62
nicht Besitz vom einfachen Denken des
Dörflers. Der Individualismus des Städters
ist ihm fremd. Er fühlt sich als Teil einer
lebendigen Gemeinschaft, die auf Gedeih
und Verderb zusammenhält, seiner Dorf
gemeinschaft! Einsam und verloren würde
sich ein echter Dörfler im kalten Getriebe
der Stadt fühlen, denn wie sang doch der
Barde unserer Heimat, Prälat J. B. Büchel:
Nicht der Städte falschen Schimmer, kenn
ich Dörfer Frieden nur!
Hundert und mehr Generationen prägten
das Antlitz unseres Dorfbildes. Rätische,
romanische und alemannische Einflüsse wirk
ten an seiner Gestaltung und Formgebung
mit. Schon das Frühlicht der prähistorischen
Zeit sah das Werden der ersten Dorfsied
lungen im Bereiche unserer Heimat. Nach
den Höhlenbärenjägern, die in Höhlen not
dürftige Unterkunft fanden, errichteten die
Einwohner der Steinzeit auf ihren Hütten
plätzen reisig-geflochtene, lehmverstrichene
Kuppeldachhütten. Jagd, Fischerei und das
Sammeln von Wildfrüchten boten kärgliche
Nahrung. Erdwälle und primitive Verhaue
schirmten die Siedlung gegen Raubwild und
menschliche Feinde.
Der Einbruch der Kelten brachte in der
Eisenzeit eine merkliche Hebung der Dorf
wohnkultur mit der Einführung des Block
baues aus gewetteten Stämmen. Eine hoch-
entwickelte Viehzucht mit nahezu allen
heute bekannten Haustieren, unter Ein
schluß des kleinwüchsigen Tarpanpferdes,
und ein reger Ackerbau bildeten die wirt
schaftliche Grundlage des rätischen Dorfes.
Schwein und Rind waren die bevorzugten
Haustiere jener Zeit, wie die Knochenfunde
auf dem Borscht beweisen. Die Dorfanlagen
wurden zum Teil als eigentliche Wall- und
Fliehburgen ausgebaut, so die Borschtsied-
lung auf dem Schellenberg.
Der Ursprung unseres heutigen Dorfes wur
zelt in der rätoromanischen Zeit, wie die
Dorfnamen bezeugen. Rätische Deutung las
sen zu die Ortsnamen: Bendern, Eschen,
Mäls, Nendeln, Triesen und Schaan. Dem
romanischen Sprachkreis gehören an die
Dorfbezeichnungen: Balzers, Planken, Va
duz, Mauren, Gamprin und Ruggell.
Die römische Geschichtsepoche bewirkte eine
neuerliche Bereicherung des Dorfbildes. Die
abgedankten römisch-rätischen Legionäre
legten in ihren Musterfarmen Obst- und
Hausgärten an und führten den Weinbau
ein. Romanische Einflüsse sind heute noch
in der romanischen Dorfflur und im Haus
bau (Steinsockel und Flachdach) erkennbar.
Der bäuerliche Wortschatz erinnert jetzt
noch an die römische Kolonisation in Wor
ten wie forgga (Gabel), gugumera (Gurke),
guttara (Flasche) u. a.
Im 5. Jahrhundert setzte die Landnahme
durch die Alemannen ein. Alemannische
Siedler durchsetzten die rätischen Dörfer
und wandelten sie weiter um. Die Aleman
nen lebten in strengen Sippenverbänden und
begründeten Marktgenossenschaften. Sie
führten die Gewannflur ein und gestalteten
die Siedlungen zu Haufendörfern, wie sie
in ihrem Kern, z. B. Triesen, Vaduz und
Eschen darstellen. Die Siedlungsform des
Haufendorfes entspricht den Gegebenheiten
der Gewannflur. Der Landbesitz eines Dor
fes wurde entsprechend der Dreifelderwirt
schaft in Gewanne eingeteilt. Jedem Dorf-