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III Der Vergewaltigungstatbestand de lege lata
«Wer
eine Person weiblichen Ges chlechts zur Duld ung des Beischlafs nötigt,
namentlich indem er sie bedr oht, Gewalt anwendet, sie unter ps ychis chen
Druck setzt oder zum Widerstand unf ähig macht , wird mit Freiheitsstrafe von
einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.» (Art. 190 Abs. 1 StGB)
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Hintergrund der Einführung des Vergewaltigungstatbestands
Beim Tatbestand der Ver gewaltigung gem. Art. 190 StGB handelt es sich um ein
Gewaltdelikt, welches sich dadur ch kennzeichnet, dass vom Opfer ve r langt wird,
dass es Gegenwehr leis tet oder jegliche Gegenwehr aussichtslos
war.34
Allein ein
entgegens tehender Wille des Opfers r eicht zur Erfüllung des T atbes tandes nicht
aus. Insofern s tellt diese ver langte Gegenwehr klar, dass es bei Art. 190 StGB nur
um Gewalt im eigentl ichen Sinne und nicht den freien Willen
geht.35
Dem Ver gewaltigungs tatbes tand kommt im Sex ualstrafrecht eine besondere Stel-
lung zu. Im Gegens atz zu den weiter en im StGB normierten Sex ualstraftaten enthält
Art. 190 StGB eine eigene genau ums chr iebene Tat handlung, nämlich jene der Nö-
tigung zur Duldung des Beischlafs. Dar über hinaus sieht Art. 190 StGB als einziger
Str af tatbes tand eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe
vor.36
Diese hö-
here Mindeststrafe im Gegens atz zu den übr igen Sex ualdelikten lässt sich aus his-
torischer Sicht auf ökonomis che Gr ünde zurückführen, wonach durch den er zwun-
genen aus s er ehelichen Beischlaf Kinder ents tehen konnten, für welche f inanzielle
Unter s tützung zu leis ten war, die allen falls von der Gemeins chaf t au fzubringen
war.37
Hinzu kam, dass mithilf e des Strafrechts eine bes timmte Sex ualmor al dur ch-
ges etzt wer den s ollte. Ein Ger icht hatte dar über zu ents cheiden, ob sich Frau und
Mann als Ehebrecher oder wegen vor ehelichem Ges chlecht sverkehr strafbar ge-
macht haben oder ob allenf alls nur der Mann bzgl. einer Ver gewaltigung verurteilt
wer den s ollte. Demnach konnte nur durch einen Nö tigungs tatbes tand gerechtfertigt
34
Vgl. S CHEIDEGGER, S. 175 Rz. 319.
35
P IETH, S. 84.
36
BOMMER, S. 288.
37
N IGGLI/ MAEDER, S. 1174. 1174.