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DER LIECHTENSTEINER UND SEINE SCHOLLE
Ing. Ernst Ospelt
Man muß droben im Fürstensteig oder auf
dem Eschnerberg gestanden sein und einen
Blick in die Ebene und hinein in die Berg
welt geworfen haben, um zu erschauen, wo
des Liechtensteiners Scholle liegt, wie viel
gestaltig dieses kleine Stück Heimat ist.
Im Tale sind es die aufgeschütteten Böden
des Rheins, die verschiedenartig in ihrer Zu
sammensetzung und in ihrer Fruchtbarkeit,
ganz nach dem Willen des Flusses gebildet.
Von den Hängen herab haben die Rüfen ihr
Material gebracht und am Fuße des Berges
jene Kegel aufgeschüttet, die für unsere Ge
gend so typisch sind und die im Laufe der
Zeit zu beliebten Siedlungsorten wurden.
Droben auf den Terrassen von Masescha,
Gnalp und Gaflei liegen die Moränenreste
des einstigen Rheintalgletschers, und in den
Tälern der Samina, von Malbun, Valorsch
und Lawena sind es wieder junge Gebirgs-
böden, gebildet aus dem verschiedensten
Material unserer Bergwelt.
Dies alles ist dem Liechtensteiner seine
Scholle, bedeutet ihm Arbeit und Brot.
Was unsere Generation verhältnismäßig ge
schützt und in Ruhe bearbeiten kann, das
mußten unsere Vorfahren in harter Arbeit
den Naturgewalten abringen. Manchmal
wurden sie um den Lohn ihrer Arbeit ge
bracht, wenn des Rheines ungestüme Fluten
aus dem Bett brachen und sich durch die
Ebene wälzten, wenn von den Bergen her
ab die verheerende Gewalt der Rüfen stürz
te, wenn in den Alpentälern die Sturzbäche
Grund und Boden mit sich rissen und in
kurzer Zeit das Landschaftsbild veränderten.
Heute liegt die Rheinebene geschützt vor
uns. Die Wasser des Stromes sind gebannt
und der Lauf desselben ist durch feste Wuhre
gegeben. Nur noch selten muß der Bürger
hinaus auf die Dämme, um drohende Gefahr
abzuwehren.
Den Rüfen ist ihre zerstörende Kraft größ
tenteils genommen. Die Heime, Wiesen und
Rebberge sind vor den schmutzigen Fluten
gesichert. Ja sogar in den Bergtälern ist die
ungestüme Kraft der Wildbäche gebannt
und ihr Zerstörungswerk verunmöglicht.