«No girls»: nur Wasser, Wind und Wellen
Arno Oehri las am Sonntag «Auszüge aus dem Niwinski-Tagebuch»
Niwinski heisst der Kapitän
des griechischen Frachters
Kassos. Zwei Monate lang er-
lebte Arno Oehri auf der Route
Bremen, Genua, Brasilien,
Argentinien, Uruguay und
zurück, wie das Leben an Bord
Ist. Die endlose Zeit totschla-
gen, Gedanken nachhängen,
Gefühle zulassen, filmen,
Schreiben - und überleben.
cb.- Wer zu den beiden Säulen mit
der Aufschrift «fern dem meere zu hin
Zum andern ort» sitzt, hört Liechten-
Steiner Sagen, von Arno Oehri erzählt.
Sein Beitrag zur Kunst am Bau beim
Vaduzer Saal. Ein sinniger Ort für die
Lesung.
Träume und Realität
Inmitten der Rheinbilder von Ursula
Kühne, umgeben von Wasser, erzählt
Oehri vom und im Wasser. Einleitend
und zwischendurch Klaviermusik von
Ralph Zurmühle, die er eigens fürs
Multimediaprojekt «Der Berg, das
Meer und die Winde», welches im TaK
1996 aufgeführt wurde, komponierte.
Sie verdeutlicht, wie die Zeit dahin:
Plätschert, wie Sekunde um Sekunde
Wasser fliesst und frei macht. Nichts
wollen, nichts denken, nur lauschen
und fühlen. Alles verschmolz mitein-
Ander, die Rheinfotografien vor Augen
und die Musik im Ohr und die melo-
diöse Stimme der Fragmente und evo-
zierten Stimmungsbilder von Arno
Oehri. Wie ist es dem Ruggeller auf
dem Frachtschiff mit 24 Besatzungs-
Mitgliedern verschiedenster Nationa-
lität ergangen? Der Einstieg seiner Le-
Sung ist der 14. 11. auf dem Atlantik
vor den Kanarischen Inseln. Der
Frachter fährt zu schnell in den Hafen
ıin, kann kaum mehr bremsen. Der
Kapitän sieht drei Flüsse, wendet den
Kurs und fährt auf dem Fluss, bis er
am Berg in einem ausgetrockneten
Flussbett zum Stillstand kommt. Zum
Glück nur ein Traum. Der Kapitän ist
sich nicht zu schade, selber zu wa-
schen, bügeln und seine Kabine zu
putzen. Den Verkäufer im Bordladen
;pielt er gerne, beklagt sich aber über
las schlechte Geschäft. Oehris sportli-
he Betätigung heisst Schwimmen im
;echs mal vier Meter grossen rostigen
Tümpelpool, während andere sich mit
Kraftübungen und Hanteln fit halten.
Die Überquerung des Äquators
Ein besonderes. Erlebnis ist die
Überquerung des Äquators mit einer
;peziellen Zeremonie für die Frisch-
inge. Da bekommen alle einen Blick,
vie wenn sie auf ihr Leben zurück-
schauen. «No girls, no girls» jammert
lie Besatzung, «Wasser, Wasser, nur
Nasser» konstatiert Oehri. «Sogar
venn es regnet, hat es noch Wasser
iber dem Wasser». Arno erlebt aber
ıuuch wunderschöne Sonnenaufgänge
ınd Sonnenuntergänge und ist faszi-
ıert von der Erhabenheit des Meers.
Auf dem Frachter lebt man mit und
n der Natur, kämpft bei Windstärke
‚wölf schon mal ums Überleben, da-
um gibt es eine Rettungsübung, die
rar nicht nach der Vorstellung des Ka-
»itäns abläuft. Ernstfälle passieren
«ben nicht bei spiegelglatter See. Oeh-
i schiebt Nachtwache, umgeben mit
ichiffskarte und Radar. Er denkt, dass
:h nichts passieren wird und man im
Zett hätte bleiben können. Doch Oehri
‚ekommt die elementare Urgewalt,
ie wildeste Achterbahn, die er je er-
eht hat. zu spüren. so. dass sich sein
Arno Oehri in seinem
vjement: der Künstler
las gestern «Auszüge
8us dem Niwinski-Tage-
buchs.
Magen bis zwischen die Ohren hebt
ınd er Todesängste leidet. Trotzdem
ilmt er weiter. «Nur Meer, Himmel,
lorizont. Die absolute Weite tut weh.
die Welt wird zur Scheibe», notiert
Jehri auf dem Südatlantik.
Die Augen des Seemanns funkeln,
ıls Arno ihn nach Natascha fragt.
Vach langer Schwärmerei wird he-
cannt, dass Natascha seine Wodkafla-
sche ist. Heute gibt es Arger mit der
.rew. Der Kapitän brüllt, das Essen sei
ıngeniessbar, heute Abend gäbe es
eine Grillparty, der Koch sei sturzbe-
;offen. Trotzdem gibt es ein Grillfeuer,
Meer und Sternenhimmel.
Arno träumt, dass der Frachter bis
zar seine Haıustüre fährt Bald ist sein
\benteuer zu Ende, Bald ist er wieder
wischen Wäldern, Häusern und Au-
os. «Ich wusste nicht, was das ist, Ab-
schied, Nähe, Geduld, Briefe. Ich habe
nen Weg gewählt und bin einfach los-
r‚elaufen und habe dieses geglaubt und
anes gedacht und habe nicht gewusst,
was das ist, Schöpfung Erde, Meer,
iwigkeit». sa Oaehri zum Ahschlhuss
}