrich-
tertums in einer Zeit der Rechtsnormenflut hin. Lai-
enrichter leisteten einen Gerechtigkeitsbeitrag, in-
dem sie allgemein anerkannte Werturteile in die
richterliche Entscheidungsfindung einfliessen las-
sen. Dadurch könnten die Rechtsunterworfenen den
Glauben an die von ihnen akzeptierte Rechtsord-
nung als gerechtfertigt sehen. Die Justiz müsse Ver-
trauen und Verständnis im Volk finden. Die weite
Verbreitung der Laien(richter)beteiligung wird als
Ausdruck dieser Volksverbundenheit gewertet.313
Besonders einzubeziehen in die Diskussion über die
Tätigkeit der Laienrichter sei die dualistisch struk-
turierte liechtensteinische Staatsordnung, die Ver-
ankerung der Staatsgewalt im Fürsten und im Volk,
die massgebend für die Gerichtsorganisation und
bedeutsam für die Ausübung der richterlichen Tä-
tigkeit sei.314 Die Bedeutung der Laienrichter unter-
sucht Tömördy anhand eines Anforderungsprofils
des liechtensteinischen Richters und geht dabei auf
die Entscheidungskomplexe der richterlichen Tätig-
keit ein sowie auf Anforderungen im Einzelnen, wie
Rechts- und Sachkenntnisse, Volksverbundenheit.
Sie erkennt in der Laienbeteiligung einen Beitrag
zur Garantie der richterlichen Unabhängigkeit und
eine Konsequenz des demokratischen Prinzips. Die
Mitwirkung von Laienrichtern habe eine Kontroll-
funktion und stärke so im Volk das Vertrauen in die
Justiz. Der Berufsrichter werde dadurch gezwun-
gen, eine plausible Verhandlungsleitung zu führen
und ein Urteil so zu begründen, dass es auch vom
Volk verstanden werden könne. Als weitere positive
Laienbeiträge beschreibt Tömördy das Einbringen
von Sachkenntnissen und Gerechtigkeitsvorstellun-
gen des Volkes, von Menschenkenntnis und Lebens-
erfahrung. Sie kommt insgesamt zum Schluss, dass
Laienrichter im Rahmen der Entscheidungskomple-
xe durchaus einen wertvollen Beitrag leisten kön-
nen. Als Schwäche der Beteiligung von Laien ortet
sie mangelnde rechtliche Qualifikation, als Stärken
ihren besonderen Beitrag bei der Feststellung von
Tatsachen und bei der Nutzung von Ermessens-
spielräumen der Urteilsfindung. Keine Zweifel hegt
sie gegenüber der Laienrichterbeteiligung an der
Strafgerichtsbarkeit erster Instanz. Weniger eindeu-
tig wird die Beteiligung in den Rekursinstanzen be-
urteilt, wo ihre Stärken weniger gefragt sind.315
Karl Kohlegger und Max Bizozzero
Der langjährige Präsident des Fürstlich-Liechten-
steinischen Obersten Gerichtshofes, Dr. Karl Koh-
legger, beklagt die eingetretene Entfremdung zwi-
schen der Recht suchenden Bevölkerung einerseits
und dem Recht und den Richtern andererseits. Er
kritisiert die immer unverständlichere Fachsprache
und verlangt für eine bürgernahe Rechtspflege den
bürgernahen Richter.316 In den liechtensteinischen
Laienrichtern sieht er das Rechtsempfinden und die
Rechtsauffassungen der Landesbewohner verkör-
pert. Die Präsenz von Laienrichtern verlange Ver-
309) Vgl. dazu Spona, S. 17-19.
310) Vgl. dazu Benz, S. 199-211.
311) Tömördy, S. 4 f. und Literaturverzeichnis, S. 110-113.
312) Vgl. Kohlegger, Justizreform; Kohlegger, Gerichtshof; Kohlegger,
Richter in Liechtenstein; Bizozzero.
313) Tömördy, S. 2.
314) Ebenda, S. 6 f.
315) Ebenda, S. 29-65.
316) Kohlegger, Justizreform.
101
Zusammenfassung der
historischen Entwicklung des
Laienrichtertums in Liechtenstein
ständlichkeit und Klarheit in der Darstellung
schwieriger juristischer Probleme. Laienrichter
könnten so eine Brücke zwischen Recht und Volk
schlagen.317 Es gehe nicht darum, «aus Bürgern, die
in der Rechtspflege das Laienelement im Gegensatz
zum juristischen Fachverstand verkörpern sollen,
Minijuristen zu machen». Der Wert der Bürgerbetei-
ligung liege darin, dass Laien den so genannten ge-
sunden Menschenverstand in die richterliche Ur-
teilsfindung einbringen.318 Im Wesentlichen die glei-
chen Argumente für das Laienelement in der liech-
tensteinischen Gerichtsbarkeit wie Kohlegger führt
auch der Präsident des Obergerichts ins Feld. Er
sieht in den Laienrichtern Vertreter des liechtenstei-
nischen Staatsvolks. Ihre Mitwirkung entspreche ei-
nem legitimen staatspolitischen Bedürfnis. Insge-
samt gebe es keinen Anlass, in Bezug auf das Laien-
richtertum in Liechtenstein Grundlegendes zu än-
dern.319
Mitwirkung des Volkes in Churrätien und unter
der fränkischen Grafschaftsverfassung
Im Laufe der Zeit war die Bevölkerung unterschied-
lich stark und in verschiedenen Formen an der Ge-
richtsbarkeit beteiligt. Bei den von den Römern 15 v.
Chr. unterworfenen rätischen Volksstämmen lag die
Gerichtsgewalt beim Volk, bei der versammelten
Stammesgemeinde. Auch das in Churrätien bis ins
8. Jahrhundert geltende römisch geformte Gewohn-
heitsrecht lässt eine Mitwirkung des Volkes deutlich
erkennen. Unter der fränkischen Grafschaftsverfas-
sung ging die Gerichtsgewalt vom König aus. Die
Rechtssprechung selbst erfolgte anfänglich durch
die Versammlung der Dingpflichtigen einer Zent-
grafschaft, später durch die auf Lebenszeit bestell-
ten Urteilssprecher oder Schöffen. Den Gerichtsvor-
sitz führte ein Zentgraf als königlich bestellter Amts-
träger. Unser Gebiet gehörte zu den Zentgrafschaf-
ten «in planis» (Unter der Landquart) und «vallis
Drusiana» (Walgau).
Herausbildung der Grafschaft Vaduz
und der Herrschaft Schellenberg im
14. und 15. Jahrhundert
Aus den Grafschaften entstanden im Spätmittelalter
reichsunmittelbare Herrschaften, die jene Hoheits-
rechte behielten, die einst den Grafen als königli-
chen Amtsträgern zugestanden worden waren. Die
Landesherren wurden de jure zu obersten Gerichts-
herren. In diesen Entwicklungsprozess gehört auch
die allmähliche Herausbildung der Grafschaft Va-
duz und der Herrschaft Schellenberg im 14. und 15.
Jahrhundert. Die Leitung von Gericht und Verwal-
tung lag anfänglich in den Händen herrschaftlicher
dienstadeliger Amtmänner. Die Urteilssprecher
wurden zwar zunächst wie die Amtmänner von der
Herrschaft berufen, sie waren jedoch im Gerichts-
sprengel sesshafte Untertanen. Wohl seit dem 15.
Jahrhundert hatte das Volk Wahl- und Vorschlags-
rechte bei der Bestellung der Gerichtsorgane, die
aus seinen Reihen stammten. Die Gerichtshoheit
der Landesherren war ein Reichslehen, das bei je-
dem Herrschaftswechsel neu bestätigt werden
musste. Die Gerichtskompetenz leitete sich von
oben her ab, sie beruhte nicht auf der Souveränität
102
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
des Volkes. Die Gerichtsbarkeit wurde immer im
Auftrag der Herrschaft wahrgenommen. Das Recht
wurzelte in der Gemeinschaft des Volkes und wurde
auch dort gesucht.
Gerichtsorganisation vom 16. bis 18. Jahr-
hundert - alte Landammannverfassung
Die Gerichtsorganisation vom 16. bis 18. Jahrhun-
dert, bezeichnet als alte Landammannverfassung,
zeigte folgendes Bild: Die Grafschaft Vaduz und die
Herrschaft Schellenberg bildeten je eine Gerichts-
oder Landsgemeinde. Jeder stand ein Landammann
vor, der alle zwei Jahre von den waffenfähigen Män-
nern aus einem Dreiervorschlag der Herrschaft ge-
wählt wurde. Der Ammann führte die Gerichtsver-
handlung. Neben ihm übten zwölf Urteilssprecher
(Richter) die Funktion von Geschworenen aus. Sie
wurden aus einem Dreiervorschlag der Landsge-
meinde von der Herrschaft auf Lebenszeit ernannt.
Später erfolgte der Vorschlag für eine Ersatzbestel-
lung durch die verbliebenen Richter. Recht und Ur-
teil wurden vom Landammann von den beisitzen-
den Urteilssprechern erfragt, die das Urteil fassten.
Das Gerichts- und Beweisverfahren war öffentlich
und mündlich und garantierte so die Rechtssicher-
heit. Dadurch dass das Volk als Zeuge zugegen war,
wurde der Anspruch an die Richter auf eine gerech-
te Urteilsfindung erhöht. Im Rahmen der Gerichts-
gemeinden war die Bevölkerung an der Handha-
bung des Rechtswesens beteiligt.
Andere Gerichtsformen neben dem
Landammanngericht
Das Landammanngericht wurde durch andere Ge-
richtsformen konkurrenziert. Die Landesherren als
Inhaber der Gerichtshoheit konnten auch allein
Recht sprechen. Ihre Herrschaftsbeamten hielten
zusammen mit dem Landammann Verhörtage ab,
auf denen auch gerichtliche Entscheidungen getrof-
fen wurden. Ebenfalls von gewisser Bedeutung wa-
ren das kaiserliche Landgericht in Rankweil und das
geistliche Gericht des Offizialats in Chur. Die
Schiedsgerichtsbarkeit bot der Bevölkerung eine
weitere Möglichkeit der Selbstregelung und der Be-
teiligung an der Rechtssprechung. Eine Vermittler-
funktion hatten auch die lokalen Gemeindege-
schworenen.
Einschränkung der Volksbeteiligung am Gerichts-
wesen im 17. und 18. Jahrhundert
Im 17. und 18. Jahrhundert wurde die Volksbeteili-
gung am Gerichtswesen nach und nach einge-
schränkt. Anstelle der öffentlichen Verfahren unter
freiem Himmel wurden die Verhörtage im geschlos-
senen Amtszimmer zur dominierenden Gerichts-
form. Der Inquisitionsprozess löste das öffentliche
und mündliche Verfahren ab. Nach der Erhebung
zum Reichsfürstentum 1719 wurde Liechtenstein in
sechs Ämter geteilt. Jedes erhielt einen Amtmann,
vier Richter und einen Gerichtsschreiber, die jedoch
nur in geringem Mass richterliche Funktionen
wahrnehmen sollten. Sie konnten in bürgerlichen
Streitigkeiten zwischen den Gemeindebewohnern
und in geringeren Übertretungsfällen entscheiden.
Die Appellation ging an das Oberamt und von da an
den Landesfürsten. Die Untertanen wehrten sich ge-
gen die Neuordnung und suchten, ihre alten Privile-
gien wieder zu erlangen. 1733 machte ihnen der
Landesherr gewisse Zugeständnisse in der Form ei-
ner reduzierten Landammannverfassung. Danach
hatte der Landammann noch Beisitz beim Blutge-
richt und bei den Verhörtagen, jedoch ohne Stimm-
recht. Anstatt des früheren Zeitgerichts durften
Landammann und Richter nur mehr ein minder
wichtiges Frevelgericht halten. Alle übrigen richter-
lichen Funktionen lagen beim Oberamt. Der Ein-
fluss der Landesherrschaft auf die Rechtssprechung
nahm stark zu. An die Stelle der Laien im Ammann-
gericht traten vermehrt die juristisch gebildeten
Herrschaftsbeamten. Die Rechtssprechung unter
der Linde lebte, inhaltlich weitgehend ausgehöhlt,
lediglich noch der alten Form nach bis ins beginnen-
de 19. Jahrhundert fort.
317) Kohlegger, Gerichtshof, S. 150.
318) Kohlegger, Rechtsordnung, S. 46.
319) Bizozzero, S. 66.
103
Aufhebung der Landammannverfassung 1808
Die Landammannverfassung und damit auch jegli-
che Mitwirkung von Laien und Beteiligung des Vol-
kes an der staatlichen Gerichtsbarkeit wurden 1808
durch fürstliche Dienstinstruktionen aufgehoben.
Die Gerichtsbarkeit war fortan vom Oberamt mit
Unterstützung der von ihm aus einem Dreiervor-
schlag der Gemeinden bestellten Ortsgerichte (Ge-
meindevorstehungen) auszuführen.
Kurzfristige Veränderung der Verfassungs-
verhältnisse durch die Revolution von 1848
Die Revolution von 1848 brachte in Liechtenstein
nur eine kurzfristige Veränderung der Verfassungs-
verhältnisse mit sich. Die in Anlehnung an die alte
Landammannverfassung konzipierten Verfassungs-
entwürfe sahen das Gerichtswesen in allen Instan-
zen im Land, das öffentliche und mündliche Ge-
richtsverfahren, Schwurgerichte und die Mitwir-
kung des Volkes bei der Bestellung der Gerichtsor-
gane vor. Die höchste Gewalt sollte auch in der
Rechtspflege beim Fürsten und Volke vereint sein.
Mit fürstlichem Erlass wurde 1852 die alte Rechts-
ordnung wieder in Kraft gesetzt. Damit verschwan-
den auch alle Ansätze zu einer Laienbeteiligung in
der Gerichtsbarkeit.
Geringfügige Laienbeteiligung durch zwei
Gerichtszeugen nach 1859
Die österreichische Strafprozessordnung von 1853
sah eine geringfügige Laienbeteiligung lediglich
noch im Untersuchungsverfahren vor. Die Erhebung
des Tatbestandes war im Beisein zweier Gerichts-
zeugen vorzunehmen. Diese Bestimmung wurde in
Liechtenstein 1859 mit der Rezeption des österrei-
chischen Strafgesetzbuches von 1852 angewendet.
Laienbeteiligung unter der konstitutionellen
Ordnung von 1862
Die Verfassung von 1862 sah keine Laienbeteiligung
an der Rechtssprechung vor. Die neue österrei-
chische Strafprozessordnung von 1874 enthielt
grundsätzliche Anpassungen an die zeitgenössi-
schen Rechtsanschauungen und verankerte mit der
Wiedereinführung der Geschworenengerichtsbar-
keit die Laienbeteiligung an der Gerichtsbarkeit.
Dies war Anlass für den Landtag, die Einführung
des öffentlichen und mündlichen Strafverfahrens zu
verlangen. Nach einer mehrjährigen Auseinander-
setzung zwischen Regierung und Volksvertretung
wurde 1881 eine Strafprozessnovelle erlassen. Da-
nach hatte das Untersuchungsverfahren bei Verbre-
chen beim Landgericht als Kriminalgericht unter
Zuzug von zwei Gerichtszeugen zu erfolgen. Das
Schlussverfahren war öffentlich und mündlich. Der
Gerichtshof bestand aus drei geprüften rechtskun-
digen Richtern und zwei beeidigten Laienrichtern
(Schöffen), die von Fall zu Fall vom Landgericht aus
den durch den Landtag gewählten sechs Laienrich-
tern ausgelost wurden. Die Laienrichter mussten
liechtensteinische Staatsbürger sein und waren
gleich stimmberechtigt wie die geprüften Richter.
Mit der Strafprozessordnung von 1881 wurde das
altdeutsche Schöffeninstitut in beschränktem Um-
fang wieder ins Leben gerufen. Die Laienbeteiligung
blieb auf das Verfahren in erster Instanz be-
schränkt. Die von der Volksvertretung geforderte
Mehrheit von Laienrichtern im Kriminalgericht
wurde nicht verwirklicht.
1884 wurden Änderungen sowohl im Verfahren
über Verbrechen als auch bei Vergehen und Über-
tretungen vorgenommen. Der Zuzug zweier Ge-
richtszeugen wurde beschränkt. Im Verfahren über
Vergehen bestand der Gerichtshof (Schöffengericht)
aus dem Untersuchungsrichter und zwei Laienrich-
tern. Die Zusammensetzung des Kriminalgerichts
im Verfahren über Verbrechen blieb unverändert.
In den Diskussionen um die Justizreform 1906
bis 1915 wurden die Verlegung des Obergerichts ins
Land und damit ein mündliches und öffentliches
Verfahren auch in der zweiten Instanz sowie eine
Laienrichterbeteiligung im zivilrechtlichen Rekurs-
verfahren gefordert. Die Forderungen wurden
schliesslich nicht umgesetzt. Die Reform brachte be-
züglich der Beteiligung von Laien im Gerichtsver-
fahren und der Zusammensetzung der Gerichtshöfe
keine Änderungen. Mit der Einführung der Vermitt-
lerämter 1915 kam es hingegen zu einer neuen
Form der Laienbeteiligung am Gerichtswesen.
104
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
Verstärkung des Laienelements durch
die Verfassung von 1921
Die Verfassung von 1921 führte auch zu einer deut-
lichen Verstärkung des Laienelements in der Ge-
richtsbarkeit. Dabei wurde wie schon 1848/49 und
1880/81 an die Verhältnisse zur Zeit der alten Land-
ammannverfassung angeknüpft. Sämtliche Ge-
richtsinstanzen wurden ins Land gelegt. Die Mehr-
heit liechtensteinischer Staatsbürger, nicht jedoch
eine Mehrheit von Laienrichtern, wurde für sämtli-
che Kollegialgerichte vorgeschrieben. Die rechtliche
Grundlage für Laienrichter blieb bis heute ziemlich
dürftig. In der Praxis jedoch wurden bis in die jünge-
re Vergangenheit in sämtliche Kollegialgerichte
mehrheitlich nicht nur liechtensteinische Staatsbür-
ger sondern auch Laien bestellt. Eine wesentliche
Erweiterung der Mitwirkungsrechte des Volkes be-
deutete die vorgeschriebene Wahl der Mitglieder der
Rekursinstanzen durch den Landtag, auf deren Zu-
sammensetzung das Volk bis dahin keinen Einfluss
nehmen konnte. Für die neu geschaffenen Gerichts-
höfe des öffentlichen Rechts, Verwaltungsbeschwer-
deinstanz und Staatsgerichtshof, war eine Laien-
richterbeteiligung vorgesehen, indem nur eine Min-
derzahl von rechtskundigen Richtern vorgeschrie-
ben wurde. In Strafsachen war im Verfahren wegen
Übertretungen wie in bürgerlichen Sachen in erster
Instanz Einzelrichterbesetzung vorgesehen, bei
strengeren Strafandrohungen im Verfahren wegen
Vergehen jedoch das Schöffengericht, und im Ver-
fahren wegen Verbrechen das Kriminalgericht. In
beiden Kollegien hatten die vom Landtag gewählten
Laienrichter nun die Mehrheit. Auch für das Oberge-
richt und den Obersten Gerichtshof wurde eine Lai-
enrichterbeteiligung vorgesehen, indem lediglich
für eine Minderheit der Kollegien das Erfordernis
der Rechtskundigkeit vorgeschrieben wurde.
Hinsichtlich der Richterbestellung wurde für bür-
gerliche Rechtssachen und Strafsachen eine unter-
schiedliche Regelung getroffen. Zur Bestellung der
in Zivilsachen tätig werdenden Richter aller drei In-
stanzen war das Zusammenwirken von Fürst und
Volk erforderlich. Die Wahl der Richter stand dem
Landtag zu, das Ernennungsrecht dem Fürsten. Für
die Strafgerichte erster Instanz galt hingegen eine
andere Regelung. Die Laienrichter des Schöffen-
und Kriminalgerichts wurden allein vom Landtag
gewählt. Zu ihrer gesetzmässigen Bestellung war
keine Ernennung oder Bestätigung durch den Lan-
desfürsten erforderlich. In diesem Bestellungsvor-
gang und der festgelegten Laienmehrheit in den
Strafgerichten kamen die verstärkten Mitwirkungs-
rechte des Volkes deutlich zum Ausdruck. Sie zeig-
ten sich auch in der Tatsache, dass nach 1921 in je-
dem liechtensteinischen Gericht mindestens ein
vom Parlament gewählter und über dessen Vor-
schlag vom Fürsten ernannter Richter sass.
Jugendgericht
1958 wurde in erster Instanz im Bereich der Straf-
rechtspflege ein Jugendgericht geschaffen, beste-
hend aus einem Landrichter als Vorsitzendem und
zwei Laienrichtern. Als Laienrichter waren von Ge-
setzes wegen zwei Mitglieder des Jugendrates be-
stimmt. Diese Regelung war rechtlich umstritten.
Sie wurde 1990 korrigiert und das Wahlrecht wie je-
nes für die Laienrichter in den anderen Strafgerich-
ten erster Instanz dem Landtag übertragen. Beim
Jugendamt tätige Personen durften nicht mehr ins
Jugendgericht bestellt werden.
Kommissionen mit verwaltungs-
rechtlichen Funktionen
In den Kommissionen mit verwaltungsrechtlichen
Funktionen (Landessteuerkommission, Landes-
Grundverkehrskommission, Beschwerdekommissi-
on für Bodenverbesserungen, Regelungskommissi-
on, Beschwerdekommission für Verwaltungsange-
legenheiten) zeigte sich ein gewandeltes Staatsver-
ständnis. In ihnen kommen Funktionen zum Tra-
gen, mit denen die Mitwirkung von Laien in den
ordentlichen Gerichten u. a. begründet wird: das
Einbringen von besonderen Berufs- und Fachkennt-
nissen, die Sicherung der Volksnähe, das Einbrin-
gen von Gerechtigkeitsvorstellungen des Volkes so-
wie die Stärkung seines Vertrauens in die Justiz und
in den Staat. Die Kommissionen wurden alle erst
nach der Verfassung von 1921 geschaffen.
105
Würdigung und Ausblick
aus historischer Sicht
Verfassungsrevision von 2003
Die Verfassungsrevision von 2003 und die folgende
Reorganisation des Gerichtswesens dessen den Be-
stand an Gerichten und insbesondere die Art und
das Mass der Laienvertretung in ihnen im Wesentli-
chen unverändert. Für den neu gebildeten Verwal-
tungsgerichtshof, den Staatsgerichtshof und den
Obersten Gerichtshof wurde eine Mehrheit von
rechtskundigen Richtern zwingend vorgeschrieben.
Neu wurde für alle Richter ein einheitliches Bestel-
lungsverfahren eingeführt. Die Richter werden vom
Landesfürsten ernannt, nachdem sie mit dessen Zu-
stimmung dem Landtag zur Wahl empfohlen, gege-
benenfalls in einer Volkswahl bestimmt worden
sind. In diesem Bestellungsvorgang findet der in der
Verfassung begründete Dualismus der in Fürst und
Volk verankerten Staatsgewalt und Souveränität auf
andere Weise Ausdruck. Er zeigt sich auch in der
Aussage, wonach die gesamte Gerichtsbarkeit «im
Namen des Fürsten und des Volkes» ausgeübt wird.
Das neue Auswahl- und Bestellungsverfahren been-
dete zudem die 1881 einsetzende besondere
Rechtstradition der Bestellung der Laienrichter in
Schöffen- und Kriminalgericht allein durch den
Landtag. Die Laienbeteiligung an der Gerichtsbar-
keit wurde weder bei der Verfassungsrevision noch
bei der Folgegesetzgebung grundsätzlich näher un-
tersucht oder in irgendeiner Weise in Frage gestellt.
GRÜNDE FÜR DIE HEUTIGE LÖSUNG
In der Geschichte des Laienrichtertums in Liechten-
stein können im Wesentlichen die Gründe für die
heutige Lösung der Laienbeteiligung in der Ge-
richtsbarkeit erkannt werden. Die geltenden Rege-
lungen wurzeln einerseits in der Übernahme von
Entwicklungen im Ausland, andererseits in Beson-
derheiten der liechtensteinischen Verfassungsge-
schichte.
ÜBERNAHME VON NORMEN UND ORGANI-
SATIONSFORMEN AUS DEM MITTELEURO-
PÄISCHEN RECHTSKREIS
Ein Hauptgrund für die gegenwärtige Lösung der
Laienbeteiligung an der Rechtsprechung in Liech-
tenstein liegt in der Übernahme von Normen und
Organisationsformen, die sich in den Territorien des
mitteleuropäischen Rechtskreises herausgebildet
haben, zu dem auch das heutige Fürstentum Liech-
tenstein gehört. Die Gerichtsorganisation in unserer
Region war über ein Jahrtausend insbesondere ge-
prägt durch den Gang der Verhältnisse im Alten
Deutschen Reich, später wesentlich durch die Re-
zeption österreichischen Rechts und seit dem 20.
Jahrhundert auch durch Anlehnung an schweizeri-
sche Vorbilder bei der Ausgestaltung der Verfas-
sung.
Die Laienbeteiligung war das Ergebnis der Auf-
klärung. Sie forderte die Abschaffung des Inquisiti-
onsprozesses und die Einführung eines Verfahrens,
das die Persönlichkeit des Beschuldigten achtete
und ihn zum Subjekt des Verfahrens machte. Eine
weitere Forderung der Aufklärung war der Gedan-
ke, dass das Volk auch an der Rechtsprechung aktiv
teilhaben sollte. Die Quelle des Rechts und des Staa-
tes wurde nicht mehr im Herrscher, sondern im
Volkswillen gesehen. Auch dieser Gedanke führte
dazu, das Volk durch Bürger als Laienrichter an der
Rechtsprechung zu beteiligen und diese demokra-
tisch zu legitimieren.
Die Laienbeteiligung sollte helfen, die eingeführte
Gewaltenteilung zu sichern, indem die Unabhängig-
106
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
keit der Gerichte gestärkt und dem Volk Einfluss auf
die Justiz verschafft wurde. Durch die Laienbeteili-
gung sollten die Berufsrichter kontrolliert und will-
kürliche Entscheidungen vermieden werden. Sie
war vor allem Ausdruck von Misstrauen gegenüber
dem Staat und seinen beamteten Richtern.
Die Laienbeteiligung ist als eine Form der Demo-
kratisierung der Rechtsprechung in der Landesver-
fassung enthalten. Diese geht von der Koexistenz von
Berufsrichtern und Laienrichtern aus. Die Geschich-
te der Laienbeteiligung bestätigt die Demokratisie-
rungsfunktion der Laienrichter. Die Geschichte
spricht auch für die zweite wesentliche Aufgabe der
Laienrichter, das Vertrauen der Bevölkerung in die
Justiz zu stärken, indem sie die Berufsrichter in ihrer
Tätigkeit beobachten und kontrollieren.
Mit der Paulskirchenverfassung von 1848 wurde
zum ersten Mal die Forderung nach der Beteiligung
von Laien in der Strafgerichtsbarkeit für alle deut-
schen Länder einheitlich festgeschrieben. Die Lai-
enbeteiligung stellte dabei nur einen Teil von umfas-
senden gesellschaftlichen und staatsrechtlichen
Forderungen dar, die im Anschluss an die französi-
sche Revolution durchgesetzt werden sollten. 1881
wurde in der Strafprozessordnung zum ersten Mal
die Laienbeteiligung in der Strafrechtspflege in
Liechtenstein eingeführt. Sie ist bis heute beibehal-
ten und nach 1921 noch ausgebaut worden.
Seit 1848 gab es immer wieder Kontroversen um
die Form der Laienbeteiligung im Gerichtswesen.
Klar ist jedenfalls herauszuheben, dass der Grund
für die Einführung der Mitwirkung von Laien in der
Justiz der Kampf gegen das beamtete Berufsrichter-
tum war. Die wechselvolle Geschichte des Laienrich-
tertums hat gezeigt, dass dieses stets dann einge-
schränkt wurde, wenn der Beschuldigte mehr als
Objekt gesehen, seine Rechte eingeschränkt wur-
den, während die Staatsmacht uneingeschränkt
und unkontrolliert agierte. Geschworene und Schöf-
fen wurden im Laufe der Geschichte stets dann be-
seitigt, wenn im Sinne eines autoritären Regiments
mit dem Angeklagten kurzer Prozess gemacht wur-
de, wenn seine Rechte empfindlich eingeschränkt
wurden und die Staatsmacht im Bereich der Straf-
gerichtsbarkeit frei schalten und walten wollte.
Das Jahrhunderte lange Misstrauen gegenüber
der Justiz und ihren Berufsrichtern war ausschlag-
gebend für die Laienrichterbeteiligung insbesonde-
re im Strafprozess. Damit verbunden war notwendi-
gerweise die Mündlichkeit des Verfahrens und die
Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, ebenso die
öffentliche Verhandlung und die freie richterliche
Beweiswürdigung. Eine Erkenntnis aus der Ge-
schichte ist, dass zu einem demokratischen Rechts-
staat eine wirkungsvolle Laienbeteiligung an der
Gerichtsbarkeit gehört.
Historische Gründe allein können das Laienrich-
tertum nicht rechtfertigen. Die Geschichte verdeut-
licht jedoch, dass die Laiengerichtsbarkeit unter
grossen Mühen erkämpft wurde. Historisch gesehen
ist die Strafjustiz nie ganz ohne Laienbeteiligung
ausgekommen. Selbst in Zeiten des Inquisitionspro-
zesses blieb sie in Spuren erhalten. Die Geschichte
belegt auch die bei reinen Juristengerichten beste-
hende Gefahr, dass ein Volk einer seiner ureigensten
Angelegenheiten entfremdet wird und so im Laufe
der Zeit ein Stück Freiheit verliert. Die Gefahr zeigte
sich besonders deutlich, wenn Richter als Staatsbe-
amte von der Regierung abhängig waren, wie bei-
spielsweise zur Zeit des Absolutismus. Auch wenn
die Unabhängigkeit der Richter heute verfassungs-
rechtlich garantiert ist, so zählt dieses Argument,
historisch gesehen, zur wichtigsten Rechtfertigung,
Laien zur Rechtsprechung heranzuziehen.
In ihrer heutigen Form stellt die Laienrichterbe-
teiligung eine Errungenschaft des 19. Jahrhunderts
dar. Sie lässt sich als Teil von umfassenden gesell-
schaftspolitischen und staatsrechtlichen Forderun-
gen ohne weiteres in die Reihe der demokratischen
Bestrebungen und Erfolge, wie Erringung der Ge-
waltenteilung, Volkssouveränität und Meinungs-
und Pressefreiheit, einordnen. Die Mitwirkung von
Laien an der Rechtspflege ist Teil einer bedeutenden
Rechtstradition und zählt zu den Grundlagen demo-
kratischen Denkens. Diese Errungenschaft sollte
deshalb grundsätzlich nicht in Frage gestellt wer-
den.
107
SPEZIFISCH LIECHTENSTEINISCHE
RECHTSENTWICKLUNG
Die heutige Lösung der Laienbeteiligung an der Ge-
richtsbarkeit ist auch geprägt durch die besondere
liechtensteinische Verfassungsgeschichte. Während
in den anderen Ländern des mitteleuropäischen
Rechtskreises die Verankerung der Staats- und Ge-
richtsgewalt vom König und Landesherren ganz auf
das Volk verlagert wurde, blieb in Liechtenstein der
Dualismus von Rechten des Volkes und Rechten des
Monarchen bestehen und prägt bis heute die staatli-
che Ordnung in besonderer Weise. Grundlage für
die Wiedereinführung der Laiengerichtsbarkeit in
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildete
nicht allein der Gedanke der Volkssouveränität, son-
dern auch die Auffassung von vom Fürsten ausge-
hender und durch ihn übertragener Gewalt.
Die 1848 formulierte Vorstellung einer beim
Fürsten und Volke vereinten höchsten staatlichen
Gewalt320 wurde erst Jahrzehnte später in der Straf-
rechtspflege verwirklicht. In Erinnerung an die
Landammannverfassung vor 1720 und an ihr
Schöffeninstitut nach altem deutschem Recht wurde
Laien wieder Beteiligung an der Rechtsprechung ge-
währt. Laienrichter entschieden mit über die Schuld
oder Unschuld von Angeklagten. Die gefällten Urtei-
le wurden jedoch im Namen des Fürsten erlassen.
Die von der Volksvertretung beschlossene Strafpro-
zessordnung und die darin enthaltene Mitwirkung
von Laienrichtern waren nur mit seiner Zustim-
mung zustande gekommen. Es war seine Regierung,
die wohl seinen Willen gegen denjenigen des Land-
tages durchgesetzt und eine Mehrheit von Laien-
richtern im Strafgericht verhindert hatte. Noch
deutlicher als bei der Zusammensetzung des Ge-
richts wurde das Zusammenwirken von Rechten
des Volkes und des Fürsten beim Bestellungsmodus.
Im gemischten Senat waren der Landrichter und die
rechtskundigen Richter vom Fürsten ernannt, die
Laienrichter hingegen vom Landtag gewählt. Die in-
direkt vom Volk bestellten Laienrichter bedurften
keiner Ernennung oder Bestätigung durch den Lan-
desfürsten.321
In der Verfassung von 1921, welche die liechten-
steinische Staatsform der Monarchie auf eine parla-
mentarische und demokratische Grundlage stellte,
kam der auf die Gerichtsbarkeit übertragene Grund-
satz der im Fürsten und Volk verankerten Staatsge-
walt unverkennbar zum Tragen. Einerseits fanden
die verstärkten Mitwirkungsrechte des Volkes an
der Gerichtsbarkeit Ausdruck in der für die erste In-
stanz im Schöffengericht und Kriminalgericht neu
festgelegten Mehrheit von Laienrichtern, die allein
Kraft der Wahl durch den Landtag in ihr Amt bestellt
wurden. Dies galt mit Ausnahme des Präsidenten
und dessen Stellvertreter auch für die Mitglieder der
Verwaltungsbeschwerdeinstanz und des Staatsge-
richtshofs. Auch in der Regelung, dass alle Gerichte
mehrheitlich mit liechtensteinischen Staatsbürgern
besetzt sein mussten, und dass der Einsitz von Lai-
enrichtern in Straf- und Zivilsachen auch in den Re-
kursinstanzen vorgesehen wurde, war eine Stär-
kung der Volksrechte zu erkennen. Andererseits
blieben die Rechte des Landesfürsten gewahrt. In
seinem Auftrag wurde die gesamte Gerichtsbarkeit
ausgeübt. Er ernannte auf Vorschlag des Landtags
die Landrichter, die Vorsitzenden der Gerichtshöfe
des öffentlichen Rechts und deren Stellvertreter so-
wie alle Richter der Rekursinstanzen.322
Die Verfassungsrevision von 2003 liess die Zu-
sammensetzung der Gerichte, insbesondere die Art
und das Mass der Laienvertretung, im Wesentlichen
unverändert. Die Aussage, wonach die gesamte Ge-
richtsbarkeit im Namen des Fürsten und des Volkes
ausgeübt und die Entscheidungen der Richter in Ur-
teilsform im Namen von Fürst und Volk erlassen
und ausgefertigt werden, macht die Besonderheit
der liechtensteinischen Staatsform und der Rege-
lung der Rechtsprechung deutlich. Mit dem neu ein-
geführten einheitlichen Bestellungsverfahren für
alle Richter wurde hingegen eine alte Rechtstraditi-
on verlassen. In ihm kommt die Mitwirkung des Vol-
kes einerseits noch indirekt durch den Einsitz von
Landtagsabgeordneten im Richterauswahlgremium
und im Wahlrecht des Landtags, andererseits durch
die vorgesehene Volksabstimmung im Falle einer
Ablehnung der vom Gremium vorgeschlagenen
Kandidaten durch den Landtag zur Geltung. Der
108
GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
Fürst ernennt nun alle Richter, nachdem diese mit AUSBLICK UND EMPFEHLUNGEN
seiner Zustimmung dem Landtag zur Wahl empfoh-
len, gegebenenfalls in einer Volkswahl bestimmt Vor dem dargelegten Hintergrund der geschichtli-
worden sind.320 321 322 323 eben Entwicklung des Laienrichtertums, seiner ak-
tuellen Beurteilung sowie der vorgenommenen Wür-
digung, seien abschliessend einige wenige Empfeh-
lungen gegeben. Bei einer möglichen Neuregelung
sollte die laienrichterliche Beteiligung keineswegs
abgebaut oder gar beseitigt werden. Die Geschichte
legt vielmehr nahe, die Laienmitwirkung in ihrer ak-
tuellen Form zu erhalten und zu stärken. Dazu gibt
es verschiedene Möglichkeiten. Zur wohl ersten und
wichtigsten Massnahme gehört es, dafür zu sorgen,
dass das Laienrichtertum in der Bevölkerung be-
kannt und seine Bedeutung erkannt wird. Nur so
kann es einen wesentlichen Zweck, nämlich zur
Landes- und Volksverbundenheit der Justiz beizu-
tragen, auch wirklich erfüllen. Die Laienrichter
selbst sollten für ihre Tätigkeit gründlich vorbereitet
und in ihre Aufgaben eingeführt werden. Auch
wenn allein schon ihre Präsenz in den Gerichten
eine kontrollierende Wirkung hat, sollten sie darü-
ber hinaus vor allem ermutigt werden, durch geziel-
tes Fragen die Berufsrichter zu einer verständlichen
Fachsprache anzuhalten. Möglichkeiten zur Verbes-
serung sollten auch im Bereich der Auswahl und im
Bestellungsvorgang der Laienrichter geprüft wer-
den. Der Auswahlmodus sollte sicherstellen, dass
die Laienrichter wirklich das Volk vertreten. Das gilt
insbesondere für den Bereich der Strafgerichtsbar-
keit, wo dieses Motiv auch eine starke historische
Begründung hat. Aus diesem Grund ist auch der gel-
tende Bestellungsvorgang für die Laien im Schöffen-
und Kriminalgericht zu hinterfragen. Sie sollten im
Sinne der griechischen Bedeutung der Bezeichnung
<Laie> als «zum Volk Gehörige» und in Anknüpfung
an die geschichtliche Tradition allein durch das Volk
beziehungsweise dessen Vertretung in ihr Amt be-
rufen werden.
320) Vgl. dazu oben, S. 54.
321) Vgl. dazu oben, S. 81 f.
322) Vgl. dazu oben, S. 76-82.
323) Vgl. dazu oben, S. 88-92.
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hausfall) mit Darstellung
der zusammenhängenden
Ereignisse, Begutachtung
involvierter Rechtsfragen,
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113
BILDNACHWEIS
S. 22 und S. 29: Wikimedia
Commons
S. 34: LLAAM 5, Lands-
brauch 1667, fol. 60v und
61r
S. 36: LLA RA 73/35, Blut-
verbannung
S. 38: Grafiksammlung des
Liechtensteinischen Lan-
desmuseums, Vaduz
ANSCHRIFT DES
AUTORS
Dr. Alois Ospelt
Meierhofstrasse 45
FL-9490 Vaduz
alois.ospelt@adon.li
S. 39: LLA RA 73/1, Ge-
richtsprotokolle der Mai-
en- und Herbstzeitgerichte
zu Rofenberg 1602-1605
S. 42: LLA AS 1/1, Verhör-
tagsprotokolle
S. 44: LLAAM 4, Dienst-
instruktion von 1719
S. 46: LLA RA 2/7/5/1,
Resolution betreffend Wie-
dereinführung alter Volks-
rechte, 1733
S. 48: LLA RA 16/6,
Rechtsgutachten von 1784
S. 50: LLA RA 32/1/166
S. 52: LLA RC 100/4
S. 58 f: LLA RE 1879,
Nr. 229
S. 66: Liechtensteiner
Volksblatt, 23. September
1881, Nr. 38
S. 73: LLA Bildsammlung
S. 75: LLALTA 1915/L12,
Landtagsprotokoll 25.
November 1915, Beilage
zu Traktandum 2.
S. 90: Silvia Ruppen,
Mauren
S. 93: Paul Trümmer,
Mauren
114
LEUCHTENDE
ZEUGEN DER ZEIT
GLASMALEREI IN LIECHTENSTEINISCHEN
KIRCHEN UND KAPELLEN
PETER GEIGER
Inhalt
117 Glas und Glasmalerei
118 Das «himmlische Jerusalem» nachbilden
119 In Liechtenstein vertretene Epochen und
Stilarten
121 - Glasmalerei in Kirchen und Kapellen
Liechtensteins bis 1945
125 - Glasmalerei in Kirchen und Kapellen
Liechtensteins von 1945 bis 2008
127 Vom Entwurf zum Fenster:
Bauherrschaft - Künstler - Glaswerkstätte
128 Bild-Programme
134 Stifter
135 Frauen- und Männerseite
135 Bruder Klaus und weitere heilige Helfer
137 Zur letzten Ruhe
138 Spiegel der Geschichte, zeitlose Schönheit
LEUCHTENDE ZEUGEN DER ZEIT
PETER GEIGER
Um magisch leuchtende Glasmalereien zu bewun-
dern, mag man die Kathedrale von Chartres, den
Kölner Dom, das Berner Münster, das Zürcher Frau-
münster oder die Klosterkirche von Königsfelden
besuchen. Oder man sieht sich einfach in den Pfarr-
kirchen und Kapellen der eigenen Gegend, wo im-
mer in Europa, mit offenen Augen um, zum Beispiel
im Sarganserland, im Werdenbergischen, in Vorarl-
berg - oder im Fürstentum Liechtenstein. Denn im
ehemals bäuerlich-dörflichen Ländchen, wo man
wenig vermuten würde, sind in den Pfarrkirchen
und Kapellen der elf Gemeinden Glasmalerei-Fens-
ter in erstaunlicher Vielfalt zu entdecken.1
In diesem Beitrag soll nach allgemeinen Bemer-
kungen zu Glas und Technik der Glasmalerei auf die
in Liechtenstein beobachteten Stilepochen, Inhalte,
Künstler, Werkstätten und Stifter hingewiesen wer-
den. Zur Übersicht über alle Kirchen und Kapellen,
in welchen es in Liechtenstein Glasmalerei gibt oder
(soweit bekannt) gab, sind diese unten in zwei Lis-
ten chronologisch zusammengestellt. Die erste
reicht bis 1945, die zweite danach weiter bis heute.
Wer weiter Detailliertes zu diesen kirchlichen
Kunstwerken und ihrem jeweiligen Kontext in Ge-
bäuden und Zeit wissen möchte, findet Hinweise in
der am Schluss angeführten Literatur.
Der vorliegende Beitrag ist auch als Anregung ge-
dacht, die Kunstwerke selber vor Ort zu besuchen.
Die Kirchen sind offen. Bei manchen Kapellen sind
die Schlüssel zu erfragen, etwa im nahen Gasthaus
(so zu Rofenberg im «Hirschen», im Steg und auf
Masescha im jeweiligen Kurhaus), bei der Gemeinde
(so in Planken, zu Mariahilf in Balzers) oder beim
Mesmer (so in Schaanwald). Anders auch als bei
grossen Kathedralen liegen die Glasmalereien bei
uns zum Greifen nahe vor Augen.
GLAS UND GLASMALEREI
Glas wird gewonnen, indem man, vereinfacht ge-
sagt, Quarzsand (SiCU) und weitere mineralische
und metallische Stoffe (Oxide von Silber, Blei, Mag-
nesium etc.) auf etwa 1600 Grad Celsius erhitzt und
dann abkühlen lässt. Die flüssige Masse nimmt im
Erkalten und Erstarren bei etwa 600 Grad die Glas-
struktur an, auf der molekularen Ebene eine
unregelmässige (amorphe) Netzstruktur. Glas ist
lichtdurchlässig und je nach mineralischen Beimen-
gungen farbig - Silberoxid zum Beispiel erzeugt im
Glas Gelb -, zugleich ist es hart, brüchig und korrosi-
onsbeständig. Seit dem Hoch- und Spätmittelalter
wurde Glas zusehends für Fenster verwendet. Grös-
sere Glasfenster mussten wegen der Brüchigkeit aus
kleinen Teilen zusammengesetzt werden, etwa als
Butzen oder für Figuren und Ornamente in Mosaik-
teilen unterschiedlicher Form und Farbe. Bedurfte
etwa ein Gesicht feinerer Zeichnung, so wurde diese
auf dem Glasteil mit Schwarzlot oder Emailfarbe
ausgeführt und ebenfalls im Verglasungsverfahren
eingebrannt.
Die Architekten der Gotik öffneten dank Spitzbo-
gen und Strebensystem die Wände für grosse Fens-
terflächen, so wurden monumentale Fenster und
Rosetten mit Glasmalerei möglich. Den gotischen
Rosetten ist die heute in der Westwand der Schaa-
ner Pfarrkirche schwebende, reich ornamentierte
neugotische Rosette der 1890er Jahre nachgebildet.
Ebenso erinnern die 1965/66 entstandenen grossen
Chorfenster der Vaduzer Pfarrkirche an die monu-
mentalen gotischen Kathedralenfenster.
1) Erweiterte Fassung des vom Autor im Jahre 2008 in der Zeit-
schrift <Terra plana>, Zeitschrift für Kultur, Geschichte, Tourismus
und Wirtschaft, Meis, Nr. 3/2008, S. 3-9, publizierten Beitrags, der
bei der dortigen Leserschaft viel Beachtung gefunden hat. Die JBL-
Redaktion dankt dem <Terra plana>-Redaktor Josef Tschirky für das
Einverständnis und die freundliche Kooperation. Im vorliegenden
Beitrag sind zusätzliche Bilder ausgewählt worden, so dass mög-
lichst jede Gemeinde, jedes Gebäude und alle Künstlerpersonen
vertreten sind.
117
DAS «HIMMLISCHE JERUSALEM»
NACHBILDEN
Baumeister und Künstler der Gotik suchten in ihren
Werken das verheissene «himmlische Jerusalem»,
den Himmel, nachzubilden, gemäss den göttlichen
Baugesetzen der Schöpfung. Solches galt auch für
die Glasmalerei. Die Fenster liessen das natürliche,
profane «weisse» Licht im Innern der Kirche über-
raschend in vielen Farben aufleuchten. Das in der
Natur verborgene Wunderbare erschien sichtbar im
sakralen, geheiligten Raum.
Der zauberhaften Wirkung der Glasfenster kann
man sich auch heute nicht entziehen. Farben und
Gestalten flammen bei direktem Sonnenlicht auf,
bei wolkigem Wetter stehen sie ruhig gedämpft -
zum Betrachten und Fotografieren am besten geeig-
net -, in anbrechender Dämmerung glimmen sie ge-
heimnisvoll intensiv. Letzteres kann man zum Bei-
spiel in der neuen Schellenberger Kirche erleben.
Und wenn abends - etwa in Schaan oder Vaduz - im
Kircheninnern die Lichter brennen, liegen den Vo-
rübergehenden die Fenster wie magische Laternen
vor Augen.
Abendmahlsgemeinschaft,
Fritz Weigner, 1963, Pfarr-
kirche Schellenberg.
LEUCHTENDE ZEUGEN DER ZEIT
PETER GEIGER
IN LIECHTENSTEIN VERTRETENE
EPOCHEN UND STILARTEN
Die kirchliche Glasmalerei in Liechtenstein lässt
sich grob in drei Epochen einteilen. Die erste, fast
nicht vertretene Epoche umspannt Spätmittelalter,
Renaissance und frühe Neuzeit. Aus dieser Zeit sind
nur zwei Werke erhalten. Das eine ist ein Glasfens-
ter in der Kapelle des Schlosses Vaduz, etwa aus
dem 16. Jahrhundert. Es zeigt im Stil der Spätgotik
die Kreuzigungsszene und den Tod Mariens. Das an-
dere ist ein kleiner spätmittelalterlicher Fensterrest
aus Eschen, wohl aus dem 15. Jahrhundert, mit spä-
teren Renaissance-Ergänzungen. Es ist heute im
Landesmuseum in Vaduz aufbewahrt. Die Künstler
aus dieser Epoche sind nicht bekannt.
Die zweite, noch mit etlichen Glasmalereien prä-
sente Epoche umfasst etwas mehr als ein halbes
Jahrhundert, nämlich die Zeit von 1850 bis 1914. In
dieser Zeit wurden in sechs der elf Gemeinden des
Landes neue Kirchen gebaut, nämlich in Schellen-
berg 1857 (abgebrochen 1972), in Vaduz 1873, in
Schaan 1891, in Eschen 1894, in Ruggell 1899 und
in Balzers 1912. Und in der Triesenberger Kirche
aus dem 18. Jahrhundert wurden zwischen 1850
und 1890 Glasmalereifenster eingefügt. Es war die
Zeit des Historismus, in welcher historische Stilar-
ten neu übernommen wurden, vor allem die Gotik.
Neugotische Kirchen erhielten so Schellenberg, Va-
duz, Schaan, Eschen und Ruggell, eine neuromani-
sche Balzers. Neue Pfarrkirchen hatten auch Trie-
sen und Mauren 1841/43 erhalten, beide ohne Glas-
malerei.
Dem Baustil entsprach in der Regel die Glasmale-
rei. Die neugotischen Fenster der Vaduzer Pfarrkir-
che schuf Albert Neuhauser von der Tiroler Glasma-
lerei Innsbruck (sie wurden 1966 ersetzt). Die eben-
falls neugotischen Fenster von Eschen und Ruggell
wurden von Karl Wehrli, Zürich, geschaffen, sie sind
bis heute erhalten. Karl Wehrli schuf auch die neu-
barocken Triesenberger Kirchenfenster. In Triesen-
berg wurde die baufällige Pfarrkirche 1939 durch
eine neue ersetzt, ebenso 1963 jene in Schellenberg.
Auch die neugotischen Fenster der Pfarrkirche von
Schaan wurden 1977 ersetzt, doch blieb, neben
Masswerkvignetten im Schiff, insbesondere die
strahlend grosse neugotische Rosette in der West-
wand bestehen, geschaffen von Carl Geihlings Er-
ben, Wien. Reste von ersetzten Fenstern dieser Epo-
che sind bei Gemeinden verwahrt, so in Triesen-
berg, Schellenberg und Vaduz. In den kurz vor und
nach 1900 entstandenen Glasmalereien finden sich
übrigens auch Spuren des Jugendstils, etwa was
Komposition, Natur und Ornamentik betrifft, so in
Eschen oder in der erwähnten Schaaner Rosette.
Die dritte Epoche der Glasmalerei in Liechten-
stein dauert - nach einer kirchenkunstlosen Phase
des Ersten Weltkriegs und der 1920er Jahre - von
1930 bis in die Gegenwart. Erstaunlicherweise ent-
standen schon in den Jahren der Wirtschaftskrise
der 1930er Jahre sowohl einige Kapellen - St. Jo-
sefskirchlein Vaduz 1931, Friedhofkapelle Schaan
1934, Kapelle Nendeln 1935 - als auch zwei neue
Kirchen, jene in Schaanwald 1938 und jene in Trie-
senberg 1939, alle mit Glasmalereien ausgestattet.
Für das St. Josefskirchlein ist der Glaskünstler un-
bekannt, das Fenster der Friedhofkapelle in Schaan
schuf August Wanner, St. Gallen, die nichtfigurativen
Fenster in Nendeln stammen von der Glasmanufak-
tur Mäder in Zürich. Die bild- und farbkräftigen
Fenster in Schaanwald und Triesenberg hat Johan-
nes Troyer, Innsbruck/Vaduz, geschaffen, sie lehnen
sich formal an romanische Vorbilder an, die Figuren
sind ausgeprägte Gebärdenträger. Mitten im Zwei-
ten Weltkrieg wurde 1942/43 die Kirche von Triesen
renoviert, durch den Maler Johannes Hugentobler
von Appenzell, er malte die berühmte Kirchendecke
und füllte die Fenster mit sechs grossen, leuchten-
den Engelsgestalten, sie wirken modern, natürliche
Farben und ornamentale Formen variierend.
Die nachfolgende erste Liste führt chronologisch
die Glasmalereien in Liechtenstein vom Spätmittel-
alter bis 1945 auf.
119
Ältestes Fensterfragment,
Eschen, Spätmittelalter,
mit späteren Zusätzen
(heute im Liechtensteini-
schen Landesmuseum).
Tod Mariens, Kapelle
Schloss Vaduz, spät-
gotisch. Maria auf dem
Sterbelager, umgeben von
den Aposteln, im Himmel
oben nimmt Gott ihre
Seele auf (kleine Figuren
im Spitzbogen).
120
LEUCHTENDE ZEUGEN DER ZEIT
PETER GEIGER
GLASMALEREI IN KIRCHEN UND KAPELLEN
LIECHTENSTEINS BIS 1945
Jahrzahlen sowie Angaben zu Stil und Namen be-
ziehen sich auf bestehende oder aufbewahrte Glas-
malerei
Spätmittelalter
15. /16. Jh. Pfarrkirche Eschen: spätgotisches
Fensterfragment (heute im Landesmu-
seum).
16. Jh. Kapelle Schloss Vaduz: spätgotisches
Fenster.
19. Jahrhundert, bis 1914
1857 Pfarrkirche Schellenberg: neugotisches
Fenster (Kirche 1972 abgebrochen,
Fenster durch die Gemeinde verwahrt).
1872 Pfarrkirche Vaduz: Fragmente neugoti-
scher Fenster von Albert Neuhauser,
Tiroler Glasmalerei, Innsbruck (ersetzt
1966, Teile erhalten).
1850/90 Pfarrkirche Triesenberg: neubarocke
Fenster von Karl Wehrli, Zürich (Kirche
abgebrochen 1938, einige Fenster in
der Kulturgütersammlung).
1879 Pfarrkirche Bendern: neugotische
Masswerkfenster im Schiff erhalten
(1970 ergänzt).
1891/93 Pfarrkirche Schaan: neugotische Fens-
ter von Carl Geihlings Erben Wien,
Rosette erhalten, ebenso Fensterteile im
Schiff (übrige Fenster 1977/78 ersetzt).
1894 Pfarrkirche Eschen: neugotische Fens-
ter von Karl Wehrli, Zürich.
1899 Pfarrkirche Ruggell: neugotische Fens-
ter von Karl Wehrli, Zürich.
1912 Pfarrkirche Balzers: neuromanisches
Halbrund-Portalfenster.
1930er Jahre, Zweiter Weltkrieg
1931 St. Josefskirchlein, Vaduz: neubarockes
Fenster (Madonna mit Kind).
1934 Friedhofkapelle Schaan: Fenster von
August Wanner, St. Gallen.
1935 Kapelle Nendeln: Fenster von Mäder
Glasmanufaktur, Zürich.
1938 Theresien-Kirche Schaanwald: Fenster
von Johannes Troyer, Innsbruck.
1939 Pfarrkirche Triesenberg: Fenster von
Johannes Troyer, Vaduz.
1943 Pfarrkirche Triesen: Fenster von Johan-
nes Hugentobler, Appenzell.
1945 Kapelle Mariahilf in Mäls: Fenster von
Gottlieb Engeier, Andwil.
121
Verkündigung Mariens,
Detail, Karl Wehrli, 1894,
Pfarrkirche Eschen.
Erschrockene Wächter
beim Anblick des Aufer-
standenen, Detail, Karl
Wehrli, 1894, Pfarrkirche
Eschen.
St. Luzius, Karl Wehrli,
Zürich, 1899, Pfarrkirche
Ruggell.
122
LEUCHTENDE ZEUGEN DER ZEIT
PETER GEIGER
Maria mit Kind, Detail,
1931, St. Josefskirchlein,
Vaduz.
Hl. Elisabeth und Hl. Franz
de Paula, Johannes Troyer,
1938, Theresienkirche
Schaanwald, gestiftet von
Fürst Franz I. und Fürstin
Elsa.
Hl. Ursula mit Gefährtin-
nen, Detail, Johannes
Troyer, 1938, Theresien-
kirche Schaanwald.
123
Pfarrkirche Triesenberg
(alle Bilder dieser Seite)
Christi Auferstehung (Mit-
te), flankiert von Wächtern
und Frauen am Grabe.
HL Josef, Detail, Karl
Wehrli, vor 1890, alte
Pfarrkirche Triesenberg
(heute in der Kulturgüter-
sammlung der Gemeinde).
Details rechts Mitte und
unten: Schlafender Wäch-
ter; Frauen, Johannes
Troyer, 1939.
124
LEUCHTENDE ZEUGEN DER ZEIT
PETER GEIGER
Nach dem Zweiten Weltkrieg und bis in die 1980er
Jahre kam es in Liechtenstein zu einer eigentlichen
Kaskade von Kapellen- und Kirchenrenovationen,
Ausdruck auch des wirtschaftlichen Aufschwungs.
Hierbei entstanden viele neue Glasmalereien - aller-
dings verschwanden auch ältere, wie oben erwähnt.
Seit Mitte der 1980er Jahre gab es nur mehr wenige
Neugestaltungen, nämlich jene in der Friedhofka-
pelle Balzers durch Monika Foser-Mahlknecht
1992, die Einsetzung ornamentaler Fenster in der
Klosterkirche Schellenberg 2007 und die Gestaltung
der Fenster der Kapelle im Vaduzer Haus St. Florin
durch Georg Malin im Herbst 2008. Seit der Mitte
des 20. Jahrhunderts wurden nicht mehr historisti-
sche, aber zumeist noch figürliche Formen verwen-
det. Doch kam auch abstrakte, symboltragende Glas-
malerei dazu, so von Martin Frömmelt in Schaan
und Balzers, von Georg Malin in Eschen und in der
Kapelle des Hauses St. Florin in Vaduz.
Die eindrückliche Zahl und Vielfalt der in Liech-
tenstein ab 1945 bis heute ausgeführten kirchlichen
Glasmalerei wird in der folgenden Liste, die jeweils
Jahr und Künstler aufführt, sichtbar. Sie umfasst in
dichter chronologischer Folge 20 Gebäude und 15
Künstlernamen.
GLASMALEREI IN KIRCHEN UND KAPELLEN
LIECHTENSTEINS VON 1945 BIS 2008
Jahrzahlen sowie Angaben zu Stil und Namen be-
ziehen sich auf bestehende oder aufbewahrte Glas-
malerei
1948 Pfarrkirche Mauren: Tauffenster St. Lu-
zius von August Wanner, St. Gallen.
1949 Kapelle Steg: Fenster von Ludwig
Schnüriger, Chur/Vaduz.
1950 Kapelle Masescha: Theodul-Fenster von
August Wanner, St. Gallen.
1951 Kapelle Malbum Rosette von Johannes
Hugentobler, Appenzell.
1952 Kapelle Rofenberg: Fenster von Martin
Häusle, Satteins/Feldkirch.
Engel, Detail, Johannes
Hugentobler, 1943, Pfarr-
kirche Triesen.
125
St. Luzius, August Wanner,
Pfarrkirche Mauren.
1955 Kapelle Planken: Fenster von Edy
Renggli, Luzern.
1955 Kapelle Bürgerheim Schaan: Fenster
von Martin Frömmelt, Schaan (heute in
der Kapelle im Haus St. Laurentius,
Schaan).
1963 Neue Pfarrkirche Schellenberg: Fenster
von Fritz Weigner, Zürich.
1963 Klosterkirche Schellenberg: Fenster,
Künstler unbekannt (2007 ersetzt,
Fragmente im Kloster verwahrt).
1964 Kapelle Haus Gutenberg Balzers:
Fenster von Martin Frömmelt, Schaan.
1966 Pfarrkirche Vaduz: Fenster von Martin
Häusle und Margarethe Häusle.
1970 Pfarrkirche Benderm Fenster von Josef
Seger, Wien/Vaduz.
1977/78 Pfarrkirche Schaan: Fenster von Martin
Frömmelt, Schaan.
1978 Friedhofkapelle Eschen: Fenster von
Regina Marxer, Vaduz.
1979 Pfarrkirche Eschen: Gebetsraum-
Fenster von Georg Malin, Mauren,
sowie Firstrosette von Hugo Marxer,
Eschen.
1981/83 Pfarrkirche Balzers: Fenster von Martin
Frömmelt, Schaan, sowie <Zeichen> von
Evi Kliemand, Vaduz, im Eingangs-
raum.
1992 Friedhofkapelle Balzers: Fenster und
Tür von Monika Foser-Mahlknecht,
Balzers.
2007 Klosterkirche Schellenberg: Fenster
(Gestalter unbekannt).
2008 Kapelle Haus St. Florin Vaduz: Fenster
von Georg Malin, Mauren.
126
LEUCHTENDE ZEUGEN DER ZEIT
PETER GEIGER
VOM ENTWURF ZUM FENSTER:
RAUHERRSCHAFT - KÜNSTLER -
GLASWERKSTÄTTE
Glasmalerei-Fenster werden vom Kirchenbauherrn
- Gemeinde, Pfarrer, Kirchenbauverein - an Künst-
ler in Auftrag gegeben, mit mehr oder weniger wei-
ten inhaltlichen oder formalen Vorgaben. Der
Künstler oder die Künstlerin entwirft die Fenster im
Atelier. Eine spezialisierte Glasmalerei-Werkstätte
führt sie technisch aus. Glas und Farben werden
ausgewählt, die farbigen Glasteile zurechtgeschnit-
ten, allenfalls noch Schwarzlot oder Email aufgetra-
gen. Die Glasteile werden mit Bleistegen («Bleiru-
ten») verbunden. Das Fenster wird in einen eiser-
nen Rahmen, der das Fenster teilweise nochmals
waagrecht unterteilt, gesetzt, der Rahmen in der
Mauer der Fensterleibung verankert. Zusätzlich
werden aussen in geringeren Abständen dünne run-
de Stäbe im Rahmen befestigt, als «Windeisen»,
welche dem wenig stabilen Fenster genügend Fes-
tigkeit geben. Heute wird meist noch eine äussere
Schutzverglasung vorgesetzt. Beim Betrachten ei-
nes Fensters heben die Bleiruten als schwarze Lini-
en die Zeichnung von Figuren und Ornamenten her-
vor, und die waagrechten Rahmen und Windeisen
unterteilen das Fenster waagrecht in Felder. Kunst
und Qualität der Glasmalerei sind also sowohl dem
Künstler als auch der Glasmalerei-Werkstätte ge-
schuldet. Daher sind zu Recht in einem der Fenster
in der Regel beide genannt.
Glasmalerei-Werkstätten wurden und werden für
Liechtenstein jeweils aus Österreich und der
Schweiz beigezogen. Das galt lange ebenso für die
Künstler. Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts wurden
zusehends auch einheimische Künstler, darunter
drei Frauen, beauftragt: Martin Frömmelt, JosefSe-
ger, Regina Marxer, Georg Malin, Hugo Marxer, Evi
Kliemand, Monika Foser-Mahlknecht. Die letztere
hat ausserhalb Liechtensteins auch 1964 Fenster
der Kirche von Algund bei Meran und 1998 die gros-
se Glasrückwand der katholischen Kirche von
Buchs (SG) geschaffen.
Die Beton-Glasmalerei, bei der die Glasteile sehr
dick sind und die Zwischenteile nicht aus Bleiruten,
Blasender Engel, Detail,
Martin Hänsle, 1955,
Rofenbergkapelle, Eschen.
Drei Könige, Detail, Edy
Renggli, 1955, Kapelle
St. Josef, Planken.
127
St. Florimis, Detail, Albert
Neuhauser, 1872, ehemals
Pfarrkirche Vaduz (heute
verwahrt).
sondern aus Beton bestehen, hat in Liechtenstein in
der kirchlichen Glasmalerei erst einmal Anwendung
gefunden, durch Martin Frömmelt in der Kapelle
Haus Gutenberg, Balzers. Wohl aber gibt es Beispie-
le dafür in der Kunst am Bau, ebenfalls von Martin
Frömmelt, in Vaduz in der (alten) Oberschule und im
Hoval-Gebäude sowie in Frommelts Wohnhaus in
Schaan, desgleichen Betonglasmalerei-Fenster von
Louis Jäger in seinem Haus in Schaanwald und in
jenem von Egon Öhri in Mauren. Ohnehin finden
Neugierige auch im profanen Bereich zusehends
Glasmalerei-Fenster, etwa nach Art-Déco-Stil im
Treppenaufgang des «Burgcafé» in Vaduz.
BILD-PROGRAMME
Auf den liechtensteinischen kirchlichen Glasfens-
tern finden jene Inhalte und Motive Darstellung,
welche sonst Wände, Decken, Altäre, Portale und
Kapitelle zieren. Die Fenster zeigen zentrale christ-
liche Themen. In der einzelnen Kirche oder Kapelle
ist meist ein Programm bewusst komponiert. Dies
sei an Beispielen dargelegt.
Auf Schloss Vaduz findet sich das älteste in seiner
kirchlich-religiösen Funktion integral erhaltene
Glasmalereifenster in Liechtenstein, wohl im 16.
Jahrhundert entstanden und an diesem Ort eventu-
ell zweitverwendet. Es zeigt im gotischen Südfenster
der Schlosskapelle bild- und detailreich zwei Sze-
nen: Jesus am Kreuz, mit Maria, Johannes und be-
tendem Stifterpaar, aber ohne Wächter, und Marias
Sterben im Kreise der Apostel. Macht die erste Sze-
ne Christi Tod als Voraussetzung für die Erlösung
sichtbar, so ist die zweite Szene des Marientods ein
im Spätmittelalter verbreitetes Motiv der Verehrung
Mariens wie auch der Apostel. Zusammen führen
sie den Betrachtern die personale Verbindung zwi-
schen Christus, seiner Mutter - im Bild nimmt Gott
im Himmel ihre Seele auf - und den in der Welt zu-
rückbleibenden Aposteln und Gläubigen, hier den
Stiftern, vor Augen.
Die von Karl Wehrli aus Zürich 1894 in der neu-
gotischen Kirche von Eschen gestalteten Fenster im
Chor und im vorderen Schiff zeigen die folgenden
128
LEUCHTENDE ZEUGEN DER ZEIT
PETER GEIGER
Pfarrkirche Vaduz, Martin
und Margarethe Häusle,
1966: Kreisende Engel im
Masswerk.
Selige im Himmel, Detail
aus dem Gerichtsfenster
im Chor.
129
Auferstandener mit Wäch-
ter, Detail, Josef Seger,
1970, Pfarrkirche Bendern.
vier Szenen: Verkündigung, Geburt Jesu, Taufe im
Jordan, Himmelfahrt. Auf den Kreuzestod weisen
hier nur in der Himmelfahrtsszene die Wundmale
und drei kleine Golgathakreuze in der Landschaft
hin. Offenbar wollte man hier das Schöne, Erheben-
de zeigen, nicht das qualvolle Sterben am Kreuz. Die
Jordanszene sollte die Gläubigen an ihre eigene
Taufgemeinschaft erinnern.
Ähnlich und doch anders sind in der 1939 erbau-
ten und mit 12 Glasmalerei-Fenstern von Johannes
Troyer ausgestatteten, achteckigen Kirche von Trie-
senberg zentrale Momente der Erlösungsgeschichte
sichtbar: Auf einer Seite stehen Maria und Josef mit
dem Kind, angebetet von den Hirten und den drei
Königen, auf der Gegenseite dann der aus dem Grab
Auferstehende, flankiert von den sprachlosen Sol-
daten und Frauen, an der Chorseite schauen aus
Rundfenstern die Apostelfürsten Petrus und Paulus
herab und im hinteren Teil sind vier Fenster den
Evangelisten gewidmet. So schliesst sich der Kreis
für die Kirchenbesucher: Geburt und Auferstehung
Christi als Eckpunkte des Erlösungsgeschehens,
durch die Apostel als Märtyrer weiter getragen,
durch die Evangelisten alles authentisch überliefert.
Zugleich bieten diese religiösen Bilder den Gläubi-
gen Bezüge zum eigenen Leben: Mutterschaft, Fa-
milie, Geburt und Tod, Freude und Trauer, Zweifel
und Zuversicht.
In Vaduz wiederum gestaltete 1965/66 der aus
dem vorarlbergischen Satteins stammende Martin
Häusle in der neugotischen Pfarrkirche neue Fens-
ter. Er füllte die grossen Chorfenster mit Themen
und Szenen. Diese spannen den Bogen bilder- und
beziehungsreich vom Beginn der Schöpfung über
das Alte Testament bis zum Ende der Zeiten. Es er-
scheinen die Tiere im Meer, Jonas im Walfisch, die
Jünglinge im Feuerofen, Noah, Loths Weib, Posau-
nenengel des Jüngsten Gerichts, brennende Städte,
die apokalyptischen Reiter, ein Gut und Böse wägen-
der Engel, der richtende Christus, die in den Himmel
tanzenden Seligen. Freude überwiegt den Schre-
cken. Über dem Hauptportal schläft zwischen Scha-
fen Moses unterm brennenden Dornbusch, in den
Masswerken der Fenster in Chor und Schiff kreisen
Engel und Farben. Martin Häusle, in den Formen
130
LEUCHTENDE ZEUGEN DER ZEIT
PETER GEIGER
Neugotische Rosette mit
Christus-Haupt, Carl Geih-
lings Erben (Wien), 1893,
Pfarrkirche Schaan.
«... unter uns gewohnt»,
Detail, Martin Frömmelt,
1978, Pfarrkirche Schaan.
131
modern, nimmt die Tradition der mittelalterlichen
Künstler auf, aus dem Bilderschatz des Alten und
Neuen Testaments schöpfend zu erzählen. Häusle
starb überraschend im Frühjahr 1966, die Tochter
Margarethe Häusle führte das Werk nach seinen
Entwürfen zu Ende.
Fast gleichzeitig wie Häusle in Vaduz verwirk-
lichte 1963 Fritz Weigner aus Zürich in Schellen-
berg ein nicht mehr der Bildertradition verpflichte-
tes Programm. Anders als Häusle, der die neugoti-
schen Spitz- und Masswerkfenster zu füllen hatte,
konnte Weigner in der neuen Pfarrkirche Schellen-
berg die Fenster gestalten. In einfach umrissenen,
farbstarken Bildern setzte er die Christen in Bezug
zum Kosmos, zu Christus und zur Abendmahlsge-
meinschaft. Man kann Weigners Werk zum Zweiten
Vatikanischen Konzil, welches damals gerade be-
gonnen hatte und Erneuerung anstrebte, in Bezug
setzen. Eine rotglühende «Rosa mystica» und eine
blau variierte «Stella matutina» (Morgenstern), bei-
de Symbole für Maria, machen zusätzlich deutlich,
wie Weigners Schellenberger Zyklus mehr meditativ
als erzählend ist.
Ein bis zwei Jahrzehnte nach Weigner und Häus-
le wählte Martin Frömmelt, Schaan, anlässlich der
Renovationen der neugotischen Pfarrkirche in
Schaan 1977/78 und der neuromanischen Pfarrkir-
che in Balzers 1981/83 an beiden Orten weitestge-
hend abstrakte Formen. Frommelts Fenster folgen
bewusst nicht den architektonischen Bauformen
der Kirchen - Kreis, Rund- oder Spitzbogen, Mass-
werk, Symmetrie -, vielmehr setzen sich seine Fen-
ster aus unregelmässigen, teils durchsichtig-farblo-
sen, teils intensivfarbigen Glasflächen, schwarzen
Strichen und - besonders auffällig - Wörtern zusam-
men. Ein knapper Satz gibt jedem Fenster ein The-
ma, als Bibelzitat, Christuswort oder theologische
Aussage wie «Gott ist Liebe» in einem Balzner Fens-
ter. So fügen sich aber auch diese Fenster, die stär-
ker die Ratio als die Bildphantasie ansprechen, zu
einem Programm zusammen und in die christliche
Überlieferung, etwa beginnend mit der Verkündi-
gung des Engels an Maria: «Der Engel brachte Ma-
ria die Botschaft», in Schaan. Wörter und Sätze fin-
den sich übrigens in der Glasmalerei schon im Mit-
132
LEUCHTENDE ZEUGEN DER ZEIT
PETER GEIGER
Kapellenfenster, Aus-
schnitt, Georg Malin,
2008, Haus St.Florin, Va-
duz (im Freien sind Mauer
und Steinböschung sicht-
bar).
Oben: Detail mit Schriftzug
des Künstlers und der
Glaswerkstätte Engeier.
Linke Seite oben: Maria
begegnet Jesus auf dem
Kreuzweg, Detail, Martin
Frömmelt, 1955, Kapelle
Haus Laurentius, Schaan
(ehemals Kapelle Bürger-
heim Schaan).
Linke Seite unten: Chor-
fenster, Martin Frömmelt,
1983, Pfarrkirche Balzers.
133
HL Rudolf mit Schutzengel,
Johannes Troyer, 1938,
Theresienkirche Schaan-
wald (1994 im Zuge der
Renovation ausgebaut, ab
2010 im Schaanwälder
Mehrzweckgebäude «Zu-
schg» ausgestellt). Rudolf
wurde im Spätmittelalter
in der Stadt Bern ermordet
- daher das Messer als
Emblem - und wegen fol-
genden Wunderheilungen
verehrt und heiliggespro-
chen.
telalter wie auch bei Le Corbusier in Ronchamp.
Vereinzelt hat Frömmelt in Balzers - nach den völlig
figurlosen Schaaner Fenstern - fast unmerklich wie-
der figürliche Elemente, so Mutter mit Kind, einge-
fügt.
Die erst 2008 von Georg Malin, Mauren, geschaf-
fene Glasmalerei in der Kapelle des Hauses St. Flo-
rin in Vaduz schliesslich zeigt in abstrakter Form
unregelmässige, vertikal laufende Linien und Flä-
chen. Diese, in Farben von Umbra über Gelb bis
Weiss gehalten, öffnen sich von Fenster zu Fenster
weiter, symbol- und zeichenhaft für Entwicklung,
vom schmal im Dunkel verborgenen Beginn über
Erweiterung und Reifung zur Helligkeit. Hier ist der
Meditation Raum gegeben, im christlichen wie im
allgemein philosophischen Sinn.
STIFTER
Ganz anders präsentiert sich das Ensemble der
Glasmalerei in der schmucken Theresienkirche in
Schaanwald, die 1938 auf Initiative des dortigen
Kirchenbauvereins gebaut wurde. Die Fenster
stammen von Johannes Troyer, der im Jahr darauf
auch die erwähnten Triesenberger Fenster schuf. In
Schaanwald blicken von den Fenstern im Schiff und
auf der Empore einzelne Heiligengestalten. Bei
genauerem Hinsehen erschliesst sich das Prinzip
der Auswahl, es sind die Namenspatrone der Stifter:
So der heilige Franz de Paula für Fürst Franz I. von
Liechtenstein und die heilige Elisabeth von Thürin-
gen für dessen Gemahlin Fürstin Elsa, beide in ei-
nem Fenster vereint, beide wie das Fürstenpaar we-
gen ihrer Mildtätigkeit verehrt. Für den Stifter Al-
bert Eberle, Schulrat in Bregenz, steht der heilige
Albertus Magnus, der grosse mittelalterliche Theo-
loge, im Fenster, für Dr. Ludwig Marxer Saint Louis,
der heilige französische König der Kreuzzugszeit,
und so fort. Das kleinere Fenster im Chorraum, ge-
stiftet vom Kirchenbauvereinspräsidenten Meinrad
Jäger, zeigt den heiligen Meinrad mit dem Raben.
Man möchte meinen, hier handle es sich um ein wir-
res Heiligen-Sammelsurium, doch konnten - und
können - die Kirchenbesucher in mancher Lebens-
134
LEUCHTENDE ZEUGEN DER ZEIT
PETER GEIGER
beschreibung dieser teils armen, teils den Armen
helfenden Heiligen Bezüge zur eigenen Lebenssi-
tuation finden.
Übrigens war und ist es überall Sitte, Kirchen-
fenster über Stifter - heute «Sponsoren» - zu finan-
zieren. Sie sehen dafür am Russe des Werks ihren
Namen oder das Wappen verewigt. Uns Späteren er-
schliesst sich daraus manch familien- und sozialge-
schichtlich Aufschlussreiches, etwa wer fromm,
hablich, vielleicht stolz war. Ohne frommes Mäzena-
tentum hätten viele der Kunstwerke nicht geschaf-
fen werden können. In Triesen sammelte die Ju-
gend: Als Stifter je eines Engel-Fensters von 1943
aufgeführt sind «Unsere Kinder», die «Jungfrauen-
Congregation» und die «Jugendgruppe». Gelegent-
lich traten auch Neubürger als Stifter auf, so bei ei-
nem Evangelisten-Fenster in Triesenberg.
FRAUEN- UND MÄNNERSEITE
In der barocken Kapelle Mariahilf in Mäls (Balzers)
hat 1945 Gottlieb Engeier aus dem st. gallischen
Abtwil neue Fenster gestaltet. In die rechte untere
Ecke jedes Fensters ist eine Heiligenfigur plaziert,
als Kabinettscheibe. Hierbei scheint noch die tradi-
tionelle Einteilung des Kirchenraums in eine Frau-
en- und eine Männerseite auf: Auf der linken Seite
stehen lauter Frauenheilige, nämlich Theresia, Cä-
cilia und Anna mit dem Kind Maria, auf der rechten
Seite nur die Männerheiligen Aloisius, Antonius und
Nikolaus von Flüe. Das Cäcilia-Fenster der Kirchen-
musik-Patronin stiftete sinnigerweise der Kirchen-
chor Balzers.
Hl. Cacilia, Gottlieb Enge-
ier, 1945, Mariahilfkapelle,
Mäls/Balzers.
RRUDER KLAUS UND WEITERE
HEILIGE HELFER
Warum Bruder Klaus als Fensterheiliger? Der Frie-
densvermittler und Einsiedler Nikolaus von Flüe
oder Bruder Klaus - im 17. Jahrhundert selig, aber
erst 1947 durch Papst Pius XII. heilig gesprochen -
galt in der Schweiz im breiten katholischen Volks-
glauben als Beschützer des Landes vor Hitler: Man
135
HL Theodul mit dem
glockentragenden Teufel,
Ludwig Sctmüriger, 1949,
Kapelle Steg/Triesenberg.
HL Theodul, August Wan-
ner, 1950, Kapelle Mase-
scha/Triesenberg.
Rosette Maria mit Kind
und Bruder Klaus und
Engel, Johannes Hugen-
tobler, 1951, Friedenska-
pelle Malbun/Triesenberg.
Jesus am Kreuz, Detail,
Künstler unbekannt, 1963,
Klosterkirche Schellenberg
(2007 ausgebaut, heute
verwahrt).
136
LEUCHTENDE ZEUGEN DER ZEIT
PETER GEIGER
habe, sagte man im Rheintal, des Heiligen Hand am
Himmel über dem Hohen Kasten gesehen. Bruder
Klaus, asketisch mit Rosenkranz, steht nicht nur in
der Mariahilf-Kapelle in Mals. 1951 setzte Johannes
Hugentobler aus Appenzell in der Kapelle in Malbun
den heiligen Bruder Klaus ins grosse Rosettenfen-
ster, als betende Figur neben der Madonna mit
Kind.
In der Steger Kapelle, deren Kabinettscheiben-
Fenster 1949 Ludwig Schnüriger aus Chur (später
Pfarrer in Vaduz) gestaltete, schauen eine Anzahl
Heilige auf die Betrachtenden. Sie sind auf alte und
neue Schutzanliegen bezogen: Bischof Theodul, Pat-
ron der Triesenberger Walser, dem ein Teufel die
Glocke trägt; die Pestheiligen Rochus und Sebastian;
die bekehrte Büsserin Magdalena; Barbara, Nothel-
ferin bei Blitz, Feuer und Sterben - und erneut Bru-
der Klaus.
Ein wiederkehrendes Motiv ist auch die Darstel-
lung von Maria mit dem Kinde Jesu. Ein Beispiel
bietet in neubarocker Form das kleine Chorfenster
im Vaduzer St. Josefskirchlein. Das selbe Motiv fin-
det sich, nun in naiv-moderner Gestaltung, in einem
Fenster aus den 1960er Jahren in der Klosterkirche
Schellenberg; es wurde 2007 ersetzt und im Kloster
verwahrt.
ZUR LETZTEN RUHE
Auch einzelne Friedhofkapellen sind mit Glasmale-
rei ausgestattet. In Schaan hat 1934 August Wanner
aus St. Gallen den aus dem Grab auferstehenden
Christus zu Hoffnung und Trost der Hinterbliebenen
ins Rückwandfenster gesetzt, davor steht jeweils der
Sarg. In Eschen hat 1978 Regina Marxer, Vaduz, die
niedere Decke der neuen Friedhofkapelle durch ein
rundum laufendes Glasfarbband abgehoben, und in
einem grossen Trapezfenster hat sie einen farblosen
Menschenumriss zwischen die Wurzeln eines Bau-
mes gelegt, der Baum grünt, darüber leuchten farb-
kräftig Sonne, Mond und Gestirne. In Balzers wie-
derum ziehen sich über die ganze gläserne Ein-
gangsfront der neuen Aufbahrungskapelle zwei blü-
tenübersäte Lebensbäume, 1992 geschaffen von
Mensch unterm Lebens-
baum, darüber Sonne,
Mond und Sterne, Regina
Marxer, 1978, Friedhofka-
pelle Eschen (unteres Bild
Detail).
137
Blühende Lebensbäume,
Monika Foser-Mahlknecht,
1992, Friedhofkapelle
Balzers.
Monika Foser-Mahlknecht aus Balzers. An den drei
genannten Orten ist das Auferstehungsthema je an-
ders behandelt, 1934 von August Wanner noch tra-
ditionell, 1978 von Regina Marxer und 1992 von
Monika Foser-Mahlknecht allgemeiner, zugleich
ebenfalls mit anschaulicher Symbolik.
SPIEGEL DER GESCHICHTE,
ZEITLOSE SCHÖNHEIT
In den Kirchen- und Kapellenfenstern, den Kunst-
werken der Glasmalerei, spiegeln sich geschichtli-
che Verhältnisse und Geisteshaltungen: Religiosität,
christlicher Glaube, kirchliche Überlieferung, Hoff-
nung auf ein gnädiges Gericht und auf ein ewiges
Leben, auch existenzielle Nöte wie Pest, Blitz,
Krankheit, Krieg und Tod. Ebenso wird die ästheti-
sche Auffassung davon, was schön sei, sichtbar,
auch deren Wandel, so dass gelegentlich Altes durch
Neues, der Zeit gemässer erscheinend, ersetzt wird.
Das Neue gefiel nicht immer - auch das ist ein wie-
derkehrendes Thema -, so fanden manche in Trie-
senberg die Figuren der neuen Fenster von 1939 ge-
genüber den gefälligen Barockfenstern der alten
Kirche als fratzenhaft. Dass die kirchlichen Kunst-
werke überhaupt realisiert wurden, weist auf die
wirtschaftlichen Möglichkeiten von Gemeinden und
Stiftern und auf deren Prioritäten hin. In jedem
Glasfenster begegnet uns auch die Künstlerperson,
samt biographischem Umfeld und weiterem Schaf-
fen. So führte der Lebensweg von Johannes Troyer
(1902-1969), dem Künstler der heutigen Schaan-
wälder und Triesenberger Fenster, von Südtirol
nach Innsbruck, 1939 mit seiner jüdischen Frau ins
Exil nach Liechtenstein, nach dem Krieg nach New
York und schliesslich wieder nach Innsbruck.
Aber auch über alle solchen Zusammenhänge hi-
naus führen die Kunstwerke der Glasmalerei, jedes
für sich, welcher Epoche und welchen Stils, ob in
Liechtenstein und anderswo, immer eines vor Au-
gen: zeitlose Schönheit.
138
LEUCHTENDE ZEUGEN DER ZEIT
PETER GEIGER
DANK
Für wertvolle Hilfe und
Informationen sei den
zahlreichen zuständigen
Personen herzlich gedankt.
Ein besonderer Dank gilt
Gunter Beigl für Beglei-
tung und Mithilfe beim
Besichtigen und Fotogra-
fieren.
QUELLEN
Besichtigung der Kirchen
und Kapellen in Liechten-
stein durch den Autor.
Informationen: Liechten-
steinisches Landesarchiv,
Liechtensteinisches Lan-
desmuseum, Postmuseum
(Vaduz), Gemeindearchive
und -Sekretariate, Pfarr-
ämter und Mesmer, Frau-
enkloster Schellenberg,
Haus Gutenberg Balzers,
Schloss Vaduz, VitroRo-
mont (Musée), Glas Mäder
Zürich, Monika Foser-
Mahlknecht, Balzers,
Georg Malin, Mauren.
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139
BILDNACHWEIS
S. 118, 122 rechts, 123,
124, 125, 126, 129, 130,
131, 132, 133, 135, 136
links, 136 unten rechts,
138: Peter Geiger
S. 120 links:
Liechtensteinisches
Landesmuseum
S. 120 rechts: Heinz Freute,
Vaduz
S. 122 links, 127 oben,
137: Gunter Beigl, Schaan
S. 127 unten: Wolfgang
Müller, Close Up AG,
Triesen
S. 128: Erich Ospelt, Vaduz
S. 134: Paul Trümmer,
Mauren
S. 136 Mitte oben: Josef
Eberle, Triesenberg
S. 136 oben rechts: Ursula
Geiger-Eberle, Schaan
ANSCHRIFT DES
AUTORS
PD Dr. Peter Geiger
Im obéra Gamander 18
FL-9494 Schaan
und
Liechtenstein-Institut
Auf dem Kirchhügel
St. Luziweg 2
FL-9487 Bendern
pg@liechtenstein-institut.li
140
«EIER-, MILCH-
UND SEIFENPUNKTE,
ANBAUPFLICHT UND
EINMACHKURS»
RATIONIERUNG UND MEHRANBAU IN LIECHTEN-
STEIN IM ZWEITEN WELTKRIEG
PETER GEIGER
Inhalt
143 Einleitung
144 Kriegswirtschaft
144 Wie ein Schweizer Kanton
147 Lebensmittelrationierung
147 - Übersicht 1939-1948
150 - Lebensmittelkarten
152 - Schwierigkeiten
154 Weitere rationierte und kontingentierte
Güter
156 Mehranbau
156 - Anbaupflicht, Massnahmen
158 - Landdienst
159 - Flächen und Erträge
161 Nebenwirkungen
161 - Kurse für Frauen
162 - Altstoffsammeln
162 - Regulierungsschub
163 Fazit
163 - Ernährungsbilanz
165 - In andern Ländern
165 - Dankesschuld gegenüber der Schweiz
166 Nicht vergessen
«EIER-, MILCH- UND SEIFENPUNKTE, ANBAU-
PFLICHT UND EINMACHKURS» / PETER GEIGER
EINLEITUNG
Für einmal erscheint das hier vorgelegte zeitge-
schichtliche Thema äusserlich als undramatisch.
Der Titel «Eier-, Milch- und Seifenpunkte, Anbau-
pflicht und Einmachkurs» tönt nach Kraut und Rü-
ben. In der Tat umfassten die kriegswirtschaftlichen
Massnahmen in Liechtenstein sehr Verschiedenes.
Es galt die abnormale Kriegszeit zu überleben, vor-
ab durch Rationierung und Mehranbau. Diese wer-
den hier betrachtet. Dabei haben wir es mit Wirt-
schaftsgeschichte, Sozialgeschichte und Alltagsge-
schichte zu tun.1
Im Folgenden werden Voraussetzungen und Or-
ganisation der Kriegswirtschaft für Liechtenstein
erläutert, Rationierung und Kontingentierung im
Einzelnen erklärt und geschildert - vorab im Be-
reich der Lebensmittel -, der landwirtschaftliche
Mehranbau überblickt sowie knapp drei Nebenwir-
kungen benannt. Schliesslich wird ein Fazit gezo-
gen. Darstellungen und Bilder dienen der Anschau-
ung. Die Lektüre mag den heute Lebenden Einblick
in den kaum mehr vorstellbaren Alltag der Kriegs-
jahre vermitteln, bei vielen auch den schlummern-
den Erinnerungsschatz eigenen Erlebens oder fami-
liärer Erzählung wecken.
1) Erweiterter Text des öffentlichen Vortrags, gehalten am 4. April
2009 im Gemeindesaal Gamprin zur Jahresversammlung des
Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein.
Stolze Einfahrt der Kraut-
ernte in Schaan, die Frau
bewirtet die Männer, zwei
Pferde sind schon ausge-
spannt, bäuerliche Idylle,
ca. 1935/40, Foto: Adolf
Buck, Schaan.
143
KRIEGSWIRTSCHAFT
WIE EIN SCHWEIZER KANTON
Am 1. September 1939 entfesselte Hitlerdeutsch-
land den Krieg, der zum Weltkrieg wurde. Eines der
zentralen Kampffelder war die Wirtschaft. Kriegs-
wirtschaft ist immer abnormale Wirtschaft. Auch
für die neutralen Länder Schweiz und Liechtenstein
waren Importe, Exporte, Lebensmittelzufuhr, Brenn-
und Rohstoffversorgung gestört, teils unterbunden.
Mangelwirtschaft war die Folge. Wie konnte sich
das neutrale Liechtenstein in der Kriegszeit versor-
gen? Konnte die Ernährung gesichert werden,
durch Landwirtschaft und Importe? Gab es genü-
gend Kohle, Treibstoff, Saatgut, Dünger? Erhielten
Industrie und Gewerbe Rohstoffe? Das Ländchen
hatte als einzige Ressourcen Landwirtschaftsboden
und Arbeitskräfte - und als Wirtschaftspartner die
Schweiz.
Zwei Begriffsklärungen sind vorweg erforderlich.
Zum einen spricht man von «Kriegswirtschaft», ob-
wohl Liechtenstein und die Schweiz nicht selber im
Krieg standen; der rundum tobende Krieg diktierte
auch den beiden neutralen Ländern die spezifi-
schen Wirtschaftsmassnahmen. Zum andern be-
trifft «Kriegswirtschaft» zwar im engeren Sinne die
unmittelbaren Jahre des Krieges. Doch als 1945
Frieden einkehrte, konnte man nicht sogleich auf
normale «Friedenswirtschaft» umschalten. Viel-
mehr musste die kriegswirtschaftliche Organisation
noch einige Zeit aufrechterhalten bleiben, als nach-
wirkende Folge des Krieges, erst allmählich konnte
man sie auslaufen lassen. Die «Kriegswirtschaft»
umfasste folglich in Liechtenstein wie in der Schweiz
eigentlich die Zeitspanne von 1939 bis 1948.
Am 29. August 1939 beruhigte die liechtensteini-
sche Regierung die Bevölkerung in einem Aufruf, die
Lebensmittelversorgung sei «durch die Schweiz si-
chergestellt».2 Liechtenstein hatte das Glück, sich
ganz in die schweizerische Kriegswirtschaft einfü-
gen zu können, wie ein Schweizer Kanton. Ab dem
Kriegsbeginn wurde im Fürstentum fast alles genau
wie in der Schweiz gehandhabt. Dies galt für die zu-
nehmende Rationierung und Kontingentierung von
Gütern, für Ein- und Ausfuhr, für vermehrten Acker-
bau, Motorverkehr, Preise, Kontrollen.
Wie war die Kriegswirtschaft organisiert? Über-
bau und Rahmen auch für Liechtenstein war die
schweizerische Kriegswirtschaftsorganisation. An
der Spitze stand - unter Parlament und Bundesrat -
im Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement
die «Eidgenössische Zentralstelle für Kriegswirt-
schaft».3 Sie war in Ämter gegliedert. Deren wich-
tigste waren das «Kriegs-Ernährungs-Amt» und das
«Kriegs-Industrie- und -Arbeits-Amt». Das «Kriegs-
Ernährungs-Amt» allein zählte elf Sektionen, unter
anderem für «Getreideversorgung», für «Milch und
Milchprodukte», für «Fleisch und Schlachtvieh», für
«Kartoffeln», für «Rationierungswesen». Jeder Kan-
ton wiederum richtete eine «Kantonale Zentralstelle
für Kriegswirtschaft» mit Unterabteilungen ein, jede
Gemeinde dann spezielle Gemeindestellen.4
2) Mitgeteilt der Regierung, 29. August 1939, und Aufruf der Regie-
rung, 29. August 1939, LLA RF 193/56. - Rechenschaftsbericht der
Regierung (hiernach zitiert: Rechenschaftsbericht) für das Jahr
1939, S. 86 f.
3) Die Schweizerische Kriegswirtschaft 1939/1948, Bericht des
Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements, Herausgegeben von
der Eidgenössischen Zentralstelle für Kriegswirtschaft, Bern 1950,
1131 Seiten (hiernach zitiert als: Schweizerische Kriegswirtschaft). -
Die Eidgenössische Zentralstelle für Kriegswirtschaft wurde geleitet
von Ernst Schwarz, dem Direktor des Verbandes Ostschweizerischer
Landwirtschaftlicher Genossenschaften VOLG, danach ab 1941 bis
zur Aufhebung 1948 von Hans Schaffner, dem späteren Bundesrat.
4) Hans Schaffner: Die kriegswirtschaftliche Verwaltung des Bundes.
In: Schweizerische Kriegswirtschaft, S. 2-12. - Zu den Gemeindestel-
len in der Schweiz vgl. etwa die kriegswirtschaftlichen Verlautbarun-
gen von 1939 bis 1948 in der in Buchs erscheinenden Zeitung
<Werdenberger & Obertoggenburgen (W&O).
144
«EIER-, MILCH- UND SEIFENPUNKTE, ANBAU-
PFLICHT UND EINMACHKURS» / PETER GEIGER
DIE KRIEGSWIRTSCHAFTLICHE VERWALTUNG DES BUNDES
Organigramme der auch
für Liechtenstein gelten-
den kriegswirtschaftlichen
Organisation während des
Zweiten Weltkrieges und
bis 1948, oben gesamt,
unten die Sektionen des
«Eidgenössischen Kriegs-
Ernährungs-Amts», nach:
Die Schweizerische Kriegs-
wirtschaft 1939/1948, S. 5.
EIDGENÖSSISCHES KRIEGS-ERNÄHRUNGS-AMT
Sektionen für:
- Getreideversorgung
- Milch- und Milchprodukte
- Fleisch und Schlachtvieh
- Landwirtschaftliche Produktion und Hauswirtschaft
- Kartoffeln
- Obst und Obstprodukte
- Speisefette und Speiseöle
- Waren
- Düngerwesen und Abfallverwertung
- Rationierungswesen
- Nutzgeflügel und Eierversorgung
145
KRIEGSWIRTSCHAFTLICHE STELLEN
IN LIECHTENSTEIN 1939 RIS 1948
Peter Geiger
Das Fürstentum konnte sich analog auf der Ebe-
ne der Kantone und der Gemeinden einklinken. Die
Regierung, die am 2. September 1939 mit einem
Verfassungsgesetz umfassende wirtschaftliche Voll-
machten erhalten hatte,5 rief kurz nach Kriegsbe-
ginn eine «kriegswirtschaftliche Kommission» ins
Leben und schuf Anfang Oktober 1939 eine eigene
«Zentralstelle für Kriegswirtschaft». Diese benannte
sich alsbald als «Kriegsernährungsamt» und später
als «Kriegswirtschaftsamt». Jede der elf Gemeinden
richtete eine eigene «Gemeindestelle für Kriegswirt-
schaft» ein. Zum Leiter des Kriegswirtschaftsamtes
berief die Regierung Andreas Biedermann. An seine
Stelle trat im November 1942 Rupert Quaderer, der
das liechtensteinische Kriegswirtschaftsamt dann
bis zu dessen Aufhebung 1948 leitete.6
Regierungsmitglieder und Beamte aus Vaduz
wurden wie Kantonsvertreter zu den kriegswirt-
schaftlichen Konferenzen nach Bern eingeladen
und instruiert.7 Die schweizerischen Erlasse wur-
den anfänglich zu liechtensteinischen umgeschrie-
ben, indem man als Ort statt «Bern» einfach «Va-
duz», ein um einige Tage neueres Datum und statt
der schweizerischen die liechtensteinische Amts-
stelle setzte. Schliesslich wurden 1942 alle schwei-
zerischen kriegswirtschaftlichen Erlasse direkt
auch für Liechtenstein anwendbar erklärt.8 Pro Wo-
che waren es oft ein Dutzend. Sie wurden in den Zei-
tungen veröffentlicht.9 Anfang 1942 stellte die in
Buchs erscheinende Zeitung <Werdenberger & Ober-
toggenburgen (W&O) denn zutreffend fest:
«Liechtenstein ist so eng mit der schweizerischen
Wirtschaft verbunden, dass es für das Land prak-
tisch wirtschaftlich kein Eigenleben mehr gibt.»10
Schweizerische kriegswirtschaftliche Statistiken
führten in der Rubrik der Kantone jeweils nach
«Genf» zuunterst noch «Liechtenstein» auf, als wäre
es ebenfalls ein Kanton.11 Und die im Fürstentum
verwendeten Rationierungskarten waren einfach
die schweizerischen, sie trugen das Schweizerkreuz
und die Bezeichnung «Schweizerische Eidgenos-
senschaft» - nicht etwa Fürstenkrone und «Liech-
tenstein». Alles kam von Bern und ging dorthin zu-
rück.
146
«EIER-, MILCH- UND SEIFENPUNKTE, ANBAU-
PFLICHT UND EINMACHKURS» / PETER GEIGER
LEBENSMITTELRATIONIERUNG
Rationierung, Kontingentierung und Verbrauchs-
lenkung dienten dazu, die beschränkt verfügbaren
Güter gerecht und zweckmässig auf alle Einwohner
und Betriebe zu verteilen. Eine besondere Art der
Rationierung war die Kontingentierung, bei der ein
Prozentsatz des Vorkriegs Verbrauchs, zum Beispiel
noch 40 Prozent Kohle, zugeteilt wurde. Die wich-
tigste Rationierung war jene der Lebensmittel. Man
möchte meinen, die Schweiz und Liechtenstein als
bäuerliche Länder hätten die Ernährung aus eige-
ner Produktion bestreiten können. Dem war nicht
so. Ein beträchtlicher Teil der Nahrungsmittel
musste importiert werden, was im Frieden pro-
blemlos, im Krieg schwierig war. Daher waren Ra-
tionierung und Mehranbau notwendig. Zuerst ist die
Lebensmittelrationierung darzustellen, nachher der
Mehranbau.
ÜBERSICHT 1939 BIS 1948
Die chronologische Übersicht von 1939 bis 19485 6 7 8 9 10 11 12 -
so lange dauerte die Lebensmittelrationierung -
zeigt den Verlauf (siehe Abb. Seite 148): Stufenweise
mussten immer weitere Nahrungsmittel rationiert
werden. Rationen wurden zusehends kleiner.13
Ab Kriegsbeginn galt eine zweimonatige Bezugs-
sperre für eine Reihe von Grundnahrungsmitteln,
um deren Rationierung vorzubereiten und zugleich
Hamsterei zu vermeiden. In den ersten zwei Kriegs-
monaten September und Oktober 1939 konnten da-
her nicht mehr gekauft werden: Zucker, Reis, Teig-
waren, Hülsenfrüchte (das sind Bohnen, Erbsen,
Linsen), Hafer, Gerste, Mehl, Griess, Mais, Margari-
ne, Speisefett und Speiseöl.14 15 16 Ab Montag, 30. Okto-
ber 1939, waren diese Grundnahrungsmittel dann
rationiert und mit Rationierungskarten erhältlich,
erstmals für den Monat November 1939. Weil die
Zufuhrwege in die Schweiz im Süden und Westen
vorerst offen blieben, konnten bis zum Frühsommer
1940 noch grössere Einfuhren getätigt und einige
der ersten Rationierungen wenigstens zeitweilig
wieder sistiert werden.
Doch im Juni 1940 schloss sich der Ring der Ach-
se um die Schweiz und Liechtenstein. Jetzt war Ita-
lien im Krieg, Frankreich geschlagen. Rationen wur-
den gekürzt, so bei Zucker. Verkauf von frischem
Brot wurde verboten, ab Juli 1940 mussten die Bä-
ckereien das Brot vor dem Verkauf einen Tag lagern,
ab Oktober 1940 zwei Tage.15 Zeitweilig freigegebe-
ne Lebensmittel mussten wieder rationiert werden,
dazu kam neu die Rationierung von tierischen Fet-
ten, Butter, Rahm, Salatsaucen, ganz verboten wur-
de Mayonnaise, kontingentiert der Verkauf von
Schweinefleisch. Milch war noch nicht rationiert,
aber ablieferungspflichtig ab Oktober 1940.16 Die
Liste der bis zum Herbst 1940 rationierten Lebens-
mittel macht deutlich, was knapp war: Kohlenhyd-
rate, Proteine, Fett.
Das Jahr 1941, in welchem der Krieg sich aus-
weitete, brachte einen weiteren Rationierungs-
5) Verfassungs-Gesetz betr. Bevollmächtigung der Regierung zur
Anordnung kriegwirtschaftlicher Massnahmen vom 2. September
1939, LBGL Nr. 13/1939.
6) Schlussbericht des Kriegswirtschaftsamtes. In: Rechenschaftsbe-
richt 1948, S. 182-185.
7) LLA RF 196/32, 199/131.
8) Verordnung betreffend die Übernahme schweizerischer kriegs-
wirtschaftlicher Massnahmen vom 26. März 1942, LGB1. Nr. 15/1942.
9) Vgl. LVolksblatt und LVaterland, 1939 bis 1948. - Umbruch 1940
bis 1943, darin Nachdruck einzelner Kundmachungen.
10) W&O, 2. Januar 1942.
11) Vgl. z. B. Schweizerische Kriegswirtschaft, S. 416, 674.
12) Chronologische Übersicht über die Lebensmittel-Rationierungs-
massnahmen. In: Schweizerische Kriegswirtschaft, S. 463. - Siehe
auch die chronologische Übersicht über die Rationierungsmassnah-
men. In: Ernst Feisst: Wie hat die Schweiz ihr Kriegsernährungs-
problem gelöst? Heft 11 der Schriftenreihe des Aufklärungsdienstes
der Eidg. Zentralstelle für Kriegswirtschaft, Bern 1945, S. 55-66.
13) Arnold Muggli, Chef der Sektion für Rationierungswesen im
Eidgenössischen Kriegs-Ernährungsamt, Vortrag in Bern vom
22. Oktober 1945, LLA RF 228/21.
14) Chronologische Übersicht über die Lebensmittel-Rationierungs-
massnahmen. In: Schweizerische Kriegswirtschaft, S. 463. - Schwei-
zerische Kriegswirtschaft, S. 55 f. - Aufruf der liechtensteinischen
Regierung, 29. August 1939, LLA RF 193/56. - Rechenschaftsbericht
1939, S. 86.
15) Rechenschaftsbericht 1940, S. 56.
16) Ebenda.
147
148
CHRONOLOGISCHE ÜBERSICHT ÜBER DIE LEBENSMITTEL-RATIONIERUNGSMASSNAHMEN
«EIER-, MILCH- UND SEIFENPUNKTE, ANBAU-
PFLICHT UND EINMACHKURS» / PETER GEIGER
schub. Speisen der «kollektiven Haushaltungen»
(Gasthaus, Bürgerheim, Spital) wurden rationiert,
für Gastwirtschaften gab es «Mahlzeitencoupons»
(«Mc»). Zwei fleischlose Tage pro Woche wurden
vorgeschrieben, Mittwoch und Freitag17 - letzteren
waren Katholiken gewohnt -, später drei Tage. Im
weiteren Verlauf des Jahres 1941 wurden Kaffee,
Tee und Kakao («KTK-Waren»), Käse, Kindermehl
und Nährmittel, schliesslich Eier rationiert.18 Milch
wurde kontingentiert.19
Im folgenden Jahr 1942 - der Krieg tobte in Russ-
land, in Nordafrika, in Fernost und auf allen Meeren
- gingen die Einschränkungen weiter. Fleisch und
Fettspeck wurden rationiert, ebenso Hirse, einge-
machte Früchte (vorab Konfitüre) und Honig («FH-
Waren»: F für Früchte, H für Honig). Schliesslich
folgten im Herbst 1942 auch die Grundnahrungs-
mittel Milch und Brot (samt Patisserie).
Im Frühjahr 1943 - die Schlacht um Stalingrad
war eben vorbei - wurden als letzte Kategorien
Schokolade und Confiserie der Rationierung unter-
stellt. Damit waren nun 1943 fast alle Lebensmittel
rationiert, und sie blieben es bis über das Kriegsen-
de hinaus. Nicht rationiert aber waren über die ge-
samte Zeit hin nur Kartoffeln, Obst und Gemüse
(ausser Bohnen, Erbsen). Diese drei Nahrungsmit-
telkategorien lieferten immerhin Kohlenhydrate, Vi-
tamine und Mineralien - aber nicht Proteine und
Fett. Man empfahl, Wildfrüchte zu sammeln: Bee-
ren, Hagebutten, Pilze, Eicheln, Buchnüsse.20
Das Ende des Kriegslärms bedeutete 1945 noch
nicht das schnelle Ende der Versorgungsengpässe.
Die Versorgungslage gebot, die Rationierung beizu-
behalten. Allmählich konnten Nahrungsmittel frei-
gegeben werden. Als 1946 Schokolade frei kam, ver-
schwand sie sogleich aus dem Handel. Erst 1948
konnten endlich die Grundnahrungsmittel Milch
und Brot, Zucker, Butter und Käse und die letzten
Kategorien aus der Rationierung entlassen werden.
Am 1. Juli 1948 endete, abgesehen von wenigen
Kontingentierungen, die Rationierung von Lebens-
mitteln. Sie hatte fast neun Jahre gedauert.21 Ratio-
nierungskarten wurden vereinzelt zur Erinnerung
aufbewahrt, Kinder spielten mit ihnen «Lädelis».
17) LLA RF 200/369.
18) Rechenschaftsbericht 1941, S. 106.
19) Ebenda, S. 105.
20) LLA RF 209/4.
21) Vgl. den Bericht von Arnold Muggli über die «Sektion für Ratio-
niemngswesen». In: Schweizerische Kriegswirtschaft, S. 422-472,
dort S. 463 «Chronologische Übersicht über die Lebensmittel-
Rationierungsmassnahmen». - Rechenschaftsbericht 1948, S. 182.
1939 1940
WAREN: ■■■ Bezugs*
1 ZUCKER —
2 REIS
3 TEIGWAREN
4 HÜLSENFRÜCHTE
5 HAFER/GERSTE =a F R E / WKt=
6 MEHLu.GRIESS ous BROTGETREIDE p a g ~mm
7 MAIS r R £ / MEÏE
8 HIRSE
9 BROT KLEINGEBÄCK u.PATISSERIE
L
li- RATIONIERUNG VON SPEISEN UNDMAHL- ml ZEITEN KOLLEKTIVER HAUSHALTUNGEN
10 MILCH
11 DAUERMILCHWAREN
12 RAHM T
13 KÄSE
Gegenüberliegende Seite:
Chronologie der schweize-
rischen Lebensmittel-Ra-
tionierung, in die Liech-
tenstein vollständig mit-
einbezogen war.
Aus: Schweizerische
Kriegswirtschaft
1939/1948, S. 463.
* FH = Früchte und Honig
itioiiSiSh’C'SSai
Ausschnitt aus der Über-
sicht: Erste Rationierungen
in den ersten 12 Kriegs-
monaten.
149
LEBENSMITTELKARTEN
SRitgeteilt
»on Per
(ie^tenfteinifden ^reisfiontroDfteUe.
Sic liecijtenfieimfcfje Spreiöiontrottfteile, im (Jtn-
oerne^men mii Per Seition ßeben&nittelfmnbel, gibt
fjiemit im nacijfteijenben eine neue ^reiöiiffe über bie
mici)tigffen Eebenömittei, ttne biefe in ben liedRcnftei*
nifcf)cn £eben^mitteigef(i)äfien eri>äiflid^ ftnb, mit
<2öiriung ab 1. ‘Sluguft 1940 befannt:
'JeinfriftailjucEer
Töürfdjucfer
Tßürfeljucier (^aiet)
®d)ter Ö3ienenI)onig
Äörnli
Spaghetti
‘Sibeii
QSanbnubein
QBei^me^i
^oc^me^i
Äartoetjengrie^
Äaferfiocfen
Äaferftocfen in ^afet
per 1 &g.
ff i rr
2 5
ff L,f'J rr
rr 1 ff
rr i rr
rr i rr
rr 1 rr
rr 1 rr
rr 1 rr
ft 1 rr
rr 1 rr
ff ^ rr
rr "^2 rr
Sr.
—.73
—.86
2.10
5.—
—.78
—.78
—.94
—.94
—.60
—.45
—.60
—.60
—.70
ir £№ Sitte tet ftatfcniecm
Sae (¿ibgcn. ^riegsernätjrimfl&amt teilt mit,
imfe midi einer Sauer ocm natjegu neun 3di)ten
bie Sebenemittelrationierung auf ben 1. 3ult
1948 o o 11 ft ä n b i g oufgeljoben roirii.
Stuf bicfen 3eitpunht fallen fämtlidie nod) be=
ftel)cnben tRationierungsoorfd)riften bat)in. Sie
Öebcnemittel, öie bisher nod) eouponpf!id)tig
mären, nnmlid) Speifefette uuö Speifcöle,
Söfeijl unb 3icis, Rönnen oon biefem Sage an
frei bezogen roerben.
Lebensmittel-Preiskontrol-
le, Liechtensteiner Vater-
land, 3. Juli 1940.
Eine sehnlich erwartete
Nachricht, Liechtensteiner
Volksblatt, 1. Juli 1948.
Wie funktionierte das System? Für rationierte Le-
bensmittel gab es Rationierungskarten mit abtrenn-
baren Coupons. Die «Lebensmittelkarte» («LK»)
wurde jeweils pro Person für einen Monat bei der
Gemeindekriegswirtschaftsstelle ausgegeben, erst-
mals Ende Oktober 1939 für den Monat November,
darauf monatlich in anderer Farbe.22 Die Lebens-
mittelkarte informierte über die Monatsration und
enthielt die abtrennbaren Coupons. Jeder Coupon
war mit Ware, Gewicht und Kontrollziffer versehen,
später auch mit Monat und Jahr. Zum Beispiel gab
es für die Normalbezüger-Person im November
1939 insgesamt 1 500 Gramm Zucker, im November
1944 aber nurmehr 500 Gramm Zucker.
Ab dem 1. Juli 1942 galt dann eine stärker diffe-
renzierte, «abgestufte Rationierung». Fortan gab es
eine spezielle «Lebensmittelkarte für Kinder» (unter
6 Jahren) sowie je nach Alter und Tätigkeit «Zusatz-
Lebensmittel-Karten», «Zusatz-Brot-Karten» und
«Zusatz-Milch-Karten». Zusatz-Karten bekamen
Jüngere (6 bis 22 Jahre) und Ältere (über 60 Jahre)
sowie Schwerarbeiter, diese nochmals abgestuft:
«Mittelschwerarbeiter» war etwa ein Schreiner,
«Schwerarbeiter» ein Schmied, «Schwerstarbeiter»
ein Presslufthammermann. Mehr Milch zum Bei-
spiel erhielten Kinder, Jugendliche, Schwangere,
stillende Mütter, Ältere und Schwerarbeiter.23
Rationierte Waren konnten nur gegen Abgabe der
Coupons gekauft werden. Ausgegeben wurden die
Lebensmittelkarten beim Vorsteher. In allen Läden
mussten die von Bern vorgegebenen Höchstpreise
angeschlagen sein.24 Selbstversorgern wurden von
22) Originale der Lebensmittelkarten, LLA RF 196. - Originale von
Lebensmittel- und andern Rationiemngskarten, Privatbesitz Elmar
Schweizer, Kreuzlingen (dem Autor verdankenswerter Weise zur
Verfügung gestellt).
23) Schweizerische Kriegswirtschaft, S. 438. - Kreisschreiben
Nr. 152 vom 7. Mai 1942 des Eidgenössischen Kriegs-Ernährungs-
Amts an die kantonalen Zentralstellen für Kriegswirtschaft (inkl.
Liechtenstein), LLA RF 209/4. - Zeitzeugen-Interview mit Peter
Amann, Vaduz, geführt von Peter Geiger, 26. November 2008.
24) LLA RF 209/4. - Rechenschaftsbericht 1941, S. 108.
150
«EIER-, MILCH- UND SEIFENPUNKTE, ANBAU-
PFLICHT UND EINMACHKURS» / PETER GEIGER
|i Fleisch
100
|o Punkte
|| Fleisch
L 250
p Punkte
U U Kinder
fl IV LK
H Käse
Okt
1944
g Kinder
Okt.
1944
SCHWEIZERISCHE
LEBENSMITTELKARTE FUR KINDER
geboren am und nach dem 1. Januar 1939
Oktober 1944
Gültig vom 1. Oktober bis 6. November 1944, ausgenommen Mifchcoupons,
welche nur bis 31* Oktober 1944 gültig sind und blinde Coupons, deren
Gültigkeitsdauer das KEA bei einer anfälligen Inkraftsetzung bestimmt.
750 gr
50 P.
100 P.
IsÖgT
750 gr
250 gr
500 gr
250 or
150 P*
200 gr
400 gr
Monaisralioncn dar Klmerkarle pro Oktober l№
Zucker. Konfitüre oder Kompott (FH-Waren) Ä . *
Tafelschokolade A
Confiserie
Teigwaren
Mehl, Mais oder Krndenmhl
Reis oder Kindermeht
Hafer, Gerste oder Kindermehl
Hirse oder Kindermehl
Käse
Butler
Butter, Speisefett oder 4 dl Speiseöl
2 St Schaleneier oder Eiprodukte
400 P, Fleisch. FJefschwaren oder Fleischkonserven Ä
4100 gr
200 gr
Brot oder andere ßackwaian
Brot oder 150 gr Mehl
21 It Frischmilch oder Oauermifchwaren
200 P. Ersatzkaffee, Tee, Kakao oder Nährmittel (KTK)
Ä Gemäss Bewerlungsliste. — Wechse Coupons können nach WahJt jedoch ohne
Anspruch auf eine bestimmte Warengattung elngelösl werden. — Stammkarte
und blinde Coupons, ausgenommen blinde Milchcoupons, sind bis Ende der
Gültigkeitsdauer aufzubewahren.
Oie Kinder-LK kann bis 31* Oktober 1944 umgetauscht werden
in 200 Mahlzeitencoupons einschliesslich Ergänzungscoupons;
und je 2 blinde Coupons NK und OK
50 Funkle für Tafelschokolade
100 Punkte für Confiserie
33 Mehl/Mais
* Kindermehl
§ 25 gr
Mehî/Maîs
^ Kindermehl
«
OJS
25 gr
I
5 Mehl/Mais
- Kindermehl
100 gr
!
1 s Speise- 1.1 »a«
g 1* 100 gr
| s Spelse- = lett
m ;» loogr
5 Mehi/Mais
- Kindemehl
too gr
ss Speise-
S feit
* 100 gr
i
5 Mehl/Mais
~ Kindermeht
500 gr
5
5
LK Okt 1944 Kinder p Okt. 1944 Kinder LK [Sb loogr Butter /Fet oder H° 1 dl Oel
li/1/ Kinder 1 19Hüt too Dr
SCHWEIZERISCHE EIDGENOSSENSCHAFT
LEBENSMITTELKARTE
Mai 1948
Gültig vom 1. Mai 1948 bis 6. Juni 1948,
Die Gültigkeit allfällig in Kraft gesalzter
blinder Coupons wird vom KEA bestimmt.
EH gr
300 gr
300 gr
Ballonen
Mehl....................................14*
Speisefett............................... 9*
Speisefett oder 3 dl Oel ................ 7.
Schweizerische Rationie-
rungskarten, in Liechten-
stein genau wie in der
Schweiz verwendet und
gültig.
Wem helfe ich Im Mai? Com
SCHWEIZERISCHEN
ROTEN KREUZ
Afceicherverkauf 29./30. Mai Pcstcheok-Saminturig
151
den Lebensmittelkarten bestimmte Coupons abge-
trennt, dafür war ihr Selbstbehalt bei der Abliefe-
rungspflicht rationierter Waren, etwa bei Milch,
grosszügig berechnet.25 Coupons konnten in Mahl-
zeitencoupons umgetauscht werden. Coupons durf-
ten auch sonst getauscht oder verschenkt, aber
nicht verkauft werden. Läden, Bäcker, Metzger etc.
klebten die Coupons auf Bogen. Diese lieferten sie
ab,26 entsprechend erhielten sie etwa wieder Mehl
über die Grossisten.27 Mit nicht benutzten Lebens-
mittelkarten legte das Land in Schaan ein «Landes-
lager» mit Vorräten an.28
Eine Lebensmittelkarte erhielt jede Person, vom
Kind über die Magd bis hinauf zum Fürsten. Franz
Josef, Fürstin Gina sowie Regierungschef Hoop er-
hielten ab dem März 1944 monatlich je eine zweite
Karte zur Erfüllung von Repräsentationspflichten.29
In Liechtenstein, welches 1941 gut 11 000 Einwoh-
ner zählte, wurden in den fast neun Rationierungs-
jahren über zwei Millionen (2 131 141) Lebensmit-
telkarten ausgegeben.30 Sie enthielten zirka 50 Mil-
lionen Coupons.31
SCHWIERIGKEITEN
Es gab unvermeidlich auch Verstösse und Schwie-
rigkeiten. Besonders zu Beginn klappte nicht alles.32
Eine Kontrolle im Herbst 1939 ergab, dass die Le-
bensmittelhändler die Buchhaltung für die ratio-
nierten Güter «sehr nachlässig» führten. Die Regie-
rung verwarnte sie.33 An fixierte Preise musste man
sich gewöhnen: So verkaufte im Herbst 1939 ein
Unterländer Grossist den Detaillisten noch Zucker
zu 75 Rappen pro Kilo statt zu den von Bern vorge-
schriebenen 58 Rappen. Da die Detailhändler im La-
den Zucker für 65 Rappen verkaufen mussten, hatte
ihnen der Grossist die Differenz von 17 Rappen pro
Kilo zu erstatten.34
Im Herbst 1940 kam es in Liechtenstein zu
«Angstschlachtungen» von Schweinen, wegen Be-
zugssperre und Kontingentierung von Schweine-
fleisch. Die Regierung musste die Bauern beruhi-
gen, man nehme ihnen keine Schweine, die sie zur
Selbstversorgung bräuchten.35 Offenbar wurde aber
öfter «schwarz gemetzget», besonders im Unter-
land.36
Im Juli 1941 sperrte die Regierung gar den Trie-
senbergern für zwei Monate die Abgabe von Back-
mehl (für Selbstbacker), offenbar wegen Miss-
brauchs. Darauf schrieb eine junge Berger Mutter
empört an die Regierung: Man strafe ausgerechnet
die gemüseärmste Gemeinde, im Lande unten ver-
füttere man Mehl den Schweinen, man könne nicht
einmal mehr Knöpfli und Kratzeti machen, Fleich
vermöge man unter der Woche keines, einzelne
Frauen besässen «keine Kartoffeln, keinen Kaffee
und gar keinen Staub Mehl mehr». Was sie denn äs-
sen? «Tee und Brot und etwas Milch von der Sücca».
Die mutige Briefschreiberin schloss, die Berger sei-
en doch «auch Liechtensteiner» und «müssen auch
leben». Aber die Regierung blieb bei der zeitlich be-
grenzten Massnahme.37
Butter wurde gelegentlich unter der Hand ge-
tauscht oder verkauft.38 Für 1 kg Butter löste man
«schwarz» 25 Franken,39 das entsprach annähernd
zwei Tageslöhnen eines Bauarbeiters. Als es im
Herbst 1941 in Liechtenstein auf einmal zu wenig
Konsummilch und Butter gab, stellte die Regierung
öffentlich fest:
«Verschiedene Symptome weisen darauf hin, dass
ein bedenklicher Schleichhandel mit Milchproduk-
ten zu übersetzten Wucherpreisen um sich greift.»
Ultimativ und unter Sanktionsandrohung forder-
te die Regierung die Bauern auf, alle nicht selber be-
nötigte Milch abzuliefern sowie die Höchstpreise
einzuhalten.40
Eier, sehr begehrt, bieten ein weiteres anschauli-
ches Beispiel. Ab Dezember 1941 waren Hühner-
und Enteneier sowie Eiprodukte rationiert. Geflü-
gelhalter mussten den Bestand alle vier Monate mel-
den. Für jede Person im Haushalt durfte man den
hauseigenen Legeertrag von IV2 Hühnern behalten.
Alle andern Eier - bei privatem Verkauf die entspre-
chenden Coupons des Käufers - mussten einer
Eiersammelstelle («Eierzentrale») abgeliefert wer-
den, pro Huhn im Jahr mindestens 70 Eier. Lieferte
man weniger ab, konnten Kontrollen und Strafen
folgen - was häufig geschah.41 Denn gar zu oft ver-
legten fahrlässige Hühner die gesuchten Eier.
152
«EIER-, MILCH- UND SEIFENPUNKTE, ANBAU-
PFLICHT UND EINMACHKURS» / PETER GEIGER
Brot bot ebenso Verlockungen. Immer wieder
mussten Strafen gegen Bäcker verhängt werden,
weil sie frisches Brot verkauften. Die Fälle waren
nicht schwerwiegend, doch gaben sie Anlass zu Be-
schwerden und Ärger.25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 Brot wurde ab dem Früh-
jahr 1944 mit Kartoffelmehl gestreckt. Flugs brach-
te der <Nebelspalter> die Karikatur dazu: «Fräulein
Pommes de terre und Herr Korn - Vermehlte».43
Die liechtensteinischen Metzgereien wurden An-
fang 1944 durch Funktionäre des Eidgenössischen
Kriegs-Ernährungs-Amtes kontrolliert. Das ungüns-
tige Ergebnis lautete,
«dass sämtliche Metzgei; allerdings in verschiede-
nem Ausmasse, Wider handlangen gegen die kriegs-
wirtschaftlichen Vorschriften über die Fleischratio-
nierung begangen haben.»
25) Vgl. z. B. Fett, Rechenschaftsbericht 1941, S. 106.
26) Zeitzeugen-Interview mit Peter Amann, Vaduz, geführt von Peter
Geiger, 26. November 2008.
27) Rechenschaftsbericht 1946, S. 142.
28) Regierungsbeschluss vom 25. August 1945, LLA RF 228/21.
29) LLA RF 224/137.
30) Schlussbericht des Kriegswirtschaftsamtes. In: Rechenschaftsbe-
richt 1948, S. 182.
31) Eigene Berechnung.
32) Regierung an die Gemeinden, 12. April 1940, LLA RF 196/38.
33) Weisung der Regierung (Dr. Vogt) an alle Lebensmittelhändler,
7. Dezember 1939, LLA RF 186/51.
34) Regierung an Gewerbegenossenschaft, 8. Januar 1940, LLA RF
186/51.
35) Regierung an alle Vorsteher, 5. November 1940, LLA RF 196/43.
36) Zeitzeugen-Interview mit Peter Amann, Vaduz, geführt von Peter
Geiger, 26. November 2008.
37) Brief («Eine junge Mutter»), Triesenberg, an Regierung, 18. Juli
1941; Regierungssitzung vom 24. Juli 1941, LLA RF 203/14.
38) Zeitzeugen-Interview mit Peter Amann, Vaduz, geführt von Peter
Geiger, 26. November 2008.
39) Mündliche Mitteilung von Elmar Batliner, Eschen, an Peter
Geiger, 1992.
40) Bekanntmachung der Regierung (Dr. Vogt) vom 31. Oktober
1941, LLA RF 203/14.
41) Schweizerische Kriegswirtschaft, S. 476-479.
42) LLA RF 203/14. - Rechenschaftsbericht 1941, S. 108.
43) Der Nebelspalter, Rorschach, 23. März 1944.
SCHWEIZERISCHE EIDGENOSSENSCHAFT
IR Mahlzeitencoupons
• “ (gültig ab 1, April 1941 bis auf weiteres)
Die Mahlzeitencoupons berechtigen ausschliesslich zum Bezug Coupon pflichtiger
Speisen und Mahlzeiten. Sie sind bei der Bestellung abzugeben.
Jeder Missbrauch der Coupons, Insbesondere Eintausch derselben gegen Waren,
sowie Abgabe und Bezug Coupon pflichtiger Speisen und Mahlzeiten ohne gleich-
zeitige Einlösung der entsprechenden Coupons sind strafbar.
55 Z7J
■ JÄH FEITEN
IV) Coupon
MAHLZEITEN
Coupon
■ JAHLZEITEN ft I MIMEN UMREITEN
IVI Coupon IVI Coupon IVI Coupon
«Vermehlte». Wohlwollen-
de Satire zur Einführung
von Kartoffelbrot 1944,
Nebelspalter, 23. März
1944, Titelblatt.
Mahlzeitencoupons 1941.
153
In der Folge wurden fast alle Metzger des Landes
in Strafuntersuchung gezogen. Unter anderem hatte
ein Vaduzer Metzger zwei Jahre lang ohne Rationie-
rungscoupons Fleisch an die fürstliche Domänen-
verwaltung geliefert44 - also wohl auf den Tisch im
Schloss.
Werfen wir noch einen Zucker-Blick auf die etwa
hundert Imker im Lande. Ihnen wurde Zucker zur
Fütterung der Bienen zugeteilt, in der gesamten Ra-
tionierungszeit zusammen 114 Tonnen.45 Ange-
sichts dieser Gesamtmenge resümierte der Leiter
des liechtensteinischen Kriegswirtschaftsamtes
1948 im Schlussbericht, nicht ohne Unterton:
«Hoffentlich haben die arbeitsamen Bienen diesen
Zucker auch zu verarbeiten vermocht!»46
War der Argwohn berechtigt? Rechnet man das
Quantum auf die durchschnittlich 1 400 Bienenvöl-
ker und über acht Jahre Zuckerrationierung um, so
traf es pro Volk und Jahr rund 10 kg Zucker - ge-
mäss Auskunft des Bienenfachmanns Manfred Bie-
dermann und einer bayrischen Imker-Website eine
normale Zuckerfütterung.47 Auch war der Bienen-
zucker mit etwas Sägemehl und Sand «vergällt».
Dennoch hielt sich das Gerücht, der Rekordstand
von über 1 500 Bienenvölkern 1945 sei weniger aus
«Liebe zu den Bienen» als «wegen der Zuckermar-
ken» erreicht worden.48 Was schliessen wir daraus?
Sollte wirklich Bienenzucker abgezweigt worden
sein, hätten die arbeitsamen Bienen gehungert.
WEITERE RATIONIERTE GÜTER
- Kleider
- Schuhe
- Seife und Waschmittel
- Pneus und Schläuche
- Treibstoff
- Kohle
- Teer, Zement
- Kunstdünger
- Pflanzenschutzmittel
Peter Geiger, 2009
WEITERE RATIONIERTE UND
KONTINGENTIERTE GÜTER
Neben Lebensmitteln waren eine Reihe von wichti-
gen weiteren Bedarfsgütern rationiert oder kontin-
gentiert: Kleider, Schuhe, Seife und Waschmittel,
Pneus und Schläuche, Treibstoff, Kohle, Brennholz,
Teer, Zement, Kunstdünger und Pflanzenschutzmit-
tel.49 Auf sie wird hier nur knapp eingegangen.
Ab November 1940 galt die Textil-, die Schuh-
und die Seifenrationierung.50 Kleider und Stoffe wa-
ren nur mit der «Kleiderkarte», mit Textilcoupons,
erhältlich. Ein Kleider-Coupon entsprach 100 g
Baumwolle oder 50 g Wolle oder 125 g Leinen. Klei-
der-Zusatz-Karten gab es für Arbeitskleider und -
verständlicherweise - für die damals textilreichen
Brautaussteuern.51
Schuhe konnte man mit einer «Schuhkarte» kau-
fen. Jeder Schuh war mit «Schuhpunkten» bewer-
tet.52 Für Berufe mit grosser Schuhabnützung gab es
Zusatz-Karten.53 Gemäss schweizerischer Statistik,
differenziert nach Kantonen inklusive Liechten-
stein, wurden in Liechtenstein von 1942 bis 1945
pro Person und Jahr durchschnittlich knapp 1,5
Paar Schuhe gekauft, das war doppelt so viel wie in
beiden Appenzell (0,8 pro Jahr).54
Für die Rationierung von Seife und Waschmitteln
war der Grund Fettmangel. Zum Kauf gab es eine
«Seifenkarte».55 Darauf wie auf den Seifen und
Waschmitteln selber war nun der Fettstoffgehalt in
«Einheiten» angegeben, eine «Einheit» entsprach 1
Gramm Fett. Die Seifenrationen erlaubten 1944
noch ein Viertel des Normalverbrauchs.56 Diese drei
genannten Rationierungen scheinen die liechten-
steinische Bevölkerung nicht sonderlich gedrückt zu
haben - man war ohnehin mit Kleidern, Schuhen
und Seife sparsam.
Schwieriger war es bei Pneus und Schläuchen für
Fahrräder, man brauchte sie für den Arbeitsweg.
Pneus und Schläuche waren ab dem Frühjahr 1942
rationiert. Damals waren in Liechtenstein fast 5 000
(4 885) Fahrräder in Gebrauch.57 Von 1941 bis 1947
traf es innerhalb von acht Jahren pro Fahrrad nur
ein- bis zweimal einen Reifen (durchschnittlich 1,5
154
«EIER-, MILCH- UND SEIFENPUNKTE, ANBAU-
PFLICHT UND EINMACHKURS» / PETER GEIGER
Reifen) und nur für jedes dritte Fahrrad einmal ei-
nen Schlauch.58 Häufiges Flicken war angesagt.
Treibstoffe waren gleich ab Kriegsbeginn knapp.
Einmal noch konnte eine begrenzte Menge Benzin
oder Diesel bezogen werden.59 Ärzte und Taxis er-
hielten zwei Rationen. Ab dem zweiten Kriegssonn-
tag galt ein Sonntagsfahrverbot, ausser für Postau-
tos, Ärzte und Verwaltung. Monatlich wurde die «Li-
tertafel» der Treibstoffrationen herausgegeben,
nach Dringlichkeitskategorien. Die Rationen sanken
rapide. Pfarrer Tschuor von Schaan bekam kein
Benzin mehr, um die Plankner geistlich zu betreu-
en.60 Gesamtschweizerisch, Liechtenstein einge-
schlossen, lag der Benzinverbrauch im Jahr 1944
noch bei gut 6 Prozent des Vorkriegsverbrauchs,
1945 bei rund 7Vz Prozent.61 Das Kurhaus Masescha
warb im Sommer 1940 mit einem hübschen kleinen
Inserat in der Zeitung:
«Ausflügler! Wer kein Benzin mehr hat, macht eine
Fusswanderung über Wildschloss nach Masescha.»62 44 45 46 47 *
44) Rechenschaftsbericht 1944, S. 49.
45) Rechenschaftsbericht 1948, S. 183.
46) Ebenda, S. 183.
47) Freundliche Mitteilung von Manfred Biedermann, Mauren, vom
24. November 2008. - «LWG Bienen», Bayerische Landesanstalt für
Weinbau und Gartenbau, Fachzentrum Bienen,
www.lwg.bayern.de/bienen (24. November 2008).
48) Bericht über die Frühjahrsversammlung des Liechtensteiner
Imkervereins 1958, wiedergegeben in: Bienen - aktuell, Nr. 27/2004,
S. 23. - Vgl. den Beitrag «Eine schwierige Zeit - die Kriegsjahre». In:
Bienen - aktuell, Nr. 27/2004, S. 19-20.
49) Siehe die detaillierten Berichte der einzelnen Sektionen des
Eidgenössischen Kriegs-Industrie- und -Arbeits-Amtes. In: Schweize-
rische Kriegswirtschaft, S. 576-873.
50) Schweizerische Kriegswirtschaft, S. 627, 659.
51) Schweizerische Kriegswirtschaft, S. 638-640. - Rechenschaftsbe-
richt 1943, S. 130.
52) Schweizerische Kriegswirtschaft, S. 667-670.
53) Rechenschaftsbericht 1941, S. 107.
54) Schweizerische Kriegswirtschaft, S. 674.
55) Rechenschaftsbericht 1940, S. 57, Rechenschaftsbericht 1941,
S. 107.
56) Schweizerische Kriegswirtschaft, S. 761 f.
57) Rechenschaftsbericht 1942, S. 42.
58) Rechenschaftsbericht 1948, S. 183.
59) LVolksblatt, 2. September 1939. - Schweizerische Kriegswirt-
schaft, S. 719 ff.
60) LLA RF 203/13.
61) Schweizerische Kriegswirtschaft, S. 721.
62) LVaterland, 31. Aug. 1940.
Karte aufbewaKren bis zum Ende der Ratiomerungsper t od e
SCHWEIZERISCHE EIDGENOSSENSCHAFT
I S Ei F E N KARTE
p für Männer, Frauen und Kinder
i guliig vom 1. April 1945 bis 6. Juli 1945 SCm№ I
Seifenkarte und
Schuhkarte.
Marne und Adresse
des Inhabers:
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JJ SC«««£
Punkte 5
Punkte
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H Diese Karte berechtigt rum Ankauf sämtlicher rationierte 1 rer$0H ß
H Seifen und Waschmittel, einschliesslich synthetischer Wasd Inhabs!^ berechtigt gen Punkte
= mittel. Rasierseife / Crème und Shampoo. Sie gibt at boniertenschuhvia!HWn ra“ o
?etfesi9eeetzten £ 9 k
= keinen Anspruch auf einen bestimmten Arti' lsfe im 03n,. °eyierlungs- Sch nur c
1UHE SCHUH? .
5
Punkte
sCHUHe
5
Punkte
Sc ffUHB
5
Punkte
155
Kohle war der bedeutendste Energielieferant für
Gewerbe, Industrie und Haus. Gleich ab dem Herbst
1939 war Kohle für Kochen und Heizen und für Ge-
werbebetriebe rationiert, später auch für Industrie-
betriebe. Einschränkungen gab es auch beim Brenn-
holz. Es galt der Grundsatz:
«Besser eine kalte Wohnung und ein warmer Ar-
beitsplatz als umgekehrt.»63
Kontingentiert oder rationiert waren auch Ze-
ment und Teer. Gleiches galt ab 1941 für Kunstdün-
ger und Pflanzenschutzmittel. Die letzteren enthiel-
ten Kupfer, das immer rarer wurde. Gegen Schädlin-
ge gab es zuwenig Spritzmittel. Dem Kartoffelkäfer,
der zum Schrecken des Landes ab 1939 jährlich ein-
fiel, wurde durch Absuchen der Felder begegnet.
Aufgeboten wurden hierzu Schulen, teils auch «Re-
fraktäre», nämlich in Liechtenstein lebende, wehr-
pflichtige Deutsche, welche dem Kriegsaufgebot
nicht gefolgt waren.64 Der Kartoffelkäfer bedrohte
ein zentrales einheimisches Grundnahrungsmittel.
Das lenkt unsern Blick auf den landwirtschaftlichen
Mehranbau.
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gej. Äan« Ä с f e г.
Gefahr für das Grund-
nahrungsmittel Kartoffel,
Aufklärung durch Film
1943, Liechtensteiner
Vaterland, 5. Juni 1943.
Kulturingenieur Hans Ho-
fer, ab Juli 1941 Experte
für Regierung und Bauern
Liechtensteins.
MEHRANBAU
Um mehr Nahrung und einen möglichst grossen
Selbstversorgungsgrad zu erlangen, wurde in Liech-
tenstein die inländische landwirtschaftliche Pro-
duktion mit allen Mitteln gesteigert. Liechtenstein
folgte auch hier ganz den schweizerischen Vorga-
ben. Unter dem Begriff «Mehranbau» weitete man
die Ackerflächen aus. Grundlage war ab Ende 1940
der vom ETH-Agronomen Friedrich Traugott Wah-
len vorgelegte Anbauplan. Dieser beruhte auf Be-
rechnungen zu Ernährungsbedarf und Produktions-
bilanz.65 Anstelle des Fachbegriffs «Mehranbau»
werden oft die Bezeichnungen «Anbauwerk», «Plan
Wahlen» oder kriegsbezogen «Anbauschlacht» ver-
wendet. Sie bezeichnen alle das gleiche.
ANBAUPFLICHT, MASSNAHMEN
Zu greifen begann der Mehranbau im Herbst 1940.
Am 17. Oktober 1940 erliess die liechtensteinische
156
«EIER-, MILCH- UND SEIFENPUNKTE, ANBAU-
PFLICHT UND EINMACHKURS» / PETER GEIGER
Regierung eine Verordnung «zur Sicherstellung der
liechtensteinischen Bevölkerung mit Lebensmitteln
für die Jahre 1941 und 1942». Artikel 1 bestimmte:
«Jeder Haushalter der über genügend Grund und
Boden verfügt, ist verpflichtet, seine Familie mit
KartoffelnGemüse, Mais, Getreide und Futtermit-
teln selbst zu versorgen.»63 64 65 66
Jeder Grundbesitzer hatte eine bestimmte Fläche
zu bepflanzen. Den Familien ohne Pflanzland wies
die Gemeinde solches zu. Triesenberger bepflanzten
teils Äcker im Tal. Auch Fabriken ab einer bestimm-
ten Beschäftigtenzahl wurden verpflichtet. So er-
hielten die Spinnerei und die Weberei Jenny, Spoer-
ry & Cie. Land im Triesner Heilos sowie südlich von
Bendern zugeteilt.67
In jahresübergreifenden «Anbauetappen» wur-
den die Pflichtflächen festgelegt. In Liechtenstein
traf es sich günstig, dass der 1931 begonnene Bin-
nenkanal samt Entwässerungsgräben und Draina-
gen weitgehend fertig gestellt war, definitiv bis
1943. Rietflächen boten neues Ackerland. Auch war
die Arbeit der hiesigen Bauern nicht durch Militär-
oder Kriegsdienst beschnitten. Der Mehranbau er-
forderte grossen Mehraufwand.
Die Regierung fungierte als «Zentralstelle für
Mehranbau» oder «Landes-Ackerbaustelle». Jede
Gemeinde bestellte eine «Ackerbaustelle».68 Die Re-
gierung stellte 1941 den Schweizer Agronomen
Hans Hofer an. Er und die «Landwirtschaftliche Be-
ratungsstelle», geleitet von Franz Josef Beck, unter-
richteten die Pflanzer in Vorträgen, Kursen, Zei-
63) Schweizerische Kriegswirtschaft, S. 735.
64) Rechenschaftsberichte 1939 bis 1948.
65) Kreisschreiben Nr. 71 des Eidgenössischen Kriegs-Ernährungs-
Amts an die kant. Zentralstellen für Kriegswirtschaft, 10. Januar
1941, LLA RE 201/307. - Bericht «Sektion für landwirtschaftliche
Produktion und Hauswirtschaft», geleitet von Friedrich Traugott
Wahlen und H. Keller. In: Schweizerische Kriegswirtschaft, S. 258-
298.
66) Verordnung vom 17. Oktober 1940, LGB1. 1940 Nr. 18.
67) Zeitzeugeninterview mit Peter Amann, Vaduz, durchgeführt von
Peter Geiger, 26. November 2008.
68) Verordnung vom 17. Oktober 1940, LGB1. 1940 Nr. 18. - LLA RE
201/307.
Friedrich Traugott Wah-
len, Vater des Mehranbau-
plans, prüft ein Getreide-
feld während des Zweiten
Weltkrieges.
157
tungsartikeln und Feld-Demonstrationen. Im Tal
wurde gerodet, Rietflächen und schlechte Wiesen
wurden umbrochen. Mittels Bodenproben wurde
der Bedarf an Phosphor-, Kali- oder Kalkdüngung
ermittelt. Sä- und Dreschmaschinen wurden ange-
schafft, Traktoren auf Holzvergaser umgebaut. Das
Land half mit Subventionen.69
Schon 1941 wurden so neue Ackerflächen ge-
wonnen, etwa das Gebiet «Sand» in Triesen, je
100 000 Klafter (knapp 40 ha) in Schaan und in
Eschen, 40 000 in Gamprin, 70 000 im Vaduzer Riet,
grössere Flächen in Mauren.70 Der Anbauplan für
1941/42 sah einen weiteren Mehranbau von zu-
sammen 430 000 Klaftern und damit eine Auswei-
tung der Ackerfläche um 15 Prozent vor.71 Aber ein
Jahr später zeigte sich im September 1942, dass vie-
le Gemeinden den Anbauplan bei weitem nicht er-
füllt hatten. Die meisten kamen nicht einmal auf die
Hälfte des vorgeschriebenen Mehranbaus. Mauren
hatte statt des geforderten Mehrs von 60 000 Klaf-
tern gerade 4 000 geschafft, Eschen statt 50 000 nur
18 000. Für 1943 wurde nun jeder Gemeinde die
Defizit-Fläche von 1942 und eine neue zusätzliche
Fläche vorgeschrieben, so zum Beispiel Triesenberg
30 000 Klafter (Defizit 19 000 plus neu 11 000).72
AUFRUF AN ALLE PFLANZER
März 1943 (Auszug)
«Dank einer gütigen Vorsehung, dem Anbauwerk und
den noch immer möglichen Einfuhren können wir bis
jetzt noch täglich mehrmals unseren Hunger stillen.
Die gegenwärtigen Einfuhrschwierigkeiten ... lassen
für unsere zukünftige Ernährung, soweit sich diese
nicht auf die eigene Produktion stützt, keine grossen
Hoffnungen zu.
Fürstliche Regierung
Dr. Hoop»
Es scheint, dass die Ziele zu hoch gesteckt waren.
Die Regierung war besorgt. Sie erliess am 17. März
1943 eine brüsk formulierte Verordnung: Wer die
vorgeschriebene Anbaupflicht nicht erfülle, mache
sich strafbar.73 Sie richtete einen öffentlichen «Auf-
ruf an alle Pflanzer»:
«Dank einer gütigen Vorsehung, dem Anbauwerk
und den noch immer möglichen Einfuhren können
wir bis jetzt noch täglich mehrmals unsern Hunger
stillen.Die gegenwärtigen Einfuhrschwierigkeiten
... lassen für unsere zukünftige Ernährung, soweit
sich diese nicht auf die eigene Produktion stützt,
keine grossen Hoffnungen zu....»
Noch müsse man 60 Prozent des Brotgetreides
einführen. Falls Getreideeinfuhren wegfallen soll-
ten, könnten auch Kartoffeln und Gemüse diese nie
ausgleichen.74
Es nützte, aber nicht durchwegs. Die Listen der
«Anbausünder» der einzelnen Gemeinden vom
Frühjahr 1943 waren lang. In Vaduz zum Beispiel
hatten bis zum Mai 1943 von insgesamt 428 Pflan-
zern deren 148, rund ein Drittel, noch zuwenig an-
gebaut. Unter den Vaduzer Säumigen waren auch
Prominente, der Landesbankdirektor, Rechtsanwäl-
te, auch Regierungschef Hoop, der letztere hatte erst
30 der ihm vorgeschriebenen 200 Klafter bepflanzt.
Die Regierung mahnte alle.75
LANDDIENST
Es mangelte zusehends an landwirtschaftlichen Ar-
beitskräften. Um für die existenzielle Nahrungsmit-
telproduktion genügend Arbeitskräfte sicherzustel-
len, führte man in Liechtenstein daher schliesslich
einen sogenannten «Landdienst», ein, oft auch als
«Landjahr» bezeichnet. Eine ähnliche, allerdings
viel differenziertere «Arbeitsdienstpflicht» gab es
auch in der Schweiz.76
Im Rechenschaftsbericht 1941 klagte die Regie-
rung:
«Liechtenstein leidet, so grotesk dies klingen mag,
an einer bedenklichen Landflucht. Die bäuerliche
Jugend wendet sich immer mehr von der landwirt-
schaftlichen Arbeit anderen Berufen zu.»77
158
«EIER-, MILCH- UND SEIFENPUNKTE, ANBAU-
PFLICHT UND EINMACHKURS» / PETER GEIGER
Obligatorisch verpflichtete
Landdienst-Jünglinge
wetzen die Sensen, bei
Schaan.
Ein 1941 begonnener «Landdienst» für die 17-
und 18-Jährigen kam noch nicht recht zum Tragen.
Auf den Frühling 1942 hin beschloss der Landtag ei-
nen obligatorischen landwirtschaftlichen «Arbeits-
dienst» von einem halben Jahr. Verpflichtet waren
für das Jahr 1942 alle Jünglinge des Jahrgangs
1925, dazu aus den Jahrgängen 1924 und 1923
jene, welche 1941 den Arbeitsdienst ohne Dispens
verpasst hatten. 1943 liess Regierungschef-Stellver-
treter Vogt 13 säumige Burschen stracks polizeilich
vorführen und unmittelbar den Bauern zuweisen.69 70 71 72 73 74 75 76 77 78
Landdienstpflichtig waren jährlich jeweils rund
100 Jünglinge. Jungfrauen waren dem Landdienst
nicht unterstellt. Der Landdienst blieb bis und mit
1946 bestehen, letztmals für den Jahrgangs 1929.79
Als 2008 der Autor beim Historischen Verein öffent-
lich zum Thema referierte und in den Saal fragte, ob
etwa unter den Zuhörern ehemalige Landdienst-
Jünglinge wären, meldete sich spontan Dr. Georg
Malin aus Mauren, Jahrgang 1926. Ein solcher
Landdienst-Jüngling war auch William Hoop aus
Eschen, geboren 1927. Er hatte 1944, als er Lehr-
ling in der Presta war, von März bis Oktober den
Landdienst zu erfüllen, bei einem Bauern in Ruggell.
Später heiratete er dessen Tochter.80
FLÄCHEN UND ERTRÄGE
Zeigte der Mehranbau in Liechtenstein Wirkung?
Die Entwicklung von Flächen und Erträgen geben
Antworten. Aus statistischen Angaben in den Re-
chenschaftsberichten der Regierung und aus an-
dern Quellen hat der Autor die folgenden Berech-
nungen angestellt und zur Veranschaulichung die
Graphiken gezeichnet.81
Die liechtensteinische Ackerfläche wurde in den
Kriegsjahren in der Tat sehr stark ausgeweitet, ins-
gesamt von 781 Hektaren 1939 auf 1 343 Hektaren
1945, also um 72 Prozent. Die grössten Erweiterun-
gen wurden 1941 und 1943 erzielt. 1945 war der
Höchststand erreicht. Bis 1950 nahm die Ackerflä-
69) Rechenschaftsbericht 1941, S. 64.
70) Ebenda.
71) LLA RF 207/58.
72) Regierung (Dr. Alois Vogt) an die Gemeinden, September 1942,
LLA RF 209/10.
73) LLA RF 215/24. - Verordnung betr. Mehranbau vom 17. März
1943, LGB1. 7/1943.
74) Regierungs-«Aufruf an alle Pflanzer» (Dr. Hoop), o. D. [Ende
März 1943], LLA RF 215/24.
75) LLA RF 215/24.
76) Die Schweizerische Kriegswirtschaft, S. 553-562.
77) Rechenschaftsbericht 1941, S. 65.
78) LLA RF 215/60.
79) Rechenschaftsberichte 1942 ff., jeweils «Landwirtschaft».
80) Zeitzeugen-Interview mit William Hoop, Eschen, geführt von
Peter Geiger, 30. Juni 2009.
81) Eigene Berechnung aus den Angaben in den Rechenschaftsbe-
richten 1939 bis 1950. - Für 1941 gibt der Rechenschaftsbericht
1941 keine Angaben, daher für 1941 eigene Berechnung aus einer
Zusammenstellung «Liechtenstein, Land- und forstwirtschaftliches
Einkommen 1941-1943» und aus einem Bericht von Hans Hofer
vom 25. Februar 1942, LLA RF 215/20. - Hektarzahlen nach:
Rechenschaftsbericht 1950.
159
Ackerland, aufgeteilt nach
Fruchtarten 1939 bis 1948. FLÄCHENANTEILE DER ACKERKULTUREN IN LIECHTENSTEIN
1939 BIS 1950 (in Prozent)
Entwicklung der offenen
Ackerfläche insgesamt
1939-1950.
ON o T-H CM ro oh LO h- 00
ro oh oh oh oh oh oh oh oh
ON ON ctn ON ON ON ON ON ON ON
1 T—1 T-H 1 T—1 T-1 T-H T—1 T—1
Weizenproduktion
1938-1950.
Kartoffeln ■ Mais ■ Getreide ■ Gemüse (inkl. Rüben)
Peter Geiger 2009
OFFENES ACKERLAND IN LIECHTENSTEIN WEIZEN-DRESCHERGEBNIS IN LIECHTEN-
1939 RIS 1950 (in ha) STEIN 1938 DIS 1950 (in kg)
T—I T—I T-1 T-1 T-1 T-1 T-1 T-1 T-1 T-1 T-1 t—I
Peter Geiger 2009
400 000
350 000
300 000
250 000
200 000
150 000
100 000
50 000
0
00 ON o I CM ro oh LO u- 00 ON o
ro ro oh oh oh oh oh oh oh oh oh oh io
ON ON ON ON ON ON ON ON ON ON ON ON ON
t—1 T“H T—1 T—1 T—1 t—1 t—1 t—1 T-H T—1 T—1 T—1 T—1
Peter Geiger 2009
160
«EIER-, MILCH- UND SEIFENPUNKTE, ANBAU-
PFLICHT UND EINMACHKURS» / PETER GEIGER
che auf 920 Hektaren ab - was immer noch deutlich
mehr als die 781 Hektaren der Zeit vor dem Krieg
war.
Zwischen den einzelnen Ackerkulturen sind Ver-
schiebungen festzustellen. Dies zeigt die Graphik zu
Flächen von Kartoffeln, Mais, Getreide und Gemüse.
Gesamthaft nahmen Kartoffeln durchwegs den
grössten Anteil der Pflanzflächen ein, gefolgt von
«Türken» (Mais), an dritter Stelle Getreide, an vier-
ter Stelle mit Abstand Gemüse.82 Innerhalb dieser
Reihung veränderten sich die Anteile. Mit Kartoffeln
bepflanzt waren 1939/40 insgesamt 42 Prozent des
Ackerlands, der Anteil sank auf 36 Prozent 1942
und 1945, nach dem Krieg stieg er wieder an, über
den Vorkriegsstand. Fast parallel verringerte sich
im Krieg der prozentuale Maisflächenanteil, von 33
Prozent 1939 auf 28 Prozent 1946, danach erreichte
er wieder Vorkriegsniveau.
Der Getreideanteil bewegte sich demgegenüber
spiegelbildlich. Getreide lag 1939 bei 14 Prozent der
Fläche, 1942 aber mit 26 Prozent fast doppelt so
hoch, 1945 immer noch bei 23 Prozent, 1948 aber
nur noch bei 10 Prozent. Die Erfahrung hatte ge-
zeigt, dass sich Boden und Klima hier besser für
«Grumbiera» und «Tüargga» als für Weizen eigne-
ten.
Der intensive Gemüseanbau, 1939 sieben Pro-
zent der Ackerfläche einnehmend, ging bis 1942 auf
gut fünf Prozent zurück, danach stieg er wieder
leicht an. Nach dem Krieg sprang der Gemüsebau
1946 kurz auf 16 Prozent hoch, wegen Konserven-
nachfrage.
Freilich ist der Nährwert ins Verhältnis zu den
vorstehenden Flächenangaben zu setzen. Nimmt
man eine Kalorientabelle zur Hand, zeigt sich, dass
Kartoffeln im Verhältnis zum Gewicht weniger als
ein Viertel des Kaloriennährwerts von Mais und Ge-
treide liefern.
Bei den Getreidearten sei hier der Weizen als
wichtigstes Brotgetreide herausgegriffen. Der liech-
tensteinische Weizenertrag stieg im Krieg sehr
stark, von 140 Tonnen 1939 auf 336 Tonnen 1944,
was fast das Zweieinhalbfache war. Danach gingen
die Weizenmengen wieder rasch zurück - Selbstver-
sorgung war kein Ziel mehr.
NEBENWIRKUNGEN
Von Interesse sind gewisse nicht unbedeutende Be-
gleitwirkungen der kriegswirtschaftlichen Situati-
on. Hier seien Frauenkurse, Altstoffsammeln und
Regulierungsschub herausgegriffen.
KURSE FÜR FRAUEN
Den Frauen oblag viel Arbeit. Sparsame und gesun-
de Zubereitung der Speisen sowie intensive Nut-
zung des häuslichen Gartens waren zentral. Die Re-
gierung veranlasste Kurse. Im Herbst 1940 wurde
ein viertägiger «Gemüsebaukurs» durchgeführt. 35
Frauen meldeten sich zur Teilnahme, darunter Emi-
lie Hoop, die Gemahlin des Regierungschefs.83
Als die Versorgung zusehends knapper wurde,
organisierte die Regierung ab Februar 1943 «Koch-
Demonstrationskurse für Frauen und Töchter». Ge-
leitet wurden sie in der Schulküche Vaduz von der
Hauswirtschaftslehrerin Berta Kölbener und von
Frau Hofer. Der Kurs umfasste vier Abende zu den
Themen: «Gute Suppe trotz Rationierung» - «Ver-
schiedene Kartoffelgerichte» - «Gerichte aus ge-
dörrtem Obst und Gemüse» - «Eintopfgerichte».
Das Interesse war riesig, die Schulküche fasste die
jeweils gut 50 Teilnehmerinnen kaum. Achtmal
mussten die vier Abende stattfmden, zusammen
waren es schliesslich 32 Kursabende und 415 Teil-
nehmerinnen.84
Im Sommer und Herbst des gleichen Jahres 1943
führte Berta Kölbener dann in den Gemeinden «Ein-
machkurse» durch. Insgesamt 776 Teilnehmerin -
82) Rechenschaftsbericht 1940, S. 73, 82.
83) LLA RF 198/404.
84) LLA RF 219/299.
i6i
KURSE FÜR FRAUEN Teilnehmerinnen
«Gemüsebaukurs» 1940 35
«Koch-Demonstrationskurs für Frauen
und Töchter» 1943 (Berta Kölbener, Frau Hofer) 415
1. Abend «Gute Suppe trotz Rationierung»
2. Abend «Verschiedene Kartoffelgerichte»
3. Abend «Gerichte aus gedörrtem Obst und
Gemüse»
4. Abend «Eintopfgerichte»
«Einmachkurse» 1943 (Berta Kölbener) 776
Total Teilnehmerinnen 1 226
Peter Geiger, 2009
ALTSTOFFSAMMLUNG LIECHTENSTEIN 1942
(ganzes Jahr) in Kilo
Schrott («Schrottaktion») 192 669
Eisen 109 886
Papier 5 932
Hadern 10 131
Knochen 12 994
Gummi und Leder 3 915
Diverses 3 212
Total 1942 342 075
Peter Geiger, 2009
nen besuchten sie, zum Beispiel in Mauren 130, in
Triesenberg 90.85 So förderte die Mangelwirtschaft
als Nebeneffekt die Weiterbildung der Hausfrau: als
Gärtnerin, Köchin, Wirtschafterin.
ALTSTOFFSAMMELN
Dem kriegsbedingten Rohstoffmangel begegnete
man durch Altstoffsammeln. Wie in der Schweiz
wurden auch in Liechtenstein von 1940 bis 1947
verwertbare Altstoffe und Abfälle gesammelt. Abge-
liefert wurden Metalle, vorab Eisen, ebenso Papier,
Hadern (alte Stoffe, Lumpen), Gummi, Leder sowie
Knochen, die letzteren wegen des Fettes.86 Hier sei
als Beispiel Liechtensteins Sammlungsergebnis für
das ganze Jahr 1942 herausgegriffen (siehe Tabel-
le): Es kamen 342 Tonnen zusammen, vorab Altei-
sen. Jährlich wurde weiter gesammelt. Manches
Kulturstück dürfte so verloren gegangen sein. Sogar
der lange Eisenzaun vor dem Regierungsgebäude
weckte vor dem Kriegsende noch die Aufmerksam-
keit schweizerischer Altstoff-Funktionäre, er blieb
knapp verschont.87
REGULIERUNGSSCHUB
Eine Wirkung der Kriegswirtschaft war der einher-
gehende unerhörte Schub staatlicher Regulierung in
vielen Bereichen. Eine Flut von Vorschriften beglei-
teten Rationierung, Kontingentierung, Verbrauchs-
lenkung, Mehranbau, Preisvorschriften, Öffnungs-
zeiten, Verdunkelung, Luftschutz. Lustbarkeiten
wurden beschränkt. Wohnungsnot in den Kriegs-
jahren führte zu Kündigungsschutz. Konkrete An-
schauung bietet sich, wenn man die beiden Landes-
zeitungen in den Jahren 1939 bis 1948 durch-
sieht.88 Immer weitere Bereiche mussten staatlich
geregelt werden. Dies blieb dann über die Zeit hi-
naus prägend.
162
«EIER-, MILCH- UND SEIFENPUNKTE, ANBAU-
PFLICHT UND EINMACHKURS» / PETER GEIGER
FAZIT
Für ein kurzes Fazit zur Kriegswirtschaft seien hier
drei Elemente herausgehoben: die Ernährungsbi-
lanz, der Vergleich mit andern Ländern sowie die
Beziehung zur Schweiz.
ERNÄHRUNGSBILANZ
Wie zeigte sich die Bilanz der Ernährungssituation
für die Menschen im Lande während der Kriegszeit?
Die schweizerische Gesamtstatistik über den Nah-
rungsverbrauch in den Kriegsjahren 1939 bis 1945
und weiter bis 1947 umfasst Liechtenstein mit.89 Die
daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen dürfen ge-
nerell auch für Liechtenstein gelten. Die Verbrauchs-
indices sind auf 1939 mit Index 100 bezogen (siehe
Abbildungen).90 Was im Laufe der Kriegsjahre darü-
ber liegt, war mehr als 1939, was darunter liegt, we-
niger. Der Verbrauch spiegelte nicht Konsumenten-
85) Ebenda.
86) Schweizerische Kriegswirtschaft, S. 801-813.
87) Unterlagen März bis Juni 1945, LLA RF 228/5.
88) LVolksblatt und LVaterland, 1939 bis 1948.
89) Schweizerische Kriegswirtschaft, S. 422 f.
90) Graphik Verbrauchsindices der Nahrungsmittel 1939-1945. In:
Schweizerische Kriegswirtschaft, S. 423.
Wovon mehr und wovon
weniger gegessen werden
konnte: Verbrauchsindices
der Schweiz, gültig analog
für die liechtensteinische
Bevölkerung.
«KTK» = Kaffee Tee Kakao,
«FH» = Früchte und Honig.
Aus: Die Schweizerische
Kriegswirtschaft, S. 423.
VERBRAUCHSINDICES DER NAHRUNGSMITTEL (1939: INDEX = 100)
163
Stimmung und Vorlieben, sondern schlicht die Ver-
fügbarkeit der einzelnen Lebensmittelkategorien.
Zu berücksichtigen ist, dass über die ganze Zeit hin
Kartoffeln, Obst und Gemüse (ausser Bohnen, Erb-
sen) frei von Rationierung blieben.
Wovon ass man weniger in den Kriegsjahren?
Man verzehrte weniger Butter, Eier, Fleisch, ab 1943
auch weniger Milch, Getreideprodukte, Teigwaren,
Zucker, Konfitüre und Honig. Wovon ass man mehr?
Sehr viel mehr Kartoffeln, viel mehr Gemüse, insbe-
sondere Bohnen und Erbsen, ebenfalls viel Obst,
zeitweilig auch mehr Brot und Käse. Gesamthaft be-
deutete dies: Im Verhältnis zum Vorkriegsverzehr
gab es weniger Kalorien und weniger Fett, aber
mehr Proteine. Das heisst, man ass «gesünder». Vo-
rausgesetzt, es gab übers Ganze gesehen genug
Nahrung. War dem so?
Die Statistik zeigt nun freilich bei genauerer Be-
trachtung, dass die Nahrungssituation in der
Schweiz, Liechtenstein eingeschlossen, ab 1943 und
bis zum Herbst 1945 ungenügend war. Die Versor-
gung sowohl mit Kalorien als auch mit Fett war
1943, 1944 und bis zum September 1945 nicht
mehr ausreichend. So erhielten erwachsene Nor-
malbezüger ab dem Mai 1944 und bis und mit Sep-
tember 1945 durchwegs weniger als 2 000 Kalorien
täglich, was als «unzureichend» galt. Analog erhiel-
ten sie in derselben Zeitspanne zuwenig Fettversor-
gung. In den schwächsten Monaten dieser Zeitspan-
ne bekamen erwachsene Normalbezüger im August
1944 durchschnittlich nur noch 80 Prozent der als
«ausreichend» geltenden Fettmenge, und im März
1945 war es mit 83 Prozent noch nicht viel mehr.
Andererseits lag die Versorgung mit Proteinen auch
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Deutsche «Reichsfettkarte»
1941, französische «Carte
d’inscription» für Lebens-
mittel 1943, amerikani-
sches «War Ration Book»
1942.
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Catégorie
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164
«EIER-, MILCH- UND SEIFENPUNKTE, ANBAU-
PFLICHT UND EINMACHKURS» / PETER GEIGER
in den zwei bezüglich Versorgungslage schwierig-
sten Jahren 1944/45 praktisch durchwegs über
dem «Normbedarf». Einzig im Frühling 1945 gab es
im zweiten Quartal - April, Mai, Juni - auch eine
Protein-Unterversorgung für Normalbezüger, nicht
aber für Schwerarbeiter.91
Trotz dieser Differenzierungen lässt sich sagen:
Im Ganzen funktionierte die Landesversorgung für
die liechtensteinische Bevölkerung in der abnorma-
len Zeit des Krieges sehr gut. Niemand musste im ei-
gentlichen Sinne hungern. Die Notwendigkeit von
Einschränkungen wurde eingesehen. Nichteinhal-
tung der Vorschriften und Missbräuche hielten sich
in Grenzen.
IN ANDERN LÄNDERN
Weiten wir kurz den Horizont. Wie stand es in an-
dern Ländern um Rationierung und Mehranbau?
Nahrungsmittel und Güter des täglichen Bedarfs
wurden in allen kriegführenden und den meisten
weiteren Ländern ebenfalls rationiert. Das veran-
schaulichen etwa Rationierungskarten aus Deutsch-
land, Frankreich und den USA.
Interessant ist der Blick auf Deutschlands Ernäh-
rungslage. Der Befund mag überraschen: Im Dritten
Reich hungerte die Bevölkerung im Krieg nicht, sie
erhielt praktisch gleich viele Kalorien wie vor dem
Krieg. Bezüglich Nahrung wurden erst die Nach-
kriegsjahre schwieriger - und rückblickend stärker
erinnert. Die Bevölkerung in Deutschland, die im
Krieg hinreichend ernährt war, umfasste freilich al-
lein die «Volksgenossen». Andere Bevölkerungsteile
aber, nämlich Juden, Zwangsarbeiter, sowjetische
Kriegsgefangene, Bewohner besetzter sowjetischer
Städte, erhielten nur mehr sehr eingeschränkt Le-
bensmittel, in bewusster «Vernichtungsabsicht».92
Verstärkte Nahrungsmittelproduktion durch for-
cierten Anbau war schon lange vor dem Krieg in
verschiedenen Ländern ein Ziel, insbesondere in
Italien und Deutschland im Sinne von Autarkie und
Kriegsvorbereitung. Mussolini rief schon 1925 die
«Battaglia del grano» («Weizenschlacht») für die ita-
lienische Landwirtschaft aus. Sie wurde Jahr für
Jahr fortgesetzt.93 In Hitlerdeutschland wurde ab
1934 für die Landwirtschaft jährlich die «Erzeu-
gungsschlacht» verordnet, weitergeführt auch in
der Kriegszeit.94 Vermehrte landwirtschaftliche Pro-
duktion war überall ein zentrales Thema, auch in
Liechtenstein schon in den 1930er Jahren.95 Der
Krieg forcierte alles. Sogar die Mechanisierung der
Landwirtschaft erhielt im Krieg auch hierzulande
einen Anschub.96
DANKESSCHULD GEGENÜBER DER SCHWEIZ
Der Kreis unseres Themas schliesst sich, indem
nochmals die Schweiz zu erwähnen ist. Ihr gegen-
über stand Liechtenstein in einer beträchtlichen
Dankesschuld. Wie hätte Liechtenstein die Landes-
versorgung materiell und organisatorisch selber
und allein bewältigen sollen? Im Schlussbericht des
liechtensteinischen Kriegswirtschaftsamtes, publi-
ziert als Teil des Rechenschaftsberichts der Regie-
rung für das Jahr 1948, wurde denn nicht nur die
«vorzügliche Organisation» der schweizerischen
Kriegswirtschaft gelobt, sondern bündig festgestellt,
sie habe Liechtenstein in der Kriegszeit «vor Not be-
wahrt», und:
«Die schweizerischen Stellen Hessen uns ohne Aus-
nahme aller Vorteile teilhaftig werden».97
Die Schweiz freilich erwartete nach dem Krieg
Gegenleistungen. So stellte sie für Lebensmittelliefe-
rungen an Liechtenstein eine unerwartete und als
91) Vgl. die Graphiken in: Schweizerische Kriegswirtschaft, S. 435,
439, 437.
92) Vgl. Dietrich Eichholtz: «Rationierung». In: Wolfgang Benz /
Hermann Graml / Hermann Weiss: Enzyklopädie des Nationalsozia-
lismus, 4. Auflage. Stuttgart, 2001, S. 669 f.
93) http://it.wikipedia.org/wiki/Battaglia del grano.
94) http://de.wikipedia.org/wiki/Erzeugungsschlacht.
95) Vgl. Geiger, Krisenzeit, 2. Auflage. Vaduz, Zürich, 2000, Bd. 1,
S. 277-284.
96) Vgl. Angaben zur Anzahl Traktoren in den Rechenschaftsberich-
ten 1938 bis 1950.
97) Rechenschaftsbericht 1948, S. 185.
165
zu hoch empfundene Rechnung. Und sie forderte ul-
timativ den Abtausch des Ellhorns. Diesen Rheinfel-
sen gegenüber Trübbach, der für die Festungspläne
an der schweizerischen Ostgrenze wichtig war, hat-
te Liechtenstein 1939 noch verweigert. Jetzt musste
man einlenken - der Kalte Krieg hatte begonnen.
Für den definitiven Ellhorntausch von 1948 handel-
te Liechtenstein eine Reduktion der Lebensmittel-
schuld und besser nutzbaren Boden ein.98 Doch
blieb ein Erinnerungsstachel.
NICHT VERGESSEN
Wie steht es hierzulande um Erinnerung und Wis-
sen bezüglich jener Zeit? Die Kriegswirtschaft, ins-
besondere deren aufwendige Organisation und die
verästelten Details, wurden in Liechtenstein schnell
vergessen. Verständlich ist dies, weil angesichts der
gigantischen Kriegsereignisse der kriegswirtschaft-
liche Alltag in den Hintergrund trat. Man empfand
diesen seinerzeit als unausweichlich und man ar-
rangierte sich, so gut es ging. Auch stand die Kriegs-
98) Geiger, Krisenzeit, Bd. 2, S. 300-311. - Amtliche Bekanntma-
chung betreffend den Vertrag zwischen dem Fürstentum Liechten-
stein und der schweizerischen Eidgenossenschaft über die allgemei-
ne Revision der Landesgrenze im Abschnitt Rhein-Würznerhorn, 31.
August 1949, LGBL Nr. 19/1949. - Arthur Brunhart: Der Verlust des
Ellhorns 1948. In: Balzner Neujahrsblätter 1999, S. 5-18. - Zeitzeu-
gen-Interview mit a. Regierungschef Alexander Frick, Schaan, ge-
führt von Peter Geiger, 1. Juni 1988. - Vgl. Hans Rudolf Schneider,
Artiheriewerk Ellhorn A 6224 (mit Fotos von Pius Wihler), 2007. In:
www.festung-oberland.ch (14. Dezember 2009).
Liechtenstein von den
Höhen über dem Sargan-
ser Becken aus gesehen.
166
«EIER-, MILCH- UND SEIFENPUNKTE, ANBAU-
PFLICHT UND EINMACHKURS» / PETER GEIGER
Der Jugend ins Lesebuch
geschrieben: Arbeiten und
Beten ums tägliche Brot,
Titelvignette von Johannes
Troyer, Lesebuch für die
Liechtensteinische Ober-
stufe, 1938/40.
167
Wirtschaft ausserhalb politischen Streits. Und die
weiter rollende Zeit überdeckte alsbald das Durch-
lebte.
Sieben Jahrzehnte sind seit 1939 vergangen,
sechseinhalb Jahrzehnte seit dem Kriegsende. Wir
Heutige können uns jene Zeit kaum konkret, von Tag
zu Tag, vorstellen. Personen indes, welche jene Jah-
re als Kinder, Schüler oder junge Erwachsene erleb-
ten, haben zweifellos bis heute vieles in Erinnerung
behalten. Ihr Wissen und ihre Erfahrungen sollten
bewahrt werden. Hier winkt dem Historischen Ver-
ein ein Oral History-Feld. Immerhin hat vor kurzem
eine Gymnasiastin ein sehr schöne Facharbeit zur
Rationierung in Liechtenstein verfasst."
Ins neue liechtensteinische Oberstufen-Lesebuch
von 1938, das dann 1940 erschien, setzte der Künst-
ler Johannes Troyer ein ganzseitiges Bild, als Innen-
titel und gewissermassen als Programm für die
dann in den Kriegsjahren heranwachsende Schulju-
gend.99 100 Es zeigt Schloss und Kirche, Schafe und
Weinberg, Acker und Ähren, Stube und Tisch, Eltern
und Kinder. Jene Bildszenen oszillieren eigentüm-
lich zwischen Idylle und Abgrund der Zeit. Neben
ernstem Arbeitsfleiss und religiöser Zuversicht tre-
ten die Sorge ums tägliche Brot und die Unsicherheit
des Lebens hervor.
Und so liegt nach Betrachtung dessen, was da-
mals war, die Frage nicht fern: Sind wir heute sicher,
dass nicht einmal wieder Rationierung und Mehran-
bau notwendig werden könnten?
99) Kathrin Rohrer: Die Rationierung der Lebensmittel während der
Zeit zwischen 1939 und 1948 im Fürstentum Liechtenstein. Fachar-
beit in Geschichte (bei Lehrer Georg Wanger), Liechtensteinisches
Gymnasium, 2008, Ms.
100) Lesebuch, Vaduz 1938 (erschienen 1940).
168
«EIER-, MILCH- UND SEIFENPUNKTE, ANBAU-
PFLICHT UND EINMACHKURS» / PETER GEIGER
QUELLEN
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169
BILDNACHWEIS
S. 143, 151, 153 unten,
155, 159, 166: Liechten-
steinisches Landesarchiv
S. 145, 148, 149, 163:
Die Schweizerische Kriegs-
wirtschaft 1939/1948,
Bern 1950
S. 146, 154, 160, 162:
Peter Geiger
S. 150 oben, 156 links:
Liechtensteiner Vaterland
S. 150 unten: Liechten-
steiner Volksblatt
S. 153 oben: Nebelspalter
S. 156 rechts: Allgäuer/
Jansen/Ospelt: Liechten-
stein 1938-1978, Vaduz
1978
S. 157: Eidg. Department
für Verteidigung, Bevölke-
rungsschutz und Sport
VBS, Bern
S. 164: Internet
(div. Quellen, dt., frz.,
engl.)
S. 167: Lesebuch (für die
liechtensteinische Ober-
stufe) 1938/40
ANSCHRIFT DES
AUTORS
PD Dr. Peter Geiger
Im obéra Gamander 18
FL-9494 Schaan
und
Liechtenstein-Institut
Auf dem Kirchhügel
St. Luziweg 2
FL-9487 Bendern
pg@liechtenstein-institut.li
170
VOLKSHOCHSCHULE
SCHAAN
1948 BIS 1967
Inhalt
173 Vorbemerkung
176 Gründung der Volkshochschule Schaan 1948
176 - Anlass zur Gründung
176 - Gründungsmitglieder
177 - «Die Bedeutung einer Dorfvolks-
hochschule»
180 - Gespräch mit Oberlehrer Hugo Gassner
180 Liste der Veranstaltungen
205 Finanzierung der Volkshochschule
205 - Selbstfinanzierung
205 - Gesuch um finanzielle Unterstützung
205 - Verschärftes Finanzproblem
206 Angebotszuwachs im Bereich der
Erwachsenenbildung
206 - «Katholisches Bildungswerk Liechten-
steiner Unterland»
206 - «Liechtensteinisches Bildungswerk
Schaan-Vaduz»
207 - Fülle von Veranstaltungen
208 Ende der Volkshochschule Schaan 1967
208 - Still ausgelaufen!
209 - Gründe des abrupten Endes?
210 Dank
VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN 1948 BIS 1967
GEORG SCHIERSCHER
Vorbemerkung
Der Volkshochschule Schaan, besonders ihrem
Leiter Hw. Herrn Landesvikar Johannes Tschuor
gebührt für das ganze Unternehmen der Dank und
die Anerkennung des jubilierenden Landes.
Alexander Frick, Regierungschef1
Im Zusammenhang mit meiner Tätigkeit als Mit-
glied der Programmkommission des Seniorenkolleg
Liechtenstein hat mich neulich das Programmange-
bot der seinerzeitigen «Volkshochschule Schaan»1 2,
der ersten Einrichtung für Erwachsenenbildung in
Liechtenstein, interessiert. Leider ist über sie in den
Archiven nur wenig zu erfahren, so dass ich beim
Zusammentragen von Informationen über die 19
Jahre ihrer Existenz zur Hauptsache auf die hiesige
Presse sowie auf das Kirchenblatt «In Christo»3 an-
gewiesen war. Es scheint, dass das jeweilige Semes-
terprogramm allen Haushaltungen in Schaan in ge-
druckter Form zugeschickt wurde. Das einzige mir
bekannte derartige Exemplar ist das Programmheft
zum zwölften Semester 1959/60.4
Die von der Volkshochschule Schaan organisier-
ten Anlässe - Einzelvorträge, Vortragsserien, Kurse,
Eheseminare, Musik-, Theater- und Filmaufführun-
gen, Rezitationsabende, Besichtigungen, Kunstfahr-
ten und Reisen - fanden, mit Ausnahme etwa letzte-
rer drei, in den Wintersemestern statt. Sie wurden
jeweils im allgemeinen Teil des «In Christo» sowie
im «Liechtensteiner Vaterland»5 und im «Liechten-
steiner Volksblatt»6 angekündigt. In den beiden Lan-
deszeitungen erscheinen die Ankündigungen meis-
tens unter der Rubrik «Fürstentum Liechtenstein»,
häufig auch im Inseratenteil - ab Ende Februar
1961 gelegentlich auch im neu eingeführten Veran-
staltungskalender des «Volksblatt».
1) Handschriftlicher Eintrag vom 8. April 1956 im Gästebuch der
Volkshochschule Schaan (siehe Quellen- und Literaturverzeichnis)
anlässlich des Vortrags des Unterzeichneten über «Die Sendung
Liechtensteins» (siehe Kapitel «Liste der Veranstaltungen», S. 18).
2) Fortan fallweise kurz Volkshochschule genannt.
3) Kirchliches Amtsblatt für die Pfarreien Liechtensteins. Die Redak-
tion hatte von 1936 bis 1988 Pfarrer Johannes Tschuor inne.
4) Siehe Quellen- und Literaturverzeichnis. (Eine Kopie dieses
Exemplars aus dem Nachlass von Pfarrer Tschuor hat der Verfasser
verdankenswerterweise von Franz Näscher, Gamprin, erhalten.)
5) Fortan kurz «Vaterland» (auch: Va) genannt.
6) Fortan kurz «Volksblatt» (auch: Vo) genannt.
173
Viele der Vortragenden
an der Volkshochschule
Schaan haben im «Gäste-
Buch» einen mit ihrer
Unterschrift versehenen
persönlichen Gedanken
hinterlassen.
In der nachfolgenden Zusammenstellung, bei der
auch die Einträge vieler Referenten im Gästebuch
hilfreich waren, gilt das Hauptinteresse den thema-
tisch weit gespannten Referaten; diesbezüglich
dürfte sie ziemlich vollständig sein. Über fast alle
Vorträge wurde wenige Tage nach ihrer Abhaltung
in der Presse berichtet, zum Teil in recht umfangrei-
chen Beiträgen, manchmal sogar in mehreren Fort-
setzungen. Auf die ausserhalb der Semesterpro-
gramme angebotenen Vorträge und Anlässe wurde
ebenfalls in der Presse aufmerksam gemacht.
Die Volkshochschule Schaan war einem an-
spruchsvollen Niveau verpflichtet. Sie hat offen-
sichtlich keine Mühe gescheut, auch Vortragende
mit europäischem Ruf - wie den Raketenforscher
Hermann Oberth, den Philosophen Josef Pieper, den
Theologen Karl Rahner, den Historiker Otto von
Habsburg, den Schriftsteller Werner Bergengruen
und den Schweizer Bundesrat Philipp Etter - zu en-
gagieren. Beeindruckend ist auch der grosse ehren-
174
VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN 1948 BIS 1967
GEORG SCHIERSCHER
VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN
FÜRSTENTUM LIECHTENSTEIN
Leitung: IIс, theol. Johannes TöChuar, Pfarren Schaan Telefon 07S f S IS 71
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□1496 Karte berechtigt zur unentgalEEichein Teilnahme an allen Vorlobgon dar Volk»-
Hochschule, ausgenommen die Kurovortrtge und das Woihoipiel in dor Pfarrkirche
Preis: Zehn Franken
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VOLKSHOCKSCKVtESCKXAK
amtliche Einsatz, der von den wenigen Mitgliedern
der «Arbeitsgemeinschaft der Volkshochschule» mit
Pfarrer Tschuor7 als Leiter geleistet wurde. Die vor-
hegende Publikation möchte der Volkshochschule
Schaan und deren Trägern eine gewisse Würdigung
zukommen lassen.
7) Johannes Tschuor, lic. theol. (1896-1990), Landesvikar, Kanoni-
kus, Fürstl. Geistlicher Rat, Pfarrer von Schaan von 1933 bis 1965,
danach wohnhaft in Planken von 1965 bis 1983.
Programm
1 Sonntag, 20. September (Rethausseat)
p. Zevatlp; Ich wer zehn Jahre Gefangener In Sibirien
2 Samstag, 10. Oklober (Pfarrkirche}
Münchner SpialgemeJnschaFt, Lotung; Ernst Ju-
rina: Caldo rone Mysterienspiel: Die Geheimnisse der
hl. Messe
3 Sonntag, iS. Oklober (Hotel Linde)
Dr. Halm: Albas, Harzmilta der Orthodoxie
4 Sonntag. 6. Dezember (Hotel Linde)
Hlllr Ahmad; Der lalam, Freund oder Feind?
5 Sonntag. 20. Doiembtr (Retheusieel)
Dr. Otto von Habiburg: Vom Heiligen in dar Politik
6 Sonntag. L fwuer (Гь ,.|»и53*а1/
□г, Hans Hau: Wondir der Tiefaee, Farbfilm vertrag
7 Sonntag, 6. MSn (Ftatfaussaal)
Gustav PfErrmsnn; Ti aneeela lieche Reise лот Thron
das Dalai Lama, Vortrag mit Farbdias und Farbfilm
und Tonbantfaüfnahmen
8 Sonntag, 13. Mürz [Hoiol Linde)
Roger Schlitz,, Prior: Eine neue Ferm des chriElllcben
Gemeinscb<efelxins unter evangelischen Christen
9 Sonntag, 27, Мйгг (Hdel Linde)
Dr, L, Krellirger: Venedig. Königin der Adria. Vor-
trag mit Lichtbildern
0Ф5 '«I »30 №f
W*wt* b*l Цл oflir in atr b«*nt»nll(bt яфГ^МЛ in d«r
Michlinit. PhHi ndrtEil№) ;«könnt
Zum Preis von zehn Fran-
ken konnte eine Semester-
karte gekauft werden, die
zum Besuch aller Vorträge
der Volkshochschule
Schaan während des ent-
sprechenden Semesters
berechtigte. Hier abgebil-
det ist die Volkshochschul-
karte für das zwölfte Se-
mester im Winter 1959/
60. Auf der Rückseite die-
ser Karte ist das gesamte
Vortragsprogramm abge-
druckt.
Oben: Briefkopf der Volks-
hochschule Schaan.
175
Gründung der Volkshochschule
Schaan 1948
Die Gründungsmitglieder
(von links) Johannes
Tschuor, Alfons Kranz und
Jakob Falk.
ANLASS ZUR GRÜNDUNG
Die Gründung der Volkshochschule Schaan geht auf
den Sommer 1948 zurück, wie ihr geistiger Vater
und Leiter Pfarrer Johannes Tschuor schreibt.8 Mo-
nate später wurde in der hiesigen Presse über die
erfolgte «Gründung der Volkshochschulabende»
und deren Zweck wie folgt berichtet:
«In unserem Lande wird viel an Unterhaltung ge-
boten. Es war die letzten Jahre ein Übermass. Wa-
rum nicht eine Einrichtung für allgemeine Bildung,
zur Vertiefung des geistigen Lebens? Diese Frage
haben sich in Schaan die Herren Akademiker und
Lehrer gestellt, als sie zur Gründung der Volkshoch-
schulabende schritten. An diesen Abenden sollen
nicht nur irgendwelche Vorträge gehalten werden.
Die Veranstalter haben sich mit Referenten von Ruf
in Verbindung gesetzt; die Abende wollen die Teil-
nehmer einen weiteren Schritt ins Reich der Wahr-
heit führen, wie das Programm der Volkshochschul-
abende verrät. Die Vorträge sollen dem einfachen
Manne, wie dem Studierten dienen, sie berühren
ausser Fragen des Wissens und der Bildung auch
solche [der] Gegenwart....
Der Zweck der Volkshochschulabende ist Wissen
und Geistesbildung zu erweitern. Wir lesen aus
grösseren Orten des schweizerischen Rheintals vom
grossen Erfolg solcher Abende, sie weisen regen Be-
such auf, weil das Interesse für Fortbildung und Be-
reicherung des Wissens besteht. Zu diesen Abenden
ist jedermann freundlich eingeladen. Referenten
von Ruf aber müssen auch bezahlt werden. Der Be-
such aller sechs Vorträge ist in der zu beziehenden
Karte mit 10 Franken an die Unkosten für die Refe-
renten zu honorieren.... Die Volkshochschulabende
laden freundlich ein.»9
Die Volkshochschule war Mitglied der am 20.
April 1963 in Luzern gegründeten Katholischen Ar-
beitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung der
Schweiz (KAGEB)10 und zeigte sich als solches inte-
ressiert an den Aktivitäten der -14 Tage später - am
2. Mai 1963 ebenfalls in Luzern ins Leben gerufenen
Europäischen Föderation für Katholische Erwach-
senenbildung (FEECA)11. Sie pflegte auch den Kon-
takt zum Katholischen Bildungswerk Vorarlberg.12
Dieses Zusammenspannen erleichterte fallweise die
Verpflichtung von namhaften Referenten. Mögli-
cherweise bestanden ebenfalls Verbindungen zur
«Volkshochschule Buchs und Umgebung».13 Und
wahrscheinlich war Pfarrer Tschuor, der von 1924
bis zu seiner Berufung nach Schaan als Vikar und
dann als Pfarrhelfer in Sarnen (Obwalden) gewirkt
hatte, auch von der dortigen Volkshochschule inspi-
riert.14
GRÜNDUNGSMITGLIEDER
Bei den im obigen Zitat erwähnten Herren Lehrern
(der Gemeinde Schaan)15, muss es sich gemäss dem
Schaaner Heimatbuch16 um die damals vier in
Schaan tätigen Lehrpersonen Alfons Kranz (1893—
176
VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN 1948 BIS 1967
GEORG SCHIERSCHER
1966), Jakob Falk (1909-1984), Ferdinand Schädler
(1921-2008) und Hugo Gassner (1917-2009) - wie
von ihm selbst bezeugt - handeln.8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 Bezüglich der
Schaaner «Herren Akademiker» in der Arbeitsge-
meinschaft konnte ich leider weder deren Zahl noch
- mit Ausnahme natürlich von Pfarrer Tschuor -
ihre Namen geschrieben finden. Erinnerungen eini-
ger befragter Personen zufolge sollen es unter ande-
ren wahrscheinlich Dr. med. Othmar Brunhart
(1902-1976) und Dr. phil. Dr. med. Hermann Walser
(1900-1978) sowie möglicherweise dipl. Ing. agr.
Meinrad Lingg (1913-2008) gewesen sein. Es wäre
wünschenswert, hierüber mehr zu erfahren.
«DIE BEDEUTUNG EINER DORF-
VOLKSHOCHSCHULE»
Nach den Erfahrungen aus den ersten zwei von der
Volkshochschule durchgeführten Vorträgen (siehe
Liste der Veranstaltungen) lud Pfarrer Tschuor am
27. Januar 1949 die vom Erfolg überraschte Ar-
beitsgemeinschaft zu sich ins Pfarrhaus ein. Er äus-
serte dabei seine Überlegungen zur «Bedeutung ei-
ner Dorfvolkshochschule für das geistige und kultu-
relle Leben eines Dorfes» und meinte unter ande-
rem:
«Wir als Christen müssen sagen, der einzelne
und das Volk haben ein Recht auf Bildung. Die Schei-
dewände, die zwischen den einzelnen Ständen und
Völkern aufgerichtet sind, fallen nicht durch die Hu-
Die Gründungsmitglieder
(von links) Ferdinand
Schädler und Hugo Gassner.
manität, sondern durch die Kräfte des Christen-
tums, von denen die erste die Liebe ist, die gibt und
schenkt. Geistesbildung, die abschliesst und isoliert,
ist keine Bildung. Es fehlt ihr die Verantwortung und
8) Festgabe zur Souveränitätsfeier, Seite 138.
9) In: «Volkshochschulabende in Schaan». «Volksblatt», 2. Dezember
1948.
10) Erwachsenenbildung, 1976, Seite 14.
11) FEECA = Fédération Européenne pour l’Éducation Catholique
des Adultes.
12) In: «Volkshochschule Schaan». «Volksblatt», 17. Oktober 1957.
13) Die «Volkshochschule Buchs und Umgebung» wurde am 5. Mai
1958 gegründet (siehe Chronik der Gemeinde Buchs, Seiten 137 und
153). Vgl. den Beitrag «Volkshochschule Buchs hatte mit Vorlesun-
gen über die Entstehung der Alpen eine glückliche Wahl getroffen».
In: «Vaterland», 12. März 1966.
14) Die «Volkshochschule Sarnen» wurde am 25. Januar 1948 unter
dem Patronat des Altherren-Verbandes der Subsilvania Sarnen
gegründet (gemäss Kopie der Gründungs-Statuten aus dem Staatsar-
chiv Obwalden, Dossier D.03.0247). Nach einem 5-jährigen Unter-
bruch ihrer Tätigkeit wurde «die Volkshochschule Sarnen 15 Tage
vor dem 50. Jahrestag ihres Bestehens», nämlich am 10. Januar
1998, aufgelöst. (Zitiert in Joseph Eisinger: «Kurzer Rückblick über
die Geschichte der Volkshochschule Sarnen». In: «Sarner Kollegi
Chronik, 60. Jahrgang 1/98», Seiten 7-8. Angaben gemäss schriftli-
cher Auskunft vom 23. Oktober 2009 von Joseph Eisinger, dem
letzten Präsidenten der Volkshochschule Sarnen.)
15) Eine solche Präzisierung erfolgt zum Beispiel in der Festgabe
Souveränität, 1956, Seite 138.
16) Schaaner Heimatbuch, 1. Folge, 1976, Seite 60.
17) Diese Feststellung steht in Einklang mit der entsprechenden
Aussage in der Gedenkschrift Tschuor, Seite 68.
177
Das Hotel und Restaurant
«Linde» in Schaan, um
1930.
Inserat im «Volksblatt»
vom 28. März 1953.
Volkshochschule
Schaan
Letzter Vortrag des Semesters,
Herr Werner Bergengruen, SchrillsteMer, Zürich,
liest aus eigenen Werken vor.
SONNTAG, 29. Marz (Palmsonntag), Hotel Linde,
abends 8.15 Uhr.
Tageskarten können an der Kasse vor dem Vortrag
gekauft werdon,
Ostermontag; Kunsfreisc. Programm folgt.
das, was aller Bildung Höchstes ist, die Liebe. Wahre
Bildung erkennt die Bildung als Gut und fühlt sich
verpflichtet, sie weiterzuschenken. ... Doch Wissen
allein tut es nicht. Ausschliessliche Geistesbildung
ohne Herzensbildung ertötet. ... Die Volksbildung
darf nicht vergessen, dem Volk auch Idealgestalten
vorzustellen, um es an ihrem Beispiel für das Wah-
re, Gute und Schöne zu begeistern.»18
Die «Dorfvolkshochschule» Schaan, wenn sie
denn ursprünglich überhaupt als solche geplant war,
entwickelte sich von Beginn an als Volkshochschule
für das ganze Land. Trotz ihrer geistigen Ansprüche
bezeichnet sie Graham Martin lieber als «Bildungs-
werk», da ihr Spektrum von Veranstaltungen «im
Vergleiche mit gleichnamigen Einrichtungen in den
anderen deutschsprachigen Ländern» schmaler ge-
wesen sei.19
18) Zitiert in Gedenkschrift Tschuor, Seite 68.
19) Martin, Bildungswesen, S. 245.
178
VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN 1948 BIS 1967
GEORG SCHIERSCHER
Auf Einladung der Volkshochschule Schaan
spielt das Studio Feldkirch im Rathaussaal in
Schaan am 13. Dezember um 20.15 Uhr
Halleluja Billy!
Musical von Ernst Lange und Helmut Barbe
Regie: Eugen Andergassen; Musikal. Leitung .v
Georg Schneider; Bühnenbild: Fidel Schurig;!
Tänze: Walter Piankensteiner; 8 Mann Jazz-i
Ensemble. ■
Vorverkauf: Buchdruckerei L. Hilty, Schaan
Tel. 2 17 93
Mitglieder d. Volkshochschule zahlen halbe Preise
Das Rathaus in Schaan,
um 1950.
Inserat im «Vaterland»
vom 12. Dezember 1959.
Volkshochschule Schaan
Prakt 1 sch e r K u r s :
Wir lernen richtig photographieren
Kursleitung:
die Herren Photographen Fritz Müller, jun,,
Buchs, und Peter O s p e 11 , Schaan.
Kursbeginn:
Samstag, den 3. November, abends V4 8 Uhr,
im Schulhaus Schaan.
Kurstaxe Fr. 4.—.
Ausführliches Programm im Kursprogramm der
Volkshochschule, das am 2. November in Schaan
allen Haushaltungen per Post zugesandt wird;
in Vaduz im Herrensalon Wächter und in der
Buchhandlung Haas.
Das Schulhaus in Schaan,
um 1950.
Inserat im «Vaterland»
vom 31. Oktober 1956.
179
Liste der Veranstaltungen20
GESPRÄCH MIT OBERLEHRER
HUGO GASSNER
Am 11. Mai 2009 konnte ich mich mit dem pensio-
nierten Schaaner Oberlehrer Hugo Gassner, dem
wohl einzigen damals noch lebenden Gründungs-
mitglied der «Arbeitsgemeinschaft der Volkshoch-
schule», über dieses Bildungswerk unterhalten.
Nach seinen Aussagen war Pfarrer Tschuor der Ini-
tiant und der treibende Geist der Volkshochschule
Schaan mit einem Kopf voller Ideen und vielen Be-
ziehungen zu Kreisen von Akademikern und Wis-
senschaftlern.
Die Organisation der Volkshochschule verursach-
te den nebenberuflich und ehrenamtlich tätigen
Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft beträchtliche
Arbeit - von der Administration bis zur Bestuhlung
der Hörsäle und zum Empfang des Publikums. Ab
zirka 1960 kam Entlastung durch die Pfarrsekretä-
rin Silvia Walser. Wie bereits erwähnt, erschienen
kurz nach den Vorträgen meistens mehr oder weni-
ger umfangreiche Zeitungsberichte, von denen vie-
le, je nach Thema, von Johannes Tschuor, von Al-
fons Kranz oder vom Gesprächspartner Hugo Gass-
ner verfasst wurden.
WINTERSEMESTER 1948/49 (I)
Vo, 2. Dezember 1948
Mittwoch, 8. Dezember 1948, Linde21 (20 Uhr)
Prof. Dr. Lorenz Fischer (Luzern): Atomphysik und
Weltanschauung.
Vo, 8. Dezember 194822
Sonntag, 9. Januar 1949, Linde (20 Uhr)
Amalie Bobinger (Schaan): Über das Volkslied. Am
Klavier begleitet von Prof. Schossland.
Va, 8. Januar 1949/Vo, 8. Januar 1949
Sonntag, 6. Februar 1949, Linde (14.30 Uhr)
Ernst Jucker (Rüti-Tann): Erlebtes Russland.
VHS 10/Vo, 8. Januar 1949/Va, 5, Februar 1949
Sonntag, 6. März 1949, Linde (20 Uhr)
Prof. Dr. Friedrich Dessauer (Fribourg): Ein Natur-
forscher bekennt.
VHS 10/Vo, 5. März 1949/Va, 5. März 1949
Sonntag, 13. März 1949, Linde (14.30 Uhr)
Bischof Dr. Christianus Caminada (Chur): Der
Feuerkult in Rhätien.
VHS 10/Vo, 5. März 1949
Palmsonntag, 10. April 1949, Linde (20.15 Uhr)
Hofkaplan Ludwig Schnüriger (Schaan): Technik
des Kunstschaffens.
VHS 10/Vo, 17, März 1949/Va, 9. April 1949
180
VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN 1948 BIS 1967
GEORG SCHIERSCHER
WINTERSEMESTER 1949/50 (II)
Vo, 13. Dezember 1949
Sonntag, 23. Oktober 1949, Gasthaus Rössle
(20.15 Uhr)
Ernst Jucker (Rüti-Tann): Die Kommunisten und
wir. Ihre Angriffe - unsere Abwehr.
Vo, 22. Oktober 1949
Sonntag, 11. Dezember 1949, Linde (20.15 Uhr)
Dr. Peter Stucker (Direktor der Sternwarte Zürich):
Wir und der Sternenhimmel.
Vo, 8. Dezember 1949/IC, 10. Dezember 1949
Sonntag, 15. Januar 1950, Linde (20.15 Uhr)
Nationalrat Dr. Karl Wiek (Redaktor des «Vater-
land», Luzern): Politik und Religion.
Vo, 12. Dezember 1949/IC, 7. Januar 1950,
Sonntag, 5. Februar 1950, Linde (20.15 Uhr)
Prof. Dr. Pater Sigisbert Frick (Kantonsschule
Sarnen): Heinrich Federer - Leben und Werk.
IC, 4. Februar 1950/Vo, 4. Februar 1950
Sonntag, 26. Februar 1950, Linde (20.15 Uhr)
Prof. Dr. Gebhard Frei (Priesterseminar Schöneck):
Aberglaube und moderne Forschung.
IC, 18. Februar 1950/Vo, 23. Februar 1950
Sonntag, 26. März 1950, Linde (20.15 Uhr)
Dr. Jakob David (Redaktor, Zürich): Die christliche
Soziallehre in der Entscheidung.
Vo, 13. Dezember 1949/IC, 18. März 1950,
KURSE
Ab Montag, 7. November 1949, Linde (20 Uhr)
Dr. Friedrich Kurka (Bregenz): Besser werben -
besser verkaufen.
(Weitere zwei Abende am 15. November und am
21. November 1949)
VHS 10/Vo, 5. November 1949
Ab 8. November 1949 (zwölf Abende im Lagerraum
F. Thöny)
Vinzenz Oehler (Feldkirch): Wir basteln eine
Weihnacht skripp e.
VHS 10/Vo, 5. November 1949
Ab Sonntag, 29. Januar 1950, Linde
Hanny Zahner (Zürich) und Sr. Elmiger (Luzern):
Heimgestaltung und Familienkultur.
(vierteiliger Kurs, besonders für junge Ehe- und
Brautleute zugeschnitten)
- Sonntag, 29. Januar 1950: Wie gestalten wir
unser Heim?
- Sonntag, 12. Februar 1950: Freizeitgestaltung in
der Familie.
- Sonntag, 12. März 1950: Die Pflege der Kultur
und Gemeinschaft in der Familie.
- Sonntag, 19. März 1950: Feste und Feiern in der
Familie.
Vo, 13. Dezember 1949/IC, 21. Januar 1950
20) Vom Verfasser zusammengestellt nach Angaben in: «In Christo»
(Kürzel IC); «Vaterland» (Kürzel Va); «Volksblatt» (Kürzel Vo);
Bericht 10 Jahre Volkshochschule (Kürzel VHS 10); Sendung im
Abendland, Vortragsreihe von 1955/56 (Kürzel SiA), Programmheft
zum zwölften Semester 1959/60 (Kürzel P 12).
Gewisse Angaben im «In Christo», im «Vaterland» oder «Volksblatt»
sowie im Bericht 10 Jahre Volkshochschule sind nicht immer
deckungsgleich.
21) Mit Linde ist das entsprechende Hotel-Restaurant am Linden-
platz in Schaan gemeint.
22) «Mitteilung: Der erste Vortrag <Atomphysik und Weltanschau-
ung> von Herrn Professor Dr. Fischer findet wie im Programm
angekündigt Mittwoch, 8. Dezember, im Saale zur <Linde> in Schaan
statt. Beginn: 8 Uhr abends».
Die Vorträge sind so gehalten, dass jedermann sie verstehen und
jedermann davon einen geistigen Gewinn haben wird.» In: «Der
erste Volkshochschulabend», «Volksblatt», 11. Dezember 1948.
181
WINTERSEMESTER 1950/51 (III)
Va, 15. November 1950
Sonntag, 26. November 1950, Linde
Oberstdivisionär Dr. E. Schumacher: Krieg im
Gesamtbild des europäischen Denkens.
Vo, 21. November 1950/1C, 25. November 1950
Sonntag, 10. Dezember 1950, Linde
Bischof Dr. Paul Rusch (Innsbruck): Grundfragen
des Christentums heute.
Vo, 21. November 1950
Sonntag, 14. Januar 1951, Linde
Dr. Theodor Veither (Rechtsanwalt, Feldkirch): Das
ewige Rom.
Vo, 21. November 1950
Sonntag, 11. Februar 1951, Linde
Dr. med. Dr. phil. Bernhard Detmar (Wörishofen/D):
Kranke Körper durch kranke Seelen.
Vo, 21. November 1950
Sonntag, 4. März 1951, Linde
Hochwürden (Hw.) Dr. theol. Xavier de Hornstein
(Freiburg): Eheharmonie - Ehetragik.
Vo, 21. November 1950
Palmsonntag, 18. März 1951, Linde
Johannes Tschuor: Der Osterjubel der Ostkirche
(Einführung in die östliche Frömmigkeit).
Vo, 21. November 1950/IC, 17. März 1951
KURSE
Bibelkurs (während der Fastenzeit): Das Wesen des
Christen gemäss den paulinischen Briefen.
Kursleiter: Pfarrer Johannes Tschuor (Schaan).
Va, 15. November 1950
Kurs über Hauswirtschaftslehre
Kursleiterin: Fachlehrerin Emma Hentschel
(Feldkirch).
B eginn im J anuar 1951.
Va, 15. Januar 1951.
Eintrag im Gästebuch
von Bischof Paul Rusch,
10. Dezember 1950.
&
182
VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN 1948 BIS 1967
GEORG SCHIERSCHER
WINTERSEMESTER 1951/52 (IV)
Sonntag, 16. Dezember 1951, Linde (20.15 Uhr)
Dr. Ruoff (Zürich): Familienforschung, was sie will
und was sie kann.
IC, 8. Dezember 1951 /Vo, 15. Dezember 1949 und
18. Dezember 1951
Sonntag, 13. Januar 1952, Linde (20.15 Uhr)
Dr. Alfons Rosenberg (Schriftsteller, Zürich):
Astrologie. Was ist vom Horoskop zu halten?
Vo, 12. Januar 1952
Sonntag, 27. Januar 1952, Linde (20.15 Uhr)
Prof. Dr. Roth (Lehrerseminar Rorschach): Mutter
und Kind.
Vo, 26. Januar 1952 und 31. Januar 1952
Sonntag, 17. Februar 1952, Linde (15 Uhr)
Hw. Dr. Otto Karrer (Schriftsteller, Luzern):
Das Leid als Weltgesetz und das persönliche Leid
als Charakterschulung.23
Vo, 16. Februar 1952 und 21. Februar 1952
Sonntag, 2. März 1952, Linde (20.15 Uhr)
Hw. Dr. Josef Rudin (Redaktor der «Orientierung»,
Zürich); Ehetragik - Eheharmonie.
Vo, 1. März 1952 und 4. März 1952
Sonntag, 6. April 1952, Linde (20.15 Uhr)
Edzard Schaper (Schriftsteller, Naters):
Russland auf dem Weg nach Westen: der Untergang
der baltischen Staaten.
Vo, 5. April 1952
KUNSTFAHRT
Dienstag, 25. März 1952
Kunstfahrt zu bündnerischen Kunststätten.
Leitung: Hofkaplan Ludwig Schnüriger (Schaan).
Vo, 15. März 1952
WINTERSEMESTER 1952/53 (V)24
Sonntag, 30. November 1952, Linde (20.15 Uhr)
Dr. phil. Dr. theol. Emil Spiess (Bäretswil): Das
Menschenbild in der Verworrenheit.
Vo, 29. November 1952 und 6. Dezember 1952
Sonntag, 14. Dezember 1952, Linde (20.15 Uhr)
Dr. theol. Dr. phil. Georg Siegmund (Priestersemi-
nar Fulda):
Die Gefährdung des Menschen durch die moderne
Weltanschauung.
Vo, 13. Dezember 1952 und 16. Dezember 1952
Sonntag, 11. Januar 1953, Linde (20.15 Uhr)
Dr. Nikolaus Hovorka (Schriftsteller, Wien): Das
Menschenbild des Kommunismus.
Vo, 10. Januar 1953
Montag, 2. Februar 1953, Linde (20.15 Uhr)
Prof. Dr. Josef Pieper (Universität Münster): Die
Bedrohung des Menschen durch die Arbeitswelt.
Vo,31. Januar und 5. Februar 1953
Sonntag, 22. Februar 1953, Linde (20.15 Uhr)
Dr. Karl Rahner (Innsbruck)25: Freiheit und Würde
des Menschen.
Vo, 21. Februar und 26. Februar 1953
Sonntag, 8. März 1953, Linde (20.15 Uhr)
Bert Herzog (Schriftsteller, Arcegno-Losone): Der
Mensch der Zukunft.
Vo, 7. März 1953 und 12. März 1953
Donnerstag, 19. März 1953
Dr. Piesold (Frankfurt a. M.); Andorra.26
23) Der Titel kommt in der Presse in drei verschiedenen Versionen
vor.
24) Dieses Semester ist dem Thema <Menschenbild> gewidmet. In:
«Von der Volkshochschule Schaan». «Volksblatt», 16. Oktober 1952.
Am Schluss des Semesters wird festgestellt: «Die Konzentration auf
ein einziges Thema <Das Menschenbikh hat sich in schönster Weise
gelohnt.» In: «Werner Bergengruen in Schaan». «Vaterland», 1. April
1953.
25) An Stelle seines verhinderten Bruders Dr. Hugo Rahner.
26) Dieser Vortrag konnte wegen Erkrankung des Referenten nicht
stattfinden. «Volksblatt», 19. März 1953.
183
Sonntag, 29. März 1953
Werner Bergengruen: Lesung aus seinen Texten
(Prosa und Gedichte).
Va, 23. März 1953 und 1. April 1953
KUNSTFAHRT
Ostermontag, 6. April 1953
Kunstreise zum Kloster Reichenau. Führung:
Hofkaplan Ludwig Schnüriger, Schaan.
Va, 22. November 1952
WINTERSEMESTER 1953/54 (VI)
Vo, 27. Oktober 1953
Sonntag, 29. November 1953, Linde (20.15 Uhr)
Oberst a.D. Julius Schlegel (Wien): Die Rettung der
Kunstschätze von Monte Cassino.
Va, 28. November 1953
Sonntag, 10. Januar 1954, Linde (20.15 Uhr)
Prof. Dr. Sigisbert Büeler (St. Gallen): Streifzüge in
Kaschmir.
Va und Vo, 9. Januar 1954
Dienstag, 2. Februar 1954, Linde (20.15 Uhr)
Peter Dürrenmatt (Chefredaktor «Basler Nachrich-
ten»): Der Kleinstaat und das Problem der Macht.
Va, 30. Januar 1954
fyit, (. <l/^x34
Eintrag im Gästebuch
von Werner Bergengruen,
29. März 1953.
Sonntag, 7. März 1954, Linde (20.15 Uhr)
Dir. G. Strassenberger (Feldkirch): Eine Kernfrage
der Pädagogik: Die Zusammenarbeit der Erzieher.
Vo, 6. März 1954
Freitag, 19. März 1954, Linde (20.15 Uhr)
Dr. Karl Stark (Redaktor, Zürich): Neue Strömungen
im Sozialismus und Kommunismus.
Vo, 18. März und 23. März 1954
Donnerstag, 25. März 1954, Linde (20.15 Uhr)
Prof. Nikolaus Sementowsky-Kurilo (Mailand):
Europa zwischen Ost und West.
La, 24. März und 27. März 1954
Sonntag, 4. April 1954, Linde (20.15 Uhr)
Prof. Dr. J. A. Dörig (HSG St. Gallen); Lateinamerika,
Kontinent der Kontraste.
Va und Vo, 3. April 1954
Sonntag, 11. April 1954, Linde (20.15 Uhr)
Pfarrer Johannes Tschuor: Die Kultsprache der
Messe, Latein oder Deutsch?
Vo, 10. April 1954
184
VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN 1948 BIS 1967
GEORG SCHIERSCHER
KURS / VORTRAGSREIHE
Sonntag, 6. Dezember 1953, Linde (20.15 Uhr)
Dr. Hermann Mätzler (Bern): Wie sollen wir Musik
hören? (vier Vorträge).
Vo, 5. Dezember und 9. Dezember 1953
Ab Sonntag, 24. Januar 1954, Linde (20.15 Uhr)
Dr. Paul Ferdinand Portmann (Zürich): Vom Sinn
und Unsinn des Films.
Fortsetzung: Mittwoch, 27. Januar 1954, Donners-
tag, 28. Januar 1954 und Sonntag, 31. Januar 1954
Vo, 23. Januar 1954
WINTERSEMESTER 1954/55 (VII)
Va, 16. Oktober 1954
Sonntag, 17. Oktober 1954, Rathaussaal27
Pater Chrysostomus Dahm (OSB, Maria Laach/D):
Kreuze, Kronen und Juwelen.
Va und Vo, 16. Oktober 1954
Sonntag, 24. Oktober 1954, Linde (20.15 Uhr)
Univ.-Prof. Dr. Guido Fischer (München): Moderne
soziale Betriebsgestaltung.
Vo, 23. Oktober und 28. Oktober 1954
Sonntag, 28. November 1954, Linde (20.15 Uhr)
Eleonore Schjelderup (München): Goethe: Faust
I. Teil. (Rezitation)
Vo, 27. November 1954
Sonntag, 5. Dezember 1954, Linde (20.15 Uhr)
Prof. Dr. Karl Eller (München): Der heilige Berg
Athos.
IC, 4. Dezember 1954 / Vo, 4. Dezember 1954
Sonntag, 12. Dezember 1954, Linde (20.15 Uhr)
Univ.-Prof. Dr. Alfred Schmid (Fribourg): Leonardo
da Vincis Weltanschauung.
IC, 4. Dezember 1954/Vo, 11. Dezember 1954
27) Damit ist, wenn nichts Weiteres vermerkt, der Rathaussaal
Schaan gemeint.
Eintrag im Gästebuch
von Pfarrer Johannes
Tschuor, 11. April 1954.
185
Mittwoch, 12. Januar 1955, Schulhaus28
Im Anschluss an den Goethe-Abend ist Pfarrer
Felix Troll von Sevelen bereit, «zusammen mit
Interessierten Goethe zu lesen und zu interpretie-
ren. Die erste Lesung mit Kommentar ... findet bei
genügender Beteiligung» am oben angegebenen
Datum und Ort statt.
Vo, 11. Januar 1955
Mittwoch, 2. Februar 1955, Linde (20.15 Uhr)
Dr. Fasching (Batschuns): Ein Priester erlebt die
Fabrik.
IC,29. Januar 1955/Vo, 1. Februar 1955 und Va,
2. Februar 1955
Sonntag, 6. März 1955, Linde (20.15 Uhr)
Dr. phil. Georg Malin (Zürich/Mauren):
Liechtensteins Weg und Sendung.
Va und Vo, 5. März 1955
Freitag, 25. März 1955, Linde (20.15 Uhr)
Hauptmann Ernst Maurer (Sek.-Lehrer, Zürich);
Korea. Erlebnisse eines Mitgliedes der Schweizeri-
schen Überwachungs-Kommission.
Vo, 24. März und 29. März 1955
KURS / VORTRAGSREIHE
Mittwoch, 17.; Freitag, 19.; Mittwoch, 24.; Freitag,
26. November; Mittwoch, 1.; Freitag, 3. Dezember
1954
Dr. phil. Dr. theol. Emil Spiess: Einführung in das
philosophische Denken (sechs Vorträge).
Va, 16. Oktober und 8. Dezember 1954
WINTERSEMESTER 1955/56 (VIII)
Vo, 22. und 29. Oktober 1955: «Das grosse Thema:
LIECHTENSTEIN»
Die nachfolgend aufgeführten sieben Vorträge von
Referenten aus Liechtenstein, aus seinen Nachbar-
staaten Österreich und Schweiz sowie aus Deutsch-
land und Frankreich, sind im maschinengeschrie-
benen Manuskript «Sendung im Abendland» (siehe
Abbildung auf Seite 187) nachzulesen. Pfarrer Jo-
hannes Tschuor schreibt dort zum Geleit:
«1956 feierte das Fürstentum Liechtenstein die
150-Jahrfeier seiner nationalen Souveränität. Um
diese Feier geistig zu bereiten, lud die Volkshoch-
schule Schaan repräsentative Referenten verschie-
dener Länder ein, über die Aufgaben ihres Heimat-
landes in einem christlichen Abendland zu reden.
Darüber hinaus sollte den Bürgern und Bürgerin-
nen des jubilierenden Landes auch für die Zeit nach
dem Zentenarium etwas gegeben werden: die Über-
zeugung, dass auch ein kleines Land in der Völker-
gemeinschaft eine Aufgabe hat....».
Sonntag, 30. Oktober 1955, Linde (20.15 Uhr)
Univ.-Prof. Dr. Friedrich Heer (Wien):
Das Abendland und das Kleine.
SiA, S. 3-22/Vo, 29. Oktober und 5. November
1955
Sonntag, 22. Januar 1956, Rathaussaal (14.15 Uhr)
Bundesrat Dr. Philipp Etter (Bern): Die schweizeri-
sche europäische Aufgabe.
SiA, S. 23-33/ Vo, 19. Januar und 24. Januar 1956
Sonntag, 19. Februar 1956, Rathaussaal
(14.15 Uhr)
Unterrichtsminister Dr. Heinrich Drimmel (Wien):
Die Rolle Österreichs in Europa.
SiA. S. 34-38/Vo. 18. Februar 1956
28) Damit ist, wenn nichts Weiteres vermerkt, das Schulhaus Schaan
gemeint.
186
VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN 1948 BIS 1967
GEORG SCHIERSCHER
Vortragsreihe gehalten
an her
Volkshochschule Schaan
1 9 5 5 - 5 6
Herausgeber;
VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN
Fürstentum Liechtenstein
Maschinengeschriebenes
Manuskript mit den Vor-
trägen von Friedrich Heer,
Bundesrat Philipp Etter,
Unterrichtsminister Hein-
rich Drimmel, Gustav Wil-
helm, Franz Meyers,
Weihbischof Jean Rupp
und Regierungschef Alex-
ander Frick, gehalten im
Wintersemester 1955/56.
187
Sonntag, 11. März 1956, Linde (20.15 Uhr)
Fürst). Kabinettsdirektor Dr. Gustav Wilhelm
(Vaduz): Geschichte des hochfürstlichen Hauses
Liechtenstein.
SiA. S. 39-63/Vo, 10. März und 4. April 1956
Montag, 2. April 1956, Rathaussaal (14.15 Uhr)
Minister a.D. Dr. jur. Franz Meyers29: Deutschlands
Sendung im Abendland.
SiA, S. 64-78/Vo. 31. März und 4. April 1956
7?. 7> T9/-£. d.-* ./
Freitag, 6. April 1956, Linde
Weihbischof Jean Rupp (Paris)30: Frankreichs
Aufgabe in Europa.
SiA, S. 79-85/ Vo, 4. April und 10. April 1956
Sonntag, 8. April 1956, Rathaussaal (20.15 Uhr)
Regierungschef Alexander Frick (Schaan): Die
Sendung Liechtensteins.
SiA, S. 86-106/Vo, 7. April 1956
X)va i/ViZ/CCU AcC(/> vPlG ULa.
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Gästebuch-Einträge von
Philipp Etter, Heinrich
Drimmel und Gustav
Wilhelm, Winter 1956.
KURS / VORTRAGSREIHE
Ab 9. November 1955, Schulhaus
Pater Dr. Othmar Schweizer (Rektor, Balzers):
Unser Erkennen.
- 9. November: Das Wunder des Erkennens.
- 11. November: Die grossen geistigen Strömun-
gen des Jahrhunderts.
- 16. November: Wie ein Begriff entsteht.
- 18. November: Der Reichtum unserer Begriffs-
welt.
- 23. November: Was ist Intuition?
- 25. November: Das Ringen um die Erkenntnis in
den Erfahrungswissenschaften.
- 30. November: Der Aufstieg zu den Wahrheiten,
die unsere Erfahrungswelt übersteigen.
- 2. Dezember: Was ist Wahrheit und was ist
Irrtum?
IC, 5. November 1955/ Vo, 29. Oktober und
7. Dezember 1955
188
VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN 1948 BIS 1967
GEORG SCHIERSCHER
WINTERSEMESTER 1956/57 (IX)
Vo, 31. Oktober und 8. November 1956/
Va, 10. November 1956
Samstag, 8. Dezember 1956, Rathaussaal
(20.15 Uhr)
Dr. Ernst K. Winter (ehern. Vizebürgermeister von
Wien, nun Universität New York): Probleme der
Atomzivilisation.
Va, 5. Dezember 1956/Vo, 6. Dezember 1956
Sonntag, 16. Dezember 1956, Linde (20.15 Uhr)
Dr. Carl Doka (Redaktor, Zürich): Alte Welt und
neue Völker.
Vo, 15. Dezember 1956
Sonntag, 20. Januar 1957, Linde (20.15 Uhr)
Prof. Dr. Lorenz Fischer (Rektor Kantonsschule
Luzern): Aktuelle Probleme der heutigen Physik,
Biophysik und Astronomie.
Vo, 19. Januar 1957
Sonntag, 3. Februar 1957, Rathaussaal (20.30 Uhr)
Prof. Dr. theol. Herbert Haag (Luzern): Die Funde
am Toten Meer.
Vo, 2. Februar 1957
Sonntag, 10. März 1957, Linde (20.30 Uhr)
Dr. Franz Walper (Ungarn u. Salem/D): Mindszen-
thy und wir. Der Aufstand in Ungarn.
Vo, 9. März und 14. März 1957
Dienstag, 19. März 1957, Linde (20.15 Uhr)
Dr. theol. Johannes Pinsk (Freie Universität Berlin):
Gottes Wort über die Zukunft der Christenheit.
Vo, 16. März und 23. März 1957
Sonntag, 31. März 1957, Linde (20.30 Uhr)
Univ.-Prof. Dr. med. A. Böni (Zürich): Neue Wege
der Therapie.
Vo, 30. März und 4. April 1957
Sonntag, 14. Aprill957, Linde (20.30 Uhr)
Prof. Dr. Max Pietsch (Technische Universität Graz):
Was bedeutet Automation?
Vo, 13. April 1957
KURS / VORTRAGSREIHEN
Ab Samstag, 3. November 1956, Schulhaus
(19.45 Uhr)
Peter Ospelt (Schaan)/Fritz Müller jun. (Buchs): Wir
lernen richtig photographieren. Theorie und Praxis
der Photographie.
- Erster Abend: Wir lernen den Photoapparat
verstehen und gebrauchen (Apparatekunde und
Phototechnik).
- Zweiter Abend: Wir erkennen das Werden des
Lichtbildes (Negativkunde, Entwickeln, Kopie-
ren).
- Erster Nachmittag: Wir üben «Photoblick» für
die Landschaft und photographieren (Land-
schaftsphotographie) .
- Zweiter Nachmittag: Alles Lebendige fangen wir
ein (Portraitaufnahmen, Photographie der
beweglichen Objekte).
- Dritter Nachmittag: Mit wenig Licht (Das Photo-
graphieren im Innern und abends).
Vo, 31. Oktober und 8. November 1956
Ab Montag, 11. März 1957, Schulhaus (20.15 Uhr)
Dr. Josef Rudin (Redaktor, Zürich): Gesetze der
seelischen Gesundheit.
- Montag, 11. März: Die seelische Gesundheit und
ihre Störung in der Neurose.
- Montag, 18. März: Das Gesetz der Verarbeitung.
- Montag, 25. März: Das Gesetz der Entwicklung.
- Montag, 1. April: Das Gesetz der Echtheit.
- Montag, 8. April: Das Gesetz der Begegnung:
Projektion.
- Montag, 15. April: Das Gesetz der Ganzheit.
Vo, 8. November 1956/Va, 10. November 1956
29) Ersatzreferent aus Nordrhein-Westfalen für den verhinderten
Bundestagsabgeordneten Kurt Georg Kiesinger, Bonn. In: «Volks-
hochschule Schaan». «Vaterland», 28. März 1956; ebenso «Volks-
blatt», 22. Oktober 1955 und 3. Dezember 1955.
30) Ersatzreferent für den verhinderten Minister Robert Schumann,
Paris. «Volksblatt», 22. Oktober 1955 und 3. Dezember 1955.
189
Ab Mittwoch, 6. März 1957, Schulhaus (20.30 Uhr)
Dr. Hermann Mätzler (Bern): Musik.
- Mittwoch, 6. März 1957: Wesen und Wirkungen
der Musik.
- Donnerstag, 7. März 1957: Das Kunsterlebnis in
der Musik.
- Mittwoch/Donnerstag, 13. und 14. März 1957:
Entwicklung und Beschreibung der Zeitstile in
der Musik.
Vo, 8. November 1956/Va, 10. November 1956
Sonntag, 28. Juli 1957 (14.30 Uhr)
Besichtigung der Ausgrabungen bei der St. Peters-
kapelle in Schaan.
Führung und Erklärung durch Herrn Oberlehrer
David Beck, Vaduz.
IC, 10. Januar 1957
WINTERSEMESTER 1957/58
(X, Jubiläumssemester)
Vo, 17. Oktober 1957 und 12. April 1958
Sonntag, 27. Oktober 1957, Rathaussaal
(20.30 Uhr)
Pater Dr. Suso Braun (O. Cap., Radioprediger,
Innsbruck): Wenn Franziskus wieder käme.
Vo. 26. Oktober 1957
Montag, 9. Dezember 1957, Linde (20.15 Uhr)
Richard und Tony Wegeier-van Eyck (Bregenz):
Rezitation von geistlichen und weltlichen Texten.
Va und Vo, 7. Dezember 1957
Sonntag, 22. Dezember 1957,31 Linde (20.30 Uhr)
Prof. Dr. Linus Birchler (ETH Zürich): Ravenna.
Vo, 23. November, 12. und 21. Dezember 1957
Januar 1958
Gerhart Stiebler (Musikwissenschaftler): Johann
Sebastian Bach in neuer Sicht.32
VHS 10
Sonntag, 19. Januar 1958, Linde (20.30 Uhr)
Dr. med. Heinz Wolterek (Arzt und Schriftsteller,
Seeon/D):
Erkenntnisse der heutigen medizinischen Wissen-
schaft über das Alter.
Vo, 18. Januar und 21. Januar 1958
Eintrag im Gästebuch
von Linus Birchler,
22. Dezember 1957.
190
VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN 1948 BIS 1967
GEORG SCHIERSCHER
Sonntag, 2. Februar 1958, Linde (20.30 Uhr)
Isma Visco (François Guttat, Lausanne): Entzaube-
rung des Zaubers.
Vo, 1. Februar 1958
Sonntag, 23. Februar 1958, Rathaussaal
(20.30 Uhr)
Dir. Dr. Margarethe Ottilinger (Wien): Die Familien-
politik in der Sowjetunion.
Vo, 22. Februar und 27. Februar 1958
Sonntag, 2. März 1958, Linde (20.30 Uhr)
Dr. med. Joachim Bodamer (Winnenden/D): Die
Männlichkeit und das Vaterproblem.
Vo, 1. März und 6. März 1958
Sonntag, 9. März 1958, Linde (20.30 Uhr)
Prof. Dr. Josef Kälin (Fribourg): Das Problem der
menschlichen Stammesgeschichte.
Vo, 8. März 1958
KURS / VORTRAGSREIHEN
Ab Mittwoch, 4. Dezember 1957, Schulhaus (je
20.15 Uhr)
Pater Othmar Schweizer: Die Moral im Lichte der
Vernunft.
- Mittwoch, 4. Dezember: Freiheit und
Verantwortung.
- Donnerstag, 5. Dezember: Gesetz und
Sittlichkeit.
- Mittwoch, 11. Dezember: Woher stammt das
moralische Gesetz in uns?
- Donnerstag, 12. Dezember: Das Gewissen.
- Mittwoch, 18. Dezember: Person und
Persönlichkeit.
- Donnerstag, 19. Dezember: Der Sinn des Lebens.
Va und Vo, 23. November 1957
Ab Montag, 10. März 1958, Schulhaus
(je 20.15 Uhr)
Dr. med. Maria Bührer (Burgdorf): Die Frau.
- Montag, 10. März: Die anvertrauten Denare.
- Dienstag, 11. März: Mann und Frau.
- Montag, 17. März: Ehe und Jungfräulichkeit.
- Dienstag, 18. März: Die Mutter in der Welt und in
der Erlösung.
Vo, 8. März 1958
Ab Montag, 13. Januar 1958, Schulhaus
(je 20.15 Uhr)
Dir. Wulf Alge (Bezau): Erziehung.
- Montag, 13. Januar: Wesentliches aus der
Erziehungskunde.
- Donnerstag, 16. Januar: Elternhaus, Kirche und
Schule.
- Montag, 20. Januar: Reifendes Leben.
- Donnerstag, 23. Januar: Behandlung der
Lebensfrage in der Familie.
Vo, 18. Januar 1958/Va, 11. Januar 1958
31) Statt am geplanten Datum vom 24. November 1957. «Vater-
land», 21. Dezember 1957.
32) Dazu hat der Verfasser weder im «Vaterland» noch im «Volks-
blatt» etwas gefunden.
191
EHESEMINAR I33
Eschen: 10., 11., 13., 17., 19. November 1957;
Vaduz: 9., 10., 12., 16., 18. November 1957
- Dr. Hans Wirtz (Schriftsteller, Freiburg/D):
Verliebt, verlobt, verheiratet.
- Dr. Hans Wirtz: Die gute Ehe - ihre Krisen und
deren Überwindung.
- Dr. Max Rössler (Redaktor, Würzburg): Worauf es
ankommt.
- Dr. Heinrich Meng (Wettingen): Das Kind in der
Ehe.
- Bischof Bruno Wechner (Feldkirch): Geweihte
Gemeinschaft.
VHS 10 /Va, 6. November und 9. November 1957
10 JAHRE VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN
Zum Abschluss des Jubiläumssemesters der Volks-
hochschule Schaan wurde «Ein kurzer Bericht über
die ersten zehn Jahre ihres Bestehens» verfasst und
zusammen mit einem Begleitschreiben von Ostern
1958 als «bescheidene Ostergabe», als «kleines Zei-
chen der Dankbarkeit» ihren treuen «Studentinnen
und Studenten» überreicht. Der Bericht enthält un-
ter anderem ein Verzeichnis der Dozenten und
Kursleiter - 87 an der Zahl -, ein Verzeichnis der
Themata nach Sachgebieten - im ganzen 166 Ver-
anstaltungen - sowie Angaben über die finanziellen
Aufwendungen.34
Im Nachwort des Berichtes dankt der Leiter Jo-
hannes Tschuor «allen Volkshochschultreuen» und
allen Mitgliedern der «Arbeitsgemeinschaft für die
Volkshochschule Schaan» für Treue und Arbeit. Sein
Dank gilt ebenfalls dem Institut St. Elisabeth, das
seit einigen Jahren Logis und Verpflegung für die
auswärtigen Referenten unentgeltlich bot. Er endet
mit dem Wunsch: «Möge die Volkshochschule
Schaan auch im nächsten Jahrzehnt ihres jungen
Lebens weiter blühen und gedeihen zum geistigen
Wohl der Gemeinde und des Landes und vor allem
zur Verherrlichung Gottes, als dem Urgrund, der die
ewige Wahrheit ist und zu dem alles echte Wissen
zurückführt.»
WINTERSEMESTER 1958/59 (XI)
Vo, 31. Oktober 1958
Montag, 8. September 1958
Kunstfahrt zu interessanten Stätten moderner und
alter Kunst.35
Führung durch Pfarrer Schnüriger, ehemaliger
Hofkaplan in Schaan.
Va, 3. September 1958
Sonntag, 30. November 1958, Linde (20.30 Uhr)
Dr. phil. Dr. theol. Emil Spiess: Thomas von Aquin
heute.36
Va, 31. Oktober 1958/Vo, 29. November 1958
Sonntag, 11. Januar 1959, Linde (20.30 Uhr)
Dr. Theodor Veither (Redaktor, Feldkirch): Die
Färöer, Inseln des Friedens.
IC und Vo, 10. Januar 1959
Montag, 2. Februar 1959, Rathaussaal (20.30 Uhr)
Hw. Dr. Otto Karrer: Trennendes und Einigendes
unter den christlichen Konfessionen.
IC, 24. Januar 1959/Vo, 31. Januar und 7. Februar
1959
Sonntag, 22. Februar 1959, Linde (20.30 Uhr)
Dr. Ing. Heinz Zemanek (Wien): Alte und neue
Automaten.
Va, 21. Februar 1959
Sonntag, 1. März 1959, Linde (20.30 Uhr)
Dr. Hugo Rahner (Innsbruck): Der Christ als spie-
lender Mensch.
Va und Vo, 28. Februar 1959
Sonntag, 8. März 1959, Linde (20.30 Uhr)
Univ.-Prof. Dr. Herbert Moser (Graz): Wo steht die
Krebsforschung heute?
Vo, 7. März 1959
Sonntag, 15. März 1959, Linde (20.30 Uhr)
Prof. Adalbert Nauber, Violine; Fine Krakamp,
Cembalo; Georg Donderer, Violoncello.
«Freiburger Kammertrio für alte Musik»37 (13. bis
18. Jahrhundert).
Va und Vo, 14. März 1959
192
VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN 1948 BIS 1967
GEORG SCHIERSCHER
Donnerstag, 19. März 1959, Linde (20.30 Uhr)
Dr. h.c. Carl Julius Abegg (ETH Zürich): Die heilige
Theresia von Lisieux.
Vo, 14., 17. und 24. März 1959/Va, 18. März 1959
VATERLÄNDISCHES SEMINAR38
Rathaussaal Vaduz: 8., 10., 12., 17. November 1958
Gemeindesaal Mauren: 9., 12., 13., 18. November
1958
- Pfarrer Johannes Tschuor: Das Geheimnis des
Vaterlandes.
- Dr. Alois Vogt: Was das Vaterland uns gibt.39
- Dr. Gregor Sieger: Was wir dem Vaterland
schulden.
- Dr. Armin Wechner40: Das Eigene des Liechten-
steinischen Vaterlandes.
Va und Vo, 31. Oktober 1958/Vo, 8. November und
15. November 1958
33) Es haben «mehr als 900 Personen daran teilgenommen».
«Vaterland», 7. Dezember 1957. Man mag heute darüber schmun-
zeln, dass die Volkshochschule Schaan die Regierung zur Eröffnung
des Eheseminars eingeladen hat. Einer Randnotiz auf dem Einla-
dungsschreiben nach zu schliessen, war der damalige Regierungs-
chef Alexander Frick der Einladung gefolgt. (Liechtensteinisches
Landesarchiv, RE 297/82, Brief vom 6. November 1957).
34) Näheres dazu im Quellen- und Literaturverzeichnis. (Den Bericht
samt Begleitschreiben von Ostern 1958 hat der Verfasser in Kopie
aus dem Nachlass von Pfarrer Tschuor verdankenswerterweise von
Franz Näscher, Gamprin, erhalten.)
35) Neue Kirche in Oberwil (Zug), neue Kapelle der Klinik St. Anna
in Luzern, neue Kirchen in Luzern und Zürich, alte Kirche auf der
Insel Ufenau.
36) Anstelle des erkrankten Dr. Stirnimann. «Volksblatt», 22. Novem-
ber 1958 und «Volksblatt», 4. Dezember 1958.
37) Im Unterschied dazu heisst es im Gästebuch «Das Duis-Quartett»
mit den folgenden Unterschriften: Adalbert Nauber, Christi Beck-
mann-Schmidt, Ernst Duis und Fine Krakamp-Duis.
38) «Das Seminar richtet sich an alle Bürgerinnen und Bürger
Liechtensteins wie überhaupt an alle Bürger irgend eines Staates.
Dass die Volkshochschule sich besonders freuen würde - und mit ihr
alle verantwortlichen Männer und Frauen im Land -, wenn die
Jugend ganz besonders daran teilnehmen würde, ist klar. Der
geringe Beitrag [Fr. 4.50 für alle vier Vorträge], der dafür gefordert
wird, erlaubt es sicher allen, daran teilzunehmen.» «Volksblatt»,
8. November 1958.
39) Der Vortrag in Mauren musste mangels Interesse abgesagt
werden.
40) Vizelandesgerichtspräsident, Feldkirch.
Eintrag im Gästebuch
von Heinz Zemanek,
22. Februar 1959.
0иМ2лл. v
SA tfÄ.
ССАлл.
Q2.-2. vW
193
KURS / VORTRAGSREIHE
Eine Bestätigung Ihrer Zusage würde mich sehr
freuen. Herr Walser wird Ihnen bereits auch
mitgeteilt haben, wie wir uns die Behandlung
des Themas denken: eingehen auf die Psyche
des Jungem ihm zeigen, dass er wohl manch-
mal ein Recht hat auf Rückweisung so genann-
ter anständiger Lektüre (sentimentaler oder
religiös platter Schreibereien), dass aber auch
seine bevorzugte rassige Literatur ihm schäd-
lich ist. Sie verstehen sicher wie wir es meinen
und andeuten durch die Formulierung des Ti-
tels: Was irgendwie gut ist, anerkennen, um
dann ihm das Bessere und Gültigere, das Auf-
bauender e zu zeigen*1
Ausschnitt aus einem
Schreiben von Pfarrer
Johannes Tschuor an Dr.
Raoul Henrik Strand in
Innsbruck, 2. März 1959.
Raoul Henrik Strand konn-
te als Referent gewonnen
werden für das «Seminar
der Jungen», das im März
1959 im Rathaussaal in
Schaan durchgeführt wur-
de. Dr. Strand referierte
am 21. März 1959 zum
Thema «Ich lese was ich
will». Werner Walser aus
Schaan hatte Dr. Strand
vorgängig zu diesem Semi-
nar eingeladen.
Ab Donnerstag, 20. November 1958, Schulhaus
(je 20.15 Uhr)
Lehrer Felix Hasler (Schaan): Esperanto (dreimo-
natiger Kurs).
- Donnerstag, 20. November (20.15), Einführungs-
und Aufklärungsvortrag über Esperanto.
Vo, 15. November und 20. November 1958, ebenso
24. März und 19. September 1959
Va, 28. November 1959
Ab Montag, 16. Februar 1959, Schulhaus
(je 20.15 Uhr)
Dr. Ebneter (Zürich): Moderne Sekten
- Montag, 16. Februar: Zeugen Jehovas.
- Montag, 23. Februar: Die Neuapostolischen.
- Montag, 2. März: Die Heilung durch den Geist.
- Montag, 9. März: Moderne Gesundbeter.
Vo, 21. Februar und 26. Februar 1959
SEMINAR DER JUNGEN
Ab Samstag, 14. März 1959, Rathaussaal
(20.15 Uhr)
- Samstag, 14. März: Dr. Plankensteiner (Inns-
bruck): Ich pfeife drauf.
- Samstag, 21. März: Dr. Raoul H. Strand (Inns-
bruck): Ich lese was ich will.
- Sonntag, 22. März: Dr. Alfons Reck
(Altstätten): Jazz ist mir die liebste Musik.
Vo, 14. März 1959
«Fahrt in den römischen Frühling», d. h. nach Rom;
Audienz beim Hl. Vater. (90 Anmeldungen)
18. bis 26. April 1959
IC, 30. Mai 1958/Va, 7. März 1959/Vo, 24. März
1959
194
VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN 1948 BIS 1967
GEORG SCHIERSCHER
WINTERSEMESTER 1959/60 (XII)
Vo, 19. September 1959
Im Programmheft zum zwölften Semester42 heisst es
einleitend: «Die Vorträge stehen zum Teil im Zei-
chen der Ökumene, d.h. der Sammlung der Chris-
tenheit. Auch die weltlichen Wissenszweige werden
nicht vernachlässigt: Vorträge aus dem Gebiet der
Menschheitsgeschichte, der Erdkunde, der Natur-
wissenschaften und über die immer wieder aktuel-
len Fragen, die das eheliche Leben stellt, werden
auch Sie interessieren. Den Freunden des Esperan-
to ist Gelegenheit gegeben, diese Sprache gründlich
zu erlernen.»
Sonntag, 20. September 1959, Rathaussaal
Pater Armando Zavatta (Fribourg): Ich war zehn
Jahre Gefangener in Sibirien.
P12/Vo, 19. September 1959
Samstag, 10. Oktober 1959, Pfarrkirche Schaan
Münchner Spielgemeinschaft. Leitung: Ernst
Jurina.
Calderons Mysterienspiel: Die Geheimnisse der
heiligen Messe.
P12/Vo, 19. September und 10. Oktober 1959
Sonntag, 18. Oktober 1959, Linde
Prof. Dr. Halm (Innsbruck): Athos, Herzmitte der
Orthodoxie.
P12/Vo, 19. September 1959
Ab 11. November 1959, Schulhaus (je 20.15 Uhr)
Dr. Dr. Emil Spiess: Die menschliche Entwicklungs-
geschichte und Urkultur.
Weitere drei Vorträge am 12., 18. und 19. Novem-
ber 1959
IC. 31. Oktober 1959
Sonntag, 6. Dezember 1959, Linde (20.30 Uhr)
Scheich Nasir Ahmad (Karachi, Zürich): Der Islam,
Freund oder Feind des Christentums?
Vo, 19. September 1959/IC, 28. November 1959
Sonntag, 13. Dezember 1959, Rathaussaal
(20.15 Uhr)
Studio Feldkirch (8 Mann Jazz-Ensemle) spielt
«Halleluja, Billy!»
Ein Musical mit Musik von Ernst Lange und Helmut
Barbe. Regie: Eugen Andergassen.
IC. 28. November 1959/Va, 12. Dezember 1959
Sonntag, 20. Dezember 1959, Rathaussaal
Dr. Otto von Habsburg (Pöcking am Starnsee): Vom
Heiligen in der Politik.
P12/Vo, 19. September 1959
Dienstag, 2. Februar 1960, Rathaussaal
Dr. Hans Hass (Vaduz): Wunder der Tiefsee.43
(Vortrag mit Farbfilm)
P12/Vo, 19. September 1959
41) Brenner-Archiv der Universität Innsbruck: Schreiben von
Johannes Tschuor an Raoul Henrik Strand, 2. März 1959; publiziert
mit freundlicher Genehmigung.
42) Näheres dazu im Quellen- und Literaturverzeichnis.
43) Der Vortrag musste verschoben werden; er fand später unter
einem anderen Organisator statt. «Volksblatt», 30. Januar 1960 und
10. März 1960.
Gästebuch-Eintrag des
Otto von Habsburg,
20. Dezember 1959.
¿fa - ü/e,/de
195
Sonntag, 6. März 1960, Rathaussaal
Gustav Pfirrmann (Reporter, München): Trans-
asiatische Reise zum Thron des Dalai Lama.
P 12/Vo, 19. September 1959 und 5. März 1960
Sonntag, 13. März 1960, Linde
Prior Roger Schütz (Taizé): Eine neue Form des
christlichen Gemeinschaftslebens unter evangeli-
schen Christen. (Der Vortrag wurde abgesagt,
stattdessem)
- Père Etienne Kangé (Camerun); Cameruns Weg
zur Freiheit.
P12/Vo, 19. September 1959/Vo, 12. März und
17. März 1960
Sonntag, 27. März 1960, Linde
Dr. Louis Krattinger (Zürich): Venedig, Königin der
Adria (Lichtbildervortrag).
P12/Vo, 19. September 1959
Sonntag, 10. April 1960, Linde (20.30 Uhr)
Franz Johannes Weinreich (Dichter): Ecce Homo
(Passionsabend).
Vo, 9. April und 12. April 1960
Sommer 1960
Reise nach Padua, Venedig, Ravenna.
Vo, 17. Oktober 1957 und 19. September 1959
Ab 19. März 1960, Rathaussaal (je 14.15/
20.15 Uhr)
EHESEMINAR II
Leitung: Dr. Hans Wirtz (Schriftsteller, Freiburg/D).
- 19. März: Antworten auf brennende Fragen des
ersten Eheseminars.
- 20. März: Was ist mit unserer Jugend los?
- 25. März: Die geschlechtliche Erziehung des
Kindes und des Jugendlichen.
«Die Vorträge sind bestimmt für die Erwachsenen
wie für die Jugendlichen vom 17. Lebensjahr an.»
Va, 19. März 1960
WINTERSEMESTER 1960/61 (XIII)
Vo, 11. Oktober und 15.Oktober 1960 (Dr. W.W.)
Sa, 15. Oktober 1960, Rathaussaal (20.15 Uhr)
Dr. med. J. Adolf Lehner (München); Wer passt zu
wem?
Vo, 15. Oktober und 18.Oktober 1960
So, 23. Oktober 1960, Linde (20.30 Uhr)
Frère Laurent (Communauté de Taizé): Neue
Formen des gemeinschaftlichen Lebens unter
evangelischen Christen.
Vo. 22. Oktober 1960
Sonntag, 6. November 1960, Linde (20.30 Uhr)
Dr. Josef Bommer: Warum denn noch beichten?
Vo, 5. November 1960
Sonntag, 20.November 1960, Rathaussaal
(20.30 Uhr)
Prof. Hermann Oberth (Raketen-Forscher): Am
Vorabend der Weltraumfahrt.
Vo, 19. November 1960
Sonntag, 27. November 1960, Linde (20.30 Uhr)
Univ.-Prof. Dr. Eugen Thurnher (Innsbruck): Schil-
ler im 20. Jahrhundert?
Mit musikalischer Umrahmung von Prof. Franz
Seidel, Hohenems.
Vo, 26. November 1960(Dr. W.W.)
Sonntag, 4. Dezember 1960, Rathaussaal
(20.30 Uhr)
Dr. Heinrich Meng (Seminarprofessor): Erziehungs-
probleme des Pubertätsalters.
Vo, 3. Dezember und 7. Dezember 1960
Samstag, 8. Dezember 1960, Rathaussaal
(20.30 Uhr)
Dr. Marcel Prawy (New York/Wien): Hundert Jahre
Broadway. Die Geschichte des amerikanischen
Musicals.
Vo, 7. Dezember 1960
196
VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN 1948 BIS 1967
GEORG SCHIERSCHER
Mi, 28. Dezember 1960, Rathaussaal (20.30 Uhr)
Oskar-Werner-Rezitationsabend. Der Künstler
spricht Goethe, Schiller, Weinheber.44
Va, 21. Dezember, 24. Dezember und
28. Dezember 1960
Sonntag, 19. Februar 1961, Rathaussaal
(20.30 Uhr)
OStR. Prof. E. Cölestin Schir (Universität Inns-
bruck): Leibeserziehung und sportliche Leistung.
Vo, 14. Februar und 25. Februar 1961
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Sonntag, 26. Februar 1961, Linde (20.30 Uhr)
Dr. Alfons Rosenberg (Schriftsteller): Die Zukunft
der Frau.
Vo, 25. Februar 1961
Sonntag, 12. März 1961, Rathaussaal (20.30 Uhr)
Prof. Dr. med. Adolf Faller (Fribourg): Über das
Werden des menschlichen Lebens von der Emp-
fängnis bis zur Geburt.
Vo, 11. Marz 1961
Sonntag, 26. März 1961, Linde (20.30 Uhr)
Univ.-Prof. Dr. Franz Josef Holzer (Gerichtsmedizi-
ner der Universität Innsbruck):
Alkohol, Feind am Steuer und am Arbeitsplatz.
Vo, 25. März und 28. März 1961
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KURS
Ab Montag, 27. Februar 1961, Schulhaus
(je 20.15 Uhr)
Dr. Alfons Rosenberg: Meditation als Weg zu Gott
und zur Selbstverwirklichung.
Weitere zwei Vorträge: Dienstag, 28. Februar und
Montag, 6. März 1961
Vo, 4. März 1961
44) «Erste Veranstaltung ausser Programm zugunsten der Volks-
hochschule Duala (Afrika).» «Vaterland», 21. Dezember 1960,
Inseratenteil. «Im Sinne Oskar Werners wird der Ertrag des Abends
einem guten Zweck zugeführt. Bekanntlich hat die Volkshochschule
Schaan das Patronat der Volkshochschule Duala in Kamerun (Afrika)
übernommen, so dass der Erlös dieser Institution zufliesst.» In:
«Oscar-Werner-Rezitationsabend». «Vaterland», 28. Dezember 1960.
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V
Gästebuch-Einträge von
Hermann Oberth, Marcel
Prawy und Dr. Adolf Faller,
1960/61
197
SEMINAR DER JUNGEN II
Vo, 18. Oktober 1960,18. März, 25. März und
8. April 1961
- Samstag, 5. März 1961, Linde (20.30 Uhr)
Hanny Zahner (Zürich); Warum soll ich denn
kein Hobby haben? (nur für Töchter)
- Samstag, 18. März 1961, Rathaussaal (20.30 Uhr)
Dr. med. J. Adolf Lehner (München):
Bist Du mein Typ? Bin ich Dein Typ?
- Sonntag, 19. März 1961, Rathaussaal (20.30 Uhr)
Prof. Dr. Böckle (Chur), Dr. Leo Fischer (Chur):
Warum heiraten Sie nicht, Herr Pfarrer?
(Diskussion eines Priesters und eines Laien «in
Form eines Zwiegesprächs auf der Bühne»)
- Samstag, 8. April 1961, Linde (20.30 Uhr)
Josef Bertsch (Tschagguns): Warum soll ich denn
kein Hobby haben? (für die Söhne)
Ausserhalb des Semesterprogramms:
Ab 10. Juli 1961, Rathaussaal (20 Uhr)
Die Christliche Bühne «Die Boten».45
- Montag, 10. Juli; Das Apostelspiel, von Max Mell
- Dienstag, 11. Juli: Der Fischbecker Wandtep-
pich, von Manfred Hausmann
- Mittwoch, 12. Juli: Gottes Utopia, von Stefan
Andres
- Donnerstag, 13. Juli; Die Zauberin von Buxtehu-
de, von Manfred Hausmann
- Freitag, 14. Juli; Korczak und die Kinder, von
Erwin Sylvanus.
Auftritte auf Einladung der Volkshochschule und
des Pfarramts Schaan.
Programmblatt46 sowie Vo, 8. Juli 1961
WINTERSEMESTER 1961/62 (XIV)
Sonntag, 22. Oktober 1961, Linde (20.30 Uhr)
Dr. Ing. Fritz Hahn (Heidelberg): Unser Wohlbefin-
den ist klimabedingt.
IC, 30. September 1961 /Vo, 21. Oktober und
26. Oktober 1961
Sonntag, 5. November 1961, Rathaussaal
(20.30 Uhr)
Ein Abend mit Leonardo. Hypnotiseur und
Zauberer.
Veranstaltung zugunsten der Innenausstattung der
St. Peterskirche in Schaan.
IC, 30. September 1961 /Vo, 3. November und
4. November 1961
Sonntag, 3. Dezember 1961, Linde (20.30 Uhr)
Oberlehrer David Beck (Vaduz): Das römische
Kastell und die St. Peterskirche Schaan.
IC, 30. September 1961 /Vo, 2. Dezember 1961
Sonntag, 28. Januar 1962, Linde
Frau Dr. Chow-Chung-chen (Bonn):
Tee und Blumen in China.
IC, 30. September 1961
(Wegen Krankheit der Referentin verschoben,
stattdessen:)
Sonntag, 28. Januar 1962, Linde (20.30 Uhr)
Dr. Bernhard Schulze-Holthus: Frühchristliche
Höhlenkirchen und Felsenklöster in Anatolien und
Thessalien.
IC,20. Januar 1962/Vo, 27. Januar 1962
Freitag, 2. Februar 1962, Linde (20.15 Uhr)
Dr. Paul Bruin (Zürich): Hier hat Gott gelebt.
Auf den Spuren Jesu im hl. Land.
IC,20. Januar 1962/Vo, 6. Februar 1962
Dienstag, 20. Februar 1962, Linde
Gustav Pfirrmann zeigt seinen neuen Film «Pries-
ter, Götter und Kulturen. Auf den Spuren des
Apostels Paulus zum Rom der Caesaren».
IC, 17. Februar 1962 / Vo, 7. Februar und
24. Februar 1962
198
VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN 1948 BIS 1967
GEORG SCHIERSCHER
Sonntag, 11. März 1962, Linde (20.30 Uhr)
Dr. Walter Hildebrand (Rapperswil): Der Laie in der
Kirche.
IC. 3. März 1962 /Vo, 10. März 1962
Sonntag, 1. April 1962, Linde
Dr. theol. Dr. phil. Heimo Dolch (Paderborn): Wissen
und Glauben.
IC, 30. September 1961 / Vo, 31. März und 4. April
1962
Sonntag, 8. April 1962, Rathaussaal (20.15 Uhr)
Doppelvortrag unter dem gemeinsamen Thema
«Auf dem Weg zueinander».
- Dr. Peter Vogelsanger, evangelischer Pfarrer,
Fraumünster (Zürich): Der Katholizismus in der
Sicht des evangelischen Christen.
- Hw. Dr. Otto Karrer (Luzern): Der Protestantis-
mus in der Sicht des Katholiken.
IC, 30. September 1961 / Vo. 7. April 1962
Samstag, 26. Mai 1962, Hotel Schaanerhof
(20.30 Uhr)
Frau Dr. Chow Chung-cheng: Tee und Blumen in
China.
Va. 26. Mai 1962
WINTERSEMESTER 1962/63 (XV)
Sonntag, 23. September 1962, Linde (20.30 Uhr)
Hofrat Dipl. Ing. Dr. Andreas Bernhard, Wien:
Rute und Pendel. Was sagt die exakte Wissenschaft
über Radiästhesie?
IC, 15. September 1962 /Vo, 22. September und
25. September 1962
Sonntag, 4. November 1962, Linde (20.30 Uhr)
Prinz Konstantin von Bayern: Gong zur letzten
Runde in Afrika.
Vo, 3. November 1962
Sonntag, 9. Dezember 1962, Linde (20.30 Uhr)
Matthias Rabitsch (Expeditionsleiter): Llullayacu-
Götterberg in der Atacama-Wüste.
Vo, 8. Dezember 1962
45) Dieses Tourneetheater wurde 1957 gegründet. Es tritt seitdem
vorwiegend in Süddeutschland und in der Schweiz auf. Es gelangen
christliche Inhalte zur Aufführung mit dem missionarischen Ziel, die
Botschaft des Evangeliums durch das Mittel der Kunst auf kulturelle
Weise weiterzugeben. Quelle: www.dieboten.ch sowie
www. moneyhouse. ch/u/die_boten_dentler_s_christliche_buhne_gmbh
_CH-440.4.017.759-9.htm.
46) Pfarreiarchiv Schaan.
Eintrag in das Gästebuch
von David Beck, 3. Dezem-
ber 1961.
A /
199
15 JAHRE VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN
Sonntag, 3. März 1963, Linde (20 Uhr)
Dr. Josef Rudin: Tiefenpsychologische und seelische
Reife zur Ehe.
Vo, 20. Februar 1963
Samstag, 23. März 1963, Linde (20.30 Uhr)
Dr. Ladislaus Boros (Zürich): Auf dem Weg der
Vollendung - das Weltbild [von] Pierre Teilhard de
Chardin.
IC. 16. März 1963/Vo. 23. März 1963
Samstag, 6. April 1963, Linde (20.30 Uhr)
Prof. Dr. Alfons Auer (Universität Würzburg):
Weltoffener Christ.
IC, 30. März 1963 / Vo, 6. April und 10. April 1963
8. bis 15. Oktober 1962
Romreise der Volkshochschule Schaan
zur Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils vom
8. bis 15. Oktober 1962.
Reiseleitung: Herr Guido Saluz, Danzas Buchs,
Pfarrer Johannes Tschuor, Schaan.
IC, 4. August 1962 /Va. 10. Februar 1962 und
18. August 1962
KURS / VORTRAGSREIHE
Ab Dienstag, 5. März 1963, Schulhaus (20 Uhr)
Dr. Josef Rudin (Zürich); Der Mensch in seinem
Widerspruch.
- Dienstag, 5. März: Der seelische Januskopf des
Menschen.
- Dienstag, 12. März: Der geheimnisvolle «Ande-
re» im Unterbewusstsein.
- Dienstag, 19. März: Der Triebrebell und der
Geistestyrann.
- Dienstag, 26. März: Die menschliche Entzweiung
der Geschlechter.
Vo, 2. März 1963
Mit dem Vortrag von Professor Alfons Auer schloss
das 15. Semester am 6. April 1963. Zum Abschluss
gedachte Pfarrer Tschuor unter dem grossen Beifall
der Versammelten der «15-jährigen erfolgreichen,
kulturellen Arbeit der Volkshochschule mit ihren in
diesem Zeitraum vorgenommenen 215 Veranstal-
tungen in Vorträgen, Kursen und Studienfahrten.»
Vo, 10. April 1963
200
VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN 1948 BIS 1967
GEORG SCHIERSCHER
WINTERSEMESTER 1963/64 (XVI)
Samstag, 23. November 1963, Linde (20.15 Uhr)
Dr. Karl Stark: Hat Karl Marx, der Gründer des
Sozialismus und Kommunismus, Recht behalten?
Vo, 23. November und 27. November 1963
Samstag, 4. Januar 1964, Linde (20.15 Uhr)
Dr. Franz Demmel (Zürich): Der Streit um Hochhuts
Drama; «Der Stellvertreter».
IC, 21. Dezember 1963 / Vo, 4. Januar 1964
Sonntag, 23. Februar 1964, Linde (20.30 Uhr)
Prof. Dr. Heinrich Schmidinger (Fribourg): Die
religiöse Lage am Vorabend der Reformation.
IC, 15. Februar 1964 / Vo, 13., 22. und 26. Februar
1964
Samstag, 7. März 1964, Linde (20.15 Uhr)
Dr. Walter Ott (Wetzikon): Gewässerschutz und
Walderhaltung bestimmen unsere Zukunft.
IC, 29. Februar 1964/Vo, 27. Februar, 5. und
7. März 1964
Samstag, 21 März 1964, Linde (20.15 Uhr)
Konzilstheologe Dr. Johannes Feiner (Chur): Ein
Konzilsteilnehmer berichtet vom 2. Vatikanischen
Konzil.
IC, 29. Februar 1964 / Vo, 5. März und 25. März
1964
Samstag, 25. April 1964, Linde (20.15 Uhr)
Dr. Ladislaus Boros (Zürich): Moderner Mensch,
weil ganzer Christ.
Vo, 25. April und 28. April 1964
WINTERSEMESTER 1964/65 (XVII)
Sonntag, 18. Oktober 1964, Linde (20.30 Uhr)
Dr. W. Rohrer (Zürich); Was bedeutet dem Christen
die Technik?
IC, 10. Oktober 1964 / Vo, 17. Oktober und
21. Oktober 1964
Samstag, 21. November 1964, Linde (20.15 Uhr)
Dr. Bernhardt Schulze-Holthus (München): Vielge-
staltiges Iran - Reiseland der Zukunft.
IC, 21. November 1964/Vo, 9. Januar 1965
Sonntag, 13. Dezember 1964, Linde
Prof. Dr. Alois Sustar (Chur): Geburtenkontrolle
Va und Vo, 12. Dezember 1964
Sonntag, 10. Januar 1965, Rathaussaal (20.30 Uhr)
Maria Grabher-Meyer (Feldkirch): Schaanerisches
- Liechtensteinisches.
Vorlesung aus den Werken der Referentin.
IC, 19. Dezember 1964 / Vo, 9. Januar 1965
Sonntag, 14. März 1965, Linde (20.30 Uhr)
Prof. Dr. Erwin Nickel (Fribourg): Die Stellung des
Glaubens im wissenschaftlichen Weltbild.
Vo, 13. März und 17. März 1965
Sonntag, 4. April 1965, Rathaussaal (20.30 Uhr)
Dr. Otto von Habsburg: Der Kleinstaat im kommen-
den Grosstaat Europa.47
IC, 26. März 1965/Vo, 3. April 1965
47) Diesem Vortrag folgt ein fünfteiliger Bericht im «Volksblatt»: (I.)
6. April, (II.) 7. April, (III.) 8. April, (IV.) 10. April und (V.) 13. April
1965.
Gästebuch-Eintrag von
Maria Grabher-Meyer,
10. Januar 1965.
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201
KURS
WINTERSEMESTER 1965/66 (XVIII)
Krippenbau
Leitung: Bruder Martin OSB (Planken). Beginn:
Dienstag, 9. November 1965 in der ehemaligen
Schreinerei von Josef Hilti.
Vo, 9. November 1965
Sonntag, 12. September 1965, Linde (20.30 Uhr)
Dr. Emil Heinz Batliner (Vaduz); Die Problematik
des Sparens bei der heutigen liechtensteinischen
Jugend.
IC, 11. September 1965/Vo, 11. September 1965
Sonntag, 3. Oktober 1965, Linde (20 Uhr)
Dr. Karl Kindermann (Heidelberg): Der Mensch
hinter dem eisernen Vorhang.
IC, 25. September 1965/Vo, 2. Oktober und
7. Oktober 1965
Freitag, 15. Oktober 1965, Rathaussaal (20.15 Uhr)
Indisches Ballett. Neun indische Tänzer und acht
Tänzerinnen führen indische Tänze und ein bibli-
sches Weihespiel aus.
Leitung: Pater Proksch SVD, österreichischer
Missionar.
Va, 14. Oktober 1965
Sonntag, 7. November 1965, Linde (20.30 Uhr)
Prof. Dr. Enrico Caminati (St. Gallen); Dante Ali-
ghieri - Leben und Werk.
IC, 6. November 1965/ Vo, 6. November 1965
Mittwoch, 8. Dezember 1965, Linde (20.30 Uhr)
Dr. Ladislaus Boros (Zürich): Tod, der Mensch in
seiner Entscheidung.
IC. 4. Dezember 1965/ Vo, 7. Dezember 1965
Sonntag, 19. Dezember 1965, Hotel Schaanerhof
(20.30 Uhr)
Pater Johannes de Roos OSB: Modernes Mönchtum
in der Urform.48
Va, 18. Dezember und 21. Dezember 1965
Sonntag, 9. Januar 1966, Linde (20.30 Uhr)
Dr. Hanno Helbling (Zürich): Ein Konzilsberichter-
statter berichtet über das Konzil und die Folgen, die
er als Laie sieht.
IC, 1. Januar 1966/Vo, 8. Januar und
12. Januar 1966
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Eintrag im Gästebuch von
Albrecht Beckel, 6. März
1966.
202
VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN 1948 BIS 1967
GEORG SCHIERSCHER
Sonntag, 27. Februar 1966, Linde (20.30 Uhr)
Prof. Dr. Max Anwärter (Balzers): Atomphysik für
alle.
IC, 26. Februar 1966/Vo, 26. Februar und 2. März
1966
Samstag, 5. März 1966, Hotel Dux (20.15 Uhr)
Pater Giulio Haas (Sargans): Heisse Eisen der
Bibelerklärung. Wie erklären wir heute die bibli-
schen Texte über die Urgeschichte, das Paradies,
den Sündenfall?
Va, 3. März 1966/Vo, 5. März und 8. März 1966
Sonntag, 6. März 1966, Linde (20.30 Uhr)
Oberbürgermeister Dr. Albrecht Beckel (Münster in
Westfalen): Die Familie ist anders geworden.48 49
Vo, 5. März und 9. März 1966
Samstag, 19. März 1966, Hotel Schaanerhof
(20.30 Uhr)
Dr. Hans Kühner (Schriftsteller, Berg TG): Notwen-
dige Revisionen in der Kirchengeschichte.50
IC, 12. März 1966/Vo, 18. März 1966
Sonntag, 3. April 1966, Linde (20.30 Uhr)
Dr. Josef Wolf (Vaduz): Das Dorf ist anders gewor-
den.
IC, 26. März 1966/Vo, 2. April und 6. April 1966
Samstag, 18. September 1965, Rathaussaal
T.S. Eliot: Die Cocktailparty.
Aufführung durch das «Ensemble 365», einer
Laienspielgruppe aus Wien.
Va, 18. September und 23. September 1965
Samstag, 9. Oktober 1965
Besichtigung der Stiftsbibliothek St. Gallen «unter
kundiger Führung».
Va, 7. Oktober 1965
Freitag, 15. Juli bis 19. Juli 1966
Gruppenreise per Autocar nach Taize bei Cluny
(Frankreich).
Vo, 2. April, 7. April und 9. Juli 1966
WINTERSEMESTER 1966/67 (XIX)
Vo, 25. Oktober 1966
Sonntag, 23. Oktober 1966, Linde (20.30 Uhr)
Frater Dr. Ingbert Ganss; Kleine Dinge gross
gesehen (Lichtbildervortrag).
IC, 22. Oktober 1966 / Vo, 22. Oktober und
25. Oktober 1966
Sonntag, 6. November 1966, St. Elisabeth (9 Uhr)
Dr. Alfons Reck (Sekundarlehrer, Altstätten): Der
neue Mensch in der erneuerten Kirche.
Probleme der Erziehung im Lichte des Konzils (drei
Vorträge).
Va, 5. November 1966
Sonntag, 20. November 1966, Hotel Schaanerhof
(20.30 Uhr)
Pater Prof. Dr. Sigisbert Frick (Kantonsschule
Sarnen); Das Bleibende im Werk Heinrich Federers.
IC, 19. November 1966/Vo, 19. November und
22. November 1966
Donnerstag, 8. Dezember 1966, Linde (20.30 Uhr)
Dr. Rose-Marie Umbricht-Maurer (Zürich); Wie
denkt man heute in der Schweiz über das Frauen-
stimmrecht?
IC, 3. Dezember 1966/Va, 7. Dezember 1966
Sonntag, 8. Januar 1967, Linde (20.30 Uhr)
Prof. Dr. Max Auwärter (Balzers): Der Atomkern als
Energieträger.
Vo, 6./7. Januar und 11. Januar 1967
48) «Neben jenen Vorträgen, für die wir bei einem grösseren Kreis
ein Interesse voraussetzen, veranstaltet die Volkshochschule zum
ersten Mal in diesem Semester auch solche, d. wahrscheinlich nur
einen kleineren Kreis interessieren. ... Dieser Vortrag, eingereiht
unter Type B, wird nicht durch die Kurskarte finanziert. Probeweise
machen wir es einmal so, dass kein Eintritt verlangt wird. Jedoch
kann am Schluss jeder Teilnehmer freiwillig sein Scherilein beisteu-
ern.» In: «Volkshochschule Schaan». «Vaterland», 18. Dezember
1965.
49) Bei «Peguy», dem Verfasser des angeblichen Zitats, handelt es
sich um Charles Pierre Péguy (1873-1914), franz. Schriftsteller.
50) Ein Vortrag der sog. Serie des Typs B (freiwillige Spende).
203
Samstag, 11. Februar 1967, Postgebäude Schaan
(20.15 Uhr)
Pater Johannes de Roos (Planken): Die Einheit der
Christenheit und zwar zwischen Anglikanismus
und dem Katholizismus.
Va. 18. März 1966/IC, 28. Januar 1967/
Vo, 16. Februar 1967
Sonntag, 19. Februar 1967, Linde (20.30 Uhr)
Diskussion um die Predigt.
- Ein Laie (Prof. Alfons Reck, Altstätten SG) meldet
die «Wünsche des Laien» an den Prediger und
die Predigt.
- Ein Priester (Prof. Dr. Emil Spiess, Mörschwil)
meldet die «Wünsche des Priesters» an die
Hörer der Predigt.
IC, 11. Februar 1967/Vo, 22. Februar 1967
Samstag, 25. Februar 1967, Linde (20.15 Uhr)
Pfarrer Christoph Möhl (Vaduz): Protestantismus
und Katholizismus. Was eint und was trennt.51
Vo, 25. Februar 1967
Sonntag, 19. März 1967, Linde (20.30 Uhr)
Ing. Meinrad Lingg-Kaufmann (Schaan):
Bekenntnisse grosser, moderner Naturforscher.
IC, 11. März 1967/Va, 14.März 1967
(Da dieser Vortrag «für dieses Semester ausfahen
muss», wird dafür der folgende Vortrag einge-
schaltet:)
Sonntag, 19. März 1967, Linde (20.30 Uhr)
Landesvikar Johannes Tschuor (Planken): Katholi-
zismus und Orthodoxie. Was uns eint und was uns
trennt.
IC, 11. März 1967/Va und Vo. 18. März 1967
KURS / VORTRAGSREIHE
Sonntag, 6. November 1966, Kloster St. Elisabeth
(9 Uhr)
Dr. Alfons Reck (Sekundarlehrer, Altstätten SG):
Studientagung über die Erziehung im Lichte des
Konzils.
- Erster Vortrag: Neuer Humanismus als Ertrag
des Konzils.
- Zweiter Vortrag: Neue Formen der Innerlichkeit
und Probleme der Wahrheit, der Freiheit, des
Gewissens und der Ökumene.
- Dritter Vortrag: Neue Formen der Weltbegeg-
nung. Analyse der Struktur unserer Welt und
Zeit und unserer christlichen Antwort.
IC, 5. November 1966/ Vo, 5. November 1966
Ab Samstag, 17. Dezember 1966, Linde (20.15 Uhr)
Pater Giulio Haas (Sargans): Bibelkurs
- Samstag, 17. Dezember 1966: Die Heilige
Schrift, Wort Gottes in menschlicher Gestalt.
- Samstag, 14. Januar 1967: Gott-Welt-Mensch.
Einige Themata aus der Heiligen Schrift.
- Sonntag, 15. Januar 1967: Leben aus der Heili-
gen Schrift.
IC, 3. Dezember 1966 und 14. Januar 1967/
Va 17. Dezember 1966
204
VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN 1948 BIS 1967
GEORG SCHIERSCHER
Finanzierung der Volkshochschule
SELBSTFINANZIERUNG
Die Volkshochschule Schaan gab für die ersten zehn
Jahre gesamthaft 22 617 Franken aus. Dazu rechnet
ihr Leiter vor: «Wenn das geistige Niveau, das im
Laufe dieser ersten 10 Semester erreicht wurde, ge-
halten werden soll und nur beste Kräfte berufen
werden sollen, dann kann dies nur geschehen, wenn
pro Semester rund 200 Volkshochschulkarten abge-
setzt werden.»51 52 Diese Rechnung ist zumindest
während der ersten zwölf Jahre aufgegangen: die
Volkshochschule hat sich in dieser Zeitdauer durch
den Kartenverkauf und durch (kleine) private Spen-
den selbst finanziert.53 Eine Einzelkarte pro Semes-
ter gewährte zu allen Vorträgen, Kursvorträge aus-
genommen, freien Zutritt und kostete im zwölften
Semester noch gleich viel wie zu Beginn, nämlich
zehn Franken, eine Familienkarte kostete 25 Fran-
ken. Spätere Preisaufschläge fielen moderat aus.
GESUCH UM FINANZIELLE
UNTERSTÜTZUNG
Gegen Mitte der 1960er Jahre hat sich die finanziel-
le Situation offensichtlich verschlechtert. Dies geht
aus einem Brief vom März 1966 hervor, in dem Pfar-
rer Tschuor Regierungschef Gérard Batliner um ei-
nen «Beitrag für die Ausgaben der Volkshochschule
Schaan» bittet.54 Das Gesuch gelangt auf dem Amts-
weg zur Beurteilung an den Kultur- und Jugendbei-
rat der Fürstlichen Regierung, der zu diesem Zwe-
cke die Einreichung einer genauen Abrechnung für
das Semester 1965/66 verlangt.55 Die Volkshoch-
schule ist diesem Verlangen umgehend nachgekom-
men und hat an den Regierungschef eine definitive
Kassa-Abrechnung für das 17. Semester 1964/65
und eine vorläufige für das 18. Semester 1965/66
geschickt.56 Die Kassa-Abrechnung für das 17. Se-
mester weist aus Kassa, Bank-Konto und Post-
scheck per 8. August 1965 ein Gesamtvermögen von
Fr. 424.71 auf, ein Betrag, der schon damals kaum
gereicht hätte, um einen Referenten aus dem Aus-
land zu engagieren.
Nach Prüfung der beiden Kassa-Abrechnungen
hat der Kultur- und Jugendbeirat der Regierung
aber mitgeteilt, dass «die Rechnung der Volkshoch-
schule Schaan für das Jahr 1965/66 auch mit Einbe-
zug des noch ausstehenden Vortrages praktisch aus-
geglichen ist. Ein Beitrag erübrigt sich deshalb.»57
Und dabei scheint es dann vorerst auch geblieben
zu sein. Seltsamerweise - ist man geneigt zu sagen -
findet sich auch in den zur Verfügung gestandenen
Unterlagen, einschliesslich der Schaaner Gemein-
deratsprotokolle, kein Hinweis, dass die Volkshoch-
schule die Gemeinde um finanzielle Unterstützung
angesucht oder solche erhalten hätte.
VERSCHÄRFTES FINANZPRORLEM
Im September 1966, also ein halbes Jahr später,
schickt Pfarrer Tschuor - 70-jährig und damals
schon in Planken wohnhaft - an die «Herren der en-
geren Arbeitsgemeinschaft»58 einen Brief59, in dem
er sie bittet, sich des Finanzproblems der Volks-
hochschule anzunehmen. Er schreibt dort: «Da ich
51) Diesem Vortrag folgt eine 6-teilige Berichterstattung im «Volks-
blatt»: (I.) 25. Februar, (II.) 1. März, (III.) 2. März, (IV.) 4. März, (V.)
7. März, (VI.) 8. März 1967.
52) Bericht zehn Jahre Volkshochschule, Kapitel Finanzielles.
53) Gemäss Artikel «Volkshochschule Schaan - eine Stätte der
Volksbildung auf dem Lande». «Volksblatt», 15. Oktober 1960.
54) Liechtensteinisches Landesarchiv, RF 297/82, 8. März 1966.
55) Liechtensteinisches Landesarchiv, RF 297/82, Brief vom
14. März 1966 an die Fürstliche Regierung.
56) Liechtensteinisches Landesarchiv, RF 297/82, Brief vom 22.März
1966 an den Regierungschef, mit den beiden Beilagen «Kassa-
Abrechnung der Volkshochschule Schaan» für das 17. Semester
1964/65, RF 297/82, vom 8. August 1965 und für das 18. Semester
1965/66, RF 297/82.
57) Liechtensteinisches Landesarchiv, V 105/66, 297/82, Brief vom
28. März 1966.
58) Der Begriff der «engeren Arbeitsgemeinschaft» ist mir zum
ersten Male in diesem Brief begegnet. Dort sind die folgenden drei
Empfänger des Briefes genannt: Landtagspräsident Dr. h.c. Alexan-
der Frick (1910-1991), Dipl. Ing. Dr. ehern. Eric W. Reuss (1902-
1985) und Dipl. Ing. Dr. techn. Franz Beck (1931-2003).
59) Liechtensteinisches Landesarchiv, RF 297/82, Brief aus Planken
vom 13. September 1966.
205
Angebotszuwachs im Bereich
der Erwachsenenbildung
nicht weiss, wie das nächste Semester finanziert
werden kann, ist es recht schwierig mit den Refe-
renten, von denen ich einige von Deutschland her-
rufen wollte, da der eine oder andere aus der
Schweiz abgesagt hat.» Tschuor beendet den Brief
mit den Worten: «Es hängt mir bald zum Hals he-
raus, immer wieder betteln zu müssen».
Kurz darauf bat Alexander Frick Regierungschef
Gérard Batliner, ihn «baldmöglichst wissen zu las-
sen, ob die Regierung gewillt ist, so eine Institution
irgendwie zu stützen oder nicht. Wenn nein, werden
wir uns privaten Gönnern zuwenden müssen.»60
Von der Regierung wiederum zur Stellungnahme in
dieser Angelegenheit eingeladen, kam der Kultur-
und Jugendbeirat «zur Ansicht, dass die Fürstliche
Regierung das Defizit der Volkshochschule Schaan
unter der Bedingung übernehmen kann, dass eine
sich in Ordnung befindliche Jahresrechnung vorge-
legt wird.»61 Über den weiteren Verlauf in dieser Sa-
che fand ich keine Akten.
In den 1950er und besonders in den 1960er Jahren
nahm die Zahl an Vereinen und Organisationen, die
Vorträge zu verschiedensten gesellschaftlichen An-
liegen organisierten, spürbar zu. Wir nehmen hier
zwei damals bedeutungsvolle Neugründungen im
Bereich der Erwachsenenbildung etwas ins Blick-
feld.
«KATHOLISCHES BILDUNGSWERK
LIECHTENSTEINER UNTERLAND»
Das «Katholische Bildungswerk Liechtensteiner Un-
terland» wurde am 24. Januar 1961 gegründet und
am darauf folgenden 5. November im grossen Saal
des Gasthauses Eschnerberg eröffnet. «Mit dieser
Neugründung wurde eine grosse Lücke in den Wei-
terbildungsmöglichkeiten für Erwachsene geschlos-
sen. Es war schon lange ein Bedürfnis der Unterlän-
der, vermehrt am kulturellen Leben teilzunehmen
und mit der Schaffung dieses Bildungswerks dürfte
nun ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung gehen.
Die Gründer des Katholischen Bildungswerks Liech-
tensteiner Unterland wollen ihre Neugründung kei-
neswegs als Konkurrenzunternehmen zu schon be-
stehenden ähnlichen Institutionen aufgebaut wis-
sen, sondern im Gegenteil, als Ergänzung dersel-
ben.»62 Dieses Bildungswerk endete 1969.
«LIECHTENSTEINISCHES BILDUNGSWERK
SCHAAN-VADUZ»
Die Neugründung «Liechtensteinisches Bildungs-
werk Schaan-Vaduz»63 fand ebenfalls im Jahre
1961 statt. Unter dieser Bezeichnung hat sich «auf
Initiative von Herrn Dr. Werner Walser und führen-
der Persönlichkeiten des Landes eine Institution ge-
bildet, die sich an alle Kreise des Landes wendet.
Das Liechtensteinische Bildungswerk ist bestrebt,
durch geeignete Veranstaltungen (Vorträge, Vor-
tragsreihen religiöser, wissenschaftlicher und künst-
lerischer Natur, Konzerte, Kulturfilme, wertvolle Fil-
me, Kurse, Förderung der Jugenderziehung u. a.)
das kulturelle Geschehen in unserem Lande för-
206
VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN 1948 BIS 1967
GEORG SCHIERSCHER
dernd zu beeinflussen. ... Um unnötige Kollisionen
mit andern Veranstaltern von vornherein zu ver-
meiden, hat das Liechtensteinische Bildungswerk
durchwegs einen Wochentag, und zwar vornehm-
lich den Freitagabend für seine Veranstaltungen ge-
wählt.»60 61 62 63 64
Wie aus einem Brief von Pfarrer Tschuor an Dr.
Raoul Henrik Strand vom 2. März 1959 und aus ei-
nem Zeitungsbeitrag unter dem Kürzel Dr. W.W.65
sowie der namentlichen Erwähnung im Bericht zum
«Rezitationsabend Oskar Werner»66 hervorgeht,
stand Dr. phil. Werner Walser (* 1925), Schaan, zu-
mindest 1959 bis anfangs 1961 noch der Volkshoch-
schule Schaan nahe. Wie er mir am 9. Juni 2009
sagte, kam es zwischen ihm und Pfarrer Tschuor zu
einer Verstimmung, die dann zur geschilderten
Neugründung führte.
FÜLLE VON VERANSTALTUNGEN
Auch wenn jede Neugründung eines Bildungswerks
sich als Ergänzung zu ähnlichen Institutionen ver-
standen wissen wollte, so waren Terminkollisionen
und gegenseitige inhaltliche Konkurrenzierung
praktisch doch unvermeidbar. Die Veranstaltungs-
kalender waren dicht bepackt mit Veranstaltungen
von vielerlei Organisationen. Es überrascht nicht,
dass damals in Zeitungsberichten zu Bildungsanläs-
sen wiederholt zum Beispiel die «Kollision von Ver-
anstaltungen»67 oder die «Fülle von Veranstaltun-
gen»68 beklagt wurde.
Besonders starke Konkurrenz erwuchs der
Volkshochschule Schaan durch das Liechtensteini-
sche Bildungswerk Schaan-Vaduz; dieses führte
nach eigenen Angaben am 4. Mai 1962 - wenige
Monate nach seiner Gründung - schon seine 18.
Veranstaltung durch. Dass es dadurch allein schon
zu terminlichen Bedrängnissen kam, zeigen die fol-
genden zwei Beispiele:
- Der Schaaner Gemeinderat hatte sich mit einem
Gesuch des Liechtensteinischen Bildungswerks
um Überlassung des Rathaussaales für ein Kon-
zert der «Kern Buam» am Fasnachtdienstag
(26. Februar) 1963 zu befassen. Er lehnte es «mit
Rücksicht darauf, dass dies einen gewissen Af-
front gegen die Volkshochschule Schaan bilden
würde», ab.69
60) Liechtensteinisches Landesarchiv, RF 297/82, Brief vom 29. Sep-
tember 1966.
61) Liechtensteinisches Landesarchiv, RF 297/82, Brief vom 14. Ok-
tober 1966 an die Fürstliche Regierung.
62) Im «Katholisches Bildungswerk Liechtensteiner Unterland. Zur
Eröffnung am 5. November 1961». «Volksblatt», 4. November 1961.
Das erste Semesterprogramm beinhaltete folgende Vorträge: « <Die
Weltlage - und wir> (Pfr. Dr. Joseph Ehret, Basel); <Chartres, Kathe-
drale des Abendlandes) (Dr. Nyssen, Köln); Afrika, ein Kontinent im
Umbruch) (George Dlamini, Neger aus Südafrika); <Das kommende
Konzil) (Dr. Hall, Dozent in Konstanz); <Zukunft der 600 Millionen
Chinesen) (Pater Ti-Kang, Chinese aus Nord-China)». In: «Katholi-
sches Bildungswerk Liechtensteiner Unterland. Zur Eröffnung am
5. November 1961». «Vaterland», 4. November 1961.
63) «Liechtensteinisches Bildungswerk Schaan-Vaduz (Fürstentum
Liechtenstein) - Verein für Erwachsenenbildung e. V.» Es nannte
sich in der Öffentlichkeit kurz «Liechtensteinisches Bildungswerk».
64) In: «Liechtensteinisches Bildungswerk - eine neue Bildungsinsti-
tution im Dienste der Erwachsenenbildung». «Volksblatt»,
23. September 1961, «Vaterland», 30. September 1961.
65) In: «Volkshochschule Schaan - eine Stätte der Volksbildung auf
dem Lande». «Vaterland», 15. Oktober 1960.
66) «Vaterland», 4. Januar 1961.
67) In: Bericht «Kath. Bildungswerk Liechtensteiner Unterland» zum
zweiten Vortrag. «Vaterland», 2. Dezember 1961.
68) In: Bericht «Anton Zischka: Asiens Wilder Westen» zum 7. Vor-
trag aus dem Programm des Liechtensteinischen Bildungswerks.
«Volksblatt», 9. Dezember 1961.
69) Gemeindearchiv Schaan, Protokoll über die Gemeinderatssitzung
vom 21. Februar 1963. Das Konzert kam dann am 20. Juni 1963 in
Triesen zur Aufführung. «Vaterland», 16. Juni 1963, Inseratenteil.
207
Ende der Volkshochschule
Schaan 1967
- Im darauf folgenden Jahr gelangte das Liechten-
steinische Bildungswerk wieder an den Gemein-
derat mit dem analogen Ersuchen für ein Gast-
spiel der «Kern Buam» am 18. Oktober 1964. Mit
Rücksicht darauf, «dass am gleichen Abend in
der Linde ein Vortrag der Volkshochschule statt-
findet», wurde das Gesuch abgelehnt.70
Das Liechtensteinische Bildungswerk hatte nebst
Unterhaltungsabenden aber auch religiöse Vorträge
angeboten, von denen manche thematisch ebenso
in das Programm der Volkshochschule gepasst hät-
ten.71 Es bestand somit auch eine starke inhaltliche
Konkurrenz, fallweise sogar eine Rivalität. Trotz-
dem gelangte das Liechtensteinische Bildungswerk
an Pfarrer Tschuor mit der Bitte, zum Beispiel den
Vaduzer Marktplatzauftritt von Pater Leppich und
den Vortrag zum Thema «Beichten leicht gemacht»
(siehe Fussnote 71) in der Sonntagsmesse zu ver-
kündigen.72 Der Schwung dieses Bildungswerks
hatte allerdings relativ früh abgenommen: Ab 1967
ist von ihm in den Zeitungen nichts mehr zu lesen.
Acht Jahre nach Beginn der Volkshochschule Schaan
schrieb ihr Leiter Johannes Tschuor: «Man darf ohne
Überheblichkeit feststellen, dass die Volkshochschu-
le Schaan für das geistige Leben in Liechtenstein das
Ihre tut und wie zu hoffen ist, durch die Erfahrung
belehrt, immer noch besser tun wird.»73 Mehr als vier
Jahrzehnte danach wurden diese Einschätzung und
die Erfüllung der damaligen Hoffnung bestätigt und
im Positiven noch übertroffen. Graham Martin war-
tet mit einem beachtlichen Kompliment auf: «Die
Volkshochschule Schaan blühte zwei Jahrzehnte
lang als einer der Hauptträger kultureller Tätigkeit
im Fürstentum.»74 Deckungsgleich heisst es zur Ge-
schichte der Erwachsenenbildung in Liechtenstein,
dass die Volkshochschule Schaan «im Bereich Er-
wachsenenbildung in den 1950er und 1960er Jah-
ren Pionierarbeit geleistet» hat.75
STILL AUSGELAUFEN!
Und doch: Am Ende des 19. Wintersemesters
1966/67, nachdem Pfarrer Tschuor am 19. März
1967 den letzten Vortrag gehalten hatte, scheint die
Volkshochschule Schaan still ausgelaufen zu sein. Zu-
mindest stiess ich bei der zügigen Durchsicht des «In
Christo» bis zur Ausgabe vom 27. Dezember 1969
und der Ausgaben von «Vaterland» und «Volksblatt»
bis Ende des Jahres 1967 weder auf einen entspre-
chenden Vermerk noch auf einen Leserbrief.
In den Beiträgen zur Geschichte der Pfarrei
Schaan-Planken76 ist auch nicht mehr zu erfahren;
es steht dort - in gewisser Abweichung zu einigen
der im Quellen- und Literaturverzeichnis angegebe-
nen Titel - geschrieben: «Pfarrer Tschuor gründete
im Dezember 1948 zusammen mit der Lehrerschaft
von Schaan die Volkshochschule Schaan, das erste
Erwachsenen-Bildungswerk in Liechtenstein. Mitte
der Sechzigerjahre stellte sie ihren Betrieb ein.»
Graham Martin und die Verfasserin der Gedenk-
schrift Tschuor nennen übereinstimmend 1967 als
das Jahr des Endes der Volkshochschule.77
Das Programm des 19. und gleichzeitig letzten Se-
mesters war von der üblichen Dichte. Der Leiter ver-
weist in der Begrüssung zum Eröffnungsvortrag vom
208
VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN 1948 BIS 1967
GEORG SCHIERSCHER
23. Oktober 1966 vor versammelter Zuhörerschaft
wohl mit einiger Genugtuung auf die «Arbeit zur Er-
wachsenenbildung in 250 Vorträgen und Veranstal-
tungen in den vergangenen 18 Semestern».70 71 72 73 74 75 76 77 78 Im Zu-
sammenhang mit dem Ausfall des damals geplanten
Vortrages von Ing. Meinrad Lingg wurde bereits auf
das 20. Semester verwiesen,79 für das auch die Refe-
rentensuche bereits im Gange war. Zu den Gründen
des - aus der Distanz gesehen - überraschend ab-
rupten Endes der Volkshochschule Schaan habe ich
keine schriftlichen Belege gefunden.
GRÜNDE DES ABRUPTEN ENDES?
Insgesamt dürfte das Zusammentreffen mehrerer
Gründe für das nur schwer verständliche Ende von
heute auf morgen ausschlaggebend gewesen sein.
Nach Meinung von Hugo Gassner haben Pfarrer
Tschuor die oben erwähnten finanziellen Sorgen um
die Volkshochschule Schaan am meisten «aufs Ge-
müt geschlagen»; zugesetzt hatte ihm aber auch die
damit zusammenhängende Konkurrenz durch das
Liechtensteinische Bildungswerk.
Das Aufkommen des (Farb-)Fernsehens in den
1960er Jahren wird ebenfalls Hörer abspenstig ge-
macht haben. Allerdings bin ich nur zwei Klagen
über eine kleine Zahl von Zuhörern begegnet: Der
Referent Dr. Karl Stark, Redaktor, schrieb am 23.
November 1963 (siehe Veranstaltungen, Winterse-
mester 1963/64) ins Gästebuch den Vermerk «We-
nige aber dankbare Zuhörer». Und Pfarrer Tschuor
bedauerte das «ausserordentlich geringe Interesse»
an der im Februar 1967 stattgefundenen «Diskussi-
on um die Predigt»80 (siehe Liste der Veranstaltun-
gen, Wintersemester 1966/67).
Die Summe gesellschaftlicher Entwicklungen hat
vermutlich zu einem kritischen Schwund an Hörern
und somit auch an Eintrittsgeldern geführt. Wahr-
scheinlich kam erschwerend hinzu, Personen zu fin-
den, die sich die Zeit nahmen oder nehmen konn-
ten, um sich ehrenamtlich in einer Bildungseinrich-
tung wie der der Volkshochschule Schaan zu enga-
gieren.
70) Gemeindearchiv Schaan, Protokoll über die Gemeinderatssitzung
vom 8. Oktober 1964.
71) Das Liechtensteinische Bildungswerk organisierte - um je ein
oder zwei Beispiele aus den Jahren 1961 bis 1966 zu nennen -
unter vielen anderen folgende Vorträge bzw. Diskussionsrunden:
Bischof Vitus Chang: Die Kirche Chinas im roten Sturm. «Vaterland»,
11. Oktober 1961, Inseratenteil; Bischof Joachim Ammann (Tanga-
njika): Vertraust du Afrika? (Aufstieg und Untergang des Christen-
tums in Afrika). «Vaterland», 4. April 1962, Inseratenteil; Pater
Leppich SJ, «Der Mann, den schon 8 Millionen hörten», sprach auf
Einladung des Liechtensteinischen Bildungswerks am Sonntag, den
9. September 1962, um 20.30 Uhr auf dem Marktplatz in Vaduz.
«Vaterland», 8. September 1962, Inseratenteil; Dekan Cons. Bern-
hard Praxmarer (Tirol): Beichten leicht gemacht. «Vaterland», 10.
Juni 1963, Inseratenteil; Weihbischof Walter Kampe: Das Konzil im
Blitzlicht der Weltöffentlichkeit. «Vaterland», 20. Mai 1964, Insera-
tenteil; Pater Johannes Rzitka (Publizist und Regisseur): Hat das
Christentum eine Zukunft? «Vaterland», 28. Oktober 1965, Insera-
tenteil; Glaubensgespräche für Erwachsene. Zur Diskussion gestellt:
Kapituliert die Kirche vor der Wahrheit? Moral nicht mehr gefragt?
Gesprächspartner: Prof. Eduard Eisterer, Feldkirch, Kaplan Dr. Hans
Fink, Alberschwende, Roland Schuricht, Bludenz. «Vaterland»,
3. November 1966, Inseratenteil.
72) Pfarreiarchiv Schaan, Briefe vom 23. und 24. August 1962 an
Pfarrer Tschuor bzw. Brief vom 6. Juni 1963 an das katholische
Pfarramt Schaan.
73) Festgabe zur Souveränität, 1956, Seiten 138 und 140.
74) Martin, Bildungswesen, S. 245.
75) Dekanat Liechtenstein, 2000, Seite 145.
76) Wanger, Pfarrei Schaan-Planken, Seite 62.
77) Gedenkschrift Tschuor, S. 68. - Martin, Bildungswesen, S. 245;
«H.H. Geistlicher Rat Kan. Johannes Tschuor, Landesvikar, Schaan»
wurde vom Autor des 1984 erschienenen Werks interviewt (ebenda,
S. 553).
78) In: «Volkshochschule Schaan». «Volksblatt», 25. Oktober 1966.
79) Siehe obige Liste, Wintersemester 1966/67, bzw. in: «Volkshoch-
schule Schaan». «Volksblatt», 18. März 1967.
80) Dazu schreibt der Redaktor des «In Christo» vom 22. April 1967,
Nr. 12, Seite 2, unter dem Thema «Wie ist es zu deuten?»: «Was ich
mir aber nicht deuten kann, ist das ausserordentlich geringe Interes-
se an einer Aussprache über die Predigt, das sich offenbarte in einer
kleinen Zahl derer, die gekommen waren, um sich diese Diskussion
anzuhören. Junge Menschen - vielleicht ein Dutzend. Ich bin sicher
kein Pessimist, aber diese Interesselosigkeit gut zu deuten, fällt mir
schwer. ...». - Im «In Christo» vom 20. Mai 1967, Nr. 14, Seite 2,
greift Pfarrer Tschuor dieses Thema nochmals auf und vermerkt:
«Zur Diskussion um die Predigt, die das Pfarrblatt anregte, hat sich
wenigstens eine Stimme gemeldet. ...», und im «In Christo» vom 3.
Juni 1967, Nr. 15, Seite 3, ist unter dem Titel «Zur Diskussion um die
Predigt» eine weitere Zuschrift dazu abgedruckt.
209
Dank
Für diejenigen unter uns, die die Volkshochschule
Schaan noch erlebt haben, liegen die Erinnerungen
an sie rund 40 bis 60 Jahre zurück. Das macht es
aus nahe liegenden Gründen schwierig bis unmög-
lich, gewisse offene Fragen zum geschichtlichen
Hintergrund durch Personenbefragung noch beant-
wortet zu bekommen. Umso mehr war ich darauf
angewiesen, möglichst umfassend zur entsprechen-
den Literatur und zum rar vorhandenen Quellenma-
terial zu gelangen.
Ich danke allen Personen, die mir hilfreiche Hin-
weise, ergänzende Informationen und Ratschläge
gegeben haben. Namentlich möchte ich Hugo Gass-
ner f, Schaan, Silvia Walser, Vaduz, Franz Näscher,
Gamprin, Robert Allgäuer, Vaduz, Dr. Rupert Quade-
rer, Schaan und Gina Jehle vom Gemeindearchiv
Schaan dafür herzlich danken. Danken möchte ich
auch dem Redaktionsteam vom «Informationsma-
gazin der Gemeinde Schaan» für einen zusammen-
fassenden Bericht in seiner Ausgabe von Juni 2009
sowie der Vorsitzenden des Historischen Vereins für
das Fürstentum Liechtenstein, lie. phil. Eva Pepic-
Helferich, für die Bereitschaft, die vorliegende
Schrift in das 109. Jahrbuch dieses Vereins aufzu-
nehmen.
210
VOLKSHOCHSCHULE SCHAAN 1948 BIS 1967
GEORG SCHIERSCHER
QUELLEN- UND
LITERATUR-
VERZEICHNIS
Bericht 10 Jahre Volks-
hochschule.
Volkshochschule Schaan.
Ein kurzer Bericht über
die ersten zehn Jahre
ihres Bestehens. Schaan,
Ostern 1958. Er enthält
die folgenden neun Punk-
te: 1. Verzeichnis der
Dozenten und Kursleiter.
2. Statistisches über die
Dozenten. 3. Verzeichnis
der Themata nach Sachge-
bieten. 4. Verzeichnis der
Kurse. 5. Fahrten. 6. Sons-
tige Veranstaltungen. 7. Fi-
nanzielles. 8. Kleine An-
thologie. 9. Ein Nachwort.
Der Bericht ist mit «Der
Leiter der Volkshochschule
Johannes Tschuor» unter-
zeichnet.
Chronik der Gemeinde
Buchs.
Chronik der Gemeinde
Buchs, 8. Band, Jahrgänge
1956-1958, Chronikfüh-
rer: Lehrer Hermann Sa-
xer. Nicht veröffentlichtes
Manuskript, Standort
Rathaus Buchs SG.
Dekanat Liechtenstein,
2000.
Klaus Biedermann: Das
Dekanat Liechtenstein
1970 bis 1997. Eine Chro-
nik des kirchlichen Le-
bens. Vaduz, 2000.
Erwachsenenbildung,
1976.
Christian und Margrit
Sulser-Matt: Erwachsenen-
bildung im Fürstentum
Liechtenstein. Eine Be-
standesaufnahme. Von den
Autoren verfasst im Auf-
trag des Dekanatsseelsor-
gerates des Fürstentums
Liechtenstein. o.O., Juli
1976.
Festgabe zur Souveränität,
1956.
Das Fürstentum Liechten-
stein im Wandel der Zeit
und im Zeichen seiner
Souveränität. Festgabe zur
150. Jahresfeier der Sou-
veränität. Vaduz, 1956.
Gästebuch.
«Volkshochschule Schaan.
GÄSTE-BUCH. Beginn =
Herbst 1948». Hierin ha-
ben viele der Vortragen-
den einen mit ihrer Unter-
schrift versehenen persön-
lichen Gedanken hinterlas-
sen. (Das Gästebuch ist in
Privatbesitz. Sein Titelblatt
ist im vorliegenden Beitrag
abgebildet auf Seite 174).
Gedenkschrift Tschuor.
Johannes Tschuor in
memoriam. Gedenkschrift,
gewidmet zum 95. Ge-
burtstag am 17. Februar
1991. t 7. Juli 1990. Ver-
fasst und zusammenge-
stellt von Silvia Walser.
Schaan, 1991. 89 Seiten.
«In Christo».
«In Christo», Kirchliches
Amtsblatt für die Pfarreien
Liechtensteins, seit 1936;
erscheint 14-tägig.81
Martin, Bildungswesen.
Graham Martin: Das
Bildungswesen des Fürs-
tentums Liechtenstein.
Nationale und internatio-
nale Elemente im Bil-
dungssystem eines euro-
päischen Kleinstaates.
Aarau, Zürich, 1984.
Programmheft zum
12. Semester 1959/60.
Programmheft der Volks-
hochschule Schaan, XII.
Semester, Winter 1959/60.
Rubriken: Unsere Themen,
Die Termine, Die Kurse,
Eheseminar, Reise, Varia.
Schaaner Heimatbuch,
1. Folge, 1976.
Gemeindevorstehung
Schaan (Hrsg.): Schaaner
Heimatbuch, 1. Folge,
Chronik der Volksschule
Schaan, Vergangenes und
Gegenwärtiges aus der
Schulgeschichte der Volks-
schule Schaan, zusam-
mengestellt von Jakob
Falk, Lehrer. Schaan,
1976.
Sendung im Abendland,
Vortragsreihe 1955/56.
Sendung im Abendland.
Vortragsreihe, gehalten an
der Volkshochschule
Schaan 1955-56. Mit
Geleitwort von lic. theol.
Johannes Tschuor, Geistli-
cher Rat; mit Nachwort
von Meinrad Lingg. He-
rausgeber: Volkshochschu-
le Schaan Fürstentum
Liechtenstein. 107 Seiten.
Wanger, Pfarrei Schaan-
Planken.
Harald Wanger: Die Pfar-
rei Schaan-Planken in
Geschichte und Gegen-
wart. Beiträge zur Pfarrei-
geschichte. Festschrift
zum 100-Jahr-Jubiläum
der Pfarrkirche St. Lauren-
tius. Schaan, 1991.
81) Zur Ersterscheinung siehe
Gedenkschrift Tschuor, S. 48.
Der Bestand der in der Liech-
tensteinischen Landesbibliothek
gelagerten «In Christo» früher
Jahrgänge ist leider unvollstän-
dig. So besteht dort zum Bei-
spiel bezüglich der Jahre 1948
und 1949 die folgende Situati-
on: «In Christo», Jg. 1948: Es
fehlt die Nr. 1 des 13. Jahrgan-
ges (Ausgabe Ende November
1948). «In Christo», Jg. 1949:
Es sind nur die folgenden sechs
Ausgaben vorhanden: 8. Januar,
Nr. 4; 19. Februar, Nr. 7; 19.
März, Nr. 9; 6. August, Nr. 19;
29. Oktober, Nr. 25; 10. Dezem-
ber, Nr. 2.
Im Pfarreiarchiv Schaan, das im
Gemeindearchiv Schaan aufbe-
wahrt ist, finden sich keine
Ausgaben des «In Christo».
211
BILDNACHWEIS
S. 174, 182, 184, 185, 188,
190, 193, 195, 197, 199,
201, 202: Gästebuch der
Volkshochschule Schaan
(in Privatbesitz)
ANSCHRIFT DES
AUTORS
Dipl. Math. Georg
Schierscher-Marxer
In der Fina 15
FL-9494 Schaan
S. 175 oben, 176 links,
177, 178, 179: Gemeinde-
archiv Schaan
S. 176 rechts: Hansjakob
Falk, Schaan
S. 175 unten, 187: Georg
Schierscher, Schaan
S. 176 Mitte: Festschrift
«Alt Regierungschef
Dr. Alexander Frick zum
80. Geburtstag»
212
DER VATER
HARTMANNS, DES
ERSTEN GRAFEN
VON VADUZ
Drittes Siegel des Grafen
Hartmann III. von Wer-
denberg zu Vaduz, in Ver-
wendung von 1343 bis
1353, 0 34 mm. Im run-
den Siegelfeld befindet
sich ein gerauteter Sechs-
pass mit dem Wappen von
Werdenberg-Sargans,
dazu ein Helm mit Inful
und flatterndem Helmtuch.
DER VATER HARTMANNS, DES ERSTEN GRAFEN
VON VADUZ / HEINZ GABATHULER
In der Genealogie der Grafen von (Werdenberg-Sar-
gans-)Vaduz fehlt bisher eine Generation, weil für
die 101 Jahre von 1260 bis 1361 nur gerade zwei
Generationen angenommen werden. Diese unwahr-
scheinliche Annahme betrifft die unmittelbaren
Vorfahren des Grafen Hartmann von Vaduz und den
familiären Hintergrund, der 1342 zur Entstehung
seiner Grafschaft führte. Deshalb sollen - von der
bisherigen Literatur abweichend - anhand der
schriftlichen Quellen die Abstammung des ersten
Vaduzer Grafen geprüft und die genealogische Un-
gereimtheit geklärt werden.
Emil Krüger meinte 18871, Hartmann und Ru-
dolf IV. seien Söhne Rudolfs II. von Sargans aus einer
zweiten Ehe und damit Halbbrüder von Heinrich
und Rudolf III. aus der ersten Ehe gewesen. Die Vier-
Brüder-These wurde nie bezweifelt, bis 19942 Roger
Sablonier vermutete, bei den beiden Söhnen na-
mens Rudolf könne es sich um eine einzige Person
gehandelt haben. Gegen diese Drei-Brüder-These
wandte sich 20073 Fritz Rigendinger, der an vier
Sarganser Söhnen festhalten wollte. Richtig ist, dass
es sich bei Rudolf III. und Rudolf IV. um zwei Perso-
nen handelte, nicht aber, dass sie Halbbrüder wa-
ren. Dies zeigen die Lebensdaten aller drei Rudolfe
von Sargans: Der 1361 gestorbene Rudolf IV. kann
nicht ein Sohn des um 1260 geborenen Rudolf II.,
und der um 1305 volljährige Rudolf III. kann nicht
ein Bruder, sondern muss der Vater des 1337 ver-
heirateten Rudolf IV. gewesen sein. Damit wird der
Mangel in der bisherigen Werdenberger Genealogie
behoben, dass bis 1400 den acht Heiligenberger nur
sieben Sarganser Generationen gegenüberstehen.
Denn Hartmann und Rudolf IV. von (Werdenberg-)
Sargans gehören nicht mehr zur fünften, sondern
bilden bereits die sechste Generation: Sie sind Zeit-
genossen Albrechts II. von Werdenberg(-Heiligen-
berg).
Ihr Grossvater Rudolf II. war der Begründer der
Sarganser Linie und übernahm den grösseren Teil
der Grafschaft Werdenberg: den Sitz Sargans und
die Rechte in Sargans, Vaduz und Walgau. Sein Vet-
1) Krüger, Emil: Die Grafen von Werdenberg-Heiligenberg und von
Werdenberg-Sargans. In: Mitteilungen zur Vaterländischen Ge-
schichte, Bd. 22. St.Gallen, 1887, S. 291 ff.
2) Sablonier, Roger: Graf Hartmann sol ze tail werden Vadutz, der
Werdenberger Teilungsvertrag von 1342. In: Jahrbuch des Histori-
schen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 92. Vaduz,
1994, S. 1-36.
3) Rigendinger, Fritz: Das Sarganserland im Spätmittelalter. Diss.
Zürich, 2007, S. 173 ff.
GENEALOGIE
Rudolf II.
1271-41322/23
GO Burgau
Heinrich
1307-41332/34
QO Württemberg
Adelheid Ulrich
1322 1329-41358
GO Matsch Abt Salem
Rudolf III.
1305-41325/26
ooNN
Hartmann Rudolf IV. Margareta
1324-41354 1326-41361 1326-41348
GO Feldkirch oo Vaz oo Graisbach/
Pfannberg
215
ter Hugo II. begründete die Heiligenberger Linie und
erhielt den Stammsitz Werdenberg mit den Kirch-
spielen Buchs und Grabs, die Stadt Bludenz und die
Klostervogtei St. Johann im Thurtal. 1289 trat Ru-
dolf II. als Schwiegersohn des Markgrafen Heinrich
von Burgau auf, dessen Tochter Adelheid 1291 eine
Mühle aus ihrem Frauengut bei Ulm mit der Zustim-
mung ihres Sarganser Ehemannes verkaufte. 13014
verkaufte Rudolf II. zwei Höfe aus der Ulmer Mitgift
ohne das Einverständnis seiner Ehefrau, was den
Tod Adelheids von Burgau vermuten lässt. Die Söh-
ne Heinrich und Rudolf III. verzichteten 1307 und
13085 auf Erbrechte an Gütern, die ihr Burgauer
Grossvater dem Kloster Kaisheim bei Donauwörth
geschenkt hatte. Beide Brüder müssen volljährig ge-
wesen sein, denn sie vertraten auch ihren Vater bei
Güterübertragungen in Churrätien. Heinrich war
1308 ein Zeuge für die Ritter von Bärenburg vor den
Freiherren Donat von Vaz und Heinrich Brun von
Rhäzüns. Rudolf III. (comes iunior) kann schon
13056 als erster Zeuge für das Kloster Pfäfers nicht
mehr unmündig gewesen sein, obwohl auch sein
Lehrer oder Erzieher (pedagogus dominiR. comitis)
unter den Zeugen erscheint.
Heinrich war mit Agnes von Württemberg verhei-
ratet, deren Vater Eberhard 1298 und 12997 mit Ru-
dolf II. am Hof König Albrechts in Nürnberg auftrat.
Zwar wird er erst 1317 und 13228 als Württember-
ger Schwiegersohn bezeichnet, doch muss die Hei-
rat schon um 1305 stattgefunden haben, denn 1322
wurde seine Tochter Adelheid mit Ulrich von Matsch
verheiratet, 13299 sein Sohn Ulrich (filium H. de
Santgans comitis) als Churer Domherr ordiniert. Ul-
rich, den späteren Abt des Klosters Salem, führte bei
der Ordination sein Sarganser Vetter Rudolf IV. in
die Kathedrale Chur. Heinrich begründete die
schwäbische Sarganser Linie und erscheint in Chur-
rätien zum letzten Mal 131310 mit seinem Vater auf
der Burg Sargans als Zeuge der Herren von Schel-
lenberg und von Aspermont. Auf die Ehefrau seines
Bruders Rudolf III. gibt es nur einen einzigen - aller-
dings sehr vagen-Hinweis: Zum Januar 130811 ver-
zeichnet das Rechnungsbuch der Grafen von Tirol
Ausgaben im Inntal für «Leute des Grafen von Sar-
gans» und für eine «Gräfin von Werdenberg». Weil
sich auch die Sarganser nach Werdenberg nannten,
kann es sich bei dieser Werdenbergerin um eine
Gräfin von Sargans gehandelt haben, die von ihren
Gefolgsleuten begleitet war. Als Ehemann einer
sonst unbekannten Sarganser Gräfin mit möglichen
Wurzeln im Etsch- oder Inntal kommt nur Rudolf III.
in Frage.
Dass Rudolf III. verheiratet war, belegt seine
Tochter Margareta: Sie war 132612 die kinderlose
Witwe des Grafen Berthold von Graisbach und er-
hielt nach dessen Tod ihre Morgengabe und eine
Abfindung von 480 Pfund Haller. Damit wurden
auch Ansprüche ihrer Werdenberger und Sarganser
Verwandten abgegolten, nämlich ihrer «Brüder
Heinrich, Hartmann, Rudolf, Albrecht und Hugo».
Margareta heiratete in zweiter Ehe den Grafen Ul-
rich von Pfannberg und wird um 134513 als «Tochter
des Grafen Rudolf von Sargans» und Mutter von
Kindern «beiderlei Geschlechtes» erwähnt. Wenn
sie um 1330 noch Mutter wurde, kann nicht mehr
Rudolf II., sondern muss Rudolf III. ihr Vater gewe-
sen sein. Dies bestätigte ihr Pfannberger Ehemann,
als er 134814 Rudolf IV. von Sargans seinen Schwa-
ger nannte. Margareta dürfte also mit ihren Brüdern
Hartmann und Rudolf IV. um 1305 geboren sein; die
1326 genannten anderen «Brüder» waren ihr Onkel
Heinrich von Sargans und ihre Vettern Hugo III. und
Albrecht I. von Werdenberg.
132215 verpfändete Rudolf II. seine Herrschaft
Vaduz an Vogt Ulrich von Matsch: Burg, Bauhof,
Baumgarten und Mühle in Vaduz und die Eigenleute
in Vaduz und Triesen für 400 Silbermark, die Leute
von Balzers, Mäls, Eschen und zehn Saum Wein aus
dem Vaduzer Weingarten für 300 Mark. Die zweite
Verpfändung betraf die Mitgift seiner Enkelin (ze
unsers sons tochter) Adelheid, der Tochter seines äl-
teren Sohnes Heinrich. Offenbar konnten die Sar-
ganser Grafen die 300 Mark nicht aufbringen, denn
der Matscher Ehemann erhielt eine jährliche Zah-
lung von 30 Mark oder zehn Prozent, dem üblichen
Zinssatz für Pfandschulden. 132716 verpfändeten
Heinrich und Hartmann weitere zwölf Saum Wein
aus Vaduz für 60 Mark an Ulrich von Matsch. Dieser
letzte gemeinsame Auftritt der beiden Sarganser Li-
nien in einer Sarganser Angelegenheit fand in Bre-
216
DER VATER HARTMANNS, DES ERSTEN GRAFEN
VON VADUZ / HEINZ GABATHULER
genz statt und belegt, dass Rudolf II. und Rudolf III.
bereits verstorben waren und Rudolf IV. noch nicht
volljährig war.
Zur Vier-Brüder-These hat veranlasst, dass Hein-
rich, Hartmann und Rudolf 1326, 1327 und 13304 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
«Gebrüder» genannt wurden. Diese Bezeichnung
trifft aber für Onkel und Neffen zu, denn sie galt
nicht nur für Brüder, sondern auch für Brudersöh-
ne. 1324 und 132518 wird Hartmann auch nach ei-
nem Rudolf «Bruder» genannt, jedoch nur in einer
Abschrift aus dem österreichischen Archiv von Ba-
den und in einem Verzeichnis aus dem Klosterar-
chiv von Salem. Deshalb ist mit einem späteren Ver-
schrieb für Vater und Sohn zu rechnen, denn der
noch unmündige Bruder kann nicht gemeint sein.
Falls dies zutrifft, sind diese beiden Nennungen die
einzigen Belege für einen Auftritt Rudolfs III. mit ei-
nem seiner Söhne. Hartmanns Grossvater und Vater
starben 1322/23 und 1325/26: Vermutlich ist in den
rätischen Urkunden gelegentlich Rudolf III., in den
schwäbischen aber immer Rudolf II. gemeint, der
1294 bis 132219 auf der Burg Schmalegg urkundete.
Das Salemer Verzeichnis 1325 bezeichnet die Sar-
ganser sogar als Grafen von Schmalegg (comitum de
Smalnegge), und von Schmalegg nannte sich auch
Erstes Siegel des Grafen
Hartmann III. von Wer-
denberg zu Vaduz, in Ver-
wendung von 1331 bis
1342, 0 37 mm.
Zweites Siegel des Grafen
Hartmann III. von Werden-
berg zu Vaduz, in Verwen-
dung im Jahr 1333, 0 30
mm. Eine weibliche Figur
hält in ihrer Rechten den
Wappenschild von Werden-
berg-Sargans, in ihrer Lin-
ken den dazu gehörenden
Wappenhelm.
4) 1289, 1291, 1301: UBSSG II, Nr. 797, 816, 926.
5) 1307, 1308: UBSSG II, Nr. 1003, 1009.
6) 1305, 1308: UBSSG II, Nr. 969, 980, 1017.
7) 1298, 1299: LUB 1/3, Nr. 231, 232.
8) 1317, 1322: LUB 1/5, Nr. 64, 215, 369.
9) 1322, 1329: UBSSG II, Nr. 1210, 1303.
10) 1313: LUB 1/6, Nr.100.
11) 1308: LUB 1/5, Nr. 47 (2. Januar), 48 (5. Januar).
12) 1326: LUB 1/5, Nr. 72.
13) (1345): LUB 1/5, Nr. 441.
14) 1348: BUB V, Nr. 2893.
15) 1322: UBSSG II, Nr. 1206, 1210.
16) 1327: UBSSG II, Nr. 1271.
17) 1326, 1327, 1330: UBSSG II, Nr. 1264, 1271, 1315.
18) 1324, 1325: UBSSG II, Nr. 1250, 1257.
19) 1294-1322: LUB 1/3, Nr. 241; LUB 1/5, Nr. 205, 420, 518.
Drittes Siegel des Grafen
Hartmann III. von Wer-
denberg zu Vaduz, in Ver-
wendung von 1343 bis
1353, 0 34 mm (vgl. dazu
Abb. auf Seite 214).
217
der Schreiber Friedrich, der 1312 bis 133020 für Va-
ter und Söhne von Sargans tätig war. Rudolf II. trat
zum letzten Mal mit seinen beiden Söhnen im Sep-
tember 1322 auf; Rudolf III. fehlte im Oktober
132621 bei der Abfindung Margaretas, der Witwe
von Graisbach.
Wahrscheinlich war es Rudolf III., der mit Graf
Wilhelm von (Montfort-)Tettnang 1304 den Bischof
von Basel überfiel und ausraubte. Für dieses Verge-
hen wurde er vom Papst exkommuniziert, von den
Königen geächtet und bis 1314 zur Wiedergutma-
chung aufgefordert. Obwohl die Acht noch 132322 -
also nach dem vermuteten Tod seines Vaters - be-
stätigt wurde, entging Rudolf III. zwar einer Strafe,
konnte aber kaum mehr ausserhalb Churrätiens
auftreten. Der Überfall 1304 erklärt vielleicht seinen
Aufenthalt 1305 mit seinem Pädagogen in Pfäfers
oder Sargans, wo er nicht zur Nacherziehung, son-
dern zum Schutz vor Verfolgung weilte. Geschützt
haben dürfte ihn aber, dass sein Vater Rudolf II. ein
wichtiger Gefolgsmann von drei Habsburger Köni-
gen war. Sein Bruder Heinrich hingegen stand mit
den schwäbischen Verwandten auf der Seite König
Ludwigs des Bayern, der 1322 den Habsburger Ge-
genkönig Friedrich von Österreich in der Schlacht
bei Mühldorf besiegte. 1322 schloss Heinrich mit
dem siegreichen König, 132423 Rudolf III. mit den
österreichischen Herzogen einen Soldvertrag ab,
obwohl die päpstliche Exkommunikation noch gül-
tig und die königliche Acht bestätigt waren.
Nach dem Tod seines Vaters handelte Hartmann
1327 bis 132924 allein in Sarganser Angelegenhei-
ten; Rudolf IV. trat selbständig erst 1329 bei der Or-
dination des schwäbischen Vetters in Chur auf. Falls
Hartmann um 1324 und Rudolf IV. um 1329 volljäh-
rig wurden, müsste nach der bisherigen Genealogie
Rudolf II. um 1305 - also gleichzeitig mit seinen
Söhnen - eine zweite Ehe eingegangen und 50-jäh-
rig noch Vater geworden sein. Und die Kinder aus
dieser zweiten Ehe könnten sogar später geboren
sein als seine Enkelin, die 1322 verheiratet wurde.
Solche Annahmen sind wohl unhaltbar: Rudolf II.
war der Grossvater, Rudolf III. der Vater von Hart-
mann, Rudolf IV. und ihrer Schwester Margareta.
Nach einer späteren Abschrift traten Hartmann und
Rudolf IV. schon 1317 als Zeugen für das Kloster
Pfäfers auf, doch ist dies unmöglich. Weil Hartmann
kein Verschrieb für Heinrich sein kann, der sich im
gleichen Monat 13 1 725 mit seinem Württemberger
Schwiegervater in Konstanz befand, muss die Datie-
rung der Pfäferser Urkunde verschrieben sein.
133726 überliess Hartmann Burg und Städtchen
Sargans seinem Bruder als Morgengabe für dessen
Ehefrau Ursula von Vaz. Der Verzicht des älteren zu-
gunsten des jüngeren Bruders auf ihren Stammsitz
hat zur Drei-Brüder-These veranlasst, dass Ru-
dolf III. und Rudolf IV. identisch sein könnten. Doch
stellt sich allenfalls die Frage, warum der Jüngere
eine der beiden Vazer Erbtöchter heiratete, nicht
aber, warum der Ältere auf Sargans verzichtete.
Denn in eine Heirat konnten die Grafen von Sargans
nur noch ihren Stammsitz als Sicherheit einbringen,
weil die Herrschaft Vaduz an Ulrich von Matsch ver-
pfändet war. Hartmann musste der Morgengabe von
Sargans zustimmen, um die Vazer Heirat zu ermög-
lichen, und verlor wie sein Bruder die volle Verfü-
gungsgewalt über die als Sicherheit verpfändete
Herrschaft. Dafür erhielt Hartmann wie sein Bruder
1338 die bischöflichen Lehen, die Ursula nach dem
Tod ihres Vaters Donat von Vaz empfing, und 134227
auch einen Erbanspruch auf die Habsburger Lehen
Friberg und Jörgenberg. Dass dieses Heiratsge-
schäft von erheblicher erbrechtlicher Bedeutung
war, zeigt die Garantie der Vazer Morgengabe durch
Albrecht I. von Werdenberg.
Die beiden Vazer Schwiegersöhne Friedrich von
Toggenburg und Rudolf IV. von Sargans lösten im
März 1338 Ulrich von Matsch für 700 Silbermark
aus der Gefangenschaft der Freiherren von Rhä-
züns. Das Lösegeld entsprach der Pfandsumme auf
der Herrschaft Vaduz und konnte von den Sargan-
ser Grafen nur teilweise aufgebracht werden. Denn
die Burg Vaduz, «die Vogt Ulrich von Matsch ver-
setzt worden», ging im Dezember 133828 an Graf Ul-
rich von (Montfort-)Feldkirch als Leibgeding, als Le-
hen auf Lebenszeit. Dafür musste der Montforter die
Burg Wynegg, die ein churbischöfliches Lehen war,
dem Toggenburger überlassen, der offenbar einen
Teil des Lösegeldes bezahlt hatte. Mit ihrer Zahlung
lösten die Sarganser Brüder zwar einen Teil des
218
DER VATER HARTMANNS, DES ERSTEN GRAFEN
VON VADUZ / HEINZ GABATHULER
Pfandes von 1322, aber die Burg Vaduz mit Zubehör
wechselte nur den Pfandbesitzer. Vaduz war Gegen-
stand einer Umschuldung mit Toggenburger und
Montforter Hilfe; immerhin war nun dieses Pfandle-
hen auf die Lebenszeit des kinderlosen Ulrich von
Feldkirch beschränkt. Das Leibgeding dürfte bis zur
Teilung 134220 21 22 23 24 25 26 27 28 29 zwischen Hartmann und Rudolf IV.
nicht aufgehoben worden sein, denn der Teilungs-
vertrag hält fest, dass jeder Bruder die Pfänder in
seiner Teilgrafschaft (in sinem tail gelegen) allein
auslösen müsse.
Eine Teilung hätten die Brüder jederzeit durch-
führen können, doch fehlte offenbar ein Anlass. Ihn
bot wohl die Heirat Hartmanns mit einer Grossnich-
te Ulrichs von Feldkirch, denn die Nachkommen
beider Brüder mussten vor gegenseitigen Ansprü-
chen geschützt werden. Das Ergebnis der Teilung
war seit 1337 vorgegeben: Hartmann erhielt alles,
worauf Ursula von Vaz keinen Anspruch hatte, und
Rudolf IV. behielt die Herrschaft Sargans, womit er
die Vazer Morgengabe versichert hatte. Der grösse-
re Teil der Grafschaft mit allen rechtsrheinischen
Gütern und Rechten wurde zur Grafschaft Vaduz.
Dass diese Teilung das ganze Haus Montfort-Wer-
denberg-Sargans betraf, zeigen die beteiligten Her-
ren Albrecht I. von Werdenberg als «Chef des Hau-
ses», Abt Ulrich von Salem als Sarganser Vetter und
Friedrich von Ried als Gefolgsmann Wilhelms von
Tettnang. Hartmanns Verzicht auf den Stammsitz
bei der Vazer Heirat brachte ihm bei seiner Montfor-
ter Heirat die übrige Grafschaft ein. Und mit seiner
Heirat behauptete er auch seinen Sitz Vaduz, der mit
dem Montforter Leibgeding belastet war.
Hartmanns Vater Rudolf III. hinterliess keine
deutlichen Spuren in den schriftlichen Quellen, weil
er den Grossvater Rudolf II. nur um drei Jahre über-
lebte und weil er in keiner Urkunde als selbständig,
sondern immer mit einem «Bruder» handelnder
Graf von Sargans erscheint. Wohl deshalb hat die
bisherige Literatur seine Bedeutung für die Genea-
logie der Grafen von (Werdenberg-Sargans-)Vaduz
übersehen.
20) 1312-1330: UBSSG II, Nr. 1069, 1076; LUB 1/5, Nr. 221, 226,
230.
21) 1322, 1326: LUB 1/5, Nr. 72, 219.
22) 1304-1314: UBSSG II, Nr. 967, 1106; 1323: LUB 1/5, Nr. 65.
23) 1322: LUB 1/5, Nr. 64; 1324: UBSSG II, Nr. 1250.
24) 1327-1329: UBSSG II, Nr. 1275, 1287, 1299.
25) 1317: UBSSG II, Nr. 1151 (11. November); LUB 1/5, Nr. 215, 369
(9. November).
26) 1337: UBSSG II, Nr. 1374, 1375.
27) 1338, 1342: BUB V, Nr. 2629, 2705.
28) 1338: UBSSG II, Nr. 1380, 1389.
29) 1342: BUB V, Nr. 2716.
219
QUELLEN
BUB: Bündner Urkunden-
buch, Bd. V. Chur, 2005.
LUB: Liechtensteinisches
Urkundenbuch, Teil I, Bde.
3, 5-6. Vaduz 1975-1996.
UBSSG: Urkundenbuch
der südlichen Teile des
Kantons St. Gallen, Bd. II.
Rorschach, 1982.
BILDNACHWEIS
S. 214: Hansjörg Fröm-
melt, Liechtensteinische
Landesarchäologie
S. 217: Ferdinand Gull:
Die Grafen von Montfort,
von Werdenberg-Heiligen-
berg und von Werdenberg-
Sargans. Neuchâtel, 1891,
S. 52
ANSCHRIFT DES
AUTORS
Heinz Gabathuler
Plans
CH-9479 Oberschan
220
REZENSIONEN
Inhalt
223 Konfession, Nation und Rom.
Metamorphosen im schweizerischen und
europäischen Katholizismus
Martina Sochin
226 Triesenberger Wörtersammlung
Anton Banzer
REZENSIONEN
KONFESSION, NATION UND ROM
Konfession, Nation und Rom
METAMORPHOSEN IM SCHWEIZERISCHEN
UND EUROPÄISCHEN KATHOLIZISMUS
MARTINA SOCHIN
Zwanzig Jahre nach seinem Referenzwerk «Katho-
lizismus und Moderne» legt Urs Altermatt mit dem
Buch «Konfession, Nation und Rom» ein neues Buch
zum Schweizer Katholizismus des 19. und 20. Jahr-
hundert vor, in welchem er die schweizerische mit
einer transnationalen Perspektive verbindet und
insbesondere auf «die komplexen Konkurrenzsi-
tuationen, Verschränkungen und Überlagerungen»
(S. 24) von Nationalstaat und Katholizismus eingeht.
Dass Fragen, die sich mit dem Verhältnis von Na-
tion und Religion beschäftigen, in den letzten Jahren
an Relevanz gewonnen haben, zeigt nicht nur die
ständig wachsende Anzahl an wissenschaftlicher
Literatur zu diesem Thema. Auch gesellschaftspoli-
tisch zeigt sich verstärkt, dass diese beiden Fakto-
ren nicht unabhängig voneinander betrachtet wer-
den können und in vielen Bereichen hochaktuell
sind. In erster Linie treten zu Beginn des 21. Jahr-
hunderts dabei europäische und aussereuropäische
ethnonationale Konflikte ins Blickfeld, die in den
meisten Fällen ein religiöses Element in sich tragen.
In gleicher Weise wie die Einwanderungsgesell-
schaften Westeuropas in den vergangenen Jahr-
zehnten ausländische (auch nicht-christliche) Arbeits-
migranten aufgenommen haben, müssen sie sich in
den heutigen multikulturellen Gesellschaften Ge-
danken um ein integratives Miteinander auch im re-
ligiösen Bereich machen. Nicht zuletzt betrifft das
Begriffspaar Religion und Nation wie am Beispiel
Liechtensteins deutlich wird, auch gesellschaftlich
kontroverse Diskussionen wie die Entflechtung von
Staat und Kirche.
In seinem neuen Buch beschäftigt sich der an der
Universität Freiburg (Schweiz) lehrende Historiker
mit den Beziehungen und Interdependenzen zwi-
schen Religion und Nation in Europa. Altermatt
stellt dabei fest, dass auf die Nation und den Natio-
nalstaat ausgerichtete Ideologien seit dem 19. Jahr-
hundert eine Funktion erhielten, welche im 16. und
17. Jahrhundert der Religion zugeschrieben worden
war. Während in der frühen Neuzeit Religion als ent-
scheidendes Element gesellschaftlicher Inklusion
und Exklusion galt, nahmen die neu entstehenden
Nationalstaaten im ausgehenden 19. Jahrhundert
zunehmend diese Position ein.
Urs Altermatt
Konfession
Nation und Rom
Urs Altermatt:
Konfession, Nation und
Rom. Metamorphosen im
schweizerischen und
europäischen Katholizis-
mus des 19. und 20. Jahr-
hunderts.
Verlag Huber, Frauenfeld,
2009, 442 Seiten.
CHF 58.-.
ISBN 978-3-7193-1457-6
223
Von einer Makroperspektive ausgehend, wirft Al-
termatt in einem einleitenden Kapitel (Kapitel II) zu-
erst einen transnationalen Blick auf Religionen und
im Besonderen den Katholizismen in Europa im 19.
und 20. Jahrhundert, welchen er in Kapitel III als
profunden Kenner des Schweizer Katholizismus am
schweizerischen Beispiel konkretisiert. Auf eine Mi-
kroperspektive übergehend, hebt Altermatt dann in
Kapitel IV verschiedene Bereiche und Beispiele von
Erinnerungs- und Geschichtspolitik(en) im Natio-
nalstaat Schweiz hervor. Seine Fragen zum Verhält-
nis von Religion und Nation aus geschichtspoliti-
scher, aber auch kulturgeschichtlicher Perspektive,
führt Altermatt schliesslich in einem längeren
Schlusskapitel mit Thesen zum Erosionsprozess von
Nation und katholischer Sondergesellschaft an-
schaulich zusammen.
Anhand des Beispiels Tessin weist der Freiburger
Historiker in seiner transnationalen Perspektive auf
die europäischen Katholizismen darauf hin, dass
nicht alle sprachlichen und konfessionellen Minder-
heitenstellungen innerhalb Europas zu Separati-
onswünschen der betreffenden Minderheiten von
der grossen Mehrheit führen mussten oder müssen.
Er führt dies auf eine aussergewöhnliche Konstella-
tion der beiden Faktoren Religion und Nation zu-
rück. Der italienischsprachige und katholische Kan-
ton Tessin verspürte nie den Wunsch nach einem
Anschluss an Italien und einer damit verbundenen
Loslösung von der mehrheitlich deutschsprachigen
und überwiegend protestantischen Schweiz. Dies
deshalb, so Altermatt, weil weltanschauliche Kon-
flikte zwischen den konservativen Katholiken und
den antiklerikalen Liberalen, die innerhalb des Kan-
tons Tessin stattfanden, gleichzeitig den nationalen
Zusammenhalt mit Gleichgesinnten über die Kan-
tonsgrenzen hinaus stärkten. Dabei wurde, so die
These Altermatts, die italienischsprachige Minder-
heit über religiös-politische Loyalitäten in den schwei-
zerischen Nationalstaat integriert. Damit konsta-
tiert er für die Schweiz ein Gegenbeispiel zur allge-
meinen europäischen Entwicklung und verweist da-
bei auf Fälle wie beispielsweise das Südtirol oder
Transsilvanien.
Den schon im Buch «Katholizismus und Moder-
ne» im Jahr 1989 festgestellten Wandel von Menta-
litätsstrukturen innerhalb des schweizerischen Ka-
tholizismus im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts
greift Altermatt unter anderem in seinem Kapitel
zur katholischen Geschichtsschreibung und Ge-
schichtskulten nochmals anhand herausragender
Ereignisse auf. Die Entfremdung breiter Bevölke-
rungsschichten von der institutionellen Kirche und
von Rom erklärt er nicht nur mit einem allgemein
stattfmdenden gesellschaftlichen Mentalitätswan-
del. Einen zunehmenden «antirömischen Affekt»
(S. 227) im Zuge des allgemein stattfindenden Men-
talitätswandels veranschaulicht er anhand ausge-
wählter Beispiele wie der Hochhuth-Debatte in den
1960er Jahren oder im für Liechtenstein besonders
relevanten Kapitel zur «Haas-Affäre» (S. 251-254).
Die Ernennung von Wolfgang Haas zum Weihbi-
schof von Chur im Frühling des Jahres 1988 und die
damit nach Experten durch den amtierenden Papst
Johannes Paul II. erfolgte Verletzung des Völker-
rechts, indem «innerkirchlich relevante Zusiche-
rungen nicht eingehalten und Verfahrensregeln
missachtet» (S. 251) wurden, beschreibt Altermatt
als gesellschaftliche «kirchenpolitische Protestwel-
le» (S. 251), wie sie die Schweiz seit dem Kultur-
kampf im 19. Jahrhundert nicht mehr erlebt habe.
Bezeichnet Altermatt die Debatten um Stephan
Pfürtner und Hans Küng noch als hauptsächlich eli-
täres Phänomen, vermerkt er für den Fall Haas die
Erfassung der breiten Massen von dieser rom-kriti-
schen Haltung, welche die «Entfremdung weiter Ka-
tholikenkreise von der Kirche als Institution und da-
mit vom Papst» (S. 253) förderte.
Der Historiker Urs Altermatt beschreibt in sei-
nem Buch auf anschauliche und mit zahlreichen
Beispielen unterlegte Art und Weise das enge Bezie-
hungsgeflecht von Religion und Nation. Er durch-
leuchtet dabei religiöse und nationale Identifikati-
onsfaktoren, wobei er im Schlusskapitel feststellt,
wie sich nicht nur religiöse Identifikationsformen
im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zu modifizie-
ren und aufzulösen begannen, sondern mit einer zu-
nehmenden Individualisierung und Pluralisierung
der Gesellschaft auch eine gleichzeitige Erosion na-
224
REZENSIONEN
KONFESSION, NATION UND ROM
tionalstaatlicher Identifikationsformen einherging.
Ähnlich wie den kirchlichen Institutionen schreibt
er auch den europäischen Nationalstaaten am Ende
des 20. Jahrhunderts Identitätskrisen zu. Sein Buch
kann nicht zuletzt damit als Plädoyer für eine Ge-
schichtsschreibung verstanden werden, in der Reli-
gion als konstituierender Faktor von (nationalstaat-
licher) Geschichtsschreibung nicht ausgeklammert
werden darf.
225
Triesenberger Wörtersammlung
ANTON BANZER
Herbert Hübe:
Triesenberger Wörter-
sammlung
Eigenverlag der Gemeinde
Triesenberg 2009,
224 Seiten. CHF 38.-.
ISBN: 978-3-033-02046-7
Als Abschluss einer langjährigen Sammeltätigkeit,
die 1984 ihren Anfang nahm, hat die Kulturkom-
mission der Gemeinde Triesenberg im Eigenverlag
Herbert Hilbes Triesenberger Wörtersammlung he-
rausgegeben.
Der Autor, ein gebürtiger Triesenberger, legt hier
auf 224 Seiten eine Arbeit von bedeutendem Wert
vor. Es handelt sich um eine systematisch aufgebau-
te, alphabetisch angeordnete Reise in die Gegen-
wart und vor allem auch in die jüngere Vergangen-
heit der Triesenberger Mundart. Das Idiom der im
13. Jahrhundert aus dem Wallis zugewanderten
Menschen am «Bäärg», wie sie selbst ihr Heimat-
dorf Triesenberg nennen, hat sich bis in die Neuzeit
erstaunlich gut erhalten. Triesenberg ist eine
Sprachinsel innerhalb Liechtensteins geblieben.
Seine Walsermundart gehört innerhalb des Aleman-
nischen zum Höchstalemannischen, während das
übrige Liechtenstein Mundarten spricht, die nieder-
und hochalemannischen Charakter haben.
Erst seit wenigen Jahrzehnten verflachen zahl-
reiche Eigenheiten der Triesenberger Mundart auf
Grund der veränderten Lebensweise und der elek-
tronischen Kommunikationsmöglichkeiten mit er-
höhter Geschwindigkeit. Manches ist bereits gänz-
lich aus dem Sprachgebrauch verschwunden, ande-
res wird unweigerlich folgen. Noch aber leben Ver-
treter jener Generationen, die im bäuerlich
geprägten Dorf hoch über der Rheinebene aufge-
wachsen sind und lange nur sporadisch Kontakt zu
den Nachbarn im Tal hatten. Aus ihrem Umfeld
stammt der Grossteil des Materials für die Wörter-
sammlung Herbert Hilbes. Entweder wurde es aus
publizierten Texten exzerpiert oder in direkter Be-
fragung gewonnen.
Die Sammlung enthält Hunderte von Wörtern, die
ganz unspektakulär sind, da sie in anderen Mundar-
ten ganz ähnlich lautend Vorkommen und sozusa-
gen den normalen Wortschatz bilden. Solche Wörter
bilden den Grundstock jedes Wörterbuchs, so auch
der Wörtersammlung von Herbert Hübe. Chunna
<können> gehört etwa dazu oder Mamma <Mutter>
oder schier Hast, beinahe) oder räära <weinen> und
viele alltägliche Wörter mehr. Natürlich sind es aber
vor allem die Eigenheiten, die in lautlicher oder lexi-
226
REZENSIONEN
TRIESENBERGER WÖRTERSAMMLUNG
kalischer Hinsicht den Bäärger Dialekt prägen, die
der spezielle Anlass zur Schaffung der Wörter-
sammlung waren und die für die Leserschaft von
besonderem Interesse sind. Hierher gehören etwa
schoonli <schonend>, stäupa <stieben> oder suppna
<eine Suppe kochen) oder vertüent werschwende-
risch) oder dischgariera diskutieren) - allesamt
Wörter, die für Manche gerade noch ohne Bedeu-
tungsangabe verständlich sein dürften. Schon
schwieriger wird es aber bei Apazeener, welches
<Erstklässlen bedeutet und eine Ableitung zu ABC
ist, oder bei sälbander, welches <schwangen meint
und dessen beide Wortteile selb(st) und ander zu-
sammen die Bedeutung <zu zweit) ergeben. Und wer
weiss schon, dass Zwärischt <Durcheinander, Un-
ordnung) heisst, Mateeri <Eiten, Gschpoor <Vor-
dach), Dürband <Durchschnitt) und chlufreess <hei-
kel). Herbert Hilbes Wörtersammlung liefert zu
Hauff banales Wortgut direkt neben Kostbarkeiten,
die längst aus der Umgangssprache auch der aller-
meisten Triesenbergerinnen und Triesenberger ver-
schwunden sind.
Eine auf Papier gebrachte Sammlung kann den
Verlust der typischen lautlichen Merkmale, des bäu-
erlichen Wortschatzes und der örtlichen Ausdrucks-
weisen nicht aufhalten, sie kann aber als Museum
dienen, aus welchem die interessierte Leserschaft
mannigfache Eindrücke mitnimmt. Ein Museum
von Mundartwörtern nennt Herbert Hübe deshalb
seine rund 4000 Einträge umfassende Sammlung
zum Triesenberger Dialekt. Der Autor legt speziell
auch Wert auf die Unterscheidung von einem Wör-
terbuch im herkömmlichen Sinn. Ein wissenschaft-
licher Anspruch, so weist er in seinem Vorwort hin,
bestehe nur begrenzt, denn die Gestaltung der Wort-
artikel sei pragmatisch und populär.
Was Herbert Hübe damit auszudrücken versucht,
zeigt das Dilemma, in welchem er sich als Verfasser
befand. Auf der einen Seite sollte es ein Werk «für
die Leute)) werden. Es sollte populär, das heisst
leicht verständlich, lesbar und knapp sein. Auf der
anderen Seite fühlte sich der Autor als ehemaliger
Redaktor eines namenkundlichen Grossprojekts je-
doch auch einem gewissen wissenschaftlichen An-
spruch verpflichtet. Diesen versucht er auf pragma-
tische Art und Weise zu erfüllen. Dort, wo die Leser-
schaft in der Lage sein sollte, das Stichwort, seine
Bedeutung und Verwendung ausreichend zu verste-
hen, verzichtet er auf wissenschaftlichen Ballast.
Dort hingegen, wo sinnvoll und notwendig, sieht er
sich veranlasst, den Worteinträgen verschiedene In-
formationen beizugeben, die über die Grundaus-
stattung hinausgehen.
Zur Grundausstattung jedes Wortartikels gehört
das eigentliche Stichwort (Lemma), welches fett ge-
schrieben ist. Ihm folgen grammatische Angaben.
Bei Nomina sind es das Geschlecht sowie allfällige
Mehrzahl- oder Verkleinerungsformen. Bei Verben
wird in Klammer das Partizip Perfekt angegeben,
zum Beispiel floggna (gfloggnat). Nach dem Lemma
steht die Bedeutung des Wortes in einfachen Anfüh-
rungszeichen (<stark schneien, flocknem). Die
Schreibweise der Wörter richtet sich nach der Dieth-
Schrift, einem einfachen Regelwerk für Mund-
artschreibung, welches ohne Sonderzeichen aus-
kommt.
Ergänzende Informationen, die fallweise vorhan-
den sind, sind insbesondere Angaben zur besonde-
ren, vom üblichen Betonungsmuster abweichenden
Aussprache, Hinweise zur Wortherkunft aus einer
älteren deutschen Sprachstufe oder aus einer
Fremdsprache sowie gelegentliche grammatische
Erläuterungen.
Die Triesenberger Wörtersammlung kommt mit
diesem populär-pragmatischen Ansatz ganz gut zu-
recht. Einträge wie beispielsweise daheimat <zu-
hause) brauchen keinen Aussprachehinweis, da
schriftsprachliches daheim analog ausgesprochen
wird. Anders hingegen bei danundig detzthin), wel-
ches auf dem u betont wird und zu dem es keine hel-
fende Entsprechung in der Schriftsprache gibt. Hier
gibt Herbert Hübe Anleitung mit einer in eckigen
Klammer gesetzten Ausspracheform [danundig],
die den Akzent hervorhebt. Analoges gilt bei Zabii
<Spitzhacke der Holzhauer zum Hebeln und Ziehen
von Baumstämmen), wo die Angabe [tsabi:] die Be-
tonung auf der zweiten Wortsilbe anzeigt und die
Längung des betonten Vokals (durch einen Doppel-
punkt) markiert ist. Auch hier ist diese Angabe sehr
sinnvoll, da es keine schriftsprachliche Entspre-
227
chung für dieses Wort gibt. Vielmehr wird im ent-
sprechenden Artikel auf seine Herkunft aus rätoro-
manisch zapin hingewiesen. Weitere Wörter, von
denen man erfährt, dass sie ihren Ursprung im Rä-
toromanischen haben sind etwa Murälli <Hund> (rä-
toromanisch murel <Halsband für Hunde und Kat-
zen)), Spuusa <Braut> oder Batzger <Hilfsbursche
auf der Alp>.
Das rätoromanische Wortgut haben die Triesen-
berger nach ihrer Einwanderung von der altansäs-
sigen Bevölkerung übernommen, andere Fremd-
wörter sind aus dem Französischen oder Italieni-
schen eingeflossen. Die Anzahl dieser Wörter ist er-
staunlich gross: Ferchanz <frei von der Arbeit) (frz.
vacances <Ferien)), supäärt <ausgesprochen schön)
(frz. superbe), Turmenta <Eigenheiten, komische
Gewohnheiten) (ital. tormento <Plage, Qual, Nerven-
säge)), tuschuur <immer, andauernd) (frz. toujours),
grampoola <Lärm machen) (frz. caramboler <zu-
sammenstossen)) oder parla unverständlich re-
den) (ital. parlare, frz. parier) sind nur wenige,
ganz zufällig ausgewählte Beispiele für Wörter der
Triesenberger Mundart, die nicht deutschen Ur-
sprungs sind.
In seiner Sammlung bemüht sich Herbert Hübe
aber nicht nur bei Fremdwörtern, die Herkunft der
Stichwörter anzugeben, sondern fallweise auch
beim deutschen Wortgut. Hier leistet die Nennung
der mittelhochdeutschen Wortform einen doppelten
Dienst. Der Vergleich mit der rund eintausend Jahre
älteren Form zeigt einerseits, welche alten Wörter
sich über viele Jahrhunderte erhalten haben und er
zeigt andererseits, ob und wie das Wort sich in der
Mundart von Triesenberg verändert hat. Das alte
Triesenberger Wort für einen Holzbohrer lautet
Nägwer. Aus mittelhochdeutscher Zeit ist es als na-
beger überliefert. Ärischt <Ernsthaftigkeit) hiess
mittelhochdeutsch (mhd.) ernest, Bildara <Zahn-
fleisch) gehört zu mhd. büren, gauma <Kinder hü-
ten) stammt aus mhd. goumen, geechzoornig jäh-
zornig) hiess mhd. gaechzornic, Migga <süssliches
Weissbrotgebäck) kommt von mhd. micke <kleines
Brot), Sila <Hosenträgen gehört zu mhd. sile und
schlems <schräg, diagonal) zu mhd. slimbes <schief).
Zahlreiche Wortartikel der Triesenberger Wör-
tersammlung sind mit Satzbeispielen ausgestattet
und illustrieren so die Verwendung und Einbettung
der Stichwörter in der gesprochenen Sprache. Oft
sind es stehende Wendungen, Redensarten oder
Sinnsprüche. Auch hier kann eine Auswahl nur an-
deuten, welche Fundstücke sich auf den eng be-
druckten Buchseiten verbergen: A ma Helaga tuad
ma kä Wüsch uf d Hengi <an einem hohen kirchli-
chen Sonntag hängt man keine Wäsche auf). Oder:
Wenn ma eim ättas Schlächtsch wünscha wett, de
weer s ds Vergnüaga a baram Gääld, an bööscha
Nachpuur und as Hüüsli aani Fach <wenn man je-
mandem etwas Schlechtes wünschen wollte, dann
wäre es das Vergnügen an barem Geld, einen bösen
Nachbarn und ein kleines Haus ohne Dach). Oder:
Moorgaträga und Wiiberwee sind am Nüüni niana
mee <Regen am Morgen und das Jammern von
Frauen sind bis 9 Uhr schon vorbei). Oder: A Liecht-
mäss sött no di besser Hälfti vam Heustogg umma
sii <an Lichtmess (2. Februar) sollte noch die (quali-
tativ) bessere Hälfte des Heuvorrates verfügbar
sein). Oder: Liaber an Luus uf am Chruudf as gar käs
Fleisch dieber eine Laus auf dem Kraut, als gar kein
Fleisch). Oder auch: Vor a Schindlatanna und ara
mälcha, guata Chua sött ma dr Huad lüpfa <vor ei-
ner Schindeltanne und einer guten Kuh, die viel
Milch gibt, sollte man grosse Achtung haben). Und
zahlreich sind auch Kinder- und andere Reime wie
zum Beispiel: MichheltU Machheltl brunzat i ds
Chachhelti ds Chachhelti rinnd, ds Michhelti stingt.
Oder: Um und um sind d Läda zua, und um und um
gid s Meitla gnuag, und wem a will di schönschta
druus, muas ma haltga Fromahus.
Diese Sätze sind wie Schlaglichter in die Volks-
kunde. Sie lassen erahnen, wie die Menschen am
Bäärg gelebt haben und welche Wertvorstellungen
ihr Zusammenleben prägten. Sie zeigen oft auch wie
prägnant die Einheimischen Sachverhalte auszu-
drücken wussten. Diese Sätze aus dem Leben der
Triesenberger werten die Wörtersammlung zusätz-
lich auf. Schade, dass man sie bisweilen etwas su-
chen muss. Schade, dass nicht noch weit mehr von
ihnen Eingang in Herbert Hilbes Werk gefunden ha-
ben.
228
REZENSIONEN
TRIESENBERGER WÖRTERSAMMLUNG
Immer hilfreich ist beim Stöbern in der Wörter-
sammlung aber das grosszügige Verweissystem. Bei
vielen Einträgen leitet ein mit Pfeil markiertes Stich-
wort zu einem anderen über, eröffnen dort neue As-
pekte, verführt dazu, zu verweilen, weiter zu lesen,
zum nächsten Verweis zu springen und sich so auf
unvorhersehbaren Wegen durch das Buch und den
Triesenberger Dialekt zu bahnen. Herbert Hilbes
Triesenberger Wörtersammlung kommt unschein-
bar daher, ohne Illustrationen, ohne Fotos, ohne zu-
sammenhängende Textproben. Wer aber bereit ist,
einzutauchen, droht zu ertrinken.
229
ANSCHRIFTEN DER
AUTOREN
lic. phil. Martina Sochin
Auf Berg 36
FL-9493 Mauren
lic. phil. Anton Banzer
Hainweg 3
FL-9495 Triesen
230
JAHRESBERICHT
DES HISTORISCHEN
VEREINS FÜR DAS
FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 2009
Inhalt
233 Tätigkeitsbericht des Vereins pro 2009
240 Bilanz 2009
241 Erfolgsrechnung 2009
243 Liechtensteinisches Urkundenbuch, Tätig-
keitsbericht 2009
246 Kunstdenkmäler des Fürstentums Liechten-
stein, Tätigkeitsbericht 2009
249 Einbürgerungsnormen und Einbürgerungs-
praxis in Liechtenstein vom 19. bis ins
21. Jahrhundert, Tätigkeitsbericht 2009
253 Korrigenda
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 2009
Tätigkeitsbericht des Vereins
pro 2009
JAHRESVERSAMMLUNG 2009
GESCHÄFTSSITZUNG
Die 108. ordentliche Jahresversammlung fand am
4. April 2009 im Gemeindesaal Gamprin statt. Die
Vereinsvorsitzende Eva Pepic begrüsste die rund 50
Anwesenden. Die Aktuarin Brigitte Haas verlas an-
schliessend das Protokoll der Jahresversammlung
vom 19. April 2008 in Triesenberg. Es wurde ein-
stimmig genehmigt. Der Jahresbericht 2008 war den
Mitgliedern bereits vorgängig zugestellt worden, so
dass die Vereinsvorsitzende Eva Pepic lediglich ein-
zelne Schwerpunkte der vorjährigen Vereinstätigkeit
hervorhob. Daraufhin wurde der Jahresbericht 2008
einstimmig verabschiedet. Der stellvertretende Ver-
einsvorsitzende Fabian Frömmelt würdigte und ver-
abschiedete Klaus Biedermann als langjährigen Ge-
schäftsführer und begrüsste Ruth Allgäuer als neue
Geschäftsführerin. Die Kassierin Irene Lingg-Beck
erläuterte die Jahresrechnung 2008. Das Vorstands-
mitglied Aldina Sievers verlas den Revisionsbericht
von Georg Kieber. Die Jahresrechnung wurde mit
zwei Enthaltungen angenommen und der Vorstand
somit entlastet.
Die Kassierin Irene Lingg-Beck stellte das Budget
2009 vor, das von der Versammlung einstimmig ge-
nehmigt wurde.
Auf Antrag des Vereinsvorstands beschloss die
Versammlung einstimmig, die Jahresbeiträge in der
bisherigen Höhe zu belassen.
AUSBLICK UND FREIE AUSSPRACHE
Die Vereinsvorsitzende Eva Pepic wies auf geplante
Anlässe hin, so auch auf die Präsentation des Jahr-
buches Band 108 im Juni 2009 sowie auf die Buch-
präsentation des dreibändigen Werks von Pfarrer i.R.
Franz Näscher, «Beiträge zur Kirchengeschichte
Liechtensteins» im Spätherbst 2009.
Eva Pepic erinnerte an die Schenkung der beiden
Burgruinen Schellenberg im Jahre 1956 durch Fürst
Franz Josef II. an den Historischen Verein. Der Verein
ist verantwortlich für Erhalt, Sicherheit und Betrieb
der Ruinen. Im Frühjahr 2009 musste die hölzerne
Zugbrücke zur Oberen Burg ersetzt werden. Die Ver-
einsvorsitzende dankte sowohl der Fürstlich-Liech-
tensteinischen Regierung als auch der Gemeinde
Schellenberg, welche zu je 50 Prozent für die Kosten
aufkamen.
Weiters informierte Eva Pepic über die geplante
Gründung einer Denkmalschutz-Stiftung, wofür der
Historische Verein auf Initiative S. D. Prinz Emmeram
von Liechtenstein die Federführung übernommen
hat. Nach erfolgreicher Gründung soll die Stiftung
wieder vom Verein abgekoppelt werden. Im Sinne
einer vertieften Beschäftigung wird dem Thema
«Denkmalschutz» die im Mai stattfindende Exkur-
sion nach Graubünden gewidmet sein.
ÖFFENTLICHER VORTRAG
Nach einem kleinen Imbiss folgte Dr. Peter Geigers öf-
fentlicher Vortrag «Eier-, Milch- und Seifenpunkte,
Einmachkurs und Anbaupflicht». Peter Geiger be-
leuchtete dabei die Versorgungslage Liechtensteins
während des Zweiten Weltkriegs. Eigens zum Vor-
trag hatten sich nochmals einige Zuhörerinnen und
Zuhörer im Gampriner Gemeindesaal eingefunden.
233
An der Jahresversamm-
lung 2009 in Gamprim
Oben, von links: die Vor-
standsmitglieder Fabian
Frömmelt, Brigitte Haas,
Irene Lingg-Beck, die
Geschäftsführerin Ruth
Allgäuer, die Vereinsvorsit-
zende Eva Pepic, Jahrbuch-
Redaktor Klaus Bieder-
mann und Vorstandsmit-
glied Aldina Sievers.
Unten: Peter Geiger
referierte über die Versor-
gungslage in Liechtenstein
während des Zweiten
Weltkriegs.
234
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 2009
VORSTAND UND GESCHÄFTSSTELLE
Der Vereinsvorstand erledigte im Berichtsjahr 2009
seine statutarischen Geschäfte in neun ordentlichen
Sitzungen und einer ausserordentlichen Sitzung. Die
Vereinsvorsitzende Eva Pepic und der stellvertreten-
de Vorsitzende Fabian Frömmelt vertraten den His-
torischen Verein in verschiedenen Arbeitsgruppen
und bei öffentlichen Anlässen.
Ruth Allgäuer legte ihr Amt als Geschäftsführerin
Ende Juni 2009 nieder. Sie ist - befristet bis Ende
2010 - weiterhin mit einem 20 Prozent-Pensum für
den Verein tätig, vor allem in den Bereichen Ablage
und Archiv.
Die Stelle eines Geschäftsführers/einer Geschäfts-
führerin des Historischen Vereins wurde im Frühjahr
2009 neu ausgeschrieben. Aufgrund der eingetroffe-
nen Bewerbungen entschied der Vereinsvorstand die
Anstellung von Marco Schädler. Er nahm im Juni
2009 seine Tätigkeit als neuer Geschäftsführer des
Historischen Vereins mit einem Arbeitspensum von
40 Stellenprozenten auf.
STIFTUNG DENKMALSCHUTZ
S. D. Prinz Emmeram von Liechtenstein trat bereits
2006 mit der Initiative zur Gründung einer privaten
Stiftung Denkmalschutz in Liechtenstein an den His-
torischen Verein heran. Durch einen finanziellen
Sponsorenbeitrag ermöglichte es Prinz Emmeram
schliesslich, dass der Historische Verein die Organi-
sation und Vorbereitung zur Gründung einer solchen
Stiftung an die Hand nehmen konnte.
Roswitha Feger-Risch wurde beauftragt, ein Dos-
sier zu erarbeiten, das als Starthilfe für den künftigen
Stiftungsrat, darüber hinaus aber auch als Grundla-
ge und Dokumentation für Gesuche an künftige Spon-
soren dienen soll. In diesem Zusammenhang führte
der Historische Verein im Mai und im Juni des Be-
richtsjahrs zwei von Michael Biedermann moderier-
te Workshops zur Bedürfnisevaluation durch. Nach
einem von Denkmalpfleger Patrik Birrer gehaltenen
Impulsreferat diskutierten geladene Gäste aus den
Bereichen Politik, Denkmalschutz, Geschichte und
Architektur über Formen, Möglichkeiten und Inhalte
zum Thema «Denkmalschutz». Die Ergebnisse die-
ser Workshops flössen in das Dossier ein, das unter
anderem einen Entwurf der Stiftungs Statuten, ein Or-
ganigramm, ein Finanzierungsmodell, Vorschläge
für Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising sowie den
Entwurf für ein ausführliches Gesuchsschreiben ent-
hält.
Mit dem Inhalt des Dossiers, insbesondere mit den
Statuten, hat sich der Vorstand des Historischen Ver-
eins vor dessen Verabschiedung in mehreren Sitzun-
gen befasst. Als letzte Aufgabe vor der Stiftungsgrün-
dung obliegt es dem Vorstand, geeignete Personen als
Stiftungsrätinnen und -räte anzufragen.
Der neue Geschäftsführer
Marco Schädler nahm
anfangs Juni 2009 seine
Tätigkeit beim Histori-
schen Verein auf.
235
236
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 2009
VERANSTALTUNGEN
EXKURSION NACH VRIN UND VALENDAS
Am 9. Mai 2009 führte der Historische Verein eine
Exkursion zum Thema «Denkmalschutz» durch. 27
Mitglieder und Freunde des Historischen Vereins
durften in Vrin und Valendas (GR) unter der Leitung
von Jürg Ragettli, dem Präsidenten des Bündner Hei-
matschutzes, einen erlebnisreichen und informati-
ven Tag verbringen. Marcus Casutt von der Kantona-
len Denkmalpflege Graubünden führte durch Valen-
das.
EXKURSION IN DEN BREGENZERWALD
Aufgrund mangelnder Anmeldungen musste die für
Herbst 2009 organisierte Exkursion in den Bregen-
zerwald - ebenfalls zum Thema «Denkmalschutz» -
kurzfristig abgesagt werden.
BUCHPRÄSENTATIONEN
JAHRBUCH BAND 108
Rund 50 Interessierte fanden sich am 23. Juni 2009
im Pfarreizentrum Schaan zur Präsentation des 108.
Bandes des Jahrbuchs des Historischen Vereins ein.
Die vier Hauptbeiträge der Autoren Rupert Quaderer,
Gerhard Wanner, Claudio Stucky und Martin Bundi
befassen sich mit dem Kriegsende 1918 im Dreilän-
dereck Vorarlberg, Alpenrheintal und Graubünden.
An der Buchpräsentation sprach Dr. Rupert Quaderer
über «Das Kriegsende 1918 in Liechtenstein und sei-
ne Auswirkungen».
Jahrbuch-Präsentation in
Schaan. Von links: die
Autoren Claudio Stucky,
Rupert Quaderer, Martin
Bundi, Gerhard Wanner,
die Vereinsvorsitzende Eva
Pepic, Jahrbuch-Redaktor
Klaus Biedermann, Buch-
gestalterin Silvia Ruppen,
Autor Norbert W. Hasler
und die Autorin Doris Klee.
237
UHK-SCHLUSSBERICHT IN ENGLISCH
Nachdem der Schlussbericht der Unabhängigen His-
torikerkommission Liechtenstein Zweiter Weltkrieg
(UHK) bereits im Oktober 2005 in Deutsch publiziert
worden war, erschien 2009 die von Graham Martin
übersetzte englische Ausgabe unter dem Titel «Ques-
tions concerning Liechtenstein during the National
Socialist period and the Second World War: Refugees,
financial assets, works of art, production of arma-
ments. Final report of the Independent Commission
of Historians Liechtenstein / Second World War
(ICH)».
BEITRÄGE ZUR KIRCHENGESCHICHTE
LIECHTENSTEINS
Äusserst erfolgreich konnte am 22. November 2009
Pfarrer i.R. Franz Näschers Werk im Pfarreizentrum
Schaan präsentiert werden. Der Saal war bis zum
Bersten voll. Mitglieder, Freunde und Interessierte
pilgerten zum Teil sogar aus Zams in Tirol nach
Schaan, um der Buchpräsentation beizuwohnen.
Auch S. Exz. Erzbischof Wolfgang Haas liess es sich
nicht nehmen, Pfarrer Näscher und dem Histori-
schen Verein die Ehre zu erweisen.
In drei Bänden zu den Seelsorgern in den Ge-
meinden, zu den Berufungen aus den Gemeinden
und zu den Ordensleuten in Schule und Pflege hat
Franz Näscher mit mehr als 1 500 Kurzbiographien
die gesamte historisch fassbare Geistlichkeit in und
aus Liechtenstein dokumentiert.
Präsentation der «Beiträge
zur Kirchengeschichte
Liechtensteins». Von links:
die Vereinsvorsitzende Eva
Pepic, Autor Franz Näscher,
Lektor Klaus Biedermann
sowie Marco Nescher von
der Druckerei Gutenberg.
238
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 2009
MITGLIEDER
Im Berichtsjahr 2009 sind nachfolgende Personen
Mitglieder des Historischen Vereins geworden:
- Christian F. Anrig, Triesen
- Cyrus Beck, Triesenberg
- Hildegard und René Berner, Balzers
- Carmen Egger, Ruggell
- Edgar Frömmelt, Triesenberg
- Nicole Hanselmann, Triesenberg
- Gisela Hemmerle, Vaduz
- Bruno Köpfli, Eschen
- Heinz Näf, Sax
- Dorothee Platz, Sevelen
- Alexander Rohrer, Schaan
- Ildikö Szacsvay, Ruggell
- Johannes Zimmermann, Eschen
Im Berichtsjahr 2009 sind folgende Vereinsmitglie-
der verstorben:
- Claudia Amann, Vaduz
- Elmar Batliner, Eschen
- Wilhelm Büchel, Bendern
- Karl Frick, Schaan
- Xaver Frick, Balzers
- Hugo Gassner, Schaan
- Karl Hartmann, Vaduz (Ehrenmitglied)
- Adolf Hemmerle, Vaduz
- Herbert Kindle, Triesen
- Jakob Quaderer, Schaan
- Rudolf Rheinberger, Vaduz (Ehrenmitglied)
Zehn Mitglieder sind aus dem Historischen Verein
ausgetreten.
Per Ende 2009 zählte der Historische Verein 757 Mit-
glieder.
WISSENSCHAFTLICHE PROJEKTE
Im Berichtsjahr hatte der Historische Verein die Trä-
gerschaft der Projekte «Liechtensteinisches Urkun-
denbuch», «Kunstdenkmäler des Fürstentums Liech-
tenstein» sowie «Einbürgerungsnormen und Ein-
bürgerungspraxis in Liechtenstein vom 19. bis ins 21.
Jahrhundert» inne.
2009 konnte die Weiterführung des Projekts
«Liechtensteinisches Urkundenbuch» durch einen
Ergänzungskredit des Landtags für die Jahre 2010
bis 2016 gesichert werden.
Über die Tätigkeiten aller Vereinsprojekte im Jahr
2009 informieren separate Berichte im Anschluss an
die Jahresrechnung und an den Prüfungsbericht der
Revisionsstelle.
Schaan, 3. Februar 2010
lic. phil. Eva Pepic
Vorsitzende des Historischen Vereins
Ruth Allgäuer
Geschäftsführerin des Historischen Vereins
bis 31. Mai 2009
Marco Schädler
Geschäftsführer des Historischen Vereins
ab 1. Juni 2009
239
Bilanz 2009
HISTORISCHER VEREIN
FÜR DAS FÜRSTENTUM LIECHTENSTEIN
AKTIVEN
FLÜSSIGE MITTEL UND WERTSCHRIFTEN in CHF in CHF
Kasse 607.29
PostFinance 9 358.73
Liechtensteinische Landesbank (LLB), D-Konto 413 178.30
LLB, Fonds Forschung und Publikationen 98 151.90
LLB, Kassenobligationen 250 000.—
LLB, Einbürgerungen 88 193.50
LLB, Denkmalschutz 65 855.98 925 345.70
FORDERUNGEN
Debitoren 565.—
Forderungen Kopienabrechnung 253.85
Noch nicht erhaltene Erträge (transitorische Aktiven) 13 876.15 14 695.—
ANLAGEVERMÖGEN
Bibliothek 1.—
Büromaschinen 1.—
Datenverarbeitungsanlagen 1.—
Mobiliar / Einrichtungen 1.—
Untere Burg Schellenberg 1.—
Obere Burg Schellenberg 1.— 6.—
TOTAL AKTIVEN 940 046.70
PASSIVEN
FREMDKAPITAL KURZFRISTIG
Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen (Kreditoren) 2 391.15
Vorausbezahlte Mitgliederbeiträge 300.—
Verbindlichkeiten AHV, ALV, PK, NBU, Steuer 2 138.15
Noch nicht berechnete Aufwendungen (transitorische Passiven) 3 304.80 8 134.10
EIGENKAPITAL
Vereinsvermögen 872 481.83
Gewinn 59 430.77
TOTAL PASSIVEN 940 046.70
240
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 2009
Erfolgsrechnung 2009
HISTORISCHER VEREIN
FÜR DAS FÜRSTENTUM LIECHTENSTEIN
EINNAHMEN in CHE in CHE
Mitgliederbeiträge 53 556.30
Private Einzelspenden 135.—
Gönnerbeiträge (inklusive Gemeinden) 10 850.—
Landesbeitrag Historischer Verein 180 000.—
Landesbeitrag Projekt Einbürgerungen 147 500.—
Hilti-Familienstiftung (zu Gunsten Kunstdenkmäler) 10 000.—
Spende zu Gunsten Denkmalschutz 75 280.—
Verkäufe Publikationen 13 399.05
Ertrag Projekte 25 006.95
Portokosten Rückerstattung 250.—
Rückerstattung Exkursionen 2 661.65
Kopienabrechnung 340.10
Zinsen Bankguthaben 8 610.67
Verkaufsprovision -4 712.35
Debitorenverluste (Jahresbeiträge) -2 096.25
TOTAL EINNAHMEN 520 781.12
AUSGABEN
AUFWAND MATERIAL, PROJEKTE
Anschaffungen Bibliothek, Fachliteratur 3 771.06
Mitgliedschaften 1 841.02
Kosten Jahrbuch und Sonderdrucke 94 446.70
Aufwendungen «Seelsorger» 1 417.55
Aufwendungen «Kunstdenkmäler» 2 692.50
Aufwendungen «Liecht. Namenbuch» 2 562.—
Aufwendungen «Denkmalschutz» 8 502.50
Veranstaltungen, Geschenke 2 952.70 118 186.03
PERSONALAUFWAND
Bruttolöhne HV 96 817.70
Honorare 500.—
Arbeitgeberbeiträge Sozialleistungen 14 174.85
Bruttolöhne Einbürgerungen 152 509.95
Honorare wissenschaftlicher Beirat 2 020.95
Arbeitgeberbeiträge Sozialleistungen 22 770.20 288 793.65
SONSTIGER AUFWAND
Mietkosten Bücherlager 8 792.50
Unterhalt Geräte 531.40
Büromaterial, Druckkosten 8 063.90
Telefon, Fax, EDV, Internet 8 429.77
Porti, Versandkosten 5 246.70
Buchführungs- und Beratungsaufwand 5 078.45
Übriger Büroaufwand 7 049.35
Spesen (Historischer Verein, Einbürgerungen) 8 518.95
Bankspesen 733.41
Kursverluste 1 221.44
Liegenschaftsunterhalt Burgen 704.80 54 370.67
TOTAL AUSGABEN 461 350.35
241
BERICHT DES REVISORS
AN DIE MITGLIEDERVERSAMMLUNG
DES HISTORISCHEN VEREINS FÜR DAS
FÜRSTENTUM LIECHTENSTEIN
Als Revisor habe ich die Buchführung und die Jah-
resrechnung (Vermögensrechnung, Rechnung über
die Einnahmen und Ausgaben) des Historischen
Vereins für das Fürstentum Liechtenstein für das
am 31. Dezember 2009 abgeschlossene Vereins-
jahr geprüft (Artikel 14 der Statuten).
Für die Jahresrechnung ist der Vorstand verant-
wortlich, während meine Aufgabe darin besteht,
diese zu prüfen und zu beurteilen.
Meine Prüfung erfolgte nach den Grundsätzen
des liechtensteinischen Berufsstandes, wonach
eine Prüfung so zu planen und durchzuführen ist,
dass wesentliche Fehlaussagen in der Jahresrech-
nung mit angemessener Sicherheit erkannt wer-
den. Ich prüfte die Posten und Angaben in der Jah-
resrechnung auf der Basis von Stichproben. Ferner
beurteilte ich die Anwendung der massgebenden
Rechnungslegungsgrundsätze, die wesentlichen
Bewertungsentscheide sowie die Darstellung der
Jahresrechnung als Ganzes. Ich bin der Auffas-
sung, dass meine Prüfung eine ausreichende
Grundlage für mein Urteil bildet.
Gemäss meiner Beurteilung entsprechen die
Buchführung und die Jahresrechnung dem liech-
tensteinischen Gesetz und den Statuten.
Ich empfehle, die vorliegende Jahresrechnung
zu genehmigen.
BILDNACHWEIS
S. 234, 235 und 236: Bild-
archiv des Historischen
Vereins für das Fürstentum
Liechtenstein
S. 237: Ursula Schlegel,
Triesenberg
S. 238: Michael Zanghellini,
Schaan
Vaduz, 9. März 2010
gez. Georg Kieber, Revisor
ANSCHRIFT
Historischer Verein
für das Fürstentum
Liechtenstein
Gamanderhof
Plankner Strasse 39
FL-9494 Schaan
Telefon 00423/392 17 47
Telefax 00423/392 17 05
E-Mail hvfl@hvfl.li
Homepage www.hvfl.li
242
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 2009
Liechtensteinisches
Urkundenbuch
TÄTIGKEITSBERICHT 2009
ALLGEMEINES
Mit dem vom Landtag auf Antrag der Regierung am
27. November 2003 genehmigten Verpflichtungs-
kredit zur Fortführung des Liechtensteinischen Ur-
kundenbuchs (LUB) wurde eine kontinuierliche Wei-
terarbeit an diesem Grundlagenwerk für die Ge-
schichtsforschung bis zum Juni 2010 gesichert und
der Einbezug der in ausländischen Archiven liegen-
den, für Liechtenstein relevanten Schriftzeugnisse
in das LUB ermöglicht.
Die Arbeiten an diesem für die Erforschung der
mittelalterlichen Landesgeschichte grundlegenden
Quellenwerk wurde mit einem 50 Prozent betragen-
den Pensum fortgeführt. Der in Bearbeitung stehen-
de erste Band des zweiten Teils des Liechten-
steinischen Urkundenbuchs [LUB II/l] wird die
Schriftzeugnisse für die Herrschaftszeit der Freiher-
ren von Brandis (1417-1510) umfassen.
Im Berichtsjahr konzentrierten sich die Arbeiten
am LUB zunächst auf die Transkriptionsarbeiten
des umfangreichen Urkundenbestandes im Stadtar-
chiv Maienfeld. Der hier Vorgefundene Quellenbe-
stand ist vor allem im Hinblick auf die seit 143 7 über
die Herrschaft Maienfeld sich erstreckende Famili-
enherrschaft der Freiherren von Brandis auch für
die liechtensteinische Landesgeschichte von grosser
Bedeutung. Insgesamt konnten im Laufe der ersten
Jahreshälfte 35 Urkunden transkribiert werden. In
der zweiten Jahreshälfte wurden die Editionsarbei-
ten für diese Urkunden zwar weit vorangetrieben,
konnten allerdings noch nicht, wie eigentlich er-
hofft, abgeschlossen werden. Es muss an dieser
Stelle einmal mehr festgehalten werden, dass eine
einigermassen verlässliche Abschätzung des Zeit-
aufwands für die Urkundenbearbeitung ein äusserst
schwieriges Unterfangen bleibt.
LUB II DIGITAL-PROJEKT
Die Arbeiten an dem im Internet zur Verfügung ge-
stellten digitalen Urkundenbuch sind naturgemäss
mit einem nicht unerheblichen Arbeitsaufwand ver-
bunden. Gilt es doch, die fertig bearbeiteten Urkun-
den mit Editionstext und Abbildung dem interes-
sierten Benutzer so schnell als möglich im Netz zur
Verfügung zu stellen. Das Personen-, Orts- und
Sachregister konnte ä jour gehalten werden, sodass
eine angemessene Erschliessung der im bearbeite-
ten Urkundenbestand überlieferten Informationen
gewährleistet wird.
Anhand von zur Zeit insgesamt 370 Orts- und
774 Personennamen sowie 1549 Sachwörtern und
deren zahlreichen Belegstellen kann der Besucher
der Online-Version des LUB diese Informationsfülle
abfragen. Damit stellt das LUB Digital-Projekt zwei-
fellos ein wichtiges Instrument der historischen For-
schung zur Verfügung, was den damit verbundenen
zeitlichen Aufwand nach Ansicht des Bearbeiters
auch künftig rechtfertigt, um die bearbeiteten Ur-
kunden so schnell als möglich einsehen zu können.
ARBEITSSTAND
Nach Abschluss der Transkriptionsarbeiten der
schliesslich für die Aufnahme ins LUB ausgewählten
35 Urkunden aus dem Stadtarchiv Maienfeld an-
hand der beim ersten Archivbesuch gemachten di-
gitalen Urkundenfotografien galt es, die erstellten
Transkriptionen bei einem zweiten Besuch im Stadt-
archiv Maienfeld einer abschliessenden Überprü-
fung an den Original-Urkunden zu unterziehen. An-
schliessend konnte mit den Editionsarbeiten an die-
sem Urkundenbestand begonnen werden. Bis zum
Ende des Berichtsjahrs konnten 13 Urkunden voll-
ständig bearbeitet und für die Publikation im LUB II
Digital-Projekt aufbereitet, d. h. insbesondere die
zeitaufwändigen Registerarbeiten erledigt werden.
Des Weiteren wurde die noch ausstehende Überprü-
fung zweier Urkunden aus den Gemeindearchiven
Mauren und Ruggell erledigt. Schliesslich mussten
die während der Arbeit gewonnenen neuen Er-
kenntnisse in die verschiedenen Datenbanken und
Verzeichnisse (Quellen- und Registerdatenbank, Re-
gesten-, Quellen- und Literaturverzeichnis) eingear-
beitet werden, sodass diese ä jour gehalten werden
konnten.
243
Trotz des bedeutenden Mehraufwands für die
Erarbeitung des LUB II Digital-Projekts darf generell
festgehalten werden, dass die Arbeiten am LUB II/l
- soweit überblickbar - planmässig vorangehen. Es
ist allerdings an dieser Stelle erneut an die im Jah-
resbericht 2000 gemachten grundsätzlichen Über-
legungen zu erinnern, wonach eine exakte Ter-
minplanung bei der Erarbeitung eines Urkunden-
buchs auf erhebliche Schwierigkeiten stösst. Insbe-
sondere gilt dies für das LUB II, wo der schliesslich
zu edierende Quellenbestand erst nach Abschluss
der Quellensammlung endgültig feststehen wird.
SONSTIGE TÄTIGKEITEN
Im Umfang eines 50 Prozent betragenden Arbeits-
pensums steht neben der «Kernaufgabe» verständ-
licherweise wenig Zeit für andere Tätigkeiten zur
Verfügung. Zudem nötigen die vielfältigen Begleitar-
beiten, nicht zuletzt auch der notwendige adminis-
trative Aufwand, zur «Sparsamkeit» im Umgang mit
der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit und zur
sorgfältigen Verwendung derselben für das wirklich
Notwendige. So durfte der Bearbeiter im Rahmen
des anlässlich der Eröffnung des Neubaus des
Liechtensteinischen Landesarchivs publizierten Ar-
chivführers das LUB in einem kurzen Bericht vor-
stellen. Überdies galt es noch, im Hinblick auf die
Weiterführung des LUB die nötigen Informationen
für den im Herbst eingereichten «Bericht und An-
trag der Regierung an den Landtag des Fürstentums
Liechtenstein betreffend die Genehmigung eines Er-
gänzungskredits für die Fortführung des Liechten-
steinischen Urkundenbuchs» zusammenzutragen
und zur Verfügung zu stellen. Schliesslich konnten
verschiedene Anfragen an das LUB beantwortet so-
wie Arbeiten mit Quellen- und Literaturhinweisen
unterstützt werden.
FORTFÜHRUNG DES LIECHTEN-
STEINISCHEN URKUNDENRUCHS
Mit dem vom Landtag auf Antrag der Regierung am
23. Oktober 2009 gemäss Bericht und Antrag Nr.
75/2009 genehmigten Ergänzungskredit zur Fort-
führung des Liechtensteinischen Urkundenbuchs
wird die Weiterarbeit an diesem für die Geschichts-
forschung grundlegenden Quellenwerk bis zum Juni
2016 gesichert und die weitere Bearbeitung der in
ausländischen Archiven liegenden für Liechtenstein
relevanten Schriftzeugnisse für das LUB ermöglicht.
Im Namen des LUB Projektes sei an dieser Stelle Re-
gierung und Landtag für ihr langjähriges finanziel-
les Engagement herzlich gedankt. Ohne das von ih-
rer Seite immer wieder erfahrene Wohlwollen wäre
ein solches generationenübergreifendes Forschungs-
unternehmen wie das Liechtensteinische Urkun-
denbuch undenkbar. Ganz besonders bedanken
möchte sich der Bearbeiter bei der Landtagsabge-
ordneten Frau Dr. Gisela Biedermann für ihren
grossen Einsatz für die Belange des LUB.
AUSRLICK
Im kommenden Jahr werden sich die Arbeiten am
LUB zunächst auf die Fertigstellung der Editionsar-
beiten der Urkunden aus dem Stadtarchiv Maienfeld
konzentrieren. Anschliessend ist die Sichtung und
Aufnahme der Schriftzeugnisse in den Churer Ar-
chiven (Stadtarchiv, Staatsarchiv Graubünden und
Bischöfliches Archiv) geplant. Zugleich sollen die je-
weils fertig bearbeiteten Urkunden auch für das
LUB II Digital-Projekt bearbeitet und unverzüglich
online zur Verfügung gestellt werden. Schliesslich
steht noch die Überprüfung zweier einheimischer
Urkunden im Gemeindearchiv Schellenberg aus, die
der Bearbeiter hofft, endlich erledigen zu können.
244
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 2009
DANK
ANSCHRIFT
Als Bearbeiter des LUB II möchte ich der Träger-
schaft des Urkundenbuch-Projekts, dem Histori-
schen Verein und seinem Vorstand, insbesondere
der Vorsitzenden lic. phil. Eva Pepic, dem Geschäfts-
führer Marco Schädler und der Mitarbeiterin Ruth
Allgäuer sowie dem langjährigen Redaktor des Jahr-
buchs des Historischen Vereins, lic. phil. Klaus Bie-
dermann, für das entgegengebrachte Vertrauen und
die Unterstützung danken. Dank gebührt auch dem
Liechtensteinischen Landesarchiv, wo das LUB eine
Heimstätte gefunden hat, namentlich dem Staatsar-
chivar lic. phil. Paul Vogt, seinem Stellvertreter Mag.
phil. Rupert Tiefenthaler, der wissenschaftlichen Ar-
chivarin Frau Dr. Dorothee Platz und den Archivbe-
treuerinnen Nicole Hanselmann, Marianne Kauf-
mann, lic. iur. Isabella Marxer, lic. phil. Ildikö Szacsvay
und Rita Tobler, von denen ich stets die bestmögli-
che Hilfe erfahren durfte. Schliesslich möchte ich
mich bei allen Kolleginnen und Kollegen bedanken,
die durch ihre Quellen- und Literaturhinweise zur
Materialfülle des LUB II beigetragen haben.
Liechtensteinisches
Urkundenbuch
c/o Liechtensteinisches
Landesarchiv
Postfach 684
FL-9490 Vaduz
E-Mail
Claudius. gurt@la. llv. li
Homepage LUB II digital:
www.lub.li
Vaduz, im Januar 2010
LIECHTENSTEINISCHES URKUNDENBUCH
Claudius Gurt
245
Kunstdenkmäler des Fürstentums
Liechtenstein
TÄTIGKEITSBERICHT 2009
PERSONELLES
Die Arbeiten an dem auf zwei Bände ausgelegten
Buchprojekt «Kunstdenkmäler des Fürstentums
Liechtenstein» wurden im Berichtsjahr von der
Kunsthistorikerin Dr. Cornelia Herrmann mit For-
schungen zum Band «Unterland» fortgesetzt. Lic.
phil. Eva Pepic, Vorsitzende der zur wissenschaftli-
chen Begleitung der Kunstdenkmälerbände und zur
Beratung der Autorin eingesetzten Fachkommissi-
on, hiess anlässlich der Fachkommissionssitzung
am 26. Juni 2009 die von der Gesellschaft für
Schweizerische Kunstgeschichte in Bern neu beauf-
tragte Projektleiterin «Kunstdenkmäler der Schweiz»
Dr. Nina Mekacher und den von der GSK ernannten
Gutachter Dr. Daniel Studer willkommen. Daniel
Studer, Direktor des Historischen und Völkerkunde-
museums in St. Gallen, folgt als Gutachter auf den in
den Ruhestand getretenen Dr. Alfons Raimann vom
Amt für Denkmalpflege des Kantons Thurgau in
Frauenfeld.
BAND UNTERLAND
Die Arbeiten am Band «Unterland» verliefen 2009
bis auf eine kurze Unterbrechung des Arbeitspen-
sums wegen einer langfristig im Februar terminier-
ten Operation der Autorin planmässig. Um die von
der GSK neu eingesetzten Schweizer Kollegen mit
der Situation im Fürstentum Liechtenstein vertraut
zu machen, fand im März ein Arbeitstreffen der Au-
torin und der Vorsitzenden der Fachkommission
mit dem Gutachter und der Projektleiterin im Ga-
manderhof in Schaan statt. Im Juni folgte ein zwei-
tes Treffen der Autorin mit den Gästen aus der
Schweiz, an dem auch der wissenschaftliche Lektor
der GSK Thomas Bolt teilnahm. Die Autorin stellte in
den Unterländer Gemeinden Mauren, Ruggell und
Eschen ausgewählte Themenschwerpunkte vor. Ins-
besondere der reiche Fundus in den Depots der
Pfarrkirche St. Peter und Paul in Mauren machte
deutlich, wie gross der Aufarbeitungsbedarf ist. In
der Sakristei lagern nicht inventarisierte und teil-
weise nicht vermessene Skulpturenbestände, auf
dem Estrich fanden sich alte Grabkreuze, im Keller
alte Grabsteine und vieles mehr. Eine flächende-
ckende Inventarisierung kann nicht Aufgabe einer
einzelnen Kunstdenkmälerautorin sein und ein
Kunstdenkmälerband kann nicht das Forum für
deren Publizierung bieten. Besonders für die Spezi-
algebiete «Liturgisches Gerät» und «Paramente»
empfahl Gutachter Daniel Studer die Assistenz eines
Fachkollegen und verwies damit auf eine Praxis, die
für die Schweizer Kunstdenkmälerbände wieder-
holt Anwendung findet.
Den Schwerpunkt der Arbeit der Autorin bildeten
im Berichtsjahr 2009 die Recherchen zu den Kunst-
denkmälern in der Gemeinde Ruggell und die Fer-
tigstellung des damit nun dritten Manuskripts für
den Band «Unterland». In dem von Gemeindesekre-
tär Herbert Kind bestens betreuten Gemeindearchiv
wurde der Autorin ein Arbeitsplatz zur Verfügung
gestellt. Die Autorin hatte während der Öffnungszei-
ten der Gemeindeverwaltung freien Zugang zu den
Akten und konnte sich so speditiv einen Überblick
über die Quellenlage zur Gemeindegeschichte ver-
schaffen. Weitere Kontaktperson in Ruggell war Jo-
hannes Inama, Leiter des Küefer Martis Huus (Dorf-
museum). Massgebliche Unterstützung erhielt die
Autorin durch Paul Büchel, Mesmer der Ruggeller
Pfarrkirche St. Fridolin, Mitglied der Friedhofkom-
mission, ehemaliger Vorsitzender der Kulturkom-
mission, Mitverfasser des «Ruggeller Stammtafel-
buchs» und der Dokumentation «Von alten Häusern
und Menschen», bestens vertraut mit der Geschich-
te Ruggells und seiner Einwohner. Paul Büchel stell-
te wertvolle Kontakte zu Hausbesitzern her und ver-
schaffte interessante Einblicke in alte Ruggeller Pri-
vathäuser. Die Gemeinde Ruggell hat im Vergleich
zu anderen Gemeinden des Landes ein besonderes
reiches Potential an alten Ausstattungsobjekten auf-
zuweisen. Paul Büchel begleitete die Autorin durch
die Depots der Pfarrkirche St. Fridolin und ermög-
lichte in den Sommermonaten als Beauftragter von
Pfarrer Josef Jopek den Zugang zum Ruggeller Pfarr-
archiv. Die gute Grundlage des ergiebigen Aktenma-
terials in Gemeindearchiv und Pfarrarchiv von Rug-
gell erlaubte ein kleineres Recherchepensum im
Liechtensteinischen Landesarchiv. Die Abteilung
246
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 2009
Denkmalpflege des Hochbauamts stellte der Autorin
wie in den Jahren zuvor einen Arbeitsplatz zur Ver-
fügung, damit das Aktenmaterial der Denkmalpfle-
ge von der Autorin vor Ort gesichtet werden konnte.
Der Schwerpunkt des Kapitels «Archäologie» lag in
prähistorischer Zeit, blieb damit nach den Richtlini-
en der GSK kurz gefasst. Das Manuskript «Gemein-
de Ruggell» umfasst mit rund 63 Druckseiten 56 Sei-
ten mehr als die Kunstdenkmäler-Ausgabe von
1950 mit einem Umfang von lediglich sieben Druck-
seiten. Mit Ausnahme der Passagen über die alte
Kapelle St. Fridolin geht die Arbeit am Manuskript
«Gemeinde Ruggell» im Vergleich zur Poeschel-Aus-
gabe über das normale Mass einer Aktualisierung
weit hinaus.
Nach Fertigstellung des Manuskripts «Gemeinde
Ruggell» Ende September 2009 folgten der Beginn
der Aktualisierungsarbeiten an dem 2001 verfass-
ten Manuskript «Gemeinde Eschen» und eine erste
Strukturierung des neuen Manuskripts «Gemeinde
Schellenberg».
WEITERE TÄTIGKEITEN DER AUTORIN
Bei der Sichtung von Akten- und Fotomaterial erge-
ben sich oftmals interessante Hinweise auf Themen-
schwerpunkte, die in einem Kunstdenkmälerband
lediglich gestreift werden können. Umso dankbarer
ist die Autorin, solche Themen einem interessierten
Laienpublikum vorstellen zu dürfen und damit auch
auf die Arbeit am Kunstdenkmälerband aufmerk-
sam machen zu können. Auf Einladung des Senio-
renkollegs Liechtenstein hielt die Autorin im Mai in
der Aula der Primarschule Mauren eine Vorlesung
über «Kunst im öffentlichen Raum zwischen Vision
und Ernüchterung. Ein historischer Rückblick auf
die Entwicklung im Fürstentum Liechtenstein».
Kruzifix aus der um 1900
abgebrochenen Kapelle
St. Fridolin in Ruggell, heute
in Privatbesitz.
247
AUSBLICK BILDNACHWEIS
Der revidierte Zeitplan sieht eine Fertigstellung aller Herrmann
Manuskripte zum Band «Unterland» per Ende 2010
vor. Danach beginnt die redaktionelle Phase. Nach
Auskunft der Projektleiterin Nina Mekacher kann
der Liechtensteiner Band bei intensivierter Produk-
tionsphase nach wie vor 2011 in das Programm der
GSK aufgenommen werden, so dass von einem Er-
scheinungstermin im Februar/März 2012 auszuge-
hen sein wird.
Schaan / Triesen, 29. Januar 2010
KUNSTDENKMÄLER DES FÜRSTENTUMS
LIECHTENSTEIN
Dr. Cornelia Herrmann
ANSCHRIFT
Kunstdenkmäler des
Fürstentums Liechtenstein
c/o Historischer Verein
für das Fürstentum
Liechtenstein
Gamanderhof
Plankner Strasse 39
FL-9494 Schaan
Telefon 00423/236 75 38
Telefax 00423/236 75 48
E-Mail cherrmann@hvfl.li
248
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 2009
Einbürgerungsnormen
und Einbürgerungspraxis
in Liechtenstein vom
19. bis ins 21. Jahrhundert
TÄTIGKEITSBERICHT 2009
ALLGEMEINES
Das Jahr 2009 war für das Projekt «Einbürgerungs-
normen und Einbürgerungspraxis in Liechtenstein
vom 19. bis ins 21. Jahrhundert» ein arbeitsintensi-
ves Jahr, in dem wichtige inhaltliche Weichen ge-
stellt wurden. Die Arbeit ging von der Planungs- und
Recherchierphase in die Phase der Niederschrift der
Manuskripte über. Zudem konnten neue wissen-
schaftliche Kontakte gewonnen werden. Aufgrund
umfangreicher Quellenbestände verzögerte sich der
Beginn der Niederschrift der Manuskripte um rund
zwei Monate. Die dadurch notwendig gewordenen
Anpassungen der individuellen Zeit- und Arbeits-
pläne liegen weiterhin im Rahmen der vorgesehe-
nen Gesamtarbeitszeit. Die Projekthomepage konn-
te im Verlauf des Jahres aufgeschaltet werden
(http ¡//www.hvfl.li).
PERSONELLES
Im Jahr 2009 ist die Zusammensetzung des Projekt-
teams unverändert geblieben. Das Projekt wird von
den Forschungsbeauftragten lic. phil. Klaus Bieder-
mann (Teilprojekt I), lic. phil. Nicole Schwalbach
(Teilprojekt II) und lic. phil. Veronika Marxer (Teil-
projekt III) durchgeführt. Die Projektleitung liegt bei
Dr. Regula Argast. Auch im Wissenschaftlichen Bei-
rat hat es keine personellen Wechsel gegeben. Die
Mitglieder des Beirats sind: lic. phil. Fabian Fröm-
melt, Mauren, Dr. Wilfried Marxer, Triesen, Prof. Dr.
Brigitte Mazohl, Innsbruck, Dr. Alois Ospelt, Vaduz,
Regula Argast, Zürich.
TÄTIGKEITEN UND STAND DER ARREIT
GESAMTPROJEKT
Während des Projektjahrs 2009 trafen sich die For-
schungsbeauftragten und die Projektleiterin zu sie-
ben Teamworkshops, um inhaltliche und organisato-
rische Fragen zu diskutieren sowie die einzelnen
Teilprojekte aufeinander abzustimmen. Die ersten
sechs Monate zwischen Januar und Juli 2009 waren
durch Archivrecherchen, das Verfassen eines aus-
führlichen Archivberichts, die Erarbeitung eines
detaillierten Konzepts für das jeweilige Teilprojekt
sowie erste Erkundungen betreffend Oral History-In-
terviews ausgefüllt. Archivberichte und Detailkon-
zepte wurden vom Wissenschaftlichen Beirat be-
gutachtet und in zwei Beiratssitzungen gemeinsam
mit den Forschungsbeauftragten beraten (vgl. un-
ten). Während des zweiten Halbjahrs 2009 schlossen
die Forschungsbeauftragten den Grossteil der Quel-
lenrecherchen ab und begannen mit der Nieder-
schrift der Manuskripte. Im Januar und Dezember
2009 fanden ausserdem zwei Workshops mit aus-
wärtigen Experten zum Thema «Oral History» (PD
Dr. Peter Geiger) und «Bürgerrecht und Geschlech-
terdifferenz» (Prof. Dr. Regina Wecker) statt. Die For-
schungsbeauftragten trugen mit Kurzreferaten und
der Präsentation erster Forschungsergebnisse aktiv
zu diesen Workshops bei.
PROJEKTLEITUNG
Die Projektleiterin organisierte und leitete die Work-
shops und Beiratssitzungen, begleitete die Erarbei-
tung der Archivberichte und Detailkonzepte, be-
sprach mit den Forschungsbeauftragten Anpassun-
gen bei den individuellen Zeitplänen und verfasste
Feedbacks zu den ersten vorliegenden Kapitel der
Forschungsbeauftragten.
TEILPROJEKT L EINBÜRGERUNGEN
IN LIECHTENSTEIN IM 19. UND FRÜHEN
20. JAHRHUNDERT
Neben der beginnenden Auswertung von Einbürge-
rungsakten aus dem Liechtensteinischen Landesar-
chiv stand in den ersten Monaten des Berichtsjahrs
die Ausarbeitung des Detailkonzepts im Vorder-
grund. Dieses Detailkonzept mit einem vorläufigen
Inhaltsverzeichnis bildet seither die Grundlage für
die Erarbeitung der Monographie zum Thema «Ein-
249
bürgerungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert».
Die im Landesarchiv in Triesen und in Vaduz durch-
gesehenen Einbürgerungsakten umfassten sowohl
Ansuchen und Aufnahmen in das Staats- wie auch
in ein Gemeindebürgerrecht. Parallel dazu erfolgte
auch die Bearbeitung und Auswertung von Einbür-
gerungsakten aus den Gemeindearchiven von
Schaan und Triesenberg.
Im Spätherbst 2009 begann Klaus Biedermann
mit der Niederschrift der ersten Kapitel der Mono-
graphie. So verfasste er erste Versionen der Kapitel
zu den Einbürgerungsfällen in Liechtenstein, die
aufgrund historischer Zäsuren (Gemeindegesetze
1842 und 1864, Gesetzesrevision 1919) in die drei
Zeiträume 1808 bis 1841, 1842 bis 1863 sowie
1864 bis 1918 aufgeteilt sind. Die zeitliche Abgren-
zung zum Teilprojekt II bildet nun das Jahr 1918
und nicht, wie zunächst vorgesehen, das Jahr 1914.
Die ersten Fassungen der genannten drei Kapitel la-
gen bis zum Januar 2010 vor. Im Jahr 2010 steht
u.a. die Abfassung der Kapitel zur Entwicklung des
Landes- und des Gemeindebürgerrechts sowie zur
diesbezüglichen Gesetzgebung auf dem Programm.
Dabei sollen die Ergebnisse für Liechtenstein auch
mit den Entwicklungen in den umliegenden Staaten
verglichen werden.
TEILPROJEKT II: FINANZEINBÜRGERUNGEN
IN LIECHTENSTEIN 1919 BIS 1955
Nach der Erstellung des Archivberichts und des De-
tailkonzepts zum Teilprojekt «Finanzeinbürgerun-
gen» konnte die Quellenrecherche zu den Einzelfäl-
len im Liechtensteinischen Landesarchiv bis im No-
vember 2009 abgeschlossen werden. Dabei wurden
insgesamt 173 Einzeldossiers aus dem Untersu-
chungszeitraum von 1919 bis 1959 gesichtet und
ausgewertet. Im Oktober 2009 wurde mit der Nie-
derschrift der Kapitel zu den Einzelfallstudien be-
gonnen, ebenso mit der Sichtung der Landtagspro-
tokolle.
Die umfangreiche Auswertung von Einzeldos-
siers, der bisher eingesehenen Landtagsprotokolle
sowie der Forschungsliteratur führte unter ande-
rem zu folgenden Ergebnissen: Die Finanzeinbürge-
rung wurde zu Beginn der 1920er Jahre als eine von
verschiedenen Massnahmen zur finanziellen Stabi-
lisierung des Landes institutionalisiert. Dabei tru-
gen die Bürgerrechtsbewerber mit ihren Anfragen
an die liechtensteinische Regierung zur Herausbil-
dung der Finanzeinbürgerung bei. Die soziale und
kulturelle beziehungsweise geographische Herkunft
wie auch die Motivation der Einbürgerungsbewer-
ber veränderte sich im Verlauf des Untersuchungs-
zeitraums. Die Veränderungen liefen parallel zum
sozialen und politischen Wandel und den damit ver-
bundenen Zäsuren. Die Einbürgerungsdossiers ge-
ben auch Einblick in die Auswirkungen der Finanz-
einbürgerung auf die Folgegenerationen. Die Haupt-
probleme, mit denen sich die Nachkommen ausei-
nanderzusetzen hatten, waren unter anderem die
Forderung einer jährlich zu entrichtenden Neubür-
gersteuer (die bei Nichtbeachtung zu Staatenlosig-
keit führen konnte) und der Ausschluss der Neubür-
ger von Bürgernutzen und sozialer Teilhabe.
TEILPROJEKT III: EINBÜRGERUNG
UNTER DEM ASPEKT DER INTEGRATION
1945 BIS 2008
Im vergangenen Jahr stand als erstes die Erstellung
eines detaillierten Konzepts an, das gemeinsam mit
dem wissenschaftlichen Beirat auf Relevanz und
Realisierbarkeit hin diskutiert wurde. Gemäss die-
sem Konzept konzentriert sich die Studie auf drei
Untersuchungsfelder: auf die Einbürgerungpraxis
und -normsetzung auf der Ebene des Landtags, auf
der Ebene der Gemeinden, wobei Schaan, Eschen
und Triesenberg berücksichtigt werden, sowie auf
die Bedeutung von Einbürgerung und Staatsange-
hörigkeit aus der Sicht von (eingebürgerten) Bürge-
rinnen und Bürgern.
Bis anhin wurden die relevanten öffentlichen und
nichtöffentlichen Landtagsprotokolle bis 2008 aus-
gehoben und bis 1977 ausgewertet. Unter Beizug
des vom Liechtensteinischen Landesarchiv erstell-
ten Findmittels zu den Einbürgerungsdossiers wur-
den die Einbürgerungen der Jahre 1945 bis 1974
250
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 2009
kategorisiert und tabellarisch dargestellt. Insgesamt
handelt es sich um 190 Einbürgerungsfälle, die sich
in sieben Kategorien wie z.B. Finanzeinbürgerung,
Rückbürgerung, Einbürgerung der Einwandererge-
neration, der Zweiten respektive Dritten Generation
etc. einteilen lassen. Neben der quantitativen und
qualitativen Erfassung der Einbürgerungen gilt das
Augenmerk den vom Landtag geführten Debatten
betreffend die Integration der ausgeheirateten ehe-
maligen Liechtensteinerinnen und deren Kinder in
den liechtensteinischen Staatsverband sowie der In-
tegration der sogenannten alteingesessenen Aus-
länderinnen und Ausländer. Die auf Gemeindeebe-
ne durchgeführten Einbürgerungen wurden im Fall
der Gemeinde Schaan von 1945 bis 2008 gesichtet
und ausgewertet. Es handelt sich hierbei um zirka
160 Fälle.
WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT
Die Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats trafen
sich gemeinsam mit den Forschungsbeauftragten
zu zwei Sitzungen. An der Sitzung vom 20. Februar
2009 wurden die Archivberichte der Forschungsbe-
auftragten diskutiert, an der Sitzung vom 11. Mai
standen die detaillierten Konzepte zu den einzelnen
Teilprojekten zur Diskussion. Letztere bilden seither
die Grundlage für die Durchführung der einzelnen
Teilprojekte. Im Dezember 2009 wurde der Wissen-
schaftliche Beirat über die revidierten Zeit- und Ar-
beitspläne informiert. Die ursprünglich auf Novem-
ber 2009 geplante Beiratssitzung zur Besprechung
der Zwischenberichte der Forschungsbeauftragten
wurde auf Anfang Februar 2010 verschoben.
WISSENSCHAFTLICHE KONTAKTE
Auch im Jahr 2009 war das Projekt bemüht, wissen-
schaftliche Kontakte mit Forscherinnen und For-
schern zu pflegen, die zu verwandten Themenberei-
chen arbeiten. Wie bereits im Jahresbericht von 2008
erwähnt, besuchte Peter Geiger (Liechtenstein-Insti-
tut) Anfang Januar unseren Workshop und hielt ei-
nen einführenden Vortrag zur Methode der Oral His-
tory. Er vermittelte dem Team einen vielfältigen Ein-
blick in seine Erfahrungen bei der Befragung von
Zeitzeugen. Am 11. Mai 2009 trafen sich die For-
schungsbeauftragten mit den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern des Projekts «Familienchronik» Schaan
unter der Leitung von lie. phil. Eva Pepic im Schaaner
Gemeindearchiv. Dieses Treffen galt dem gegenseiti-
gen Kennenlernen und informellen Austausch über
Fragestellungen und Kooperationsmöglichkeiten.
Weiter standen die Forschungsbeauftragten in Kon-
takt mit ausländischen Historikern, die sich mit Fra-
gen der Geschichte der Staatsangehörigkeit, des Bür-
gerrechts oder Liechtensteins beschäftigen: mit dem
luxemburgischen Historiker Denis Scuto, der zur
Staatsbürgerschaft in Luxemburg arbeitet, mit Vac-
lav Horcicka von der Universität Prag, der zur Ge-
schichte des Vermögenstransfers zwischen der Do-
nau-Monarchie und Liechtenstein forscht, sowie mit
Wolfgang Weber, Lehrbeauftragter am Institut für Ge-
schichte und Ethnologie der Universität Innsbruck
und Kenner der Geschichte Vorarlbergs. Im Dezem-
ber 2009 fand schliesslich ein Workshop mit Regina
Wecker (Basel) zum Thema «Bürgerrecht und Ge-
schlechterdifferenz» statt. Als Gäste nahmen Eva Pe-
pic und Fabian Frömmelt vom Vorstand des Histori-
schen Vereins sowie lie. phil. Martina Sochin (Liech-
tenstein-Institut) teil. Nach einer Einführung durch
Regina Wecker präsentierten die Forschungsbeauf-
tragten und Martina Sochin erste Forschungsergeb-
nisse. Dabei fokussierten sie auf die unterschiedli-
chen Ausprägungen des Liechtensteiner Gemeinde-
und Staats- bzw. Landesbürgerrecht von Frauen und
Männern sowie auf die Geschlechterdifferenz bei der
Einbürgerung und Einwanderung. Martina Sochin
(Liechtenstein-Institut) nahm während des Jahres
2009 auch regelmässig an den Teamworkshops des
Projekts teil.
251
ZEITPLAN UND AUSBLICK
DANK
Für das Jahr 2010 sind folgende Arb eitsschritte ge-
plant: Die Niederschrift der Manuskripte in einer
ersten Fassung, Nachrecherchen in den relevanten
Archiven (insbesondere in den Gemeindearchiven
von Eschen und Triesenberg) sowie die Durchfüh-
rung von Zeitzeugeninterviews. Zur Diskussion, Pla-
nung und Koordination der Teilprojekte und zur
gegenseitigen Unterstützung beim Abfassen der
Manuskripte werden weiterhin Teamworkshops
durchgeführt. Insbesondere sollen einzelne Kapitel
gemeinsam diskutiert werden. Auf Anfang 2011
wird eine Vorlesungsreihe in Zusammenarbeit mit
dem Liechtenstein-Institut geplant, die von den For-
schungsbeauftragten und Martina Sochin bestritten
werden soll. Weitere Vorträge und Treffen mit aus-
wärtigen Expertinnen und Experten sowie Projekt-
gruppen sind in Diskussion.
Für die freundliche und konstruktive Unterstützung
dankt das Projekt dem Vorstand des Historischen
Vereins, insbesondere der Vorsitzenden Eva Pepic,
der Geschäftsführerin Ruth Allgäuer und dem Ge-
schäftsführer Marco Schädler, den Mitgliedern des
Wissenschaftlichen Beirats Fabian Frömmelt, Wil-
fried Marxer, Brigitte Mazohl sowie Alois Ospelt,
dem Liechtensteinischen Landesarchiv in der Per-
son von lie. phil. Paul Vogt, Mag. phil. Rupert Tiefen-
thaler und den Archivmitarbeiterinnen, der Schaa-
ner Gemeindearchivarin Gina Jehle sowie dem für
Triesenberg zuständigen Archivar Jürgen Schind-
ler. Für die gute Zusammenarbeit und den wissen-
schaftlichen Austausch danken wir Peter Geiger,
Eva Pepic mit den Mitarbeitenden des Projekts
«Schaaner Familienchronik», Regina Wecker sowie
Martina Sochin.
Schaan, 27. Januar 2010
PROJEKT «EINBÜRGERUNGSNORMEN UND
EINBÜRGERUNGSPRAXIS IN LIECHTENSTEIN
VOM 19. BIS INS 21. JAHRHUNDERT»
Regula Argast / Klaus Biedermann /
Veronika Marxer/Nicole Schwalbach
ANSCHRIFT
Projekt «Einbürgerungen»
c/o Historischer Verein
für das Fürstentum
Liechtenstein
Gamanderhof
Plankner Strasse 39
FL-9494 Schaan
E-Mail
argast@fsw.uzh.ch
klaus. biedermann@hvfl. li
veronika. marxer@hvfl.li
nicole. schwalb ach@hvfl. li
252
HISTORISCHER VEREIN FÜR DAS FÜRSTENTUM
LIECHTENSTEIN 2009
Korrigenda
ZUM JAHRBUCH DES HISTORISCHEN VEREINS,
BAND 108 (2009)
Im vorhergehenden Band 108 hat sich auf Seite 26
ein bedauerlicher Fehler eingeschlichen, für den
ich mich als Redaktor entschuldigen möchte. Herr
Peter Zünd, Archivar des Gemeindemuseums von
Oberriet (SG), hat uns darauf aufmerksam ge-
macht, dass es sich bei den abgebildeten Soldaten
nicht um österreicherische Grenzgendarmen, son-
dern um schweizerische Soldaten handelt. Dieses
Bild ist auch das Titelbild des entsprechenden
Jahrbuchs.
Das Bild aus dem Jahr 1914 dürfte zudem eine
Fotomontage sein, mit dem Gebirge als Hinter-
grundkulisse. Solche Gebirgseinsätze fanden, wie
im Beitrag von Martin Bundi im selben Jahrbuch
beschrieben, vor allem im Grenzbereich zwischen
Münstertal und Vinschgau statt, und zwar rund um
das Stilfserjoch und den Umbrailpass. Diese vier
Männer haben sich wohl nachträglich so fotogra-
fieren lassen, zur Erinnerung an den harten Dienst
im winterlichen Hochgebirge. Auf der Kopfbe-
deckung ist, sehr klein, das Schweizer Kreuz er-
kennbar. Ein Schweizer Soldat mit derselben Kopf-
bedeckung ist im selben Jahrbuch Band 108 auch
auf Seite 97 zu sehen.
Klaus Biedermann
253
LIECHTEN-
STEINISCHES
LANDESMUSEUM
2009
Anfassen erlaubt! - Be-
geisterte junge Museums-
gäste ohne Berührungs-
ängste.
Es ist ein Erlebnis besonderer Vielfalt von Wissen
und Erkenntnissen. Meine Hochachtung für das
Museum und der darin enthaltenen Arbeit.
Eintrag im Gästebuch
LIECHTENSTEINISCHES LANDESMUSEUM
2009
Jahresbericht 2009
«Es ist höchste Zeit, dass wir uns besinnen, denn
die neueste Gegenwart belegt, dass eine Gesell-
schaft ohne Kultur dem Extremismus ausgeliefert
ist, sich zu Tode amüsiert.
Oder wie Henri Michaux sagt: Wir träumen nicht
mehr, wir werden geträumt.»
Gottfried Honegger
Das Berichtsjahr 2009 war gekennzeichnet von ei-
nem breit ausgelegten und ausgewogenen Veran-
staltungsprogramm und von bedeutenden, aufwen-
dig gestalteten Sonderausstellungen. Es sind dies
die Ausstellungsprojekte «X für U - Bilder, die lü-
gen», «Egon Rheinberger 1870 bis 1936 - Zeiten-
wanderer», «200 Jahre Grundbuch in Liechten-
stein» und «Welt der Wiegendrucke - Die ersten ge-
druckten Bücher der Herzogin Anna Amalia Biblio-
thek Weimar», eine Ausstellung im Rahmen des
Kulturaustausches des Landes Thüringen und des
Fürstentums Liechtenstein. Grosser Beliebtheit er-
freuten sich auch im Berichtsjahr die Programme
der Mittwoch-Feierabend-Führungen. Trotz hoch-
stehender, qualitätvoller und abwechslungsreicher
Angebote seitens des Museums zeigen sich die Aus-
wirkungen der angespannten Wirtschaftslage auch
im Museumsalltag, die Besucherzahlen sind rück-
läufig, die Einnahmen im Museums- und Bücher-
shop sanken um rund zehn Prozent.
Insgesamt zählte das Landesmuseum im Be-
richtsjahr 10 790 (im Vorjahr 12 970) Besucherin-
nen und Besucher, ein Rückgang um 10,81 Prozent.
Das Team Museumsführungen begleitete 122 Grup-
pen durch die Ausstellungen, davon 53 Schulklas-
sen, die in teils interaktiven Führungen mit den In-
halten des Liechtensteinischen Landesmuseums
vertraut gemacht wurden. Das Postmuseum konnte
insgesamt 11 350 Besucher verzeichnen gegenüber
11 581 im Vorjahr. Das Wohnmuseum Haus Nr. 12 -
Haus Biedermann - in Schellenberg zählte 2009
390 Eintritte. Somit wurden das Liechtensteinische
Landesmuseum und seine Aussenstellen im Be-
richtsjahr von insgesamt 22 530 Gästen besucht.
STIFTUNGSRAT UND MUSEUMS-
KOMMISSION
Stiftungsrat und Museumsleitung trafen sich im Be-
richtsjahr zu sechs Sitzungen, in denen die statuta-
rischen Geschäfte behandelt und museumsrelevan-
te Fragen und Probleme diskutiert und Lösungen
wie Optimierungsmodelle gesucht wurden. Dane-
ben fanden mehrfach Gespräche zwischen der Stif-
tungsratspräsidentin Irene Lingg-Beck und der Mu-
seumsleitung statt. Themen dieser Gespräche
waren personelle Fragen, Fragen um die künftige
Führung und Leitung des Landesmuseums nach In-
krafttreten des neuen Stiftungs- und Museumsgeset-
zes ab 1. Januar 2010 (Corporate Governance) so-
wie die Modifikationen der Übernahme einer be-
deutenden und umfangreichen Privatsammlung aus
Liechtenstein.
Die Museumskommission traf sich an drei or-
dentlichen Sitzungen sowie einem ganztägigen
Workshop, der sich dem Sammlungskonzept und
Sammlungsprofil des Liechtensteinischen Landes-
museums widmete. In der Sitzung vom 14. Dezem-
ber 2009 wurde das Sammlungskonzept verab-
schiedet. Im weiteren befasste sich die Museums-
kommission mit Ankäufen, Schenkungen, Leihga-
ben und den künftigen Ausstellungsprojekten.
PERSONAL
Im Berichtsjahr gab es sowohl im Landesmuseum
wie in seinen beiden Aussenstellen, dem Postmu-
seum des Fürstentums Liechtenstein und dem bäu-
erlichen Wohnmuseum Haus Nr. 12 in Schellenberg,
mehrere personelle Änderungen.
Am 3. Januar 2009 trat Volker Frömmelt, Vaduz,
als kaufmännischer Leiter in die Dienste des Liech-
tensteinischen Landesmuseums und brachte die
längst notwendige Entlastung der Museumsleitung
in kaufmännischen und administrativen Belangen.
Das Sekretariat wurde bis 31. Dezember 2009
durch Frau Tanja Büchel, Balzers, im Teilzeitauftrag
weiter geführt. Am 23. Februar 2009 nahm Frau Elfi
Schädler, Triesen, die Arbeit im Sekretariat und in
257
der Verwaltungsadministration des Landesmuse-
ums auf, ebenfalls im Teilzeitauftrag.
Aus dem Kassa- und Aufsichtsdienst ausgetreten
sind nach langjähriger Mitarbeit auf eigenen
Wunsch infolge vorzeitiger Pensionierung Frau
Emerita Büchel, Mauren, und Frau Anni Jeger,
Schaan. Aus dem Aufsichtsdienst des Postmuseums
ist Frau Heidi Oehri ausgeschieden.
Neu in den Dienst des Landesmuseums eingetre-
ten ist auf Anfang 2010 Frau Ruth Malknecht, Mau-
ren.
Nach sechsjähriger Tätigkeit im Wohnmuseum
Haus Nr. 12 in Schellenberg ist Frau Claudia Hürli-
mann, Gamprin, auf Ende November 2009 aus dem
Aufsichtsdienst ausgetreten. Frau Sylvia Pedrazzi-
ni-Maxfield aus Eschen wird ihre Nachfolge auf Sai-
sonbeginn 2010 antreten.
Die Museumsleitung bedankt sich sehr herzlich
bei allen Mitarbeiterinnen, die den Museumsdienst
verlassen haben, für ihren langjährigen Einsatz, die
angenehme Zusammenarbeit und die gemeinsame
Zeit im Dienste des Liechtensteinischen Landesmu-
seums. Ebenso herzlich begrüsst die Museumslei-
tung die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
und wünscht sich im selben Masse eine kooperative,
zielführende und sachorientierte Zusammenarbeit.
Die Museumsleitung möchte es nicht unterlassen,
ihrem Mitarbeiter lic. phil. Arthur Brunhart, wissen-
schaftlicher Mitarbeiter und stellvertretender Muse-
umsdirektor, zur ehrenvollen Wahl und Übernahme
des Amtes des Landtagspräsidenten nach den Wah-
len vom Februar 2009 zu gratulieren, begleitet mit
den besten Wünschen. Ebenso herzlich ist Herrn
Brunhart für die zehnjährige Mitarbeit beim Liech-
tensteinischen Landesmuseum zu danken.
Danken möchte ich ebenfalls meinem Mitarbeiter
Sven Beham, Leiter der Abteilung Fotografie und
Bildarchiv des Landesmuseums, für die fünfjährige
professionelle und zielorientierte Zusammenarbeit.
Ein grosser Dank gebührt den Mitgliedern des
Teams Museumsführungen für ihren wertvollen
Dienst in der Vermittlungsarbeit der Inhalte des
Landesmuseums.
Drei Persönlichkeiten, die dem Liechtensteini-
schen Landesmuseum über Jahrzehnte hindurch
sehr verbunden waren und in verschiedenen Gre-
mien zum Wohle des Landesmuseums mit grosser
Fachkompetenz und freundschaftlicher Kollegialität
mitgewirkt haben, sind im Berichtsjahr verstorben.
Es sind dies Dr. Rudolf Rheinberger, t 23. Januar
2009, Universitätsprofessor Dr. Elmar Vonbank,
Bregenz, t 3. Juni 2009, und Elmar Batliner,
Eschen, t 22. August 2009.
Dr. Rudolf Rheinberger war von 1972 bis 1985
Mitglied und erster Präsident des Stiftungsrates des
Liechtensteinischen Landesmuseums, dem er mit
fachkundigem und freundschaftlichem Rat stets eng
verbunden war. Als langjähriges Mitglied im Vor-
stand des Historischen Vereins für das Fürstentum
Liechtenstein war Dr. Rheinberger in den Jahren
der Errichtung und des Aufbaus des Liechtensteini-
schen Landesmuseums (Eröffnung April 1972)
massgeblich beteiligt. Die Museumsleitung bedauert
zutiefst, dass Rudolf Rheinberger die Ausstellung
über Leben und Werk seines Vaters Egon Rheinber-
ger nicht mehr erleben konnte.
Dr. Elmar Vonbank, ehemals Direktor des Vorarl-
berger Landesmuseums Bregenz und Professor an
der Universität Innsbruck, war in den entscheiden-
den Jahren des Aufbaus in den 1960er und 1970er
Jahren in das Projekt «Liechtensteinisches Landes-
museum» direkt und entscheidend involviert. Sein
Wissen und seine Fachkompetenz brachte er so-
dann als Mitglied der Museumskommission, der er
von 1972 bis 2006 angehörte, zum Wohle des Liech-
tensteinischen Landesmuseums ein.
Elmar Batliner war von 1972 bis 1981 Mitglied
des Stiftungsrates. Zeitlebens blieb Elmar Batliner
dem Landesmuseum freundschaftlich verbunden
und stand der Museumsleitung mit seinem grossen
Wissen über Volkskunde, Sach- und Alltagskultur
Liechtensteins und der Region beratend zur Seite.
Das Liechtensteinische Landesmuseum wird die-
sen Persönlichkeiten ein ehrendes Andenken be-
wahren.
258
LIECHTENSTEINISCHES LANDESMUSEUM
2009
SONDERAUSSTELLUNGEN UND
VERANSTALTUNGEN
Das Berichtsjahr 2009 stand aus Sicht des Landes-
museums ganz im Zeichen bedeutender Wechsel-
ausstellungen und entsprechender Rahmenveran-
staltungen.
Bis 22. März 2009 dauerte die Sonderausstellung
«X für U - Bilder, die lügen», ein Projekt, das in Zu-
sammenarbeit mit der Stiftung Haus der Geschichte
der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, im Liech-
tensteinischen Landesmuseum gezeigt wurde. Es
war dies eine der besucherstärksten Ausstellungen,
namentlich auch was den Besuch von Schulklassen
betrifft. Im thematischen Kontext der Ausstellung
fanden mehrere Rahmenveranstaltungen statt, erst-
mals auch in Kooperation mit der Kunstschule
Liechtenstein.
Am 28. Januar hielt der Kommunikationswissen-
schaftler Christian Doelker einen Vortrag zum The-
ma «Bilder mit und ohne Haftung», am 18. Februar
folgte der Vortrag «Bildkonstruktion und Wahrneh-
mung - Bilder entstehen im Kopf» von Klaus kürzer,
Grafiker und Kommunikationsdesigner. Zum Ab-
schluss dieser Vortragsreihe referierte Werner Matt,
Leiter des Stadtarchivs Dornbirn und Spezialist im
Bereich historischer Photographie zum Thema
«Historische Photographien lesen. Wie es gewesen
ist? - der konstruierten Wirklichkeit nachspüren».
Vom 26. bis 28. Februar fand in der Kunstschule
Liechtenstein und im Liechtensteinischen Landes-
museum der Workshop «Wahrnehmung, Täu-
schung, Wirklichkeit - Bilder richtig lesen» statt.
Workshopleiter waren Anna Rüegg, Erwachsenen-
bildung in Kunstgeschichte und Bildwissenschaft,
Klaus kürzer, Werner Matt und Hanspeter Paoli,
Grafik und Design.
Führung einer Schulklasse
durch die Sonderausstel-
lung «Bilder, die lügen».
Werner Matt aus Dornbirn
referiert zum Thema «Hi-
storische Photographien
lesen - Wie es gewesen
ist?»
Der stellvertretende Muse-
umsdirektor Arthur Brun-
hart mit den Referenten
Christian Doelker und
Klaus kürzer.
259
EGON RHEINBERGER - ZEITENWANDERER
An der Sonderausstellung
«Egon Rheinberger 1870
bis 1936 - Zeitenwande-
rer». Oben: Am Ausstel-
lungsprojekt beteiligte
Personen, von links: Nor-
bert W. Hasler, Peter
Rheinberger, Nicole D.
Ohneberg, Anton Wilhelm
und Alice Hagen-Ospelt.
Unten: Kulturministerin
Aurelia Frick beim Rund-
gang durch die Ausstel-
lung in Begleitung des
Museumsdirektors.
Nach Durchführung aufwendiger infrastruktureller
Massnahmen zur Verbesserung der künftigen Aus-
stellungsmöglichkeiten in den Sonderausstellungs-
räumen konnte am 30. April 2009 in feierlichem
Rahmen und in Anwesenheit zahlreicher Vernissa-
gegäste die Sonderausstellung «Egon Rheinberger
1870 bis 1936 - Zeitenwanderer» von Alice Hagen-
Ospelt, Vizebürgermeisterin von Vaduz, eröffnet
werden. Zur Ausstellungseröffnung spielten die Pia-
nisten Sandra und Jürg Hanselmann Klavierwerke
des Komponisten Josef Gabriel Rheinberger, dem
Onkel von Egon Rheinberger. Die Ausstellung, die in
Kooperation und mit grosser finanzieller Unterstüt-
zung der Gemeinde Vaduz realisiert werden konnte,
dauerte bis zum 5. Oktober. Die Gestaltung der Aus-
stellung lag in den Händen von Hans Peter Gassner,
graphische Anstalt Vaduz. Organisation und inhalt-
liche Aufarbeitung der Ausstellung stand unter der
Leitung von lic. phil. Arthur Brunhart, wissenschaft-
licher Mitarbeiter des Landesmuseums. Zur Ar-
beitsgruppe zählten Dr. Nicole Ohneberg, Kunsthis-
torikerin und Museumsleiterin, Dr. Anton Wilhelm,
Kunsthistoriker, Dr. med. Peter Rheinberger, Enkel
Egon Rheinbergers und Betreuer des Familienar-
chivs Rheinberger, Sven Beham, Leiter Abteilung
Fotografie und Bildarchiv des Landesmuseums und
lic. phil. Norbert W. Hasler, Direktor des Liechten-
steinischen Landesmuseums.
Unter dem Titel der Ausstellung erschien eine
reich illustrierte, umfangreiche Begleitpublikation
über Leben und Werk dieser herausragenden Per-
sönlichkeit.
Die Sonderausstellung über Egon Rheinberger
stand auch im Mittelpunkt des Programms des
Liechtensteiner Familientages vom 17. Mai 2009
und der Langen Nacht der Museen vom 3. und 4. Ok-
tober 2009.
260
LIECHTENSTEINISCHES LANDESMUSEUM
2009
Einblick in die von Hans
Peter Gassner aus Vaduz
gestaltete Sonderausstel-
lung «Egon Rheinberger
1870 bis 1936 - Zeiten-
wanderer».
Blick in den nachgebauten
Rittersaal der Burg Guten-
berg in Balzers.
261
Blick in die Jubiläumsaus-
stellung «200 Jahre
Grundbuch in Liechten-
stein (1809-2009)».
Die Projektverantwortli-
chen der Jubiläumsaus-
stellung über das Grund-
buch. Von links: Norbert
W. Rasier, Bernd Hammer-
mann, Johann Ott und
Arthur Brunhart.
262
LIECHTENSTEINISCHES LANDESMUSEUM
2009
200 JAHRE GRUNDBUCH IN LIECHTENSTEIN
(1809-2009)
Am 14. Mai 2009 wurde im Loggiaraum und dem
kleinen Ausstellungssaal des Landesmuseums die
Sonderausstellung «200 Jahre Grundbuch in Liech-
tenstein (1809 bis 2009)» eröffnet. Die Ausstellung,
die von lie. phil. Arthur Brunhart kuratiert wurde,
gab anhand von Originalplänen und Dokumenten
Einblick in Geschichte der Grundbuchführung von
den Anfängen bis in die Gegenwart. Ergänzt wurde
die Ausstellung, die in enger Zusammenarbeit mit
dem Grundbuch- und Öffentlichkeits-Registeramt
unter der Leitung von Dr. Bernd Hammermann und
Georg Hassler entstand, durch einen Überblick über
die Landesvermessung in Liechtenstein, erarbeitet
von Ing. Johann Ott, dem ehemaligen Leiter des
Tiefbauamtes. Die schriftliche Aufarbeitung der
Ausstellungsinhalte wird im Anhang zu diesem Jah-
resbericht im Jahrbuch 2009 des Historischen Ver-
eins für das Fürstentum Liechtenstein publiziert.
Kompliment! Eine überaus sehenswerte und sehr
interessante Ausstellung (Welt der Wiegendrucke)
- sollte auch in München gezeigt werden.
Stimme aus dem Gästebuch
WELT DER WIEGENDRUCKE
Nach langer und intensiver Vorbereitungszeit konn-
te am 29. Oktober 2009 in Anwesenheit der Landes-
fürstin Marie von und zu Liechtenstein und zahlrei-
cher Gäste aus dem In- und Ausland die Ausstellung
«Welt der Wiegendrucke - Die ersten gedruckten
Bücher der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Wei-
mar» eröffnet werden. Die renommierte, derzeit in
London tätige Harfenistin Stephanie Beck aus
Schaan umrahmte die Feier mit gediegenen Harfen-
klängen. An der Eröffnungsfeier sprachen Muse-
umsdirektor lie. phil. Norbert W. Hasler, Dr. Michael
Knoche, Direktor der Anna Amalia Bibliothek Wei-
mar und Dr. Eva Raffel, Kuratorin der Ausstellung
und Inkunabelspezialistin aus Tübingen/Weimar.
Die Ausstellung wurde durch Frau Regierungsrat
Dr. Aurelia Frick, Aussen- und Kulturministerin des
Fürstentums Liechtenstein, eröffnet.
Diese einmalige Ausstellung, die neben Weimar
exklusiv im Liechtensteinischen Landesmuseum ge-
zeigt wird und bis 18. April 2010 dauert, wurde von
Dr. Eva Raffel, Tübingen/Weimar und dem Direktor
des Liechtensteinischen Landesmuseums kuratiert.
Die Mitarbeit beim Konzept der Ausstellung, die De-
tailplanung und Ausstellungsgestaltung lag in den
bewährten Händen der Ausstellungsgestalterin Sil-
via Ruppen, Vaduz, der es hervorragend gelang,
eine der gediegensten und kostbarsten Ausstellun-
gen von überregionaler Bedeutung zu gestalten und
umzusetzen.
Am 11. November 2009 las im Rahmen der aktu-
ellen Sonderausstellung «Welt der Wiegendrucke»
der Schriftsteller Richard Pietrass aus seinem Tage-
buch «Mit einem Bein in Liechtenstein».
In Zusammenarbeit mit dem Buchdruckmuseum
«druck werk» in Dornbirn konnten drei historische
Buchdruckmaschinen im Foyer des Landesmuse-
ums installiert werden. Günter Seeber, Buchdrucker
aus Nendeln, führt in Workshops Kinder, Schüler
und interessierte Erwachsene in die Geheimnisse
der Schwarzen Kunst ein. Noch im Dezember 2009
fanden zwei dieser Veranstaltungen statt, fünf wei-
tere sind im Rahmen der Ausstellungsdauer für
2010 geplant.
263
Die Welt der Wiegendru-
cke: Blick in die Ausstel-
lung, gestaltet vom Atelier
Silvia Ruppen, Vaduz.
Die Harfenistin Stephanie
Beck, Schaan/London, bei
der Vernissage.
Ein Glanzstück der Aus-
stellung: Das Missale Car-
thusiamim aus Speyer,
gedruckt von Peter Drach
für Henrick Eckert van
Homberch in Delft, 1496,
Pergamentexemplar.
264
LIECHTENSTEINISCHES LANDESMUSEUM
2009
Museumsdirektor Norbert
W. Hasler, Eva Raffel, Ku-
ratorin der Ausstellung,
Michael Knoche, Direktor
der Herzogin Anna Amalia
Bibliothek Weimar, und
Frau Kleiser vom Buch-
druckmuseum Dornbirn
begleiten I. D. Fürstin Ma-
rie von und zu Liechten-
stein durch die Schatz-
kammer der Bücher.
Barbara Vogt, Leiterin der
Liechtensteinischen Lan-
desbibliothek, mit dem
Werk «Orthographia» des
Johannes Tortellius, ge-
druckt 1477 in Treviso von
Hermann Liechtenstein.
Das Buch ist im Besitz der
Liechtensteinischen Lan-
desbibliothek.
Günther Seeber, Drucker
aus Nendeln, demonstriert
die Funktion der Ding-
ier’sehen Kniehebelpresse
von 1850, einer Leihgabe
des Vorarlberger Landes-
museums aus dem Drucke-
reimuseum «druck werk»
in Dornbirn.
Unter den zahlreichen
Vernissagegästen, von
links: Annerose Neumeyer,
Weimar, Johannes Senge,
Weimar, S. E. Prinz Stefan
von Liechtenstein, Bot-
schafter des Fürstentums
Liechtenstein in Berlin,
Henning von Vogelsang,
Präsident der Kulturstif-
tung Liechtenstein-Weimar
sowie Eberhart Neumeyer,
Vizepräsident der Kultur-
stiftung.
265
MITTWOCHABEND-FÜHRUNGEN
Seit Februar 2007 lädt das Liechtensteinische Lan-
desmuseum monatlich einmal zu einer Mittwoch-
abend-Führung mit einem besonderen Gast und ei-
nem speziell ausgewählten Thema ein. Die Mitt-
woch-Specials, die mit einem Apero ausklingen, fin-
den jeweils am ersten Mittwoch des Monats statt.
Die Veranstaltungsreihe erfreut sich weiterhin gros-
ser Beliebtheit und findet Anklang und Resonanz.
Folgende Gäste des Landesmuseums brachten diese
Themen den Besucherinnen und Besuchern näher:
Mittwoch, 7. Januar 2009
Adolf Frick, Stellvertretender Amtsleiter, Balzers.
Was Hänschen nicht lernt... Lehre und Berufsbil-
dung im Wandel.
Mittwoch, 4. Februar 2009
Hannes Jenny, Wildbiologe, Zizers. Geweihte und
Gehörnte. Fakten und Mythen um Horn und Ge-
weih.
Mittwoch, 4. März 2009
Astrid Meier, Ernährungsberaterin, Vaduz. Vom
Fasten zum Fast Food. Essgewohnheiten zwischen
Mangel und Überfluss.
Mittwoch, 1. April 2009
Marco Schädler, «Kommissar», Triesenberg. April-
April, macht was er will - Eine irre Führung.
Mittwoch, 6. Mai 2009
Jutta Hämmerle, Goldschmiedin, Vaduz. Braucht
Schmuck Geschmack? Womit der Mensch sich
schmückt.
Mittwoch, 3. Juni 2009
Emanuel Banzer, Landesrüfemeister, Triesen.
Dämme, Schleusen und Schwellen. Warum der
Rhein noch nicht gebändigt ist.
Mittwoch, 1. Juli 2009
Dr. Rupert Quaderer, Historiker, Schaan. «Ein
kostspieliger Nonsens ...». Das Liechtensteiner
Militär bis 1868.
Mittwoch, 5. August 2009
DDr. Esther Kocsis, Beauftragte für Suchtfragen,
Feldkirch. Berauschende Gewächse. Über Genuss
und Missbrauch.
Mittwoch, 2. September 2009
Ortwin Quaderer, Polizist i. R., Schaan. Köfferli
Schädler (t 1966). Hausierer und Dorforiginal.
Mittwoch, 7. Oktober 2009
Warm, wärmer, am wärmsten... Geschichten rund
ums Heizen; mit Albert Kindle, Kaminfeger, Trie-
sen.
Mittwoch, 4. November 2009
lie. phil. II. Marianne Lörcher, Anthropologin,
Sevelen. Hals- und Beinbruch ... Was Knochen
erzählen.
Mittwoch, 2. Dezember 2009
Dr. Alois Senti, Volkskundler, Meis. «Von drauss
vom Walde komm ich her ...». Dem Sankt Nikolaus
auf der Spur.
Diese Mittwochveranstaltungen werden jeweils von
Mitgliedern des Teams Museumsführungen vorbe-
reitet und geleitet. Die Museumsleitung dankt allen
Beteiligten sehr herzlich für ihren Einsatz und ihr
Engagement. Die Reihe wird im Jahr 2010 fortge-
setzt werden.
266
LIECHTENSTEINISCHES LANDESMUSEUM
2009
Special-Guests der Mitt-
wochabend-Führungen:
der Historiker Rupert
Quaderer (oben), die Gold-
schmiedin Jutta Hämmerle
(Mitte links), die Anthropo-
login Marianne Lörcher
(Mitte rechts), der Polizist
i. R. Ortwin Quaderer (unten
links) und der Volkskund-
ler Alois Senti mit St. Niko-
laus.
267
Impressionen vom fünften
Liechtensteiner Familien-
tag, der am 17. Mai 2009
stattfand.
268
LIECHTENSTEINISCHES LANDESMUSEUM
2009
Lange Nacht der Museen:
Feierliche Orgelklänge im
Landesmuseum zu vor-
gerückter Stunde. Am
Orgelpositiv: Maria Erd-
mann aus Warschau.
Am 17. Mai 2009 beteiligte sich das Landesmu-
seum zum fünften Mal am Liechtensteiner Familien-
tag, einem Projekt des Kunstmuseums Liechten-
stein, des Landesmuseums, des Kunstraums Eng-
länderbau und des Postmuseums, mit finanzieller
Unterstützung der Gemeinde Vaduz. Der Fünfte
Liechtensteiner Familientag fand erstmals im Früh-
jahr statt, in Verbindung mit dem Internationalen
Tag der Museen. Das besonders auf Kinder und Ju-
gendliche ausgerichtete Rahmenprogramm war im
Kontext der aktuellen Sonderausstellung «Egon
Rheinberger» auf das Thema Burgen und Schlösser
ausgerichtet. Das Landesmuseum konnte an diesem
Tag insgesamt 425 Besucherinnen und Besucher
verzeichnen.
Erneut nahm das Liechtensteinische Landesmu-
seum auch im Berichtsjahr an der vom ORF organi-
sierten «Langen Nacht der Museen» vom 3. / 4. Ok-
tober 2009 teil und konnte zu nächtlicher Stunde
325 Gäste begrüssen. Ein Rahmenprogramm mit
Clavicord- und Orgelklängen, gespielt von Dr. Rys-
zard Moros aus Münster in Westfalen und der Orga-
nistin Maria Erdmann aus Warschau, begeisterte
die Besucherinnen und Besucher, die sich auch über
das reichhaltige Buffet erfreuten. Der Erlös daraus
ging erneut an das Hilfsprojekt «together - Brunnen
für Indien». Der Betrag von 1859.05 Franken wurde
durch den LED verdoppelt und für das Brunnenbau-
Projekt von «together» in Indien überwiesen.
269
Bürgermeister Ewald Os-
pelt sowie Mitglieder des
Gemeinderats und der
Kulturkommission der
Gemeinde Vaduz besuchen
die Sonderausstellung
«Egon Rheinberger (1870
bis 1936) - Zeitenwande-
rer».
Neue Publikationen und
Flyer aus dem Landesmu-
seum.
LIECHTENSTEINISCHES
I^NDHSMUSEUM 2008
Mittwoch Fei abend
pyf. l :.n¿rmm
Siß
1 M
Welt der
Wiegendrucke
Führungen durch
die Ausstellungen
270
LIECHTENSTEINISCHES LANDESMUSEUM
2009
PROJEKTE UND PUBLIKATIONEN
Neben infrastrukturellen Massnahmen und Investi-
tionen in den Dauer- und Sonderausstellungsberei-
chen wurde im Berichtsjahr ein besonderes Augen-
merk auf Verbesserung und Optimierung von Kom-
munikations-, Werbe- und PR-Massnahmen gelegt.
Unter anderem wurde im Kassabereich des Landes-
museums ein Monitor installiert, der die Besuche-
rinnen und Besucher laufend auf die kommenden
Veranstaltungen hinweist.
Das Angebot der mehrsprachigen Museums-Fly-
er wurde um eine Ausgabe in russischer Sprache er-
weitert, ebenso wurden spezielle Flyer über die An-
gebote an Führungen durch die Ausstellungen neu
aufgelegt. Mittels Inseraten, Pressemitteilungen,
Newsletter und Briefaussendungen sucht das Lan-
desmuseum auf seine Aktivitäten aufmerksam zu
machen und Besucherinnen und Besucher anzu-
sprechen. Interessantes über das Landesmuseum -
Vorschau und Rückschau - ist auf www.landes-
museum.li zu erfahren.
Dank grosszügiger finanzieller Unterstützung sei-
tens der Gemeinde Vaduz konnte die Museumslei-
tung eine reich illustrierte Begleitpublikation zur
Ausstellung «Egon Rheinberger - Zeitenwanderer»
herausgeben mit Beiträgen von Arthur Brunhart,
Norbert W. Hasler, Nicole D. Ohneberg, Rudolf
Rheinberger (t 2009) und Anton Wilhelm über Le-
ben und Werk von Egon Rheinberger (1870-1936).
Neben der Realisierung der aktuellen Sonderaus-
stellungen für 2009 galt es die Planung und Vorbe-
reitung der Ausstellungsprojekte für 2010 und die
kommenden Jahre voranzutreiben.
Das Ausstellungsprogramm wurde aus Spar- und
anderen Gründen auf zwei Sonderausstellungen pro
Jahr zurückgestuft. 2010 finden folgende Ausstel-
lungen statt: «Louis Bleuler (1792 bis 1850): Der
Rhein von den Quellen bis zur Mündung - Ein Quer-
schnitt durch die Rheinreise» (Gouachen aus der
Sammlung Adulf Peter Goop), Beginn März 2010,
und «Bevor die Römer kamen - Späte Kelten am Bo-
densee», zu sehen ab Mai 2010 - ein Gemein-
schaftsprojekt des Museums für Archäologie des
Kantons Thurgau in Frauenfeld, des Archäologi-
schen Landesmuseums Baden-Württemberg in
Konstanz, des Vorarlberger Landesmuseums in
Bregenz, der Fachstelle Denkmalpflege und Archäo-
logie Liechtensteins und des Liechtensteinischen
Landesmuseums.
Die Museumsleitung hat sich überdies zum Ziel
gesetzt, sechs Jahre nach der Wiedereröffnung des
Landesmuseums vom November 2003, die Dauer-
ausstellungen zu überarbeiten, zu optimieren und
zu aktualisieren. Eine Arbeitsgruppe mit Einbezug
der Fachstelle für Denkmalpflege und Archäologie
und der Leitung der Naturkundlichen Sammlung
wird sich um Konzept, Inhalte und ausstellungs-
technische Optimierungen bemühen. Die Überar-
beitung der landeskundlichen Inhalte und deren
Realisierung in den Dauerausstellungen sollte bis
spätestens 2013, dem 10-jährigen Jubiläum des
Museums-Neubeginns abgeschlossen sein.
Der Bereich Zeitgeschichte - die Zeit vom Ende
des Zweiten Weltkriegs 1945 bis zur Weltwirt-
schaftskrise 2008/09 - wird Thema eines Work-
shops mit Studenten und Studentinnen der Hoch-
schule Liechtensteins unter Leitung der Ausstel-
lungsmacherin Brigitte Felderer aus Wien sein. Die-
ser Workshop wird in der ersten Januarwoche 2010
stattfinden. Resultate des Workshops werden an-
schliessend am 9. Januar 2010 in der Hochschule
Liechtenstein präsentiert.
Mit zahlreichen Gemälden aus seinem Samm-
lungsbestand war das Liechtensteinische Landes-
museum an der von Dr. Cornelia Herrmann kura-
tierten Ausstellung «Anton Ender, Visionen der Stil-
le» - Gedächtnisausstellung zum 25. Todestag des
Liechtensteiner Malers - vertreten. Diese Ausstel-
lung wurde vom 25. September bis 4. Oktober 2009
in den Pfrundbauten in Eschen gezeigt. Thomas
Müssner, Restaurator des Landesmuseums, war
auch bei den Aufbauarbeiten der Ausstellung betei-
ligt.
271
BESUCHE UND FÜHRUNGEN
Neugierige Besucherinnen
und Besucher auf Entde-
ckungsreise im Landesmu-
seum.
Kalligraphische Übungen
im Rahmen von Schulklas-
senführungen: Vor der
Erfindung des Buchdrucks
wurden Bücher in Scripto-
rien mit Gänsekiel und
Feder geschrieben.
Trotz ansprechendem und vielseitigem Angebot
war die Besucherzahl im Berichtsjahr - wie bereits
erwähnt - rückläufig. Insgesamt wurde das Landes-
museum von 10 790 (Vorjahr 12 970) Gästen be-
sucht. Davon kamen 39,2 Prozent der Besucherin-
nen und Besucher aus Liechtenstein, 13,2 Prozent
aus der Schweiz, 9,3 Prozent aus Deutschland, 4,6
Prozent aus Österreich, 9,6 Prozent aus weiteren
europäischen Ländern und 24,1 Prozent aus der
restlichen Welt. Die Mitglieder des Teams Museums-
führungen waren insgesamt 122 Mal im Einsatz und
führten Gruppen, Familien und Schulklassen durch
die Dauer- und Wechselausstellungen des Landes-
museums.
Dem Team Museumsführungen danke ich sehr
herzlich für den kompetenten und engagierten Ein-
satz in der wichtigen und zentralen Aufgabe der
Vermittlung von Ausstellungs- und Museumsinhal-
ten.
AUSSENSTELLE WOHNMUSEUM HAUS
NR. 12 IN SCHELLENBERG
Das bäuerliche Wohnmuseum Haus Nr. 12 in Schel-
lenberg wurde auch im Berichtsjahr 2009 - im 15.
Jahr seit der Eröffnung im Frühjahr 1994 - vom be-
währten Team Hedy Biedermann, Schellenberg,
und Claudia Hürlimann, Gamprin, betreut. Das
Wohnmuseum, ein beliebtes Ausflugsziel in Schel-
lenberg, wurde von rund 400 Gästen besucht. Nach
sechsjähriger Mitarbeit im Aufsichtsdienst des Wohn-
museums ist Frau Hürlimann auf eigenen Wunsch
per Ende 2009 aus dem Museumsdienst ausgetre-
ten. Die Museumsleitung dankt ihr sehr herzlich für
den vorbildlichen Einsatz im Dienste des Schellen-
berger Wohnmuseums.
272
LIECHTENSTEINISCHES LANDESMUSEUM
2009
AUSSENSTELLE POSTMUSEUM IN VADUZ
Die Besucherzahl des Postmuseums, das an sieben
Wochentagen bei freiem Eintritt geöffnet ist, blieb
auch 2009 konstant. Es wurden insgesamt 11 350
Gäste verzeichnet gegenüber 11 581 Besucherinnen
und Besuchern im Vorjahr. Das Postmuseum nahm
ebenfalls am 5. Liechtensteiner Familien- und Mu-
seumstag wie auch an der «Langen Nacht der Mu-
seen» teil. 229 (im Vorjahr 128) Gäste fanden in der
«Langen Nacht der Museen» im Oktober 2009 den
Gang ins Postmuseum.
In zwei Sonderausstellungen machte das Post-
museum auf sich und die Liechtenstein-Philatelie
aufmerksam. Am 2. März 2009 wurde die Ausstel-
lung «Astronomie» mit Exponaten aus dem Gestal-
tungswettbewerb der Kunstschule Liechtenstein zur
gleichnamigen Briefmarkenausgabe eröffnet.
Zum Jahresausklang zeigte das Postmuseum
dann die Ausstellung «Frohe Weihnacht und Prosit
Neujahr» mit nostalgischen Briefmarken- und Kar-
tenmotiven aus der eigenen Sammlung.
Auf Einladung des Deutschen Philatelistenver-
bandes zeigte das Postmuseum in der Ausstellung
«IX. Erzgebirgsschau in Schwarzenberg im Erzge-
birge» fünfzig Exponate aus seiner philatelistischen
Sammlung. Das Postmuseum wurde vom Veranstal-
Erika Babaré, Kuratorin
des Postmuseums, und
Bruno Kaufmann, ehema-
liger Direktor der Kunst-
schule Liechtenstein, eröff-
nen die Briefmarkenaus-
stellung «Astronomie».
Norbert Hasler, Leiter der
Abteilung Philatelie bei der
Post AG und Norbert W.
Hasler, Direktor des Lan-
des- und Postmuseums,
mit Leta Krähenbühl, der
Siegerin des Gestaltungs-
wettbewerbs «Astrologie»
und zugleich Schülerin der
Kunstschule Liechtenstein.
273
Nostalgie im Postmuseum:
Sonderausstellung zum
Jahreswechsel.
ter für «die schönsten Marken Liechtensteins» mit
einer Urkunde ausgezeichnet.
Mit Entwürfen und Briefmarken aus den eigenen
Beständen beteiligte sich das Postmuseum ebenfalls
an der Anton Ender Gedenkausstellung in den
Pfrundbauten in Eschen vom September 2009.
Frau Heidi Oehri war während 20 Jahren im Auf-
sichtsdienst des Postmuseums tätig und trat im Mai
2009 in den wohlverdienten Ruhestand. Namens
der Museumsleitung danke ich Frau Oehri herzlich
für ihren engagierten Einsatz im Dienste des Post-
museums.
Auch im Berichtsjahr wurden die Sammlungen
des Postmuseums um 375 Karten sowie durch die
Dokumente der Liechtensteiner Briefmarkenausga-
ben seitens der Liechtensteinische Post AG erweitert
und ergänzt.
Für 2010 ist die Auslagerung der gesamten De-
potsammlung des Postmuseums in die Kulturgüter-
schutzanlage des Liechtensteinischen Landesmuse-
ums vorgesehen.
274
LIECHTENSTEINISCHES LANDESMUSEUM
2009
SAMMLUNGEN
Das Landesmuseum konnte im Berichtsjahr rund
150 Neuzugänge in seine Sammlungen verzeich-
nen. Die konservatorische Aufarbeitung und Inven-
tarisierung der Objekte und Dokumente - die meis-
ten gelangten als Schenkung in die Museumssamm-
lung - ist noch im Gange. Unter den Neuzugängen
befinden sich kartographische Blätter, Ansichten
von Burgen und Palais des Fürstlichen Hauses
Liechtenstein in Österreich sowie in Böhmen und
Mähren, aber auch die Militärtrompete aus dem
Nachlass des Liechtensteiner Militärveteranen An-
dreas Hasler (1845-1912), Flechtarbeiten - Ta-
schen, Schatullen - der 1945 in Liechtenstein inter-
nierten russischen Soldaten aus der Armee General
Holmstons, eine wertvolle fussbetriebene Töpfer-
maschine sowie zahlreiche Dokumente und Objekte
aus der Sach- und Alltagskultur. Namentlich er-
wähnt sei die Übergabe bedeutender Teile des Foto-
archivs des Pressefotografen Fritz Baum, Ruggell, in
das Bildarchiv des Landesmuseums.
Die konservatorische und museologische Bear-
beitung der in den Jahren 2006 und 2007 erworbe-
nen Sammlung mit Wachs- oder Klosterarbeiten
sollte bis 2011 abgeschlossen sein. Auf Ende 2011
ist dann eine Sonderausstellung geplant, die einen
Querschnitt durch die rund 850 Objekte umfassende
Sammlung zeigen wird.
NEUZUGÄNGE IN DIE MUSEUMSSAMMLUNG
Benjamin Steck
(1902-1981): Tänzerin.
Signiert und datiert:
«B. Steck, 1965».
Öl auf Holz.
Bildmass: 30,5 x 24,0 cm
E 2009/0019.
275
Altes und neues Schloss
Liechtenstein in Mödling
bei Wien.
Kolorierter Stahlstich von
R. Young nach Zeichnung
von Franz Barbarini, aus:
Panorama der österreichi-
schen Monarchie. Pest und
Leipzig, 1839.
Bildmass: 10,1 x 15,5 cm.
E 2009/0090.
Schenkung: S.D. Prinz
Emmeram von und zu
Liechtenstein.
Wappen des Fürstenhau-
ses Liechtenstein.
Bezeichnet: «Fürst von
Liechtenstein».
Kolorierte Lithographie.
E 2009/0066.
Schenkung: S.D. Prinz
Emmeram von und zu
Liechtenstein.
Schlossruine Liechtenstein
in Brühl bei Wien.
Kolorierter Stahlstich nach
Originalzeichnung von
Marzak.
Bildmass: 14,6 x 23,0 cm.
E 2009/0096.
Schenkung: S.D. Prinz
Emmeram von und zu
Liechtenstein.
Der Sitz der Gemälde-
sammlung des Fürsten von
Liechtenstein: Das Palais
in der Wiener Vorstadt
Rossau. Kolorierter Stahl-
stich, gedruckt bei Artaria,
Wien.
Bildmass: 26,4 x 40,0 cm.
E 2009/0087.
Schenkung: S.D. Prinz
Emmeram von und zu
Liechtenstein.
276
LIECHTENSTEINISCHES LANDESMUSEUM
2009
Türkisches Minarett im
Park zu Eisgrub in
Mähren.
Lithographie nach Zeich-
nung von Moritz Trapp,
aus der Kunstanstalt von
Alexander Alboth, Leipzig,
erschienen in Carl Bell-
mann’s Verlag in Prag um
1850.
Bildmass: 14,0 x 10,7 cm.
E 2009/0072.
Schenkung: S.D. Prinz
Emmeram von und zu
Liechtenstein.
Ansicht der Frauenburg in
Unzmarkt in der Steier-
mark, Stammsitz des Min-
nesängers Ulrich von
Liechtenstein.
Stahlstich nach Original-
zeichnung von J.J. Kirch-
ner.
Blattmass: 31,5 x 22,5 cm.
E 2009/0069.
Schenkung: S.D. Prinz
Emmeram von und zu
Liechtenstein.
277
Theatrum Belli Rhenani:
Der Rhein von den Quellen
bis zur Mündung.
Kupferstichkarte mit
Flächen- und Grenzkolorit
von Johann Baptist Ro-
man, Nürnberg, 1702.
Links unten Nebenkarte
des Rheins von den Quel-
len des Vorder- und Hin-
terrheins in Graubünden
bis zur Ortschaft Rüthi im
St. Galler Rheintal.
Bildmass: 56,3 x 48,5 cm.
E 2009/0110.
Schenkung: S.D. Prinz
Emmeram von und zu
Liechtenstein.
278
LIECHTENSTEINISCHES LANDESMUSEUM
2009
Sattlerwerkstatt. Öldruck
auf Karton.
Bildmass: 62,0 x 102,5 cm,
E 2009/0001.
Schenkung: Arthur Reuti-
mann, Buchs SG.
Werkzeugschrank mit
Sattlereiwerkzeug.
E 2009/0002.
Schenkung: Arthur Reuti-
mann, Buchs SG.
Nähzange eines Sattlers.
E 2009/0003.
Schenkung: Arthur Reuti-
mann, Buchs SG.
Handgenähte Lederschul-
tasche, eine Sattlerarbeit.
E 2009/0128.
279
Radio mit Aufsteckdetek-
tor, Eigenbau.
Masse: 11 x 20 x 14,5 cm.
E 2009/0044.
Schenkung: Arthur Reuti-
mann, Buchs SG.
Töpferscheibe. Holzkon-
struktion mit Fussantrieb,
aus der Keramischen
Werkstätte und Tonwaren-
fabrik Gebrüder Schädler,
Nendeln (vgl. Inserat ne-
benan).
Masse: 86 x 109 x 96 cm.
E 2009/0129.
Schenkung: Philipp Eigen-
mann, Keramik Schädler
AG, Nendeln.
280
LIECHTENSTEINISCHES LANDESMUSEUM
2009
£>ie bekömmliche 10er Öiqoitc
In Liechtenstein bekannt unter dem Namen
SCHAANER FORELLEN
Generalvertreter: Karl Pieren, Schaan
Keramische Werkstätle und Tonwarenfabrik
GEBR. SCHÄDLER, Nendeln
Erzeugung' von :
Vaasiir Cachepots* Dosen* Schalen etc« in
moderner und neuzeitlicher Ausführung'.
Garten-Keramik und Plastiken«
Kachelöfen in verschiedenen Formen u, Nuancen*
Anzeigen ; Schweizer-Annoncen A. G.. St* Gallen*
Druck; ßuchdmdteifel Kaiser* Vaduz*
Zigarrenkiste (leer!) mit
Aufschrift «Schaaner Fo-
rellen», sowie Inserat aus
dem Offiziellen Katalog der
Landesausstellung in Va-
duz, 29. September bis
15. Oktober 1934, S. 168.
E 2009/0036.
Schenkung: Dr. Peter
Rheinberger, Vaduz.
Flechtwerkschatulle in
Herzform, Vor- und Rück-
seite. Flechtarbeit inter-
nierter russischer Wehr-
machtsoldaten in Liech-
tenstein, um 1946.
E 2009/0134.
Schenkung: Henning Frhr.
von Vogelsang, Gamprin.
Schatulle mit dekoriertem
Flechtwerk. Flechtarbeit
internierter russischer
Wehrmachtsoldaten in
Liechtenstein, um 1946.
E 2009/0131.
Schenkung: Henning Frhr.
von Vogelsang, Gamprin.
281
AUSBLICK IN DAS JAHR 2010
DANK
Auf 1. Januar 2010 tritt ein neues Gesetz betreffend
die Stiftung Liechtensteinisches Landesmuseum in
Kraft. Es ersetzt die bisherigen Bestimmungen in
Gesetz und Statuten vom Mai 1972. Dabei handelt es
sich um das «Gesetz über die Steuerung und Über-
wachung öffentlicher Unternehmen (Öffentliche-
Unternehmen-Steuerungs-Gesetz; ÖUSG)», LGB1.
Nr. 356 vom 30. Dezember 2009 und das «Gesetz
über das Liechtensteinische Landesmuseum (LLMG)»,
LGB1. Nr. 369 vom 30. Dezember 2009. Das neue Ge-
setz folgt dem Gedanken der Corporate Governance
und regelt die Kompetenzen klar in eine strategi-
schen Führung (Stiftungsrat) und eine operativen
Führung (Museumsleitung). Die operative Leitung
wird inskünftig in einem Dreierkollegium wahrge-
nommen. Die Museumsleitung wird von lic. phil.
Norbert W. Rasier und lic. phil. Arthur Brunhart
wahrgenommen, die kaufmännische Leitung liegt
bei Volker Frömmelt.
Namens der Museumsleitung danke ich sehr herz-
lich für jede zielführende Zusammenarbeit und hilf-
reiche Unterstützung im Berichtsjahr 2009, in ers-
ter Linie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des
Landesmuseums, den Teams der Fachstelle Denk-
malpflege und Archäologie, des Amtes für Wald, Na-
tur und Landschaft AWNL und dem Team Museums-
führungen.
Ein besonderer Dank gilt den Donatoren Fritz
Baum, Elisabeth Büchel-Bürzle, Paul Büchel, Philipp
Eigenmann, S. D. Prinz Emmeram von Liechten-
stein, Franz Traub, Gertrud Verling, Freiherr Hen-
ning von Vogelsang und Arthur Reutimann für wert-
volle Zuwendungen und Ergänzungen in die Muse-
umssammlungen.
Vaduz, im Januar 2010
lic. phil. Norbert W. Rasier, Direktor
Der Jahresbericht 2009 des Liechtensteinischen
Landesmuseums wurde in der Sitzung vom 8. Feb-
ruar 2010 durch den Stiftungsrat genehmigt.
Mit Dank für eine ausserordentlich informative
und hervorragend dargebotene Ausstellung, sowohl
was die Dauerausstellung als auch die Rheinber-
ger-Exposition betrifft. Eine hochinteressante
Ausstellung zur Geschichte Ihres Landes. Gott
schütze Liechtenstein und seine Bürger.
Stimme aus dem Gästebuch
282
LIECHTENSTEINISCHES LANDESMUSEUM
2009
PERSONALÜBERSICHT 2009
STIFTUNGSRAT
- Mag. Eva-Maria Rechter, Triesen
- Dr. Mario F. Broggi, Triesen
- Christa Eberle, Triesenberg
- Michael Goop, Triesen
- Christel Kassier, Schellenberg
- Irene Lingg-Beck, Planken (Präsidentin)
- Luise Walser, Vaduz
MUSEUMSKOMMISSION
- Petra Büchel, Triesen
- Josef Eberle, Triesenberg
- lic. phil. Norbert W. Hasler, Schaan (Vorsitz)
- Silvio Hoch, Triesen
MUSEUMSPERSONAL
Leitung und Verwaltung
- Erika Babaré, Kuratorin des Postmuseums des
Fürstentums Liechtenstein
- lic. phil. Arthur Brunhart, wissenschaftl.
Mitarbeiter, Direktor-Stv.
- Sven Beham, Sachbearbeitung Fotografie und
Dokumentation
- Tanja Büchel-Felder, Sekretariat (Job-Sharing),
bis 31. Dez. 2009
- Lorenz Frömmelt, Museumstechniker
- Volker Frömmelt, Kaufmännischer Leiter, ab
1. Januar 2009
- lic. phil. I. Norbert W. Hasler, Direktor
- Thomas Müssner, Restaurator
- Elfi Schädler, Sekretariat, ab 23. Februar 2009
(Job-Sharing)
Kassa- und Aufsichtsdienst Liechtensteinisches
Landesmuseum
- Barbara Alheit-Mosing
- Brigitte Büchel
- Emerita Büchel-Foser, bis 30. Sept. 2009
- Vlado Franjevic
- Helen Goop
- Annie Jeger-Wächter, bis 31. Dez. 2009
- Martina Marxer
- Hannah Pfefferkorn
- Andrea Schädler
- Silvia Schädler-Hoch
- Brigitte Schweiger
- Jasmin Tescari
- Yvonne Walser
Aufsichtsdienst Wohnmuseum Haus Nr. 12
in Schellenberg
- Hedy Biedermann
- Claudia Hürlimann, bis 30. Okt. 2009
Aufsichtsdienst Postmuseum des Fürstentums
Liechtenstein
- Cécile Beck
- Patricia Kindle-Dworak
- Ingrid Malin
- Heidi Oehri, bis 31. Mai 2009
- Ruth Wächter
Team Museumsführungen
- Barbara Alheit, Eschen
(Schulklassenführungen)
- Anja Fasel-Schreiber, Vaduz
- Keiko Gantenbein, Werdenberg
- Dr. Verena Hasenbach, Triesen
- Stefanie Leibfried, Gamprin
- lic. phil. II. Marianne Lörcher, Sevelen
- Angelika Sartor, Schaanwald
- Silvia Schädler, Triesenberg
- Jürgen Schindler, Eschen
283
BILDNACHWEIS ANSCHRIFT DES AUTORS
Bildarchiv Liechtenstei- nisches Landesmuseum lic. phil. Norbert W. Rasier Liechtensteinisches Lan- desmuseum Postfach 1216 FL-9490 Vaduz
284
200 JAHRE
GRUNDBUCH
(1809-2009)
AUSSTELLUNG IM LIECHTENSTEINISCHEN
LANDESMUSEUM
Einblick in die Sonder-
ausstellung «200 Jahre
Grundbuch (1809-2009)»,
die von Mai bis Oktober
2009 im Liechtensteini-
schen Landesmuseum in
Vaduz zu sehen war.
200 JAHRE GRUNDBUCH
(1809-2009)
200 Jahre Grundbuch
Eine Einführung
ARTHUR BRUNHART
Eine Ausstellung im Liechtensteinischen Landesmu-
seum zeigte anhand von Dokumenten und Karten
einige Leitlinien der Entwicklung des Liechtensteini-
schen Grundbuchs seit seiner Schaffung am 1. Ja-
nuar 1809. Ebenso wurde in diesem Zusammen-
hang die Geschichte der Landesvermessung gezeigt.
Seit der Katastervermessung 1865-1871 bildet ein
Grundkataster die Basis des Grundbuchs, das man
1809 als Bodenwertkataster angelegt hatte.
Am 12. Juli 1806 gründeten Napoleon und 16
Fürsten aus Südwestdeutschland den Rheinbund,
dem auch das Fürstentum Liechtenstein angehörte.
Die Länder des Rheinbundes erhielten formell die
staatliche Souveränität. Der Landesfürst nahm nun
alle Rechte der Staatsgewalt für sich in Anspruch, er
hatte die alleinige Kompetenz zur Machtausübung
im Inneren des Staates.
In Liechtenstein regierte damals Fürst Johann I.
von Liechtenstein, der als Reformer in die Geschich-
te Liechtensteins einging. Er verfügte eine Fülle von
Neuerungen, vor allem in der Staatsverwaltung und
in der Rechtsprechung. Der Landsbrauch wurde
kurzerhand abgeschafft. Die bisherigen Verwal-
tungsstrukturen hörten auf zu existieren. Liechten-
stein wurde von einer Reformwelle überrollt, die
von der Bevölkerung nur schwer akzeptiert wurde.
Verschiedene Verordnungen und Zwangsvorschrif-
ten stiessen auf Widerstand.
Auch die Einführung des Grundbuchs wurde als
schlimme Neuerung empfunden, auch weil falsche
Vorstellungen über die Aufgabe eines Grundbuchs
vorhanden waren. Im Grundbuch wurden nun alle
Grundstücke, alle Besitzer und ebenfalls die auf den
Grundstücken haftenden Schulden von Staats we-
gen erfasst. Das Grundbuch schuf zugleich die
Grundlagen für die Besteuerung des Grundbesitzes.
Eigentumsrechte wurden geklärt und gesichert. Die
Einführung des Grundbuchs war ein schwieriger
und langwieriger Prozess, weil Urkunden oder
schriftliche Aufzeichnungen oft fehlten und die Ver-
hältnisse in Lokalaugenscheinen erhellt werden
mussten. Das Grundbuch spielt als Instrument der
Rechtssicherheit eine wichtige Rolle.
Vom 15. Mai bis zum 4. Oktober 2009 präsentier-
te das Landesmuseum eine Ausstellung zum Thema
«200 Jahre Grundbuch». Sie zeigte die wichtigsten
Entwicklungslinien des Liechtensteiner Grund-
buchs seit seiner Schaffung am 1. Januar 1809 und
die Rolle der liechtensteinischen Landesvermes-
sung seit 1865.
Der Anfang der Ausstellung markierte eine gros-
se Altkatasterkarte Triesenbergs aus dem Jahre
1865, auf der die seitherigen Veränderungen der
Siedlung optisch sichtbar gemacht sind. Erste aus-
gestellte Apparate wiesen auf den Zusammenhang
der Vermessung mit dem Grundbuch hin. Der Ein-
gangsbereich präsentierte ebenfalls ein Wandbild
des Roten Hauses in Vaduz sowie den entsprechen-
den Originaleintrag im Grundbuch, ergänzt durch
die zum Jubiläum geschaffenen Briefmarke und den
Altkatasterplan von Dorf, Schloss und Amtsquartier
Vaduz.
Die Ausstellung im Hauptraum zeigte Karten und
Dokumente sowie Vermessungsinstrumente aus
den Sammlungen des Landesmuseums und aus Pri-
vatbesitz. Ein zentrales Exponat war das bis 1923
gültige Grundbuchpatent vom 1. Januar 1809. Ge-
mäss Artikel 1 des Grundbuchpatents von 1809
musste das Oberamt über alle «untertänigen unbe-
weglichen Güter, Gründe, Rechte und Dienstbarkei-
ten in der möglichst kürzesten Frist eigens dazu ge-
widmete Grundbücher errichten und her stellen».
Laut Artikel 2 bestand das Grundbuch aus zwei Tei-
len, dem «eigentlichen Grundbuch» und dem «Ur-
kundenbuch». Das Grundbuchpatent vom 1. Januar
1809 wurde, wie es dort heisst, erlassen «aus lan-
desväterlicher Fürsorge für unsere getreuen Unter-
tanen und um ihnen einerseits den Besitz ihres Ei-
gentums, andererseits aber auch die Rechte der
Gläubiger auf eine gesetzmässige Art zu versi-
chern».
Die Bevölkerung wehrte sich anfangs gegen die
Einführung des Grundbuchs. 1812 übernahm
Liechtenstein das österreichische Allgemeine Bür-
gerliche Gesetzbuch, welches Grundbuchrecht ent-
hielt. Informiert wurde auch über die Personen, die
hinter dem Grundbuch standen, und über die recht-
lichen Grundlagen, auf denen das Grundbuch be-
ruht.
287
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Die erste und letzte Seite
des Grundbuchpatents von
1809, welches bis ins Jahr
1923 in Kraft blieb. «Aus
landesväterlicher Fürsorge
für unsere getreuen Un-
terthanen» und zur Siche-
rung der Besitzansprüche
auf Grundeigentum, aber
auch zur Wahrung der
Rechte von Gläubigern
führte Fürst Johann I. im
Jahr 1809 das Grundbuch
in Liechtenstein ein. Darin
wurden sämtliche Grund-
stücke «nebst ihren Besit-
zern, Schuldigkeiten, La-
stungen und Haftungen»
eingetragen. Zuständig für
diese Einträge war das
Oberamt in Vaduz.
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288
200 JAHRE GRUNDBUCH
(1809-2009)
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Die letzte Seite des Grund-
buchpatents widmet sich
der Regelung von Ein-
tragsgebühren für Grund-
stücke. Die Höhe dieser
Gebühren hing nicht nur
von der Grösse und vom
Wert des Grundstücks ab,
sondern auch von der
Frage, ob und wie hoch
ein Grundstück verschul-
det war. Abschriften aus
dem Grundbuch waren
ebenfalls gebührenpflich-
tig. Das Grundbuchpatent
ist von Fürst Johann I.
persönlich unterzeichnet.
289
Ein eindrückliches Exponat war eine Übersichts-
karte des Fürstentums Liechtenstein, signiert vom
damaligen Landestechniker Peter Rheinberger auf
Neujahr 1872. Grundlage der Karte waren 250
grössere einzelne Altkatasterpläne aus den Jahren
1865-1871. Einzelne solcher Altkatasterkarten wa-
ren ausgestellt und zeigten jeweils das Zentrum ei-
ner Liechtensteiner Gemeinde.
Weitere Dokumente informierten über die Mass-
nahmen der Behörden über die «Einführung und
Behandlung der Grundbücher». Weil 1809 Urkun-
den oft fehlten, musste man auf die Lokalität und die
Übersichtskarte von Liech-
tenstein, signiert von Lan-
destechniker Peter Rhein-
berger, 1872. Grundlage
für diese Karte waren die
Altkatasterpläne aus den
Jahren 1865-1871.
persönliche Erinnerung der Landesbewohner ab-
stellen.
Das Grundbuch durchsetzen musste der neu er-
nannte Landvogt Josef Schuppler, der in den 19 Jah-
ren seiner Amtstätigkeit im Fürstentum viele Refor-
men durchsetzte. Zum Amtsantritt im Herbst 1808
wurde ihm Thomas Budig als «Gerichtsaktuar und
Grundbuchführer» beigesellt. Der Grundbuchführer
bekam ein jährliches Gehalt von 300 Gulden und
sechs Klafter Brennholz.
Gezeigt wurden anhand mehrerer Dokumente
einzelne Entwicklungsschritte der Grundbuchorga-
nisation, ein Bericht der Geschäftsprüfungskom-
mission des Landtags von 1925, die Sicherung des
Grundbuchbüros mittels eisernen Türen, den Ein-
bau des ersten Telefonanschlusses oder über die Mi-
kroverfilmung der Grundbücher 1965 und die
Schaffung der heutigen gesetzlichen Grundlagen
des Liechtensteiner Grundbuchs und der Landes-
vermessung. Im Jahr 2000 wurde das Grundbuch-
amt mit dem Öffentlichkeitsregisteramt zusammen-
gelegt. 2003 folgte die Umstellung des Grundbuchs
290
200 JAHRE GRUNDBUCH
(1809-2009)
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Detailansicht aus der
Übersichtkarte mit dem
Ortszentrum von Vaduz,
1872.
291
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Bericht über das Ausschei-
den von Landvogt Franz
Xaver Menzinger sowie
über den bevorstehenden
Antritt von Josef Schupp-
ler als neuer Landesver-
weser in Vaduz. Dabei
wird auch die Schaffung
der Stelle eines Grund-
buchführers erwähnt.
Zuerst war Thomas Budig,
fürstlich-liechtensteini-
scher Beamter in Butscho-
witz (Mähren), für dieses
Amt vorgesehen. An seiner
Stelle kam aber dann Peter
Zelinka, ebenfalls Beamter
in fürstlichem Dienst und
zugleich Schwager von
Josef Schuppler, als erster
Grundbuchführer nach
Vaduz. Der Grundbuchfüh-
rer wurde jährlich mit 300
Gulden sowie sechs Klafter
Holz entlöhnt. Damit ver-
diente er ein knappes Drit-
tel des Landvogts, der
1000 Gulden und 20 Klaf-
ter Holz sowie weitere
Vorteile erhielt. Der vorlie-
gende Bericht aus dem
Jahr 1808 ist vom fürstli-
chen Hofrat Georg Hauer
unterzeichnet.
auf die elektronische Datenverarbeitung und 2008
wurde eine Totalrevision der gesetzlichen Grundla-
gen durchgeführt.
Ebenso wurde in der Ausstellung die Geschichte
der Landesvermessung gezeigt. Seit der Kataster-
vermessung 1865-1871 bildet ein Grundkataster
die Basis des Grundbuchs, das man 1809 als Boden-
wertkataster angelegt hatte. Weil der liechtensteini-
sche Altkataster von 1865 den Anforderungen an
Genauigkeit und Zuverlässigkeit nicht mehr ent-
sprach, führte Liechtenstein 1937 eine Vermessung
gemäss den schweizerischen Richtlinien durch und
führte einen Übersichtsplan ein. Die Schweiz über-
nahm die Leitung und Aufsicht über das liechten-
steinische Vermessungswesen, 1937-1938 schloss
sich Liechtenstein dem schweizerischen Triangula-
tionsnetz an.
292
200 JAHRE GRUNDBUCH
(1809-2009)
Das Grundbuch - gestern
und heute
BERND HAMMERMANN
EINLEITUNG
Mittels des Grundbuchpatents von 1809 wurde vor
200 Jahren das Grundbuch im Fürstentum Liech-
tenstein eingeführt. Als Beweggründe zur Einfüh-
rung des Grundbuchs stand die Sicherung des Pri-
vatbesitzes, die genaue Regelung der Marken, die
Revision der Kapitalbriefe sowie die genaue Auf-
zeichnung der Hypothekarschulden im Vorder-
grund.1 Damit sind bereits auch ein grösserer Teil
der Aufgaben umschrieben, welche ein Grundbuch
zu erfüllen hat. Dieser Aufgabenkatalog hat sich
vom Grundbuchpatent vom 1. Januar 1809, ergänzt
durch die sachenrechtlichen Bestimmungen des re-
zipierten österreichischen Allgemeinen Bürgerli-
chen Gesetzbuchs (ABGB) von 1812 in Liechtenstein
bis zur Verabschiedung des Landesgesetzblatts
1923 Nr. 4 mit dem Titel «Liechtensteinisches Zivil-
gesetzbuch - Sachenrecht» nicht wesentlich geän-
dert. Mit dem neuen Sachenrecht, Vorlage war das
Sachenrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs
von 1907 mit ganz geringen Änderungen und Er-
gänzungen, erfolgte im Sachenrecht der Bruch mit
der österreichischen Rechtstradition und die Hin-
wendung zum Schweizer Recht.2
AUFGABE DES GRUNDBUCHS
In Art. 521 des liechtensteinischen Sachenrechts
von 1922 (SR)3 wird festgehalten, dass über die
Rechte an Grundstücken ein Grundbuch geführt
wird, welches nach Gemeinden zu unterteilen ist.
Demzufolge handelt es sich beim Grundbuch um
nichts anderes als ein Buch, das über die Rechte an
einem Grundstück Auskunft gibt. Dieses System be-
dingt, dass sowohl die Begründung wie auch Über-
tragung dinglicher Rechte an Grundstücken durch
die Eintragung in ein besonderes staatliches Regis-
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Im Jahr 1889 wurde Josef
Hartmann zum neuen
Grundbuchführer ernannt.
Das Dokument belegt sei-
nen Diensteid, mit wel-
chem er Treue dem Lan-
desfürsten, Gehorsam ge-
genüber den Gesetzen und
«Beobachtung der Landes-
verfassung» schwor.
1) Malin, S. 109.
2) Frömmelt, S. 31 f.
3) LGB1. 1923/4 idgF LGBL 2008 Nr. 139.
293
Ausschnitt aus dem
Grundbuch, der einen
Landbesitz des Amtsboten
Johann Rheinberger be-
legt. Rheinberger hatte der
Obrigkeit Steuern zu ent-
richten, ebenso hatte er
Abgaben in Naturalien an
den Schaaner Pfarrer so-
wie an die Untere Hofka-
planei in Vaduz zu leisten.
Die Spalte rechts zeigt auf,
mit welchen Hypotheken
Rheinbergers Grundstück
belastet war.
ter - eben das Grundbuch - erfolgen. Diese Rechte
wirken gegenüber jedermann (absolute Rechte),
können aber nur dann beachtet werden, wenn sie
nach aussen erkennbar sind. Das Grundbuch dient
als Erscheinungsform (Publizitätsform) für dingli-
che Rechte an Grundstücken.4 In dieser Hinsicht
schafft das Institut des Grundbuchs Rechtsicherheit
über den Bestand an dinglichen Immobilienrechten.
Jeder und jede kann grundsätzlich auf die Richtig-
keit und Vollständigkeit des Grundbuchs vertrauen
- der gutgläubige Dritte kann sich auf den Eintrag
im Grundbuch verlassen (Art. 554 SR).
Durch die Einbindung der Daten der amtlichen
Vermessung als graphischer Auszug in der Form
294
200 JAHRE GRUNDBUCH
(1809-2009)
Bild aus der Anfangszeit
der Mikroverfilmung,
1965. Aus Sicherheits-
gründen wurden zuerst
die Grundbücher verfilmt.
Die vier Ordner auf dem
Pult enthalten das gesamte
Grundbuch des Fürsten-
tums Liechtenstein.
des Grundbuchplans als Bestandteil des Grund-
buchs werden die Liegenschaft sowie weitere Rech-
te zudem klar abgegrenzt. Auch die Bestimmung der
Grenzen dient primär der Rechtsicherheit.
Eine weitere Aufgabe des Grundbuchs ist die Mo-
bilisierung des Bodenwerts: mittels der Grund-
pfandverschreibung bzw. Hypothek sowie dem
Schuldbrief wird ein Teil des Bodenwerts in einem
Titel - in einem Wertpapier mit öffentlichem Glau-
ben - verselbständigt und anderen Personen als
dem Grundeigentümer als Kapitalanlage zugänglich
gemacht. Im Unterschied zur Hypothek, welche zur
Absicherung einer Forderung dient und dem
Grundpfandgläubiger ein Verwertungsvorrecht ein-
räumt, kommt dem Schuldbrief über dem blossen
Sicherungszweck die Funktion als «Verkehrsgrund-
pfandrecht» zu: neben der persönlichen Forderung,
welche grundpfändlich sichergestellt wird, haftet
der Schuldner persönlich mit seinem ganzen Ver-
mögen. Die Forderung wird in einem Pfandtitel ver-
körpert,4 5 welcher als Wertpapier vom Entstehungs-
grund der Forderung unabhängig ist.6
Diese «Mobilisierung der Bodenwerte» kann mit-
tels der inländischen Hypothekaranlagen zu einem
gewissen Teil sichtbar gemacht werden (vgl. dazu
Tabelle auf Seite 296).
4) Sog. Publizitätsprinzip im Immobilienbereich.
5) Art. 333 SR.
6) Sog. Neuerung bzw. Novation laut Art. 332 SR.
295
DIE ENTWICKLUNG VOM PAPIER
ZUR INFORMATIK
Das Grundbuchpatent von 1809 orientierte sich am
böhmischen Immobiliensachenrecht,7 welches wie-
derum auf das aus dem 13. Jahrhundert stammen-
de Institut der Landtafeln zurückgreift. Dabei zeigt
sich, dass sowohl das Eintragungs- wie auch Publi-
zitätsprinzip über Jahrhunderte im Wesentlichen
unverändert Geltungskraft hatten.8
Das Grundbuch wurde auf Papier geführt, und
die Grundbuchführung akribisch genau festgelegt:
Das Grundbuch besteht zum einen aus dem Haupt-
buch und das Hauptbuch ergänzenden Plänen, Be-
legen, Grundstücksbeschreibungen und zum zwei-
ten dem Tagebuch (Art. 521 SR). Jedes Grundstück
erhält im Hauptbuch ein eigenes Blatt und eine eige-
ne Nummer. Jedes Hauptbuchblatt ist wiederum in
einzelne Abteilungen gegliedert, welche Auskunft
geben über Eigentümer, bestehende Dienstbarkei-
ten und Grundlasten, Pfandrechte sowie den Vor-
merkungen, Anmerkungen und der Grundstücksbe-
schreibung.9 Der Inhalt des Tagebuchs beschränkt
sich auf die Wiedergabe der zeitlichen Reihenfolge
von Anmeldungen zur Eintragung in das Grund-
buch (Art. 525).
Die Führung des Grundbuchs in Papier wurde in
Liechtenstein seit der Einrichtung des Grundbuchs
im Jahr 1809 in teils sogar noch aus dieser Zeit stam-
menden Büchern bis in die neuere Zeit praktiziert.
Die Fortentwicklung der elektronischen Datenverar-
beitung und darauf basierende Projekte im Ausland,
insbesondere Österreich und der Schweiz, von der
«computerunterstützten Grundbuchführung»10 bis
hin zum «EDV-Grundbuch»,11 wurden in Liechten-
stein aufmerksam verfolgt.12 Der schlechte Erhal-
tungszustand der Bücher, der dadurch bedingte Auf-
wand zur Erhaltung wie auch die erschwerte Les-
barkeit, schlechte Übersichtlichkeit wie auch der
hohe Personalaufwand, die laufende Neuvermes-
sung und die dadurch bedingte grosse Anzahl zur
Verbücherung anstehenden Parzellen, aber auch der
ENTWICKLUNG HYPOTHEKEN UND WOHNBEVÖLKERUNG
In den Jahren 1994-2007
stiegen die Hypotheken im
Fürstentum stärker als die
Bevölkerungszahlen. Die
entsprechenden Zahlen
belegen einen deutlichen
Anstieg der privaten Ver-
schuldung in Liechtenstein
während dieses Zeit-
raums.
—1•— Hypotheken (in Mio CHF) ■■■■■■■ Wohnbevölkerung (dividiert durch 10)
296
200 JAHRE GRUNDBUCH
(1809-2009)
Widerspruch zu einer auf Informatik gestützten amt-
lichen Vermessung, welche zum ständigen Ausdruck
elektronischer Datensätze auf Papier bedingte,13
machten es schliesslich erforderlich, eine zeitgemäs-
se Form der Grundbuchführung umzusetzen. Auf-
grund der guten Zusammenarbeit mit den entspre-
chenden schweizerischen Stellen konnte Liechten-
stein seit 1996 die schweizerische Grundbuch-Soft-
ware «Terris» im Grundbuchamt für die Geschäfts-
kontrolle und Führung des Tagebuchs einsetzen.14 Es
kam dadurch bedingt zu einer Doppelführung des
Grundbuchs auf Papier und Computer. Nach einem
positiv verlaufenen Testversuch, bei welchem eine
Neuvermessung in den Gemeinden Eschen, Ruggell
und Balzers versuchsweise elektronisch geführt wur-
de,15 konnte schliesslich im Jahre 2003 das Sachen-
recht mit dem Satz «Das Grundbuch kann mit elek-
tronischer Datenverarbeitung geführt werden (EDV-
Grundbuch)» ergänzt werden.16
Im Jahre 1996 waren lediglich 36,9 Prozent der
Liegenschaften landesweit vermessen. Zwei Drittel
der Liegenschaften wurden noch laut dem sog. Alt-
kataster geführt, welcher wiederum auf der Altver-
messung und Plänen aus den Jahren um 1870 im
Massstab 1:2000 beruhte.17 Zwölf Jahre später, per
Ende 2008, sind bereits im Rahmen der laufenden
Neuvermessung 66,2 Prozent der Liegenschaften
landesweit erfasst.18
DAS GRUNDBUCH HEUTE
Am Aufgabenkatalog der Grundbuchführung hat
sich in den vergangenen 200 Jahren grundsätzlich
nichts geändert: die Führung eines mit öffentlichen
Glauben versehenen Registers und der damit ver-
knüpften Rechtssicherheit im Immobiliensachen-
recht bedingt die äusserst korrekte Registerführung
laut den gesetzlichen Bestimmungen. Daran hat
auch die Sachenrechtsreform 2008 nichts geändert,
welche neben einzelnen Erleichterungen (z.B. Be-
reinigung des Grundbuchs, Abschaffung des Eigen-
tumsvorbehaltsregisters) auch erhöhte Formalitä-
ten, insbesondere in Bezug auf die Anmeldung und
Einschreibung ins Tagebuch, eingeführt hat.19
Die Einführung des landesweiten EDV-Grund-
buchs wird in den kommenden Jahren weiterhin
eine Schwerpunktaufgabe der Abteilung Grund-
buch beim Grundbuch- und Öffentlichkeitsregister-
amt bilden. Voraussichtlich im Jahre 2016/2017
sollte diese Wegmarke erreicht werden. Dann wird
das «Grundbuch» als physischer Begriff, welcher
aufgrund des Grundbuchpatents 1809 angelegt
wurde, zu einem blossen Gedankenmodell - wie es
in Schrift und Zahlen auf Geräten (Bildschirm, Dru-
ckerpapier) gelesen werden kann.20
7) Am 1. Oktober 1808 wurde der 32-jährige Böhme Josef Schuppler
von Fürst Johann zum neuen Landvogt ernannt. Die an Landvogt
Schuppler erteilten Dienstinstruktionen vom 7. Oktober 1808 umfas-
sten u.a. die Einführung eines Grundbuchs; vgl. Frömmelt, S. 22 ff.
8) Vgl. Frömmelt, S. 27 f.
9) Art. 523 f. Vgl. insbesondere Art. 102 Grundbuchverordnung,
LGB1. 2008 Nr. 267, wonach das Formular des Hauptbuchblatts von
der Regierung zu genehmigen ist.
10) Das Grundbuch wird in Papierform, das Haupt- und Tagebuch
dürfen aber mittels Textverarbeitung durch den Computer geführt
werden. Haupt- und Tagebuch müssen immer auf Papier vorliegen,
d.h. beides muss fortlaufend ausgedruckt werden. Vgl. Fasel, Vor Art.
111, Rz 4 ff.
11) Hier werden alle Daten, welche beim Papierhandbuch in einem
Buch, auf einem Blatt oder in einem Register geführt werden, auf
einem Datenträger gespeichert. So kommt die Auslösung des Einga-
bebefehls im Eintragungsverfahrens, die Rechtswirkung der Eintra-
gung ins Hauptbuch zu (s. Art. 570 SR). Vgl. BuA 2003, S. 7 f.
12) Fehr, S. 126 ff.
13) BuA 2003, S. 4 f., S. 11 ff.
14) Fehr, S. 129 f.
15) BuA 2003, S. 5 f.
16) Art. 632a SR, idF LGB1. 2003 Nr. 220. Durch die Sachenrechtsre-
form 2008 (LGB1. 2008 Nr. 139), wurde Art. 521 entsprechend
ergänzt.
17) Fehr, S. 130.
18) Vuagniaux, S. 9.
19) Vgl. Art. 11 ff. GBV. Vgl. auch Grundbuch- und Öffentlichkeitsre-
gisteramt, Merkblatt über die Anmeldung von Eintragungen im
Grundbuch, Fundstelle: http://www.llv.li/pdf-llv-gboera-anmel-
dung_von_eintragungen_im_grundbuch.pdf (10. Mai 2009).
20) Fasel, Vor Art. 111, Rz 9.
297
LITERATUR
Fasel, Urs: Grundbuchver-
ordnung (GBV), Kommen-
tar. Basel, 2008.
Fehr, Rudolf: Das liechten-
steinische Grundbuch vor
der EDV-Führung. In:
Liechtensteinsiche Juris-
tenzeitzung (LJZ) 1996,
S. 126 ff.
Frömmelt, Gert: Das
Grundbuch des Fürsten-
tum Liechtensteins. Dis-
sertation. Vaduz, 1974.
Malin, Georg: Die politi-
sche Geschichte des Fürs-
tentum Liechtenstein in
den Jahren 1800-1815. In:
Jahrbuch des Historischen
Vereins für das Fürsten-
tum Liechtenstein, Bd. 53.
Vaduz, 1953.
Regierung des Fürstentums
Liechtenstein: Bericht und
Antrag der Regierung an
den Landtag des Fürsten-
tum Liechtenstein betref-
fend die Abänderung des
Sachenrechts vom 31. De-
zember 1922, LGB1. 1923
Nr. 4, Nr. 17/2003. Vaduz,
2003 (BuA 2003).
Vuagniaux, Anita: Fachar-
tikel «Statistische Angaben
über die amtliche Vermes-
sung, Stand 31. Dezember
2008». In: INFO V+D
1/2008; Fundstelle:
http ://www. cadastre. ch/int
ernet/cadastre/de/home/
docu/publication/F 14 7 .html
(11. Mai 2009).
298
200 JAHRE GRUNDBUCH
(1809-2009)
Die Geschichte der Vermessung
in Liechtenstein
JOHANN OTT
Nivellierinstrument aus
dem 19. Jahrhundert. Mit
seiner Hilfe wurden Hö-
henunterschiede gemes-
sen.
299
DAS ALTKASTASTERWERK
Messtisch mit Fernrohr,
Kippregel (Fernrohrlineal)
und Lotgabel. Mithilfe
dieser historischen Geräte
wurden 1865-1871 die
Altkatasteraufnahmen in
Liechtenstein gemacht.
Der Winkelspiegel diente
der Bestimmung von rech-
ten Winkeln.
Im Jahr 1865 erliess der Landtag das «Gesetz be-
treffend die Landesvermessung» und im selben
Jahr die «Instruction für die mit der KatastraWVer-
messung des Fürstenthumes Liechtenstein betrau-
ten Geometer». In Gesetz und Instruktion waren alle
wichtigen technischen Vorgaben für das Vermes-
sungswerk festgelegt. Die Vermessung der Parzellen
und der Gebäude erfolgte in der damals üblichen
Methode der Messtischaufnahmen mit der Kippre-
gel auf quadratischen Kartontafeln, deren Seiten-
lange IV2 Fuss zu messen hatten. Der Planmassstab
wurde mit 1:2 000 festgelegt, sodass ein Kartonblatt
3 000 Quadratfuss zu umfassen hatte und das ganze
Vermessungswerk an die schweizerische Triangula-
tion anzuschliessen war. Diese Entscheide wirkten
sich nachhaltig bis heute aus.
Die Einführung des Metermasses ab dem 1. Janu-
ar 1876 hätte den damals üblichen Massstab der
österreichischen Katastralvermessung im Massstab
1:2 880 mehr als nur unpraktisch gemacht. Der Ent-
scheid für einen dimensionslosen geradezahligen
Massstab liess dagegen den Wert des Vermessungs-
werks erhalten. Die Fixpunktdaten der Triangulati-
on wurden ab 1890 zwar dem Bessel-Ellipsoid an-
gepasst, was aber für das Vermessungswerk in
Liechtenstein als rein graphisches Werk und ohne
Höhenaufnahmen ohne Bedeutung war. Die Anbin-
dung unserer Vermessung an das schweizerische
Triangulationsnetz wurde seitdem beibehalten und
führte zu einer immer besseren Zusammenarbeit
mit den schweizerischen Amtsstellen des Vermes-
sungswesens.
Die gesamte Vermessung wurde wie vorgesehen
innerhalb von sechs Jahren von den Fachleuten,
dem Landestechniker Peter Rheinberger und dem
Forstinspektor Alois Schauer, fertig gestellt. Leider
war es unterlassen worden, für die Nachführung
des Werkes Vorschriften zu erlassen. In der Folge
wurden die Pläne zwar nachgeführt, über Qualität
und Vollständigkeit bestanden aber keine Definitio-
nen und keine Sicherheit. Dadurch hat das Werk an
Zuverlässigkeit seiner Informationen je länger je
mehr verloren.
300
200 JAHRE GRUNDBUCH
(1809-2009)
Ein Theodolit aus der Zeit
um 1920. Mithilfe dieses
Instruments wurde ein
Fixpunktnetz mit den An-
schlüssen an das schwei-
zerische Triangulations-
netz geschaffen. Dies dien-
te als Grundlage für späte-
re Messtischaufnahmen.
301
Die Bussole, ein Kompass
mit Peilvorrichtung, diente
mit seiner «Einnordung»
der allgemeinen Orientie-
rung. Die unten gezeigte
Bussole verfügt zudem
über ein Visier.
Die Gemeinde Balzers hatte ihr Gemeindegebiet
bereits 1854 durch den Schweizer Geometer Küm-
merly vermessen lassen. Diese Vermessung wurde
schon 1855 vom Land übernommen.
GRUNDLAGEN ZUR NEUVERMESSUNG
In den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen hat
sich die Regierung mit der schweizerischen Vermes-
sungsdirektion in Verbindung gesetzt, mit dem Ziel,
eine neue Vermessung nach schweizerischem Vor-
bild in die Wege zu leiten, vor allem, um Bodenzu-
sammenlegungen und bessere Bodennutzungen vo-
ranzutreiben. 1937 wurde der Eidgenössische Ver-
messungsdirektor Baltensperger für den «Bericht
über die Durchführung einer neuen Landesvermes-
sung in Verbindung mit der Güterzusammenlegung
des Fürstentums Liechtenstein» beauftragt. Im Be-
richt sind als Vermessungsarbeiten die Triangulati-
on, die Parzellarvermessung, der Übersichtsplan
und die Nachführung der Vermessung behandelt.
Im gleichen Jahr kam es zur Vereinbarung zwi-
schen der Regierung und der Eidgenössischen Ver-
messungsdirektion «betreffend die Übernahme der
Oberleitung und Verifikation der Landesvermes-
sung im Fürstentum Liechtenstein durch das Eidge-
nössische Justiz- und Polizeidepartement». Eben-
falls schon in diesem Jahr 1937 wurden die Arbei-
ten für die Triangulation IV. Ordnung an den Geome-
ter Bosshardt in St. Gallen vergeben und im Jahr
darauf diejenigen für das Landesnivellement. Diese
Arbeiten wurden gemäss dem Bericht Baltensper-
ger, das heisst nach schweizerischem Qualitätsstan-
dard, durchgeführt und bis zum Jahr 1939 abge-
schlossen. Im Jahr 1943 konnte der Übersichtsplan
in Form einer topographischen Karte in sechs Blät-
tern, im Massstab 1:10 000 in Auftrag gegeben und
im Jahr 1947 herausgegeben werden. Zuvor aber
wurde 1945 das neue Vermessungsgesetz heraus-
gegeben. Dem Gesetz folgte ein Jahr darauf die Ver-
markungs-Verordnung und 1951 die Instruktion für
die Nachführung der Grundbuchvermessung im
Fürstentum Liechtenstein.
302
200 JAHRE GRUNDBUCH
(1809-2009)
DAS GEOMETERPATENT
Mit der Einführung des Zivilgesetzbuches und der
Verordnung über die Grundbuchverordnung wurde
1913 die Grundbuchvermessung in der Schweiz
Bundessache. Die bis dahin abzulegende Konkor-
datsprüfung wurde ab dann durch das eidgenössi-
sche Geometerpatent ersetzt. Man vertrat in der
Schweiz den Standpunkt, dass die mit der Durch-
führung der amtlichen Vermessung betrauten Inge-
nieur-Geometer im öffentlichen Interesse eine ho-
heitliche Tätigkeit ausüben und in diesem Rahmen
als Personen öffentlichen Glaubens zu betrachten
seien.
Mit der Vereinbarung des Jahres 1937 zwischen
der Regierung in Liechtenstein und der eidgenössi-
schen Vermessungsdirektion in Bern übernahm die
Vermessungsdirektion auch die fachliche Oberlei-
tung der amtlichen Vermessung in Liechtenstein. In
dieser Verantwortung verlangte sie auch für das für
die amtliche Vermessung eingesetzte Personal die-
selben fachlichen Voraussetzungen wie in der
Schweiz. Es wurde vereinbart, dass Geometer des
Fürstentums Liechtenstein dieselbe Prüfung wie die
schweizerischen Kollegen in Bern ablegen sollen
und im Falle des Prüfungserfolgs von der liechten-
steinischen Regierung ein Patent zur Ausführung
von Grundbuchvermessungen auf liechtensteini-
schem Gebiet ausgestellt bekommen sollen.
Hubert Frömmelt, der zuvor das Studium der
Kulturtechnik an der Technischen Hochschule in
Wien abgeschlossen hatte, erlangte im Jahr 1949
das erste liechtensteinische Geometerpatent. Damit
wurde er von der Regierung ermächtigt, im Gebiet
des Fürstentums Liechtenstein Grundbuchvermes-
sungen auszuführen. 1950 eröffnete er das erste
Vermessungs- und Ingenieurbüro in Liechtenstein.
Die Dosenlibelle, eine Art
Wasserwaage, diente zur
Horizontierung des Zei-
chenbretts.
Die Winkeltrommel ist ein
zylinder- oder prismenför-
miges Rohr, das okularsei-
tig mit engen, senkrechten
Schlitzen und objektivsei-
tig mit breiten Schlitzen, in
denen senkrecht ein Pfer-
dehaar gespannt ist, aus-
gestattet. Es diente zur
orthogonalen, das heisst
rechte Winkel bildenden,
Aufnahme von Punkten.
AKTIVITÄTEN BIS IN DIE 1970-ER JAHRE
Bis zur Eröffnung des Ingenieur- und Vermessungs-
büros Frömmelt hat das Geometerbüro Bosshardt
in St. Gallen die Belange der amtlichen Vermessung
in unserem Land erledigt. Auch noch danach war
303
Beim Vermessungsbüro
von Hubert Frömmelt in
Vaduz von den 1950er
Jahren bis in die frühen
1970er Jahre im Einsatz:
der Doppelbild-Redukti-
ons-Tachymeter Redta 002
von Carl Zeiss. Es war das
damals leistungsfähigste
Vermessungsgerät dieser
Art. Eine Besonderheit
war dabei die optische
Distanzmessung: Es konn-
ten Distanzen bis 170
Meter in Zentimeterauflö-
sung gemessen werden,
wobei die Schrägdistanz
automatisch auf die hori-
zontale Länge reduziert
wurde.
dieses Büro in Liechtenstein tätig: So bei den ersten
Neuvermessungsoperaten in Vaduz und Schaan,
nachdem bereits 1945 drei Operate für die Gemein-
de Triesen fertig gestellt worden waren und 1950
auch für die Alpen und Gemeindewaldungen die
Grundbuchvermessung Vorgelegen hatte. Die späte-
ren Operate in Balzers, Mauren und Malbun wurden
dann in liechtensteinischer Hand erledigt. Alle diese
neuen Grundbuchvermessungen hatten schweizeri-
sche Qualität und wurden auch gemäss der Verein-
barung des Jahres 1937 von der eidgenössischen
Vermessungsdirektion verifiziert. Ein Charakteristi-
kum dieser Pläne war, dass sie auf Aluminiumplat-
ten aufgezogen waren, um den Blattverzug mög-
lichst gering zu halten.
Nachdem bereits im Jahr 1943 eine Güterzusam-
menlegung im Steg stattgefunden hatte, folgten in
den Jahren von 1949 bis 1956 die Zusammenlegung
der Gemeindeböden in den Gemeinden Schaan,
Mauren, Ruggell, Eschen, Schellenberg, Gamprin
und Vaduz. Meliorationen wurden von 1951-1953
im Malbun, von 1961-1978 in Triesenberg, von
1961-1970 in Planken und von 1977-1983 noch im
Vaduzer Riet durchgeführt.
Die Nachführungen des Altkatasters wurden in-
des nicht allein vom Ingenieur-Geometer Frömmelt
durchgeführt, sondern auch von den Vermessungs-
fachleuten des Landesbauamts und ab den 1960er
Jahren auch vom damals neu gegründeten Inge-
nieur und Vermessungsbüro Loppacher & Seger.
Kurt Loppacher, Mitinhaber des genannten Büros
und Inhaber eines schweizerischen Geometerpa-
tents, betreute bis zu seiner Pensionierung ausser-
dem das Triangulations- und das Höhenfixpunkt-
netz.
Mit der Flut der Veränderungen im Altkataster-
werk konnten mit der Zeit diese Kartonpläne nicht
mehr nachgeführt werden, ohne ernsthafte Beschä-
digungen zu riskieren. So wurden die Nachführun-
gen des Altkatasters zunehmend zum Problem.
Ende der 1960er Jahre entschied man sich, den
Parzellenbestand entsprechend den bestehenden
Grenzzeichen und -Verläufen, sowie den Grund-
buchmassen und dem Altkatasterplan zu verpflo-
cken und photogrammetrisch zu erfassen. Anhand
304
200 JAHRE GRUNDBUCH
(1809-2009)
dieser Flugaufnahmen wurden Pläne im Massstab
1:1 000 gezeichnet, die als Arbeitsunterlage für Ka-
tasterberichtigungen und Planungen dienten. Diese
Pläne waren den Altkatasterplänen zeichnerisch
und für alle praktischen Anwendungen zwar weit
überlegen, es fehlte ihnen aber jegliche rechtliche
Relevanz. Sie wurden aber bei jeder Katasterberich-
tigung entsprechend nachgeführt und für die Plan-
beilage im Grundbuch benutzt, wodurch der jeweils
nachgeführte Teil des Plans rechtliche Relevanz er-
langte.
DIE NEUEN ENTWICKLUNGEN
Infolge Ablösung der bis dahin rein optischen Dis-
tanzmessungen durch die elektrooptische Distanz-
messungen zu Beginn der 1970er Jahre wurden die
Operate wesentlich genauer und mit dem Einzug
der Elektronik erhöhten sich die Geschwindigkeit
und die Genauigkeit auch aber Rechenoperationen.
Die Rechenaufwendungen verkürzten sich gegen-
über den herkömmlichen Prozeduren erheblich. Ge-
gen Ende der 1970er Jahre waren auch vektorgra-
phische Programme verfügbar und Plotter, mit de-
nen Pläne ausgedruckt werden konnten. Dies war
der Start zur Erstellung von digitalen Plänen.
Rechtlich verbindlich waren aber weiterhin die ge-
zeichneten auf Aluminiumplatten aufgezogenen Ver-
messungspläne. Diese Pläne mussten vorschrifts-
mässig in Stahlschränken aufbewahrt und laufend
nachgeführt werden. Von ihnen mussten Kopien auf
Folien aus möglichst form- und zeitbeständigen,
transparenten Materialien angefertigt werden, die
ebenfalls ständig nachzuführen waren und für die
Anfertigung amtlich beglaubigter Kopien dienten. Es
sollte noch bis in die 1990er Jahre dauern, bis der di-
gitale Kataster Einzug finden konnte.
1984 hat die Regierung das «Programm 2000»
beschlossen. Darin war vorgesehen, die Baugebiete
in allen Gemeinden bis zum Jahr 2000 der Neuver-
messung zu unterziehen.
Messlatten als Hilfsmittel
für das Vermessungsgerät
Redta 002.
305
DIE REFORM DER AMTLICHEN
VERMESSUNG IN DER SCHWEIZ
Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement
hatte im Jahr 1982 eine Projektorganisation für eine
Reform der amtlichen Vermessung auszuarbeiten.
Im Jahr 1987 gab die eidgenössische Vermessungs-
direktion die Broschüre «Die Zukunft unseres Bo-
dens» als Schlussbericht der Projektleitung RAV
(Reform der Amtlichen Vermessung) heraus.
Der Lösungsvorschlag sah vor, den bisherigen In-
formationsinhalt der amtlichen Vermessung, das
heisst den Grundbuchplan, neu zu gliedern und mit
raumbezogenen Daten aus thematischen Nachbar-
bereichen zu erweitern. Die Gliederung sollten In-
formationsebenen sein, die einzeln oder in Kombi-
nation bzw. in Verschnitt mit anderen zu betrachten
sind. Im sogenannten Grunddatenkatalog sollten die
für die ganze Schweiz verbindlich zu erfassenden
Daten der amtlichen Vermessung definiert werden.
Optional sollten von den Kantonen weitere Daten
oder Ebenen erfasst werden können. Der Grundda-
tenkatalog war in folgende Ebenen zu gliedern: Fix-
punkte, Bodenbedeckung, Einzelobjekte und Lini-
enelemente, Nomenklatur, Grundeigentum, unterir-
dische Leitungen, Höhen und die administrative
Einteilung.
Die Umsetzung dafür sah vor, Computerprogram-
me zu benutzen. Als zentrales Element sollen Daten-
banken angelegt werden, in denen alle Informatio-
nen abgespeichert und je nach den Bedürfnissen in
beliebiger Kombination jederzeit abrufbar werden
sollen. Dieser neuen Informationsstruktur wurde
der Name «Land-Informations-System (LIS)» verlie-
hen.
Die Bemühungen führten schliesslich zur Inkraft-
setzung der «Verordnung über die Amtliche Vermes-
sung (VAV)» vom 1. Januar 1993.
DIE AMTLICHE VERMESSUNGS-
SCHNITTSTELLE
Bei der Anwendung von EDV-Systemen, bedingt die
Forderung nach Methodefreiheit auch ein ungehin-
derter Austausch von Daten verschiedener Forma-
te. Ausserdem müssen Daten von hoher Bedeutung
in einem absolut beständigen Format abgespeichert
werden. Eine dafür geeignete Datenbeschreibungs-
sprache muss Daten und Definitionen als geogra-
phisches Modell der Wirklichkeit derart erfassen
und aufbereiten, dass dieses Modell von den ver-
schiedensten einschlägigen Programmen eindeutig
identifiziert und exakt nachgebildet werden kann.
Es musste also ein Programm entwickelt werden,
das diese Anforderungen erfüllt und als rechtskräf-
tiger Standard legitimiert wird. Das Ergebnis davon
war die Geodatenbeschreibungssprache INTERLIS,
die eine Modellierung und Integration von Geodäten
erlaubt und den Datenaustausch zwischen verschie-
denen Geoinformationssystemen ermöglicht. Seit
1998 ist INTERLIS als offizielle Norm für den Daten-
austausch innerhalb der Amtlichen Vermessung
(AV) gesetzlich vorgeschrieben.
DIE NEUE LANDESVERMESSUNG
IN DER SCHWEIZ
Neben den Reformen der amtlichen Vermessung er-
forderten auch die neuen Entwicklungen, insbeson-
dere die elektronische Distanzmessung mit den
Möglichkeiten der EDV und vor allem die Verfügbar-
keit der globalen Navigations-Satelliten-Systeme
(GNSS), im Konkreten der zivilen Nutzbarmachung
des Global Positioning Systems (GPS), des Navigati-
onssystems des US-amerikanischen Verteidigungs-
ministeriums, eine Überarbeitung der Grundlage-
daten.
Das Bundesamt für Landestopographie hat im
Jahr 1987 das Projekt LV95 für einen neuen, dreidi-
mensionalen Bezugsrahmen gestartet. Der Funda-
mentalpunkt des neuen Fixpunktnetzes wurde die
Geostation Zimmerwald bei Bern. Die neue Landes-
vermessung bezieht sich dabei auf zwei neue Be-
306
200 JAHRE GRUNDBUCH
(1809-2009)
zugssysteme, das 3 D-Bezugssystem CHTRS 95
(Swiss Terrestrial Reference System 1995) und das
lokale Bezugssystem CH 1903. Dabei wurde darauf
geachtet, dass CH 1903+ möglichst gut mit dem bis-
herigen Referenzsystem CH 1903 übereinstimmt.
Die Parameter, welche das System definieren,
wurden allerdings vom heute nicht mehr verwend-
baren Fundamentalpunkt (alte Sternwarte Bern) auf
den neuen Fundamentalpunkt in Zimmerwald
transferiert. Dieses lokal gelagerte Bezugssystem
CH 1903+ ist statisch und stellt der amtlichen Ver-
messung einen optimalen Bezugsrahmen zur Verfü-
gung. Die «absolute» Genauigkeit der Koordinaten
liegen landesweit bei 0,5 bis 1 cm für die Lage und 2
bis 3 cm für die ellipsoidische Höhe. Der Koordina-
tenursprung ist der gleiche geblieben, wie in der al-
ten Landesvermessung LV 03, nämlich die alte
Sternwarte Bern. Es ist vorgesehen, dass die neuen
Koordinaten bis zum Jahr 2016 voll in die amtliche
Vermessung aufgenommen sind.
Das bisher geltende Höhensystem LN 02 wurde
im Jahr 1902 durch die Festlegung der Meereshöhe
des Repère Pierre du Niton H(RPN) = 373,6 m in
Genf definiert. Das neue Höhensystem LHN95 (Lan-
deshöhennetz 1995) basiert ebenfalls auf der Höhe
des Repère Pierre du Niton. Jedoch wurde das da-
raus abgeleitete Potential des Fundamentalpunktes
in Zimmerwald als definierende Grösse festgelegt.
Für den Datenaustausch mit den Nachbarländern
wurde zusätzlich noch das Höhensystem CHVN 95
definiert, das mit dem europäischen Höhensystem
EVRS 2000 identisch ist. Es stützt sich auf die Hö-
hendefinition des Pegels von Amsterdam (NAP) und
auf die Resultate des europäischen Nivellements
(UELN). Die Höheninformation wird in diesem Sys-
tem in Form von Potentialen und Normalhöhen aus-
getauscht.
DIE REFORM DER AMTLICHEN
VERMESSUNG IN LIECHTENSTEIN
Da mit der Vereinbarung des Jahres 1937 die Ober-
leitung der Liechtensteiner amtlichen Vermessung
und damit auch die technischen Vorgaben bei der
eidgenössischen Vermessungsdirektion lag, wurden
die Entwicklungen der Schweiz in Bezug auf die
amtliche Vermessung vorerst ohne weitere Formali-
täten übernommen. Die fundamentalen Umwälzun-
gen erforderten jedoch sowohl in der amtlichen Ver-
messung als auch für die Umstellung auf die neuen
Grundlagedaten ein konzeptionelles Vorgehen. Auf
der Grundlage eines Expertenberichtes fasste die
Regierung 1995 einen entsprechenden Beschluss.
Die bis dahin vorhandenen digitalen Daten neu-
vermessener Gebiete wurden auf Widersprüche ge-
genüber der schweizerischen Vermesssungsverord-
nung vom 1. Januar 1993 überprüft und anschlies-
send von der Regierung erworben. In den noch nicht
vermessenen Gebieten waren grossteils auch schon
nachgeführte, digitalisierte Pläne der Flugaufnahme
der frühen 1970er Jahre vorhanden, die ebenfalls in
das Eigentum des Landes überführt wurden. An-
schliessend waren dann rasch und mit bescheide-
nem Aufwand flächendeckend über das ganze Land
digitale Pläne, allerdings in verschiedenen Qualitä-
ten, verfügbar. Nur das grosse Gebiet der Alpen- und
Gemeindewaldungen war lediglich fragmentarisch
digitalisiert worden. Alle übernommenen Daten wa-
ren aber bereits im INTERLIS-Format abgespei-
chert. Um die allgemeine Verfügbarkeit dieser geo-
graphischen Daten zu regeln und zu sichern, wurde
im Jahr 1997 auch eine entsprechende Gebühren-
verordnung erlassen.
Für die amtliche Vermessung, deren Basisaufga-
be darin besteht, den Plan für das Grundbuch be-
reitzustellen, war es im Rahmen der Reformen nicht
unbedeutend, die Planinhalte genau festzulegen.
Man entschied sich für einen Datenkatalog, der sich
zwar korrekt an das schweizerische Modell des
Bundes hielt, aber mit spezifisch im Land gebrauch-
ten Zusatzinformationen ergänzt wurde. Daraus ist
das «Datenmodell 2001 der Amtlichen Vermessung
(DM.01-AV-FL)» auf Grundlage des DM.01-AV des
307
Bundes und des DM.01-AV-OS mit speziellen Anpas-
sungen für Liechtenstein entstanden. Die Legende
für den Plan für das Grundbuch wurde komplett von
der Schweiz übernommen.
Im Sommer 2004 wurde der Begriff Geodatenin-
frastruktur (GDI) geprägt und durch einen Be-
schluss der Regierung besiegelt. Er löste den bis da-
hin gebräuchlichen Begriff LIS/GIS ab.
DAS NEUE FIXPUNKTNETZ
Die Erneuerungen der Landesvermessung in der
Schweiz haben auch in Liechtenstein zu Erneue-
rungsarbeiten geführt. 1997 wurde das Bundesamt
für Landestopographie beauftragt, ein Konzept für
die Behandlung der Fixpunkte der Parzellarvermes-
sung zu erarbeiten. Dabei war die Erneuerung so-
wohl des Lagefixpunktnetzes, also der Triangulati-
onsfixpunkte, als auch des Höhenfixpunktnetzes vor-
gesehen.
Aufbauend auf diesem Bericht wurden die Fix-
punkte neu gemessen und den Erfordernissen ent-
sprechend in den bisherigen und neuen Bezugsrah-
men gebracht und auch Bezug zu Punkten in den
angrenzenden Kantonen St. Gallen und Graubün-
den genommen. Diese Arbeiten konnten im Jahr
2004 abgeschlossen werden.
Bezüglich der Höhen hat das Bundesamt für Lan-
destopographie vorab entschieden, den Bezugsrah-
men auf dem alten Höhenrahmen LN 02 verbleiben
zu lassen. Eine Überprüfung des liechtensteinischen
Nivellementnetzes ergab, dass gegenüber dem
Schweizerischen im Rheintal Unstimmigkeiten von
wenigen cm Vorlagen. Im Berggebiet waren es etwa
25 cm. Weil das Gebrauchshöhennetz in Liechten-
stein in sich relativ homogen war und die Anpas-
sung an das Schweizer Landesnivellement beachtli-
che Aufwendungen und Fehlerquellen, nicht zuletzt
im Fachgebiet des Siedlungswasserbaus, mit sich
gebracht hätte, entschloss man sich, das bisherige
Gebrauchshöhennetz zu belassen und nur Unstim-
migkeiten einzelner Punkte zu bereinigen. Der Feh-
ler für das Berggebiet wurde durch Einführung ei-
nes spezifischen Höhenmassstabes ausgeglichen.
Gleichzeitig wurden die Berechnungsarbeiten
zur neuen Dreiecksvermaschung (FINELTRA, das
Programm von swisstopo für die Transformation
zwischen den Bezugsrahmen LY 03 und LY 95) für
das neu definierte Lagefixpunktnetz aufgenommen.
Eine Besonderheit stellt das bekannte Rutschgebiet
Triesenberg dar. Innerhalb des Rutschgebietes wur-
den keine Transformationsstützpunkte definiert
und das ganze Rutschgebiet über die FINELTRA-
Vermaschung grossräumig auf LY 95 transformiert.
Das sanierte Fixpunktnetz bildet nun die Grundlage
für amtliche Vermessung, die nun in Schritten eben-
falls in den Bezugsrahmen LY 95 zu überführen ist.
DAS NEUE VERMESSUNGSGESETZ
Das neue Vermessungsgesetz wurde im Frühjahr
2005 in Kraft gesetzt. Unmittelbar darauf wurde
auch die zugehörige Verordnung erlassen. Im neuen
Gesetz wurde den längst vollzogenen Änderungen
in mehreren Bezügen Rechnung getragen, Boden-
nutzung, Bodenzusammenlegungen, -umlegungen
und -Verbesserungen sollten mit Neuvermessungen
einhergehen.
Es fehlte auch eine klare Unterscheidung der
rechtlichen Stellung der neuen Grundbuchpläne, die
nach dem damals neuen Gesetz hergestellt waren
und denjenigen des Altkatasters. Die rechtliche Re-
levanz des Altkatasters war im Gesetz nicht behan-
delt. Man war offenbar der Ansicht, die Neuvermes-
sung des ganzen Landes sei eine kurzfristige Ange-
legenheit. Die Pläne des Altkatasters waren aber
Pläne für das Grundbuch und blieben das für viele
Jahre. Das alte Gesetz aber war ausser Kraft. Das
Sachenrecht des Jahres 1923 enthielt den folge-
schweren Artikel 48 mit dem Wortlaut: «Die Gren-
zen werden durch die Abgrenzungen auf dem
Grundstück selbst angegeben. Ihre Richtigkeit wird
vermutet.» Damit hatte der Altkatasterplan eine nur
sehr geringe Rechtskraft. Dennoch war er für
Grenzfestlegungen in den meisten Fälle das wich-
tigste und wohl auch das richtigste Dokument.
Grenzverläufe auf dem Feld konnten sich durch
Nutzungsänderungen oder -gewohnheiten auch
308
200 JAHRE GRUNDBUCH
(1809-2009)
ohne Eigentumsänderungen ändern. In den Plänen
wurden jedoch erst bei Änderungen der Eigentums-
verhältnisse Nachführungen eingetragen. So war
der Altkatasterplan für die Grenzrekonstruktionen
umso wichtiger geworden, je länger sich die Zeit bis
zu einer Neuvermessung hingezogen hatte.
Das Bewusstsein um diese rechtliche Schwäche
veranlasste die beauftragten Geometer und auch die
Mitglieder der Vermarkungskommissionen zu gröss-
ter Sorgfalt und Umsicht bei Grenzrekonstruktionen
und Verpflockungen. Ihre Bemühungen wurden in-
sofern belohnt, als die Anzahl der Einsprachen je-
weils erstaunlich gering waren, obwohl die in der
Zwischenzeit enorm gestiegenen Bodenpreise gros-
ses Konfliktpotential in sich bargen. Mit dem neuen
Vermessungsgesetz wurde dann endlich auch dieser
Artikel 48 im Sachenrecht abgeändert.
Das neue Gesetz und seine Verordnung haben die
nicht mehr zeitgerechten orts- und landesplaneri-
schen Vorgaben weggelassen. Das Gesetz konzen-
triert sich auf die eigentlichen Aufgaben der amtli-
chen Vermessung, ihre strukturelle Gliederung und
die Vollständigkeit für eine allgemeine Nutzbarma-
chung mit der elektronischen Datenverarbeitung.
Es bildet auch die rechtliche Grundlage zur Erfas-
sung der Informationsebenen. Im Sinne dieser Auf-
gabe wird grosser Wert auf die Definition der einzel-
nen Ebenen gelegt. Die Ebenen sind soweit als mög-
lich an den schweizerischen Grunddatenkatalog
angelehnt. Ergänzend zum Vorschlag des schweize-
rischen Grunddatenkatalogs wurde noch die Ebene
«Dienstbarkeiten» aufgenommen. Beinhaltet sind
schliesslich neun Informationsebenen und zwar:
Fixpunkte, Bodenbedeckung, Einzelobjekte, Höhen,
Nomenklatur, Liegenschaften, Dienstbarkeiten, Rohr-
leitungen und administrative Einteilungen. Für die
Ebenen Bodenbedeckung und Einzelobjekte wur-
den Richtlinien herausgegeben, die den Detaillie-
rungsgrad dieser Ebenen definieren.
309
BILDNACHWEIS
Sven Beham, Liechtenstei-
nisches Landesmuseum,
Vaduz
Originaldokumente aus
dem Liechtensteinischen
Landesarchiv, Vaduz
ANSCHRIFTEN DER
AUTOREN
lic. phil. Arthur Brunhart
Wingerta 14
FL-9496 Balzers
Dipl. Ing. Johann Ott
Untere Pradafant 5
FL-9490 Vaduz
Dr. Bernd Hammermann
Grundbuch- und Öffent-
lichkeitsregisteramt
Postfach 684
FL-9490 Vaduz
310